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Ministerium für Bildung, Jugend und Sportdes Landes Brandenburg

Bausteine für die Konzeption der Horte im Land Brandenburg

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Ministerium für Bildung, Jugend und Sport

des Landes Brandenburg

Bausteinefür die

Konzeption der Horte im Land Brandenburg

verlag das netzWeimar

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Herausgeber:

Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes BrandenburgReferat 22Postfach 900 16114437 PotsdamInternet: www.mbjs.brandenburg.de

Anregungen und Wünsche bitte an: [email protected]

ISBN 978-3-86892-133-5

Alle Rechte vorbehalten© 2016 verlag das netz, WeimarDas Werk und alle seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen desUrheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages nicht zulässig und strafbar. Das gilt insbesonderefür Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elek-tronischen Systemen.

Gestaltung: Jens Klennert, Tania MiguezDruck und Bindung: Förster & Borries, ZwickauTitelbild: Leonie: Ein Dinosaurier geht durch einen Wald!Fotos: S. 6 Violetastock, S. 9, 42 SerrNovik, S. 10, 41 shironosov, S. 12 monkeybusinessimages, S. 21JackF, S. 22 SerrNovik, S. 24 michaeljung, S. 32 viafilms, S. 34 Branimir76, S. 50 Catherine YeuletPrinted in GermanyWeitere Informationen finden Sie unter: www.verlagdasnetz.de

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Einleitung Zur Funktionsbestimmung der Horte in Brandenburg

Baustein 1 Der Bildungsauftrag Brandenburgischer Horte – non-formale Bildung für jedes Kind

A Horterzieher*innen arbeiten nach Maßstäben der Kinder- und JugendhilfeB Horterzieher*innen setzen den Bildungsauftrag umC Kindheit heute und (Bildungs-)Möglichkeiten für Kinder

Baustein 2 Beteiligung von Hortkindern und Gestaltung des Hortalltags

A Beteiligung ist die Grundlage aller pädagogischen Erfolge B Erzieher*innen klären und gestalten die Beteiligung der KinderC Beteiligung heißt für Kinder zunächst Sorge für sich

Baustein 3 Die Gruppe der Gleichaltrigen

A Was Kinder Kindern bieten ... B Erzieher*innen halten sich zurück, aber nicht herausC Die Kinder finden (zu) sich in der Gleichaltrigengruppe

Baustein 4 Hort und Schule – Arbeitsteilung und Zusammenarbeit für jedes Kind

A Horte und Schulen als Häuser für KinderB Drei Handlungsansätze für Horterzieher*innen in Bezug auf SchuleC Das Thema der Hausaufgaben muss nicht das Bildungsthema des Kindes oder

seine aktuelle Entwicklungsaufgabe sein

Inhalt

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252931

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434851

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Die Einleitung soll die Bausteine für die pädagogi-sche Arbeit in Brandenburgischen Horten1 inhaltlichvorbereiten. Als zweite Absicht wird versucht, derüblichen Vielfalt nebeneinander verwendeter Fachbe-griffe eine sachlogische Ordnung voranzustellen. Ingebotener Kürze wird die gesellschaftliche Funktionder Horte erörtert: Wozu es sie gibt, warum und zuwelchem Zweck? Die Funktion hängt zusammen mitdem pädagogischen Auftrag, den Horterzieher*innenerfüllen sollen.

Funktion und Auftrag sollten ebenso voneinanderunterschieden werden, wie die dazugehörigen Aufga-ben. Diese wiederum werden – täglich – durch eineVielzahl unterschiedlicher Aktionen, Tätigkeiten oderpädagogischer Handlungen zu erreichen gesucht.2

Zwar liegt der Funktionsbestimmung des Hortes, wieder anderen Kindertageseinrichtungen und der Schuleauch, eine gesamtgesellschaftliche Einigung zugrun-de, doch erhält jeder einzelne Hort seine eigene, spe-zielle Funktionsvariante passend zu seinem Umfeld.Dies geschieht durch einen Interessenaustausch und-ausgleich zwischen allen unmittelbar beteiligten Per-sonen und Personengruppen, als da sind: die Kinder,deren Eltern, die Erzieher*innen nebst Leiter*in, derTräger, die Schule bzw. die Schulen im Einzugsgebiet.Wenn man so will, nimmt die »Gesellschaft im Klei-nen« eine Präzisierung der allgemein zugedachtenFunktion vor, indem sich die Beteiligten mehr oderweniger aktiv und partizipativ darauf einigen, wasvon genau diesem Hort zur betreffenden Zeit geleis-tet werden kann und soll.

Die Einigung, der Konsens, wird sichtbar an der Hort-

konzeption, gerade auch wenn diese hin und wiederunterschiedlich ausgelegt und dadurch teilweise inFrage gestellt wird: »Gibt es eine warme Mahlzeit?Dürfen die Kinder allein das Gelände verlassen? Wiehalten Sie es mit den Hausaufgaben?« Die mit sol-chen Fragen entstehenden Diskussionen gehörenzum Prozess der Verständigung darüber, welcheFunktionen dieser Hort erfüllen und welchen Aufga-ben er sich stellen soll, welche Ziele dort angestrebtwerden und welche Themen, Angebote und Metho-den dort zur gängigen Praxis gehören.

Wenn die Funktion im Einzelnen nur für speziell je-den Hort ausgehandelt und dadurch entwickelt wird,so geschieht dies weder willkürlich noch vorausset-zungslos. Kein Hort startet im luftleeren Raum, undganz sicher findet Hortpraxis nicht in einem Vakuumstatt. Im Gegenteil wirkt die Geschichte des Hortesüber 140 Jahre allein in Deutschland mit allen gesell-schaftlichen Veränderungen, Ansprüchen und Vorga-ben auf die heutige Situation ein – und manchmalwie unnötiger Ballast. Manche Diskussion über einezeitgemäße Konzeption wird durch traditionelle Vor-stellungen überlagert.

Für den Fall, dass Eltern ihrer Betreuungs- und Erzie-hungsverantwortung wegen Berufstätigkeit nicht aus-reichend nachkommen oder aus anderen Gründennicht erfüllen konnten, wurde dem Hort ursprünglichdie Rolle eines Ausfallbürgen zugewiesen, um zweiübergreifende Funktionen zu erfüllen. Zum einen soll-te der Hort den zu betreuenden Kindern Schutz undFürsorge bieten; zum anderen sollte er die Elternunterstützen und sie bei Erwerbstätigkeit entlastenbzw. dafür freistellen.

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EinleitungZur Funktionsbestimmungder Horte in Brandenburg

1 Mit »Hort« werden hier alle Kindertageseinrichtungen bezeichnet, die nur oder auch Kinder im Grundschulalter erziehen, bilden,betreuen und versorgen.

2 Diese drei Begriffe werden hier gleichbedeutend verwendet.

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Mit dem Reichsjugendwohlfahrtsgesetz erfolgte 1922ein entscheidender Schritt hin zu einer modernenJugendhilfe. Die Funktion der Horte wurde erweitertdurch eine stärkere Betonung der Erziehungsaufgabe.Jugendwohlfahrt allgemein, Horte im Besonderen,sollten Erziehungsdefiziten »einzelner« Kinder undEltern begegnen, sie ausgleichen sowie ihnen vor-beugen. Demzufolge bekamen erzieherische Maßnah-men größeren Stellenwert. Sie wurden meistens alsKorrekturen unerwünschter Verhaltensweisen ver-standen und durchgeführt. Diese Tradition wirktenoch lange fort. So wurden Hortplätze in manchenwestdeutschen Bundesländern noch bis in die 1980erJahre als besondere »Hilfe zur Erziehung« – vergeben,nicht als Regelangebot der Kindertagesbetreuung.Um einen Platz für ihr Kind zu erhalten, musstenEltern darlegen, dass sie mit der Erziehung wenigs-tens teilweise überfordert waren. Zum Ausgleichkonnten »die Kinder« dann aber bis zur Vollendungdes sechzehnten Lebensjahres im Hort bleiben,sofern amtlicherseits ein »Bedarf« festgestellt wurde.

So waren aus der Bestimmung der Funktionen desHortes frühzeitig die Aufgaben Betreuung (ehemals:Pflege) und Erziehung abgeleitet worden. Und Bil-dung? Es war bereits Ende des 19. Jahrhunderts dasAnliegen von Prof. Schmidt-Schwarzenberg, »Kinderim schulpflichtigen Alter zu erziehen und zu bildenunter Berücksichtigung dessen, was sie zu ihrer al-tersgemäßen Entwicklung brauchen«.3 Deshalb grün-dete er einen Verein, aus dem 1872 der erste deut-sche Kinderhort »Sonnenblume« in Erlangen erwuchs.Vermutlich anders als heute verstanden, war Bildungalso von Anfang an dabei. Entscheidend ist aber, dassdies nur wenige Visionäre erkannten und dem Hortoffiziell keine entsprechende gesellschaftliche Funkti-on zugeordnet wurde.

Dies änderte sich erst in der DDR, wo Schule undHort so eng miteinander verknüpft waren, dass essogar eine weitgehend gemeinsame Ausbildung fürdie Fachkräfte in beiden Institutionen gab, wo aller-dings auch die Schule den Hort dominierte. In derBRD wurde erst 1987 dem Hort ein eigenständigerErziehungs- und Bildungsauftrag4 zugewiesen, immer-hin gut drei Jahre vor Inkrafttreten des Sozialgesetz-buchs VIII, also noch unter dem Jugendwohlfahrtsge-setz. Stets diskussionswürdig, manchmal strittig, wa-ren die jeweils gewünschten Anteile von Betreuung,Erziehung und Bildung. Sie sind es bis heute. Dasjeweils als richtig angesehene Mischungsverhältnis

von Erziehung, Bildung und Betreuung bestimmtelange die tatsächliche Funktion des Hortes in der Pra-xis zwischen Schutzfunktion (Bewahrung, Betreuung),Integrationsfunktion (Erziehung) und Qualifikations-funktion im schulischen Nachhall (Bildung).

Zu beobachten sind diese Elemente auch beim aktu-ellen bundesweiten Ausbau aller Ganztagsangebotefür Schulkinder. Die Gründe muten bekannt an: Mitdiesen Angeboten sollen u.a. die Vereinbarkeit vonFamilie und Erwerbstätigkeit, die Erhöhung der Ge-burtenzahlen und die Gleichstellung von Mann undFrau gefördert werden. Betreuung wird auf dieseWeise begründet. Weil viele Erziehungsdefizite vonFamilien gesamtgesellschaftlich zu beobachten sind,können sie nicht mehr ausschließlich individuellangelastet werden. Als Ausgleich zu allgemein ver-breiteten Defiziten im familiären Kontext sollen Horte(und Ganztagsangebote an Schulen) aktiv werden.Erziehung ist in mancherlei Hinsicht gefragt und häu-fig geht es um die Erziehung der Eltern, verbrämtunter dem Anspruch der Elternbildung. Im internatio-nalen Vergleich sollen die Schulergebnisse verbessertwerden. Höhere Qualifikationen werden benötigt, dieQualität von Bildung muss verbessert werden.

Es liegt nahe, die Institution Hort in Beziehung zuden zwei anderen beteiligten Institutionen zu setzen,der Familie und der Schule. Hat der Hort, haben dieHortpädagog*innen, den Auftrag, Vermittler zwischenElternhaus und Schule zu sein? Stehen sie dazwi-schen? Wer dies bejaht, wird sich schnell vor daserste Problem gestellt sehen, dass Eltern und SchuleUnterstützung erwarten und Eindeutigkeit fordern.Der Hort würde sich alsbald für eine Seite entschei-den müssen. Als zweites Problem folgt sogleich, dassder Hort gar nicht neutral sein darf, also auch nichtals neutraler Mediator zwischen den zwei anderenParteien auftreten kann. Der Hort erfüllt in der Regelseinen spezifisch eigenen Bildungsauftrag als Teil derJugendhilfe. Der Hort ist darum parteiisch, muss of-fensiv seine Position suchen und finden. Der Horttritt daher nicht – und schon gar nicht nur imBedarfsfall – als Mediator auf, sondern als permanentbeteiligte dritte Institution mit einem eigenen Auftragund einem eigenen Anspruch.

In der Vergangenheit wollten manche Hortpädago-g*innen sich nicht in dieser Dreierkonstellation posi-tionieren und erklärten ihren Hort zu einer Freizeitein-richtung. Damit definierten sie sich zwar noch im

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Einleitung

3 Vgl. Sozialpädagogisches Institut NRW (Hrsg.): »Kennen Sie den Hort … als Erziehungs- und Bildungseinrichtung für Kinder im schul-pflichtigen Alter?« Köln 1989 (3. Auflage)

4 Jugendministerkonferenz in Wolfenbüttel 1987: Beschluss zur Zusammenarbeit von Hort und Schule

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Rahmen der Jugendhilfe, doch nicht mehr als Tages-einrichtung für Kinder. Diese Horte untergrubensowohl ihre Fachlichkeit als auch ihre Legitimation.Sie begaben sich in eine neue, zusätzliche Konkur-renz, nämlich zu den etablierten Freizeitangeboten.Diese Horte schwächten ihre Position gegenüberEltern und Schule, denn vor der Freizeit, vor Spielund Spaß, kommt allemal der Ernst des Lebens bzw.der Schule. Der Hort aber sollte kein Anhängsel sein.

Im Bildungssystem der Bundesrepublik Deutschlandfungiert der Hort nach neuerem Verständnis als Ortnon-formaler Bildung, ebenso wie die anderen For-men der Kindertagesbetreuung oder auch Sportverei-ne und ähnliche Veranstaltungen. Non-formale Bil-dungsangebote umfassen Bildungs- und Erziehungs-elemente auf freiwilliger Basis mit ausdrücklichemAngebotscharakter.5 Sie unterscheiden sich damit vonder Schule oder der Universität als Orten formaler Bil-dung, wo Inhalte, Verfahren und Abschlussprüfungendem jeweiligen Zweck entsprechend für alle Teilneh-mer*innen festgelegt – formalisiert – sind. Die dritteKomponente dieses Bildungsverständnisses wird alsinformelle Bildung bezeichnet; sie bezieht sich aufden Alltag der Kinder mit seinen prägenden Einflüs-sen einerseits und seiner Gestaltbarkeit andererseits.Genau genommen ist weniger der Alltag an sichgemeint, vielmehr die Menschen in ihm und dieBeziehungen, welche jedes Kind formen und die esselbst mit formt. Die Orte informeller Bildung sind

seine Familie, seine Freunde und Peers und zuneh-mend auch die Medien.

Für die Praxis des Hortes und seinen Auftrag im Bil-dungswesen ist bedeutsam, dass über diese Defini-tion alle Orte non-formaler und informeller Bildungihre Eigenständigkeit darlegen können, ohne sich aufdie in der Vergangenheit übermächtige InstitutionSchule beziehen zu müssen. Im Gegenteil wird darandeutlich – was in anderen europäischen Ländern oderauch für das Lernen von Erwachsenen längst aner-kannt ist –, dass jeder der drei Bildungsorte mit sei-nen Gegebenheiten (»Modalitäten«) den Kindernbestimmte Bildungsmöglichkeiten bieten kann undandere, ebenso wichtige, nicht. Der Hort erfüllt seineBildungsaufgabe am besten, wenn er eigenständigund lebensnah Themen aus Schule und Familie auf-greift und Gelegenheit gibt zum Erproben, Üben,Anwenden, ohne dabei die formalen und informellenAufgaben von Schule und Familie zu übernehmen.Mit einem Beispiel aus dem Kriterienkatalog zur Qua-lität für Schulkinder in Tageseinrichtungen: Wie man»Fahrrad« korrekt schreibt, lehrt die Schule. Das Ler-nen des Fahrradfahrens findet meist in der Familieoder mit Freunden statt. Wenn nicht, kann der Hortein entsprechendes Angebot organisieren, in jedemFall aber kann der Hort Gelegenheiten zum Üben undAnwenden eröffnen, für das Fahren ebenso wie fürdas Schreiben.6

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Zur Funktionsbestimmung der Horte in Brandenburg

5 Bundesministerium für Bildung und Forschung: »Konzeptionelle Grundlagen für einen Nationalen Bildungsbericht – Non-formale undinformelle Bildung im Kindes- und Jugendalter«, Berlin 2004

6 Strätz u.a.: »Qualität für Schulkinder in Tageseinrichtungen«, Beltz, 2003

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Für einige Bundesländer sind diese Qualitätskriterienbereits überflüssig. Dort wurde der Hort als eigeneund eigenständige Institution abgeschafft. Er firmiertjetzt beispielsweise als »ergänzende Betreuung«.Dieser Begriff erinnert stark an die Anfangszeiten derSchulkinderbetreuung im neunzehnten Jahrhundert,wo es darum ging, die Betreuungslücke zwischenSchule und Elternhaus zu überbrücken. Schaut mangenauer auf die dortigen Arbeitsaufträge für Horte,wird klar, dass ein familienergänzender Auftrag nurnoch zu geringen Anteilen gemeint ist; Vorrang habenoffensichtlich schul- und unterrichtsergänzende Ange-bote.

Der Hort im Land Brandenburg hingegen erfüllt seinegesellschaftliche Funktion weiter im Rahmen der Kin-der- und Jugendhilfe. Erziehung, Bildung, Betreuungund Versorgung sind die vier Aufgaben, so dass diebisherigen Aussagen über die gesellschaftliche Funk-tion von Horten einerseits weiter gelten, andererseitsunter neuen Vorzeichen wieder neu gemischt sind:

»Die Kindertagesbetreuung gewährleistet die Ver-einbarkeit von Familie und Beruf und dient dem Wohlund der Entwicklung der Kinder«, heißt es gleich im

§ 1 KitaG; vereinfacht ausgedrückt: Schutz durchBetreuung.

Im Rahmen ihres »eigenständigen alters- und ent-wicklungsadäquaten Auftrags ergänzen und unter-stützen alle Kindertagesstätten die Erziehung in derFamilie und ermöglichen den Kindern Erfahrungenüber den Familienrahmen hinaus« (siehe § 3 KitaG)oder anders: Integration bei und Prävention vonErziehungsdefiziten; dazu Ausweitung und Qualifizie-rung, also Bildung.

Horte, wie alle Kindertageseinrichtungen, »sind sozial-pädagogische familienergänzende Einrichtungen derJugendhilfe« (§ 2 Abs. 2 KitaG), die kindzentriertarbeiten, in dem sie u.a. die eigenaktiven Bildungs-prozesse der Kinder herausfordern, deren Themenaufgreifen und erweitern (§ 3 Abs. 2 KitaG; Konkreti-sierungen dort im Absatz 3). Zur kindzentriertenpädagogischen Arbeit einschließlich zur Stellung desHortes im Verhältnis zur Schule ergänzt § 4 Abs. 1Satz 4 KitaG: »… die Betreuung und Förderung schul-pflichtiger Kinder soll durch eine an dem Entwick-lungsstand der Kinder orientierte Zusammenarbeitmit der Schule erleichtert werden.«

Einleitung

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Zusammenfassung

Brandenburger Horte erfüllen ihre Funktionen undden eigenständigen Auftrag zum Wohle der Kinder,indem sie die Eltern bei der Wahrnehmung ihrer Ver-sorgungs-, Betreuungs-, Erziehungs- und Bildungs-aufgaben unterstützen. Darüber hinaus fördern siegrundschulpflichtige Kinder, indem sie ihnen Erfah-rungen außerhalb des familiären Rahmens ermögli-chen. Den ihnen übertragenen sozialpädagogischenBildungsauftrag erfüllen Horte im Land Brandenburg

im Rahmen der Grundsätze elementarer Bildung, wel-che die Erzieher*innen für die spezielle Altersgruppeanpassen und ausgestalten müssen. Die familiener-gänzende Orientierung einerseits und das Gebot derAnwendung eigener sozialpädagogisch begründeterFachlichkeit andererseits, einschließlich der darin ent-haltenen Abgrenzung von schulpädagogischer Fach-lichkeit, bestimmen, dass der Hort als Angebot non-formaler Bildung gestaltet wird.

Wie dies in der pädagogischen Praxis gelingenkann, davon handeln die vorliegenden Bausteine.

Einleitung

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Hortpädagogik ist etwas Besonderes. Es gibt sie nichtüberall. Wo es sie gibt, ist sie ein Teil der Kindertages-betreuung, die auf Kinder im schulpflichtigen Alterspezialisiert ist. Ob Hortpädagogik in eigenen Einrich-tungen, gemischt oder kombiniert mit Krippen undKindergärten, im Verbund mit anderen Angeboten oderin der Kindertagespflege stattfindet: Alle Formen eint,dass sie als Kindertagesbetreuung zum System derKinder- und Jugendhilfe gehören. Deshalb haben siegemeinsame Grundlagen, die für die unterschiedlichenAltersgruppen der Kinder, für die sie gedacht sind, inder Praxis unterschiedlich angepasst werden müssen.

Das Gemeinsame für alle Kindertageseinrichtungen fußtin der Kinder- und Jugendhilfe, einem Gesellschafts-bereich, der die Lebensqualität von Kindern, Jugend-lichen und ihren Familien sichern soll. Die vornehm-liche Bestimmung aller Tageseinrichtungen ist dieFörderung der Entwicklung von Kindern, wozu derenErziehung, Bildung und Betreuung gehören. Im LandBrandenburg muss außerdem ausdrücklich die (Teil-)Aufgabe der Versorgung erfüllt werden. Soweit schei-

nen die Grundlagen klar und die Begriffe eindeutig.Nun wird ein Sachverhalt dargestellt, für den mancheBegriffe ungenau verwendet werden. Zumindest abergibt es zwei Sichtweisen.

Die Zuweisung der genannten Aufgaben zu den Fach-kräften der Jugendhilfe – sie werden hier einheitlichErzieher*innen benannt – wird als deren Auftrag be-zeichnet. In manchen Quellen wird die Übertragungjeder einzelnen Aufgabe als einzelner Auftrag darge-stellt. Dann heißt es: die Erzieher*innen erfüllen einenErziehungsauftrag, einen Bildungsauftrag, einen Be-treuungsauftrag und einen Versorgungsauftrag. Dasklingt umständlich. Manchmal jedoch wird dieses Vie-rerpaket in der Kurzform insgesamt als der Bildungs-auftrag bezeichnet, der aus den Einzelaufgaben Erzie-hung, Bildung, Betreuung und Versorgung besteht.Diese zweite Version ist insofern schwierig, als »Bil-dung« zweimal vorkommt, sowohl als Oberbegriff fürden Auftrag, als auch als eine ihm untergeordnete,doch gleichberechtigte Aufgabe neben Erziehung,Betreuung und Versorgung.

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A Horterzieher*innen arbeiten nach Maßstäben der Kinder- und Jugendhilfe

Baustein 1Der Bildungsauftrag Brandenburgischer Horte – non-formale Bildung für jedes Kind

Frei, aber nicht beliebig. Horterzieher*innen erfüllen die Aufgaben der Horte zwischen familiener-gänzender Bestimmung und allgemein gesellschaftlichen Zielsetzungen als sozialpädagogische Fach-kräfte. Der Bildungsauftrag umfasst die individuelle Erziehung, Bildung, Betreuung und Versorgungvon Kindern in einem Rahmen, der frei von vorgegebenen Lehrplänen in jeder Einrichtung durcheine Hauskonzeption ausgestaltet wird. Beteiligung, Zusammenarbeit und eine kindzentrierteArbeitsweise sind Grundpfeiler aller Bildungsprozesse im Hort.

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Trotzdem ist die zweite Fassung schlüssig und fachlich-inhaltlich völlig korrekt, weil nach allgemeiner Auffas-sung Erziehung, Bildung und Betreuung untrennbarmiteinander verknüpft sind. Nur zusammen bilden sieden speziellen Förderauftrag, für den dann aber meis-tens die Bezeichnung »sozialpädagogischer Bildungs-auftrag der Kindertagesbetreuung« gewählt wird. Undschon wird die Schwierigkeit bei dieser Version deut-lich, denn bei diesem Bildungsauftrag ist nicht offen-sichtlich, dass er Erziehung und Betreuung gleicher-maßen enthält – und wie erwähnt, ist in Brandenburgauch die Versorgung ein gleichberechtigter Bestand-teil des Auftrages. Vorsicht ist also geboten, damitdie Fachkräfte der Jugendhilfe sich untereinander ver-stehen, und sich mit Eltern, Lehrkräften und anderenKooperationspartnern verständigen können.

Ein eigenständiger Auftrag, doch nicht beliebig

Soeben wurde der umfassende Bildungsauftrag als»sozialpädagogisch« eingestuft. Das ist der Hinweisauf seine Eigenart, als eine eigene, andere Art, dienicht »schulpädagogisch« ist. »Sozialpädagogisch«weist regelmäßig auf die rechtliche und fachliche Zu-ordnung zum Arbeitsfeld Kinder- und Jugendhilfe, in-folgedessen auch auf das entsprechende speziellemethodische Werkzeug. Der sozialpädagogische Bil-dungsauftrag unterscheidet sich in beidem vom schu-lischen Bildungsauftrag. Er verfügt über eigene Grund-lagen, eigene Aufgaben, eigene Inhalte und eigeneMethoden. Deshalb nennt man ihn auch den eigen-ständigen sozialpädagogischen Bildungsauftrag.7 Aufdieser Basis sollen Kindertageseinrichtungen undSchulen miteinander gleichberechtigt zusammenarbei-ten. Das gilt für die »Abteilung Kindergarten« bei derGestaltung des Übergangs der Kinder in die Grund-schule auf dem fachlichen Hintergrund »GemeinsamerOrientierungsrahmen für die Bildung in Kindertages-betreuung und Grundschule«. Das gilt ebenfalls fürdie »Abteilung Hort« über die Übergangsphasehinaus, aber darauf aufbauend.

Die Eigenständigkeit des sozialpädagogischen Bildungs-auftrags geht allerdings nicht so weit, dass durch ihnElternrechte eingeschränkt oder gar ersetzt werden.Kindertagesbetreuung ergänzt die Erziehung in derFamilie, weshalb häufig vom familienergänzenden Auf-trag gesprochen wird. Darin kommt der hohe Stellen-wert der Eltern mit ihren Wünschen und Interessenzum Ausdruck, die bei der Gestaltung des Angebotsberücksichtigt werden müssen. Berücksichtigt heißtnicht, dass jeder Wunsch erfüllt werden muss. Erst in

der Gesamtschau aller Eltern, bei der die Interessenggf. auch gegeneinander abgewogen werden und insVerhältnis zu den Kindern sowie der Fachlichkeit derErzieher*innen gesetzt werden, entsteht im Konsensdas pädagogische Angebot jeder Tageseinrichtung,Horte eingeschlossen.

Horte und Schulen sollen mit den Eltern bzw. Erzie-hungsberechtigten zusammenarbeiten. Das haben siegemeinsam. Die Basis dieser Zusammenarbeit ist ver-schieden. Während Eltern das Angebot Tagesbetreuung-Hort aus eigener Entscheidung heraus freiwillig fürihr Kind wählen, ist der Schulbesuch verbindlich vor-gegeben. Kindertagesbetreuung tastet Elternrechte nichtan und setzt Freiwilligkeit voraus. Die Schulpflichtentzieht jedes Kind seinen Eltern für bestimmte Zeit.

Der sozialpädagogische Bildungsauftrag der Horte um-fasst weitere grundlegende Bestimmungen. Je nachBlickwinkel sind es Auflagen, die erfüllt werden müs-sen, oder Merkmale des pädagogisch-professionellenHandelns. Die Fachlichkeit der Horterzieher*innen er-streckt sich auf die Kenntnis der aktuellen Fachdiskus-sion einschließlich ihrer Grundlagen aus verschiede-nen Fachdisziplinen und dem Recht. Doch die bloßeKenntnis relevanter Themen ist nicht genug, die Fach-lichkeit von Erzieher*innen beweist sich in ihrer Fähig-keit zur Integration der verschiedenen Anforderungen,zu ihrer organisatorischen Umsetzung und in ihremHandeln.

Das pädagogische Handeln in den vier Aufgabenfel-dern Erziehung, Bildung, Betreuung und Versorgungorientiert sich an den allgemeinen gesellschaftlichenZielen und den dazu passenden fachlich qualifizier-ten Vorgehensweisen (Methoden), welche von Zeit zuZeit aufgefrischt werden müssen. Hortträger sind ver-schieden, Eltern von Hortkindern bevorzugen unter-schiedliche Schwerpunkte, die Lebenssituation vari-iert – dies und mehr beeinflusst das pädagogischeHandeln. Und doch gibt es einiges, was alle Horteeint, allem voraus die übergeordneten Ziele wieEigenverantwortlichkeit und Gemeinschaftsfähigkeit.

Die pädagogische Konzeption: Ausdruck dereigenen Fachlichkeit

Qualifiziertes Handeln zeigt sich im Vorhandenseineiner pädagogischen Konzeption. Dass diese sogargesetzlich vorgegeben ist und dass hier trotzdem einweiter Gestaltungsspielraum besteht, widerspricht demSatz nicht, sondern verstärkt ihn noch. Die allgemeine

Baustein 1 – Der Bildungsauftrag Brandenburgischer Horte – non-formale Bildung für jedes Kind

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7 Diskowski, Wilms: »Kindertagesbetreuung in Brandenburg«, Erl. 2.4 zu § 1 KitaG, Kronach

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inhaltliche Grundlage aller Konzeptionen für Kinderta-geseinrichtungen im Land Brandenburg sind die »Grund-sätze elementarer Bildung«. Zum Auftrag gehört dieregelmäßige Evaluation der pädagogischen Arbeit mitqualifizierten Instrumenten, z.B. den vom Ministeriumherausgegebenen »Ich- und Wir-Bögen«. Zum Auftraggehört weiterhin, dass Horte, wie alle Kindertagesein-richtungen, grundsätzlich offen sind für behinderteund nichtbehinderte Kinder. Beobachtung und Doku-mentation gehören zum Handwerkszeug; sie sind ver-bindliche Vorgabe. Demokratische Teilhabe ist sowohlVorgabe, als auch Arbeitsprinzip und wird doch wohlniemals vollkommen erreicht, bleibt also ein dauer-haft anzustrebendes Ziel.

Apropos Ziele, nochmals. Es handelt sich hierbei nichtum beliebige Vorgaben, die fortlaufend geändert wer-den oder denen nur halbherzig nachzukommen ist.Die Ziele des sozialpädagogischen Bildungsauftragssind durch diverse Gesetze legitimiert, allen vorandas Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland.Insofern gelten die Ziele der pädagogischen Arbeitdauerhaft und verpflichtend für alle. Sie dürfen nichtgrundsätzlich aufgehoben werden oder unbeachtetbleiben. Möglich ist nur, sie in gewissem Rahmenunterschiedlich zu gewichten und verschiedene Wegedahin zu beschreiten. Doch wie nicht alle Wege zueinem bestimmten Ziel führen, so wenig eignen sichalle Methoden.

Die übergeordneten Ziele gelten beständig. Die Um-setzung variiert. Die pädagogischen Fachkräfte han-deln innerhalb des Spielraumes ihrer Konzeption.Woraufhin ist ihr Handeln konkret bezogen? Es istmöglich, die Ziele allgemein »für das Leben« zu for-mulieren, z.B. was Kinder als Erwachsene benötigenan Kompetenzen. Es ist ebenso möglich, die Zielerecht präzise auf die Situation im Anschluss an dieHortzeit zu formulieren. Beides schließt sich nichtgegenseitig aus, im Gegenteil. Es erleichtert aber diepädagogische Arbeit, wenn man weiß, wo der eigeneSchwerpunkt liegt. Mit dem Ziel Eigenverantwortlich-keit/Selbstständigkeit durchaus vereinbar ist das vielkonkretere Ziel: »Wenn die Kinder im Alter von … denHort verlassen, sollen sie in der Lage sein, sich eine,zwei, drei … Mahlzeiten selbst zubereiten zu können.«

Mit diesem Beispiel kommt nun die entscheidendeVariable aller pädagogischen Aktivitäten von Z bis A,von den Zielen bis zur Aufsichtsführung, ins Spiel.Das sind die Kinder bzw. das einzelne Kind. Dergesetzliche Förderauftrag stellt es in den Mittelpunkt,

und alle aktuellen Erkenntnisse der Forschung bestä-tigen, dass Bildung ein individueller Prozess ist, derin sozialen Zusammenhängen stattfindet. Aktionen,an denen alle Kinder teilnehmen müssen, sind für Bil-dung wenig geeignet. Aktionen, an denen Kindernicht auch innerlich beteiligt sind, brauchen nichtdurchgeführt zu werden – zur Bildungsförderungjedenfalls nicht. Aktionen, die ausschließlich in dieZukunft gerichtet sind und vom Kind nicht zugleichfür die Gegenwart sinnvoll und nützlich erlebt wer-den, können nur schwerlich erfolgreich wirken. InAbwandlung des Merksatzes vom globalen Denkenund lokalen Agieren: »Langfristige Ziele setzen, kurz-fristig entsprechend handeln.« In anderen Wortenund mit einem sehr weiten Verständnis vom Lernen:»Der Hort kann Lernen in Ernstsituationen und sinn-vollen Zusammenhängen bieten und zwar mit sozial-pädagogischen Methoden auf der Grundlage vonFreiwilligkeit und Situationsbezogenheit.«8

Der Hort im Bildungssystem

Institutionell ist der Hort eine Bildungseinrichtungneben der Schule. Beide Institutionen sind sowohldurch die »gleiche Zielgruppe« als auch durch ihreVerpflichtung zur Zusammenarbeit miteinander ver-bunden. Praktisch folgen sie dabei ihren unterschied-lichen rechtlichen Voraussetzungen und Normen sowieihren schul- bzw. sozialpädagogischen Kompetenzen.Hiermit sind einerseits die tatsächlichen Fähigkeitengemeint, mit der Fachwissen angewandt wird, ander-seits sind die realen Entscheidungskompetenzen bei-der Institutionen gemeint, in die die jeweils anderenicht hinein regieren darf.

Bildungstheoretisch gehören Hort und Schule eben-falls zwei Systemen an. Die Unterscheidung orientiertsich dabei sowohl am Auftrag, als auch an den darausfolgenden pädagogischen Voraussetzungen. Schuleist als Ort formaler Bildung u.a. gekennzeichnet durchLehrpläne, verbindliche Lernziele und formale Ab-schlussqualifikationen. Horte hingegen sind Organisa-tionen non-formaler Bildung. Ihre Handlungsgrundla-ge, in Brandenburg die »Grundsätze elementarer Bil-dung« – sind Orientierungen, die pädagogischen Zielesind individuell und kindbezogen zu entwickeln undHortabschlusszeugnisse gibt es nur aus Spaß. So kön-nen sich Horterzieher*innen in einem sehr großenHandlungs- und Entscheidungsfreiraum sehen. Dieserist Anerkennung ihrer Fachkompetenz und Anforde-rung zum Füllen in einem.

A Horterzieher*innen arbeiten nach Maßstäben der Kinder- und Jugendhilfe

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8 Jörg Ramseger; Mitschrift seines Vortrags auf der Tagung »Welche Horte brauchen Kinder«, Blossin 2012; http://www.mbjs.brandenburg.de/sixcms/detail.php/bb1.c.267415.de

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Weil in den Horten nicht nach vorgegebenen Lehrplä-nen gearbeitet werden muss, bietet der Freiraum Platzfür praktisch alle Themen. Darüber hinaus sind dieMethoden variabel, nur Zwang und Belehrungen ge-hören mit Sicherheit nicht zu den anerkannten. Man-che Themen und Ziele können vielleicht nur in einemnon-formalen Bildungsrahmen erworben werden, unterUmständen sogar nur in informellen Bildungsprozessen.9

Aktuelle Orientierungen

Der sozialpädagogische Bildungsauftrag des Horteserfüllt sich individuell am einzelnen Kind, das durchEigenverantwortung zu Gemeinschaftsfähigkeit ge-langt. Jeder Moment während des Tages ist dafürgleich geeignet; es gibt keine höher- oder minderwer-tigen Elemente. Die Versorgung ist als Bildungsmög-lichkeit ebenso wichtig wie eine gezielte Aktion mitAngeboten, die zum Alter und zur Entwicklung einesKindes passen. Die Verbindung von Erziehung, Bil-dung, Betreuung und Versorgung ist bewusst anzu-streben. Methodisch sind alle Formen offener Arbeitzu bevorzugen, denn sie bieten größere Gewähr dafür,dass Kinder interessiert und freiwillig ihren Interessennachgehen bzw. solche entwickeln können.

Im zurückliegenden Jahrzehnt haben sich die Anforde-rungen an das gesamte Bildungswesen verändert.Wissen und Kenntnisse sind nach wie vor wichtig.Doch mehr und mehr wird deutlich, dass moderneGesellschaften Menschen benötigen mit einem hohenMaß an Allgemeinbildung und 1. personalen Kompetenzen (z.B. Selbstbewusstsein

und Neugier)2. sozialen Kompetenzen (z.B. Kommunikationsfähig-

keit und Toleranz) und3. methodischen Kompetenzen (z.B. Kultur- & Kreativ-

techniken, Fremdsprachen)

Hinzu kommt die Notwendigkeit von inhaltlichemBasiswissen (z.B. über aktuelle Probleme und Grund-lagen verschiedener Wissensbereiche), das aber stän-dig aktualisiert werden muss, weil von einem vorhan-denen Wissensschatz nicht lange gezehrt werden kann.So kommt der Fähigkeit, mit Informationen und Wis-sen umzugehen und das eigene Wissen managen zukönnen, große Bedeutung zu.

»Man sollte wissen, wo Wissen gegebenenfalls ver-fügbar ist. Und man sollte z.B. in der Lage sein, Aus-wahlentscheidungen zu treffen und Informationen kri-tisch zu beurteilen.«10

Wissen und Kompetenzen erwirbt man vor allem• in Ernstsituationen und in sinnvollen Zusammen-

hängen,• durch fehlerfreundliches Lernen,• durch spielerisches Erforschen, Entdecken, Experi-

mentieren, wenn die Lehrenden sich als Begleiterund Moderatoren sowie als »Reiseleiter« verstehen,

• durch problemlösende Arbeiten, an denen auchandere Menschen beteiligt werden.11

Was in der hier zitierten Studie für alle Bildungspro-zesse und mit vorrangigem Blick auf die Schulengeschrieben wurde, hat große Ähnlichkeit mit demsozialpädagogischen Konzept des Situationsansat-zes, das in vielen Horten praktiziert wird.

Bei der Umsetzung des Bildungsauftrages sieht Krapp-mann den eigenständigen Hort als wichtigen Ort an,• »den Kinder freier mitgestalten können als die

Schule,• an dem sie Interessen verfolgen können, die in der

Schule zu kurz kommen,• wo sie miteinander Fähigkeiten entwickeln und

praktisch erproben können, die sie im sozialen,emotionalen, praktischen und mitbürgerlichenLeben brauchen und

• wo sie nicht unter Leistungsdruck stehen, sondernNeugier Vorrang hat.

(Denn) Bildung im Hort bedeutet ein ganzheitliches,an der Lebenswelt und realen Situationen orientier-tes Lernen, das die Selbsttätigkeit der Kinder zulässt,herausfordert und unterstützt.«12

Rechtliche Vorgaben: Anspruch an und Rückhaltfür Horterzieher*innen

Für die aufgeführten Aspekte des Bildungsauftragesvon Horten gibt es sozialwissenschaftliche und recht-liche Grundlagen. Im Folgenden werden die Aspekteunter Angabe der wichtigsten Rechtsquellen zusam-mengefasst aufgelistet:

Baustein 1 – Der Bildungsauftrag Brandenburgischer Horte – non-formale Bildung für jedes Kind

16

9 Detlef Diskowski: »Spricht eigentlich noch jemand über den Hort ... oder hat die Kinder- und Jugendhilfe die Kinder im Grundschul-alter schon aufgegeben?«, KiTa aktuell MO 12/09, S. 208-210

10 Bundesministerium für Bildung und Forschung: Delphi-Befragung 1996/1998. Abschlussbericht, S. 41 Bonn 199811 a.a.O. S. 67ff12 Lothar Krappmann, »Kinder im Grundschulalter – Besonderheiten und Entwicklungserfordernisse«; Vortrag bei der Tagung »Welche

Horte brauchen Kinder«, veranstaltet vom Ministerium für Bildung, Jugend und Sport im Jugendbildungszentrum Blossin (Branden-burg), 27.–28.2.2012. http://www.mbjs.brandenburg.de/sixcms/detail.php/bb1.c.267415.de

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Familienergänzender Auftrag• Art.6 Grundgesetz (in Abgrenzung zu Art. 7)• § 1 Abs. 2 SGB VIII• § 22 Abs. 2 SGB VIII• § 2 Abs. 2 KitaG

Bildungsauftrag, Eigenständigkeit• § 22 Abs. 3 SGB VIII• § 3 Abs. 1 KitaG

Übergreifende Ziele• Art. 2 Grundgesetz• § 1631 Abs. 1 BGB• § 1 Abs. 1 SGB VIII• § 22 Abs. 2 SGB VIII• § 3 Abs. 2 KitaG

Konzeption• § 22a Abs. 1 SGB VIII • § 3 Abs. 3 KitaG

Beteiligung• § 8 SGB VIII• § 22a Abs. 1 und 2 SGB VIII• §§ 3 bis 7 KitaG

Integration• § 22a Abs. 4 SGB VIII• § 2 Abs. 2 KitaG

Kindzentrierte Praxis• § 22 Abs. 3 SGB VIII• § 3 Abs. 1 KitaG• Grundsätze elementarer Bildung• GOrBiKS

Beobachtung und Dokumentation• § 3 Abs. 1 KitaG• Grundsätze elementarer Bildung

Zusammenarbeit mit Schule• § 22a Abs. 2 SGB VIII• § 3 Abs. 2 Kitag• Grundsätze elementarer Bildung

Zur Kenntnis auch die entsprechenden Regelungenaus dem Schulrecht, z.B.• § 18 Abs. 1 SchulG• Nr. 5 VV-Schulbetrieb

Eine Rechtsgrundlage besonderer Art stellt das »Über-einkommen über die Rechte des Kindes«, kurz: UN-Kinderrechtskonvention, dar, welches in der Bundes-republik Deutschland seit 1992 gilt. Die Konventionenthält die Rechte, die jedem einzelnen Kind zuste-hen. Sie gelten fast weltweit, das macht sie so ein-malig. An der Art und am Grad der Verwirklichung die-ser Rechte ist der soziale und kulturelle Status einesLandes abzulesen; dies lässt sich auch auf die Insti-tutionen übertragen, die sich den Kindern widmen.

Seit der UN-Kinderrechtskonvention sind Kinder nichtmehr Objekte des Wohlwollens, sondern Subjekte miteigenen Rechten. Enthalten ist z.B. der Artikel 29 überdas Recht auf eine umfassende Bildung, die »daraufausgerichtet sein muss, die Persönlichkeit, die Bega-bung und die geistigen und körperlichen Fähigkeitendes Kindes voll zur Entfaltung zu bringen«.

Weitere für den Hort relevante Artikel sind besondersdie übergreifenden:

Art. 2: das Recht auf Nicht-Diskriminierung,Art. 3: das Recht auf vorrangige Erwägung des

Kindeswohls,Art. 6: das Recht darauf, dass die weitere Entwick-

lung des Kindes immer offen zu halten ist,Art. 12: das Recht auf Gehör und Beteiligung.Art. 31: das Recht auf Ruhe und Freizeit, auf Spiel

und Teilnahme am kulturellen Leben.

Nach Krappmann ist das Recht auf Gehör und Betei-ligung im Artikel 12 von zentraler Bedeutung. Waszunächst vielleicht abstrakt klingt, hat für ihn prakti-sche pädagogische Folgen:

»Beteiligung ist manchmal auch ein Element einesformellen Verfahrens, Klassenrat, Kinderkonferenz,Schülersprecher. Vorher und zuerst ist Beteiligungjedoch: Mit dem Kind reden, zuhören, dem, was essagt, Gewicht geben … und das Gesagte aufgreifen.Beteiligung ist das Lebenselixier von Entwicklungund Bildung.«13

A Horterzieher*innen arbeiten nach Maßstäben der Kinder- und Jugendhilfe

17

13 Lothar Krappmann, a.o.O.

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Horte, in denen der Bildungsauftrag umgesetzt wird,benötigen Erzieher*innen, die den Hortalltag nichtdominieren und allein alle relevanten Entscheidungenfür die Kinder treffen wollen. Nachmittage, gefüllt mitvorgeplanten Angeboten, sind kein Ideal. Horterzie-her*innen, die die Bildungsmöglichkeiten aus der Per-spektive der Kinder heraus gestalten, werden hinge-gen kaum den Bildungsauftrag verfehlen. Die Erzie-her*in, im aktuellen Verständnis von Bildung, ist weder• Ersatzmutter, die die Kinder betüddelt, noch ist sie• Besserwisserin, für das, was Kinder brauchen,

auch keine• Verhaltenstrainer*in, die die Kinder reglementiert,

um bessere Menschen aus ihnen zu machen, undschon gar keine

• Hilfslehrer*in, die vorwiegend auf die Hausaufga-ben achtet oder Nachhilfe gibt, weil die Kinder»ordentlich lernen« müssen.

Was ist sie dann?

Besonderheiten der sozialpädagogischen Fachlichkeit von Horterzieher*innen

Zuerst einmal ist jede Erzieher*in eine sozialpädago-gische Fachkraft, die sich nicht ausschließlich überdie Kinder definiert, denn in wesentlichen Teilen ihrerArbeit arbeitet sie mit anderen Erwachsenen zusam-men. Die Kolleg*innen im Team, die Lehrkräfte anden kooperierenden Schulen, andere Fachkräfte derJugendhilfe, auch »Fachfremde« und nicht zuletzt dieEltern der betreuten Kinder, sie alle gehören zumArbeitsfeld Hort.

Der Bildungsauftrag sollte im Grunde verstanden sein,darin vor allem, wie Kinder sich bilden und wie Er-wachsene diesen Prozess anregen können. Auf derBasis des Bildungsauftrages muss eine Hortkonzep-tion entwickelt werden, möglichst zusammen mit denzu beteiligenden Personen. Darin eingeschlossen sindAussagen zum Verhältnis zur Schule und zu anderenAngeboten der Jugendhilfe. Obwohl Kinder im Hortüber die Zeiten (und ihre Zeit) frei verfügen sollen, istder Hort institutionell doch kein unverbindliches Frei-zeitangebot. Er würde damit seine eigentliche Legiti-

mation genauso untergraben, wie er es als Erfüllungs-gehilfe schulischer Anforderungen täte. Das Verständ-nis der Besonderheit ist weit mehr als bloße Abgren-zung gegen Schule oder Freizeiteinrichtung; es istvielmehr eine Voraussetzung für die Zusammenarbeitmit allen anderen Beteiligten.

Das aktuelle Bildungsverständnis baut auf den Kom-petenzen des Kindes auf. Das heißt zweierlei. Erstenswird ein Kind nicht als unfertiges Wesen betrachtet,dem alles Wichtige erst beigebracht werden muss; eskann sehr vieles, vor allem vollzieht es seinen Bil-dungsprozess selbst. Zweitens helfen dabei jedemKind Bildungsmöglichkeiten, die direkt an seine vor-handenen Kompetenzen anknüpfen und darüber hi-naus gehen. Ein Schuss Überforderung ist besser alsLangeweile.14 Wenn dann noch berücksichtigt wird,dass sein Wohlbefinden die wichtigste Bedingung fürweitere Entwicklungs- und Bildungsprozesse ist, kön-nen Erzieher*innen durch Beobachtungen und Gesprä-che die Voraussetzungen für ihre Angebote erkunden.

Für das eigene Verhalten und zugleich für die Gestal-tung von Bildungsangeboten ist es nützlich, an eineErkenntnis Jean Piagets zu denken: Bildung bestehtnicht darin, Kindern Informationen zu vermitteln odersie mit dem hergebrachtem Wissen unter Zwang zusetzen. Zu vermeiden ist die Übertragung der »Welt-deutung von Erwachsenen« auf die Kinder; sie sollensich ihr eigenes Bild von der Welt machen können.

Innerhalb der vorhandenen Rahmenbedingungen –vormittags Schule, nachmittags Hort – erfordert dieUnterstützung des Wohlbefindens der Kinder einenhohen Aufwand für die Horterzieher*innen, denn:

»Die Spaltung der Kinder in ein vormittäglichesUnterrichtskind und ein nachmittägliches Betreuungs-kind ignoriert all unser Wissen über Biorhythmen undnachhaltiges Lernen.«15

Die Spaltung ist nur schwer und wenn, dann in derengen Kooperation von verlässlicher Halbtagsgrund-schule und Hort aufzuheben. Den Auswirkungen kannjedoch etwas entgegen gesetzt werden, z.B. beimOrganisieren der täglichen Übergänge, den Zeiten undden Aktionsmöglichkeiten.

Baustein 1 – Der Bildungsauftrag Brandenburgischer Horte – non-formale Bildung für jedes Kind

18

B Horterzieher*innen setzen den Bildungsauftrag um

14 Lothar Krappmann, a.o.O.15 Jörg Ramseger, a.o.O.

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Das Organisieren des Alltags im Hort

Ein (recht großer) Teil der pädagogischen Arbeit istArbeit mit anderen Erwachsenen, ein weiterer Teil istdas Organisieren des Alltags. Dahinter stecken zweiAbsichten. Ein durchdacht organisierter Tag unter-stützt die Selbsttätigkeit der Kinder und ihre Eigen-verantwortung. Je mehr die Kinder selbst erledigenkönnen, je weniger wird eine Horterzieher*in ge-braucht. Sie kann sich anderem zuwenden. Frei nachMaria Montessori: »Hilf mir, es selbst zu tun!« Vor-zugsweise werden die häufig wiederkehrenden Ele-mente des Tages entsprechend organisiert. Meist sindes sogenannte Ernstsituationen, in denen nicht nurgeübt, sondern tatsächlich etwas vollzogen und da-mit praktisch entschieden wird: Essen, Erholen, Haus-aufgaben … Die Kinder sind in diesen Situationendabei, d.h., sie sind beteiligt im eigentlichen und imübertragenen Sinne. Solche Situationen – wie sieorganisiert werden – können daher mit den Kindernschon vorbereitend gestaltet werden; unmittelbarausgestaltet werden sie durch die anwesenden Kin-der sowieso. Dies ist ein Beispiel dafür, dass die Bil-dungsmöglichkeiten im Hort von und mit den Kin-dern gestaltet werden, nicht für sie.

Beteiligung ist keine abstrakte Forderung. Angebotemuss man ablehnen dürfen, sonst sind es keine. DieFreiwilligkeit muss beachtet werden. Kinder könnenselbsttätig werden, sich beteiligen und eigenverant-wortlich entscheiden – das muss auch für das Nichts-tun gelten. Wenn allerdings ein Kind dauerhaft keineVerantwortung für sich übernimmt und nicht aktivwird, hat dies mindestens einen Grund. Den heraus-zubekommen ist ein erster Schritt für weiteres Erzie-her*in handeln, aber wie? Pädagogische Fachlichkeitverbietet das Prinzip von Versuch und Irrtum. Alsanerkanntes Instrument stehen den Erzieher*innenhingegen Beobachtungen zur Verfügung:

»Eine Voraussetzung, damit Erzieher*innen die Kin-der bei der Entfaltung ihrer Kräfte unterstützen kön-nen, ist eine regelmäßige Entwicklungsbeobachtung.

Denn nur wenn die Erzieher*in den Entwicklungs-stand der Kinder kennt, kann sie entwicklungsange-messene Förderangebote machen. Ein solcher, aufdie Interessen, Bedarfe und Stärken des einzelnenKindes gerichteter Blick gilt heute als Grundlage mo-derner Pädagogik in Kindertagesbetreuung wie auchin der Grundschule (vgl. die Individuelle Lernstands-analyse für die Grundschule ILeA).«16

Mit den fünf zuvor fettgedruckten Merkpunkten kön-nen Horterzieher*innen praktisch umgehen, z.B. mitden Kindern und Eltern reden, mit ihnen ins Gesprächkommen:

»Es ist die Stärke des Horts ...• Eltern anzusprechen, aufzuklären und zu ermuti-

gen und das Gespräch zwischen Eltern und Kin-dern zu stärken;

• die Themen der Schule zu ergänzen, indem dieFragen, Ängste und Sehnsüchte der Kinder aufge-griffen werden;

• die Kinder untereinander zu unterstützen, sich zu-zuhören und die Sichtweisen und Erwartungen deranderen ernst zu nehmen;

• mit den Kindern zu erkunden, was fair, gerechtund rücksichtsvoll ist und an welche Regeln undGrenzen man sich halten soll; sowie

• die Medien als Teil ihrer Realität anzuerkennenund das, was sie in Kinderzimmer und Gehirnespülen, mit ihnen zu bearbeiten.«17

In ihrem Team besprechen Horterzieher*innen ihreBeobachtungen, ihre Erfahrungen und die Wünscheder Kinder. Sie überlegen gemeinsam, welche Ange-bote sie den Kindern vorschlagen wollen und für wel-che Ideen der Kinder sie Vorbereitungen treffen.Regelmäßige pädagogische Besprechungen und Be-ratungen werden ergänzt durch Fortbildungen für dasgesamte Team und individuelle Teilnahme. Sachthe-men sind ebenso wichtig wie die Reflexion des eige-nen Verhaltens und die Weiterentwicklung der eige-nen Sozialkompetenz.

B Horterzieher*innen setzen den Bildungsauftrag um

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16 Diskowski/Wilms, a.o.O., Erl. 3 zu § 3 KitaG17 Lothar Krappmann, a.o.O.

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Im Gegensatz zu früheren Generationen verbringenheutige Kinder mehr und längere Zeit in Wohnungenund anderen geschützten Bereichen, einschließlichSchulen und Horten. Ganztagsschulen, Horte, Vereineund andere Freizeitangebote, dazu TV und Computer –Kindheit findet häufig in Innenräumen statt, undselbst das Draußensein ist nicht immer so, wie esheißt, weil Wege in Autos und öffentlichen Verkehrs-mitteln zurückgelegt werden. Gemeinsames Merkmalist die Anwesenheit von Erwachsenen. Eine Kindheit –etwa bis zum Ende des Grundschulalters – ohne per-manenten Kontakt mit Erwachsenen ist selten gewor-den. Maßgeblichen Anteil daran haben Schutzgedan-ken, z.B. vor den Gefahren des Straßenverkehrs, Bil-dungsinteressen und auch die Bequemlichkeit derErwachsenen. Eine neue Gefahr erwächst den Kin-dern durch mehr Absicherung: die Welt außerhalb derEinrichtungen bleibt ihnen fremd.

Die Kinder wachsen in umbauten und umzäunten Räu-men auf und gewöhnen sich an die Präsenz von Er-wachsenen. Wie frühere Generationen sollen sie aberebenso die Chance haben, selbstständig zu werden,eigenverantwortlich und gemeinschaftsfähig. Auch siebrauchen Räume für sich, allein und mit den Gleichalt-rigen. Was früheren Generationen »naturwüchsig« zurVerfügung stand, trug viel zu Selbstständigkeit, Pla-nungsfähigkeit, Neugierverhalten und Auseinanderset-zungsfähigkeit bei. Diese Feststellung bedarf keinesnostalgiegetrübten Blickes, sie beruht auf Analysender Kindheitsforschung und folgt dem neueren Bil-dungsverständnis über die Kompetenzen von Kindern.

Institutionen für Kinder: Schutz, Anregung undEinschränkung

Die Institutionen für Kindheit, besonders der Hortdurch seinen Bildungsauftrag, kommen in Zwiespalt.Sie betreuen und schützen Kinder, sollen aber Selbst-ständigkeit fördern. Wenn nicht aktiv dagegen gear-beitet wird, tragen sie zur Domestizierung (Verhäusli-chung) der Kinder bei, allein dadurch, dass es siegibt. Kinder geraten deswegen in Gefahr, dass ihnennotwendige Erfahrungen versagt werden; solche, diefür ihre spätere Lebensführung nützlich wären, und

solche, die ihnen jetzt schon von Vorteil wären. Einzu durchgestaltetes, von Erwachsenen vorstrukturier-tes Leben birgt die Gefahr, dass Kinder nicht mehrerproben können, wie sie selbst sinnvoll mit ihrerZeit umgehen können und wollen. Sie lernen nicht,mit Langeweile umzugehen. Sie lernen – zumindestvielleicht – die Zeitmuster der sie umgebendenErwachsenen anzunehmen oder zu kopieren, zu sichselbst finden sie darüber nur schwer.

»Ganztägige Erziehung in Schule und Hort ist nur inso-weit zu legitimieren, als sie das Leben und die Erfah-rungen der Kinder bereichert, ihre Selbstständigkeits-entwicklung unterstützt und ihre Sozialität fördert.«18

Die Kinder selbst können nicht wissen, was sie ver-loren haben, weil es ihnen nie zur Verfügung stand.Hier setzt die Verantwortung der Erwachsenen an.Eltern und Horterzieher*innen können sich daraufeinigen, dass den Kindern die vorhandenen Räumeund Zeiten nicht weiter beschnitten werden. Gemein-sam können sie erarbeiten, was von dem Draußen fürihre Kinder konkret gerettet werden muss, damit siein ihrem verfügbaren Umfeld die damit zusammen-hängenden Erfahrungen machen können. Wenn dasbloße zur Verfügung stellen nicht reicht, ist zu fragen,wie die Kinder herangeführt werden können. Undmanchmal wird man sich auch darauf verständigen,dass Freiräume entgegen dem allgemeinen Trend neueröffnet werden müssen.

Die Zeit läuft für oder gegen die Kinder. Der relativeSchutz durch die Sicherheit im Hort endet früher oderspäter. Das bloße Alter des Kindes ist kein ausrei-chender Ersatz; es muss Erfahrungen machen kön-nen, mit denen es Kompetenzen erwirbt, die es spä-ter braucht. Wie können Erfahrungen organisiert wer-den, damit Hortkinder sie sich aneignen? Zuvor abermuss die Frage diskutiert und (vorläufig) entschiedenwerden, welche Erfahrungen notwendig sind. DieserHortbaustein stellt zur Diskussion:

Das Maß der gebotenen und anzustrebenden Selbst-ständigkeit – Eigenverantwortung und Gemeinschafts-fähigkeit – einschließlich der lebenspraktischen Kom-petenzen soll sich mindestens an dem bemessen,

Baustein 1 – Der Bildungsauftrag Brandenburgischer Horte – non-formale Bildung für jedes Kind

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C Kindheit heute und (Bildungs-)Möglichkeiten für Kinder

18 Jörg Ramseger, a.o.O.

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was ein Kind im ersten Jahr nach dem Ende des Hort-besuchs voraussichtlich an Entwicklungsaufgaben kon-kret zu bewältigen hat.

Die folgenden Ausführungen sind darauf ausgerichtet.

Selbsttätigkeit und Eigenverantwortung im Hort

Im Hort werden Kinder durch Orientierung und Be-gleitung im Prozess der Selbstwerdung unterstützt.Dies gilt ebenfalls für das Hineinwachsen in diesoziale Lebenswelt des Hortes selbst. Deshalb treffensie (bereits als Hortanfänger*innen) auf einen Tages-ablauf, in dem sie jeden Tag Zeit haben für Selbsttä-tigkeit drinnen und draußen, im Blickkontakt derErzieher*in und auch außerhalb dessen. Trotz sol-chen Freiraums muss der Tagesablauf im Zusammen-wirken zwischen Kindern und Erzieher*innen grund-sätzlich in seinen Abläufen gestaltbar bleiben.

Den Hortkindern steht es frei, ihren individuellen Be-dürfnissen und Lerninteressen eigenständig nachzu-gehen, solange sie weder sich noch andere dadurch

einschränken oder gefährden. Sie können ihre Zeit invon ihnen bevorzugten Spielgruppen selbst gestalten.

• Die Räume geben den Kindern Anreize und Orien-tierung für unterschiedliche Aktivitäten, z.B. nachgroßräumiger Bewegung, nach Ruhe, Lesen undRückzug, nach kreativem Gestalten, zum Konstru-ieren und Bauen, zum Verkleiden/Schminken undfür Rollenspiele und ihre jeweils aktuellen Interes-sen, die sie von »außerhalb« mitbringen.

• Es gibt einen Platz für die Erledigung der Hausauf-gaben, an dem ein Kind nicht nur die benötigtenMittel, sondern auch anregendes Arbeitsmaterialfindet. Einen Platz, an dem es gern arbeiten kannals Voraussetzung dafür, dass jedes Kind seinenArbeitsmöglichkeiten möglichst weitgehend selbst-ständig nachgehen kann. Auch erfahren die Kinder,dass Bildung im Hort, im engeren Sinne Lernen imHort, nicht auf die Ausführung der Hausaufgabenbeschränkt sein muss.

• So finden sie Möglichkeiten vor, ihren Wissens-durst und ihre Experimentierfreude zu befriedigen:Sie sehen sich ermuntert, Themen in Projekten zubearbeiten, Formen entdeckenden Lernens auszu-

C Kindheit heute und (Bildungs-)Möglichkeiten für Kinder

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probieren und mit ihren Fragen an die Welt aufForschungsreise zu gehen. Sie erfahren, dass ihreFragen mit Projekten beantwortet werden können,die ihnen zugleich bei der Bewältigung ihrer Le-benssituation helfen. Sie entscheiden, ob sie inselbstgewählten Kleingruppen oder allein ihrenSpiel- und Lernbedürfnissen und Aktivitäten nach-gehen. Die Kinder erleben Ideen und Angebote derErzieher*innen als Anregungen, die sie nicht zuAdressaten von Beschäftigungen machen; sie blei-ben Subjekt ihres individuellen Bildungs- und Ent-wicklungsprozesses.

Was Kinder ebenfalls erfahren, ist die Beachtung, dieihnen ihre Erzieher*in, das ist die möglichst von ih-nen gewählte, bevorzugte Beziehungsperson, schenkt.Durch Beobachtung und regelmäßige Gespräche (zuzweit), erfährt die Erzieher*in, was das Kind bewegt,und lässt das Kind erfahren, was sie selbst in Bezugauf das Kind bewegt.

• Im Außengelände finden die Kinder Anreize für un-terschiedliche Tätigkeiten, z.B. Wasser und Sand,eine Feuerstelle, Wege für Fahrzeuge, Bauelemen-te und (Garten-)Werkzeuge, Schaukeln, Ballspiele,

Rückzugsräume u.a. Sollte etwas nicht einzurich-ten sein, aber von ihnen gewünscht werden, su-chen Kinder und Erzieher*innen gemeinsam nachentsprechenden Möglichkeiten, auch außerhalbdes Hortes.

• Das Materialangebot ist für alle Kinder sichtbar,offen zugänglich und geordnet, so dass Impulsefür Selbsttätigkeit auch vom Material heraus ent-stehen. Es gibt Material für die unterschiedlichenAlters- und Entwicklungsstufen. Vorzufinden sindMaterialien, Geräte und Instrumente für Musik,Gestaltung und Werken, für Bewegung in Form vonEinzel- und Gruppenspielen, mit oder ohne Gerät-schaften, für Tanz und sportlichen Wettkampf.

• Zur Übung ihrer kommunikativen Kompetenzenkönnen die Kinder auch Möglichkeiten nutzen, dieihnen außerhalb des Hortes zur Verfügung stehen,z.B. ein eigenes Handy, MP3-Player. Zur Erweite-rung dieser Kompetenzen erkunden sie mit ihrenErzieher*innen die Möglichkeiten »alter und neuerMedien« zu kreativer Gestaltung, zu kultureller Nut-zung und zur Erweiterung technischen Verständnis-ses (Medienkompetenz). Hortzeitungen, Blogs undBesprechungen mit oder ohne Delegiertensystemkönnten solche Formen sein.

Baustein 1 – Der Bildungsauftrag Brandenburgischer Horte – non-formale Bildung für jedes Kind

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Selbsttätigkeit und Eigenverantwortung über denHort hinaus

»Über den Hort hinaus« kann für ein Kind in zweiDimensionen attraktiv sein. Kurzfristig sind damit alleAktionsmöglichkeiten gemeint, die es außerhalb wahr-nehmen kann, etwa einen Freund bzw. eine Freundinbesuchen oder diese einladen, in die Bibliothek odereinen Verein gehen, Eis essen. Mit Blick auf die Zeitnach dem Hort, gehören dazu bereits die genanntenAktivitäten, doch auch schwierigere, die gegebenen-falls anzubahnen bzw. erst vorzubereiten sind –zumindest dann, wenn das Kind sich selbst noch un-sicher fühlt.

Auch nach dem Ende des Hortalters müssen KinderHausaufgaben erledigen. Sie erfahren im Hort – vonAnfang an – dass sie selbst dafür verantwortlich sind.Sie werden nicht gezwungen, ihre Hausaufgaben rich-tig und vollständig zu erledigen. In den ersten Jahrenist ein eventuelles Versäumnis ja tatsächlich relativfolgenlos. So erfährt es die Konsequenzen aus sei-nem Tun oder Nichttun und erfährt, dass seine Ent-scheidung genauso wichtig ist, wie die eines Kindes,das den Hort nicht besucht. Auch Hortkinder benöti-gen die entsprechende Erfahrung, um selbst Verant-wortung positiv zu übernehmen.

• Weil die Umwelterfahrungen von Kindern heutzutageeher eingeschränkt sind, können sie manche Inte-ressen nicht entwickeln. Sie benötigen Erzieher*in-nen, die mit ihnen die nähere und weitere Umge-bung mit den vorhandenen Angeboten erkundenund ihnen verfügbar machen. Zu denken ist in ers-ter Linie an Kino- und Theaterbesuche, Spielplätzeund alle Orte, von denen sie sonst abgeschnittensind, die jedoch anderen Kindern aufgrund ihrerLebensumstände – wünschenswert – zur Verfü-gung stehen.

• Um sich auf die Zeit nach dem Hort vorbereiten zukönnen, benötigen Kinder Möglichkeiten, die Gren-zen der Institution zu überschreiten. Das Rausge-hen war bereits beispielgebend, doch wirken auchnicht so offensichtliche Einschränkungen durch dieInstitution. Ein Problem von Hortkindern liegt da-rin, dass sie leicht aus sogenannten Verabredungs-netzwerken herausfallen, deshalb können sie beieiner Lösung unterstützt werden. Eine Variantedieses Problems ist, dass die Kinder, die keinHandy besitzen und ihre Freundschaften außerhalbnicht so pflegen können, wie es mittlerweile üblichist, per Anruf oder SMS. Mit einem ihnen verfüg-baren Telefon- und Internetzugang im Hort kanndem abgeholfen werden. Sind die Verabredungengetätigt, müssen Hortkinder sie einhalten können.Freund*innen müssen zu Besuch kommen oder sieselbst rausgehen dürfen – nicht immer vielleicht,aber doch nicht viel eingeschränkter als zu Hause.

• In der Zeit nach dem Hortalter müssen Kinder inder Lage sein, sich selbst zu beköstigen ohnezwangsläufig auf Fastfood angewiesen zu sein.Täglich verfügbare Kochgelegenheiten – zumindestfür Kleingruppen – können langfristig zum Erwerbdieser Kompetenz beitragen. Daneben erfahren dieKinder, dass man durchaus Alternativen hat, wenndas Essen mal gar nicht schmeckt.

So wichtig die Erzieher*in beim Eintritt eines Kindesin den Hort als Beziehungsperson, als Orientierungund als Sicherheit ist, so kommt mit Sicherheit seinTag, an dem es angstfrei sagen will: »Ich brauchekeine Erzieher*in mehr!« Vielleicht tönt dieser Satzzuerst wie Schreckgeläut, besonders wenn er zumbetreffenden Zeitpunkt unerwartet kommt; dochmüssten die Worte eher als Freudenglocken in denOhren einer Erzieher*in klingen: Sie hat den Bil-dungsauftrag des Hortes erfüllt.

C Kindheit heute und (Bildungs-)Möglichkeiten für Kinder

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Die zwei wohl eindringlichsten Gründe für eine Betei-ligung von Kindern liefern uns die Hirnforschung unddie Bildungstheorie, also gerade nicht, wie man den-ken könnte, gesellschaftspolitische Überlegungen.Die Hirnforschung sagt kurz und knapp: Ohne – inne-re – Beteiligung kann der Mensch zwar Vieles lernen,er wird es jedoch wahrscheinlich nicht anwenden,und die Qualität bleibt unter den Möglichkeiten, beiJung und Alt.

Die moderne Bildungstheorie versteht den Prozessder Bildung als Konstruktion19. Sie sagt kurz undknapp, dass Kinder sich ihr Bild von der Welt selbstentwickeln. Sie können nicht gebildet werden, son-dern bilden sich selbst. Selbstbildungsprozesse lau-fen dennoch weder allein noch von allein. Bildung istauch ein sozialer Prozess, der sich in der Auseinan-dersetzung mit anderen Menschen vollzieht. MancheMenschen entwickeln berufsmäßig Bildungsangebotefür Kinder. Nicht alles davon trifft auf deren Interesseoder weckt es, denn »Kinder lernen nicht das, wassie sollen, sondern das, was sie wollen«, sagen dieHirnforscher.

Bildung wird vorrangig als ein Prozess der Auseinan-dersetzung zwischen und mit den daran beteiligtenPersonen angesehen, erst in zweiter Linie als Ausei-nandersetzung mit »einer Sache bzw. einem Thema«.Alle Beteiligten konstruieren sich ihr – gemeinsamesund doch auch unterschiedliches – Verständnis vonder Welt. Der Prozess wird deshalb als Ko-Konstruk-tion bezeichnet.

»Das Gehirn, so lautet die vielleicht wichtigste Er-kenntnis der Hirnforscher, lernt immer, und es lerntdas am besten, was einem Heranwachsenden hilft,sich in der Welt, in die er hineinwächst, zurecht zufinden und die Probleme zu lösen, die sich dort unddabei ergeben. Das Gehirn ist also nicht zum Aus-wendiglernen von Sachverhalten, sondern zum Lösenvon Problemen optimiert. Und da fast alles, was einheranwachsender Mensch lernen kann, innerhalb dessozialen Gefüges und des jeweiligen Kulturkreisesdirekt oder indirekt von anderen Menschen ›bezogenwird‹ und der Gestaltung der Beziehungen zu ande-ren Menschen ›dient‹, wird das Gehirn auch nicht in

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A Beteiligung ist die Grundlage aller pädagogischen Erfolge

Baustein 2Beteiligung von Hortkindern und Gestaltung des Hortalltags

Bildungsprozesse sind nur mit Beteiligung möglich. Eigenverantwortung kommt vor Gemeinschafts-fähigkeit. Gelebte Beteiligung in Alltagssituationen ist wirksamer als formalisierte Beteiligungsver-fahren. Horterzieher*innen müssen klären, was Kinder allein oder mitentscheiden – und auch wel-che Entscheidungen sie sich als Erwachsene vorbehalten. Beteiligung bedeutet für Kinder zunächstdie Sorge um sich selbst. Werden ihre Interessen nicht genügend beachtet, ziehen sie sich in Pas-sivität zurück.

19 Vgl. Laewen, Andres (Hrsg.) Forscher, Künstler, Konstrukteure, Neuwied, Kriftel, Berlin 2002

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erster Linie als Denk-, sondern als Sozialorgan ge-braucht und entsprechend strukturiert.«20

In den Grundsätzen elementarer Bildung steht: »Dieanderen und das Selbst entstehen im sozialen Han-deln«21, also während des Aktivseins, während desDabeiseins, während des Beteiligtseins im direktenund im übertragenen Sinn von Beteiligung.

Beteiligung ist ein vielschichtiger Begriff

Was ist mit »Beteiligung« gemeint? Ist es bloße Teil-nahme oder eine Teilhabe mit Entscheidungsrechten?»Beteiligung« ist ein aktiver Prozess, doch wer voll-zieht ihn und mit wem? Wird man beteiligt oder be-teiligt man sich selbst?

Durch Beteiligung sollen Kinder Verantwortung fürsich selbst und für die Gemeinschaft entwickeln; dasmüssen sie üben, heißt es. Wer genau hinschaut,sieht jedoch, dass bereits sehr junge Kinder verant-wortlich mit sich selbst umgehen. Sie versuchen auchschon frühzeitig, soziale Beziehungen aufzubauen undaktiv zu gestalten. Bei »Beteiligung« darf daher nichtsofort und ausschließlich an ihre formalisierten For-men gedacht werden, wozu wahrscheinlich die oftbeschriebene Verbindung von »Beteiligung und De-mokratie« beiträgt.

»Beteiligung ist manchmal auch ein Element einesformellen Verfahrens, Klassenrat, Kinderkonferenz,Schülersprecher. Vorher und zuerst ist Beteiligungjedoch: Mit dem Kind reden, Zuhören, dem, was essagt, Gewicht geben.«22

Noch einen Gedankentick vorher setzt die Überlegungan, dass man den vitalen Grundbedürfnissen, die dieKinder signalisieren, Achtung schenken muss, sonstverhindert man ihre »innere Beteiligung«. Eigenver-antwortung kann nur weiterentwickelt werden, wenndem Kind die Verantwortung für seinen Körper belas-sen wird, z.B. was und wann es isst und wen es da-bei in seiner Nähe ertragen kann; z.B. wann und inwelcher Form es nach der Schule ausruhen will.Beteiligung beginnt mit der Sorge um sich selbst unddurch das Äußern von Bedürfnissen und Wünschen.

Ein fast ebenso mächtiger Lehrer in Sachen »Beteili-gung« ist der Alltag im Hort und wie er gestaltet ist.Hierin eingeschlossen sind die Raumgestaltung, die

zeitlichen Strukturen, das Material, die Erledigungder Hausaufgaben und die Umgangsformen. Müssendie Kinder z.B. um Erlaubnis fragen, wenn sie insAußengelände gehen oder gar den Hort verlassen?Oder reicht es, wenn sie Bescheid sagen, dass sie ge-hen? Für alle Lernprozesse ist zu beachten:

»Vom frühen Kindesalter bis in späte Lebenspha-sen gilt, dass Lernprozesse umso effektiver sind, jemehr sich Inhalte mit eigenen Interessen decken, jemehr sie mit Handlungen verbunden sind und dieLerner emotional beteiligt sind. Die Bildungseinrich-tungen haben unterschiedliche Möglichkeiten, dies inihren Lernarrangements zu berücksichtigen. Je mehres ihnen aber gelingt, umso nachhaltiger sind dieLernerfolge.«23

Deshalb sind die unbeabsichtigten Effekte häufigwirksamer als die wohlüberlegt angesteuerten päda-gogischen Ziele und Methoden.

Formelle Beteiligungsverfahren

Jedes formelle Beteiligungsverfahren ist gegen dieunmittelbaren täglichen Erfahrungen im Nachteil. Kin-derkonferenzen z.B. finden wöchentlich oder monat-lich statt. Sie erfordern Geduld, Ausdauer und Einord-nung, also genau das, was mit ihnen erst geübt wer-den soll. Das Gleiche gilt für das Sprachvermögen unddie verbale Durchsetzungsfähigkeit. Nicht alle Erwach-senen reden gern in Versammlungen, nicht alle Erzie-her*innen äußern sich in Dienstberatungen gleich oft.Wer sich verbal ausdrücken kann, kann sich an Dis-kussionen beteiligen. Und die anderen? Es ist gut,wenn nonverbale Alternativen zur Verfügung stehen.

Trotzdem sind die formellen Verfahren nicht überflüs-sig. Es muss nur sorgfältig darauf geachtet werden,wann, wofür und in welcher Form sie nützlich sind.Um bei dem Beispiel einer Kinderkonferenz zu blei-ben, kann sie, wenn die Abläufe und Verfahren ent-sprechend organisiert sind, als eine Demokratie för-dernde Institution in Kindertageseinrichtungen ihrenPlatz haben. Zu beachten ist die Form, d.h. vor allemob es eine Veranstaltung ist, an der alle Kinder teil-nehmen müssen oder nicht. Zum einen würde einZwang zur Teilnahme erheblich mit dem Recht aufBeteiligung kollidieren. Zum anderen ist zu beden-ken, dass unsere bundesrepublikanische Gesellschaftnach dem Prinzip der repräsentativen Demokratiearbeitet, eine Kinderkonferenz aber meist als Basis-

Baustein 2 – Beteiligung von Hortkindern und Gestaltung des Hortalltags

26

20 Gerald Hüther: »Verschaltungen im Gestrüpp: kindliche Hirnentwicklung«; 2012; am besten unter:http://www.bpb.de/apuz/136763/verschaltungen-im-gestruepp-kindliche-hirnentwicklung?p=all

21 Ebd. S. 2622 Lothar Krappmann, a.a.O.23 GOrBiKs S. 14

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demokratie organisiert ist. Die parlamentarische Formkann nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier unter-schiedliche Demokratiekonzepte in der Praxis wirken.

Beteiligung ist Anteil an Entscheidungsmacht

Eigenverantwortung (z.B. als Selbstständigkeit undEigensinn) und Gemeinschaftsfähigkeit (z.B. als Ver-antwortung und Rücksicht) sind zentrale Werte unddemokratische Ziele. Demokratische Erziehung sollWiderstandskraft gegen Missbrauch von Autorität ver-mitteln. Das funktioniert nicht durch Belehrung, son-dern durch die Erfahrung, dass der eigene Wille res-pektiert wird.

Das Konzept der wechselseitigen Anerkennung24 istein theoretischer Rahmen, der nachvollziehen lässt, wiesich Rechtsbewusstsein und Persönlichkeit entwickeln.Kinder benötigen die Anerkennung von Erwachsenen,dass sie in Alltagsfragen entscheiden können; auchund gerade dann, wenn sich die Erwachsenen in derkonkreten Situation anders entscheiden würden.Diese Anerkennung fördert Handlungskompetenz.Befragungen von Hortkindern zeigen demgegenüber,dass Erwachsene sich zu früh und – aus der Sicht derKinder – einseitig regulierend in Streitigkeiten einmi-schen.

Beim Thema Beteiligung geht es um den Umgang mitMacht und Mächtigen oder den Umgang mit Schwä-che und Schwächeren, auch um den Umgang mitMehrheit und mit Minderheiten. Beide im Hort Betei-ligten sind angesprochen: wie geht die Erzieher*inmit ihrer Macht um und wie tun dies die Kinder? Kön-nen sie erfahren, dass es sich lohnt, für eigene unddie Interessen anderer aktiv einzutreten oder gewin-nen eher Resignation und Bequemlichkeit die Ober-hand? Begründungen gibt es für beide Seiten. Dieöffentliche Erziehung ist jedoch einer demokratischenErziehung verpflichtet. Hierfür bedarf es einer ent-sprechenden pädagogischen Konzeption und durch-dachter Regeln für Mitbestimmung und Mitgestal-tung. Wechselseitige Anerkennung ist geboten imUmgang mit Eltern. Wie Eltern am Hortgeschehen teil-haben (dürfen), hat Modellwirkung für die Kinder. Sielernen durch Anschauung, wie glaubhaft, sinnvoll undnützlich Beteiligung im späteren Leben ist.

Beteiligung von Kindern gehört zu den Rechtspflichten von Erzieher*innen

Unser Grundgesetz gesteht niemandem Rechte übereinen anderen zu, die nicht zugleich pflichtgebundensind und die Menschenwürde des anderen respektie-ren. Es bedurfte einer Entscheidung des Bundesver-fassungsgerichts zur Feststellung, dass auch Kinderund Jugendliche eigenständige Träger der Grundrech-te sind. Die grundgesetzlich geschützte Verantwor-tung von Eltern findet ihre Rechtfertigung (und ihreGrenze) darin, dem Kind den Schutz zu gewähren,den es braucht, um sich zu einer eigenverantwortli-chen Persönlichkeit als Teil unserer Gesellschaft zuentwickeln. Elternrechte sind daher kein Selbstzweck;rechtmäßig sind sie nur, wenn sie das Schutzbedürf-nis des Kindes verwirklichen UND sein Grundrecht auffreie Entfaltung achten.

Weil die Befugnis zur Erziehung von Kindern in Ta-geseinrichtungen letztlich nur auf der Elternverant-wortung fußt, gilt für die dort tätigen Fachkräfte die-selbe Verpflichtung.

Alle Gesetze in der Bundesrepublik Deutschland sinddem Grundgesetz untergeordnet und müssen mit ihmvereinbar sein. Einige wichtige Auszüge werden nunfür den Baustein »Beteiligung« herangezogen und inihrer praktischen Bedeutung erläutert.

Zum Verhältnis von Eltern zu ihren Kindern beispiels-weise steht im Bürgerlichen Gesetzbuch

»Bei der Pflege und Erziehung berücksichtigen dieEltern die wachsende Fähigkeit und das wachsendeBedürfnis des Kindes zu selbstständigem verantwor-tungsbewusstem Handeln. Sie besprechen mit demKind, soweit es nach dessen Entwicklungsstand an-gezeigt ist, Fragen der elterlichen Sorge und strebenEinvernehmen an.« (§ 1626 Abs. 2 BGB)

Für Pädagog*innen bietet dieser Paragraph kaumneue Erkenntnisse, wohl jedoch Bestätigung. Dass dieFähigkeiten und Bedürfnisse mit der Entwicklung vonKindern wachsen und dass Eltern (Erziehungsberech-tigte) daran ihr Handeln orientieren, wenn sie Erfolghaben wollen, mag kaum überraschen. Eher schondie Tatsache, dass so etwas gesetzlich fixiert ist oderdass dieses Fachwissen zum Allgemeingut gehört.Jedenfalls folgt daraus, dass autoritäre Erziehungs-methoden nicht zeitgemäß sind. Die Zustimmung derKinder zu den sie betreffenden Angelegenheiten soll –zumindest – angestrebt werden.

A Beteiligung ist die Grundlagen aller pädagogischen Erfolge

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24 Hans Rudolf Leu: »Zum Konzept der wechselseitigen Anerkennung«, MBJS Brandenburg. Dokumentation der Tagung Auf dem Weg zueinem Bildungsauftrag von Kindertageseinrichtungen, Potsdam 1998

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Im Sozialgesetzbuch VIII (Kinder- und Jugendhilfege-setz) wird für die Kinder- und Jugendhilfe daran ange-knüpft. Zum einen werden die Erziehungsziele »Eigen-verantwortlichkeit und Gemeinschaftsfähigkeit« bereitsim § 1 Abs. 1 bestätigt. Zum anderen werden dieElternrechte gleich anschließend im zweiten Absatzim Wortlaut des Grundgesetzes wiederholt. Und drit-tens werden in § 22 Abs. 2 und 3 SGB VIII die Ziele»Eigenverantwortlichkeit und Gemeinschaftsfähigkeit«nochmals wiederholt und die pädagogische Arbeits-weise »Anknüpfen an Alter, Entwicklungsstand,Fähigkeiten, Lebenssituation, Interessen und Bedürf-nissen jedes einzelnen Kindes« bekräftigt.

Das Brandenburgische Kita-Gesetz folgt dem SGB VIIIund präzisiert es in § 3 Abs. 2 KitaG:

»Kindertagesstätten haben insbesondere die Auf-gabe … 3. die Eigenverantwortlichkeit und Gemeinschaftsfä-higkeit der Kinder zu stärken, unter anderem durcheine alters- und entwicklungsgemäße Beteiligung anEntscheidungen in der Einrichtung... 6. das gleichberechtigte, partnerschaftliche, sozialeund demokratische Miteinander sowie das Zusam-menleben von Kindern mit und ohne Behinderungenzu fördern ...«

Der Hort ist im Land Brandenburg eine Kindertagesein-richtung mit dem Auftrag der »Erziehung, Bildung, Be-treuung und Versorgung von Kindern im Grundschulal-ter«. Deshalb müssen hier kurz zwei weitere Landes-gesetze erwähnt werden: Die Landesverfassung und dasSchulgesetz. Inhaltlich werden den bereits genanntenGesetzen kaum neue Inhalte zugefügt. Entscheidenderist vielmehr, dass die Entwicklung der Persönlichkeit,dass Selbstständigkeit, Demokratie und Freiheit sowieVerantwortung für andere Verfassungsrang haben, alsooberste Priorität im Alltag von Bildungseinrichtungengenießen müssten. Im Artikel 28 der Verfassung desLandes Brandenburg sind die Grundsätze der Erzie-hung und Bildung nachzulesen:

»Erziehung und Bildung haben die Aufgabe, dieEntwicklung der Persönlichkeit, selbstständiges Den-ken und Handeln, Achtung vor der Würde, dem Glau-ben und den Überzeugungen anderer, Anerkennungder Demokratie und Freiheit, den Willen zu sozialerGerechtigkeit, die Friedfertigkeit und Solidarität imZusammenleben der Kulturen und Völker und dieVerantwortung für Natur und Umwelt zu fördern.«

Für Schulen gelten diese Bestimmungen ebenso, wasfür sich genommen schon ein Grund ist für eineZusammenarbeit zwischen Hort und Schule in SachenBeteiligung. Vollends klar werden die Gemeinsamkei-

ten durch einen Blick auf die »Ziele und Grundsätzeder Erziehung und Bildung« im § 4 Abs. 1 des Bran-denburgischen Schulgesetzes (BbgSchulG):

»Die Schule trägt als Stätte des Lernens, desLebens und der Tätigkeit von Kindern und Jugendli-chen bei zur Achtung und Verwirklichung der Werte-ordnung des Grundgesetzes und der Verfassung desLandes Brandenburg und erfüllt die in Artikel 28 derVerfassung des Landes Brandenburg niedergelegtenAufgaben von Erziehung und Bildung.«

Die Landesverfassung ist das Grundgesetz des Lan-des Brandenburg, doch geht ihr das Grundgesetz derBundesrepublik Deutschland vor, und die Rechtspre-chung ist insgesamt an das Bundesrecht gebunden(Artikel 2 Abs. 5 BbgVerf ). Es ist gleichwohl wichtigzu wissen, was im Artikel 27 Abs. 4 steht:

»Kindern und Jugendlichen ist durch Gesetz eineRechtsstellung einzuräumen, die ihrer wachsendenEinsichtsfähigkeit durch die Anerkennung zunehmen-der Selbstständigkeit gerecht wird.«

Die Zusammenstellung all dieser Gesetzestexte ver-deutlicht, dass Horterzieher*innen ebenso wie Leh-rer*innen über gewichtige, nicht zu ignorierendeBegründungen für ihr auf Beteiligung ausgerichtetespädagogisches Handeln verfügen. Sie werden dadurchund durch die gleichfalls wichtige UN-Kinderrechts-konvention gestärkt.

Am 5. April 1992 ist das Übereinkommen der Verein-ten Nationen über die Rechte des Kindes (UN-Kinder-rechtskonvention) in Kraft getreten. Zuvor hatten ihmder Deutschen Bundestag und der Bundesrat zuge-stimmt. Die Konvention betont in mehreren Artikelndas Recht von Kindern, an sie betreffenden Entschei-dungen beteiligt zu werden, so in• Artikel 12 Recht auf Meinungsäußerung:

»Die Vertragsstaaten sichern dem Kind, das fähig ist,sich eine eigene Meinung zu bilden, das Recht zu,diese Meinung in allen das Kind berührenden Ange-legenheiten frei zu äußern, und berücksichtigen dieMeinung des Kindes angemessen und entsprechendseinem Alter und seiner Reife.« (Absatz 1)

• Artikel 13 Recht auf Meinungs- und Informations-freiheit:»Das Kind hat das Recht auf freie Meinungsäuße-rung ...« (Absatz 1)

• Artikel 15 Recht der Kinder auf Versammlungsfrei-heit:»(1) Die Vertragsstaaten erkennen das Recht desKindes an, sich frei mit anderen zusammenzu-schließen und sich friedlich zu versammeln.(2) Die Ausübung dieses Rechts darf keinen ande-ren als den gesetzlich vorgesehenen Einschrän-

Baustein 2 – Beteiligung von Hortkindern und Gestaltung des Hortalltags

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kungen unterworfen werden, die in einer demokra-tischen Gesellschaft … notwendig sind.«

In Artikel 29 stehen umfassende Bildungsziele. DiePersönlichkeit, die Begabungen sowie die geistigenund körperlichen Fähigkeiten der Kinder sollen zurEntfaltung gebracht werden. Kinder sollen außerdemdie Menschenrechte, die Grundfreiheiten und dieGrundsätze der Charta der Vereinten Nationen achtensowie ein verantwortungsbewusstes Leben in einerfreien Gesellschaft führen können.

Eigenverantwortung und Gemeinsinn bedingeneinander

In allen Rechtsquellen geht es um die gegenseitigeBedingung von Eigenverantwortung und Gemeinsinn.Das eine geht nicht ohne das andere. Die Eigenstän-digkeit jedes Menschen ist sozial eingebettet. Eigen-verantwortung (und eigene Freiheit) haben im Gemein-wohl ihre Grenze und Orientierung. Im Geist des Grund-

gesetzes bedeutet dies, dass der einzelne in mög-lichst weitem Umfang an den Entscheidungen für dieGesamtheit mitwirken soll. Dabei ist unstrittig, dassdem Gemeinwohl nur dann gedient werden kann,wenn eigenverantwortliche Entscheidungsmöglichkei-ten gesichert sind, denn Eigenverantwortlichkeitkann sich nur in einem Raum entwickeln, der nichtentmündigt.

Aus den Quellen der Rechtsvorschriften zur Beteili-gung von Eltern in Kindertageseinrichtungen wird stell-vertretend §4 Abs 2 Satz 1 KitaG zitiert. Dort wirdnicht vergessen, dass auch Erzieher*innen die Erfah-rung der Beteiligung machen müssen, um glaubhaftderen Wert vermitteln zu können:

»Die demokratische Erziehung der Kinder setztdie Beteiligung von Eltern und sonstigen Erzie-hungsberechtigten und Erziehern und Erzieherinnenan allen wesentlichen Entscheidungen der Tages-stätten voraus und verlangt das demokratischeZusammenwirken aller Beteiligten.«

Für die Planung und Durchführung der alltäglichenpädagogischen Arbeit sollen einige Handlungsmaxi-men anstelle einer mehr oder weniger umfangreichenListe von einzelnen Aktionen zur Orientierung dienen.

Einen Leitsatz entwickeln

Horterzieher*innen können sich beispielsweise denSatz »Beteiligung ist das Lebenselixier von Entwick-lung und Bildung«25 als Leitidee zu eigen machenund mit diesem Maßstab den Alltag in ihrer Einrich-tung daraufhin untersuchen, ob und wo sie die Ent-wicklung und Bildung von Kindern fördern können,indem sie mehr Beteiligung ermöglichen. Dies ist denk-bar unter zwei Konstellationen: erstens könnten vor-handene Einschränkungen abgebaut, zweitens könn-ten vorhandene Handlungsmöglichkeiten der Kindererweitert werden. Häufiger Grund für zu geringe Selbst-bestimmungs-, Mitbestimmungs- und Mitwirkungsgele-genheiten ist die Angst, etwas könnte schiefgehenoder die Kinder würden nicht mit den Entscheidungs-freiheiten umgehen können.

Dem ist entgegen zu halten, dass in diesem Fall erstrecht pädagogisches Handeln gefragt wäre und nichtEinschränkung. Eine Sicherheit um den Preis von ein-geschränkter Entwicklung und Bildung ist nur im Fallakuter Gefahr akzeptabel.

Das Prinzip der Freiwilligkeit wahren

Ob Beteiligung ernst gemeint ist, erweist sich in denThemen, zu denen Kinder nach ihren Ansichten ge-fragt werden und bei denen sie das Recht haben mit-zuentscheiden. Mehr noch beweist sich die Ernsthaf-tigkeit, wenn Kindern die Möglichkeit gelassen wird,sich nicht beteiligen zu müssen. Wenn sie sich selbstaktiv entscheiden, passiv zu bleiben, ist im Grundealles in Ordnung.

Beteiligung soll weder Selbstzweck sein, noch Vor-wand oder »pädagogischer Trick«, z.B. Kinder zumEinhalten von Regelungen zu bringen, die überwie-gend der Erzieher*in nutzen. Wer möchte, dass Kin-der Verbote einhalten und Gebote befolgen, muss sichum Folgsamkeit und Akzeptanz bemühen.

B Erzieher*innen klären und gestalten die Beteiligung der Kinder

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B Erzieher*innen klären und gestalten die Beteiligung der Kinder

25 Lothar Krappmann, a.o.O.

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Beteiligung soll Entwicklung und Bildung fördern. Esgeht um die Bereitschaft, um die Fähigkeit und vorallem um die selbstständige Entscheidung, etwas be-ginnen oder ausprobieren zu wollen. In einem weiterenSinn geht es darum, zu den Folgen dieser Entschei-dung zu stehen und sich vielleicht dafür auch länger-fristig zu engagieren. Beteiligung soll aktivieren.

Der Wille zu Aktivität kann unterstellt werden, wennsich ein Kind in seinen Interessen angesprochenfühlt. Kinder sind immer voll und ganz dabei, wennsie ihre Vorstellungen einbringen können und wennihre Kompetenzen sinnvoll – aus ihrer Sicht – für sichselbst und die Gemeinschaft eingesetzt werden. Siespüren den Ernst einer Situation. Für alles, was inihren Augen im Hinblick auf das Erreichen des Er-wachsenenstatus brauchbar erscheint, sind sie Feuerund Flamme. Deshalb helfen sie gern bei Alltagserle-digungen, wie Einkauf, Telefondienst oder Gartenar-beit, solange diese ein Angebot oder eine Bitte zumMitmachen darstellen. Solche Tätigkeiten werden aberdann abgelehnt, wenn die Kinder sich als Hilfskräfteinstrumentalisiert fühlen. Darum ist es wichtig, dass dieErzieher*in klar zwischen einem »Dienst« unterschei-det, dessen Ausführung sie verbindlich einfordert,und einem Angebot, das jedes Kind ablehnen kann.Beteiligung basiert auf dem Prinzip der Freiwilligkeit.

Das (Bildungs-)Potenzial achten

Wer Kindern die Entwicklung zu Selbstverantwortung –hier als »Vorstufe« zur Verantwortung gegenüberanderen gedacht – und zu Gemeinschaftsfähigkeiterleichtern will, tut gut daran, bereits vorhandeneVerantwortung zu erkennen und Entscheidungskom-petenzen anzuerkennen. Auch ist es hilfreich, auf dasBildungspotenzial der jeweiligen Situation zu achten.

Wenn Hortkinder ausdauernd und mit Hingabe strei-ten, kann dies für Kinder wie für Erzieher*innen sehrnervenaufreibend sein. Gleichwohl kann darin ein Ver-such gesehen werden, Freundschaften zu schließenund zu prüfen, einen Standpunkt oder gemeinsameWerte zu entwickeln; Engagement kann erkannt wer-den sowie ein Versuch zu verbaler Einigung. Eherungünstig wäre es nun, mit Blick in die Zukunft er-wachsenengemäßere Formen der Konfliktlösung an-zuregen oder vorzuschlagen. Ungünstiger noch wäre,mit einem eigenen Vorschlag zum Konflikt aufzuwar-ten. Nach Ansicht von Kindern greifen Erwachsene inder Regel zu früh, also vorschnell, und zu dirigistischein. Kinder brauchen Zeit zum Üben und solange ein

Streit nicht in Gewalttätigkeit eskaliert oder dasStreitverhalten dauerhaft auf einen zu geringen Ent-wicklungsstand zurückgefallen verharrt, ist im Grun-de alles in Ordnung und auf gutem Weg.26 Jedes Ein-greifen seitens der Erzieher*in würde die Gefahr derEinmischung bergen und damit sich entwickelnde Kom-petenzen und Bildungspotenziale beschneiden.

In der Konsequenz läuft es darauf hinaus, den Mut zuentwickeln oder zu bewahren, Verantwortung wirklichdort zu belassen, wo sie hingehört. Erzieher*innenhaben (wie Eltern) beispielsweise die Verantwortungfür die Qualität einer Esssituation, die Stimmung unddie Esskultur. Kinder haben die Verantwortung fürihren Hunger, ihren Geschmack und ihr Verhalten.27

Erzieher*innen, die in den Verantwortungsbereich derKinder hineinregieren, indem sie z.B. Probierhappenanordnen, wirken den allgemeinen Erziehungszielenentgegen.

In Handlungsorientierungen ausgedrückt, tragen Er-wachsene für den Rahmen – das sogenannte Setting– Verantwortung. Kinder tragen die Verantwortung fürihr Tun in diesem Rahmen, bis sie ihrem Alter, ihrerEntwicklung und ihrem Verständnis entsprechendmehr Verantwortung übernehmen können.

Orientierung geben durch Verlässlichkeit

Um einen verlässlichen Rahmen zu schaffen, werdendie Rechte der Kinder in der Hortkonzeption veran-kert einschließlich der Methoden, die die Umsetzungdieser Rechte sichern helfen. Um dorthin zu gelan-gen, sollte das pädagogische Handeln zu diesemBaustein im Team beginnen. Es ist wichtig zu klären,was unter »Beteiligung« verstanden wird. Dazu kannes hilfreich sein, ganz praktisch zu unterscheiden zwi-schen den Bereichen oder Elementen des Hortalltags,• die jedes Kind selbst bestimmen kann,• bei denen Kinder mitbestimmen können,• bei denen Kinder mitwirken können.

Ein Beteiligungskonzept als Diskussionsgrundlage

Je nachdem wie die Diskussion im Team und – an-schließend – mit den Eltern und dem Träger ausfällt,können Teile bereits auch schon mit den Kindern ent-wickelt werden. Es geht darum, für den Normalfalleine Orientierung zu erarbeiten, die es allen Beteilig-ten erlaubt einzuschätzen, wo ihr Entscheidungsspiel-raum beginnt und endet. Beispiele:

Baustein 2 – Beteiligung von Hortkindern und Gestaltung des Hortalltags

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26 Im Baustein »Gleichaltrige« wird näher auf die Notwendigkeit des Streits unter prinzipiell gleichberechtigten Partnern*innen eingegangen. 27 Juul, Jesper: »Was gibt’s heute?«, Beltz Verlag Weinheim und Basel. 2010

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Das Recht auf Selbstbestimmung erstreckt sich fürjedes Kind – vielleicht – auf • die Mahlzeiten: ob es isst, wie viel und mit wem• die Fertigung der Hausaufgaben: wann es sie

macht und in welchem Umfang• die Auswahl der täglichen Aktivitäten: im Hort oder

außerhalb, allein oder nicht, als Angebot der Erzie-her*in oder aus eigener Vorstellung selbst entwi-ckelt ...

Das Recht der Kinder auf Mitbestimmung erstrecktsich – vielleicht – auf • die bevorzugten Umgangsformen im Regelfall und

im Streit• die Koordination gegenläufiger Aktivitäten bei

ungünstigen Räumen, z.B. Ruhe und Konzentrationfür die einen und Musik oder laute Spiele für dieanderen

• die Essensplanung• die Verwendung von finanziellen und anderen Res-

sourcen ...

Mitbestimmung ist Mitentscheidung. Der Prozess derEntscheidungsfindung ist unbedingt in die Überlegun-gen einzubeziehen. Haben Kinder und Erzieher*innenjeweils eine Stimme? Reicht eine einfache Mehrheit fürdiese konkrete Entscheidung? Wie lange dauert dieProbezeit für eine Entscheidung, und wann darf eineEntscheidung wieder in Frage gestellt werden?

Das Recht der Kinder auf Mitwirkung bezieht sich aufBereiche, in denen die Kinder zwar ihre Meinung ein-bringen können, die sich die Erzieher*innen aber zurEntscheidung vorbehalten. Das kann unterschiedlicheGründe haben. Es wird dabei immer um eine Angele-genheit gehen, die den Erzieher*innen besonders

wichtig ist und weshalb dies von ihnen in der Kon-zeption verankert wurde. In einem konfessionellgeführten Hort könnte beispielsweise ein Tischgebetverpflichtend sein, anderswo das Tragen von Haus-schuhen im Hausaufgabenzimmer. Zu solchen Ent-scheidungen müssen die Horterzieher*innen stehenund sie gegebenenfalls durchsetzen. Darum müssensie für Klarheit sorgen, dass und wie etwas so undnicht anders gehandhabt werden soll. Kinder könnensonst diese Entscheidungen nicht befolgen. Als min-deste Anforderung an das Erzieher*innenhandeln bleibt:Jede Entscheidung bedarf der Transparenz durch eineangemessene Begründung.

Wenn im Rahmen der Mitwirkung die Entscheidungenbei den Erzieher*innen liegen, so dürfen diese nichtvergessen, dass sie weiterhin dem Recht der Kinderauf Information verpflichtet sind. »Mindestens die-sem« muss man sagen, denn das Informationsrechtkann immer durch ein Vorschlagsrecht erweitert wer-den, ohne von der grundsätzlichen Entscheidungabrücken zu müssen.

Erzieher*innen können sich – vielleicht – vorbehalten,• regelmäßige Kinderkonferenzen einzuberufen, auf

denen (je nachdem) Mitwirkungs- oder Mitbestim-mungsthemen verhandelt werden,

• An- und Abmeldeformalitäten (Begrüßung, Ab-schied) vorzugeben,

• »Ämter und Dienste« festzulegen, deren Ausübungturnusmäßig wechselt,

• die Planungen für die nächste Zeit vorzustellen.

Die Mitarbeiter*innen des Horts entwickeln in Zusam-menarbeit mit den Kindern die dafür geeignetenBesprechungsformen.

C Beteiligung heißt für Kinder zunächst Sorge für sich

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C Beteiligung heißt für Kinder zunächst Sorge für sich

Themen wie »Beteiligung« oder »Mitwirkung« stellensich für Kinder vermutlich nicht. Zumindest stellen siesich ihnen nicht so wie für die Erwachsenen, für dieErziehungsprofis zumal. Diese Voraussetzung gilt esbei der Umsetzung der konzeptionellen Überlegun-gen zu beachten. Sie hilft, die besonderen Möglich-keiten des Hortes als non-formaler Bildungsinstitutionherauszustellen.

Für Kinder in Horten gibt es eine eindeutige Reihen-folge des Interesses. Die erste Priorität geben sie sichselbst. Wenn es um sie geht, können die meisten

Kinder sofort sagen, was sie möchten. Die nächstePriorität geben sie den sozialen Beziehungen, vorallem zu den Gleichaltrigen und da besonders zu denihnen nahestehenden. Mit kleinem Abstand folgendie Erzieher*innen. Das heißt, Menschen und Bezie-hungen haben Vorrang. Kinder sind bereit, sich fürbeide ein- und mit ihnen auseinander zu setzen, jeweniger negative Erfahrungen sie gemacht haben.

Der Hort als Institution interessiert die Kinder kaum,entsprechend gering ist das Interesse an formalisier-ten Mitwirkungsverfahren. Im Beispiel: die Aussicht,

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spontan Nudeln kochen zu können, wenn man Hun-ger oder Appetit hat, wird regelmäßig größeres Enga-gement hervorrufen als eine »Planungsgruppe Mitta-gessen«.

Aus dem Blickwinkel von Kindern sind »Mitwirkungund Beteiligung« daher ganz einfach: Sie sind da,und wo sie sind, wollen sie liebend gern, dass allesso läuft, wie sie es möchten. Warum auch nicht? Mitjedem Wort, mit jedem Wunsch, mit jedem »Ichauch!« machen sie klar, dass sie jetzt etwas tunoder lassen wollen, »Ich doch nicht!«. Sie sindbegierig, etwas für später zu lernen oder zu erpro-ben. Sie sind voll dabei, wenn man sie lässt. Sieleben jetzt. Und was ist wichtiger als der »heutigeTag«? Janusz Korczak hat ihn zu einem Recht für Kin-der erklärt.28

Der gar nicht so heimliche Lehrplan über Beteiligung und Machtverhältnisse

Wenn Hortkinder über ihre Zeit selbstständig verfü-gen können, • z.B. entscheiden dürfen, wann und wie lange sie

Hausaufgaben machen, • z.B. an Angeboten auf freiwilliger Basis teilnehmen

oder sich zurückziehen können,• z.B. Spiel- und Aufenthaltsmöglichkeiten innerhalb

und außerhalb der Einrichtung entwicklungsgemäßselbstständig nutzen können,

»lernen« sie vieles über sich und die Machtverhält-nisse im Hort. Sie erfahren, was ihre Vorstellungenwert sind und ob es sich lohnt, sich dafür einzuset-zen. Solche Erfahrungen wirken intensiv; sie bewir-ken nachhaltige Bildungsprozesse. »Beteiligung« alspassives beteiligt werden, interessiert Kinder nichtsonderlich. Jedoch spüren sie sensibel, wann etwasdarauf hinausläuft. Weil sie von Anfang an »dabeisind«, muss darauf geachtet werden, wie und womitihr Engagement behindert werden kann. Diese Hin-dernisse müssen beseitigt werden, damit weiterge-hendes Engagement darauf aufbauen kann.

In einer Bildungsinstitution wie dem Hort müssenKinder demnach erfahren, dass es sich lohnt aktiv zusein, vornehmlich auch im eigenen Interesse, das janicht zwangsläufig gegen andere Interessen gerichtetsein muss. Die Menschen mit gleichen Interessenmüssen jedoch erst einmal zusammenfinden, und da-zu müssen sie die Chance sehen, ihre Interessen ge-meinsam zu verfolgen. Der Gedanke liegt nahe, zurKlärung gemeinsamer Interessen eine Konferenz ein-zuberufen und anschließend langfristige Aktionsplänezu schmieden. Einfacher, flexibler und aufschlussrei-cher ist es, mit einer Idee bzw. einem Wunsch einesoder mehrerer Kinder zu beginnen. Sie könnengefragt werden, wie sie sich die Umsetzung vorstel-len; daran dürfen sie arbeiten, darin werden sieunterstützt. Wie viele Kinder wohl mitmachen wollen?Andere werden sagen: »Die dürfen, und wir …?« »Ihrdürft auch, was wollt ihr denn?«

Baustein 2 – Beteiligung von Hortkindern und Gestaltung des Hortalltags

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28 Quelle z.B.: http://wissen.dradio.de/grosse-paedagogen-janusz-korczak.38.de.html?dram:article_id=2155

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So erfahren nach und nach alle Kinder im Hort, dassihr Wille zur Selbstverwirklichung und Selbstentfal-tung von den Erzieher*innen geschätzt wird. Sie füh-len, dass ihr Wort zählt und bilden sich eine passen-de Vorstellung, wie die Welt funktionieren kann. Man-che der umgesetzten Ideen wird langfristig Bestandhaben, andere verschwinden nach ein oder zweiWochen.

Manche müssen räumlich, zeitlich, materiell etab-liert werden, wie z.B. ein täglich verfügbares Angebotzum Kochen oder Backen, andere sind sofort mach-bar, man muss nur drauf kommen. Muss die Umset-zung einzelner Ideen wegen mangelnder Ressourcenauf jeweils eine bestimmte Zahl von Kindern be-grenzt bleiben, wird es doch funktionieren. Nachvoll-ziehbare Sachzwänge werden von Kindern in der Re-gel akzeptiert. Dafür lohnen dann für sie sogar Pläneund formelle Absprachen.

Wenn die Freiheit des einen dort endet, wo die Frei-heit des anderen beginnt, muss auch die Freiheit deseinen vor dem anderen gesichert sein. Es gehört zuden schwierigsten Aufgaben in allen Institutionen,die Privatsphäre zu schützen. Für die Kinder als Per-son, wie auch für alles, was ihnen lieb und wichtigist, müssen Schutzbereiche – im engen und im über-tragenen Sinn – organisiert werden. Rückzugsräumegehören dazu, ein Eigentumsfach für jedes Kind, dasvon niemandem sonst geöffnet werden darf, ebenso.Die Schultaschen der Kinder sind für die Erzieher*intabu! Hat sie ein berechtigtes Interesse an Kontrolle,

muss sie das Kind um Erlaubnis fragen. Ein »Nein«ist ein ganzer Satz, diese Maxime zum Schutz derKinder vor Missbrauch, muss immer gelten. Wider-sprüchlichkeiten machen die Kinder hilflos und pas-siv; sie machen auch die pädagogischen Bemühun-gen unglaubwürdig.

Beteiligung ist vor allem Gehörfinden

Haben Kinder erfahren, dass Mitwirkung unmittelbarlohnt, können andere, formalisierte Methoden einge-führt werden. Auch hier ist die Richtung des Denkenszu überprüfen und Transparenz zu wahren: Wermöchte warum eine Kinderkonferenz, einen Kinderratoder Gruppensprecher einführen? Wer das Interessedaran hat, trägt die Verantwortung für die Durchfüh-rung. Vielleicht brauchen die Kinder noch eine Zeitlang die Unterstützung der Erzieher*in; sie solltenjedoch umgekehrt nicht benutzt werden, um Hilfstä-tigkeiten bei Veranstaltungen, die die Erzieher*innenmöchten, auszuführen. Das gilt gerade dann, wenndamit begründet werden kann, dass die Kinderbestimmte Kompetenzen dabei erwerben können.Der Satz von Lothar Krappmann bleibt gültig: »Betei-ligung ist manchmal auch ein Element eines formel-len Verfahrens... Vorher und zuerst ist Beteiligungjedoch: Mit dem Kind reden, Zuhören, dem, was essagt, Gewicht geben.« Hierauf reagieren die Kinderam besten, weil sie hier unmittelbar beteiligt sind.

C Beteiligung heißt für Kinder zunächst Sorge für sich

3329 Krappmann, a.o.O

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… im Hortalter

Um den sechsten Geburtstag herum werden Jungenund Mädchen eingeschult. Ein neuer Lebensabschnittbeginnt. Für viele Kinder ist er verbunden mit einemzweiten Übergang, dem Gruppen- oder Einrichtungs-wechsel in den Hort30. Die institutionelle Lebensweltdieser Kinder verändert sich. Mit ihr verändern sichdie Anforderungen an das Kind und ebenso seineAnforderungen an die Menschen in ihrer Umgebung.Die neue Lebensphase wird geprägt von einer fort-schreitenden Ablösung von den Eltern und anderenErwachsenen; sie ist gekennzeichnet durch einenenormen Erwerb von Wissen, Kompetenzen und mo-ralischen Werten. Jedes Kind setzt sich nun nochbewusster mit sich und der Welt auseinander. Dieses»sich in Beziehung setzen« hat Folgen für seine geis-tige und soziale Entwicklung, wie umgekehrt die indi-viduelle Entwicklung von diesen Beziehungen und den

mit ihnen verbundenen Erfahrungen beeinflusst wird. Das Hortalter umfasst ungefähr die sechs Lebensjah-re vom sechsten bis nach dem zwölften Geburtstag,das ist so viel wie Krippen- und Kindergartenalterzusammen. An diesem Vergleich wird deutlich, wieviele Entwicklungschancen die sogenannte mittlereKindheit mit sich bringt … und wie unterschiedlichweit entwickelt Hortanfänger und Hortabgänger inder Regel sind. Auch wenn in den letzten Jahren derfrühen Kindheit viel Aufmerksamkeit zuteil wurde,damit die Bildungsoptionen der Kleinkinder nichtunterschätzt werden, so gilt dies im Grunde auch fürdas Hortalter. Die mittlere Kindheit wird zurecht auchals Phase der zweiten sozialen Geburt bezeichnet.Sie vollzieht sich in den sozialen Beziehungen, dochjedes Kind ist auch aktiv beteiligt an dieser Geburt,es formt sein soziales Wesen fortwährend. Geburts-helfer*innen sind weniger die Erwachsenen, als viel-mehr – mehr und mehr – die Gleichaltrigen.

35

A Was Kinder Kindern bieten ...

Baustein 3Die Gruppe der Gleichaltrigen

Mit der fortschreitenden Überwindung der Abhängigkeit von den Erwachsenen wird der Status inder Gleichaltrigengruppe für jedes Kind zu einem Indikator des Wohlbefindens. Mädchen und Jun-gen finden (zu) sich, auch indem sie sich von den Erwachsenen abgrenzen. Erzieher*innen werdendadurch nicht unwichtig. Im Gegenteil müssen sie harte Belastungsproben aushalten, wenn Mäd-chen und Jungen ihre Autonomie betonen, indem sie sich dem von Erwachsenen organisiertenLeben in unkontrollierte Nischen entziehen. Kinder testen Erzieher*innen in Konfliktsituationen undbeurteilen ihr Verhalten mit den in dieser Lebensphase besonders strengen Moralmaßstäben. Erzie-her*innen wirken weniger direkt auf die Kinder ein; sie organisieren deren »soziale Kontakträume«.

30 Detlef Diskowski: »Institutionsgrenzen als Denkgrenzen«, Kita-Debatte 1/93 und Online-Bibliothek »H« > Hort http://www.mbjs.brandenburg.de/sixcms/detail.php?template=onlinebibliothek&_rubrik=H*

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Einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung von Jun-gen und Mädchen haben Sexualität und Ausformungder Geschlechterrollen. Die hormonellen und körper-lichen Veränderungen in der Vorpubertät und der be-ginnenden Pubertät bewirken Neugier, Selbstbewusst-sein und Verunsicherung zugleich.

… als Gleichaltrige / peer-group

In der Phase zwischen dem sechsten und dem zwölf-ten Lebensjahr wird dem Motor der sozialen undkognitiven Entwicklung ein zusätzlicher energierei-cher Kraftstoff zugeführt; es sind die Beziehungenzwischen den Gleichaltrigen. Sie erlangen eine völligneue Bedeutung für die Kinder, sowohl einen neuenStellenwert als auch neue Wirkung. Zwar verändernsich in diesem Alter auch die Interaktionserfahrungenmit den Erwachsenen, doch ermöglichen ganzwesentlich nur die andersartigen, auf prinzipiellerGleichheit beruhenden Beziehungen zwischen denKindern die nun einsetzenden Bildungsprozesse:

»Es gehört zum Gemeingut der Pädagogik, dass Kin-der das gemeinsame Spiel, die Zusammenarbeit undden Streit mit Kindern benötigen, um die Fähigkeitenund Motive zu erwerben, die das soziale und gesell-schaftliche Leben verlangen … Die Grundstruktur derInteraktion ist unter Kindern eine andere, als zwischenErwachsenen und Kindern. Kinder suchen nach denje-nigen, mit denen sie ohne Bevormundung, von gleichzu gleich aushandeln können. Sie reagieren negativauf Bestimmer, jedenfalls meist, denn manchmal fal-len auch Vorteile ab. Mit ihrem Freund, mit ihrerFreundin wollen sie jedenfalls aushandeln können.

Wenn es keine gerechte Einigung gibt, kann einKind weggehen, die Freundschaft aufkündigen. Dasist oft nicht einfach. Dennoch: Es gibt jetzt die Alter-native ›Exit or Voice‹ – ein Grundproblem aller Inter-aktion unter Menschen: Geht man weg oder versuchtman, die Dinge zu ändern? Kindern öffnet sich dieseAlternative, weil sie auf ein anderes Kind, auf ande-re Kinder nicht in dem Maße existentiell angewiesensind wie auf die Eltern, Lehrer oder Erzieher.

Kinderbeziehungen sind freiwillige Beziehungen;man muss den anderen, die andere gewinnen. Aberman muss sich von anderen auch abgrenzen können.Für meinen Freund springe ich nicht aus dem Fenster,sagen Kinder. Aber was würde ich alles für ihn tun?Dem blöden Sowieso gebe ich nichts. Aber was müss-te ich ihm in Notlagen doch geben? Alle Facetten derSozialwelt tun sich für die Kinder auf, und sie zubewältigen, kann hier und nur hier gelernt werden.«31

Einerseits dreht sich alles um »die Anderen«, dochandererseits dient jegliche Beziehung von klarerAbgrenzung bis tiefer Zuneigung dem Erkennen undder Reflexion des »Selbst« und seinem Werden. ImSpannungsverhältnis von Individualität und Gemein-schaft, von Anpassung und Abgrenzung erleben dieKinder Grundmuster unserer Gesellschaft, die für ihreigenes Erwachsenenleben bedeutsam sein werden.Noch einmal Krappmann:

»Zurück zum Weggehen oder Widersprechen. Andieser Entscheidung hängt, wenn man so will, unse-re ganze Ethik und Moral. Weder das Weggehen nochder Widerspruch sind einfach.

Allein zu sein, ist keine gute Lösung, Standzuhal-ten ist schwer. Wie sorgt man für gute Verhältnisseuntereinander?

Ein Mindestmaß an Aufeinander-Eingehen ist nötig,denn sonst wird man sich nicht einig.

Verlässlichkeit ist wichtig, sonst taugen Verspre-chen und Vereinbarungen nichts. Ein wichtiges Motivfür all dies liegt in den Freundschaften. Freundschaftmotiviert, sich für gute Lösungen anzustrengen. GuteLösungen sind die, in denen Interessen ausgeglichenwerden, und zwar nach Maßstäben und Regeln, dieman erklären kann.«

Klein fasst diesen Aspekt der kindlichen Entwicklungso zusammen:

»Freundschaften dienen der Reflexion des eigenenHandelns. Sie dienen als Spiegel der eigenen Persön-lichkeit. Ihre Rückmeldung ist wichtig, damit die Kin-der ihr Bild von sich selbst ordnen und zurechtrückenkönnen. Durch das Fremdbild erfahren Kinder, wieandere sie bewerten und einschätzen.«32

Spätestens in der Vorpubertät beschäftigen sich Mäd-chen und Jungen intensiv mit ihrer Geschlechterrolleund bewegen sich zueinander häufig extrem zwi-schen krasser Abgrenzung und – provokativer – Annä-herung. Auch dies ist ein notwendiger, wichtiger undintensiver Entwicklungsbereich, bei denen keine adä-quaten Erfahrungen zwischen Erwachsenen und Kin-dern möglich sind.

… in selbstgewählten Gruppen

Die Gleichaltrigen, das ist für Mädchen und Jungenkeine anonyme, soziologische Kategorie. Es sind viel-mehr immer die konkreten Personen ihrer Umgebung,mit denen sie etwas zu haben. Die Konstellation die-ser Gruppen von Gleichaltrigen (englisch: peer-group)

Baustein 3 – Die Gruppe der Gleichaltrigen

36

31 Krappmann, a.o.O.32 Lothar Klein: Die »zweite soziale Geburt. Die Entwicklung eines Bildes von sich selbst«, in: Theorie und Praxis der Sozialpädagogik

TPS Heft 4/2009, S.10 ff.

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wechselt mitunter recht häufig, kann aber auch kon-stant sein. Entscheidend sind Freiwilligkeit und Ak-zeptanz des Dabeiseins und des Dabeiseindürfens,auch des Zugehörigkeitsgefühls.

Für Erwachsene bedeutet der Begriff Gleichaltrigen-gruppe eine Verallgemeinerung und Vereinfachung.Gemeint sind Gemeinsamkeiten einer »Menge vonKindern«, die den konkret feststellbaren Freundeskreiseinschließt, doch auch darüber hinaus gehen kann.Eine durch Erwachsene vorgenommene Zuordnung zueiner Verwaltungseinheit »Gruppe« jedenfalls lässtden erwähnten freiwilligen Charakter vermissen. BeideArten von »Gruppen« müssen deshalb auch sprachlichsehr sorgfältig auseinander gehalten werden.

Mit der fortschreitenden Überwindung der Abhängig-keit von den Erwachsenen wird für jedes Kind seinStatus in der verfügbaren oder bevorzugten Gleichalt-rigengruppe zu einem wichtigen Indikator des Wohl-befindens. Die Kinder nehmen Gleichheit und Unter-schiedlichkeit im Aussehen, im Verhalten, in den Inte-ressen, dem Besitz, der Beliebtheit bewusster wahrals früher. Ihnen wird zunehmend deutlich, dass nichtalle gleich sind und dass darüber Status und Teilha-be reguliert bzw. variiert werden können. Doch nichtsist schlimmer, als ausgeschlossen zu werden. Daherrührt auch das zuweilen schwer nachvollziehbareBedürfnis der Imitation und Anpassung um anschei-nend jeden Preis.

Die Mädchen und Jungen finden (zu) sich, auchindem sie sich von den Erwachsenen abgrenzen. Da-bei muss zwischen als Person vorhandenen und ver-fügbaren Erwachsenen und den »medial vermittel-ten« unterschieden werden. Viele der Held*innen inden von Kindern geliebten Geschichten bzw. vonihnen genutzten Medien sind Erwachsene. Kinderbewundern Idole aus Sport, Show, Film und klassi-scher Kultur, die ihnen Identifikation mit Erwachse-nenrollen und Beschäftigung mit erwachsenenLebensformen ermöglichen. Hierfür benötigen sie die

Intimität der Gleichaltrigengruppe und die Abschir-mung von den realen Erwachsenen in ihrer Umge-bung. Der Zehnte Kinder- und Jugendbericht stellteausdrücklich fest, dass ältere Kinder »zunehmend An-spruch auf eine selbstbestimmte Kinderkultur haben.Dieser Begriff steht für eine Zurücknahme der Einmi-schung von Erwachsenen zugunsten eines selbst-ständigen und gemeinschaftlichen Lernens.«

… wenn sie sich zu den Erwachsenen abgrenzen

Notwendig für die Entwicklung des Kindes und ausseiner Sicht nachvollziehbar, stellt es doch die Er-wachsenen vor harte Belastungsproben, wenn Mäd-chen und Jungen ihre Autonomie betonen, indem siesich dem von Erwachsenen organisierten Leben inunkontrollierte Nischen entziehen oder einfach »lust-los« sind. Wahrscheinlich stellt sich auch Wehmut beiden Erwachsenen ein, wenn in der mittleren Kindheitihre vormalige Allmacht und Allwissenheit nicht mehrvorbehaltlos akzeptiert werden. Und doch muss diesausgehalten werden, denn »Kinder erleben die stän-dige Überlegenheit der Erwachsenen als persönlichenMangel.«34 Nur zum Schutz ziehen sie sich zeitweisezurück, d.h., sie sorgen für sich selbst, was aber dieErwachsenen nicht überflüssig macht.

»Wichtig ist, dass sie ihre Erfahrungen ohne ständi-ge Intervention der Erwachsenen sammeln können,aber in sicheren Zonen, mit erreichbaren und an-sprechbaren Erwachsenen. Erwachsene müssen nichtpassiv bleiben; sie können Orte der Besinnung unddes Gesprächs, können Rat anbieten, auch Klärungvon Regeln und Grenzen. Im Konkreten ist das erfor-derliche sensible Verhalten nicht leicht zu bestim-men. Diese Balance, alters- und entwicklungsange-messen zu treffen, ist eine Hauptaufgabe der Erwach-senen. Und ich glaube inzwischen auch: Lieber miteinem Schuss Überforderung als mit Unterforderungder Eigenverantwortlichkeit.«35

A Was Kinder Kindern bieten ...

37

33 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: »Zehnter Kinder- und Jugendbericht. Bericht über die Lebenssituationvon Kindern und die Leistungen der Kinderhilfen in Deutschland«, Bonn 1998, S. 201

34 Lothar Klein, a.a.O.35 Lothar Krappmann, a.a.O.

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Erzieher*innen in Brandenburger Horten beziehen dieErkenntnisse über die Bedeutung der Gleichaltrigenfür die Entwicklung und Bildung von Kindern in dermittleren Kindheit in ihre pädagogischen Überlegun-gen ein. Annahmen der »Peer-Group-Education« (über-setzt etwa: gegenseitige Erziehung unter Gleichen),dass Gleichaltrige in Grundeinstellungen und Verhal-ten sich gegenseitig beeinflussen und voneinanderlernen (Faller 1996), werden aktiv genutzt. Peer-Group-Education betont die Problemlösungskompetenz derGleichaltrigengruppe und grenzt sich damit ab voneiner defizitären Sicht auf Kinder- und Jugendgrup-pen. Streit und Auseinandersetzungen unter Kindernwerden nicht ausschließlich als störend und uner-wünscht angesehen und zu vermeiden gesucht: Manbetrachtet sie vielmehr als ein soziales Übungsfeldfür Kommunikation und Kooperation, in welchem diebeteiligten Kinder auf ihre Weise ihre Stellung alsGruppenmitglied erkunden und Gruppennormen ent-wickeln und erproben.

Erzieher*innen werden durch die Anerkennung derSozialisationskraft der Gleichaltrigen nicht unwichtig.Im Gegenteil. Sie verfügen nun aber über ein verän-dertes pädagogisches Instrumentarium, weil auch dieBeziehung zwischen Erzieher*in und Hortkind sichändert. Die Erzieher*in hat keine Autorität »an sich«mehr. Sie muss durch ihr Verhalten das Vertrauen derKinder täglich neu bestätigen, denn es kann ihr vonden Kindern auch entzogen werden. Die Kinder tes-ten sie vor allem in Konfliktsituationen und beurtei-len ihr Verhalten mit den in dieser Lebensphasebesonders strengen Moralmaßstäben.

Das pädagogische Handeln sollte daran orientiertwerden, dass die Kinder ihre Erzieher*in immer weni-ger als versorgende, tröstende, schützende (Ersatz-)Mutter erleben und in Anspruch nehmen können,sondern als Übergangs- und Übungspartner*in hin zueiner Kommunikation wie unter Erwachsenen. Auf derBasis verlässlicher Beziehungen tragen die Fachkräf-te im Hort beispielsweise zur Entwicklung von Kon-flikt- und Kritikfähigkeit bei, indem sie sich imUmgang mit den Kindern auf »echte Aushandlungs-prozesse« einlassen, also weder nur Nebensächlich-keiten zur Entscheidung stellen, noch scheinbar et-was verhandeln lassen, was sowieso schon im Ergeb-nis feststeht. Dazu brauchen Erzieher*innen Sensibi-lität und Konfliktfestigkeit.

Erzieher*innen sind wichtig, wenn sie den Kindernhelfen, ihre Erfahrungen zu reflektieren und siebestärken, weitere Erfahrungen zu sammeln. Dies giltvor allem in Situationen, die auf den ersten Blickwidersprüchlich erscheinen, z.B.: • um Kindern einen auch risikohaften Freiraum zu

gewähren und zugleich einen sicheren Rahmen zubieten,

• um Kinder für sich sein zu lassen und trotzdemdeutlich zu signalisieren: »Ich bin da, wenn ihrmich braucht«,

• um sich herauszuhalten aus Kinderstreit, ohnegleichgültig zu erscheinen oder, obwohl sicherlichhilfreich gemeint, keine Unterstützung anzubieten,

• um zu spüren, wann Provokationen ignoriert wer-den sollten oder wann es besser ist, sich engagiertabzugrenzen und auseinanderzusetzen.

Laien verstehen unter pädagogischem Handeln oftdas direkte Streben nach einem gewünschten Lernef-fekt (bei einem Dritten) oder auch das regulierende,mäßigende Einwirken auf das Verhalten von Kindern.Für den Hort als Institution non-formaler Bildungkann keine der beiden Interpretationen ein Leitmotivsein, denn auch hier gilt das Bildungskonzept der Ko-Konstruktion als tragfähig für Kompetenzerwerb.

Als allgemeine Leitidee (Maxime) hingegen taugt fürdie Hortpädagogik folgendes: Vorhandene Kompe-tenzen haben Vorrang! Damit ist erstens gemeint,dass die Kinder das anwenden (und darauf aufbauen)dürfen, was sie bereits können im Umgang mit ande-ren Kindern und ebenso mit Menschen aus anderenAltersgruppen. Zweitens erinnert diese Leitidee dieErzieher*innen daran, dass die Kinder zuerst die eige-nen vorhandenen Handlungsvariationen »ausschöp-fen« sollen, bevor sie eingreifen. Drittens schließlichist es wichtig, genügend Sicherheit zu erwerben, d.h.vorhandene Kompetenzen zu üben; Erzieher*innensollten darum genügend Gelegenheit zu Wiederho-lungen bieten, bevor sie Neues hinzufügen.

Erzieher*innen organisieren Kontakträume fürKinder

Wenn die Mädchen und Jungen nach dem Schulunter-richt in den Hort kommen, haben sie bereits ihre täg-liche Erfahrung mit einem vorgegebenen Zeittakt, mit

Baustein 3 – Die Gruppe der Gleichaltrigen

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B Erzieher*innen halten sich zurück, aber nicht heraus

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vorgegebenen Arbeitsaufträgen und einer vorgegebe-nen Beziehungsstruktur – dem Klassenverband –gemacht. Den beschriebenen Entwicklungsvorausset-zungen entgegen stünde eine weitere Erfahrung inder Zwangskonstellation einer festen Organisations-einheit – der Gruppe. Für Kinder im Hortalter ange-messen erscheinen in der Regel Konzeptionen über-greifender bzw. offener Pädagogik, die mit zuneh-mender Selbstständigkeit der Kinder ihnen und ihrerSelbstbestimmung immer größere Spielräume bieten.Gerade dadurch werden Kinder auf die Zeit nach demHort vorbereitet, in der sie meist eigenverantwortlichden Nachmittag gestalten müssen.

Vorausgesetzt, es handelt sich um Horte mit ent-sprechend hoher Platzkapazität und Nachfrage, kannbereits bei der Aufnahme der Jungen und Mädchendarauf geachtet werden, dass alle eine ausreichendgroße Zahl potentieller, annähernd gleichaltriger so-wie gleichgeschlechtlicher Spielpartner*innen undFreund*innen finden können.

In kleinen Einrichtungen, bei mangelnder Nachfra-ge oder auch für ältere Kinder, deren Freunde bereitsabgemeldet wurden, sollte auf Ausgleichsmöglichkei-ten geachtet werden, die wohl vor allem darin beste-hen, dass Freunde von außerhalb mitgebracht wer-den (Öffnung gegenüber außen) oder diese besuchtwerden können (Öffnung nach außen).

Horterzieher*innen haben wenig Einfluss auf die äuße-ren Lebensumstände im Einzugsgebiet, doch könnensie den Alltag der Einrichtung zusammen mit den Kin-dern nach deren Wünschen planen und gestalten. Sieachten darauf, dass • die Kinder unterstützt werden, Freunde von außer-

halb mitzubringen und so an den Gesellungsfor-men ihrer Schulklasse und ihres Wohnumfelds teil-haben zu können;

• den Mädchen und Jungen im Hort Treff- und Rück-zugsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, die sienach Geschlecht oder Anzahl der Kinder nutzenkönnen;

• die Kinder angeregt werden, sich im Einzugsgebietdes Hortes nach Absprache selbstständig zu bewe-gen;

• das Angebot im Hort Anregung bietet für Aktivitä-ten in selbstgewählten, informellen Kleingruppen;bei Bedarf aber werden auch verbindlichereArbeitsgruppen organisiert.

Für die Spiel- und Handlungsräume der Hortkinderkönnen Absprachen und Regelungen erforderlich sein;sie sollten dem jeweiligen Entwicklungsstand ange-passt sein und individuell weiterentwickelt werden.

Regelungen, die etwas ermöglichen, sind denen vor-zuziehen, die etwas einschränken. Sind Absprachengetroffen worden, gelten sie für Kinder und Erzie-her*innen. Gibt es beispielsweise einen Rückzugs-raum für Kinder, darf ihre Erzieher*in nur dann eintre-ten und kontrollieren, wenn dies mit den Absprachenzwischen Erzieher*in und Kindern übereinstimmt.

Die Gestaltung der Räume im Hort spiegelt die Sym-bole der jeweils aktuellen Kinder- und Jugendkultur.Den Vorlieben und dem Geschmack der Kinderbegegnen die Erzieher*innen nicht gleichgültig, son-dern mit Achtung und Interesse.

Erzieher*innen organisieren Möglichkeiten zurKonfliktregelung

Wenn die Gleichaltrigengruppe ein umfassendes Er-fahrungs- und Experimentierfeld der Kinder ist, wirddas Aushandeln verschiedener Interessen und Bedürf-nisse manchmal sogar zur eigentlichen Aktivität, aufjeden Fall zu einer Aktivität von hohem Wert. Erzie-her*innen sehen Streit und Konflikt unter Kinderndeshalb als Normalfall an und nicht als Entwicklungs-defizit. Erzieher*innen sorgen dafür, dass die KinderRegeln aushandeln, einhalten und übertreten kön-nen; sie sorgen für Gelegenheiten zu gewinnen undzu verlieren. Es geht nicht darum Anlässe zu schaffenfür diese Aktivitäten – das erledigen die Kinder her-vorragend selbst. Es geht darum, angemessenen Frei-raum dafür zu sichern, denn eine von den Kindernakzeptierte und selbst gesteuerte Streitkultur trägtauch zur Gewaltprävention bei.36

Kinderstreit und Kindereinigung dienen der Bestim-mung dessen, was als fair und gerecht angesehenwird. Wenn bereits die Aushandlungsprozesse selbsteinigermaßen fair und gerecht ablaufen, dann ist die-ses Feld der »Nährboden für die Entwicklung einerautonomen, verantwortungsbereiten Person.«37

Mit Krappmann ist zu fragen, ob denn alle Kinder»beste Freunde« haben, mit denen sie Zerwürfnisseund Neuanfänge durchstehen oder Geheimnisse undEntdeckungen teilen. An dieser Stelle bieten sich denErzieher*innen wichtige Handlungsmöglichkeiten. Siebeobachten die Kinder und finden heraus, wer mitwem Umgang pflegt, und wer nirgends dazu gehörtoder dazuzugehören scheint – warum? Sie beobach-ten, wie die Kinder miteinander umgehen, ob es z.B.um ein Ringen um die richtige Auslegung der Fairnessgeht oder ob über zu lange Zeit erstickender Grup-

B Erzieher*innen halten sich zurück, aber nicht heraus

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36 Kurt Faller: »Konflikte selber lösen. Handbuch für Mediation und Konfliktmanagement in Schule und Jugendarbeit«, Mülheim 199637 Krappmann, a.a.O.

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pendruck, Vorurteile, Mobbing und Diskriminierungherrschen, gegen die sich einzelne Kinder nicht ohneUnterstützung wehren können.

»Kinder dieses Alters sind offenbar mehr als früherdarauf angewiesen, dass die langwierigen Aushand-lungsprozesse unterstützt werden … Hingehen und estun, muss es das Kind selber, und Kinder diesesAlters wissen, dass die Eltern ihnen manche Proble-me nicht mehr abnehmen können.«38

Es geht darum, dass auch die Erzieher*innen in denHorten Kindern die Chance für solche Erfahrungenzunehmender Eigenverantwortung sichern. Ein Wegdazu ist die gemeinsame Entwicklung von individuel-len und/oder peer-group-spezifischen Umgangsfor-men, mit denen die Kinder eigenständig kontrollierenkönnen, wie Regelungen und Absprachen eingehaltenwerden, und was im Falle einer Übertretung zu tun ist.

Darüber hinaus können Erzieher*innen mit den Kin-dern institutionalisierte Formen der Konfliktregelungund Selbstorganisation entwickeln und erproben,stets dabei bedenkend, dass Kinderkonferenzen, Kin-derräte oder Streitschlichter zum einen Umgangsfor-

men der Erwachsenen darstellen, die auch unterihnen nicht reibungslos funktionieren. Sie erfordernviel und geduldiges Üben. Zum anderen aber bergendiese Formen Potential zur Verstärkung vorhandenerKonflikte und sogar zusätzliches Konfliktpotential.Vorhandene Konflikte können verfestigt werden,wenn die Erzieher*in einseitig Position für ein kon-fliktschwaches Kind bezieht. In der Sache mag diesgerechtfertigt sein, auf der Beziehungsebene kann esgeschehen, dass dieses Kind nun »erst recht«, alsoöfter, unter den anderen zu leiden hat. ZusätzlichesKonfliktpotential bergen alle Situationen, in denen –ob zu Recht oder nicht – ein Kind sich ungerechtbehandelt sieht; es wird nach Ausgleich streben.Schwierig wird es auch, wenn durch die neuen For-men der Konfliktregelung die Machtverhältnisse nurauf andere Kinder verlagert werden, das Problem derMacht aber nicht angetastet wird. Es gibt viele Arten,jemanden zu schlagen und seine Position gegenandere durchzusetzen. Geschieht dies ausschließlichmit Beredsamkeit, profitieren andere Kinder, alswenn auch Kämpfe zugelassen sind.

Der Gruppen-Status ist ein wichtiger Indikator für dasWohlbefinden eines Kindes. Aus seiner Sicht ist esdarum äußerst wichtig, sich in unterschiedlichen Kon-stellationen von Personen und Aktionen zu erprobenund zu erleben. Im Gegensatz etwa zur Schule, wo Sta-tusrollen im Klassenverband recht schnell nach Leis-tung verteilt und festgelegt werden, ist es für die Mäd-chen und Jungen im Hort möglich, in verschiedenenGruppierungen unterschiedliche Rollen auszufüllen undverschiedene Statuserfahrungen zu machen. Für sie istdaher entscheidend, dass sie täglich zwischen Perso-nen, Aktivitäten und Räumen wählen können.

Persönlichkeitsbildung als spannenden Prozesserleben und aushalten

In informellen Gruppen und Cliquen erleben undgestalten die Kinder sowohl kollektive Identitäten alsauch – dabei und dadurch – ihre Individualität. Daseine bedingt das andere. Indem sie sich entscheiden,bei einer Clique mitmachen zu wollen, entscheiden

sie sich zumindest vorübergehend gegen andere.Dafür braucht es auch äußerer Erkennungszeichen,die sich die jeweiligen Kinder suchen, welche manch-mal aber auch zuerst der Anlass sind, bei einer Grup-pe mitmachen zu wollen. »Die Totenkopfler sind cool.«»Pferde mag ich besonders gern.«

»Der Hort muss Kindern Gelegenheit bieten, Wider-sprüche, die mit der Suche nach Identität verbundensind, in einem verlässlichen und offenen Klima lebenzu dürfen ... Diese Widersprüche sind für Erwachsenemanchmal nur schwer auszuhalten; es ist trotzdemnotwendig.«39

Um die eigene soziale Identität ausformen zu kön-nen, braucht jedes Kind vielfältige Erfahrungen. AlleMädchen und Jungen brauchen auch die Erfahrung,dass die von ihnen gewählten Spielpartner*innenund Aktivitäten von den verantwortlichen Erwachse-nen vorbehaltlos akzeptiert werden. Wie sonst sollendie Kinder sich ein Urteil bilden und wie anders kanndas Gebot der Integration/Inklusion erfahren werden?

Baustein 3 – Die Gruppe der Gleichaltrigen

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38 Krappmann, a.a.O.39 Klein, a.a.O.

C Die Kinder finden (zu) sich in der Gleichaltrigengruppe

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Jede Entwicklung ist immer auch eine Grenzüber-schreitung zu einer neuen Phase. Spätestens in derzweiten Hälfte des Hortalters werden die Gegeben-heiten nicht fraglos anerkannt. Die Kinder versuchendie Grenzen auszudehnen und testen ihre Belastbar-keit, ebenso wie diejenige der Erwachsenen. Siebrauchen die Erfahrung des eigenen Tuns und wollenzugleich Reaktionen hervorrufen (provozieren). Man-che Provokationen sind zudem ein Testfeld für dieBeziehungen und den Status in der Gruppe, weshalbmanche Erkennungszeichen »nur« die Eigenständig-keit anzeigen sollen, aber andere Ausdrucksformeneiner bestimmten Richtung der Jugendkultur in Mode,Musik, Sprache oder Trendsport sind.

Zugehörigkeit und Abgrenzung miteinander kombinieren

Im Wechsel zwischen Autonomie und Zugehörigkeitinnerhalb der Gleichaltrigengruppe müssen Kindersich auch oft gegen die Erwachsenen abgrenzen. Nie-mand kann Kind sein und sich wie ein Erwachsenerverhalten. Ein probates Mittel, weil recht einfach zuhandhaben und trotzdem sehr wirkungsvoll, ist dieAbgrenzung. Wenn ein Kind seine Grenze der Belast-barkeit getestet hat, kann es sich leichter gegenÜbergriffe schützen. Wenn ein Kind nein sagen darf,muss es nicht lügen. Wenn ein Kind sich verweigerndarf, kann es aktiv auf etwas zugehen.

Schutz, Beistand und Zuwendung erwarten die Kin-der ab diesem Alter immer weniger von Erwachsenen,sondern von ihren besten Freunden. Beziehungen zuGleichaltrigen werden auch daran gemessen und mit-einander verglichen.

Die materiellen Grundlagen der Gruppe beschaffen

Wenn Kinder im Hort das vorrangige Interesse anpeer-Erfahrungen verfolgen, sind sie hingebungsvolldabei und brauchen neben Freiraum, Zeit und zeit-weiliger Unterstützung die passenden Requisiten. Dadiese häufig aus der Welt außerhalb des Hortesstammen, muss den Kindern möglich sein, sich dieentsprechenden Ressourcen zu erschließen. Dazubenötigen sie die Unterstützung der pädagogischenFachkräfte. Es ist dabei für die Erwachsenen nichtbesonders entscheidend, welche Gegenstände gera-de aktuell sind; dieses Wissen haben ihnen die Kin-der voraus. Wichtiger sind die Echtheit der Materia-lien, die Art ihrer Beschaffung, die Eigenständigkeitvon Entscheidungen und die Verantwortung dafür. Jemehr den Kindern vorbehalten bleibt, desto intensi-ver und nachhaltiger ist ihr Erlebnis.

C Die Kinder finden (zu) sich in der Gleichaltrigengruppe

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Alle Bausteine für die Hortarbeit dienen der Definiti-on zeitgemäßer Pädagogik im Verhältnis zwischenden von außen an den Hort herangetragenen Anfor-derungen und seiner professionellen Selbstvergewis-serung. Nur in diesem Baustein kommt es jedoch zueinem direkten Vergleich zwischen den beiden Insti-tutionen, die für Bildungsmöglichkeiten in der Phaseder mittleren Kindheit Sorge tragen. Hier wird dasWesen des Hortes konkret ins Verhältnis zur Schulegesetzt, hier dient Schule wiederholt als direkte Refe-renz. Das hat viel mit Geschichte und Tradition zu tunund mit der jahrzehntealten unterschiedlichen gesell-schaftlichen Bewertung zweier Institutionen, die fürdas Wohl der gleichen Zielgruppe eintreten. Beidearbeiten daran, doch unterscheiden sie sich in ihrenMöglichkeiten. Es ist nur schwerlich möglich, dieArbeitsweise der einen Institution zu beschreiben,ohne zugleich auch an den Unterschied zur anderenzu erinnern.

Eine Beschreibung des Hortes im Verhältnis zur Schu-le kann zwei Fixpunkte setzen. Das sind zum einenseine Eigenständigkeit und zum anderen die Gemein-samkeiten der beiden Institutionen. Zusammenarbeitsetzt zwingend die Kenntnis der eigenen Aufgaben-verantwortung voraus.40 Macht man sich diese be-wusst, grenzt man sich gedanklich zunächst vom künf-tigen Kooperationspartner ab, der seine Zuständig-keiten ebenfalls klären wird, so dass anschließendgemeinsam gegenseitige Ergänzungen, Überschnei-dungsbereiche und auch Lücken im Angebot erkanntwerden können.

Die Eigenständigkeit des Hortes gründet in seinemspeziellen Bildungsauftrag unter Wahrung der Eltern-rechte. Er ist eine Organisation für non-formale Bil-dungsangebote. Darin liegt eine wesentliche Stärke,die ergänzt wird, wenn Horterzieher*innen Raum bie-ten für positiv erlebte informelle Bildungserfahrun-gen.

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A Horte und Schulen als Häuser für Kinder

Baustein 4Hort und Schule – Arbeitsteilungund Zusammenarbeit für jedes Kind

Die gemeinsamen Interessen von Hort und Schule und ihr gemeinsamer Auftrag werden oft durchKonflikte um das Thema Hausaufgaben verdeckt. Dabei können Horterzieher*innen sowie Lehrkräf-te von den unterschiedlichen Bildungsmöglichkeiten ihrer Institutionen profitieren, wenn sie koope-rieren. Non-formale Bildung im Hort eröffnet Kindern und Erzieher*innen viele Handlungsoptionen.Die Art und Weise, wie Hausaufgaben im Hort organisiert und erledigt werden, vermittelt den Kin-dern, wie die Welt funktioniert. Passende Verfahren stehen nicht im Gegensatz zum Ziel demokra-tischer Teilhabe.

40 MBJS; »Abgrenzung der Aufgaben und Zuständigkeiten von Schule und Hort als Grundlage der notwendigen Zusammenarbeit zwi-schen den Einrichtungen«; Informationsschreiben des MBJS v. 6.1.1994 Az. V/52.90 (ABl. MBJS, S. 205)

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In anderen Worten:»Der Hort kann Lernen in Ernstsituationen und

sinnvollen Zusammenhängen bieten und zwar mitsozialpädagogischen Methoden auf der Grundlagevon Freiwilligkeit und Situationsbezogenheit.«41

So wie dies dem Hort möglich ist – ja sogar von ihmzu fordern ist – kann die Schule nicht arbeiten. Sieverfolgt einen etwas anderen Bildungsauftrag; ihrstehen andere, schulpädagogische, Mittel und Wegeoffen. Die Verschiedenartigkeit beider Bildungsinsti-tutionen wird an vielem sichtbar. Allein die Tatsache,dass Schule meist vormittags stattfindet, und dieHauptzeit der Horte am Nachmittag liegt, hat Auswir-kungen auf das Verhältnis beider Institutionen zuei-nander, aber auch auf die Bildungsangebote an dieKinder. Zeitlich der Schule nachgelagert, ist der Hortaber nicht ihr Erfüllungsgehilfe:

Ein »... Missbrauch des Hortes als ›schulergänzen-de Betreuungsmaßnahme‹ verkennt die besonderenBildungschancen des Nachmittags.«42

In dieser Aussage fehlen Hinweise darauf, wer denHort zu missbrauchen versucht. Das ist auch nichtwichtig. Es geht um alle Personen und Situationen,die den Hort schwächen, weil sie ihn nicht in seinerEigenständigkeit anerkennen. Vor allem jedoch gehtes darum, dass den Kindern Bildungsmöglichkeitenvorenthalten werden, wenn Schule und Hort dasGleiche zu tun versuchen, d.h. nach den gleichenMaßstäben und mit den gleichen Methoden arbei-ten. Die für Kinder förderliche Zusammenarbeit vonHort und Schule hat ein anderes Ideal. Es besteht inder Anerkennung der Gemeinsamkeiten bei gleich-zeitiger gegenseitiger Anerkennung ihrer unterschied-lichen Möglichkeiten als Basis für eine sinnvolle ge-genseitige Ergänzung zum Wohle der Kinder. Dies istdie Zusammenarbeit, die gebraucht wird. Letztlichkann keine der beiden Institutionen ihren Bildungs-auftrag gut erfüllen, wenn nebeneinander her gear-beitet wird. »Hort und Schule sitzen in einem Boot«,der Satz beschreibt zwar ein komisches Bild, dochtreffend auch die notwendige Besinnung auf diewirklich tragfähigen Bezugspunkte ihrer Zusammen-arbeit.

Eine gemeinsame, einander ergänzende Verantwortung von Horten und Schulen

Als anzustrebendes Ideal sollten die folgenden zweikonkreten Ziele die Richtung weisen:1. Jeder Hort und jede Schule ist ein »Haus der Kinder«.2. Hort und Schule werden als Gemeinschaft mit

gegenseitigen Rechten und Verpflichtungen (»justcommunity«) geführt; sie sind Orte gelebter Demo-kratie.

Wenn beide Bildungseinrichtungen jeweils für sichund gemeinsam nach diesem Leitbild arbeiten, bie-ten sie einerseits den Kindern altersentsprechendeBildungsgelegenheiten, andererseits aber sorgen siedadurch auch dafür, dass sie gesellschaftliche Aner-kennung erwerben oder bestätigen, denn:3. »Ganztägige Erziehung in Schule und Hort ist nur

insoweit zu legitimieren, als sie das Leben und dieErfahrungen der Kinder bereichert, ihre Selbststän-digkeitsentwicklung unterstützt und ihre Sozialitätfördert.«43

Letztlich also bezieht sich die Zusammenarbeit vonHort und Schule auf die gemeinsame, einander ergän-zende Verantwortung als sozial- bzw. schulpädagogi-sche Bildungseinrichtungen für die Kinder im jeweilseigenen Zuständigkeitsbereich. Horterzieher*innen tre-ten auf dem Weg der Zusammenarbeit in die Fußstap-fen ihrer Kolleg*innen aus dem Elementarbereich.Beim Übergang von dort in den Primarbereich arbei-ten Jugendhilfe und Schulwesen bereits zusammen,noch bevor der Hort ins Spiel kommen muss. Maß-stab der fachlichen Qualität ist der »Gemeinsame Ori-entierungsrahmen für die Bildung in Kindertagesbe-treuung und Grundschule« für das Land Branden-burg. Schon der Titel weist auf die nötige Gemein-samkeit hin, die im Untertitel noch verstärkt wird:»Zwei Bildungseinrichtungen in gemeinsamer Bildungs-verantwortung beim Übergang vom Elementarbereichin den Primarbereich«.

Im Orientierungsrahmen beschreiben sechs zentra-le Qualitätsmerkmale die »gemeinsame Bildungsver-antwortung« nur für die Phase des Übergangs, dochliegt es nahe, dass danach Hort und Schule dieseMerkmale auch für ihre Zusammenarbeit überneh-men. Im Orientierungsrahmen selbst gibt es dafür An-satzpunkte zu den Stichworten Schulweg und Haus-aufgaben.44

Baustein 4 – Hort und Schule – Arbeitsteilung und Zusammenarbeit für jedes Kind

44

41 Ramseger, a.o.O.42 Ebd.43 Ebd.44 MBJS Brandenburg: »Gemeinsamer Orientierungsrahmen für die Bildung in Kindertagesbetreuung und Grundschule (GOrBiKS)«, 2009,

S. 17 und 34

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• Qualitätsmerkmal 1: Einen gelingenden Übergang aus der Kindertages-betreuung in die Grundschule gemeinsam gestalten;

• Qualitätsmerkmal 2: Ein gemeinsames Bild vom Kind entwickeln, dasEingang in die pädagogischen Konzeptionen/Schulprogramme findet;

• Qualitätsmerkmal 3: Eine gemeinsame Vorstellung von einer neuenLernkultur gewinnen;

• Qualitätsmerkmal 4: Anschlussfähige Formen von Beobachtung, Doku-mentation und Analyse praktizieren;

• Qualitätsmerkmal 5: Professionalität im Bereich von Kita und Grund-schule stärken;

• Qualitätsmerkmal 6: Gemeinsame Erziehungs- und Bildungsverantwor-tung von Eltern, Kita und Schule wahrnehmen.45

Ob Hort und Schule auf dem richtigen Weg sind mitihrer Form der Zusammenarbeit, kann z.B. an folgen-den Merkmalen erkannt werden:• Hort und Schule realisieren gemeinsam einen gu-

ten Tagesverlauf für jedes Kind im rhythmischenWechsel von formalen, non-formalen und informel-len Bildungsmöglichkeiten

• Hort und Schule bieten vielfältige Anregungen,Herausforderungen und Förderung

• Hort und Schule stärken die Selbstständigkeitsent-wicklung der Kinder und nehmen Überbehütungzurück

• Hort und Schule führen institutionalisierte Dialoge aufregelmäßigen Teamsitzungen und Feedback-Tagen.

Zunächst etwas schematisch an den Bildungsaufträ-gen orientiert, könnte eine koordinierte Arbeitstei-lung zwischen Hort und Schule mit der Überlegungbeginnen, dass in einem non-formalen Bildungskon-zept die Förderung von Schlüsselkompetenzen wieSelbstständigkeit (Eigenverantwortung und Eigenini-tiative) und Gemeinschaftsfähigkeit (Kooperation,Kommunikation und Konfliktfähigkeit) Vorrang habenmuss vor der Vermittlung von Sachwissen.

Zeigen sich Kinder im Hort aber an bestimmten The-men oder Fragen interessiert, dann kann die non-for-male Bildungseinrichtung darauf achten, dass dieBearbeitungsmethoden vielfältig und aktivierendsind im Hinblick auf Schlüsselkompetenzen. Kinder

wollen erproben, erforschen und experimentieren. ImHort können selbstgesteuerte Lernprozesse in Projek-ten initiiert werden, die die Begrenzungen von Schul-fächern durchbrechen. Auch kann bei der Projektpla-nung darauf geachtet werden, dass die Kinder zuneh-mend unabhängig von den Erwachsenen handelnkönnen, dass die Fragen der Kinder zunehmendExperten*innenwissen erfordern und dass für jegli-ches Lernen Bezüge zur Lebenswelt hergestellt wer-den können, bis hin zur Notwendigkeit, erworbenesWissen und Können unmittelbar anzuwenden.

Hausaufgaben als Spezialfall der Zusammenarbeit

Noch immer kommt es beim Thema Hausaufgabenzwischen Horterzieher*innen und Lehrkräften zu Kon-flikten, an denen auch Eltern beteiligt sind. Manchmalkann ein solcher Konflikt über die Klärung der Rechts-lage gelöst werden, so dass alle Beteiligten wissen,worum es geht und wem die Verantwortung für dieErledigung der Hausaufgaben obliegt. Im Brandenbur-gischen Schulgesetz heißt es dazu in § 4 Abs. 3:

»Die Anforderungen und die Belastungen durchSchulwege, Unterricht und dessen Organisation, Haus-aufgaben und sonstige Schulveranstaltungen müssender Entwicklung der Schülerin oder des Schülers ent-sprechen, zumutbar sein und ausreichend Zeit füreigene Aktivitäten lassen.«46

Weitere relevante Informationen entnehmen wir derVerwaltungsvorschrift Schulbetrieb unter Nr. 5 Haus-aufgaben.47 Diese ergänzen die schulische Arbeit im er-forderlichen Umfang. Hausaufgaben sollen zu selbst-ständigem Arbeiten hinführen und befähigen. Umfangund Schwierigkeitsgrad sollen der Leistungsfähigkeitder Schülerinnen und Schüler entsprechen und vondiesen ohne fremde Hilfe bewältigt werden können.Damit sind der Zweck und die Ziele der Hausaufga-ben benannt.

Zum durchschnittlichen zeitlichen Aufwand heißt esin Nr. 5 Absatz 1 weiter:

»Der zeitliche Aufwand für die Erledigung der Haus-aufgaben bezogen auf den einzelnen Unterrichtstagsoll im Durchschnitt a) in den Jahrgangsstufen 1 und 2 – 30 Minuten,b) in den Jahrgangsstufen 3 und 4 – 45 Minuten,c) in den Jahrgangsstufen 5 und 6 – 60 Minuten ...nicht überschreiten ...

A Horte und Schulen als Häuser für Kinder

45

45 Ebd. S. 1446 »Gesetz über die Schulen im Land Brandenburg (Brandenburgisches Schulgesetz – BbgSchulG)«

http://bravors.brandenburg.de/gesetze/bbgschulg_201647 MBJS: »Verwaltungsvorschriften über die Organisation der Schulen in inneren und äußeren Schulangelegenheiten (VV-Schulbetrieb –

VVSchulB)«, http://bravors.brandenburg.de/verwaltungsvorschriften/vvschulb2010

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Über Art und Umfang der Hausaufgaben entscheidetdie Klassenkonferenz im Rahmen der von der Schul-konferenz festgelegten Grundsätze.«

Einschränkungen für die Erteilung von Hausaufgabenwerden im Absatz 2 aufgeführt. Für den Hort relevantist wohl die Sollvorgabe, dass über das Wochenende,über Feiertage und über die Ferien keine Hausauf-gaben erteilt werden, wodurch an den betreffendenNachmittagen und Tagen größere Zeiteinheiten fürandere Aktivitäten zur Verfügung stehen.

Wer wofür Verantwortung trägt

Es liegt also zuerst in der Verantwortung der einzel-nen Lehrkraft, ob und in welchem Umfang sie inner-halb der Konferenzbeschlüsse Hausaufgaben erteilt;zu dieser Verantwortung gehört auch, dass sie denSchwierigkeitsgrad richtig einschätzt, nicht zuletztalso den erforderlichen Zeitaufwand. Lehrerinnenund Lehrer müssen sich darum mit allen Kolleg*in-nen, die für eine Klasse zuständig sind, abstimmen,denn die Richtzeiten orientieren sich am Unterrichts-tag. Sie gelten nicht pro Fach. Und schließlich müs-sen die Hausaufgaben so konzipiert werden, dassdie Selbstständigkeit der Kinder dabei gefördertwird.

Über den sozialpädagogischen Bildungsauftrag desHortes aus SGB VIII und Kita-Gesetz übernehmen Er-zieher*innen eine Teilverantwortung bei der Erledi-gung der Hausaufgaben. Darüber werden sie als Ko-operationspartner*innen und Bildungsexperten*innenin dreierlei Hinsicht tätig: für die Kinder, für dieEltern und für die Lehrkräfte. Damit die Lehrkräfteihre Verantwortung für die Erteilung der Hausaufga-ben besser wahrnehmen und gegebenenfalls Ände-rungen vornehmen können, bedürfen sie der qualifi-zierten regelmäßigen Rückmeldung ihrer »Bildungs-kolleg*innen« aus den Horten; dies schließt jeweilsaktuelle Information, weshalb ein Kind an einembestimmten Tag mit seinen Aufgaben besonders gutoder ausnahmsweise gar nicht zurecht kam oderwarum es die Aufgaben aus anderen Gründen nichterledigen konnte, ein. Die gleichen Informationenmüssen die Eltern erhalten, wenn möglich als Grund-lage für eine Absprache, ob am Abend nach demHort zu Hause doch noch Zeit für die Hausaufgabenorganisiert werden soll oder nicht.

Bleiben nun noch die Kinder als Verantwortliche fürdie Erledigung der Hausaufgaben. Zweifellos handeltes sich um eine alters- und entwicklungsadäquateAnforderung, denen sich Kinder stellen müssen. Dafür

sprechen die Lebenserfahrung und § 44 Abs. 3BbgSchulG:

»Die Schülerinnen und Schüler sind insbesondereverpflichtet, regelmäßig am Unterricht und an sonsti-gen für verbindlich erklärten Schulveranstaltungenteilzunehmen sowie die für verbindlich erklärtenArbeiten und die Hausaufgaben anzufertigen.«

Es wäre ihrer Entwicklung im Allgemeinen und ihrerBildung im Besonderen nicht förderlich, würden dieKinder in der Hausaufgabensituation als (Befehls-)Ausführende behandelt. Im Gegenteil gibt es hierviele Bildungsgelegenheiten jenseits der konkretenLernziele bei einer speziellen Hausaufgabe.

Non-formale Bildungschancen können positiv genutztwerden, wenn Kinder erkennen, welcher Zeitpunkt imLaufe des Tages für sie der geeignete ist, abhängigz.B. von ihrem Biorhythmus, von ihren sonstigen Ver-pflichtungen und Plänen am Tag und von den Rah-menbedingungen in Hort und Elternhaus. Kinder ler-nen in solchen Situationen, die zur Verfügung stehen-de Zeit einzuteilen und Prioritäten zu setzen. DieHausaufgabensituation erlaubt die Entscheidung da-rüber, ob ein Kind seine Aufgaben selbst erledigt, obin Zusammenarbeit mit einem Freund bzw. einerFreundin oder ob es die Gegenwart (nicht das Ein-greifen!) der Erzieher*in bevorzugt. Selbst die Wahldes Ortes der Hausaufgabenerledigung kann eine Bil-dungsgelegenheit sein, wenn ein entsprechend ein-gerichteter Platz im Hort zur Verfügung steht undebenfalls die örtliche Bibliothek aufgesucht werdenkann. Verantwortung bei den Kindern wächst durchdie selbstständige Entscheidung, keine Hausaufga-ben machen zu wollen. Kindern, die keinen Hortbesuchen, gelingt dies eher – das ist der für Hortkin-der entscheidende Nachteil einer guten Zusammenar-beit zwischen Hort und Schule. Gleichwohl mussauch ihnen die Möglichkeit zur Nichterledigung ein-geräumt werden, solange sie selbst hierfür die Ver-antwortung übernehmen. Sie sollten beispielsweiseihre Position gegenüber Eltern und Lehrer*in vertre-ten können. Sollte ein Kind den Eindruck erwecken,es drücke sich vor der Verantwortung oder es gefähr-de seinen Schulerfolg, weil es die Erledigung derHausaufgaben zu oft verweigert, müssen Hort, Eltern-haus und Schule aktiv werden, bevor das Verhaltenzum Problem wird. Keinem Kind ist damit geholfen,wenn die Horterzieher*in ihre fachlichen Fähigkeitendurch exakte Hausaufgabenerledigung beweist;ebenso wenig wirken Eltern hilfreich, wenn sie dieAufgaben für ihr Kind erledigen.

»Aufgabe der Eltern, und daraus abgeleitet desHortes, ist es, für einen angemessenen Arbeitsrah-men zu sorgen, das Kind zu ermutigen, wenn es mut-

Baustein 4 – Hort und Schule – Arbeitsteilung und Zusammenarbeit für jedes Kind

46

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los ist und es erinnern, wenn es sich zu entziehenversucht.«48

Es klang mehrfach an, dass bei der Zusammenarbeitzwischen Hort und Schule auch die Eltern mitwirkenmüssen. Die rechtlich-fachlichen Grundlagen gebietendies, die pädagogisch-fachlichen Grundlagen gebennach jetzigem Stand der Erkenntnisse einem Vorgehenohne Einbeziehung der Eltern keine Erfolgschance.Zwischen den drei Instanzen Eltern, Hort und Schulemuss – gleichberechtigt – Klarheit und Übereinkunfterzielt werden, wie im Regelfall vorzugehen ist undwas ausnahmsweise, z.B. im Falle eines Konfliktesgetan werden soll. In gegenseitiger Achtung der je-weils anderen Funktion für das Kind sollen die Abspra-chen über die Aufgabenteilung entwickelt werden. Ausder Sicht von Eltern wird es darum gehen, nicht bloßdie Erwartungshaltung der Schule zu übernehmen; siesind weder Lückenbüßer noch Nachhilfelehrer*innen.Ebensowenig dürfen Horte Eltern die gesamte Last derHausaufgabenerledigung überantworten, denn wiealle Kindertageseinrichtungen sollen sie Eltern bei derVereinbarkeit von Familie und Beruf entlasten.

Aus der Perspektive des Hortes wird es nun darumgehen, nicht einseitig die Erwartungshaltung von El-tern oder Schule zu übernehmen. Horterzieher*innensind ebenfalls weder Lückenbüßer noch Nachhilfeleh-rer*innen. Der gemeinsame Bezugspunkt von Eltern,Hort und Schule ist jeweils das einzelne Kind, seineEntwicklung und das, was zur Unterstützung seinesBildungsprozesses notwendig und angemessen er-scheint.

Die vorhandenen Grundlagen gemeinsam weiterentwickeln

Die Zusammenarbeit zwischen Hort und Grundschulekann gelingen, wenn sie nicht nur als lästige Pflichtangesehen wird, die den beteiligten Personen übergesetzliche und andere Regelungen auferlegt wird,

sondern wenn alle unmittelbar davon profitieren,weil die Arbeit zu mehr Erfolg und größerer Zufrie-denheit führt.49 Gemeinsame angenehme Erfahrun-gen, gemeinsam errungene Erfolge bilden den Nähr-boden, nicht irgendwelche Vorschriften. Die könnennur Hilfsmittel sein und als Gedächtnisstütze dienen,worauf man achten soll. Die fachliche Ausführungbleibt den Fachleuten vorbehalten.

Hort- und Schulpädagogik haben sich in den letztenJahren insoweit konzeptionell angenähert, als sie sichauf ein kindzentriertes individuelles Vorgehen besin-nen. In Kindergarten, Hort und Grundschule geltenBildungsbeobachtungen und Dokumentationen alsprobates Fachinstrument.50 Eine gemeinsame Lernkul-tur von Kita und Grundschule, welche die Lernvoraus-setzungen, Interessen und Möglichkeiten des einzel-nen Kindes betont, beginnt sich zu entwickeln. Einsichtbares Produkt und Werkzeug zugleich ist GOr-BiKS, der Gemeinsame Orientierungsrahmen für dieBildung in Kindertagesbetreuung und Grundschule.

Angeklungen ist bereits eine Gefahr guter Zusammen-arbeit zwischen Hort, Schule und Eltern, das ist dieTendenz zu einer fast lückenlosen Überwachung derKindheit. Auch im Verhältnis zur Schule, auch beimSpezialfall Hausaufgaben, sollte darum darüber nach-gedacht werden, ob den Kindern genügend Frei-Räume für eigene, für selbstständige Entscheidungenbleiben. Jede Hortkonzeption sollte daher eine Passa-ge enthalten, in der das Team der Erzieher*innen ihrePosition zum Recht des Kindes auf den heutigen Tagund zum Recht des Kindes auf sein »so Sein« bezieht.

A Horte und Schulen als Häuser für Kinder

47

48 GOrBiKS, S. 3449 Auf die Darstellung weiterer Rechtsquellen als den bisher erwähnten, wird deshalb hier verzichtet.50 Vgl. Grundsätze elementarer Bildung, GOrBiKS, VV zur Grundschulverordnung

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Der Titel dieses Bausteins »Hort und Schule – Arbeits-teilung und Zusammenarbeit für jedes Kind« leitetdie pädagogischen Gedanken absichtsvoll vom direk-ten »Handeln am Kind« zur Zusammenarbeit unterErwachsenen. Der Baustein zielt nicht auf zusätzlicheArbeit, sondern auf ein bestimmtes pädagogischesVerständnis. Erzieher*innen sollen in die Zusammen-arbeit mit Schule (und Eltern) investieren, und dasgelingt ihnen, je weniger sie über die Kinder agierenund je mehr sie ihr Handeln auf die beteiligtenErwachsenen ausrichten. Zusammen mit Eltern undSchule, d.h. in Teilen gemeinsam und teilweise auchin Abgrenzung, werden die Hortkonzeption entwickeltund die organisatorischen Voraussetzungen geschaf-fen. Regelmäßige Absprachen zum laufenden Betriebund zur Weiterentwicklung der Konzeption und derZusammenarbeit gehören dazu. Konzeptionsentwick-lung ist deshalb eines von drei Beispielen, an denendie Handlungsoptionen von Horterzieher*innen beider Zusammenarbeit von Hort und Schule skizziertwerden.

1. Beispiel der Zusammenarbeit: Konzeption & Leitidee

Hort und Schule sind Häuser für Kinder. Erzie-her*innen können ihren Beitrag dazu leisten, indemsie über eine entsprechende eigenverantwortlicheGestaltung ihres Hortes hinaus im Dialog mit denLehrkräften ein »gemeinsames Bild vom Kind entwi-ckeln, das Eingang in die pädagogischen Konzeptio-nen/Schulprogramme findet«, so dass mit der Zeit»eine gemeinsame Vorstellung von einer neuen Lern-kultur« entsteht, in der zueinander passende »For-men von Beobachtung, Dokumentation und Analyse«praktiziert werden.51

Erzieher*innen in den Horten lösen bei der Zusam-menarbeit zwischen Kita und Schule gewissermaßenihre Kolleg*innen aus dem Elementarbereich ab. Diedort begonnene Zusammenarbeit in Bezug auf denÜbergang der Kinder zum Schuleintritt wird im Hortfortgesetzt. Dies ungeachtet dessen, dass eine frühe-re Beteiligung der Horterzieher*innen durchaus mög-lich und sinnvoll ist, z.B. um gemeinsam die Erfah-

rungen der letzten Übergangspassage zu reflektierenund Schlüsse daraus zu ziehen. Zu beachten ist, dassviele Kinder ja einen weiteren Übergang bewältigenmüssen – den vom Kindergarten in den Hort. Auchdies muss vorbereitet sein, muss auf den vermutlichgrößeren Einschnitt des Übergangs in die Schule hinabgestimmt werden, damit Überlastungen von Kin-dern vermieden oder begrenzt werden.

Hat die Schule begonnen und besuchen die Kinderaußerdem einen Hort, so gibt es jeden Tag mehrereÜbergänge zu bewältigen. In der Hortkonzeption soll-te erklärt werden, wie Horterzieher*innen gemeinsammit den Lehrkräften und den Eltern sich in die Aufga-ben teilen:

»Eltern sind zwar grundsätzlich für die Schulwegeihrer Kinder verantwortlich. Dies kann aber nicht da-zu führen, dass Kindergarten- und Horterzieher*innenhier »verantwortungslos« sind. Die Förderung vonSelbstständigkeit und somit auch die Stärkung desVermögens, Wege zunehmend selbstständig bewälti-gen zu können, sind Aufgabe der Kindertagesbetreu-ung; und Horte müssen gemeinsam mit den Elternnach Wegen suchen, wie die Kinder die Schulwegebewältigen können.«52

Kein Baustein liegt isoliert neben den anderen. BeiBerücksichtigung des Bausteins »Beteiligung« kön-nen Erzieher*innen nicht allein auf die Einbeziehungvon Eltern achten, sondern müssen ebenfalls die Kin-der zum Wort, besser: zum Ausdruck, kommen las-sen. In einem Haus der Kinder fällt perspektivischkeine Entscheidung, an der Kinder nicht mitwirkenkönnen. Solch weitgehende Beteiligung ist in derSchule nicht vorgesehen. Erzieher*innen erwerbendurch ihre Praxis der Beteiligung von Kindern (undEltern) Handlungskompetenzen im Feld non-formalerBildung, die sie in die praktische Zusammenarbeitdirekt einbringen können. Darüber hinaus fördert dieBeteiligung in den Horten die Kompetenzen der Kin-der, wovon Bildung und Unterricht mindestens indi-rekt profitieren. Mit einem entsprechenden Metho-denrepertoire profilieren sich Horterzieher*innen als»Fachkräfte der Beteiligung«.

Baustein 4 – Hort und Schule – Arbeitsteilung und Zusammenarbeit für jedes Kind

48

B Drei Handlungsansätze für Horterzieher*innen in Bezug auf Schule

51 GOrBiKS, S. 1452 GOrBiKS a.a.O. S. 34

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2. Beispiel der Zusammenarbeit: Erweiterung der aktuellen Schulthemen

Wenn Horterzieher*innen und Lehrkräfte enger zu-sammenarbeiten wollen, brauchen sie außer einemkonkreten Anlass bzw. einem konkreten Arbeitsthemaauch eine Leitidee, beispielsweise:

»Schule und Hort stärken die Selbstständigkeits-entwicklung der Kinder und nehmen die Überbehü-tung zurück.«53

Angenommen, das gemeinsame Arbeitsthema würdeaus dem Rahmenlehrplan der Grundschule bestimmtwerden, dann könnte die Zusammenarbeit zwischenHort und Schule als Arbeitsteilung gestaltet werden.Das Lehrplanthema »Räume entdecken = Räume er-schließen und Räume nutzen« bietet für die Jahr-gangsstufen 1 und 2 sowohl unterrichtsbezogene alsauch lebenspraktische Bildungsmöglichkeiten für Kin-der. Laut Lehrplan sollen sie mit Lageskizzen umge-hen, Hinweisschilder und Piktogramme deuten sowieWegbeschreibungen erfragen, nutzen und auch selbstgeben können. Außerdem geht es darum, dass Kin-der dieses Alters die Schulumgebung erkunden,besonders die Spiel- und Freizeitmöglichkeiten, undsich sowohl als Fußgänger als auch in öffentlichenVerkehrsmitteln bewegen können.

Vom Hort aus kann dies hervorragend unterstütztwerden, z.B. mit Informationen an die Lehrkräfte,über welche Kompetenzen die Kinder bereits verfü-gen, z.B. durch Erweiterung ihrer Kompetenzen in derPlanung von Ausflügen etc. Umgekehrt können die inder Schule erworbenen Kenntnisse im Hort öfter alsdort angewandt und dadurch vertieft werden; bei-spielsweise könnten Ausflugsziele, die die Schulemeistens nur einmal ansteuert, vom Hort aus mehr-mals besucht werden. Insgesamt müsste der Zu-wachs an Kenntnissen und Handlungskompetenzendazu führen, dass viele Kinder ihre Wege zwischenden Institutionen selbstständig zurücklegen und ihreFreizeitaktivitäten erweitern können.

Eine andere Möglichkeit für eine lehrplanbezogeneZu-sammenarbeit ergibt sich sozusagen von selbst,wenn im Hort Werkzeuge zur Verfügung stehen, bei-spielsweise auch Fahrtenmesser zum Schnitzen, oderwenn die Kinder regelmäßig über Gelegenheiten zumKochen bzw. Backen verfügen. Im Sachunterricht derJahrgangsstufen 1 und 2 geht es um technische Ent-wicklungen, Herstellungsverfahren und den Umgangmit Werkzeugen. Horterzieher*innen bereiten die Kin-der wie eben beschrieben darauf vor, ohne sich aufeinmalige Aktionen beschränken zu müssen; zugleich

fördern sie die Selbstständigkeit und reduzieren Über-behütung.

Die dritte Möglichkeit geht von Beobachtungen aus,die vielleicht eine Horterzieher*in bei Kindern derdritten und vierten Jahrgangsstufe macht. Sie ent-deckt, dass die Kinder beginnen, sich selbst in Ver-änderung wahrzunehmen. Sie selbst nimmt sich desThemas mit den Mitteln non-formaler Bildung an. Siebeachtet die gegenseitigen Einflüsse (Baustein »Gleich-altrige«) und packt, kurz gesagt, die Interessen derKinder beim Schopf, berücksichtigt deren Kompeten-zen und Beteiligungswillen – und heraus kommt einsozialpädagogisches, kindzentriertes Projekt. DieseInformationen stellt sie der kooperierenden Lehrkraftmöglichst frühzeitig zur Verfügung. Die Lehrer*in kanndaraufhin beschließen, das Thema zeitlich vorzuzie-hen, mit ihren Mitteln zu bearbeiten und die Kinderzu unterstützen. So kann die Bewältigung von All-tagssituationen von Kindern einen wertvollen Anlassfür eine Vertiefung, Erklärung und theoretische Fun-dierung in der Schule bieten.

Eine vierte Möglichkeit leitet bereits zum nächstenBeispiel der Zusammenarbeit über. Nach dem Rahmen-lehrplan sollen Kinder der Jahrgangsstufe 3 und 4 Zeitnutzen, planen und koordinieren lernen, auch um Frei-zeitangebote aufzusuchen. Dies bereiten Horterzieher*in-nen sehr viel früher vor, wenn sie Kindern freie Entschei-dungen über den Zeitpunkt und den Ort der Hausauf-gabenerledigung ermöglichen oder wenn sie den Kin-dern erlauben, sich innerhalb und außerhalb des Hor-tes zu verabreden. Selbstständigkeit wird dann nicht»theoretisch gelernt«, sondern praktiziert und erworben.

3. Beispiel der Zusammenarbeit: Spezialfall Hausaufgaben

Hausaufgaben sind nur ein Angebot des Hortes untervielen, doch eben auch ein Spezialfall im Umgang mitden sonstigen Aufgaben, im Umgang mit Kindern undmit Eltern sowie in der Zusammenarbeit mit den Lehr-kräften der Schule. Deshalb sollte jede Hortkonzep-tion Aussagen über die pädagogische Position enthal-ten, die hierzu vertreten wird, so z.B.• einen klaren und schlüssigen Standpunkt zwischen

einem Angebot (im weitesten Sinne) zur selbst-ständigen Erledigung der Hausaufgaben seitensder Kinder und dem Einsatz als Hausaufgabenhilfe(in Abgrenzung zur Nachhilfe),

• eine Positionierung bei auftretenden Problemen zwi-schen Kind, Eltern und Schule.

B Drei Handlungsansätze für Horterzieher*innen in Bezug auf Schule

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53 Ramseger, a.a.O.

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Die Mindestvoraussetzung in Horten erfüllen Erzie-her*innen, wenn sie einen geeigneten Ort bereitstel-len, an dem Kinder ihre Hausaufgaben ungestört vonden sonstigen Aktivitäten erledigen können. An die-sem Ort finden die Kinder sowohl zu Ruhe und Kon-zentration als auch die erforderlichen Arbeits- und Hilfs-mittel, z.B. Lexika, Locher, Lineal, Taschenrechner undandere Ressourcen.

Die Horterzieher*innen richten den zeitlichen Rahmennach den individuellen Bedürfnissen und der Leis-tungsfähigkeit der Kinder aus. Mit jedem Kind wirdverhandelt, ob und wann – in der Regel – es seineHausaufgaben machen möchte, gleich nach der Schu-le, nach dem Mittagessen, nach einer Phase der Ent-spannung auch durch Bewegung oder lieber zuHause. In der Gesamtschau aller Kinder erkennbareRaum-Zeit-Kollisionen werden durch die Kinder oderwenigstens mit ihnen gelöst, nur im Notfall für sie.Dies stärkt sowohl ihre kommunikativen als auch ihreKonflikt- und Kooperationskompetenzen.

Kinder benötigen eine aufmerksame Begleitung, da-mit sie den Schulalltag sicher und erfolgreich bewäl-tigen können. Das Ziel allen Handelns muss sein,dass Kinder die Hausaufgaben möglichst bald selbst-verantwortlich erledigen. Anfangs werden sie intensi-ver begleitet als in den höheren Klassen. Die Horter-zieher*innen verschaffen sich dabei einen Eindruckvom Kind und seinem Leistungsvermögen im Verhält-

nis zu den gestellten Aufgaben. Das schließt eineKontrolle der Hausaufgaben auf Vollständigkeit undRichtigkeit von Zeit zu Zeit ein, doch es geht hierbeinicht um eventuell notwendige oder gar zwangsläufi-ge Ergänzungen oder Korrekturen der Hausaufgaben,sondern um Anhaltspunkte für sinnvolles pädagogi-sches Arbeiten.

Durch ihre Begleitung erkennen die Erzieher*innennämlich, wann ein Kind oder mehrere durch die Fülleoder den Schwierigkeitsgrad der Hausaufgaben über-lastet sind. In solchen Fällen fungieren Erzieher*in-nen auch als Feedbackgeber für Lehrkräfte (undEltern) bezüglich Umfang und Angemessenheit derHausaufgaben, so dass diese die einschlägigen Vor-schriften besser einhalten können. Insofern agierensie auch als Vermittler*innen zwischen den verschie-denen Bedürfnissen und Ansprüchen, doch nicht neu-tral. Sie müssen zum Wohl des Kindes parteiisch han-deln und sehen, ob den Kindern genügend frei ver-fügbare Zeit zum Spielen bleibt. Horterzieher*innenkönnen gegenüber Lehrkräften und Eltern mit demWohlbefinden der Kinder als Grundlage für gelingendeBildungsprozesse argumentieren. Die schulischen Be-lange stehen nicht im Vordergrund der Hortarbeit,vielmehr wird darauf geachtet, dass eine Balancezwischen Hausaufgaben und der frei gestalteten Zeitim Hort möglich ist.

Baustein 4 – Hort und Schule – Arbeitsteilung und Zusammenarbeit für jedes Kind

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In einem solchermaßen von den Erwachsenen abge-steckten Rahmen der Zusammenarbeit bieten sichden Kindern vielfältige Gelegenheiten für Bildungser-fahrungen. Die Gefahr, dass intensive Zusammenar-beit eine lückenlose Kontrolle mit sich bringt, ist zwargegeben, doch werden Horterzieher*innen, die nachsolchen Konzepten arbeiten, zusammen mit Elternund Lehrkräften auch dieser Gefahr begegnen. Dergeschützte Freiraum, den dieser Rahmen bietet, er-möglicht den Kindern die notwendige Auseinander-setzung mit ihren Entwicklungsaufgaben.

Kinder, die so aufwachsen, können vieles für ihreeigene Entwicklung ausprobieren und erwerben. Ins-besondere gilt dies für ihre Selbstständigkeit und ihreSozialkompetenz. Interessen werden vertieft, Sach-wissen erweitert, arbeitsmethodische und andereHandlungskompetenzen geübt. Es handelt sich dabeium ein Übungsfeld, das doch zugleich eine Ernstsi-tuation darstellt. Die Kinder lernen damit umzuge-hen, finden ihre Lösungen und Absprachen. Die neuerworbenen Kompetenzen können von ihnen sofortausprobiert und verfeinert werden; sie erleben denKompetenzzuwachs bei der praktischen Lebensbe-wältigung. Die Kinder erfahren dabei, dass Zusam-menarbeit lohnt, nicht nur unter Kindern durch Erfah-rung, sondern auch durch Abschauen bei ihrenerwachsenen Vorbildern.

Durch einen Umkehrschluss kann dies deutlich wer-den. Wenn Kinder im Hort erfahren, dass die Erwach-senen (Erzieher*in, Eltern, Lehrkraft) vorgeben, wannHausaufgaben durchgeführt werden, dass sie stetsvollständig sein müssen und sich alle anderen Aktio-nen des Tages danach ausrichten, wieviel Zeit dieHausaufgaben übriglassen, dann lernen die Kindervermutlich, dass Produkte richtig, pünktlich und imgeforderten Umfang erstellt werden müssen, sie ler-nen zu gehorchen und sich den Prioritäten derErwachsenen entsprechend zu verhalten.

Eine solche Vorgabe untergräbt methodisch die Bil-dung der Kinder als Selbstbildung. Dadurch lernendie Kinder neben der korrekten Hausaufgabenerledi-gung auch etwas über das Funktionieren der Welt,nur nicht im gewünschten Sinne. Die Vorgabe stehtim Gegensatz zum Ziel demokratischer Teilhabe. Kin-der lernen in solchen Situationen etwas über Priori-täten. Sie erfahren, wessen Prioritäten gelten, welchedies sind und ob bzw. wann es Ausnahmen gibt. Sieregistrieren, wie verlässlich in ihrer Einrichtung Betei-ligung (siehe Baustein 2) gelebt wird.

Angenommen, ein Kind oder sogar mehrere aus einerKlasse kommen mit den Hausaufgaben nicht klar,dann bewirkt die Entscheidung der Erzieher*in, denKindern zu helfen, eine andere Erfahrung als die Auf-forderung aufzugeben und einzupacken. Einbezogenwerden muss in diese Überlegungen, wie es danachweitergeht. Muss jedes Kind sich allein vor seinenEltern rechtfertigen? Sollen die betreffenden Kinderallein und auf eigenes Risiko vor ihre Lehrer*in tretenoder stärkt ihnen ihre Erzieher*in den Rücken? DerSpagat bei der Erledigung der Hausaufgaben zwischenbedingungsloser Pflichterfüllung und Geringschätzungsollte nicht allein den Kindern zugemutet werden. Eshandelt sich hierbei um einen Dauerkonflikt, der stetsaufs Neue auch von den Erzieher*innen auszutarierenist. Rückmeldungen seitens der Erzieher*innen an dieLehrkräfte sollen die Kinder unterstützen, ihre Sicht-weisen und Probleme darzustellen. Sinnvoll ist, daraufzu achten, welche Möglichkeiten dem einzelnen Kindoffenstehen, welche es davon bevorzugt und welcheihm eröffnet werden können.

Eine vollständige Übernahme der Verantwortungdurch die Erzieher*in löst das Grundproblem nicht.Darum ist es unerlässlich, sich als Erzieher*in demKonflikt zu stellen, zu kommunizieren, zu kooperie-ren und für die eigene Position einzutreten. WennKinder dies erleben, eröffnet sich ihnen eine weitereBildungschance.

C Das Thema der Hausaufgaben muss nicht das Bildungsthema des Kindes oder seine aktuelle Entwicklungsaufgabe sein

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C Das Thema der Hausaufgaben muss nicht das Bildungsthema des Kindes oder seine aktuelle Entwicklungsaufgabe sein

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Notizen

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