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12. Jahrgang, 3. Ausgabe 2018, 90-115 Krankheitsbild Pathophysiologie Nicht-Medikamentöse Therapie Medikamentöse Akuttherapie - - - Rubrik Apothekenpraxis - - - Migräne – Standardtherapeutika und neue Therapieoptionen Medikamentöse Migräneprophylaxe Spezielle Patientengruppen Neue Therapieansätze Beratungshinweise

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12. Jahrgang, 3. Ausgabe 2018, 90-115

Krankheitsbild Pathophysiologie Nicht-Medikamentöse Therapie Medikamentöse Akuttherapie

- - - Rubrik Apothekenpraxis - - -

Migräne – Standardtherapeutika und neue Therapieoptionen

Medikamentöse Migräneprophylaxe Spezielle Patientengruppen Neue Therapieansätze Beratungshinweise

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Migräne – Standardtherapeutika und neue Therapieoptionen Miriam Tripp, Lisa Zimmer* Fachbereich Pharmazie Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf *Korrespondenzadresse: Lisa Zimmer Fachbereich Pharmazie Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf [email protected] Lektorat Herr Apotheker Ehsan Gholamreza-Fahimi Institut für Pharmakologie und Klinische Pharmakologie Universitätsklinikum Düsseldorf Frau Apothekerin Dr. Ulrike Schröder Adler Apotheke Seehausen 39365 Wanzleben-Börde Den Fortbildungsfragebogen zur Erlangung eines Fortbildungspunktes zum Fortbildungstelegramm Pharmazie finden Sie hier: http://www2.hhu.de/kojda-pharmalehrbuch/FortbildungstelegrammPharmazie/Kurzportraet.html

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Abstract In Germany there are about 8 million migraineurs. Apart from stroke it is one of the most prominent neurological dis-eases. Each year 270 lost workdays per 1000 employees can be attributed to the illness. Thus the overall socioeconomic burden for society is correspondingly high. Apart from adult patients there is an increasing percentage of children who develop a migraine. Based on the symp-toms, migraine can evidently be differen-tiated from other types of headaches and it is possible to distinguish various forms of migraine. Individual trigger factors can cause severe attacks which consist of variable phases and severity. The un-derlying cause of the disease is still not fully known. There are various hypothe-ses, but current scientific knowledge supports the spreading depression hy-pothesis. This hypothesis is based on the hyperactivity of cells of the cerebral cor-tex, which manifests itself in a wave of depolarisation (= cortical spreading de-pression). If the cortical spreading de-pression reaches specific structures (i.e. visual centre, trigeminal nerve) it can lead to visual impairment or pain. New drugs in development, for example 5-HT1F–agonists and Calcitonin-Gene-Related-Peptid receptor antagonists (CGRP-receptor antagonists), operate without vasoconstriction and therefore argue against the vascular theory. Apart from non-pharmacological treatment options it is often obligatory to apply drug treatment for pain relief in acute attacks. Beside the classic analgesic agents such as acetaminophen and non-steroidal anti-inflammatory drugs mi-graine specific triptans are also used. However, as only two thirds of the mi-graineurs are responsive to standard treatment, the search for new drugs is even more important. Agents inhibiting CGRP-signalling, such as the monoclonal antibodies Fremanezumab and Ere-numab, appear to be particularly promis-ing. Abstrakt In Deutschland gibt es etwa 8 Millionen Migränepatienten. Neben dem Schlagan-fall gilt die Migräne als eine der wichtigs-ten neurologischen Erkrankungen. Jähr-lich sind pro 1000 Arbeitnehmer ca. 270 ausgefallene Arbeitstage zu verzeichnen und die gesellschaftliche Gesamtbelas-tung ist dementsprechend hoch. Neben Erwachsenen gibt es aber auch immer mehr Kinder, die eine Migräne entwi-ckeln. In der Symptomatik grenzt sich die Migräneerkrankung eindeutig von anderen Kopfschmerzarten ab und es lassen sich verschiedene Migräneformen unterscheiden. Individuelle Trigger-Faktoren können einen Anfall auslösen, welcher daraufhin unterschiedliche Pha-sen durchläuft und verschiedene Schwe-regrade einnehmen kann. Die Ursache der Entstehung ist nach derzeitigem Stand der Wissenschaft noch immer nicht vollständig geklärt. Es existieren mehrere Hypothesen, wobei die Studien-lage die Übererregbarkeitsthypothese bekräftigt. Diese beruht auf der Überer-regbarkeit der Zellen der Hirnrinde, die sich in Form einer Depolarisationswelle äußert (= cortical spreading depression). Erreicht die Depolarisationswelle be-stimmte Strukturen (Sehzentrum, Tri-geminusnerv), dann können visuelle Be-einträchtigung bzw. Schmerz entstehen. „Streupolarisation“ wäre die korrekte Übersetzung von „spreading depression“, die als Folge der Überregung entstehen kann. Neue Therapieoptionen, z.B. 5-HT1F–Agonisten und Calcitonin-Gene-Related-Peptid-Rezeptorantagonisten (CGRP-Rezeptorantagonisten) sprechen aufgrund des Ausbleibens einer Vaso-konstriktion im Wirkmechanismus gegen die vaskuläre Hypothese. Neben den nicht-medikamentösen Maßnahmen muss meist bei einer akuten Attacke auf ein Arzneimittel zurückgegriffen werden. Abgesehen von den Nichtopioid-Analgetika wie NSAR oder Paracetamol werden häufig auch migränespezifische Triptane eingesetzt. Da nur zwei Drittel der Patienten auf diese Standardthera-peutika ansprechen, ist es umso wichti-ger neue Therapieansätze zu erforschen. Besonders vielversprechend scheinen Wirkstoffe zu sein, die in den CGRP-Signalweg eingreifen, wie zum Beispiel die monoklonalen Antikörper Fremane-zumab und Erenumab.

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Einleitung Kopfschmerzerkrankungen werden in der Gesellschaft nicht als ernstzunehmende Krankheit angesehen. Sie führen weder zum Tod, noch sind sie für die Mitmen-schen ansteckend oder sichtbar. Viel-mehr werden sie trivialisiert und in der Arbeitswelt als Ausrede zur Vermeidung von Verantwortung gedeutet. Durch die Verharmlosung von Außenstehenden lassen viele Patienten einen hohen Lei-densdruck zu, ohne einen ärztlichen Rat-schlag in Anspruch zu nehmen. Aufgrund von Erfahrungsberichten betroffener Pa-tienten zeigt die Migräneerkrankung eine außerordentliche Beeinträchtigung der Lebensqualität. Nicht nur die Attacken selbst beeinflussen den Alltag, sondern auch die migränefreien Phasen. So ist eine Anpassung des sozialen Lebens häufig nötig, um erneute Attacken zu vermeiden. Die folgende Ausarbeitung widmet sich neben der Epidemiologie und der Pathophysiologie besonders der Therapie der Migräne. Dabei wird zu-nächst die leitliniengerechte Therapie dargestellt, mögliche Wirkstoffkombina-tionen hinterfragt und anschließend neue Therapieansätze vorgestellt. Epidemiologie Laut WHO erkranken innerhalb eines Jahres weltweit mehr als 10 % der Er-wachsenen zwischen 18 und 65 Jahren an Migräne. Europa liegt mit einer Jah-resprävalenz von 14,9 % Erkrankten an der Spitze der Regionen, noch vor Süd-ostasien (10,9 %) und den USA (10,6 %) (Weblink 1). Auch Daten des fortlaufenden Projektes „Global Burden of Disease“ weisen der Migräne einen hohen Stellenwert als neurologische Er-krankung zu. Den größten Anteil zur Ge-samtbelastung der „Disability-adjusted-life-years (DALYs)“ im Jahr 2015 nah-men neurologische Erkrankungen ein. Hier wiederum belegte die Migräne mit 13,1 % Platz zwei nach dem Spitzenrei-ter Schlaganfall (47,3 %). Der Index DALY ist ein Maß für die Belastung, die eine Erkrankung pro festgelegter Anzahl Personen hervorruft. Faktoren wie zum Beispiel verlorene Lebensjahre durch vorzeitigen Tod sowie Lebensjahre mit Behinderung, bilden den Punktwert DALY welcher international vergleichbar ist. Er ist besonders für die Beschreibung der Erkrankungen, die nicht zum Tode füh-ren, von großem Stellenwert. Er spiegelt die Beeinträchtigung des normalen Le-bens durch eine Erkrankung wider und gibt Hinweise auf die Lebensqualität der betroffenen Patienten (1). Die Schätzung der auf Migräne diagnos-tizierten Patienten liegt in Südostasien mit 60 % im Gegensatz zu Europa und anderen Regionen weit vorne. Europa liegt hinsichtlich der Migräneerkrankten im weltweiten Durchschnitt, wohingegen der Spannungskopfschmerz seltener auf-tritt (Abb. 1). Abb. 1: Geschätzte prozentuale Zahl der auf Migräne- oder Spannungskopfschmerz diagnostizierten Patienten im weltweiten Vergleich und nach WHO-Region aufgeteilt. (Weblink 1).

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Abb. 2: Graphische Darstellung der Prävalenz der Migräne in Abhängigkeit von Alter und Geschlecht in Prozent (3). Schon im Kindesalter kann Migräne auf-treten. Die Jahresprävalenz ist hier zwi-schen den Geschlechtern gleich hoch und liegt bei 4 – 5 %. Ab der Pubertät steigt die Prävalenz bei beiden Geschlechtern an, wobei 12 – 18 % aller Frauen und 6 – 8 % aller Männer unter Migräneatta-cken leiden. Der größte Unterschied zwi-schen den Geschlechtern liegt im Alter von 30,2 Jahren (Abb. 2). Die Lebens-zeitinzidenz liegt bei Frauen immerhin bei 48 % während sie bei Männer nur 18 % einnimmt. Das Prävalenzmaximum liegt bei beiden Geschlechtern zwischen dem 35. und 45. Lebensjahr (2). Be-trachtet man die Unterschiede zwischen den Geschlechtern sowie die Zunahme der Prävalenz mit der Pubertät und Ab-nahme selbiger mit Beginn der Meno-pause, so liegt die Vermutung nahe, dass Hormone als Trigger-Faktoren eine Rolle spielen könnten (2). Krankheitsbild Migräne ist eine häufig auftretende neu-rologische Erkrankung, welche nach WHO ICD 10 Klassifizierung (Weblink 2) zu den episodischen und paroxysmalen Krankheiten des Nervensystems gezählt wird. Die vielen Formen der Migräne werden grundsätzlich als klinisches Syn-drom charakterisiert, welches mit einer bestimmten Art Kopfschmerz und ande-ren assoziierten Symptomen einhergeht (Weblink 3). Die Internationale Kopf-schmerzgesellschaft beschreibt das Krankheitsbild mit folgenden Charakte-ristika. So handelt es sich meist um wie-derkehrende Kopfschmerzen, welche sich in Attacken von 4 bis 72 Stunden mani-festieren. Diese sind gekennzeichnet durch einseitige, pulsierende, mäßige bis starke Schmerzen, die sich bei alltägli-cher körperlicher Belastung verstärken. Sie können mit Übelkeit, Photophobie (Lichtempfindlichkeit) und/oder Phono-phobie (Geräuschempfindlichkeit) ein-hergehen (Weblink 3). Differentialdiagnose wichtiger Kopf-schmerzformen Eine differenzierte Di-agnose der Migräne und die Abgrenzung des Migränekopfschmerzes vom Span-nungskopfschmerz ist für den richtigen Einsatz der Therapieoptionen besonders wichtig (Tab. 1). Zusätzlich sollte über-prüft werden, ob es sich um primäre oder sekundäre Kopfschmerzen handelt. Beim primären Kopfschmerz ist der Kopfschmerz das Hauptsymptom und nicht Ausdruck einer strukturellen Er-krankung. Dies trifft zum Beispiel auf die Formen der Migräne, den Spannungs-kopfschmerz oder den Clusterkopf-schmerz zu. Die sekundären Kopfschmerzen sind Fol-geerscheinungen anderer Erkrankungen, welche kausal behandelt werden müs-sen. Eine häufig auftretende Form ist der medikamenteninduzierte Kopfschmerz. Dieser kann besonders durch die über-mäßige Einnahme von Analgetika sowie Triptanen und Ergotaminen hervorgeru-fen werden. Auch falsche Arzneimittel-

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kombinationen (z.B. Analgetika mit Co-dein oder Antihistaminika) führen zu ge-nanntem Krankheitsbild. Zervikogene Kopfschmerzen sowie Myoarthropathien zählen ebenfalls zu den sekundären Kopfschmerzarten. Diese können durch Verspannungen der Nacken- bzw. Kau-muskulatur hervorgerufen werden. Des Weiteren können posttraumatische Kopf-schmerzen als Folgeerscheinung nach einem Schädelhirntrauma oder ähnli-chem auftreten. (Weblink 4). Phasen der Migräne Auch wenn sich die Migräne in vielfältigen unterschiedlich auftretende Symptomen auszeichnet, so lässt sie sich doch zumindest zeitlich in vier Phasen einteilen. Die Vorbotenphase kann bis zu zwei Tage vor Beginn der Kopfschmerzphase auftreten. Sie zeich-net sich durch einen allgemein erregten bzw. gehemmten Zustand des Gesamt-organismus aus und tritt bei ca. 30 % der Betroffenen auf. Patienten berichten zum Beispiel über auftretende Depres-sionen, Konzentrationsprobleme und Überempfindlichkeit, aber auch über Na-ckenverspannung und Müdigkeit. Gefolgt wird die Vorbotenphase ggf. von der Auraphase, welche nur von kurzer Dauer ist und u.a. durch Wahrnehmungsstö-rungen gekennzeichnet ist. Nach ca. 30 – 60 Minuten folgt die Kopfschmerzphase bevor es dann nach bis zu 72 Stunden in die Remissionsphase übergeht. Diese kann 4 bis 48 Stunden andauern und zeichnet sich durch Erschöpfung, Müdig-keit und Abgeschlagenheit aus (4). Formen der Migräne Bei Migräne las-sen sich zwei Hauptformen benennen. Hierbei handelt es sich um Migräne mit oder ohne Aura. Migräne ohne Aura ist durch den charakteristischen Kopf-schmerz sowie auftretende Übelkeit, Photo- und/oder Phonophobie gekenn-zeichnet. Migräne mit Aura weist zusätz-lich neurologische Symptome auf, welche typischerweise vor der Kopfschmerzpha-se auftreten aber auch nach Beginn der Kopfschmerzphase einsetzen oder in die Kopfschmerzphase hineinreichen kön-nen. Bei 90 % der Patienten handelt es sich um eine visuelle Störung. Sie kann sich allerdings auch durch sensorische oder motorische Symptome äußern. Abhängig von der Art der Aura differenziert Olesen et al. (Weblink 3) diese Form der Mig-räne nochmals in verschiedene Unter-formen. Treten motorische Schwächen auf, so handelt es sich zum Beispiel um eine „hemiplegische Migräne“, spezifi-sche visuelle Störungen weisen auf eine „retinale Migräne“ hin. Des Weiteren wird von der Form „Aura ohne Kopfschmerz“ berichtet. Ein Auftreten von Kopfschmer-zen an 15 oder mehr Tagen im Monat, wobei an mindestens acht dieser Tage die Symptomatik eines Migränekopf-schmerzes vorliegt, weist laut ICHD-3 auf eine chronische Migräne hin (Weblink 3). Genau festgelegte Diagno-sekriterien für diese sowie für die Migrä-ne mit oder ohne Aura werden in Tab. 2 gegenübergestellt. Kriterien Spannungskopfschmerz Migräne Häufigkeit gelegentlich bis täglich wechselnd, 1 – 6 /Monat Dauer Stunden bis ganzer Tag 4 – 72 Stunden Lokalisation holozephal einseitig, beidseitig Intensität leicht bis mittel schwer Charakter dumpf, drückend pochend, hämmernd, pulsierend Begleitsymptome keine oder nur minimal ausgeprägt Übelkeit, Brechreiz, Erbrechen, Phono- und Photophobie Verhalten während der Schmerzen - Ruhebedürfnis, Aufsuchen abge-dunkelter Räume Provokation/Auslöser Stress und Wetterwechsel initial, später keine Trig-ger-Faktoren Alkohol, Stress, Hormonschwan-kungen, Wochenende Tab. 1: Differentialdiagnose wichtiger Kopfschmerzformen (Weblink 4).

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Kriterien Migräne ohne Aura Migräne mit Aura Chronische Migräne A Mindestens 5 Atta-cken, die Kriterien B – D erfüllen Mindestens zwei Attacken welche Kriterien B erfüllen Kopfschmerz (Mig-räne- oder Span-nungs-kopfschmerz) an ≥ 15 Tage/Monat für ≥ 3 Monate und Kriterien B und C erfüllend B Kopfschmerzdauer liegt zwischen 4 – 72 Stunden Eine oder mehr der folgen-den reversiblen Aurasymp-tome treffen zu: visuell, sensorisch, sprachlich, mo-torisch, das Stammhirn be-treffend, retinal Patient hatte mind. 5 Attacken die Kriterien B – D der Migräne mit oder ohne Aura erfüllen C Kopfschmerz weist mindestens zwei der folgenden Merkmale auf: einseitige Lokali-sation, pulsierend, Mittel bis schwere Schmerzen, Verstär-kung durch alltägliche körperliche Belastung (z.B. Treppensteigen, Gehen) oder deren Vermeidung Mindestens drei der folgen-den sechs Charakteristika treffen zu: mind. ein Aurasymptom dauert ≥ 5 Minuten, zwei oder mehr Aurasymptome folgen auf-einander, jedes Aurasymp-tom dauert 5 – 60 Minuten, mind. ein Aurasymptom ist unilateral, mind. ein Aurasymptom ist positiv (visuell: Funkeln, Nadeln), die Aura wird von Kopf-schmerzen begleitet oder Kopfschmerzen folgen in-nerhalb von 60 Minuten An ≥ 8 Tagen für ≥ 3 Monate trifft eine der folgenden Kriterien zu: Krite-rien C und D für Migräne ohne Au-ra, Kriterien B und C für Migräne mit Aura, wird vom Patienten als Mig-räne eingestuft und konnte durch Triptane oder Mut-terkornalkaloide verbessert werden D Während der Kopf-schmerz-phase mind. eine der folgenden Punkte: Übelkeit und/oder Erbrechen, Photophobie und Phonophobie Keine andere ICHD-3 Diag-nose trifft zu Keine andere ICHD-3 Diagnose trifft zu E Keine andere ICHD-3 Diagnose trifft zu Tab. 2: Diagnosekriterien adaptiert nach ICHD-3 (Weblink 3). Risikofaktoren/Trigger-Faktoren Häufig nennen Patienten bestimmte Trigger-Faktoren als Auslöser einer Mig-räneattacke. Hierbei ist zu beachten, dass es sich nicht um die eigentliche Ur-sache der Migränebereitschaft handelt (vgl. hierzu Abschnitt der Pathophysiolo-gie). Eine genaue Kenntnis der Trigger kann dem Patienten helfen, das Auftre-ten von Migräneattacken zu kontrollie- ren. Häufig ist allerdings auch kein Aus-löser erkennbar, sodass präventive nicht-medikamentöse Maßnahmen nur bedingt zur Kontrolle der Erkrankung beitragen. Fukui et al. (5) untersuchte in einer Studie die „Trigger-Faktoren bei Migränepatienten“. Hierfür wurden 200 Patienten diesbezüglich interviewt. Die meisten Patienten nannten diätetische Trigger, besonders Fasten, als Ursache.

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Danach folgten Alkohol (besonders Rot-wein) und Schokolade. Als weitere Fak-toren wurden emotionaler Stress, Schlafprobleme oder körperliche Aktivität genannt, aber auch Umweltfaktoren wie das Wetter, Klimaanlagen und Gerüche (Tab. 3). Wie bereits im Abschnitt der Epidemiolo-gie erwähnt, sind mehr Frauen von der Erkrankung betroffen als Männer. 53 % der Frauen nannten hormonelle Verände-rungen als einen Auslöser. Diese lassen sich nochmals unterteilen (Abb. 3). Abb. 3: Verteilung hormoneller Faktoren bei Migräne in Prozent (5). Faktoren Frauen [%] Männer [%] Gesamt [%] Fasten 63,43 55,26 63,50 Diätetisch 64,81 60,53 64,00 Hormonell 53,70 0,00 43,50 Schlaf 75,90 73,60 75,50 Aktivitäten 12,90 26,30 15,50 Stress 65,40 63,10 65,00 Umwelteinflüsse 74,00 44,70 68,50 Minimum 1 Faktor 100 100 Minimum 2 Faktoren 96,30 92,10 Tab 3: Trigger-Faktoren bei Migränepatienten nach Geschlecht (5). Pathophysiologie Zur Entstehung und den Ursachen der Migräne gibt es viele Hypothesen, die in der Literatur diskutiert werden. Lange Zeit wurde die vaskuläre Hypothese als wahrscheinlichste Erklärung für die Ent-stehung einer Migräneattacke ange-sehen. Entgegen dieser Hypothese gibt es inzwischen einige neue Erkenntnisse, die gegen eine Vasodilatation als Ursa- che der Migräneentstehung sprechen und die Erkrankung als eine komplexe Funk-tionsstörung des Gehirns mit teilweise genetischer Ursache darstellen (6). So konnte durch Schoonmann et al. (7) nachgewiesen werden, dass die Gabe von Glyceroltrinitrat zwar zur Auslösung eines Migräneanfalls führen kann, die vasodilatatorische Wirkung des NOs al-lerdings auch nach Abklingen der Symp-tome noch bestehen bleibt und dadurch

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als Ursache nicht in Frage kommen kann. Auch der zur Prophylaxe einge-setzte Wirkstoff Flunarizin hat eine va-sodilatatorische Wirkung, was ebenfalls gegen die vaskuläre Hypothese spricht und somit die Annahme widerlegt. Mit der Entwicklung eines selektiven 5-HT1F-Agonisten, welcher ohne vasokon-striktorische Wirkung effektiv bei Migrä-ne eingesetzt werden kann, wurde er-neut die vaskuläre Hypothese entkräftet. Selbiges gilt für die Wirkstoffklasse der „Gepante“, beispielsweise Telcagepant (siehe Abschnitt Neue Therapieoptio-nen), die es zwar wegen Sicherheitsbe-denken (Erhöhung der Leberenzyme) nicht zur Zulassung schafften, deren Wirksamkeit allerdings in klinischen Stu-dien nachgewiesen werden konnte (8). Mittlerweile finden sich in der Forschung immer mehr Belege, die für die neurona-le Hypothese bzw. die Übererregbar- keitshypothese sprechen. Diese sieht die Ursache der Migräne in einer spontanen Entwicklung von Erregungen und Depola-risation von Neuronen, welche sich wel-lenförmig im zerebralen Kortex ausbrei-ten. Es kommt zu einer gestörten vasku-lären Reaktivität mit der Folge einer sich allmählich ausbreitenden Ischämie des zerebralen Kortex. Bei Erreichen des trigeminozervikalen Komplexes (TZK) entstehen die typi-schen Migräneschmerzen. Der trigemino-zervikale Komplex reicht vom Nucleus caudalis trigeminalis bis zum Segment C2–3. Hinsichtlich der sensiblen Versor-gung des Kopfes tragen ebenfalls die oberen Zervikalwurzeln zur Innervation bei, vor allem der N. occipitalis major als Hauptast der C2-Wurzel (9). Auch das Auftreten einer visuellen Aura wird durch den Ansatz der „Cortical Spreading De-pression“ erklärt (Abb. 4) (10). Abb. 4: Migräne als komplexe Funktionsstörung des Gehirns mit teilweise genetischer Ursache. Die vielfältigen Symptome und Schmerzen können durch Beteiligung vieler Ge-hirnregionen erklärt werden. Maßgebend ist das trigeminovaskuläre System, wobei der Trigeminusnerv die Dura mater mit einem dichten Netz von schmerzsensitiven C-Fasern innerviert. Das Gehirn ist schmerzfrei, Blutgefäße und Dura mater können jedoch Schmerz generieren. Schmerz ist also ein trigeminovaskuläres Signal, welches von affe-renten Nervenfasern hin zum trigeminozervikalen Komplex transportiert wird. Die Akti-vierung des Komplexes führt zur Weiterleitung des Signals hin zu anderen Gehirnregio-nen. Der dorsale wie auch der magnus Raphekern und der Locus caeruleus sind für die Modulation des Inputs zuständig. Es kommt zu der Freisetzung von Transmittern wie Se-rotonin und dem typischen Migräneschmerz. Die parasympathische Weiterleitung des Signals wird durch das Ganglion pterygopalatinum vermittelt (Abb. modifiziert nach (6)).

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Zudem konnte gezeigt werden, dass ei-nige Neuropeptide, besonders der Neuro-transmitter Calcitonin-Gene-Related Pep-tide, am Krankheitsgeschehen beteiligt sind. Es handelt sich beim CGRP um ei-nen Vasodilatator, welcher innerhalb der Trigeminusneuronen während einer Mig-räneattacke generiert wird. Neben der vasodilatatorische Wirkung weisen ihm noch andere Wirkungen eine bedeutende Rolle in der Pathophysiologie der Migräne zu. So gilt er als Hauptmediator für den Migräneschmerz und wird durch die Akti-vierung kortikaler Nozizeptoren vermehrt ausgeschüttet. Selbiger wiederum be-wirkt eine Ausschüttung anderer Entzün-dungsmediatoren. Auf diesen Vorgang stützt sich eine weitere Hypothese, wel-che auf der Entstehung der Migräne auf-grund von neurogenen Entzündungen basiert (11). Die neurogene Entzün-dungshypothese vermutet eine verstärk-te Ausschüttung von Entzündungsmedia-toren wie CGRP, Substanz P und Neuro-kinin A aufgrund von Mikroverletzungen. Diese führen wiederum zu einer Reizung schmerzempfindlicher C-Fasern (12). Auch Serotonin dient im zentralen sowie im peripheren Nervensystem als wichti-ger Botenstoff. Der Einsatz von selek-tiven Agonisten an Serotoninrezeptoren im zentralen Nervensystem (siehe Akut-therapie mit Triptanen) zeigt weitere Aspekte der Erkrankung auf und ver-deutlicht erneut deren Komplexität. Die Aktivierung verschiedener Subtypen führt zu einer Vasokonstriktion (5-HT1B–Rezeptoren der kranialen Blutgefäße) sowie zu einer gehemmten Freisetzung vasoaktiver Neuropeptide (5-HT1B/F –Rezeptoren im Trigeminus Ganglion bzw. dem trigeminalen Nucleus Caudalis) (Tab. 4) (6). Wie bereits zu Beginn des Abschnittes erwähnt, handelt es sich bei den dargestellten Hypothesen, immer noch nur um Annahmen, die mehr oder weniger experimentell belegt werden konnten. Eine Weiterentwicklung bleibt demnach offen. Für die Entwicklung neu-er Therapieoptionen konnten die ge-nannten Erkenntnisse bereits jetzt ge-nutzt werden. Wirkstoffe, die in die CGRP-Signalgebung eingreifen (siehe Neue Therapieoptionen), könnten eine vielversprechende Alternative zu den heutigen Therapieoptionen werden. Serotoninrezeptor Lokalisation Funktion 5-HT1A Raphekern, Hippocampus Hyperpolarisation 5-HT1B Basalganglien, kraniale Blutgefäße Vasokonstriktion 5-HT1D Ganglion trigeminale, Globus pallidus Hyperpolarisation, Hemmung der Freisetzung vasoaktiver Neuropepti-de (CGRP, Substanz P) 5-HT1E Cortex, Striatum unbekannt 5-HT1F Ganglion trigeminale, trigeminaler Nukleus Hyperpolarisation, Hemmung der Freisetzung entzünd-licher Peptide im Trigeminusnerv Tab 4: Übersicht der Serotoninrezeptoren mit deren Lokalisation und Funktionen (6). Nicht-Medikamentöse Therapie Für jegliche Art der Migränetherapie dient als Basismaßnahme immer die Reizabschirmung. Da es zu Licht- und Geräuschempfindlichkeit kommt, gilt es, diese Reize zu meiden. Hierzu empfiehlt sich ein abgedunkelter kühler Raum, Ruhe und Schlaf. Neben den medika-mentösen Maßnahmen, die im nachfol- genden Abschnitt noch diskutiert wer-den, gibt es auch eine Leitlinie der Deut-schen Migräne- und Kopfschmerzgesell-schaft, welche Entspannungsverfahren und verhaltenstherapeutische Interven-tionen zur Behandlung der Migräne vor-stellt (Weblink 5). Als Maßnahmen zum Einsatz bei akuten Migräneattacken wer-den die Schmerzbewältigungstherapie sowie die Biofeedbacktherapie genannt.

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Allerdings sind diese wenig untersucht, sodass in diesem Abschnitt besonders auf präventive Maßnahmen eingegangen wird. Beratung Die Beratung spielt besonders in der Apotheke eine große Rolle. Dem-entsprechend wird dieser Thematik ein gesonderter Abschnitt (siehe unten) ge-widmet. Grundsätzlich sollte das Bera-tungsgespräch eine Anleitung zur Verhal-tensänderung beinhalten. Besondere Wissensvermittlung bezüglich des Erken-nens von Trigger-Faktoren (z.B. durch das Führen eines Kopfschmerztage-buchs), körperliche Übungen gegen Mig-räneattacken oder der Verbesserung des Schlafverhaltens sind hierbei ausschlag-gebend. Die Metaanalyse von Kindelan-Calvo et al. (13) zeigt mit hoher Evidenz (Evidenzklasse A) eine signifikante Ver-besserung der Häufigkeit des Auftretens von Migräneattacken, der Lebensqualität und der kopfschmerzbegleitenden Ein-schränkung. Körperliche Betätigung Für den positi-ven Effekt des Ausdauertrainings liegt laut Leitlinie keine einheitliche Studienla-ge vor. Eine Verbesserung der Migräne-symptomatik konnte gezeigt werden, allerdings sind die Angaben zur Reduk-tion der Anfallshäufigkeit unterschiedlich. Prinzipiell kann es jedoch erst bei einem regelmäßigen Training (3/Woche für 40 Minuten) zu einem positiven Effekt kommen. Entspannungsverfahren Als Entspan-nungsverfahren wird in der Leitlinie be-sonders die progressive Muskelrelaxation hervorgehoben. Diese hat den Vorteil, dass sie mit dem gleichen Effekt schnel-ler erlernt werden kann als andere Ent-spannungsverfahren. Auch hier konnte durch Metaanalysen gezeigt werden, dass die richtige Anwendung einen posi-tiven Effekt auf die Kopfschmerzintensi-tät, die Häufigkeit von Attacken, den Medikamentenbedarf und verschiedene psychologische Parameter hat. Die Wir-kung kann allerdings nur dann eintreten, wenn der Patient im Umgang und Einsatz geübt und der Transfer in den Alltag ver-standen ist. Nur durch eine professionel-le Einweisung und tägliches Üben kann dies erreicht werden. Kognitive Verhaltenstherapie Der Einsatz der kognitiven Verhaltensthera-pie bietet besonders Patienten mit stressbezogenen Trigger-Faktoren eine Hilfestellung im Umgang mit der Erkran-kung. Patienten, die unter hohem Leis-tungsdruck bzw. hoher Alltagsbelastung stehen oder unter depressiven Sympto-men leiden, profitieren indem sie lernen ihren Körper wahrzunehmen. Gewohn-heiten und Einstellungen werden reflek-tiert und ggf. geändert. Je nach Alltags-situation kommen Verhaltensstrategien zum Einsatz, die zu einer Reduktion der Kopfschmerztage führen können. Auch kopfschmerzbezogene psychische Prob-leme nehmen laut Studienlage bei oben genannter Zielgruppe ab. Biofeedbackverfahren Bei diesem Ver-fahren erlernen Patienten die willentliche Steuerung ihrer Körperfunktionen und können diese anschließend gezielt bei Schmerzzuständen oder als prophylak-tische Maßnahme anwenden. „Als Wirk-mechanismus von Biofeedback werden die Kontrolle über physiologische Funkti-onen als spezifische Anwendung und die Überzeugung einer Symptomkontrolle als unspezifische Anwendung eingesetzt; letztere scheint dabei effektiver zu sein“ (Weblink 5). Konkret soll der Patient in der Lage sein, während eines Anfalls einen vasokonstriktorischen Effekt einzu-leiten. Prophylaktische Anwendung findet das Verfahren zur Einleitung von Ent-spannungszuständen. Medikamentöse Akuttherapie Betroffene Patienten mit einer akuten Migräneattacke erfahren häufig einen hohen Leidensdruck und sind in ihrer Lebensqualität stark eingeschränkt. Um in den meisten Fällen eine erfolgreiche Therapie einer akuten Migräneattacke zu gewährleisten, ist es unerlässlich, so früh wie möglich mit der Therapie zu begin-nen. Der Einsatz des richtigen Medika-mentes zur falschen Zeit kann mit einer Wirkungslosigkeit einhergehen. In der Regel können die meisten Patienten eine akute Attacke erfolgreich mit Medika-menten behandeln und benötigen keine weitere Medikation zur Prophylaxe von Migräneattacken. Eine zuverlässige Wirk-samkeit in Hinblick auf die Migränethera-pie zeigen laut Studien Nicht-Opioid-Analgetika wie NSAR und Paracetamol, Triptane und Antiemetika. Es ist aller-

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dings von großer Notwendigkeit, dass die richtige Diagnose gestellt ist, um eine erfolgreiche Therapie zu erzielen (Tab. 5). Die Diagnosestellung liegt in der Hand des Arztes und wird unter Be-rücksichtigung der diagnostischen Krite-rien der Internationalen Kopfschmerzge-sellschaft gestellt (14). Ca. 30 % der Patienten erkennen die „Vorboten“ einer Migräneattacke wie Abgeschlagenheit, Schwindel, Übelkeit oder Konzentrationsschwierigkeiten rela-tiv schnell und können dem Auftreten einer akuten Attacke mit sofortiger Reizabschirmung und niedrig dosierter Therapie mit Analgetika oder Triptanen entgegenwirken. Leichte Migräneatta-cken, welche sich durch eine niedrige Kopfschmerzintensität, mäßige Übelkeit sowie das Fehlen von Erbrechen und Auraphase bemerkbar machen, können mit der Kombination eines Antiemeti-kums mit einem Analgetikum oder eben-falls einem Triptan behandelt werden. Theoretischen Überlegungen zufolge kann es wegen der Aufhebung der Magenstase und der damit verbundenen Resorptionsverbesserung eines oralen Analgetikums nützlich sein, das Antieme-tikum 15 Minuten vor dem Analgetikum einzunehmen (14). Analgetika und nicht-steroidale An-tirheumatika (NSAR) Die Gabe der Analgetika und NSAR ist in flüssigen Dar-reichungsformen bzw. als Suppositorien den Tabletten aufgrund der schnelleren und sicheren Resorption vorzuziehen. Im Allgemeinen sind Analgetika und NSAR in der kurzzeitigen Anwendung gut verträg-lich und weisen ein geringes Nebenwir-kungsprofil auf. Abb. 5 stellt eine gra-phische Ausarbeitung zur Einnahme von Analgetika im Kontinentalvergleich dar. Der Vergleich zeigt, dass, unabhängig von der Region, weder Acetylsalicylsäure noch Paracetamol zu den präferierten Schmerzmitteln zählen (Weblink 1). Einsatz finden Analgetika sowohl in der Mono- als auch in der Kombinationsthe-rapie, welche mehrere verschiedene Wirkstoffe zur Symptomkontrolle bein-halten (Tab. 5, Weblink 6). Wirkstoff Acetyl-salicyl-säure p.o. Ibupro-fen p.o. Napro-xen p.o. Paracet-amol p.o. Diclofenac-Kalium p.o. Einzeldosis 1000 mg 200 – 600 mg 500 – 850 mg 1000 mg 50 – 100 mg Empfehlungs-grad 1. Wahl 1. Wahl 1. Wahl 2. Wahl 2. Wahl Neben-wirkungen Gastro-intestinale Beschwer-den, Gerin-nungs-störungen Gastro-intestinale Beschwer-den, Ulcus, Gerin-nungs-störungen Gastro-intestinale Beschwer-den, Ulcus, Gerin-nungs-störungen Leber-schäden Gastrointesti-nale Blutungen, Übelkeit, Erbre-chen, Kopf-schmerzen, Schwindel Kontra-indikationen Ulcus, er-höhte Blu-tungs-neigung, letztes Tri-menon der Schwanger-schaft Ulcus Ulcus, Asthma, Blutungs-neigung, Schwan-ger-schaft im ersten Trimenon Leber- und Nierener-krankun-gen, chro-nischer Al-kohol-missbrauch Asthma, Ulcus, Blutbildungs-störungen, Gastrointesti-nale Blutungen, Schwanger-schaft im letz-ten Trimenon, Herzinsuffizienz der NYHA-Klasse II-IV Tab. 5: Übersicht der Analgetika zur Therapie bei Migräneattacken (Weblink 7).

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Abb. 5: Übersicht über die am meisten applizierten Analgetika in Amerika, Europa, Asien und weltweit in Prozent (Weblink 1). Mögliche Kombinationen sind unter an-derem der Einsatz mehrerer Analgetika in einem Präparat wie z. B. die Kombina-tion von Paracetamol mit Acetylsalicyl-säure. Häufig findet sich darüber hinaus Coffein in einigen Kombinationspräpara-ten, wobei der Zusatznutzen hier nicht belegt ist. Zwar weisen diese Kombinati-onen in einer Marketingstudie einen sehr geringen Vorteil im Hinblick auf die Re-duktion der Schmerzstärke auf, im Ge-genzug dazu weisen Kombinationspräpa-rate mit Coffein aber auch ein doppelt so hohes Auftreten von Nebenwirkungen auf. Das Nutzen-Risiko-Verhältnis spricht daher gegen einen Zusatz von Coffein (15). Des Weiteren gehört es, wie be-reits im Abschnitt Nicht-Medikamentöse Therapie erwähnt, zur Standardtherapie, dass sich Migränepatienten Ruhe und Entspannung gönnen sollen, was nach der Einnahme von Coffein erschwert sein kann. In der Regel sind die auf dem deutschen Markt befindlichen Kombinationspräpara-te mit analgetisch wirksamen Bestand-teilen und Coffein auch deutlich unterdo-siert bezogen auf eine Einzeldosis der Analgetika, und teurer als die Monoprä-parate. Hier ist der Patient gezwungen mehrere Tabletten gleichzeitig einzu-nehmen, was mit einer erhöhten Coffeindosis einhergeht (14). Trotzdem findet sich in der amerikanischen, wie auch in der deutschen S1 Leitlinie eine Therapieempfehlung für 2 Tabletten der Wirkstoffkombination von Acetylsalicyl-säure (250–265 mg), Paracetamol (200–265 mg) und Coffein (50–65 mg) je Ein-zeldosis. Antiemetika Die Gabe von Antiemetika hat sich bei der Migränebehandlung in zweierlei Hinsicht als sinnvoll erwiesen. Zum einen werden direkt und gezielt die Symptome von Übelkeit und Erbrechen therapiert, zum anderen wird vermutlich durch die Normalisierung der Magenmo-tilität die Absorption von Analgetika ver-bessert (Tab. 6). Um diese Effekte sinn-voll nutzen zu können, empfiehlt sich die Einnahme eines Analgetikums ca. 15 Minuten nach der Einnahme des Antie-metikums, wobei diese Annahme nicht durch Studien belegt ist (14). Triptane Bei den Triptanen handelt es sich um speziell entwickelte Migränethe-rapeutika, deren Wirkung in Studien oder Metaanalysen eindeutig erwiesen ist.

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Indiziert sind Triptane bei mittelschwe-ren und schweren Migränetattacken, die nicht oder nicht ausreichend auf eine Therapie mit Analgetika oder nicht stero-idalen Antirheumatika ansprechen (Weblink 7). Sie blockieren die Freiset-zung von vasoaktiven Neuropeptiden wie CGRP, Substanz P und Neurokinin A in der Dura mater. Durch die Reduktion von CGRP wird einer Migräneattacke entge-gengewirkt und gleichzeitig die Projekti-on zum Nucleus tractus solitarii ge-hemmt, wodurch die Symptomatik der Übelkeit unterbrochen wird (Abb. 6) (6). Wirkstoff Metoclopramid p.o. Domperidon p.o. Dimenhydrinat p.o. Einzeldosis 10 – 20 mg 20 – 30 mg 50 – 150 mg Neben-wirkungen Unruhezustände, Müdigkeit Unruhezustände, Müdigkeit, aber weniger häufig als bei Metoclopramid Müdigkeit, Mund-trockenheit Kontra-indikationen Epilepsie, Morbus Parkinson, gastroin-testinale Blutungen, extrapyramidale Stö-rungen, Schwanger-schaft, Kinder < 1 Jahr Epilepsie, Schwan-gerschaft, Kinder <10 Jahren Blasenentleerungs-störungen, Engwin-kelglaukom, Epilep-sie, Früh- und Neu-geborene Tab. 6: Übersicht der Antiemetika zur Therapie bei Migräneattacken (Weblink 7). Abb. 6: Wirkungen der Triptane an verschiedenen Serotonin (5-HT)-Rezeptoren (siehe auch Tab. 4): Zu 1: Aktivierung der 5-HT1B-Rezeptoren bewirkt eine Konstriktion der glatten Muskelzellen in intrakraniellen Gefäßen. Zu 2: Aktivierung der präsynaptischen 5-HT1D-Rezeptoren bewirkt eine Hemmung der Freisetzung vasoaktiver Neuropeptide wie CGRP und Substanz P und hemmt somit die Aktivität des Trigeminusnervs. Zu 3: Aktivie-rung der präsynaptischen 5-HT1D-Rezeptoren bewirkt eine Hemmung der Freisetzung von Neuropeptiden in Neuronen des Hinterhorns und somit die zentrale Schmerzleitung. Zu 4: Agonistischer Effekt auf 5-HT1F-Rezeptoren bewirkt ebenfalls eine Hemmung der Frei-setzung entzündlicher Peptide im Trigeminusnerv (Abb. modifiziert nach (6)).

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Studien haben gezeigt, dass die frühe Einnahme eines Triptans die Effektivität erhöht und den Wirkungseintritt be-schleunigt. Außerdem konnte nachge-wiesen werden, dass die wiederkehren-den Kopfschmerzen seltener waren. In Einzelfällen kann auch eine Kombination von Triptanen mit anderen Substanzen sinnvoll sein. Diese können Antiemetika wie Metoclopramid oder Analgetika sein. Triptane zeigen bei Spannungskopf-schmerzen keine Wirksamkeit, trotzdem ist der Einsatz von Triptanen nicht zur Diagnosestellung einer Migräne geeignet. Auch hier kann in seltenen Fällen eine Unwirksamkeit vorliegen, welche eine falsche Diagnosestellung nach sich zie-hen würde (16). Bei der Abgabe eines Triptans zur oralen Anwendung in der Apotheke sollten dem Patienten folgende Hinweise gegeben werden: • nicht häufiger als an 10 Tagen im Monat • maximal 3 aufeinanderfolgende Tage • Einnahme so früh wie möglich • bei wiederauftretenden Kopf-schmerzen erneute Einnahme des Triptans frühestens nach 4 Stun-den der ersten Gabe • innerhalb einer Attacke nur ein Triptanpräparat anwenden • bei unzureichender Wirkung Ein-satz eines Nicht-Triptan-Präparates und keine erneute Einnahme des Triptans

Bei den zur Selbstmedikation verfügba-ren Triptanen handelt es sich um Na-ratriptan und Almotriptan. Die Zeit bis zum Wirkungseintritt ist unter Almotrip-tan kürzer als unter Naratriptan. Auf-grund dieser Tatsache wird Almotriptan bevorzugt bei heftigen, eher kürzeren Attacken und Naratriptan bei mittel-schweren langanhaltenden Attacken empfohlen. Die freiverkäuflichen Triptane besitzen eine Zulassungsbeschränkung für Patienten unter 18 und über 65 Jah-ren. Neben den Triptanen zur peroralen Einnahme (Tab. 7) sind mittlerweile noch weitere Darreichungsformen auf dem deutschen Markt erhältlich. So gibt es z.B. Sumatriptan zur subkutanen An-wendung mittels Autoinjektor, welcher eine besonders schnelle Wirksamkeit nach 10 Minuten gewährleistet. Ein we-sentlicher Vorteil des Autoinjektors ist, dass die Patienten selbstständig in der Lage sind, sich die Dosis zu verabrei-chen. Besonders für berufstätige Patien-ten stellt dies eine Erleichterung dar. Wird der Autoinjektor nicht so gut von den Patienten angenommen, besteht des Weiteren die Möglichkeit Sumatriptan Suppositorien anzuwenden. Auch hier wird eine schnelle Wirksamkeit gewähr-leistet, wobei die Integration in den All-tag erschwert ist. Einfacher in der An-wendung hingegen ist das Sumatriptan Nasenspray, bei dem die Wirkstoffdosis durch Sprühen in die Nase appliziert wird. Hier soll bei wiederkehrenden Kopfschmerzen ein Abstand von mindes-tens 2 Stunden bis zur erneuten Applika-tion eingehalten werden. Wirkstoff Einzeldosis Verschreibungspflicht Almotriptan 12,5 mg nein Eletriptan Max. 2x40 mg Ja Frovatriptan 2,5 mg Ja Naratriptan 2,5 mg nein Rizatriptan 5/10 mg Ja Sumatriptan 50/100 mg Ja Zolmitriptan 2,5/5 mg ja Tab. 7: Übersicht der in Deutschland zugelassenen Triptane zur oralen Einnahme (Weblink 7).

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Ein Vorteil des Nasensprays ist die Um-gehung des Magen-Darm-Traktes, wodurch die Aufnahme des Wirkstoffes nicht durch die Begleitsymptome wie Erbrechen beeinflusst wird (17). Auch bei den Triptanen treten neben den erwünschten Wirkungen unerwünschte Begleiterscheinungen auf. Für die Mehr-zahl der Patienten bleibt das Auftreten dieser aber unter der sachgemäßen Ein-nahme von Triptanen aus. Werden je-doch in Ausnahmefällen Nebenwirkungen beobachtet, verlaufen diese in der Regel milde und machen sich als Missempfin-dungen in den Extremitäten, Schwindel, lokale Hautreaktionen und, in seltenen Fällen, mit Blutdruckabfall bemerkbar (Weblink 7). Bei ca. 30 % der Patienten wird nach der Einnahme von Triptanen ein wiederkehrender Kopfschmerz inner-halb von 24 Stunden beobachtet, wel-cher auf die relativ kurze Wirkdauer der Triptane bei langen Attacken zurückzu-führen ist. In diesen Fällen können ge-gen den wiederkehrenden Kopfschmerz Analgetika, Antiemetika oder ggf. eine erneute Dosis des Triptans genommen werden (18). Jede Darreichungsform eines Triptans kann innerhalb von 24 Stunden zweimal eingenommen werden (Weblink 7). Folgende Kontraindikationen müssen vor der Einnahme eines Triptans ausge-schlossen werden: Koronare, zerebrale oder periphe-re Gefäßerkrankungen Unbehandelte Hypertonie Schwangerschaft / Stillzeit Gleichzeitige Einnahme mit Ergo-talkaloiden, SSRI und MAO-Hemmern Alter < 18 Jahren bzw. > 65 Jah-re Mutterkornalkaloide Ergotalkaloide wie die Mutterkornalkaloide waren lange Zeit die einzige Möglichkeit zur Behandlung einer schweren Migräneattacke. Bei die-ser Substanzklasse ist allerdings große Vorsicht geboten, da sie bei regelmäßi-ger Anwendung wiederum die Häufigkeit und Intensität von Migräneattacken ver-schlimmern kann. Es kann sehr schnell ein medikamenteninduzierter Dauerkopf-schmerz und bei Absetzen ein Entzugs-

kopfschmerz entstehen. Dieser medika-menteninduzierte Kopfschmerz verleitet die Patienten zu einer erneuten Einnah-me und es kann zu einem Circulus Vitio-sus kommen. Mutterkornalkaloide stellen eine Reservetherapie dar, da eine Dau-ermedikation zu schweren Durchblu-tungsstörungen in verschiedenen Kör-perorganen führen kann. Im Vergleich zu Triptanen führen die Mutterkornalkaloide etwa doppelt so häufig zum wiederkeh-renden Kopfschmerz und sind Triptanen in der Akuttherapie unterlegen (18, 19). Medikamentöse Migräneprophylaxe Die Migräneprophylaxe ist nur bei den Patienten indiziert, bei denen der Lei-densdruck und die Einschränkung der Lebensqualität besonders hoch ist. Die Mehrheit der Migränepatienten ist auf-grund der heutzutage verfügbaren, gut verträglichen und effektiven Akutmedi-kation nicht auf eine Migräneprophylaxe angewiesen. Die Migräneprophylaxe wird empfohlen, wenn folgende Kriterien er-füllt sind: > 3 Attacken pro Monat Anfallsdauer > 3 Tage Nichtansprechen auf Standardthe-rapie Einnahme von Migränemitteln > 10 x pro Monat Komplizierte Migräne mit langan-haltender Aura Bei der medikamentösen Migräneprophy-laxe handelt es sich um Arzneistoffklas-sen, welche mit einer hohen Wahrschein-lichkeit mit Nebenwirkungen einherge-hen und daher nur in bestimmten Fällen verordnet werden. Darüber hinaus führt die begrenzte Wirksamkeit der medika-mentösen Migräneprophylaxe nur zu ei-ner Abnahme der Zahl der Attacken um 50 %, was für viele Patienten keinen erstrebenswerten Erfolg darstellt. Den-noch sind einige Patienten auf die Migrä-neprophylaxe angewiesen. Ziel ist es, Häufigkeit, Schwere und Dauer einer Migräneattacke zu minimieren und somit die Häufigkeit der Einnahme einer Akut-medikation zu senken. Häufigen Einsatz zur Migräneprophylaxe finden Arzneistof-fe der Arzneistoffklassen ß-Blocker (wie

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Metoprolol), Calcium-Antagonisten (wie Flunarizin), Antiepileptika (wie Topiramat oder Valproinsäure) und Antidepressiva (Amitriptylin). Hierbei handelt es sich laut Leitlinie um Mittel der ersten Wahl. Seltener Anwendung finden hier Reser-vemittel wie Botulinumtoxine. Die Thera-pie sollte mindestens über drei Monate in ausreichender Dosierung durchgeführt werden, bevor die Wirksamkeit beurteilt werden kann. Während dieser Zeit ist das Führen eines Kopfschmerztages-buchs ratsam (Weblink 6). Spezielle Patientengruppen Bei allen im Folgenden aufgeführten Pa-tientengruppen ist eine nicht-medikamentöse Therapie der Migräne indiziert und prophylaktische nicht-medikamentöse Maßnahmen zur Vor-beugung einer Migräneattacke sollen erwogen werden. Kinder Die Prävalenz und Inzidenz von Kopfschmerzen im Kindesalter unterlie-gen einer steigenden Tendenz, bezogen auf die letzten drei Jahrzehnte. Die Le-benszeitprävalenz der Migräne bei Kin-dern und Jugendlichen bis zum 12. Le-bensjahr liegt weltweit zwischen 3,7 % und 10,6 %. Voraussetzung einer erfolg-reichen Therapie der kindlichen Migräne ist das Führen eines Kopfschmerztage-buches, in welchem die Häufigkeit, Symptomatik und Begleitsymptome fest-gehalten werden sollen (Weblink 8). Migräne im Kindesalter wird anhand der-selben Kriterien diagnostiziert wie im Erwachsenenalter. Es zeigen sich jedoch einige Besonderheiten. So kann ein aku-ter Migräneanfall bei Kindern kürzer sein, wobei die Mindestdauer bei einer Stunde liegt. Typisch bei einer Migräneattacke bei Kindern ist, dass diese im Verlauf der Attacke einschlafen und nach dem Auf-wachen beschwerdefrei sind. Häufige Begleitsymptome bei Kindern sind gast-rointestinale Beschwerden wie Übelkeit, Erbrechen und Durchfall (Weblink 8). Bei leichten Attacken ist es zunächst sinnvoll, mit der Pharmakotherapie ab-zuwarten und vorerst reizabschirmende Maßnahmen vorzunehmen. Bei nicht ausreichender Linderung der Symptoma-tik kann dann auf die medikamentöse Therapie zurückgegriffen werden. In Studien hat sich Ibuprofen mit einer Do-sierung von 10 mg/kg Körpergewicht als einziges Analgetikum mit einer ausrei-chenden Wirksamkeit gezeigt. Paraceta-mol hingegen zeigte in Bezug auf die Schmerzfreiheit nach 2 Stunden eine deutliche Unterlegenheit gegenüber Ibu-profen (Weblink 8). Ab einem Alter von 12 Jahren ist in Deutschland zusätzlich Sumatriptan Nasenspray zugelassen, welches bei schweren Migräneattacken indiziert ist, die nicht durch Analgetika beherrscht werden können (Tab. 8). Schwangerschaft/Stillzeit Eine Migrä-neattacke kann auch während der Schwangerschaft auftreten und ist auf-grund häufiger Kontraindikationen der Standard-Akuttherapeutika erschwert zu therapieren. Trotzdem ist es notwendig eine Migräneattacke in der Schwanger-schaft suffizient zu behandeln. Studien zeigen, dass Migränepatientinnen in der Schwangerschaft eine Verbesserung der Migräne um 50 % bis 80 % erfahren und es sogar bei 20 % der Betroffenen zu einer vollständigen Remission kommt (20). Erklärt werden kann der Effekt der Verbesserung dadurch, dass der Ur-sprung der Migräne bei den Patientinnen der absinkende Östrogen- sowie Proges-teronspiegel während der Menstruation ist, welche in der Schwangerschaft aus-bleibt. Im Gegenzug dazu tragen die hohen Hormonspiegel während der Schwangerschaft zum Schutz der Migrä-ne bei. Nach der Geburt sinken Östrogen und Progesteron wieder schlagartig ab, womit das erneute Auftreten einer Mig-räneattacke erklärt werden kann. Somit kann festgehalten werden, dass der Hormonhaushalt ein relevanter Baustein für die Entstehung einer Migräne ist (Weblink 9). Ist eine Schwangerschaft geplant, sollte auch bereits in dieser Zeit auf die Expo-sition von Medikamenten geachtet und diese, wenn möglich, vermieden werden. Der Embryo erfährt die größte Sensibili-tät zwischen dem 15. und 56. Tag nach der Konzeption. In der Regel ist den Pa-tientinnen zu Beginn dieser Zeit eine Schwangerschaft noch nicht bekannt, sodass der Embryo den Noxen einer Me-dikation ausgesetzt wird. Als Mittel der Wahl zur Akuttherapie einer Migräneat-tacke während der Schwangerschaft und Stillzeit eignet sich Paracetamol.

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Einstufung Wirkstoffe Empfehlung Akute Schmerztherapie 1. Wahl Ibuprofen 10 mg/kg KG (max. 30 mg/kg KG/Tag) 2. Wahl Paracetamol 15 mg/kg KG (max. 60 mg/kg KG/Tag) Sumatriptan (nasal) 10 – 20 mg (ab 12 Jahren) 3. Wahl Weitere Triptane Nur in Ausnahmefällen Adjuvante Therapie 1. Wahl Domperidon 1 Tropfen/kg KG (max. 33 Trop-fen/ED) Prophylaktische Medikation 1. Wahl Magnesium 300 – 400 mg/Tag ß- Blocker 1,5 – 2,0 mg/kg KG Flunarizin 5 mg/Tag 1. Wahl Topiramat 1 – 3 mg/kg KG Pestwurz-Extrakt 2 x 2 Kapseln/Tag (ab 12 Jahren) Acetylsalicylsäure 2 – 3 mg/kg KG Amitriptylin Bis 1 mg/kg KG/Tag Tab 8: Übersicht der Therapieoptionen der kindlichen Migräne nach der Leitlinie der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) und der Gesellschaft für Neu-ropädiatrie (Weblink 8). Hinweise auf ein erhöhtes Auftreten von Asthma und das vermehrte Auftreten eines Hodenhochstands bei dem gebore-nen Kind nach Einnahme von Paraceta-mol in der Schwangerschaft sind nicht belegt und rechtfertigen aufgrund der vorliegenden Studienlage nicht, die Verordnung von Paracetamol in der Schwangerschaft abzulehnen (Weblink 9). Acetylsalicylsäure, Ibuprofen, Diclofenac und Naproxen eignen sich ebenfalls als Mittel der 2. Wahl, allerdings erst ab dem zweiten Trimenon. Im dritten Tri-menon wird empfohlen, wenn möglich, vollständig auf NSAR zu verzichten. Während der Stillzeit eignet sich Ibu-profen als Mittel der 1. Wahl zur Akut-therapie einer Migräneattacke. Die Ein-nahme von Triptanen ist im 2. und 3. Trimenon unter strenger Indikationsstel-lung vertretbar. In der Stillzeit sollte un-ter der Einnahme von Triptanen eine Stillpause von mindestens 8 Stunden eingehalten werden. Als Antiemetikum der 1. Wahl wird Dimenhydrinat während der Schwangerschaft und Stillzeit emp-fohlen, wobei Metoclopramid als Reser-vemittel ebenfalls in beiden Phasen ein-gesetzt werden kann (Tab. 9). Ältere Patienten In der Regel nehmen die Migräneattacken ab dem 45. Lebens-jahr wieder ab und werden somit selte-ner als bei jüngeren Patienten. Diese Tatsache kann allerdings nicht pauschali-siert werden, denn es gibt auch ältere Patienten bei denen die Migräne beste-hen bleibt und die Anfallshäufigkeit sogar ansteigt (Weblink 10). Im Alter gestaltet sich die Therapie einer akuten Migräneattacke oftmals schwieri-ger als bei jungen Menschen, da die Ko-Medikation der Patienten bei der Thera-pie in Hinblick auf Wechselwirkungen und Kontraindikationen berücksichtigt werden muss.

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Schwangerschaft Wirkstoffe Empfehlung Stillzeit Akutmedikation schmerzwirksamer Substanzen 1. Wahl Paracetamol Bis 1000 mg 1. Wahl 2. Wahl Ibuprofen bis 800 mg 1. Wahl Acetylsalicylsäure Bis 1000 mg Nicht empfohlen Diclofenac Bis 200 mg Nicht empfohlen Naproxen Bis 1000 mg Bis 500 mg Tagesdosis Adjuvante Therapie 1. Wahl Dimenhydrinat 1. Wahl Tab 9: Übersicht zur Akuttherapie in Schwangerschaft und Stillzeit (Näheres siehe Text, Weblink 9). Auch das Alter kann bei Migränethera-peutika der Wahl eine Kontraindikation darstellen, wie z.B. bei den Triptanen, welche bis zu einem Alter von 65 Jahren zugelassen sind. Auch altersbedingte Begleiterscheinungen müssen bei der Therapie berücksichtigt werden. Bei älte-ren Patienten ist eine individuelle Thera-pie einer akuten Migräneattacke uner-lässlich. Die PRISCUS-Liste empfiehlt, auf die Einnahme von NSAR zu verzich-ten und alternativ auf Paracetamol oder in Ausnahmefällen auf Ibuprofen zuzu-greifen (Weblink 11). Neue Therapieansätze Aufgrund der Tatsache, dass Triptane und unspezifische Analgetika bei einem Drittel aller Migränepatienten nicht oder nicht ausreichend wirksam sind, ist die Entwicklung von neuen Therapieoptionen zur Migränetherapie unabdingbar. Wie bereits erwähnt, scheint das Peptid CGRP eine entscheidende Rolle bei der Entste-hung der Migräne zu spielen. Aufgrund dieser Tatsache befinden sich neue The-rapieoptionen in der Forschung und Ent-wicklung zur Migränetherapie, welche in das CGRP-Signalsystem eingreifen. Bis zur Phase III der klinischen Prüfungen schafften es die sogenannten „Gepante“, beispielsweise Telcagepant, bei denen es sich um CGRP-Rezeptor-Antagonisten handelt. Sie zeigten in Studien dieselbe Effektivität wie Triptane bei der Behand-lung einer akuten Migräneattacke. Aller-dings führte insbesondere Telcagepant bei wiederholter Gabe zu Leberschädi-gungen und die Phase III-Studie musste abgebrochen werden. Heute befinden sich wieder neuere „Gepante“ in der For-schung und werden in Hinblick auf ihre Sicherheit getestet. Einsatz sollen sie zur akuten Behandlung einer Migräneattacke finden (11). Antikörper gegen CGRP-Signal-gebung Die meisten sich in der Entwick-lung befindlichen monoklonalen IgG-Antikörper wurden zunächst für andere Indikationsgebiete, wie z.B. Epilepsie, entworfen. Sie binden selektiv und mit hoher Potenz an CGRP bzw. an dessen Rezeptor. Sowohl der genaue Wirkungs-mechanismus als auch der genaue Wir-kungsort sind bis heute ungeklärt, wobei eine direkte antinozizeptive Hemmung im spinalen Trigeminuskern nachgewie-sen ist (11). In klinischen Studien konnte eine hoch-signifikante Minderung der Kopfschmerz-tage bei häufiger und chronischer Migrä-ne gegenüber einem Placebo beobachtet werden (Tab. 10). Kardiovaskuläre Er-eignisse scheint es unter der Anwendung der Antikörper nicht zu geben und weite-re unerwünschte Begleiterscheinungen scheinen gering zu sein. Trotzdem muss die Auswirkung der ständigen Blockade des CGRP-Systems auf andere Körper-funktionen weiter untersucht werden bis es zu einer Zulassung der Antikörper kommen kann. Einsatz sollen die Anti-körper gegen CGRP in der Migräne-Prävention bei chronischer Migräne fin-den. Hierzu gehören Antikörper gegen das CGR-Peptid (Fremanezumab, ALD403, LY2951742) und CGRP-Rezeptor-Antagonisten (Erenumab). Auf-grund der guten Studienergebnisse und

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dem vermeintlich geringen Nebenwir-kungsprofil der monoklonalen Antikörper, ist es wahrscheinlich, dass diese Sub-stanzen in naher Zukunft Einsatz in der Behandlung der chronischen Migräne auf dem deutschen Arzneimittelmarkt zu finden sind (10, 11, 21, 22). 5-HT1F-Agonisten („Ditane“) Die „Di-tane“ wie Lasmiditan sind hochselektive, potente 5-HT1F-Rezeptor Agonisten und hemmen die Freisetzung entzündlicher Peptide im Trigeminusnerv. In Phase II Studien zeigte Lasmiditan eine signifi-kante Überlegenheit gegenüber einem Placebo in Hinblick auf die Linderung der Migränesymptome nach zwei Stunden der ersten Dosis. Zurzeit befinden sich Phase III Studien in der Durchführungs- als auch in der Auswertungsphase (Weblink 12). „Ditane“ verursachen im Gegensatz zu Triptanen keine Vasokonstriktion an ze-rebralen oder koronaren Gefäßen. Dies bringt einen Vorteil für Patienten, welche aufgrund von Kontraindikationen keine Triptane einnehmen dürfen. Anhand von „Ditanen“ wird die Übererregbarkeitshy-pothese zur Entstehung einer Migräneat-tacke ein weiteres Mal bekräftigt, da hier keine Vasokonstriktion für einen migrä-netherapeutischen Effekt nötig ist (24,25) Monoklona-ler Antikör-per Galcane-zumab (LY2951742), humanisiert Eptinezumab (ALD403), humanisiert Fremane-zumab (TEV48125), humanisiert Erenumab (AMG334), voll human Target CGRP-Ligand CGRP-Ligand CGRP-Ligand CGRP-Rezeptor Applikations-form und -häufigkeit subkutane In-jektion alle 2 Wochen für 12 Wochen einmalige intra-venöse Injektion subkutane Injektion alle 28 Tage subkutane Injektion mo-natlich Indikation 4 – 14 Migräne-tage pro Monat 5 – 14 Migräneta-ge pro Monat oder bei chronischer Migräne 8 – 14 Migrä-netage pro Monat oder bei chroni-scher Migräne 4 – 14 Migrä-netage pro Monat Ergebnisse Reduktion der Migränetage um 4,3 gegen-über Placebo mit 3 Reduktion der Migränetage um 5,6 gegenüber Placebo mit 4,6, 75 % Ansprechra-te bei chron. Mig-räne mit ca. 30 % weniger Migräne-tagen gegenüber Placebo mit ca. 21 %. Reduktion der Kopfschmerz-stunden um 67,5 gegen-über Placebo mit 37,1 Stunden, bei chronischer Migräne 6,3 Migränetage gegenüber Placebo mit 3,5 Reduktion der Migränetage um 3,4 ge-genüber dem Placebo mit 2,3 Unerwünschte Begleit-erscheinun-gen Schmerzen an der Einstich-stelle und Rö-tungen, Infek-tionen der obe-ren Atemwege, Bauch-schmerzen Infektionen der oberen Atemwe-ge, Nasopharyngi-tis, Sinusitis, Rü-ckenschmerzen, Übelkeit leichte Schmerzen an der Einstich-stelle Nasopharyngi-tis, Müdigkeit, Kopf-schmerzen Tab. 10: Übersicht der monoklonalen Antikörper zum Einsatz bei Migräne (23).

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Analgetika Triptane Einnahme bei den ersten Anzeichen einer Migräne Einnahme bei den ersten Anzeichen einer Migräne ausreichend hoch dosieren nicht während der Auraphase Einsatz gut resorbierbarer Arzneiformen bei wiederholter oraler Einnahme (Wieder-kehrkopfschmerz) Einnahmeabstand von mindestens 4 h einhalten (Nasenspray 2 h) zeigt die erste Dosis keine Wirkung wird kei-ne weitere Einnahme empfohlen Einsatz an maximal 10 Tagen/Monat Einsatz an maximal 10 Tagen/Monat nicht unter 18 und über 65 Jahren anwenden Tab 11: Beratungshinweise zur Selbstmedikation (bei Übelkeit wird die Gabe eines An-tiemetikums empfohlen) (Weblink 14). Beratungshinweise Um eine gute und effiziente Beratung in der Apotheke gewährleisten zu können, ist jeder einzelne Migränepatient indivi-duell zu betrachten und je nach Ko-Medikation, Begleiterkrankungen und Alter zu therapieren. Als Mittel der 1. Wahl zur Therapie akuter Migräneatta-cken gelten laut Leitlinie Acetylsalicyl-säure, Ibuprofen, Paracetamol, Phenazon und eine Kombination aus Acetylsalicyl-säure, Paracetamol und Coffein, wobei dieser aufgrund des schlechten Nutzen-Risiko-Verhältnisses genau abgewogen werden sollte (Weblink 14). Wichtig bei der Therapie mittels Analgetika und NSAR ist eine ausreichende Dosierung, da ansonsten der gewünschte Therapie-effekt ausbleibt (Tab. 11). Um die Re-sorption des Analgetikums zu beschleu-nigen bzw. zu verbessern, sollten bereits gelöste Darreichungsformen wie Brause-tabletten bevorzugt werden. Auch der Einsatz eines Antiemetikums verbessert durch die Verbesserung der Magenmotili-tät die Resorption der Analgetika. Mögli-che Kontraindikationen wie Magen-Darm-Ulcera, Asthma, Herzinsuffizienz und Schwangerschaft müssen vor einer Therapieempfehlung ausgeschlossen werden. Bei mittelgradigen bis schweren diagnos-tizierten Migräneattacken gelten Triptane als Mittel der 1. Wahl. Die Einnahme der Triptane sollte wie bereits erwähnt, bei den ersten Anzeichen einer Migräne er-folgen, um eine möglichst gute Effektivi-tät zu erzielen. Hier stehen zur Selbst-medikation Naratriptan und Almotripan zur Verfügung (Tab. 11). Auch hier müssen Kontraindikationen wie koronare Herzerkrankungen, schwere Hypertonie, periphere Gefäßerkrankungen und Apop-lexie ausgeschlossen werden. Des Weite-ren darf bei Anwendung von Triptanen keine gleichzeitige Anwendung von Er-gotaminen erfolgen, da diese eine Ver-stärkung der Vasokonstriktion hervorru-fen. Auch die gleichzeitige Anwendung von Serotonin- bzw. Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer sollte überwacht werden, da hier Symp-tome eines Serotonin-Syndroms möglich sind (Weblink 13). Zu jeder guten Beratung gehört ebenfalls der Hinweis dazu, bekannte Trigger-Faktoren zu meiden. Außerdem können Vorsichtsmaßnahmen wie ein regelmäßi-ger Schlaf-Wach-Rhythmus, Mahlzeiten zu festen Zeitpunkten, regelmäßiger Ausdauersport und Verzicht auf heiße Bäder und Saunagänge der Entstehung einer Migräneattacke entgegenwirken. Auch nicht-medikamentöse Maßnahmen sollten in keiner Migränetherapie fehlen, welche verschiedenste psychotherapeuti-sche Techniken einsetzen. Als praktika-bel und wirksam haben sich hier die ver-haltensmedizinischen Verfahren wie Ent-spannungsverfahren, Stressbewälti-gungstraining, Biofeedbackverfahren und kognitive verhaltensorientierende Me-thoden erwiesen.

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Fazit Trotz der heutzutage guten Behand-lungsmethoden gibt es immer noch eine Großzahl an Patienten, welche nicht er-folgreich therapiert werden können bzw. nicht auf die vorhandenen Therapiemög-lichkeiten ansprechen. Auch die Therapie zur Migräneprophylaxe zeigt in der Regel keine zufriedenstellende Effektivität für die Patienten mit einer chronischen Mig-räneerkrankung. Aufgrund dieser Tatsa-che ist eine Weiterentwicklung der Mig-ränetherapeutika unerlässlich und er-strebenswert. Die zunehmende Studien- lage zur Pathophysiologie der Migräne treibt die Forschung an und bestätigt in häufigen Fällen die Übererregbarkeitshy-pothese zur Entstehung der Migräne. Die vielfältigen neuen Therapieansätze kön-nen vielleicht schon in naher Zukunft für neue Behandlungsstrategien sorgen. Man darf gespannt sein, was die nächsten Jahre an neuen Erkenntnissen mit sich bringen. Eine Herausforderung für die Zukunft wäre es herauszufinden, inwie-weit die Genetik im Krankheitsbild der Migräne eine Rolle spielt und ob sich, abhängig davon, neue Therapieoptionen entwickeln lassen.

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Erklärung zu Interessenkonflikten Die Autorinnen haben keine Interessenkonflikte. Weblinks 1) Webseiten der World Health Organization (WHO). „Atlas of Headache Disorders and Resources in the World” 2011, Zugriff am 27.02.2018 http://www.who.int/mental_health/management/who_atlas_headache_disorders.pdf?ua=1 2) World Health Organization (WHO). „ICD-10-WHO Version 2016 Kapitel VI: Krankheit-en des Nervensystems“ Zugriff am 28.02.2018 http://www.dimdi.de/static/de/klassi/icd-10 who/kodesuche/onlinefassungen/htmlamtl2016/block-g40-g47.htm 3) Olesen J, Bolay H, Charles A et al. „The International Classification of Headache Dis-orders 3rd Edition”. Cephalalgia 2018;38(1):1–211. Zugriff am 28.02.2018 http://www.ihs-headache.org/binary_data/3245_ichd-3-cephalalgia-2018-i.ssue-1.pdf 4) Webseite der AKDAE. „Chronische Kopf- und Gesichtsschmerzen. Therapieempfehlun-gen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft“ 2001, Zugriff am 28.02.2018 https://www.akdae.de/Arzneimitteltherapie/TE/A-Z/PDF/Kopf-Gesichtschmerz.pdf 5) Webseiten der DMKG. „Leitlinie Entspannungsverfahren und Verhaltenstherapeutische Interventionen zur -Behandlung der Migräne“. Zugriff am 01.03.2018 http://dmkg.de/files/dmkg.de/Empfehlungen/Leitlinie_Entspannungsverfahren%20und%20verhaltenstherapeutische_Intervention.pdf Lisa Zimmer Lisa Zimmer wurde 1987 in Münster geboren. 2004 absolvierte Sie zu-nächst eine Ausbildung zur PKA und im direkten Anschluss eine Ausbil-dung zur PTA. Nach einigen Jahren Berufserfahrung begann sie im Jahr 2014 ihr Studium der Pharmazie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Mit Abschluss des ersten 1. Staatsexamens wechsel-te sie 2016 den Studienstandort an die Heinrich-Heine-Universität Düs-seldorf, um ihr Studium dort zu beenden. Miriam Tripp Miriam Tripp wurde 1985 in Dormagen geboren. 2013 schloss sie die Ausbildung zur PTA in Landau ab. Anschließend begann sie mit dem Stu-dium der Pharmazie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

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6) Webseiten der AWMF. „Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Kapi-tel Kopfschmerzen und andere Schmerzen: Therapie der Migräne“ 2012-2017, Leitli-nie abgelaufen, Zugriff am 21.02.2018 http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/030057l_S1_Migraene_Therapie_2012_abgelaufen.pdf 7) Fachinformationen, rote Liste ASS-Ratiopharm 500 mg (Stand März 2017), ibu-ratiopharm 400 mg akut Schmerztabletten (Stand September 2017), Paracetamol ABZ 500 mg (Stand März 2017), Metamizol ABZ 500 mg (Stand Februar 2014), Dicl-ofenac 100 retard Heumann (Stand August 2016), Gabrilen N 100 mg (Stand Novem-ber 2014), Celecoxib ABZ 200 mg (Stand Februar 2016), Naratriptan 2,5 mg Hennig (Stand Oktober 2017), Eu-Med (Stand Februar 2016), Naproxen Acis 500 mg (Stand August 2014), MCP-AbZ (Stand August 2016), Domperidon AbZ (Stand September 2017), Vomex A Dragees (Stand April 2017) https://www.fachinfo.de 8) Webseiten der DGSS. „S2-Leintlinie: Therapie idiopathischer Kopfschmerzen im Kin-des- und Jugendalter“ 2009, Zugriff am 27.02.2018 https://www.dgss.org/fileadmin/pdf/Therapie_idiopathischer_Kopfschmerzen_im_Kindes-_und_Jugendalter.pdf 9) Webseite der AWMF. „S2-Leitlinie: Migräne und idiopathischer Kopfschmerzsyndrome in Schwangerschaft und Stillzeit“ 2009, Zugriff am 01.03.2018 http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/062-005l_S2k_Behandlung_Migraene_und_idiopathische_Kopfschmerzsyndrome_in_Schwangerschaft_und_Stillzeit_01.pdf 10) Webseiten der Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft. „Kopfschmerz bei älteren Menschen“ 2005, Zugriff am 28.02.2018 http://www.dmkg.de/files/dmkg.de/patienten/Download/kosalter.pdf 11) Holt, S., Schmiedl, S., Thürmann P. A. „PRISCUS-Liste potenziell inadäquater Medika-tion für ältere Menschen“ 2011, Zugriff am 01.03.2018 http://priscus.net/download/PRISCUS-Liste_PRISCUS-TP3_2011.pdf 12) Webseiten der U.S. National Library of Medicine, NCT02565186: „An Open-label, Long-term, Safety Study of Lasmiditan for the Acute Treatment of Migraine (GLADIA-TOR)”, NCT02439320: „Lasmiditan Compared to Placebo in the Acute Treatment of Migraine: (SAMURAI)”, NCT02605174: „Three Doses of Lasmiditan (50 mg, 100 mg and 200 mg) Compared to Placebo in the Acute Treatment of Migraine (SPARTAN)” https://clinicaltrials.gov/ 13) Webseiten der ABDA Datenbank, Monographie Aspirin®, Benuron®, Paracetamol ratiopharm®, Eu-Med®, Thomapyrin®, Naratriptan Hennig®, Almogran® Zugriff am 02.03.2018 (kostenpflichtig) http://www.pharmazie.com 14) Diener H.-C., Gaul C., Kropp P. et al., Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne, S1-Leitlinie, 2018, in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leit-linien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie, Zugriff am 29.04.2018 https://www.dgn.org/leitlinien/3583-ll-030-057-2018-therapie-der-migraeneattacke-und-prophylaxe-der-migraene Literatur 1. Feigin VL, Vos T, Abajobis AA et al. Global, regional, and national burden of neurologi-cal disorders during 1990–2015: a systematic analysis for the Global Burden of Dis-ease Study 2015. Lancet Neurol 2017;16:877–97.

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