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Baier . Migration und Kriminalität M Migration und Kriminalität von Dirk Baier*, Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen Über das Thema Migration und Kriminalität wird sehr kontrovers diskutiert. Dabei stoßen meist zwei Ex- trempositionen aufeinander: Die eine Position geht davon aus, dass Migranten krimineller sind, von ihnen also per se eine Gefahr für die Sicherheit in Deutsch- land ausgeht. Dies ist deshalb der Fall, weil sie be- stimmte Eigenschaften wie z.B. kulturelle Vorstellun- gen mitbringen, die hier zu nicht gesetzeskonformen Verhalten führen. Die andere Position betont dage- gen, dass der Prozess der Migration mit verschiedenen psycho-sozialen Belastungen einhergeht, in dessen Folge es verstärkt zu kriminellem Verhalten kommen kann. Nicht die Migranten (und ihre Eigenschaften), sondern die Umstände der Migration führen demnach zu Kriminalität. ln der Allgemeinbevölkerung ist dabei die Position, dass Migranten - aus welchen Gründen auch immer - ein Sicherheitsrisiko darstellen, recht verbreitet. Dies zeigt u.a. eine deutschlandweit repräsentative Befragung aus dem Jahr 2010 (vgl. Baier et al. 2011). ln dieser wurde erfragt, wie hoch der Ausländeranteil unter allen registrierten Straftätern im Jahr 2009 ein- geschätzt wird. Als Vergleichswert wurde der Anteil des Jahres 1999 (26,6 %) präsentiert. Die Ergebnisse zeigen einerseits, dass die Bevölkerung einen deut- lichen Anstieg des Ausländeranteils wahrnimmt: Der Durchschnittswert der Anteilsschätzungen beträgt 35,6 o/o. Andererseits liegen die Einschätzungen deutlich über dem tatsächlichen Wert, der laut Poli- zeilicher Kriminalstatistik im Jahr 2009 2"1,1 o/o betra- gen hat (s.u.). Nur 3,5 % der Befragten gaben einen Anteilswert an, der dem ,tatsächlichen Anteil ent- sprach bzw. niedriger lag; 96,5 o/o der Bundesbürger gehen mithin davon aus, dass Ausländer häufiger als Tatverdächtige in Erscheinung treten als sie es in Wirklichkeit tun. Mit Blick auf die Zukunft geht darüber hinaus fast die Hälfte aller Befragten (44,5 o/o) davon aus, dass die »Ausländerkriminalität« viel bzw. sehr viel häufiger wird (Baier et al. 201'1, 5.44). Es gibt kaum Kriminalitätsbereiche, in denen die Einschätzungen und Prognosen der Bevölkerung vergleichbar negativ ausfallen. lm Folgenden soll untersucht werden, welcher Zu- sammenhang zwischen der Herkunft und dem krimi- nellen Verhalten tatsächlich existiert. Dies soll mit der notwendigen Differenziertheit geschehen, d.h. es werden verschiedene Datenquellen herangezogen, und die Gruppe der Migranten wird, so es die Daten- quellen erlauben, in Subgruppen unterteilt. lnsge- samt soll sich folgenden drei in diesem Themenfeld immer wieder zu findenden Thesen gewidmet wer- den: '1. Migranten (bzw. Ausländer) sind krimineller als einheimische Deutsche. 2. Ursächlich für eine höhere Kriminalitätsbelastung von Migranten ist ihr schlechter sozio-ökonomischer Status. 3. Der lslam ist ein eigenständiger Verstärkungsfaktor kriminellen Verhaltens. *sxW{}*&X§§ 3.2*i§ These 1: Migranten sind krimineller als einheimische Deutsche. Eine Datenquelle, mit der Aussagen zur Kriminalität von Deutschen und Ausländern getroffen werden können, ist die Polizeiliche Kriminalstatistik. Als Ausländer werden hier Per- sonen eingestuft, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit, die zu- gleich aber einen Migrationshintergrund aufweisen (2.B. weil die Eltern zugewandert sind), werden in der Polizeilichen Kri- minalstatistik als Deutsche gefuhrt. Abbildung 1 stellt die Entwicldung des Anteils nichtdeutscher Täwerdachtiger unrer allen Täwerdächtigen dar. Aussagen zum kriminellen Verhalten von Ausländern können dabei nur unter Bezug auf jenen Gil der Straftaten getroffen wer- den, zu denen ein Tawerdächtiger ermittelt wurde, die also als aufgeklärt eingestuft werden. Ob sich dieser twerdacht im weiteren Verlauf der Strafuerfolgung bestätigt, ist dabei un- klar, ebenso wie die Frage, ob sich unter den nicht aufgeldär- ten Straftaten das Verhältnis von deutschen zu nichtdeutschen Tätern vergleichbar darstellt wie unter den aufgeldärten Straf- taten. Unabhängig von diesen und weiteren noch anzuspre- chenden Problemen der Polizeilichen Kriminalstatistik zeigt die Auswertung, dass der Anteil ausländischer Täwerdächti- ger imZeirarm 1993 bis 2013 stets deutlich über dem Aus- länderanteil in der bundesdeutschen Bevölkerung lag, Aus- länder also krimineller sind. Noch ausgeprägter als in Bezug auf alle Straftaten ist dies in Bezug auf die Gewaltkriminalität festzustellen, wozu in der Polizeilichen Kriminalstatistik im §flesentlichen die Delikte Raub, schwere bzw. gefährliche Körperverletzung, Vergewaltigung sowie Mord und Tot- schlag gezählt werden. Ein weiterer Befund ist, dass der Anteil ausländischer Tawer- dächtiger nicht in konstanter \7eise über dem Ausländeranteil Iiegt. Letzterer ist weitestgehend konstant und schwankt zwi schen acht und neun Prozent. Der auffällige Rückgang des Arteils im Vergleich derJahre2012 und 2013 ist einArtefakt: Ab 20L3 liegen die Zahlen des Zensus 201 1 den Berechnun- gen von Bevölkerungsanteilen zugrunde. Diese weichen aber z.T. deutlich von den Bevölkerungsfortschreibungen ab, die es bis zum Jahr 2012 gegeben hat. Die Zahlen ftir das Jahr 2013 sind damit - insofern sie sich auf die Bevölkerung be- ziehen - zurückhaltend zu interpretieren. \7ird die Entwick- lung der Anteile nichtdeutscher Tätverdächtiger betrachtet, so zeigen sich Arfang der 1990er Jahre die höchsten \7erte. Danach gehen die Anteile bis 2009 zurück; bis 2013 ist es wiederum zu einem merklichen Anstieg der Anteile gekom- men. Diese Entwicklung weist Parallelen zum Zrwande- rungsgeschehen nach Deutschland auf: \7ährend zu Beginn der 1990er Jahre verstärkt Aussiedler aus osteuropäischen Staaten bzw. aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion sowie Zuwanderer aus dem Bürgerkriegsland Jugoslawien nach Deutschland kamen, setzt 2009 eine neue \flelle der Zrtwat- derung aus Ost- und Südeuropa sowie aus Afghanistan und Syrien ein. Dies ist damit zu erklären, dass die Beschränkung l)r., t)iplomsozioiogc, srellvertretencLer Dircl<tor 75

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  • Baier . Migration und Kriminalität M

    Migration und Kriminalitätvon Dirk Baier*, Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen

    Über das Thema Migration und Kriminalität wird sehrkontrovers diskutiert. Dabei stoßen meist zwei Ex-trempositionen aufeinander: Die eine Position gehtdavon aus, dass Migranten krimineller sind, von ihnenalso per se eine Gefahr für die Sicherheit in Deutsch-land ausgeht. Dies ist deshalb der Fall, weil sie be-stimmte Eigenschaften wie z.B. kulturelle Vorstellun-gen mitbringen, die hier zu nicht gesetzeskonformenVerhalten führen. Die andere Position betont dage-gen, dass der Prozess der Migration mit verschiedenenpsycho-sozialen Belastungen einhergeht, in dessenFolge es verstärkt zu kriminellem Verhalten kommenkann. Nicht die Migranten (und ihre Eigenschaften),sondern die Umstände der Migration führen demnachzu Kriminalität.

    ln der Allgemeinbevölkerung ist dabei die Position,dass Migranten - aus welchen Gründen auch immer- ein Sicherheitsrisiko darstellen, recht verbreitet.Dies zeigt u.a. eine deutschlandweit repräsentativeBefragung aus dem Jahr 2010 (vgl. Baier et al. 2011).ln dieser wurde erfragt, wie hoch der Ausländeranteilunter allen registrierten Straftätern im Jahr 2009 ein-geschätzt wird. Als Vergleichswert wurde der Anteildes Jahres 1999 (26,6 %) präsentiert. Die Ergebnissezeigen einerseits, dass die Bevölkerung einen deut-lichen Anstieg des Ausländeranteils wahrnimmt: DerDurchschnittswert der Anteilsschätzungen beträgt35,6 o/o. Andererseits liegen die Einschätzungendeutlich über dem tatsächlichen Wert, der laut Poli-zeilicher Kriminalstatistik im Jahr 2009 2"1,1 o/o betra-gen hat (s.u.). Nur 3,5 % der Befragten gaben einenAnteilswert an, der dem ,tatsächlichen Anteil ent-sprach bzw. niedriger lag; 96,5 o/o der Bundesbürgergehen mithin davon aus, dass Ausländer häufigerals Tatverdächtige in Erscheinung treten als sie es inWirklichkeit tun. Mit Blick auf die Zukunft gehtdarüber hinaus fast die Hälfte aller Befragten(44,5 o/o) davon aus, dass die »Ausländerkriminalität«viel bzw. sehr viel häufiger wird (Baier et al. 201'1,5.44). Es gibt kaum Kriminalitätsbereiche, in denendie Einschätzungen und Prognosen der Bevölkerungvergleichbar negativ ausfallen.

    lm Folgenden soll untersucht werden, welcher Zu-sammenhang zwischen der Herkunft und dem krimi-nellen Verhalten tatsächlich existiert. Dies soll mit dernotwendigen Differenziertheit geschehen, d.h. eswerden verschiedene Datenquellen herangezogen,und die Gruppe der Migranten wird, so es die Daten-quellen erlauben, in Subgruppen unterteilt. lnsge-samt soll sich folgenden drei in diesem Themenfeldimmer wieder zu findenden Thesen gewidmet wer-den: '1. Migranten (bzw. Ausländer) sind kriminellerals einheimische Deutsche. 2. Ursächlich für einehöhere Kriminalitätsbelastung von Migranten ist ihrschlechter sozio-ökonomischer Status. 3. Der lslamist ein eigenständiger Verstärkungsfaktor kriminellenVerhaltens.

    *sxW{}*&X§§ 3.2*i§

    These 1: Migranten sind krimineller alseinheimische Deutsche.Eine Datenquelle, mit der Aussagen zur Kriminalität vonDeutschen und Ausländern getroffen werden können, ist diePolizeiliche Kriminalstatistik. Als Ausländer werden hier Per-sonen eingestuft, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeitbesitzen. Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit, die zu-gleich aber einen Migrationshintergrund aufweisen (2.B. weildie Eltern zugewandert sind), werden in der Polizeilichen Kri-minalstatistik als Deutsche gefuhrt.

    Abbildung 1 stellt die Entwicldung des Anteils nichtdeutscherTäwerdachtiger unrer allen Täwerdächtigen dar. Aussagenzum kriminellen Verhalten von Ausländern können dabeinur unter Bezug auf jenen Gil der Straftaten getroffen wer-den, zu denen ein Tawerdächtiger ermittelt wurde, die also alsaufgeklärt eingestuft werden. Ob sich dieser twerdacht imweiteren Verlauf der Strafuerfolgung bestätigt, ist dabei un-klar, ebenso wie die Frage, ob sich unter den nicht aufgeldär-ten Straftaten das Verhältnis von deutschen zu nichtdeutschenTätern vergleichbar darstellt wie unter den aufgeldärten Straf-taten. Unabhängig von diesen und weiteren noch anzuspre-chenden Problemen der Polizeilichen Kriminalstatistik zeigtdie Auswertung, dass der Anteil ausländischer Täwerdächti-ger imZeirarm 1993 bis 2013 stets deutlich über dem Aus-länderanteil in der bundesdeutschen Bevölkerung lag, Aus-länder also krimineller sind. Noch ausgeprägter als in Bezugauf alle Straftaten ist dies in Bezug auf die Gewaltkriminalitätfestzustellen, wozu in der Polizeilichen Kriminalstatistik im§flesentlichen die Delikte Raub, schwere bzw. gefährlicheKörperverletzung, Vergewaltigung sowie Mord und Tot-schlag gezählt werden.

    Ein weiterer Befund ist, dass der Anteil ausländischer Tawer-dächtiger nicht in konstanter \7eise über dem AusländeranteilIiegt. Letzterer ist weitestgehend konstant und schwankt zwischen acht und neun Prozent. Der auffällige Rückgang desArteils im Vergleich derJahre2012 und 2013 ist einArtefakt:Ab 20L3 liegen die Zahlen des Zensus 201 1 den Berechnun-gen von Bevölkerungsanteilen zugrunde. Diese weichen aberz.T. deutlich von den Bevölkerungsfortschreibungen ab, diees bis zum Jahr 2012 gegeben hat. Die Zahlen ftir das Jahr2013 sind damit - insofern sie sich auf die Bevölkerung be-ziehen - zurückhaltend zu interpretieren. \7ird die Entwick-lung der Anteile nichtdeutscher Tätverdächtiger betrachtet, sozeigen sich Arfang der 1990er Jahre die höchsten \7erte.Danach gehen die Anteile bis 2009 zurück; bis 2013 ist eswiederum zu einem merklichen Anstieg der Anteile gekom-men. Diese Entwicklung weist Parallelen zum Zrwande-rungsgeschehen nach Deutschland auf: \7ährend zu Beginnder 1990er Jahre verstärkt Aussiedler aus osteuropäischenStaaten bzw. aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion sowieZuwanderer aus dem Bürgerkriegsland Jugoslawien nachDeutschland kamen, setzt 2009 eine neue \flelle der Zrtwat-derung aus Ost- und Südeuropa sowie aus Afghanistan undSyrien ein. Dies ist damit zu erklären, dass die Beschränkung

    l)r., t)iplomsozioiogc, srellvertretencLer Dircl

  • ffi Baier Migration und Kriminalität

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    der Arbeitnehmerfreizügigkeit der osteuropäischen EU-Mit-gliedsstaaten erst in den letztenJahren vollständig aufgehoben

    wurde; zugleich traf die wirtschaftliche Rezession imZtgederEuro-Krise yerstärkt südeuropäische Länder. In anderen Län-dern im nahen Osten haben daneben kriegerische Auseinan-dersetzungen zu einer Zuwanderung von Flüchtlingen nachDeutschland geführt. Alles in allem scheinen sich diese Zu-wanderungszyklen nicht auf den Ausländeranteil auszuwir-ken - möglicherweise weil sie auch mit einer höheren Emi-gration aus Deutschland einhergehen. Zugleich scheinen jene

    Zeiträwe, in denen die Zuwanderung hoch ausfällt, mit einer erhöhten kriminellen Auff:illigkeit der Ausländer einher-zugehen. Vor dem Hintergrund weiter steigender Zuwande-rung nach Deutschland ist daher davon auszugehen, dass das

    Thema Migration und Kriminalität weiterhin Aktualität ge-nießen wird.

    Abbildung 1: Entwicklung des Anteils nichtdeutscher Täwer-dachtiger bei allen Straftaten und der Gewaltkriminalität seit1993 im Vergleich zum Ausländeranteil (in %)

    - Ein eher durchschnittlicher Anteil ausldndischer Täwer-dachtiger ist bei den Delikten einfacher Diebstahl(25,0 o/o), schwere bzw. gefährliche Körperverletzung(24,5 o/o) und Betrug (23,6 o/o) festzustellen.

    Anhand der Polizeilichen Kriminalstatistik kann auch zwi-schen verschiedenen Herkunftsgruppen differenziert werden,allerdings nur in Bezug auf alle Straftaten. Die ftinf am häu-figsten registrierten Herkunftsgruppen unter den ausländi-schen Tawerdächtigen sind türkischer (18,4 o/o aller ausländi-schen Tawerdachtigen bezogen arf 2012), polnischer(7 ,5 Vo), rumänischer (6,5 o/o) , italienischer (4,5 Vo) und ser-bischer (4,4 Vo) Herkunft. Auch hier ist eine Einordnung derAnteile aber nur dann möglich, wenn vergleichend der Anteildieser Herkunftsgruppen unter den in Deutschland lebendenAusländern betrachtet wird. Insofern ist nicht überraschend,dass türkische Täwerdachtige den höchsten Anteil unter denausländischen Täwerdächtigen stellen, da sie auch den höchs-ten Anteil unter den hier lebenden Ausländern stellen. §(er-den entsprechend die Ausländeranteile in der Bevölkerungberücksichtigt, so zeigt sich, dass Rumänen, Afghanen, Liba-nesen und Syrer mehr als zweimal häufiger als Täwerdächtigeregistriert werden als es ihrem Bevölkerungsanteil entspricht.Nur halb so häufig wie es ihrem Bevölkerungsanteil ent-spricht, treten Griechen, Kroaten und Österreicher als Täwer-

    dachtige in Erscheinung. Die Kriminalitätsbelastung derverschiedenen Ausländergruppen variiert also erheblich.Flüchtlinge aus Kriegsgebieten scheinen dabei stärker mit kri-minellem Verhalten in Erscheinung zu treten als andere Aus-ländergruppen.

    Gleichwohl ist bei diesen nach Herkunftsländern differen-zierten Auswertungen ebenso wie in Bezug auf die allgemei-neren Auswertungen Folgendes zu beachten: Die Relativie-rung am Ausländeranteil oder am Anteil an der spezifischenHerkunftsgruppe ist ungenau. Dies ist deshalb der Fall, weilbestimmte Personen zwar ds ausländische Täwerdächtige re-

    gistriert werden, nicht aber in der Bevölkerungsstatistik auf-tauchen. Von den 502.390 ausländischen Tawerdächtigen2072 hielten sich bspw 60.894 unerlaubt in Deutschlandauf; bei weiteren 35.385 handelte es sich um Touristen oderDurchreisende. Beide Gruppen würden in der Bevölkerungs-statistik nicht erfasst. Es werden also immer mehr Ausländerin der Kriminal- als in der Bevölkerungsstatistik ausgewiesen,was zur Folge hat, dass der Ausländeranteil unter den Täwer-

    dächtigen immer eine Überschätzung darstellt.

    Eine Überschätzung des Ausländeranteils ergibt sich auchdurch ein anderes Problem der Polizeilichen Kriminalstatis-tik. Hier werden nur Delikte registriert, die angezeigt odervon der Polizei selbst aufgedeckt werden. Der übliche \7egist der der Anzeige. Aus verschiedenen Befragungsstudien istbekannt, dass Täter, die eine fremdlandische Herkunft haben,deutlich häufiger angezeigr werden als einheimische Täter(u.a. Mansel/Albrecht 2003). Die Hintergründe für diesenZusammenhang sind noch unklar. Möglicherweise reichendie sprachlichen Kompetenzen der Beteiligten zur Deeskala-tion und Konfliktschlichtung nicht aus, so dass die Polizeiinformiert werden muss. Mr;glicherweise spielen auch Vorur-teile eine Rolle dabei, dass ausländische Täter eher angezeigtwerden. In jedem Fall handelt es sich um einen bedeutsameGröße: In einer deutschlandweiten Jugendbefragung konnteermittelt werden, dass die Anzeigequote bei nichtdeutschen

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    In Abbildung I deutet sich aber bereits an, dass die höhereKriminalitätsbelastung von Ausländern mit dem Delikt vari-iert. Im Bereich der Gewaltl«iminalität liegt der Ausländer-anteil höher als in Bezug aufalle Straftaten. \Terden die eherhäufiger vorkommenden Delikte betrachtet - haufig in demSinne, dass die twerdächtigen dieses Delikts mindestens einProzent der gesamten Täwerdachtigen stellen - ergibt sichfolgendes Bild:

    - Ein besonders hoher Ausländeranteil ist erwartungsge-mäß bei Delikten festzustellen, die fast nur rron Auslän-dern begangen werden können. Bei Verstößen gegen dasAufenthalts- oder Asylverfahrensgesetz betrug der Aus-Iänderanteil im Jahr 2012 entsprechend der PolizeilichenKriminalstatistik 97,9 o/o. Bei einer Betrachtung desAusländeranteils bei allen Straftaten müsste dies berück-sichtigt werden - entsprechend niedriger würde dieserausfallen (immerhin wurden 2012 80.1.94 ausländischeTärverdächtige wegen entsprechenden Verstößen regis-triert, bei insgesamt 502.390 ausländischen Täwerdäch-tigen).

    - §Teiterhin zeigt sich ein überproportional hoher Auslän-deranteil bei Täwerdächtigen des schweren Diebstahls(30,8 o/o), Raubs (30,6 o/o), Scltwarzfahrens (27,7 %) undDrogenhandels (27,0 o/o).

    - Eher niedrige Anteile, die gleichwohl noch über dem aus-ländischen Bevölkerungsanteil liegen, ergeben sich ftir dieDelikte Sachbeschädigung (12,7 o/o) und Beleidung(t4,7 o/o).

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  • Baier . Migration und Kriminalität WtrXXffi

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    Tätern etwa um die H:ilfte höher liegt als bei deutschen Tä-tern: §7ährend deutsche Opfer von Gewalttaten deutscheTäter nur ru 19,5 o/o anzniget,liegt die Quote bei nichtdeut-schen Tätern bei29,3 o/o (Baier et al. 2009, S. 46).

    Die verschiedenen Probleme der Polizeilichen Kriminalstatis-tik können weitestgehend durch Dunkelfeldstudien behobenwerden. Diese sind meist als Befragung einer repräsentativenBevölkerungsstichprobe angelegt; einbezogen wird also die inDeutschland registrierte'§7'ohnbevölkerung. Das kriminelleVerhalten wird dabei als Selbstauskunft erhoben, d.h. die Be-fragten geben an, ob sie bestimmte Straftaten begangen habenoder nicht - unabhängig davon, ob sie deswegen angezeigtwurden. Dieser Weg, Erkenntnisse zum kriminellen Verhal-ten zu erarbeiten, ist gleichzeitig mit eigenen Problemen be-haftet. Bei Selbstauskünften gerade zu sensiblen Themenbe-reichen ist fraglich, inwieweit diese wahrheitsgemäß oder insozial erwünschter \7eise erfolgen. Zwar glbt es mittlerweileStudien, die die Validität dieser Herangehensweise bestätigen(ftir eine Übersicht Thornberry/Krohn 2000). Zugleichkonnte belegt werden, dass bei Personen mit Migrationshin-tergrund die Angaben etwas weniger verlässlich ausfallen(Köllisch/Oberwittler 2004). Gerade mit Blick auf die Frageder Kriminalität von Migranten ist ein weiteres Problem vonBefragungsstudien zentral: die Teilnahmebereitschaft. DieRücklaufquoten von Befragungen übersteigen selten 50 %o;bei Migranten ist die Teilnahmebereitschaft gewöhnlich ge-ringer als bei der einheimischen Bevölkerung, was u.a. mit derSprachbarriere zusammenhängt (Fragebögen liegen meist nurdeutschsprachig vor). Dunkelfeldstudien können damit Aus-wertungen der Kriminalstatistik nicht ersetzen. Beide Quel-len ergänzen sich vielmehr und sollten gemeinsamt betrachtetwerden.

    Hinsichtlich der hier interessierenden Frage des Zusammen-hangs von Migration und Kriminalität soll nachfolgend aufavei Dunkelfeldstudien zurückgegiiffen werden:l. Die deutschlandweit repräsentative Schülerbefragung aus

    dem Jahr 2007 12008 (vgl. Baier et al. 2009). In dieser Be-fragung wurden 44.6L0 Jugendliche der neunten Jahr-gangsstufe erreicht, bei einer Rücklaufquote vor, 62,1. o/o.

    Die Jugendlichen waren im Durchschnit 15,3 Jahre alt;27,4 o/o hatten einen Migrationshintergrund. Diese wur-den über Fragen zur eigenen und elterlichen Staatsangehö-rigkeit bzw. zum eigenen und elterlichen Geburtsland er-hoben. Die größten Gruppen bildeten dabei türkische Ju-gendliche (6,0 Vo), Jugendliche aus Ländern der ehemali-gen Sowjetunion (5,8 %o), polnische Jugendliche (3,0 Vo)und Jugendliche aus Ländern des ehemaligen Jugoslawien(1,9 Vo).

    2. Eine niedersachsenweit repräsentative Befragung der ab16-jährigen \Tohnbevölkerung aus dem Jahr 2014. Bis-lang existiert keine deutschlandweit repräsentativeErwachsenenbefragung, in der auch Täterschaften in um-fassender Weise erhoben wurden; bei den meisten Befra-gungen handelt es sich um reine Opferbefragungen (u.a.Birkel et d.. 2014). Um die Repräsentativität der Befra-gung in Niedersachsen zu gewährleisten, wurden in einemersten Schritt Städte bzw. Gemeinden und in einem zwei-ten Schritt Einwohner aus den ausgewählten Gebieten zu-fiillig bestimmt. Von den einbezogenen Personen habenletztlich 5.866 einen verwertbaren Fragebogen zurückge-schickt. Dies entspricht einer Rücklaufquote von 62,5 o/o.

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    Diese hohe Quote ist Resultat des Einsatzes eines monetä-ren Anreizes. Von den Befragten haben 13,6 7o einen Mi-grationshintergrund, d.h. sie selbst (bzw. die Eltern) wur-den nicht in Deutschland geboren bav. haben keine deut-sche Staatsangehörigkeit. Dies liegt etwas niedriger als derMigrantenanteil in Niedersachsen, der in der öffentlichenStatistik ausgewiesen wird (Zensus 2077: 16,7 %). Diegrößte Migrantengruppe wird durch Befragte aus Ländernder ehemaligen Sowjetunion gestellt, wobei diese etwashäufiger in der Stichprobe vertreten sind als in Niedersach-sen insgesamt (36,3 o/o aller Migranten in der Stichprobe,27,4 o/o aller Migranten in Niedersachsen; vgl. Rohr-schneider/Zufall 2014). Die zweitgrößte Gruppe bildenpolnische Befragte (15,6 o/o in der Stichprobe wie in derGrundgesamtheit), die drittgrößte Gruppe türkische Be-fragte (10,270 in der Stichprobe ur,d 14,5 %o in derGrundgesamtheit). Die Fallzahlen zu den einzelnen Mi-grantengruppen reichen allerdings nicht aus, um nachGruppen differenzierte Auswertungen vorzunehmen; inder Schülerbefragung ist dies hingegen möglich.

    Täbelle 1 stellt die Prävalenzraten verschiedener Straftaten imVergleich vor, die auf Basis der Befragungen erzielt wordensind. Berichtet werden 1 2-Monats-Prävalenzen, d.h. der An-teil an Befragten, die angegeben haben, in den zurückliegen-den zwölf Monaten mindestens einmal ein Delikt ausgeführtzu haben. Zum Schwarzfahren, das nur in der Erwachsenen-befragung erhoben wurde, ergibt sich kein signifikanter Un-terschied zwischen einheimischen Deutschen und Migranten.Etwa jeder 16. Befragte gab an, dies zumindest einmal getanzu haben (6,3 bzw. 6,40/o). Beim Ladendiebstahl zeichnetsich in beiden Stichproben ab, dass Migranten dies häufigertun. Nur in der Schülerbefragung wird der Unterschied aberals signifikant ausgewiesen; zugleich liegen die Prävalenzratenin dieser Befragung deutlich höher als in der Erwachsenenbe-fragung, was nicht überrascht, insofern entsprechend der Al-ters-Kriminalitäts-Kurve junge Menschen deutlich häufigerzu kriminellen Verhalten neigen als ältere Menschen. Auchbeim Fahrraddiebstahl (in der Schülerbefragung als Fahrzeug-diebstahl abgefragt) ergibt sich eine höhere Belastung vonPersonen mit Migrationshintergrund. Bei anderen Diebstäh-len (in der Schülerbefragung als Einbruchsdiebstahl abge-fragt) findet sich nur in der Schülerbefragung eine signifikanthöhere Belastung der Migranten, wobei zugleich die Diffe-renz in der Prävalenzrate nicht sehr groß ausfdllt. Dies giltebenso fur die Sachbeschädigung: In beiden Befragungen fin-det sich für Migranten eine etwas höhere Rate.

    Größere Abstände zwischen Deutschen und Migranten sindbeim Gewalwerhalten festzustellen. In der Erwachsenenbe-fragung wurde diesbezüglich nur das Begehen von Körperver-letzungen (»jemanden absichtlich verletztn) erfragt, was0,3 o/o der Deutschen, aber 1,1 o/o der Migranten bejahten.In der Schülerbefragung wurde demgegenüber ein Schwer-punkt auf die Abfrage von Gewalttaten gelegt. Sowohl beileichten Körperverletzungen als auch bei schweren Körper-verletzungen (begangen mit mehreren Personen bzw. mit\VaffenlGegenständen) und Raubtaten liegen die Raten beiden Migranten deutlich höher als bei den Deutschen. \7irdbetrachtet, wie haufig mindestens eine der verschiedenen Ge-walttaten mindestens einmal ausgefuhrt wurde, so beträgt dieRate bei Migranten 18,5o/o, bei Deutschen 11,5 o/o. DieMehrfach-Gewalttäterrate (mindestens funf Gewalttaten)

    t77

  • Baier Migration und Kriminalität

    liegt bei Deutschen bei 3,3 o/0, bei Migranten bei 6,6 o/o. lnÜbereinstimmung mit der Polizeilichen Kriminalstatistik be-legen die Dunkelfeldauswertungen damit, dass vor allem imBereich der Gewaltkriminalität und des schwereren Dieb-stahls Migranten höhere Kriminalitätsbelastungen aufweisenals Deutsche.

    Nur in der Erwachsenenbefragung wurden zusätzlich der So-zialleistungs- und Steuerbetrug als zwei weitere Betrugsdelik-te erhoben. Beim Sozialleistungsbetrug (,soziale Leistungenvom Staat in Anspruch genommen, obwohl kein Anspruchvorlagn) liegt die Rate bei den Migranten höher, beim Steuer-betrug (rfalsche Angaben bei der Einkommenssteuer ge-machtu) bei den Deutschen. Betrugsdelikte scheinen insge-samt also bei beiden Gruppen etwa gleich weit verhreitet zusein, auch wenn mit der Befragung nur ein Ausschnitt derBetrugsdelikte erfasst wurde.

    Täbelle 1: Prävalenzraten verschiedener Delikte (in %)

    n.e. = nicht erhoben; slgn

    deutlich: Bei der höchst belastetsten Gruppe liegt diese3,7mal höher als bei der am niedrigsten belastetsten Gruppe.Die Migranten sind also alles andere als homogen hinsichtlichihres Gewalwerhaltens. Zrgleich ist dennoch festzustellen,dass nahezu alle Gruppen mehr Gewalwerhalten zeigen alsdie Deutschen.

    Abbildung 2'. Prävalenzraten des Gewalwerhaltens nach Mi-grantengruppe (in %)

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    Da sich insbesondere fur das Gewalwerhalten Höherbelas-tungen für Migranten ergeben, stellt Abbildun'g2 die Gewal-

    traten differenziert f.ür die Gruppen der Schülerbefragung2007l2OOB vor. Dabei werden jene Herkunftsldnder einzeln

    ausgewiesen, zu denen ausreichend Befragte vorliegen. Die

    verbleibenden Befragten wurden zu übergeordneten Her-kunftskategorien zusammengefasst. Im Ergebnis zeigt sich,dass die Prävalenzraten zwischen den Gruppen deutlich vari-

    ieren: Asiatische Befragte weisen niedrigere Prävalenzraten

    auf als deutsche Befragte, Jugendliche aus dem ehemaligen

    Jugoslawien die höchsten. Mit Blick auf die Mehrfach-Ge-walttäterraten wird der Unterschied in den Raten besonders

    7a

    Die erste ,n.,"";;;;.;-.#;inerer sind arsDeutsche, kann in dieser allgemeinen Form in der Zusam-menschau der Befunde nicht bestätigt werden. Generell giltdies eher für die schwereren Delikte und hier vor allem für die

    Gewaltkrimin alität. Zttbeachten ist zugleich die unterschied-liche Belastung der verschiedenen Migrantengruppen.Flüchtlinge scheinen etlvas stärker durch kriminelles Verhal-

    ten aufzufallen als andere Gruppen. Hinsichtlich des Gewalt-verhaltens ergibt sich ftir Jugendliche aus dem ehemaligen

    Jugoslawien sowie fur türkische Jugendliche eine höhere Be-Iastung. \7ünschenswert wäre, dass die Polizeiliche Kriminal-statisdk zukünftig weitere Differenzierungen nach Delikt undGruppe erlaubt bzw. dass Dunkelfeldbefragungen in der Er-wachsenenbevölkerung verstärkt Migranten einbeziehen unddabei auch umfassend Täterschaften erheben.

    These 2: Ursächlich für eine höhereKriminalitätsbelastung von Migranten ist ihrschlechter sozio-ökonomischer Status.Diese These wird verschiedentlich geäußert und müsste aufBasis der bisher berichteten Befunde stärker auf das Gewalt-

    verhalten als auf das gesamte kriminelle Verhalten bezogenwerden. \Talburg (201 4) formtliert dementsprechend:,Er-höhte Gewaltrisiken [...] scheinen [...] mit den Lebenslagenzusammen zu hängen, die rypischerweise mit Migration ver-bunden sindn (S. 12), und er spezifiziert dies insofern als ,Un-terschiede in der Gewalttätigkeit verschwinden [...], wenn dieungünstige Bildungsbeteiligung von Migrantenjugendlichenberücksichtigt wirdn (S. 20). Ein schlechterer sozio-ökonomi-scher Status wird damit vor allem auf den Bereich der Bil-dungsbeteiligung bezogen. Dies ist ftir Jugendliche sicherlichein besserer Indikator als andere Maße des sozio-ökonomi-schen Status, die sich aufdie Stellung im Erwerbsleben bezie-hen (2.8. Arbeitslosigkeit, Prestige).

    Gleichwohl ziehen verschiedene Autoren in Zwelfel, dass al-lein die sozio-ökonomische Situation die Unterschiede imGewaltaufkommen erklärt. Angenommen wird, dass Mi-granten die kulturellen Üb.rzeugungen ihres Herkunftslan-des nach der Einwanderung nach Deutschland nicht einfachablegen. In Reaktion auf eine ausbleibende Integration, die

    Reprdsentativ-befragung

    EmachseneNiedersachsen

    2014

    Reprdsentativ-befragung

    Schüler Deutschland200712008

    dcutsch

    Migra-tions-

    hinter-grund

    deutsch

    Miera-tions-hinter-gruncl

    Schrvarz-fahrcn 6,3 6,4 n.e. n.e.

    l,adendicbstahl 0,7 0,9 12,4 15,5

    Fahrradcl iebstaLl/-

    FaJr rzeugcliebstah I0,1 0,4 J,/ 7,O

    Diebstahl persönli-

    chcr S:rchen/Ein-

    bruchsdiebstahl

    0,2 0,1 )) 3,7

    Sachbeschädigung 0,5 1,t) r4,3 15,3

    Körperverletzung 0,3 l,l 9,9 16,5

    schu'ere Kiirper-r.erlctzturg

    [.e. n.e. 4,7

    Raub n. e. n.e 2,O 3,9

    mind. cineGeu,alttat

    n.e. n.e Lt,5 18,5

    mincl. fiinfGervaltraten

    n.e. n.e 3,3 6,6

    Sozialleistungs-

    betrugo,2 0,6 n. e. n.e.

    Steuerbetrug )) 1,4 n.e. n. e.

    = nicht erhobenr fett: sienifikant b, 0

    §ie FC!§-lZ§l 3 '7ü15

  • Baier Migration und Kriminalität W*ffi;:"*:ffi

    Migranten z.T. erleben, ist sogar denkbar, dass spezifischeNormen und \Tertorientierungen, die den deutschen entge-gen stehen, eine verstärkte Rückbesinnung erfahren (Enz-mann et al. 2004, S. 267).Dieswird bspw. fur die sog. Gewaltlegitimierenden Männlichkeitsnormen yermutet. Dabei han-delt es sich um \Werthaltungen, die Gewalt zur Verteidigungder Ehre gutheißen. Die Analysen von Enzmann et al. (2004) ,Wetzels et al. (2001) oder Baier und Pfeiffer (2007) bestäti-gen, dass diese

    -fferthaltungen eng mit Gewalwerhalten ein-hergehen und zugleich Unterschiede im Gewaltniveauverschiedener ethnischer Gruppen erklären können. Diese\Terthaltungen werden u.a. durch eine gewaltsame Erziehungin der Familie vermittelt. Erziehungsvorstellungen und-praktiken sind ebenso kulturell geprägt. Kinder undJugend-liche, die Gewalt in der Familie erleben, neigen häufiger zueigenem Gewalwerhalten (Baier/Pfeiffer 2015). Bei Betrach-tung möglicher kultureller Unterschiede zwischen Einheimi-schen und Migranten sollten die Unterschiede im Erzie-hungsverhalten daher mit betrachtet werden.

    In Tabelle 2 sind aufBasis der Schülerbefragung 200712008verschiedene Indikatoren des sozio-ökonomischen Status so-wie der kulturellen Orientierung nach Migrantengruppe dar-gestellt. Dabei werden nicht alle in Abbildung 2 benanntenGruppen einbezogen. Der Übersicht wegen wird sich auf diebeiden größten Migrantengruppen sowie die Gruppe mit derhöchsten Gewaltrate beschränkt. Die sozio-ökonomische Be-nachteiligung ist dabei sehr deutlich feststellbar. \7ährendvon allen deutschen Befragten nur 21,8 o/o eine Förder- oderHauptschule besuchen, sind es bei den türkischen und jugo-slawischen Jugendlichen doppelt so viele; umgekehrt stelltsich das Verhdltnis beim Gymnasialbesuch dar. Türkische Ju-gendliche sind zudem fast dreimal haufiger vom Bezug staat-licher Tiansferleistungen betroffen. Hierunter wird gefasst,dass mindestens ein Elternteil arbeitslos ist oder die FamilieSozialhilfe/Hartz IV erhdlt.

    Gleichwohl ergeben sich bei den kulturellen Indikatorenebenfalls große Unterschiede. Alle Migrantengruppen berich-ten mehr als doppelt so häufig davon, in der Kindheit schwereelterliche Gewalt erfahren zu haben; d.h. sie wurden geschla-gen, getreten oder verprügelt. Die Zustimmung zu Männ-lichkeitsnormen - gemessen über Aussagen wie z.B. ,EinMann, der nicht bereit ist, sich gegen Beleidigungen mit Ge-walt nt wehren, ist ein Schwächlingu - ist nur fur einen sehrkleinen Anteil der deutschen Befragten festzustellen (2,7 o/o);

    bei den türkischen und jugoslawischen Jugendlichen liegt derAnteil sechsmal so hoch.

    Ebenfalls dargestellt in Täbelle 2 sind verschiedene Indikato-ren der Integration von Migrantenjugendlichen. Diese basie-ren aufeinem Konzept von Esser (2000), für den Integrationnicht allein die sozio-ökonomische Komponente (strukturelle

    Integration), sondern ebenso den Erwerb von Sprachkennt-nissen (kulturelle Integration), die Aufnahme von interethni-schen Freundschaftsbeziehungen (soziale Integration) unddie emotionale Identifikation (identifi kative Integration) um-fasst. Diese breitere Sichnveise der Integration erscheint sinn-voll, hat allerdings den Nachteil, dass Vergleiche im \Tesent-lichen nur unter den Migrantengruppen möglich sind. Diesebelegen, dass die Gruppen unterschiedlich stark integriertsind. Russischstämmige Jugendliche weisen von den hier be-trachteten Gruppen die stärkste Vernetzung mit deutschen

    llie FOLIZ§| 3"2*3§

    Jugendlichen a$ (45,5 o/o aller Freunde haben eine deutscheHerkunft) und fühlen sich auch am häufigsten als deutsch(52,1 o/o). Der Gesamt-Integrationswert, der eine Kombina-tion aus verschiedenen Integrationsindikatoren darstellt (vgl.Baier et al. 2010), Iiegt bei diesen Jugendlichen bei 54,3Punkten, bei den türkischen Jugendlichen dagegen nur bei39,9 Punkten. Besonders niedrig ist bei den türkischen Ju-gendlichen dabei die identifikative Integration ausgeprägt.Das unterschiedliche Ausmaß der Integration stellt eine Er-klärung ftr die unterschiedlichen Gewaltraten der Migran-tengruppen dar, insofern weitergehende Analysen belegenkonnten, dass eine bessere Integration mit niedrigerem Ge-walwerhalten einhergeht (Baier et al. 2010).

    Täbelle 2: Indikatoren des Status, der Kultur und der Integra-tion nach Migrantengruppe (in o/o bzw. Mittelwert)

    Um zu prüfen, ob der ungleiche sozio-ökonomische Statusentscheidend fur die höhere Gewaltbelastung ist oder viel-mehr auch kulturelle Orientierungen berücksichtigt werdenmüssen, sind in Täbelle 3 noch einmal die Gewaltprävalenzender ausgewählten vier Gruppen abgetragen. Z:usätzlich wer-den diese unter Kontrolle verschiedener Merkmale darge-stellt. Erkennbar ist, dass die deutschen Befragten insgesamteine signifikant niedrigere Gewalt- und Mehrfach-Gewalt-prävalenz haben als alle drei betrachteten Migrantengruppen.Dieses Bild ändert sich nur unwesentlich, wenn der so-zio-ökonomische Status konstant gehalten wird. Dies ge-schieht dadurch, dass in der entsprechenden Spalte die Präva-lenzraten fur jene Jugendlichen dargestellt sind, die eine mitt-lere Schulform besuchen (Real- oder Gesamtschule) undderen Familien keine staatlichen Tiansferleistungen beziehen.Auch unter in diesem Sinne vergleichbaren Umständen wei-sen die deutschen Befragten eine signifikant niedrigere Gew-altprävalenz auf als die Migranten. Eine Ausnahme betrifft dieMehrfach-Gewalttäterrate der Jugendlichen aus der ehem.Sowjetunion: Deren höhere Rate ist primär sozio-ökono-misch bedingt.

    tVerden zusätzlich zum sozio-ökonomischen Status die kul-turellen Orientierungen der Gruppen konstant gehalten, ver-

    Deutsch-lmd Türkei

    ehem.

    SUehem. Ju-goslawien

    sozl0-

    ökono-mischer

    StatrLs

    Besuch Fiir-der-/Haupr-schulc

    BestLclr

    GlmnasiurlBezLrc staatl.

    Transier-

    lei s nLn gen

    21,8

    33,.i

    10,2

    1r) l

    12,8

    38.8

    18,3

    )o ()

    53.8

    1 5,5

    23.1

    Kultur

    schncre elter-

    Iichc Gcrvalt inI(in dheit

    Zustimrnungzu Männlich-keitsnormen

    11,4

    )7 14,8

    26,9

    6,1

    26,9

    1.3,2

    Integra-

    tion

    Anreil deut-scher Freunde

    Anteil sich alsdeutsch rv;rhr-

    nehmend

    Intcqrations-wert

    12.5

    26,2

    39.9

    45,5

    52,1

    54,3

    4t,4

    3 5,1

    47,7

    79

  • M Baier Migration und Kriminalität

    schwinden sämtliche Unterschiede zu den Deutschen. Vergli-chen werden also nurJugendliche im mittleren Bildungsgangohne Tlansferbezug, die keine elterlichen Gewalterfahrungenmachen mussten und Männlichkeitsnormen ablehnen. Deut-sche Jugendliche mit diesen Eigenschaften haben zr 6,5 o/omindestens eine Gewalttat ausgefuhrt, türkische Jugendlichezr 5,2o/o, Jugendliche aus der ehemaligen Sowjetunion zu5,8 o/o. Ewva größer {?illt der Unterschied zu den jugoslawi-schen Jugendlichen aus (11,3 o/o); dieser wird jedoch nichtmehr als signifikant ausgewiesen. Die Betrachtung der Mehr-fach-Gewalttärerraren belegt keinerlei größere Unterschiedezwischen den Gruppen: Jugendliche mit den genannrenEigenschaften gehören sehr selten zu den Mehrfach-Gewalt-tätern, unter deutschen Jugendlichen ebenso wie unter Mi-granten.

    Täbelle 3 : P rävalenzraten des Gewalwerhaltens nach Migran-tengruppe und Status bzw. kultureller Orientierun g (in o/o)

    BezugGesamtschule

    b kein Bezug staatl. Tlansferleistung, Besuch von Real- bzw.Gesamtschule, keine Erfahrung schwerer elterlicher Gewaltin der Kindheit, Ablehnung von Männlichkeitsnormen

    Die zweite These kann auf Basis dieser Befunde also ebenfallsnicht bestätigt werden. Es ist nicht nur die schlechtere so-zio-ökonomische Situation und in Bezug auf Jugendlicher,or allem die Bildungsbenachteiligung, die Migranten häufi-ger zu Cewalwerhalten morivierr. Zu beachten sind vielmehrdie kulturellen Unterschiede, die sich in der Kindererziehungebenso zeigen wie in der \Tertschätzung gewaltaffiner Orien-tierungen. Inwieweit die Unterschiede im kulturellen Bereichdararf nu'J'ckzufuhren sind, dass die Migranten diese aus denHerkunftsländern'importieren' oder sie aufgrund einer mar-ginalisierten sozialen Lage neu konstruieren, bleibt dabei un-klar. In jedem Fall reicht es nicht aus, nur die Angleichung dersozialen Lage der Migranten im Blick zu haben, wenn es Zielist, deren erhöhte Gewaltbereitschaft zu reduzieren.

    These 3: Der lslam ist ein eigenständiger Verstär-kungsfaktor kriminellen Verhaltens.Eine Religionszugehörigkeit und insbesondere ein hohe Reli-giosität werden gemeinhin als Schutzfaktoren kriminellen

    80

    Verhaltens betrachtet (vgl. Baier 2014). Dies kann damitbegründet werden, dass religiöse Menschen in sie kontrollie-rende Gemeinschaften eingebunden sind, dass sie seltener de-linquenznahen Freizeitaktivitäten nachgehen und eher geset-zeskonforme Normen und §7erte internalisiert haben. In Ab-bildung I hatte sich aber gezeigr, dass fur türkische (8,3 Vo),ehem. jugoslawische (9,4 %) und arabisch/nordafrikanische(7,6 o/o) Jugendliche mit die höchsten Mehrfach-Gewalttäter-raten bestehen. Bei diesen Gruppen handelt es sich umJugendliche, die weitestgehend dem muslimischen Glaubenangehören: Von den türkischen Jugendlichen geben 85,8 %an, dass sie Muslime sind, von den arabischen/nordafrikani-schen Jugendlichen 70,0 %o und von den jugoslawischen Ju-gendlichen 41,8 o/o. Dies scheint zu bestätigen, dass der Islameinen Verstärkungsfaktor zumindest des Gewalwerhaltensdarstellt.

    \Teitere Auswertungen mit den Daten der Schülerbefragungkönnen diese Sichrweise weiter belegen. §Terden nichtdeut-sche Muslime und nichtdeutsche Christen - die deutschenChristen wurden aus dieser Auswertung ausgeschlossen, umden sozio-ökonomischen Status annähernd konstant z:uhd.-ten - hinsichtlich ihrer Mehrfach-Gewalttäterrate verglichen,so liegt diese bei Muslimen bei 8,8 %, bei Christen nur bei5,6 o/o. Bei anderen rypischen Jugenddelikten wie der Sachbe-schadigung oder dem Ladendiebstahl zeigt sich der gegentei-lige Befund, nach dem nichtdeutsche Christen höhere Präva-lenzraten aufweisen als nichtdeutsche Muslime.

    Fraglich ist, ob mit einer steigenden religiösen Bindung dasGewalwerhalten zunimmt oder nicht. Nur dies würde letzt-lich belegen, dass der Islam ein eigenständiger Verstärkungs-faktor ist, wenn also hochreligiöse Muslime gewalttätiger wä-ren als wenig religiöse Muslime. Dass nicht jeder Befragte, dersich dem Islam zuordnet, hoch religiös ist, kann durch ver-schiedene Fragen zur religiösen Praxis erhoben werden. ImRahmen der Schülerbefragung 2007 l2OO8 wurden folgendedrei Indikatoren benutzt: Häufigkeit des Betens, Häufigkeitdes Gotteshausbesuchs, subjektive Einstufung der \X/ichtig-

    keit der Religion im Alltag. Diese Indikatoren erfassen beiChristen wie bei Muslimen in gleich verlässlicher \7eise dieReligiosität. Mit dieser Messung lässt sich feststellen, dassmuslimische Jugendliche signifikant religiöser sind als Chris-ten (Baier et al. 2010). Ztgleich gibt es auch bei den Musli-men weniger und stärker religiös gebundene Jugendliche, sodass die Frage des Zusammenhangs von Religiosität und Ge-walwerhalten untersucht werden kann.

    Die zugehörigen Auswertungen belegen, dass bei nichtdeut-schen Christen eine höhere Religiosität mit geringerem Ge-walwerhalten einher geht. Die Korrelation (Spearment rho)beträgt ftir die Gewaltprävaletz *.07, fnr die Mehrfachtäter-rate -.04 (beide signifikant bei p < .05). Bei den Muslimenist der Zusammenhang positiv und ebenfalls signifikant (je-weils .04). Für beide Gruppen ist dieser Zusammenhang alseher gering einzustufen, insofern der Koeffizient zwischen 0und 1 bzw. 0 und -1 variieren kann. Zugleich belegen weiter-ftihrende Auswertungen (u.a. Baier 2014), dass eine stärkeremuslimische Religiosität auch unter Berücksichtigung ande-rer Faktoren mit häufigerem Gewalwerhalten einher geht.Auf Basis von Schülerbefragungen in verschiedenen GebietenDeutschlands kann zudem die Hypothese aufgestellt werden,dass dieser Zusammenhang eher in Gebieten gilt, in denen

    ng,

    mind. eine Gewalttat mind. ftinf Gewahaten

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    Deutsch-

    iand1 1,5 t2,o 6,5 3,3 3,3 1,2

    '1'ürkei 20,3 18,9 5,2 8,3 7,9 0,4

    cheni. ,SU 18,0 t6,3 5,8 5,7 3,8 0,0

    cherl. Ju-goslarvien

    22,1 21,4 1 1,3 9,4 7,8 t,4

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    kein Bezus staatl. T Besuch von Real- bzw.

    $ie§Y§t{-{Z§§ 3.2ü15

  • eine größere muslimische Gemeinde besteht (2.8. Berlin; vgl.Baier/Pfeiffer 2011) als in Gebieten, in denen es nur wenigeMuslime gibt (2.B. Saarland; Baier/Rabold 2012). h Gebie-ten mit größerer Gemeinde bleiben Muslime möglicherweisestärker unter sich, Kontakte zu Einheimischen werden selte-ner gesucht; unter diesen Bedingungen werden gewaltbefur-wortende Normen und \7erte, die sich in entsprechendes Ver-halten umsetzen, eher kultiviert.

    Jenseits des Gewalwerhaltens haben die Analysen zusätzlichgezeigt, dass eine stärkere muslimische Religiosität einHemmnis fur die Integration ist. Die Korrelation zwischender Religiosität und dem oben berichteten Integrationswertliegt bei Muslimen bei -.1 5, bei Christen gibt es keinen signi-fikanten Zusammenhang. Religiöse Muslime leben also sozialund kulturell in stärkerer Distanz zur deutschen Gesellschaft,was eine zusätzliche Erklärung fur ihr haufigeres Gewalwer-halten darstellen kann.

    Die dritte These kann damit mit Blick auf das Gewalwerhal-ten bestätigt werden. Wfirend die christliche Religiositäteher gewaltpräventiv wirkt, steigt mit zunehmender muslimi-scher Religiosität das Gewalwerhaltet Zrgleich ist daraufhinzuweisen, dass die Religiosität weder bei Muslimen nochbei Christen einen besonders starken Risiko- bzw. Schutzfak-tor des Gewaltverhaltens darstellt. Der muslimischen Religio-sität muss also nicht die primäre Aufmerksamkeit bzgl.terGewaltprävention entgegen gebracht werden. Bei Muslimenwie bei Christen sind Faktoren wie der Kontakt mit delin-quenten Freunden, der Alkoholkonsum oder geringe Selbst-kontrollfähigkeiten weit relevantere Einfl ussfaktoren des Ge-walwerhaltens (Baier 20 14).

    AusblickDie Zuwanderung nach Deutschland hat viele Vorteile. Diezukünftigen gesellschafdichen Probleme, die u.a. der demogra-fische \Tandel mit sich bringt, lassen sich wohl nur durch Zu-wanderung lösen. Eine der wenigen Schattenseiten von Migra-tion ist, dass Menschen nach Deutschland kommen, die auchmit kriminellen Verhalten in Erscheinung treten. Dies tut aberdie deutsche Bevölkerung ebenso; und häufig sind es nicht dieneu zugewanderten Personen, die eine höhere Kriminalitäts-und - wie gezeigt- insbesondere Gewaltbelastung aufiveisen,sondern deren Kinder, d.h. die zweite und dritte Zuwanderer-generation. Die derzeit steigenden Zuwanderungszahlen soll-ten vor diesem Hintergrund nicht primär aus der Perspektiveeines möglichen Sicherheitsrisikos betrachtetwerden. Generellist der Zusammenhang zwischen Migration und Kriminalitätauch nicht als Naturgesetz, sondern als gestaltbar aufzufassen.§7eder die zwischen Einheimischen und Migranten bestehen-den sozio-ökonomischen Starusunterschiede noch die Unter-schiede in den kulturellen Orientierungen stehen unverrückbarfest. Durch gezielte Maßnahmen kann auf das kriminelle Ver-halten von Migranten (ebenso wie von Einheimischen) Einflussgenommenwerden.

    Mit Blick auf die Migranten liegt die zentrale Aufgabe darin,zuktinftig deren Integration zu verbessern - in all den ange-sprochenen Bereichen. Die strukturelle (schulische) Integra-tion könnte über Mentorenprogramme beeinflusst werden,also Programme, in denen ehrenamtlich Personen Kinderund Jugendliche aus Migrantenfamilien in ihrem schulischenFortkommen unterstüzen. Die soziale Integration, d.h. die

    Baier . Migration und Kriminalität

    Vernetzung von Deutschen und Migranten, ist ebenfalls früh-zeitig sicherzustellen, bspw. dadurch, dass ethnisch homogeneKindergärten und Grundschulen vermieden werden. Einhei-mische und Migranten müssen sich begegnen, um sich ken-nenlernen zu können. Als besonders problematisch ist derzeitnoch die identifikative Integration einzustufen. -{/ie gezeigt,geben türkischeJugendliche nu nt26,2 o/o an, dass sie sich alsDeutsche bzw. Deutsche und Türken wahrnehmen. Das Ge-fühl der Zugehörigkeit zu srärken ist sicher eine der schwie-rigsten Aufgaben. Es dürfte sich umso eher einstellen, je we-niger Migranten Ausgrenzung und Diskriminierung erleben.

    Abschließend ist noch einmal auf den Befund hinzuweisen,dass abweichende kulturelle Orientierungen die höhere Ge-waltbereitschaft von Migranten mit bedingen. Hier erschei-nen einerseits Maßnahmen zur Veränderung der Erziehungs-kompetenz hin zu einem Verzicht auf den Einsatz von Gewaltnotwendig. Entsprechende Programme gibt es derzeit bereits,müssten aber noch stärker auf Migranten ausgerichtet wer-den. Andererseits ist es norwendig, Männlichkeits- und Ge-waltnormen einzudämmen. Hier wäre es möglicherweisesinnvoll, in den Schulen noch stärker diese Normen zu the-matisieren und sich kritisch mit ihnen auseinander zu setzen.Zrgleich müsste dies im Freizeitbereich im Rahmen vonMaßnahmen geschehen, in denen die Peergruppen adressiertwerden. Dies kann am ehesten die Sozialarbeit leisten.

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