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Mit dem Pulmotor fing es an Die Geschichte der maschinellen Beatmung Ernst Bahns

Mit dem Pulmotor fing es an Die Geschichte der maschinellen … · 2016. 11. 4. · Die „Stunde Null“ in der maschinellen Beatmung – Der „Ur-Pulmotor“ Maschinelle Beatmung

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Ernst Bahns

Mit dem Pulmotor fing es anDie Geschichte der maschinellen Beatmung

Ernst Bahns

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Mit dem Pulmotor fing es an – Die Geschichte der maschinellen Beatmung

Ernst Bahns

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Inhaltsverzeichnis

Eine Geschichte von mehr als hundert Jahren 8

Die Geschichte der Beatmungstechnik 10

Die „Stunde Null“ in der maschinellen Beatmung – Der „Ur-Pulmotor“ 10

Das Steuerprinzip des Ur-Pulmotors 12

Die Weiterentwicklung des Pulmotors durch Bernhard Dräger 14

Vom Prototypen zur Serienreife – Ein neuartiges Steuerprinzip 16

Das Pulmotorprinzip (1) 18

Das Pulmotorprinzip (2) 20

Der Pulmotorstreit (1) 22

Der Pulmotorstreit (2) 24

Weiterentwicklung des Pulmotor – Die Pulmotordose 26

Der Pulmotor im klinischen Einsatz 28

Ein neuer Weg – Die Wechseldruckbeatmung mit der Eisernen Lunge 30

Kreativität und Improvisationsgeist in der Nachkriegszeit 32

Anfänge in der Intensivbeatmung – Die Assistoren 34

Der Weg zur modernen Intensivbeatmung – Die Spiromaten 36

Intensivbeatmung im stetigen Fortschritt – Vom Spiromat zur EV-A 38

Moderne Intensivbeatmung – Die Evita-Familie 40

Die neue Generation der Evita Familie 42

Eine neue Familie in der Dräger Beatmung: Savina 44

Die nicht-invasive Beatmung mit Carina 46

Die Beatmung kleiner Patienten – Der Weg zum Babylog 48

Intensivbeatmung in der Neonatologie – Das Babylog 8000 50

Vom Pulmotor zum Oxylog 52

Die Oxylog-Familie – Der Weg in die moderne Notfallbeatmung 54

Die Rolle der Therapeuten 56

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Die Geschichte der Beatmung 58

Das Beatmungsgerät im klinischen Einsatz – Eine Übersicht 58

Atmung und Beatmungsverfahren – Ein grundsätzlicher Unterschied 60

Drei Probleme der maschinellen Beatmung 62

Druckbegrenzte Beatmung mit dem UV-1 64

Neue Beatmungstechnik mit EV-A 66

Einfach und offen für Spontanatmung – Druckkontrollierter BIPAP 68

Optimaler Druck und offen für Spontanatmung – volumenkontrollierter AutoFlow® 70

Druckunterstützte Spontanatmung 72

Die Anpassung der Unterstützung an die Spontanatmung 74

Die Regelung der Druckunterstützung durch den Patienten 76

Die Problematik der Geräteverbindung zum Patienten 78

Besonderheiten der Früh- und Neugeborenen-Beatmung 80

SmartCare®/PS 82

Tendenzen in der Entwicklung der Beatmungsverfahren – Fazit 84

Tendenzen in der Entwicklung der Beatmungsverfahren – Ausblick 86

Vom Messinstrument zum Beatmungsmonitor 88

Von der Momentaufnahme zur Trendanalyse 90

Der Wert des grafischen Monitorings 92

Beatmungsmonitoring in einer neuen Zeit 94

Beatmungsdiagnostik mit neuen Bildern 96

Leistungsumfang und Bedienung 98

Leistung stark, Bedienung einfach – ein Widerspruch? 100

Bedienung einheitlich – eine Vision? 102

Vom Beatmungsgerät zum Beatmungsmodul 104

Vom Modul zum System Akutmedizin 106

Akutmedizin als Ganzes gesehen 108

Literaturverzeichnis 110

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Eine Geschichte von mehr als hundert Jahren

Die Geschichte der Beatmung ist für Dräger mehr als einnüchterner chronologischer Ablauf – die Geschichte derBeatmung ist eng verbunden mit der Geschichte der FamilieDräger.

Die Geschichte der Beatmung aus dem Hause Dräger beginntmit dem Pulmotor, für den mein Ur-Ur-Großvater HeinrichDräger im Jahr 1907 das Patent erhielt. In seinen Lebens-erinnerungen beschreibt er, wie er während einer Auslands-reise Ideen zur Wiederbelebung bei Gasvergiftungen sammeltund diese dann mit der Erfindung des Pulmotors umsetzt. Es war dann mein Urgroßvater Bernhard Dräger, der dabeimitwirkte, die Erfindung seines Vaters zur Serienreife zubringen, und das Pulmotorkonzept mit einer Steuerung durchAtemwegsdruck weiterentwickelte.

Die Beatmung muss wohl für meine Vorfahren eine ArtHerzensangelegenheit gewesen sein, bei der sie sich nicht nurauf die unternehmerische Führung beschränkten. Vielmehrhaben sie sich durch persönliches Engagement in den Ent-wicklungsprojekten direkt beteiligt. Auch ich selbst habe dieBegeisterung für die Beatmung von meinen Vorfahren geerbt,bin von Haus aus Ingenieur, und habe in den Jahren 1999 bis 2002 das weltweite Geschäftsgebiet Intensivbeatmunggeleitet. Die heutigen Beatmungsgeräte arbeiten mit elektro-nischer Steuerung durch Mikroprozessoren.

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Mit der vorliegenden Broschüre wollen wir jedoch nicht nurvon der Vergangenheit der Beatmung berichten, sondern wirwollen auch einen Beitrag zur Diskussion um die Zukunft derBeatmung leisten. Wir wollen Ihnen deshalb die Beatmung sobeschreiben, dass nicht nur das medizinische und technischeFachpersonal, sondern alle Interessierten etwas davon mit-nehmen können und sich an der Diskussion um die künftigeEntwicklung der Beatmung beteiligen können.

Mit dem Anspruch, auch denjenigen die Beatmung zu ver-anschaulichen, die nicht tagtäglich damit zu tun haben, ist es unumgänglich, Grundlagen darzustellen, die dem sach-kundigen Leser bereits geläufig sind. Der Einfachheit halberbeschränkt sich die vorliegende Fibel ausschließlich auf dieBeatmung aus dem Hause Dräger.

Nach dem hundertjährigen Jubiläum des Pulmotors im Jahr2007 freuen wir uns im Jahr 2014 über den 125ten Jahrestagunserer Firmengründung. Wir haben dies zum Anlassgenommen, die Geschichte der Beatmung mit den Ereignissender letzten Jahre zu aktualisieren und Ihnen in einerJubiläumsausgabe zu präsentieren.

Stefan Dräger

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Die „Stunde Null“ in der maschinellen Beatmung –Der „Ur-Pulmotor“

Maschinelle Beatmung setzt mechanische Hilfen und Sauerstoff bei unzurei -chender Spontanatmung ein. Ein Beatmungsgerät ventiliert die Lunge mit einemBeatmungsmuster, einem definierten Zeitverlauf von Druck und Volumen und esleistet dabei maschinelle Atemarbeit. Beatmungsgeräte müssen dazu über einSteue rungsprinzip verfügen und in der Regel bieten sie die Möglichkeit, mit Sauer-stoff zu beatmen.

In der Entwicklung von Beatmungsgeräten waren somit zwei Fertigkeiten gefragt:Die Konstrukteure mussten sich in Steuerungsprinzipien auskennen und siemussten mit der Handhabung von Druckgasen vertraut sein. Beide Voraussetzungenwaren zu Beginn des vorigen Jahrhunderts in der noch jungen Firma „Heinrich &Bernhard Dräger“ gegeben und die Entwicklung eines Beatmungsgerätes wardamals im wahrsten Sinne des Wortes eine Chefsache.

In seiner Publikation „Das Werden des Pulmotors“ (7) dokumentierte der Unter-nehmensgründer Heinrich Dräger seine Überlegungen zur Entwicklung einesBeatmungsgerätes. Er skizzierte darin eine neue Technologie zum „Einblasen von

Frischluft oder Sauerstoff in dieLunge“. Sein Pulmotor erzeugteabwechselnd einen positiven undnegativen Atemwegsdruck und war mitDruck-Sauerstoff betrieben. Für die Ent-wicklung seines „Ur-Pulmotors“ wurdeHeinrich Dräger im Jahre 1907 dasPatent erteilt.

10 | DIE GESCHICHTE DER BEATMUNGSTECHNIK

Der Ur-Pulmotor (1907). Versuchsmodell entsprechend der von Heinrich Dräger zumPatent angemeldeten ersten Version des Pulmotors

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Heinrich Dräger nimmt in Gegenwart seiner Familie eine Patentschrift vom Postboten entgegen

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Das Steuerprinzip des Ur-Pulmotors

Für die Umschaltung zwischen Einatmung und Ausatmung setzte Heinrich Drägerin seinem Ur-Pulmotor eine Mechanik ein, die ihm als gelerntem Uhrmacher rechtgeläufig war: Die Steuerung des Beatmungsmusters erfolgte damals durch einmodifiziertes Uhrwerk mit Kurvenscheibe.

Das Bemerkenswerte an dem „Ur-Pulmotor“ ist die Be gründung, die H. Dräger für die Wahl seinesSteuerungsprinzips gab. Er wählte fürseinen Apparat ein techni sches Prinzip,das die Physiologie so naturgetreu wiemöglich ersetzt. Mit dieser Zielsetzungder künstlichen Beatmung war erseiner Zeit um Jahrzehnte voraus. Für H. Dräger war die physiologischeFunktion, die es zu ersetzen galt, eineregelmäßige Bewegung des Atemappa-

rates mit einem konstanten Zeitverlauf. Deshalb wählte er für seine Beatmungs -maschine ein technisches Prinzip, bei dem die Dauer der Ein- und Ausatemphasewährend der künstlichen Beatmung unverändert blieb. Die Beatmung war nachunserem heutigen Verständnis zeitgesteuert.

Der Rest der Welt, wie übrigens auch diejenigen, die den Pulmotor weiterent-wickelten, folgte einem anderen Weg. Zur Steuerung des Beatmungsmusters dientedabei ein technisches Prinzip, das nach Erreichen bestimmter Beatmungsdrückeauf Aus- bzw. auf Einatmung umschaltete. Derartige Systeme nennt man druck-gesteuert. Druckgesteuerte Beatmungsgeräte wurden mit der Zeit immer robuster,zuverlässiger und genauer. Kurz gesagt, sie wurden technisch immer besser. Druckgesteuerte Beatmungsgeräte erscheinen aus heutiger Sicht technischoptimiert. Sie realisierten also einen Weg, den die Technik damals besserbeherrschte.

12 | DIE GESCHICHTE DER BEATMUNGSTECHNIK

Bernhard und Heinrich Dräger

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Heinrich Dräger

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Hier war H. Dräger, wie gesagt, seiner Zeit etwas voraus: Moderne Beatmungsgerätesind nicht mehr druckgesteuert, sondern überwiegend zeitgesteuert. Ob H. Drägerschon damals wusste, dass er mit seinem Prinzip der Physiologie näher kam alsandere, entzieht sich unserer Kenntnis. Tatsache jedoch ist, dass sein 1907patentierter Pulmotor mit der Zeitsteuerung den richtigen Weg wies.

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Die Weiterentwicklung des Pulmotors durch Bernhard Dräger

Der „Ur-Pulmotor“ war sicherlich ein bahnbrechendes Konzept, blieb aber auf derStufe eines Versuchsmodells, das für die Praxis noch nicht geeignet war. Es gabnämlich noch zwei Unzulänglichkeiten, die Heinrich Dräger bereits bei der Ent-wicklung erkannt und dokumentiert hatte (7). Zum einen bewirkte seine Kon-struktion eine erhebliche Rückatmung des ausgeatmeten Gases und zum anderenkonnte durch die rigide Uhrwerk-Steuerung die Beatmung nicht an den Patientenangepasst werden. Die Abhilfe dieser Unzulänglichkeiten überließ Heinrich Drägerseinem Sohn Bernhard und dem Ingenieur Hans Schröder (8).

Das Problem der Rückatmung von aus-geatmetem Gas behob Bernhard Drägerdurch eine Neukonstruktion des Schlauch -systems. Beim „Ur-Pulmotor“ war derPatient nur über einen Schlauch mitder Beatmungsmaschine verbunden.Dieser Schlauch wirkte gewissermaßenals Verlängerung der Luftröhre, da eineTrennung von Ein- und Ausatemlufterst innerhalb des Beatmungsgerätesvorgenommen wurde.

Bernhard Dräger ersetzte das Schlauchsystem des„Ur-Pulmotors“ durch eine neue Konstruktion,bestehend aus Einatemschlauch und Ausatem-schlauch und bewirkte durch eine geänderteVentilsteuerung eine patientennahe Trennung vonEinatemluft und Ausatemluft. Die Verunreinigungder Einatemluft durch ausgeatmetes Kohlendioxidwar damit erheblich verringert.

14 | DIE GESCHICHTE DER BEATMUNGSTECHNIK

Bernhard Dräger in seinem Büro (1904)

Heinrich und Bernhard Dräger

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Bernhard Dräger in der Versuchswerkstatt

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Vom Prototypen zur Serienreife – Ein neuartiges Steuerprinzip

Eine weitere große Herausforderung in der Weiterentwicklung des Ur-Pulmotorswar der Nachteil der rigiden Steuerung, die sich nicht an die Lungenmechanikanpassen ließ. Dadurch konnten gefährliche Beatmungsdrücke nicht verhindertwerden, die bisweilen dann entstehen, wenn die Lungenmechanik sich ver-schlechtert. Hier gelang dem Ingenieur Hans Schröder die Konstruktion einesSteuerprinzips, das über Jahrzehnte in diversen Generationen von Beatmungs-geräten eingesetzt wurde. Mit der Neuentwicklung des Steuerungsmechanismuskonnte abhängig vom Atemwegsdruck automatisch von Einatmung auf Ausatmungumgeschaltet werden. Eine detaillierte Darstellung des Funktionsprinzips wird aufder folgenden Doppelseite gegeben.

Die Antwort auf die Frage, welchesBeatmungsgerät nun das erste war, istErmessenssache. Definiert man einBeatmungsgerät als eine Maschine, die mechanische Atemarbeit mit einem definierten Zeitmuster leistetund die Möglichkeit einer Sauerstoff-beatmung bietet, dann ist der 1907 vonHeinrich Dräger patentierte Pulmotorwahrscheinlich das erste Beatmungs-gerät.

Fügt man aber als weiteres Kriterium die Serien-reife und die nachgewiesene erfolgreiche klinischeAnwendung hinzu, dann gebührt der Weiterent-wicklung des Pulmotors durch Bernhard Drägerund Hans Schröder das Prädikat „erstes Beatmungs -gerät“. Unter diesem Gesichtspunkt ist der druck-gesteuerte Pulmotor mit großer Sicherheit dasweltweit erste Beatmungsgerät in der Geschichteder Medizintechnik.

16 | DIE GESCHICHTE DER BEATMUNGSTECHNIK

Der Pulmotor im Arztwagen eines Eisenbahn-Hilfszuges (1913)

Der Pulmotor im Einsatz beieinem Badeunfall

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Serienfertigung des Pulmotors

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Das Pulmotorprinzip (1)

Der in den vorherigen Seiten bereits grob skizzierte Pulmotor soll im Folgendennun detailliert in seinem Aufbau und seiner Funktion beschrieben werden. Tech-nische Innovationen des Pulmotors sind die „Druck- und Saugdüse“ zur Erzeugungdes Beatmungsdruckes und der Steuerungsmechanismus zum Umschaltenzwischen Einatemphasen und Ausatemphasen.

Die für die maschinelleBeatmung notwendigeEnergie stammt aus demDruckgasbehälter des Pulmotors – Sauerstoff isthier also nicht nurMedikament für denPatienten, sondern auchEnergiequelle derBeatmungsmaschine. DerSauerstoff wird über eine„Saugdüse“ mit Umgebungs-

luft vermischt in ein Rohrsystem eingeleitet. Die Anordnung der Düse ist aus derSkizze von Heinrich Dräger ersichtlich (7). Durch die Einleitung des Druckgaseswird innerhalb des Rohrsystems ein Gasfluss erzeugt und es entsteht vor der Düseein Überdruck, während hinter der Düse ein Unterdruck entsteht. Eine derartigeKonstruktion bezeichnet man als Injektor.

Durch ein Ventilsystem wird der Patient in der Inspirationsphase mit dem Über-druckbereich des Rohrsystems und in der Exspirationsphase mit dem Unter -druckbereich verbunden (7). Das Ventilsystem besteht beim Ur-Pulmotor noch auseinem Vierwegehahn, welcher wie bereits beschrieben durch ein Uhrwerk betätigtwird.

18 | DIE GESCHICHTE DER BEATMUNGSTECHNIK

Funktionsprinzip des Ur-Pulmotors, dargestelltnach Skizzen von Heinrich Dräger (7). Links: Ausatmung, rechts: Einatmung

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Schematische Darstellung des druckgesteuerten Pulmotors

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Das Pulmotorprinzip (2)

In der Weiterentwicklung von Hans Schröder wird das Injektorprinzip aus dem Ur-Pulmotor übernommen. Der Vierwegehahn und das Uhrwerk sind jedoch durcheine neue Steuermechanik ersetzt. Die Grafik der vorherigen Seite zeigt den Aufbauim Detail.

Die Steuermechanik besteht hier aus einemLederbalg, der an das Rohrsystem angeschlossenist. Dieser Balg dehnt sich bei Überdruck aus undschaltet dabei einen Steuermechanismus um.

Der Steuermechanismus betätigt nun ein Ventil-system, welches eine Änderung des Gasflusses imAtemsystem bewirkt: In der Stellung „Ein“ wirdder Patient mit dem Überdrucksystem verbundenund vom Unterdrucksystem getrennt, in derStellung „Aus“ wird der Patient vom Überdruck-system getrennt und mit dem Unterdrucksystemverbunden.

Das Ventilsystem ist weiterhin so konstruiert, dass während der Ausatemphase dasRohrsystem nach außen geöffnet wird, so dass das Gas frei abströmen kann. Einweiterer, so genannter Bremsbalg sorgt für eine mechanische Dämpfung bei derUmschaltung der Atemphasen.

20 | DIE GESCHICHTE DER BEATMUNGSTECHNIK

Pulmotor mit Wandmontage

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Pulmotor auf Stativ mit Zusatzvorrichtung zur Anreicherung der Atemluft mitKohlendioxid zur Anwendung im Operationssaal

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Der Pulmotorstreit (1)

Bereits fünf Jahre nach Beginn der Serienfertigung 1908 waren 3.000 Pulmotore imEinsatz – eine für die damaligen Verhältnisse enorme Stückzahl (22). Zehn Jahrespäter hatte sich die Anzahl der im Einsatz befindlichen Pulmotore auf knapp 6.000fast verdoppelt (12) und nach 38 Jahren wurde die Anzahl der im Einsatzbefindlichen Geräte auf mehr als 12.000 geschätzt (16). Die mit dem Pulmotordurchgeführten Wiederbelebungen wurden seinerzeit vom Drägerwerk mitakribischer Genauigkeit protokolliert und mit großem Stolz in den Drägerheftenpubliziert (15).

Hinter dieser Öffentlichkeitsarbeit von Drägerstand ein klares Interesse: Man wollte der Öffent-lichkeit nachweisen, dass die Wiederbelebung mitmaschineller Beatmung einer manuellen Methodegegenüber überlegen war. Und man setzte sich zurWehr gegen Kritik am Prinzip der Überdruck-beatmung des Pulmotors, eine Kritik, die in denzwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts von

klinischen Anwendern vorgetragen wurde und die im so genannten „Pulmotorstreit“gipfelte (13, 14, 16).

Ein damaliger Pulmotor arbeitete mit einem Beatmungsdruck von 20 cm H2O inder Einatemphase und einem Negativdruck von – 25 cm H2O in der Ausatemphase.Zur Stimulation des Atemzentrums war eine Beimischung von CO2 vorgesehen. Mit Ausnahme des Beatmungsdrucks in der Einatemphase unterschied sich diedamalige Beatmung also recht deutlich von der heutigen und die Kritik aus derKlinik erscheint aus heutiger Sicht zumindest nachvollziehbar. Bemerkenswerter-

weise ging der Streit jedoch hauptsächlich um dievermeintlich gefährlichen Auswirkungen desBeatmungsdruckes auf Herz und Lunge – die, wiewir heute wissen, wesentlich bedenklicherenNegativdrücke oder die CO2-Beimischung fandenhingegen wenig Beachtung.

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Auszug aus der Titelseite derersten Ausgabe der Pulmotor-Nachrichten von 1930

Auszug aus der Titelseite einesDrägerheftes von 1917

DIE GESCHICHTE DER BEATMUNGSTECHNIK

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Einsatz des Pulmotors bei einem Badeunfall – zeitgenössische Grafik von 1913

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Der Pulmotorstreit (2)

Das Reichsgesundheitsamt als damalige Aufsichtsbehörde kam 1922 zu der Ent-scheidung, dass es nach dem damaligen Stand der Kenntnisse gegen die Anwendungvon Überdruckbeatmung keine gesundheitlichen Bedenken gäbe. Sie veranlasstejedoch, wissenschaftliche Untersuchungen über die erhobenen Bedenken durch-zuführen. Wir wissen, dass derartige Untersuchungen unter dem Thema„Schädigung des Organismus durch Beatmungsgeräte“ auch heute noch nicht abgeschlossen sind – der „Pulmotorstreit“ ist also im Grunde genommen auchheute noch aktuell und das Ergebnis ist offen.

Der Pulmotorstreit ist jedochnicht nur wegen seinesErgebnisses von historischerBedeutung, sondern ein weiterer Gesichtspunkterscheint interessant. Es istdas taktische und strate -gische Verhalten von Drägerim Pulmotorstreit.

In den Drägerheften der damaligen Zeit (12, 13, 14) ist nachzulesen, welchen Aufwand Dräger trieb, um Bedenken gegen die Wirksamkeit des Pulmotors aus-zuräumen und Vermutungen über Gefährdungen entgegenzutreten. Derartiger Aufwand ging über rein kommerzielle Interessen weit hinaus. Es war der Anspruchaus unternehmerischer Sicht nachzuweisen, dass man das Richtige tut.

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Pulmotor-Einsatz im Rettungsdienst

DIE GESCHICHTE DER BEATMUNGSTECHNIK

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Es ging hier also nicht nur um das Image eines Produktes, vielmehr ging es um den eigenen Namen. Dieses vertrat man gegenüber allen Beteiligten – den Kunden,den Verbänden und den Aufsichtsbehörden und wenn erforderlich, wurde sach licheKritik in technische Weiterentwicklungen umgesetzt.

Diese Strategie war mehr als das, was man damals „Absatzförderung“ nannte – so etwas nennt man heute Marketing.

Arbeiter-Samariter-Kolonne aus Schlitigheim (Elsaß) nach einem Dräger-Gasschutzkurs 1930

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Weiterentwicklung des Pulmotor – Die Pulmotordose

Das Pulmotorprinzip mit dem Umschaltmechanismus über Steuerbälge wurde imJahre 1955 grundlegend geändert (11). Anstelle der Steuerung über den Doppel -balgmechanismus trat eine handlichere, wesentlich kleinere Mechanik, die auf-grund ihrer Umkapselung den Namen „Pulmotordose“ erhielt.

Mit der Pulmotordose war die Umschaltmechaniknun so kompakt geworden, dass man sie aus demGrundgerät auslagern und patientennah einsetzenkonnte. Die beiden Faltenschläuche, die zumeinen unhandlich waren und zum anderen imLaufe der Zeit oft undicht wurden, waren damitüberflüssig. Der Patient wurde beim neuen Pul-motor über einen 1,5Meter langen Druckschlauchmit dem Grundgerät verbunden. Somit hatte manbeim Geräteeinsatz eine wesentlich bessereBewegungsfreiheit.

Die räumliche Trennung von Pulmotordose undGrundgerät ermöglichte dem Pulmotor jetzt eine

wesentliche Erweiterung des Einsatzbereiches und sie erlaubte eine flexible Aus-stattung. So konnte jetzt anstelle der Sauerstoff-Insufflationseinheit eine weiterePulmotordose an das Grundgerät angeschlossen undbei Bedarf zwei Patienten mit einem Grundgerätbeatmet werden. Die Beatmungsdrücke des neuenPulmotors lagen mit + 15mbar in der Inspirationund mit – 10mbar in der Exspiration unter denender Vorgänger. Die CO2-Anreicherung im Atemgas,die zur vermeintlichen Stimulation der Eigen-atmung bei den Vorgängern noch als Option zurVerfügung stand, war für den neuen Pulmotornicht mehr erhält lich. Sie wurde ersetzt durcheine pneumatisch betriebene Absaugvorrichtung.

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Tornistor-Pulmotor PT 1

Koffer-Pulmotor PK 2

DIE GESCHICHTE DER BEATMUNGSTECHNIK

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Schematische Darstellung der Umschaltmechanik der Pulmotordose: Inspirationsphase und Exspirationsphase

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Neben der etablierten Kofferversion, die unter der Modellbezeichnung PK2 einge-führt wurde, stand die Tornisterversion PT1 zur Verfügung. Letztere wog nur noch13 kg und das war lediglich etwas mehr als die Hälfte des Gewichtes der früherenKofferversionen des Pulmotors. Die Modelle PK60 und PT60 bzw. PT 61 waren Weiterentwicklungen, bei denen eine modifizierte Pulmotordose zum Einsatz kam.Sie ermöglichte eine Beatmung mit reinem Sauerstoff ohne angesaugte Umge-bungsluft. Somit war es mit den neuen Modellen erstmals möglich, auch intoxischer Atmosphäre zu beatmen.

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Der Pulmotor im klinischen Einsatz

Der Pulmotor repräsentierte über mehrere Jahrzehnte eine eigenständige Produkt-linie. Sein wesentlicher Einsatzbereich war dabei die Notfallbeatmung. Darüberhinaus wurde das Pulmotorprinzip in verschiedenen Beatmungsgeräten meist untereinem anderen Namen eingesetzt.

Bereits 1910 wurde das Pulmotorprinzip in der „DrägerschenAtmungsmaschine Typ MOA“ umgesetzt, bei der derUmschaltmechanismus bereits einen Steuerbalg hatte undüber eine einfache Atemgasanfeuchtung verfügte. 1913 folgteder Lungengymnastische Apparat Typ MS-A, bei dem über ein Pedal zwischen den Atemphasen umgeschaltet wurde.Eine fahrbare Version des Pulmotors wurde bereits in denzwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts vorgestellt.

Die bemerkenswerteste Klinikversion des Pulmotors ist jedochder Poliomat, bei dem bereits 1953 die neu entwickelte Pulmotordose zum Einsatz kam. Im Gegensatz zu den für denKurzeinsatz konzipierten Pulmotoren war beim Poliomat derBeatmungsdruck nicht werkseitig festgelegt, sondern er konntevom Betreiber eingestellt werden. Weiterhin konntenBeatmungsfrequenz und Volumen über Regelventile

angepasst werden. Sowohl Beatmungsdruck als auch das ventilierte Volumenkonnten an Zeigerinstrumenten abgelesen werden: Der Poliomat verfügte bereitsüber einen Beatmungsdruckmesser und ein Volumeter.

Zur Atemgaskonditionierung machte man sich imDrägerwerk eine Technik zunutze, die man imGrubenrettungswesen bereits erfolgreich einge-setzt hatte. Dort wurden zur Anfeuchtung undAnwärmung des Atemgases Nickelsiebpakete ver-wendet. In den Sieben kondensierte die Feuchtig-keit der Ausatemluft und in der Einatemphasediente dieses Kondensat dann zur Anfeuchtung des Atemgases.

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LungengymnastischerApparat Typ MS-A zum Einsatz imOperationssaal (1913)

Funktionsprinzip Atemluft -anfeuchter mit Nickelsieben

DIE GESCHICHTE DER BEATMUNGSTECHNIK

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Fahrbarer Pulmotor auf Stativ mit Vorrichtung zur Kohlendioxid-Anreicherung (1928)

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Mit den Einstellmöglichkeiten für die Beatmungsparameter, den Messvorrichtungenund der Atemgaskonditionierung hatte der Poliomat bereits wesentliche Leistungs-merkmale der späteren Intensivbeatmungsgeräte. Allerdings stand der Poliomat mitseinem Pulmotorprinzip im Wettbewerb mit anderen Gerätekonzepten, um den inder Nachkriegszeit enorm gestiegenen Bedarf an Beatmungsgeräten zu decken.

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Ein neuer Weg – Die Wechseldruckbeatmung mit der Eisernen Lunge

Der große Bedarf an Beatmungsgeräten in der Klinik entstand zum großen Teil ausder enorm gestiegenen Anzahl an beatmungspflichtigen Patienten aus den Polio -epidemien. Insbesondere kurz nach dem Zweiten Weltkrieg erhöhte sich die Nach-frage nach Beatmungsgeräten, die Patienten über längere Zeiträume und unterUmständen lebenslang beatmen konnten. Für diesen Einsatzbereich wurden ver-schiedene Gerätekonzepte entwickelt, die sich sowohl technisch als auch in derWirkungsweise mehr oder weniger deutlich vom Pulmotor unterschieden.

Bei einem dieser Gerätekonzepte han -delte es sich um große, starre Behälter,in die der beatmungspflichtige Patientgelegt wurde. Derartige Apparatenannte man etwas irreführend„Eiserne Lungen“. Zur Beschreibungder Funktion wäre jedoch der Begriff„Eiserner Brustkorb“ angebrachtergewesen, denn der starre Behälterwirkte wie ein zweiter Thorax. Indiesem Behälter bewirkte ein beweg-licher Zwischenboden fortwährend

einen Druckwechsel und leistete damit eine Belüftung der Lunge wie ein künst-liches Zwerchfell.

Mit den Eisernen Lungen konnte dieÜberlebensrate bei Atemlähmungenwährend einer Polioerkrankungdeutlich erhöht werden. Als Nachteilgalten allerdings der große Platzbedarfund die erschwerte Pflege derPatienten.

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Rumpf-Respirator (1956)

Eiserne Lunge, eingebaut in einemKrankenwagen (1954)

DIE GESCHICHTE DER BEATMUNGSTECHNIK

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Eiserne Lunge Modell E 52 mit elektrischem Antrieb (1952)

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Eine Weiterentwicklung der Eisernen Lungen waren Rumpfbeatmungsgeräte, bei denen nur noch der Thorax einem Wechseldruck ausgesetzt wurde. Auch zur Behandlung des Atemnotsyndroms beim Neugeborenen wurde eine solcheUnterdruck-Kammer nach dem Prinzip der Eisernen Lunge eingesetzt.

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Kreativität und Improvisationsgeist in der Nachkriegszeit

Die Bedingungen, unter denen in der Nachkriegszeit die ersten Eisernen Lungenim Drägerwerk konstruiert und gefertigt werden mussten, waren anfänglich sehrschwierig. Mit außerordentlich einfachen Mitteln und mit viel Improvisationsgeistwurde die Entwicklungsarbeit nach Kriegsende wieder aufgenommen (6). Füreinen Prototypen einer Eisernen Lunge wurde dort ein Torpedorohr zu einemDruckbehälter umgebaut, als Antrieb für den Ventilationsmechanismus diente derBlasebalg einer Feldschmiede und das Getriebe stammte aus einem Fischkutter.

Die Pioniere, die anfangs in Eigen-initiative die ersten Eisernen Lungender Nachkriegszeit bastelten, fanden im Drägerwerk ihre Partner. Mit ihrerjahrzehntelangen Erfahrung bei derEntwicklung von Rettungsgeräten fürBergbau und Tauchtechnik brachtendie Ingenieure die Ideen in derWechseldruckbeatmung zur Serienreife.

Die ersten Eisernen Lungen aus Serien-fertigung des Drägerwerkes hatteneinen beweglichen Zwischenboden, mitdem Beatmungsdrücke von + 25mbarbis – 25mbar erzeugt werden konnten.Diese ersten Modelle wurden noch mitWasser angetrieben. Beim Modell E 52wurde dann auf elektrischen Antriebumgestellt.

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Eiserne Lunge mit Wasserantrieb (1950)

Erstes Versuchsmodell derEisernen Lunge (1947)

DIE GESCHICHTE DER BEATMUNGSTECHNIK

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Serienfertigung der Eisernen Lunge im Drägerwerk

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Eiserne Lungen waren nur vorübergehend bedeutend, denn ein neuer Impulssorgte für die „Renaissance“ der Überdruckbeatmung zu Lasten der Wechseldruck-beatmungsgeräte. Dieser Impuls kam diesmal nicht aus der Technik, sondern ausder klinischen Anwendung.

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Anfänge in der Intensivbeatmung – Die Assistoren

Bereits in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts sorgte eine neue Erkenntnisder klinischen Forschung für ein Umdenken in der Beatmungstherapie. Fehlbe-handlungen und Komplikationen entstanden häufig dadurch, dass die Therapeutenin der Beur teilung der Beatmung mehr auf subjektive klinische Eindrücke als aufexakte Messparameter angewiesen waren (5). Ohne die Kenntnis der verabreichtenBeatmungsvolumina kam es dann oft zu schädlichen Geräteeinstellungen. DiePatienten erlitten entweder eine Atemgasunterversorgung oder sie wurden durcheine unnötig heftige Ventilation hohem Stress ausgesetzt.

Durch die neuen Erkenntnisse, insbe -sondere aus Skandinavien, gewann die Überdruckbeatmung durch die besseren Kontrollmöglichkeiten derVentilation wieder an Bedeutung.Dabei wurden zwei Konzepte verfolgt: Zum einen wurde die druckgesteuerten Beatmung weiter-entwickelt und später durch Instru-mente zur Messung des Volumensergänzt, andererseits wurden neueGerätekonzepte entwickelt, bei denenvon vornherein ein konstantes Volumen verabreicht werden konnte.

Für die beiden Konzepte entwickelte Dräger verschiedene Gerätereihen, diezeitweilig parallel existierten. In der druckgesteuerten Beatmung wurde mit derGerätereihe der Assistoren das erfolgreiche Prinzip der Pulmotoren weiterent-wickelt (10). Gemeinsames Merkmal der Assistoren war neben der Drucksteuerungdie Möglichkeit, Spontanatmung zu assistieren, d.h. der Patient konnte durch seineSpontan atembemühungen den maschinellen Beatmungshub auslösen.

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Assistor Modell 642 (1966)

DIE GESCHICHTE DER BEATMUNGSTECHNIK

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1960 1965 1970

Assistor744

Assistor644

Assistor642

Assistor641

Assistor640

Die Gerätereihe der Assistoren zur druckgesteuerten Beatmung

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Der Zeitgeber zur Auslösung der maschinellen Hübe arbeitete beim Assistor 641pneumatisch, beim Assistor 642 bereits elektrisch. Mit dem Assistor 644 wurde diemögliche Einsatzdauer durch eine neue Atemluftanfeuchtung erweitert und derPatientenbereich auf die Pädiatrie ausgedehnt. Der Assistor 744 verbesserte dieBeatmungsqualität insbesondere in der Pädiatrie durch einen empfindlicherenTriggermechanismus, durch den eine leichtere Auslösung des Beatmungshubesmöglich war. Außerdem wurde das etwas gewöhnungsbedürftige Äußere der frühenAssistoren grundlegend verändert: Das anwenderfreundliche und gleichermaßenästhetische Produktdesign gewann zunehmend Bedeutung in der Geräteent -wicklung.

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Der Weg zur modernen Intensivbeatmung –Die Spiromaten

Mit den Assistoren hatte sich das Anwendungsgebiet der Beatmung bereits erheblicherweitert. Neben der Beatmung bei Polioerkrankungen etablierten sich die post-operative Beatmung und die Inhalationstherapie bei chronischen Lungenerkran -kungen. Trotz dieser Erweiterung des Anwendungsspektrums blieb die maschinelleBeatmung eine relativ einfache Hilfsmaßnahme.

Moderne Beatmung geht jedoch einenSchritt weiter. Sie will nicht nur die Zeitder Atemstörung überbrücken, sonderndie Beatmungsform an die Ursache derStörung anpassen und wenn möglichdiese Störung gezielt behandeln.Moderne Beatmung ist Beatmungs-therapie.

Der Anspruch einer gezielten Intensivtherapiestellte neue Anforderungen an die Beatmungs-geräte. Die bereits erwähnte Kontrolle über dasventilierte Volumen gewann dabei zunehmend anBedeutung. Weiterhin sollte der zeitliche Verlaufder Beatmung durch Einstellparameter veränder-bar sein und nicht nur von der Lungenmechanikdes Patienten abhängen. Gefordert war die zeit-gesteuerte volumenkontrollierte Beatmung.

Die ersten Dräger-Beatmungsgeräte, die dieseAnsprüche erfüllten, waren die 1955 eingeführtenSpiromaten. Sie stellten den Ausgangspunkt derEntwicklung moderner Dräger-Intensivbeatmungs-geräte dar.

Spiromat 661 mit Beatmungs-kopf E zur Langzeitbeatmungvon Erwachsenen

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Spiromat im klinischem Einsatz

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Beatmung eines tracheotomierten Patienten mit dem Spiromat 661

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Intensivbeatmung im stetigen Fortschritt – Vom Spiromat zur EV-A

Die nächste Gerätegeneration zur Langzeitbeatmung waren die 1977 eingeführten„Universalventilatoren“ UV-1 und UV-2. Sie übernahmen von den Spiromaten diekonventionelle Balgbeatmung, bei der das Atemgas aus einem Balg des Beatmungs-gerätes in die Lunge gedrückt wird. Steuerung und Überwachung erfolgten beidiesen Geräten jedoch bereits elektronisch.

Mit dem „Elektronik-Ventilator“ EV-A kam 1982 erstmalig eine völlig neue Ventil-technik in der Dräger-Beatmung zum Einsatz. Mit elektromagnetisch betriebenenVentilen konnten sowohl der Atemgasfluss als auch der Beatmungsdruck exakt undschnell gesteuert und somit gegebenenfalls während eines Atemhubes angepasstwerden. Mikroprozessoren übernahmen zunächst Teilfunktionen in der Steuerungund verdrängten später zunehmend die konventionellen Steuerprinzipien. Damitkonnten Beatmungsmuster erzeugt werden, die mit den vorherigen Gerätegenera-tionen undenkbar gewesen wären.

Weiterhin wurde mit der EV-A erstmalsein grafisches Monitoring in dieBeatmung eingeführt. Auf einem imBeatmungsgerät integrierten Bild-schirm konnten neben numerischenDaten und Textmeldungen nun auchBeatmungskurven dargestellt werden.Das grafische Monitoring auf einemintegrierten Bildschirm gehört seitdemzur Grundausstattung von Dräger-Intensivbeatmungsgeräten. Ein der-artiges Monitoring wurde von anderenHerstellern erst fünfzehn Jahre spätereingeführt. Heute gehört es zum allgemeinen Standard in der Intensiv-beatmung.

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Intensivbeatmung mit UV-1. Die Bewegungdes Beatmungsbalges wird vom Anwenderzur Erkennung der Atemphasen beobachtet

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Intensivbeatmung mit EV-A. Darstellung von Beatmungskurven auf demintegrierten Bildschirm

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Moderne Intensivbeatmung – Die ersten Generationen der Evita-Familie

Mit der Einführung der Evita-Reihe1985 wurde die Computertechnologie inder Beatmung weiterentwickelt undeine weitere Anpassung der maschinellenBeatmung an die Spontanatmung ermög-licht. Neue Leistungsmerkmale wurdenmit der Evita weiterhin durch einenrasanten Fortschritt in der Bildschirm-technik möglich: Die größere Auflösungder Grafik und Farbdarstellungen ermög-lichten einen wesentlich besseren In-formationstransfer in Bild und Text.Und der Fortschritt durch die Bildschirmebeschränkte sich nicht nur auf Darstel-lungen: Mit der Evita 4 wurde 1995 erst-mals ein berührungssensitiver Bild-schirm eingesetzt. Mit dieser so genann-ten Touch-Screen-Technik konnte dasBedienkonzept in der Beatmunggeradezu revolutioniert werden.

Die Evita 4 bot bei ihrer Markteinführung bereits enorm viele neue Leistungs-merkmale in der Therapie, im Monitoring und in der Bedienung und erfüllte damitden gesteigerten Anspruch in der Intensivbeatmung. Der Markt für Beatmungs-geräte wurde jedoch nicht nur anspruchsvoller, sondern er wurde auchdifferenzierter: Nicht alle Kunden wollten fortan immer das Beste, sondern einigewollten sich bewusst auf wenige Funktionen beschränken und andere wolltenimmer mehr. Außerdem gab es schon seit geraumer Zeit für Dräger nicht mehr nur„den Markt“, der für Dräger traditionell der Inlandsmarkt war, sondern Drägerhatte sich mit zunehmendem Engagement auf die Exportmärkte mit ihrenunterschiedlichen Ansprüchen konzentriert. Aus diesem Grund wurden paralleleProduktlinien eingeführt – aus Evita wurde die Evita-Familie.

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Evita 4. Moderne Bedienung über Touch-Screen und komplexe Grafiken auf demBildschirm

Evita 2. Konventionelle Bedienung überDrehknöpfe, grafische Darstellung und Textmeldungen auf dem Bildschirm

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Zunächst kam 1997 die Evita 2dura mit einem eingeschränkten Leistungsumfangverglichen mit Evita 4. Im Jahre 2002 wurde die EvitaXL eingeführt, die einendeutlich größeren Leistungsumfang im Vergleich zu Evita 4 hatte. Die drei Mit-glieder der Evita-Familie unterschieden sich jedoch nicht nur im Leistungsumfang,sondern auch in ihrer Innovationsrate, wobei die EvitaXL wiederum eine Spitzen-stellung einnahm. Innovationen wie das automatische EntwöhnungsprogrammSmartCare sowie das Messmanöver Low-Flow-Loop blieben nach ihrer Einführungexklusives Leistungsmerkmal der Evita XL.

EvitaXL. Frei konfigurierbares integriertes Monitoring und Bedienung über einen Farbbildschirm mit Touch-Screen-Technologie

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Die neue Generation der Evita-Familie

Im Jahr 2014 findet in der Dräger Intensivbeatmung ein Generationswechsel statt.Bereits 2007 hatte Dräger ein Modul innerhalb eines Gerätesystems derAkutmedizin unter dem Namen V500 vorgestellt. Kurz darauf legte dieses Modulunter dem Namen Evita V500 den Grundstein der neuen Evita-Familie. Mit einergrundsätzlich neuen Technologie der Atemgasdosierung und mit neuer Hardwareund Software im Datenmanagement sowie mit ihrem modernen Design hatte dieEvita V500 nur noch wenig gemeinsam mit der vorherigen Generation auf Basis derEvita 4, mit der sie ein paar Jahre parallel im Produktprogramm der DrägerIntensivbeatmung stand. Die neue Technologie ermöglicht die Integration von Leistungsmerkmalen, die früher nur mit Zusatzkomponenten möglich waren, wiedas bereits erwähnte SmartCare/PS. Und sie hat noch erheblichen Freiraum fürkünftige Innovationen. Sie ist damit zukunftssicherer im Vergleich zur vorherigenGeneration, die im Hinblick auf künftige Erweiterungen technologisch mehr oderweniger das Ende der Fahnenstange erreicht hatte.

In einem jedoch bleibt sie konservativ:Sie behält das bewährte Bedienkonzeptder Evita bei und erspart den Anwenderndie Umstellung auf eine neue Bedien -philosophie. Und noch ein weiteresMerkmal behält die Evita V500 bei: Esist der Name Evita, der sich mittlerweileals Synonym einer erfolgreichen DrägerBeatmung etabliert hat.

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Evita V500

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Im Jahr 2013 erhielt die Evita V500 eine „kleine Schwester“. Mit weitgehendgleicher Hardware unterscheidet sich die Evita V300 von ihrer großen Schwester durch die Möglichkeit, die Ausstattung frei zu wählen. So kann bei der Erstbeschaffung ein geringer Umfang an Leistungsmerkmalen gewählt werden, dersich später gegebenenfalls bis nahezu auf das Niveau der Evita V500 hochrüstenlässt.

Evita V300

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Eine neue Familie in der Dräger Beatmung: Savina

Parallel zur Evita-Familie wurden Ende des vorigen Jahrhunderts Gerätekonzepteentwickelt, bei denen die aufwändigen Inspirationsventile durch eine alternativerobuste Technologie ersetzt sind. Damit konnten fortan auch die Märkte derEntwicklungs- und Schwellenländer bedient werden. Anstelle der aufwändigenTechnik der elektromagnetisch gesteuerten Ventile, die zum Betrieb Druckgase inguter Qualität benötigen, wurde ein Atemgasverdichter eingesetzt, der zum Betrieblediglich Umgebungsluft braucht. Als erstes Dräger-Beatmungsgerät mit einer derartigen Technologie wurde im Jahr 2000 die Savina eingeführt.

Die Technologie der Atemgasdosierungüber Verdichter erfüllt bereits im Jahr2000 hohe Ansprüche an die Qualitätder Beatmung und übertrifft diesesogar zum Teil. Dies gilt insbesonderefür die Spontanatmung während der maschinellen Beatmung. Im grafischen Monitoring hingegen waren Weiterentwicklungen erforderlich, umeinem höheren Anspruch gerecht zuwerden.

Einen weiteren Vorteil brachte die Beatmung mit einem Atemgasverdichter mitsich. Durch die Beatmung mit Umgebungsluft ist Savina besonders geeignet für deninnerklininschen Transport, da sie unabhängig von einer zentralen Gasversorgungarbeitet. Weiterhin ist sie mit einer eigenen Spannungsversorgung für einen mehr-stündigen netzunabhängigen Betrieb vorbereitet.

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Mit der Einführung der Savina 300 im Jahr 2010 führte Dräger ein hochaufgelöstesgrafisches Monitoring auf einem größeren Bildschirm und ein Bedienkonzept überTouch Screen ein. Mit einer Weiterentwicklung im Jahr 2013 legte die Savina 300dann die Kapnografie sowie diverse grafische Darstellungen in Form von Loopsund Trends und einfache Diagnoseverfahren nach. Sie war damit nicht nur in derAtemgasdosierung, sondern nunmehr auch im Monitoring und Bedienkonzepteiner Evita 4 ebenbürtig und teilweise bereits überlegen.

Savina 300 – Intensivbeatmung mit Umgebungsluft unabhängig von zentraler Gasversorgung

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Die nicht-invasive Beatmung mit Carina

In den Industrieländern differenzierten sich die Anwendungsbereiche fürBeatmungsgeräte immer weiter und es kamen neue Gebiete zur klassischen Notfall-und Intensivbeatmung hinzu.

Die ursprüngliche Intensivtherapie war ausgelegt für eine Maximalversorgung vonPatienten mit schwersten Erkrankungen. Aus ihr entwickelten sich sowohl im klinischen wie auch im außerklinischen Bereich neue Einrichtungen mit einemgeringeren Aufwand an Überwachung und Therapie in der Beatmung.

Im außerklinischen Bereich entstand der Bereich Home-Care, in dem Beatmungs-geräte mit spezifischen, meist geringeren Anforderungen im Vergleich zur klassischenIntensivmedizin zum Einsatz kommen. Heimbeatmungsgeräte werden nicht nur vommedizinischen Fachpersonal, sondern in Teilfunktionen auch von Laien bedient.

In der Klinik etablierte sich neben der klassischen Intensivmedizin gegen Ende des vorigenJahrhunderts zunächst im anglo-amerikanischen Raum der Sub-Acute-Care Bereich. Auchdort wurden kostengünstigere Beatmungsgeräte mit einem geringeren Umfang an Leistungsmerkmalen in den Beatmungsverfahren und in der Überwachung gefordert.

Für diese beiden Segmente, zunächst im Home-Careund später im Sub-Acute-Care Bereich, entwickelteDräger die Gerätefamilie Carina. Das Heim-beatmungsgerät Carina home wurde bis zum Jahr2008 überwiegend im deutschen Markt angeboten.

Nach dem Rückzug aus dem Heimbeatmungs-markt konzentrierte sich Dräger mit der Carinaausschließlich im Bereich Sub-Acute-Care.

Carina bietet alle Standardverfahren der druck-und volumenkontrollierten Beatmung sowie derdruckunterstützenden Spontanatmung an. Bei

Bedarf kann Carina sogar zur invasiven Beatmung verwendet werden. Dank ihresAtemgasverdichters, der ähnlich wie die Savina mit einem Gebläse arbeitet,ermöglicht sie eine Spontanatmung mit sehr geringer Atemarbeit.

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Carina (links) und Carina home(rechts). Beatmung im Sub-Acute-Care und im Home Care

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Carina – nicht-invasive Beatmung mit einem handlichen, leicht bedienbaren Gerät

Zur Überwachung des beatmeten Patienten ist die Carina mit einem Farbbild-schirm ausgestattet, auf dem zwei Beatmungskurven, Messwerte und Alarmmeldunggezeigt werden. Die Bedienung geschieht, wie bei allen modernen Geräten derDräger Akutmedizin, mit dem bekannten zentralen Drehknopf und Bedienführungüber den Bildschirm.

Damit leistet Carina alles, was für die Beatmung eines Patienten mit stabilem undunkritischem Krankheitsverlauf erforderlich ist. Darüber hinaus bringt Carinaeinen Vorzug mit, den hoch ausgestattete Intensivbeatmungsgeräte vermissenlassen: Sie kann aufgrund ihres geringen Gewichts von 5,5kg leicht mit einer Handgetragen werden.

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Die Beatmung kleiner Patienten – Der Weg zum Babylog

Die Beatmung von Kleinkindern und Neugeborenen stellt besondere Anforderungenan die Beatmungstechnik, die mit den für Erwachsene konstruierten Geräten nurbedingt oder gar nicht erfüllt werden können. Die spezifischen Herausforderungender Neonaten-Beatmung sind kleinere Beatmungsvolumina, schnellere Änderungendes Gasflusses und ganz besonders der Schutz vor zu hohen Atemwegsdrückensowie der Schutz vor zu großen Atemzugvolumina. Zunächst waren Neonaten-Beatmungsgeräte lediglich modifizierte Beatmungsgeräte aus der Erwachsenen-beatmung.

Das erste Beatmungsgerät für Kleinkinder war der Dräger-Baby-Pulmotor, eineModifikation des Ur-Pulmotors (23). Die Umschaltung der Atemphasen erfolgte hierebenfalls über ein Vier-Wege-Ventil, welches jedoch nicht über ein Uhrwerk,sondern per Hand geschaltet wurde. Von den folgenden Generationen des Pul-motors wurden Pädiatrieversionen überwiegend für die Erstversorgung in denKreißsälen entwickelt.

Auch für nahezu alle weiterenBeatmungsgeräte von Dräger gab es biszu den siebziger Jahren Versionen zurNeonaten-Beatmung. Beispiele dafürsind die Kleinkinderversion desSpiromats ab 1958 sowie derAssistor 644 aus dem Jahre 1965.

Modifizierter Spiromat zur Kleinkinder-Beatmung

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Babylog 1 zur Beatmung von Kleinkindern. Zusätzliche Module über dem Beatmungsgerät zur Einstellung der Sauerstoffkonzentration und zur Überwachung des Beatmungsdrucks

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Eine Spezialisierung mit eigenen Kleinkinder-Beatmungsgeräten begann 1975 mitdem Babylog 1 und wurde 1979 mit dem Babylog 2 als Variante für die Transport-beatmung fortgesetzt. Für das Babylog 1 wurde 1985 eine noch sehr einfache Vor-version zur Hochfrequenzbeatmung eingeführt. Auch wenn diese Beatmungsgerätevielfach mit Komponenten aus Erwachsenen-Beatmungsgeräten entwickelt wurden,so waren sie dennoch recht weit an die Bedürfnisse der Neugeborenen angepasst.Erst Ende der achtziger Jahre wurde erstmalig ein Beatmungsgerät eigens für Neu-geborene entwickelt.

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Intensivbeatmung in der Neonatologie – Babylog 8000 und Babylog VN 500

Das erste ausschließlich für den Kleinkinder und Frühgeborene konzipierteBeatmungsgerät war das 1989 eingeführte Babylog8000. An diesem Konzept war so gut wie alles neu verglichen mit den Vorgängern. Anstelle eines Ventils für dieDosierung einer Gasart wurde das Atemgas über eine Vielzahl digital angesteuerterVentile geliefert. Damit ließen sich die besonders in der Neonaten-Beatmunggeforderten schnellen Gasflussänderungen und der hohe Dynamikbereich erreichen.

Erstmals wurde beim Babylog 8000 eineFlowmessung in der Beatmung vonKleinkindern eingesetzt und die Mess-anordnung erfolgte patientennah. Die Messgenauigkeit war dabei so groß,dass sie nicht nur zum Monitoring,sondern auch zur Regelung des Atem -volumens eingesetzt werden konnte.Die patientennahe Flowmessungermöglichte eine sensible Trigger -empfindlichkeit bei weitestgehendemSchutz vor Fehltriggerung. Außerdemwar das Babylog mit einem Grafikbild-schirm ausgestattet – ebenfalls einNovum in der Neonaten-Beatmung.

Selten hat ein Gerätekonzept in der Beatmung zu derart tiefen Verände rungen inder klinischen Anwendung geführt wie das Babylog 8000. Mit seiner Einführungkonnten Frühgeborene erstmals volumenorientiert beatmet werden, denn dasVolumen wurde exakt dosiert und gemessen. Die empfindliche Triggerung und dieautomatische Kompensation der in der Neonaten-Beatmung meist unvermeidlichenLeckagen erlaubt eine vorher nicht gekannte sanfte Beatmung.

Das Babylog 8000 mit dem neuen Konzept der volumenorientierten Beatmung vonFrühgeborenen ist nach seiner Einführung der Maßstab auf vielen Kleinkinder-Intensivstationen auf der ganzen Welt.

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Babylog 8000. Integriertes grafischesMonitoring mit einer Echtzeitkurve des Flowsim Verfahren SIMV. Oberhalb des Gerätes:Echtzeitkurve des Flows in einer Hochfrequenzbeatmung

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Mit der Einführung des Babylog VN 500 im Jahre 2009 brachte Dräger die Beatmungvon Frühgeborenen sowohl in der Bedienung als auch im Monitoring auf dengleichen hohen Standard, der sich in der Erwachsenenbeatmung bereits Jahrezuvor etabliert hatte. Mit dem neuen Gerätekonzept führte Dräger die Bedienungüber Touch-Screen sowie eine umfangreiche Grafik auf einem großflächigen Farb-bildschirm in der Beatmung von Frühgeborenen ein. Auch die Beamtungsverfahrenwurden weiterentwickelt und durch eine kräftige Hochfrequenzbeatmungbereichert.

Babylog VN500 – Intensivbeatmung auf der Frühgeborenenstation.

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Vom Pulmotor zum Oxylog

Die Grenzen der druckgesteuerten Beatmung waren in der Intensivbeatmungbereits in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts erkannt worden und hattendort zur Entwicklung von zeitgesteuerten und volumenkontrollierten Beatmungs-geräten geführt. In der Notfallbeatmung kam diese Entwicklung erst zwei Jahr-zehnte später. Sie führte bei Dräger zu der Entwicklung eines völlig neuartigenNotfallbeatmungsgerätes. Es wurde 1976 zunächst als Prototyp und 1978 im oran-gefarbenen Gehäuse mit Manometer zur Druckanzeige unter dem Namen Oxylogeingeführt.

Komplett neu war im Vergleich zumPulmotor das Funktionsprinzip. Anstelleder druckgesteuerten Umschalt-mechanik wurde eine so genanntepneumatische Logiksteuerung einge-setzt. Die neue Pneumatik lieferte dabeinicht mehr einen konstanten Flow, derdurch einen Umschaltmechanismusentweder dem Patienten zugeführtwurde oder in die Umgebung geleitetwurde. Vielmehr lieferte die neuePneumatik nur in der Inspirationsphasedas Atemgas und unterbrach dann denAtemgasflow in der Exspirationsphase.Das Funktionsprinzip dazu nennt maneinen „Flowzerhacker“.

Mit dem neuen Funktionsprinzip war nun die zeitgesteuerte und volumen-kontrollierte Beatmung auch in der Notfallmedizin möglich. Das Minutenvolumenkonnte jetzt direkt am Gerät eingestellt werden und es blieb konstant im Laufe derBeatmung. Die Beatmungsfrequenz konnte ebenfalls stufenlos am Gerät eingestelltund die Beatmung damit einer Reanimation angepasst werden. Stenosen konntendirekt an einem Beatmungsdruckmesser erkannt werden – beim Pulmotor war manin diesem Fall darauf angewiesen, dass jemand das schnelle Umschalten, das sogenannte „Geräteklappern“, richtig interpretierte. Weiterhin verbrauchte dieSteuerung gerade mal einen Liter Druck pro Minute und war damit erheblich spar-samer als der Pulmotor.

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Beatmungsgerät Oxylog in seiner ersten Ausführung mit Atemwegsdruckmessung undorangefarbigen Gehäuse. Volumenkon-trollierte Beatmung in der Notfallmedizin

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Notfallbeatmung mit dem Oxylog. Beatmungsgerät, Sauerstoffflasche, Druckminderer undZubehör sind im Tornister ähnlich wie beim Tornistor-Pulmotor untergebracht

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Mit diesen Vorzügen hätte das Oxylog den Pulmotor eigentlich zügig im Markt ver-drängen müssen – doch es kam anders. Mit einem Umrüstsatz wurde den Kunden,die einen PT60/61 oder einen PK60 beschafft hatten, die Möglichkeit gegeben, diePulmotordose durch ein Oxylog zu ersetzen. Damit konnten bei einer Neu-beschaffung eines Oxylogs das Zubehör des Pulmotors wie der Tornister und dieSauerstoffflasche weiter verwendet werden. Mit dieser Möglichkeit gab es in einerlangen Übergangsphase von mehreren Jahren das Oxylog mit Pulmotorlogistik.

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Die Oxylog-Familie – Der Weg in die moderne Notfallbeatmung

Das Oxylog war für die Erstversorgung eines Patienten konzipiert und seine primäre Auf-gabe war die Sicherung einer Vitalfunktion durch maschinelle Beatmung. Der Einsatzkonzentrierte sich auf die Erstversorgung und den nachfolgenden Transport des Patientenzur stationären Behandlung, den so genannten Primärtransport. Dementsprechend warder Leistungsumfang auf rein kontrollierte Beatmung begrenzt und in der Überwachungstand lediglich ein Manometer zur Messung des Atemwegsdrucks zur Verfügung.

Doch auch in der Notfallbeatmung nahmen die Ansprüche zuund es entwickelten sich für das Oxylog neben der Erstver-sorgung weitere Einsatzbereiche wie der Sekundärtransport,ein Transport innerhalb einer stationären Behandlung. ZurDeckung dieses neuen Bedarfs wurde 1993 das Oxylog2000eingeführt. Das Oxylog2000 ermöglichte neben der kon-trollierten Be atmung auch eine Spontanatmung des Patienten.Es war mit einem umfangrei chen Monitoring für die Über-wachung von Atemwegsdruck und Beatmungsvolumen aus-

gestattet. Messwerte und Alarmmeldungen waren dabei auf einem Display ablesbar. AlleGeräteeinstellungen konnten beim Oxylog 2000 direkt am Grundgerät vorge nommenwerden, die Justierung von separaten Ventilen war damit nicht mehr nötig.

Im Jahr 1997 wurde als Nachfolger des 1976 eingeführtenersten Oxylogs das Oxylog1000 vorgestellt. Mit demOxylog1000 konnten nun die Gasversorgung des Gerätes sowieder Atemwegsdruck des Patienten überwacht werden. Im Jahr2003 kam ein weiteres Mitglied in die Oxylog-Familie: DasOxylog3000 führte mit neuen Beatmungsmöglichkeiten und

einem inte grierten Grafik-Display eine Behandlungsqualität in die Notfallbeatmung ein,die man zuvor nur aus der Intensivbeatmung kannte. Für alle drei Mitglieder der Oxylog-Familie wurden verschiedene Transportlösungen wie die Tragesysteme und der Caddyfür die Organisation des Beatmungszubehörs entwickelt.

Eineinhalb Jahrzehnte nach seiner Einführung erhielt das Oxylog 2000 einen Nachfolger:Auf der technischen Grundlage des bereits bewährten Oxylog 3000 wurde 2008 das Oxylog2000 plus eingeführt. Ein Jahr später bereicherte das Oxylog 3000 plus die Notfallbeat-mung durch neue Leistungsmerkmale wie AutoFlow und eine integrierte Kapnografie.

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Oxylog 1000

Oxylog 2000

DIE GESCHICHTE DER BEATMUNGSTECHNIK

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Oxylog 3000 plus. Grafisches Monitoring und Beatmungsverfahren entsprechenden Ansprüchen aus der Intensivmedizin

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Nach der Geschichte der Notfallmedizin wollen wir in unserer Darstellung vonhundert Jahren maschineller Beatmung nun den Blickwinkel ändern. In einerdetaillierten Beschreibung der verschiedenen Gerätekonzepte haben wir gezeigt,was sich innerhalb der verschiedenen Gerätegenerationen in der Beatmungstechnikverändert hat.

Wir wollen nun nach diesem überwiegend technischen Ansatz die Frage stellen:Was hat sich denn durch diese technische Entwicklung verändert? Wir beginnendabei mit den Anwendern und untersuchen hier die Frage, inwieweit sich die Rollevon Ärzten und Pflegepersonal in der mehr als hundertjährigen Geschichte derBeatmung gewandelt hat.

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Die Rolle der Therapeuten

Zusammenfassend kann die in den vorherigen Seiten beschriebene Geschichte derBeatmungsgeräte grob in drei Phasen unterteilt werden: Erstens die einfachemaschinelle Beatmung, zweitens die durch manuelle Korrekturmaßnahmen desTherapeuten optimierte Beatmung und drittens die Beatmung mit automatischerAnpassung an den Patienten.

Pulmotor, Assistoren sowie die ersten volumenkontrollierten Beatmungsgeräte sindnach heutigem Verständnis einfache Maschinen. Primäres Ziel in der Beatmungwar bei ihrem Einsatz die Sicherung einer Ventilation der Lungen. Dem Therapeu -ten standen dabei nur wenige Möglichkeiten zur Geräteeinstellung und bescheideneSicherheitsvorrichtungen z.B. gegen zu hohe Beatmungsdrücke zur Verfügung.

Mit der Einführung des UV-1 begann sich die Rolle des Therapeuten zu wandeln: Er war fortan nicht nur verantwortlich für die Einstellung der Grundparameter,sondern er konnte die Beatmung gezielt an seinen Patienten anpassen. Außerdemkonnte er jetzt den Patienten durch bewusste stufenweise Verringerung dermaschinellen Beatmung auf eine eigenständige Atmung vorbereiten und ihn damitvom Beatmungsgerät entwöhnen. Weiterhin konnte er die Beatmung optimieren,indem er z.B. den Beatmungsdruck begrenzte und gleichzeitig das Volumen kon-stant hielt. Die neuen Möglichkeiten beanspruchten für ihren medizinischen Ein-satz jedoch einen hohen Arbeitsaufwand, der nur teilweise dem Patienten zugutekam. Ein Großteil der zusätzlichen Arbeit bestand in manuellen Korrekturen vondamaligen Unzulänglichkeiten in der Beatmungstechnik.

Mit neuen Möglichkeiten einer automatischen Anpassung des Beatmungsgerätes andie physiologischen Gegebenheiten begann sich die Rolle des Therapeuten erneutzu verändern: Er wurde zunehmend von der „Maschinenbedienung“ entlastet.

Die automatische Anpassung an den Patienten beschränkte sich zunächst aufmechanische Veränderungen der Lunge: So konnte die EV-A durch entsprechendeSteuerung der Atemgaslieferung auch bei einer Leckage, z. B. bei einer Fistel,beatmen. Eine verbesserte Anpassung der Beatmung an den atmenden Patientenermöglichte Evita, indem sie die maschinelle Beatmung der physiologischenAtmung unterordnete und Spontanatmung auch während eines maschinellen

56 | DIE ROLLE DER THERAPEUTEN

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Beatmung eines Kindes am Anfang und gegen Ende des ersten Jahrhunderts der Beatmung,Entlastung der Anwender durch Automatisierung. Links: Baby-Pulmotor – der Anwender schaltetmanuell die Atemphasen um. Rechts: Evita 4 – das Beatmungs gerät passt sich automatischan die Lungenmechanik an und die Therapeutin kann sich mehr dem Patienten widmen

Beatmungshubes zuließ. Die Entlastung des Therapeuten bei der Gerätebedienungwar auch dringend notwendig geworden, denn die moderne Beatmung erlaubte dieBehandlung schwerster Krankheitsbilder, deren erhöhter Pflegeaufwand mehr Zeitfür den Patienten forderte. Im Laufe der Zeit hatte sich die Rolle der Therapeutenalso weniger mit der Technik der Beatmungsgeräte geändert als vielmehr mit dem,was sie mit diesen Beatmungsgeräten tun konnten und dem damit verbundenenNutzen für ihre Patienten. Bei der Anwendung eines Beatmungsgerätes können wirunterteilen in Behandeln, Überwachen und Bedienen – und diese Bereiche wollenwir im Folgenden näher betrachten. Die geschichtliche Entwicklung derBeatmungsverfahren, der Beatmungsüberwachung und der Bedienkonzepte solldabei besonders unter dem Gesichtspunkt dargestellt werden, welchen Nutzensowohl Anwender als auch Patienten dabei hatten.

1914 2000

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Das Beatmungsgerät im klinischen Einsatz – Eine Übersicht

In der Beatmungstechnik haben wir den zeitlichen Verlauf von Druck und Volumenals Beatmungsmuster bezeichnet. Demgegenüber beschreibt ein Beatmungsver-fahren die Wechselbeziehung zwischen Patient und Beatmungsgerät. In der Ent-wicklung der Beatmungsverfahren konzentrierte man sich zunächst auf eine Wiederbelebung nach Ausfall der patienteneigenen Atmung. Die ersten Beatmungs-geräte waren Notfallbeatmungsgeräte, bei denen die kurzfristige Überbrückungeiner Störung der Eigenatmung im Vordergrund stand. Bei längeren Behandlungenbelasteten die zur Lebenserhaltung eingesetzten Beatmungsverfahren die Lungejedoch so sehr, dass eine Rückkehr zur normalen Atmung recht schwierig wurde.

Eine Anpassung der Beatmungsverfahren an die Physiologie und eine damit ver-bundene schonendere Beatmung wurde zunächst durch Hilfseinrichtungenerreicht, die die schädlichen Auswirkungen der Beatmung begrenzen konnten und vom fachkundigen Personal gezielt eingesetzt wurden. Erst seit jüngster Zeitgibt es Beatmungsverfahren, die eine automatische Anpassung der Beatmung anden Patienten erlauben.

Die Überwachungseinrichtungen in der Beatmung bezeichnet man als das Beatmungsmonitoring. Diesesbeschränkte sich bei den erstenBeatmungsgeräten auf Atemwegsdruck-messungen und einfache Gerätefunk-tionskontrollen. UmfangreichereZusammenhänge konnten erst spätermit dem Einzug der Elektronik undMikrorechner durch zusätzliche

Monitore erkannt werden. In der Folgezeit wurden Überwachungsfunktionenzunehmend integrierter Bestandteil der Beatmungsgeräte. Ein besonderer Fort-schritt ließ sich dabei in der Qualität der Informationsdarstellung von einfacherMesswertanzeige bis zur Bildschirmdarstellung erkennen.

Überwachungseinrichtungen einer Evita. Die numerischen Werte neben dem Grafik-bildschirm sind nach Priorität geordnet

58 | DIE GESCHICHTE DER BEATMUNG

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Monitoring Benutzer-oberfläche

Beatmungs-verfahren

Beatmungsgerät

BedienenÜberwachen Behandeln

Struktur eines Beatmungsgerätes. Leistungsmerkmale (Mitte) und die damit verbundenen Tätigkeiten (unten) in der Beatmung

Die Gesamtheit der zur Bedienung eines Beatmungsgerätes notwendigen Elementebezeichnet man als Benutzeroberfläche. Aufgrund des zunehmenden Leistungs-umfanges der Geräte ist auch deren Bedienung immer komplexer geworden. DieAnzahl der Bedienelemente hat dabei stetig zugenommen. Erst in jüngster Zeit isthier ein qualitativer Fortschritt gelungen: Die Einstellung der Gerätefunktionenüber eine Bildschirmoberfläche ermöglicht eine Zunahme des Leistungsumfangesbei gleichzeitiger Vereinfachung der Bedienung.

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Atmung und Beatmungsverfahren – Ein grundsätzlicher Unterschied

Für mehrere Jahrzehnte war die ausreichende Ventilation der Lunge das primäreZiel der Beatmung. Erst in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts fand eineUmorientierung statt und es wurden Beatmungsverfahren etabliert, bei denen dieVermeidung von Schädigungen der Lunge im Vordergrund stand. Für eine so späteEntwicklung einer patientenorientierten Beatmung spricht im Wesentlichen einGrund: Es gibt einen prinzipiellen Unterschied von maschineller Beatmung undphysiologischer Atmung. Beatmung ist nicht etwa Simulation der Atmung, sondernsie ist ein Ersatz mit unvermeidbaren und prinzipiell bedingten Nebenwirkungen,deren Bedeutung man sich früher gar nicht bewusst war. Außerdem ist die Aus-lösung und insbesondere die Anpassung des Atemgasflusses in der Beatmung einegroße technische Herausforderung, mit der ältere Beatmungsgeräte schlichtwegüberfordert waren.

Der prinzipielle Unterschied von physiologischer Atmung undkünstlicher Beatmung zeigt sich in der Inspirationsphase: Inder Atmung wird das Innenvolumen des Brustkorbes durchKontraktion der Atemmuskulatur vergrößert. Dabei entstehtein Unterdruck in der Lunge und Luft wird eingesaugt. In derBeatmung hingegen wirkt ein umgekehrtes Prinzip. DasBeatmungsgerät erzeugt einen Überdruck und drückt damitdas Atemgas in die Lunge. Der Beatmungsdruck kann dabeidie Lunge und andere Organe in Mitleidenschaft ziehen. Einewesentliche Herausforderung für die künstliche Beatmung ist

es nun, die prinzipiell bedingten, unvermeidbaren Nebenwirkungen des Beatmungs -druckes so gering wie möglich zu halten (2, 4). Die dabei eingesetzte Technik kannvereinfacht folgendermaßen beschrieben werden.

Die wichtigsten Funktionselemente eines Beatmungsgerätes sind die Vorrichtungzur Gasdosierung und das Ausatemventil. Eine Steuereinheit sorgt dafür, dass einer-seits während der Einatemphase das Atemgas in die Patientenlunge gedrückt wirdund andererseits in der Ausatemphase das Gas über das Ausatemventil abfließt. Die Steuereinheit schaltet dazu in der Einatemphase die Gasdosierung ein undschließt das Ausatemventil. Der dadurch erzeugte Druck bewirkt eine Belüftung derLunge. In der Ausatemphase wird in der Regel kein Atemgas verabreicht, da dasAtemgas aus der Lunge selbständig über das geöffnete Ausatemventil entweicht.

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Volumender Lunge

Beatmungsgerät(Druck)

Atemmuskeln(Zug)

Das Prinzip der Ven tilation

DIE GESCHICHTE DER BEATMUNG

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Dieses Grundprinzip liegt den meisten Beatmungsgeräten zugrunde. In der Qualitätder Atemgasdosierung unterscheiden sich ältere Gerätegenerationen allerdingserheblich von modernen Beatmungsgeräten. Bei den ersten Beatmungsgerätenbestimmte allein die Maschine den zeitlichen Verlauf der Atemgaslieferung. Kam esdabei zu Disharmonie zwischen Patientenatmung und maschineller Beatmung, sowar es meist unumgänglich, den Patienten mit Medikamenten ruhig zu stellen.

Ältere Beatmungsgeräte waren somit „meilenweit“ von der Physiologie der Atmungentfernt. Kennzeichnend für die Entwicklung der Beatmungsverfahren ist die stetigeVerringerung dieses Abstandes durch technische und medizinische Fortschritte, diesich gegenseitig bedingten.

Steuerung

Ausatemventil

Gasdosierung

Patient

Funktionselemente eines Beatmungsgerätes

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Drei Probleme der maschinellen Beatmung

Die Annäherung der zeitgesteuerten maschinellen Beatmung an die physiologischeAtmung wurde nicht in einem Zuge, sondern schrittweise geleistet. Bei jedemSchritt wurde jeweils ein Problem gelöst, das man sich mit der Umkehrung derDruckverhältnisse und durch technische Limitationen eingehandelt hatte.

Im Folgenden sollen zunächst drei wesentliche Probleme dargestellt werden, diedirekt aus dem Beatmungsmuster heraus erkennbar sind. Ein Beatmungsmusterkann durch Beatmungskurven veranschaulicht werden. Derartige Kurven erhältman, wenn man für die Dauer einer Inspiration und Exspiration den Atemwegsdruckbzw. den Atemgasflow aufzeichnet. Den Zeitabschnitt vom Beginn einer Inspirationbis zum Beginn der nächsten bezeichnet man dabei als Beatmungszyklus.

Die Grafik zeigt den Beatmungszyklus eines Spiro maten aus dem Jahr 1955 alsAtemwegsdruck- und als Flowkurve. Am Verlauf des Atemwegsdruckes lassen sichdrei Phasen erkennen: Der Druck steigt zunächst in Abschnitt 1 bis zu einemSpitzenwert an. Diesen Abschnitt nennt man die Flusszeit. In Abschnitt 2 sinkt derDruck auf einen stabilen Wert. Diesen Abschnitt bezeichnet man aufgrund seinerForm als Plateau. In Abschnitt 3, der Exspirationszeit, sinkt der Druck auf einenRestwert.

Der zeitliche Verlauf des Atemgasflusses (Flow) zeigt die drei Phasen nochdeutlicher. Die bereits erwähnten drei Probleme können mit den umseitig dargestellten Beatmungskurven erläutert werden.

Erstens können durch den konstanten Atemgasfluss zu Beginn der InspirationDruckspitzen erzeugt werden. Dadurch kann das Lungengewebe unter bestimmtenUmständen einer erhöhten mechanischen Belastung ausgesetzt werden. Zweitenskann im Plateau nicht ausgeatmet werden, weil das Beatmungsgerät das Aus-atemventil noch fest verschlossen hält. Die natürliche Atmung wird in dieser Phaseerheblich gestört.

62 | DIE GESCHICHTE DER BEATMUNG

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*PEEP = Positive End Expiratory Pressure

Drittens sinkt der Restdruck ab, wenn Atemgas durch ein Leck entweichen kann.Ein konstanter Restdruck hat jedoch eine große klinische Bedeutung. Man hat ihmdeshalb einen eigenen Namen gegeben: Den Atemwegsdruck am Ende derExspirationszeit bezeichnet man als PEEP*.

Die Lösungen der drei Probleme wurden, wie bereits erwähnt, zu verschiedenenZeiten entwickelt. Als erstes Problem wurden die Druckspitzen in Angriffgenommen.

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Beatmungskurven eines Spiromaten. Oben: Druckkurve, unten: Flowkurve. Unterteilung des Beatmungszyklus in die Phasen Flowphase (1), Plateauphase (2)und Exspirationsphase (3)

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Druckbegrenzte Beatmung mit dem UV-1

Druckspitzen zu Beginn der Inspirationsphase ergeben sich in der maschinellenBeatmung aus einer einfachen Form der Atemgasdosierung, so wie sie in den erstenSpiromaten realisiert ist. Das Atemgas wird dort mit einem konstanten Flow ohneRücksicht auf den dabei entstehenden Atemwegsdruck verabreicht. Eine derartigeBeatmung kann aufgrund physikalischer Gesetzmäßigkeiten zu Druckspitzen in derLunge führen. Erst wenn sich das Atemgas in der gesamten Lunge verteilt hat,kehrt der Druck auf den Plateauwert zurück.

Die Anästhesisten kennen dieses Problem bereits seit geraumer Zeit. Sie vermeidenDruckspitzen in der manuellen Balgbeatmung durch eine geschickte Kontrolle desBeatmungsdruckes: Mit viel Gefühl drücken sie auf den Beatmungsbalg, damit siezu keinem Zeitpunkt die Lunge durch einen zu hohen Atemwegsdruck überdehnen.In der maschinellen Beatmung wurde das Problem der Druckspitzen durch eintechnisches Prinzip gelöst, das die erfahrene Hand des Anästhesisten gewissermaßenkopierte: Es ist das Prinzip der Balgbeatmung mit einstellbarem Arbeitsdruck, dasbeim UV-1 zum Einsatz kam.

Die Konstruktion des Beatmungsbalges ist in der neben-stehenden Grafik erkennbar. Der Beatmungsbalg befindetsich hier in einem starren Behälter, wobei der Druck indiesem Behälter als sog. Arbeitsdruck vom Therapeuten einge-stellt wird. Diese Konstruktion ermöglicht eine Beatmung, bei der der Atemwegsdruck auf den Wert des Arbeitsdruckesbegrenzt ist. Für eine derartig modifizierte volumen-kontrollierte Beatmung hat sich der Name „druckbegrenzteBeatmung“ eingebürgert.

Die Grafik zeigt den Verlauf der druckbegrenzten Beatmung.Die Druckspitze ist hier „abgeschnitten“ und der Flow sinkt

von einem anfänglich konstanten Wert kontinuierlich ab. Ein derartiges Absinkendes Flows in druckbegrenzter Beatmung bezeichnet man als „dezelerierenden Flow“.

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Das Prinzip dermaschinellen Balg beatmung.Erläute rungen siehe Text

DIE GESCHICHTE DER BEATMUNG

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Wird dabei der Druck soweit reduziert, dass das eingestellte Atemzugvolumen sichnicht mehr erreichen lässt, dann entspricht das im Wesentlichen einer druck -kontrollierten Beatmung. In der druckkontrollierten Beatmung wird die Lungenbelüftung ausschließlich über den Parameter „Druck“ eingestellt.Das Konzept der druckkontrollierten Beatmung im UV-1 und seinen Nachfolgernunterscheidet sich in diesem Punkt grundsätzlich von allen anderen Beatmungs -konzepten: die druckkontrollierte Beatmung wurde nicht als neues, eigenständigesVerfahren eingeführt, sondern aus einer volumenkontrollierten Beatmunghergeleitet. Druckkontrollierte Beatmung trat dabei keineswegs die Nachfolge dervolumen konstanten Beatmung an, sondern beide Verfahren standen parallel zurVerfügung.

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Beatmungskurven eines UV-1. Druckkontrollierte Beatmung hergeleitet aus dervolumenkontrollierten Beatmung durch Begrenzung des Druckes

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Neue Beatmungstechnik mit EV-A

Die konventionelle druckkontrollierte Beatmung stellte noch keine zusätzlichenAnsprüche an die Technik der Beatmungsgeräte. Sie konnte in solider Qualität mitder beschriebenen Balgbeatmung realisiert werden.

Das Prinzip der Balgbeatmung wurde Anfang der achtziger Jahre durch Beatmungs-geräte ersetzt, bei denen zur Steuerung des Atemgasflusses zunehmend Mikropro-zessoren beteiligt waren. Deren erster Vertreter war bei Dräger die EV-A. Die neueGerätegeneration bewirkte allerdings zunächst keine gravierenden Verbesserungenbei den Problemen der konventionellen Verfahren, sondern kopierte gewissermaßendie bereits bekannten Beatmungsformen mit einer neuen Technologie in der Atem-gasdosierung und der Steuerung des Ausatemventils.

Bei dieser neuen Technologie wurde die Funktion des Balges durch moderne Ventileersetzt. Das Neue an diesen Ventilen war ein elektromagnetischer Antrieb, der den

pneumatisch oder elektrisch betriebenen Mecha-nismus ersetzte. Die Konstruktion eines solchenelektromagnetischen Antriebes war bei seinemersten Einsatz in der Beatmungstechnik schoneinige Jahrzehnte bekannt. Sie wurde zum Beispielin Lautsprechern eingesetzt und brachte dortdurch Elektromagneten eine Membran in soschnelle Bewegung, dass dabei Schall erzeugtwurde. Die nebenstehende Grafik zeigt das Funk-tionsschema eines elektromagnetischen Ventils zurGasdosierung.

Die neuen Ventile waren aber nicht nur außerordentlich schnell, sie konnten durchzunehmenden Einsatz von Mikrorechnertechnik auch noch sehr rasch und exaktgesteuert werden. Mit dieser neuen Technik boten sich neue Dimensionen in derdynamischen Dosierung von Atemgasen. Gleiches galt für die Funktion des Aus-atemventils, das bei der EV-A erstmals indirekt über einen Elektromagnetenangetrieben wurde.

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Funktionsschema eines elektro-magnetischen Ventils. WeitereErläuterungen siehe Text

DIE GESCHICHTE DER BEATMUNG

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Die neue Technologie brachte die maschinelle Beatmung trotz ihres enormenPotentials zunächst nur einen kleinen Schritt vorwärts: Mit ihr konnte die EV-A erst-malig trotz einer Leckage den PEEP aufrecht erhalten. Die Beatmungskurven zeigendie Leckagekompensation deutlich am Verlauf des Flows in der Exspirationsphase.

Durch ihre dynamische Atemgasdosierung konnte die EV-A nun gerade soviel Gasnachliefern, wie über ein Leck, beispielsweise am Tubus, entwich. Die technischeInnovation brachte jedoch nicht nur Fortschritte für die Beatmung. Sie war ebensodie Ursache für Irrwege. Als Fehlentwicklung wird aus heutiger Sicht die Zunahmevon Beatmungsverfahren ohne nennenswerten therapeutischen Nutzen gesehen.Mit der Inflation an Beatmungsverfahren wurde die Beatmung komplexer – aber siewurde dadurch nicht zwangsläufig besser.

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Beatmungskurven einer EV-A. Kompensation einer Leckage: Beachte den Kompensationsflow im letzten Abschnitt der Exspirationsphase

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Einfach und offen für Spontanatmung – Druckkontrollierter BIPAP*

Eine Vereinfachung der maschinellen Beatmung bot sich erst ein halbes Jahrzehntspäter mit dem Beatmungsverfahren BIPAP (1, 3, 17). Das neue Verfahren zeichnetesich durch ein ungewohnt breites Anwendungsspektrum von reiner maschinellerBeatmung bis zu reiner Spontanatmung aus. Es stand kurz nach seiner Veröffent-lichung ab 1988 erstmals mit der ersten Generation der Evita einer breiten klinischen Anwendung zur Verfügung.

Wichtigster Fortschritt des neuen Verfahrens war die Möglichkeit einer jederzeitmöglichen Spontanatmung während der künstlichen Beatmung. Damit wurde dasletzte der drei beschriebenen Probleme der maschinellen Beatmung gelöst. Konventionelle maschinelle Beatmung ließ während des Beatmungshubes nämlichkeine Spontanatmung zu. Der Patient konnte also in den maschinellen Hüben nichtausatmen, da das Exspirationsventil verschlossen war. Abhilfe schaffte hier dasPrinzip des „Offenen Systems“, das mit der Evita eingeführt wurde.

In der konventionellen maschinellen Beatmunghält das Beatmungsgerät das Exspirationsventil festverschlossen, ähnlich einer kräftigen Hand, dieeinen Schlauch verschließt. Im „Offenen System“hingegen wird das Exspirationsventil feinfühliggeregelt ähnlich wie bei einer sensiblen Hand, diemit Fingerspitzengefühl den Durchfluss regelt.Das Prinzip des „Offenen Systems“ ist die tech-nische Grundlage für die Realisierung des neuendruckkontrollierten Beatmungsverfahrens BIPAP.

Anhand der Flowkurve kann die jederzeit verfügbare Spontanatemmöglichkeiterkannt werden: Zum ersten Mal ist auch während der maschinellen Inspirations-phase eine Ausatmung möglich.

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* Lizensiertes Warenzeichen, BIPAP = Biphasic Positive Airway Pressure

Exsp. Ventilgeschlossen

oder

Exsp. Ventilgeregelt

Funktionsprinzip des „OffenenSystems“. Weitere Erläuterungensiehe Text

DIE GESCHICHTE DER BEATMUNG

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BIPAP brachte die Entwicklung der Beatmung somit um zwei entscheidendeSchritte nach vorn. Erstens reduzierte BIPAP aufgrund seines breiten Anwendungs-spektrums die Anzahl der notwendigen Verfahren (3, 17) – die Beatmung wurde einfacher. Zweitens ließ das Verfahren durch die Spontanatmung während einesHubes dem Patienten mehr Freiraum zum Atmen. Dadurch wurden dieBedingungen für den Gasaustausch deutlich verbessert (20) und die schädlichenNebenwirkungen der Beatmung auf Lunge und Herz-Kreislaufsystem verringert.

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Beatmungskurven einer Evita. Spontanatmung während des gesamten Beatmungszyklus.Beachte den Exspirationsflow während des maschinellen Hubes

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Optimaler Druck und offen für Spontanatmung –volumenkontrollierter AutoFlow®*

Mit dem Verfahren BIPAP stand die druckkontrollierte Beatmung bereits auf einemhohen Niveau. Bei der volumenkontrollierten Beatmung kam eine signifikante Ver -besserung erst einige Jahre später, und zwar 1995 mit der Einführung der Evita 4.

Nach wie vor war das Problem der Druckspitzen in der Einatemphase einervolumenkontrollierten Beatmung nur unzureichend gelöst. Obgleich die Druckspitzen bereits mit der Druckbegrenzung des UV-1 beseitigt werden konnten,mussten sie im Verlauf einer Beatmung doch recht häufig nachgestellt werden.Eine manuell eingestellte Druckbegrenzung ist nämlich nur dann optimal, wenndie mechanischen Verhältnisse in der Lunge unverändert bleiben – und das ist inder Regel bei einer beatmeten Lunge nicht der Fall.

Vielmehr ändern sich die mechanischen Eigen schaften der Lunge: Sie kann erstenssteifer oder elastischer werden – es ändert sich also die Elasti zität, die in der Atem-physiologie als Compliance bezeichnet wird. Weiterhin kann sich der Strö mungs -widerstand in den Atemwegen vergrößern oder verringern. Die dabei zu Grundeliegende Größe ist der Atemwegswiderstand, der in der Atemphysiologie alsResistance bezeichnet wird.

Vergrößert sich z. B. die Compliance der Lunge und wird sie im Verlauf einerTherapie elastischer, dann reichen geringere Beatmungsdrücke, um dasgewünschte Volumen zu liefern. Eine vergrößerte Compliance erfordert somit einen geringeren Druck, um gleiche Volumina zu liefern. Im Grunde genommenmüsste der Therapeut Atemzug für Atemzug eine Messung der Compliance durchführen und danach rasch den geringstmöglichen Beatmungsdruck einstellen.Diesen Arbeitsaufwand könnte ihm das Beatmungsgerät ersparen, wenn es dieMessungen der Compliance und die Einstellungen des minimalen Beatmungs-druckes automatisch durchführen würde.

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* Lizensierte Marke

DIE GESCHICHTE DER BEATMUNG

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Eine derartige Automatik wurde 1995 mit der Evita 4 unter dem Namen AutoFlow®

eingeführt. Sie steht nicht als individuelles Beatmungsverfahren, sondern alsZusatzfunktion in allen volumenkontrollierten Verfahren zur Verfügung. Mit AutoFlow® wird der Atemgasflow unter Berücksichtigung der vorliegenden Lungen-mechanik so geregelt, dass das Atemzugvolumen mit dem geringstmöglichen Druckverabreicht wird.

Des Weiteren ermöglicht AutoFlow® eine Spontanatmung während eines volumen-kontrollierten Beatmungshubes. AutoFlow® stellt damit die „Freie Durchatembarkeit“,die sich im druckkontrollierten BIPAP bereits über Jahre bewährt hat, einem breiterenAnwendungsspektrum zur Verfügung.

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Beatmungskurven einer Evita 4. Die Regelung des Beatmungsdruckes mit AutoFlow®:Drei Beatmungsdruckkurven aufgenommen zu verschiedenen Zeiten im Verlauf einerCompliancezunahme

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Druckunterstützte Spontanatmung

Parallel zu den zeitgesteuerten Beatmungsverfahren entwickelten sich sogenanntedruckunterstützte Verfahren. Der prinzipielle Unterschied dieser Verfahren im Ver-gleich zu den zeitgesteuerten Verfahren besteht darin, dass keine Zeiten mehreingestellt werden. Vielmehr richtet sich die Dauer eines maschinellen Beatmungs-hubes nach der Lungenmechanik und der Atemtätigkeit des Patienten. Dabei mussjeder Beatmungshub vom Patienten ausgelöst werden. Automatisch verabreichteBeatmungshübe, die in der zeitgesteuerten Beatmung möglich sind, gibt es in derdruckunterstützten Beatmung nicht.

Die Entwicklung druckunterstützter Verfahren begann erst zwanzig Jahre später alsdie der zeitgesteuerten Verfahren. Der Grund dieser Verspätung liegt am aufwän-digen Steuerungsprinzip dieser Verfahren. Das Beatmungsgerät muss für einendruckunterstützten Hub nämlich zunächst erst einmal registrieren, wann derPatient einatmen will. Es muss dann blitzschnell das Geforderte liefern und esmuss die Atemgaslieferung dann beenden, wenn der Patient dieses fordert. Dasstellt hohe Anforderungen an das Beatmungsgerät, denn wenn die maschinelleUnterstützung von den Anforderungen des Patienten abweicht, dann kann daszusätzliche Atemarbeit und zusätzliche Belastung für den Patienten bewirken.

Druckunterstützte Verfahren eignen sich für diejenigen Patienten, die stark genugsind, um einen maschinellen Hub auszulösen, die jedoch zu schwach sind um diekomplette Atemarbeit ohne maschinelle Hilfe zu leisten. Zur Unterstützung derunzureichenden Spontanatmung kann das Beatmungsgerät dem spontan atmendenPatienten das Atemgas mit einem leichten Überdruck liefern. Das Beatmungsgerätentlastet dabei den Patienten, indem es ihm einen Teil der Atemarbeit abnimmt.

72 | DIE GESCHICHTE DER BEATMUNG

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Beginn und Dauer dieser sog. Druckunterstützung richten sich nach der Spontan-atmung und Lungenmechanik des Patienten. Lediglich die Höhe der Druckunter-stützung wird noch vom Therapeuten eingestellt. Das Verfahren wurde bei Drägerunter dem Namen ASB* erstmalig mit einem Rüstsatz beim UV-1 und später beimUV-2 eingesetzt. Im Laufe der Zeit hat sich für das Prinzip der Druckunterstützungdie englische Übersetzung "Pressure Support" mit dem Namenskürzel PS iminternationalen Sprachgebrauch durchgesetzt. Der Begriff ASB gilt seither als ver-altet.

* Assisted Spontaneous Breathing

Beatmungskurven eines UV-2. Oben: Spontanatmung ohne maschinelle Unterstützung,unten: druckunterstützte Spontanatmung

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Die Anpassung der Unterstützung an die Spontanatmung

Die Druckunterstützung bietet dem Patienten durch die maschinell geleistete Atem-arbeit eine Entlastung, ohne ihm dabei ein maschinell erzeugtes Beatmungszeit-muster aufzuzwingen. Obgleich sich bei der Druckunterstützung die maschinelleBeatmung der Spontanatmung des Patienten in gewissen Grenzen anpasst, gibt esbisweilen prinzipiell bedingte Probleme bei der Abstimmung. Der Verlauf derDruckunterstützung stimmt nämlich unter bestimmten Bedingungen nicht mehrmit der Spontanatmung überein. Außerdem sind abrupte Drucksprünge für denPatienten unangenehm. Gefordert war somit eine bessere Anpassung der druck-unterstützten Beatmung an die Atmung des Patienten.

Die Anpassung der Druckunterstützung an die Spontanatmung wurde zunächstdurch eine manuelle Korrekturmaßnahme in der konventionellen Druckunterstüt-zung erreicht. Diese manuelle Anpassung der maschinellen Druckunterstützung andie Spontanatmung und die Lungenmechanik war erstmals mit der EV-A im Jahr1982 durch einen zusätzlichen Einstellparameter möglich, für den sich dieBezeichnung „Druckrampe“ eingebürgert hat. Mit diesem Einstellparameter kannseitdem die Druckanstiegsgeschwindigkeit einer sich ändernden Lungenmechanikangepasst werden. Damit lässt sich eine bessere Synchronisation der Druckunter-stützung mit der Spontanatmung erreichen.

Der Zeitverlauf der Unterstützung ist drüber hinaus nicht nur von der Atemtätigkeitdes Patienten abhängig, sondern richtet sich vielmehr auch nach mechanischenGrößen wie Resistance und Compliance. Die Dauer der Druckunterstützung kanndeshalb zum Beispiel bei einer geringen Compliance kürzer sein als die Atem-anstrengung des Patienten. In diesem Fall kann die Dauer der Druckunterstützungdurch eine längere Druckanstiegszeit in gewissem Umfang verlängert werden.Allerdings ist diese manuelle Anpassung oft nur in begrenztem Umfang erfolgreich.

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Ein weiteres Problem zeigt sich in der konventionellen Druckunterstützung in derEntwöhnung. Dort wird das Ziel verfolgt, dem Patienten zunehmend Atemarbeit zu überlassen, um ihn vom Beatmungsgerät abzutrainieren. Manche Patienten„lernen“ nun dabei, dass sie lediglich die Atemgaslieferung triggern müssen, umdann nahezu passiv einen maschinellen Hub ohne nennenswerte Eigenleistung zuerhalten. Für derartige Patienten ist die konventionelle Druckunterstützung weniggeeignet. Derartige Patienten bräuchten ein Verfahren, welches maschinelle Atem-arbeit abhängig von Eigenleistung des Patienten beiträgt und ihn damit „erzieht“,Spontanatmung in angemes senem Umfang zu leisten.

Beatmungskurven einer EV-A. Druckunterstützte Spontanatmung mit verlängerterDruckanstiegszeit

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Die Regelung der Druckunterstützung durch den Patienten

Auf der Suche nach einem Verfahren, das die Druckunterstützung in Abhängigkeit derSpontanatmung leistet, musste man neue Wege gehen. Bisher konnte man in allenVerfahren Parameter einstellen, welche die Ventilation der Lunge bestimmen. Dieseeinzustellenden Parameter waren Volumen oder Druck – wir bezeich nen sie hier ver-einfachend als „Ventilationsparameter“. Das Ergebnis war, dass die Herrschaft überZeit und Volumen in der maschinellen Beatmung überwiegend beim Anwender lagund nicht, wie besonders in der Entwöhnung gewünscht, beim Patienten.

Verzichtet man jedoch auf die unbedingte Sicherstellung der Ventilation durch dieEinstellung von Ventilationsparametern und konzentriert sich darauf, den Patientengezielt in den Problemen seiner unzureichenden Spontanatmung zu unterstützen,dann gibt es völlig neue Möglichkeiten. In diesem Fall übernimmt der Patientzunehmend die Verantwortung für die Ventilation der Lunge und der Anwenderstellt nur noch sicher, dass das Beatmungsgerät die Spontanatmung des Patientendurch geeignete Atemgaslieferung hinreichend verstärkt.

Die Probleme einer nicht ausreichenden Spontanatmung können vielschichtig sein.Beschränkt auf die Lungenmechanik gibt es dabei zwei Hauptprobleme, die zueiner unzureichenden Lungenbelüftung führen können. Der Atemapparat kann zusteif sein und wir sprechen dann von einer restriktiven Störung, bedingt durch einezu kleine Compliance. Andererseits können die Atemwegswiderstände zu groß sein,wobei dann eine obstruktive Störung vorliegt, bedingt durch eine zu große Resistance.

Wollte man gezielt auf diese Störungen reagieren, dann würde man bei einer restriktiven Störung gezielte Maßnahmen ergreifen, um das Volumen mit einemmöglichst geringen Aufwand für den Patienten zu erhöhen. Im Falle einerobstruktiven Störung hingegen würde man versuchen, in gleicher Weise den Flow zuverstärken. Und genau das ist das Prinzip eines Verfahrens, das unter dem NamenPAV* (24) vorgestellt wurde und seit 1997 unter dem Namen PPS** zunächst mit derEvita 4 und der EvitaXL sowie in der Nachfolge mit der Evita V500 und Evita V300erstmals in kommerziell erhältlichen Beatmungsgeräten zur Verfügung steht. In derproportionalen Druckunterstützung wird weder ein definiertes Beatmungsvolumennoch ein definierter Beatmungsdruck angestrebt. Ziel ist vielmehr, die Anteile derAtemarbeit, die Mensch und Maschine leisten, zu bestimmen.

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* PAV =Proportional Assist Ventilation, ** PPS = Proportional Pressure Support

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In der proportionalen Druckunterstützung wird der Druck geregelt nach einemgemessenen Volumen und Flow. Der Regelkreis ist dabei außerordentlich schnell:In wenigen Millisekunden werden die Messgrößen ermittelt und der Druck ent-sprechend korrigiert. Es wird also innerhalb eines Atemzyklusses mehr als hundertMal der Druck geregelt und dem Bedarf des Patienten angepasst.

Damit können Probleme der Lungenmechanik bei Spontanatmung gezieltbehandelt werden: Bei restrik tiven Störungen wird der Druck proportional zumVolumen erhöht. Der Parameter zur Einstellung heißt dabei Volumen-Assist. Entsprechend werden obstruktive Störungen durch Anpassung des Flow-Assistbehandelt. Bei der Einstellung der Parameter unterstützt Evita den Anwender undgibt simultan an, welche Resistance und welche Compliance kompensiert werden.

PatientBeatmungsgerät

Beatmungsdruck regeln

Volumen messen

closed loopSteuerung

Die Regelung des Beatmungsdrucks in der proportionalen Druckunterstützung.Der Regelkreis wird in wenigen Millisekunden durchlaufen. Weitere Erläuterungensiehe Text

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Die Problematik der Geräteverbindung zum Patienten

In der maschinellen Beatmung sind Patient und Beatmungsgerät über Beatmungs-schläuche verbunden. Die unmittelbare Verbindung zu den Atemwegen desPatienten, der Tubus, erzeugt aufgrund seines geringen Durchmessers einenzusätzlichen Atemwiderstand. Die damit verbundene zusätzliche Atemarbeit lässtsich durch zwei Maßnahmen beseitigen: Entweder wird die zusätzliche Arbeit durchdas Beatmungsgerät kompensiert oder die Ursache der zusätzlichen Arbeit wirddurch eine alternative Verbindung des Patienten zum Beatmungsgerätes ersetzt.

Eine alternative Verbindung zum Beatmungsgerät bietet eine Atemmaske. Sieerfordert, verglichen mit dem Tubus, keine nennenswerte zusätzliche Atemarbeit.Für eine Maskenbeatmung muss ein Beatmungsgerät jedoch speziell angepasstwerden, da in diesem Fall erhebliche Leckagen auftreten können. Die Anpassungbezeichnet man als nicht-invasive Beatmung NIV*. Sie hat verglichen zur Tubus-beatmung eine effektivere Leckagekompensation. Weiterhin ist das Beatmungs-monitoring an die hohen Leckagen angepasst.

Die nicht-invasive Beatmung steht als Option bei nahezu allen Beatmungsgeräten aus dem Hause Dräger zur Verfügung, und zwar in der Intensivbeatmung von Er wachse nen, in der Transportbeatmung und in der Neugeborenenbeatmung. Eine Sonderstellung in der nicht-invasiven Beatmung nimmt die Carina ein: Sie wurde eigens für diesen Einsatzzweck entwickelt, ist also ein spezielles NIV-Beatmungsgerät, mit dem allerdings auch intubierte Patienten beatmet werden können.

Die zweite Möglichkeit, den Patienten in seiner durch den Tubus bedingten Atem-arbeit zu entlasten, besteht in einer selektiven Kompensation von Atemarbeit. ZumVerständnis der Kompensation einer tubusbedingten Atemarbeit ist es hilfreich, sichdie Druckverhältnisse vor und hinter dem Tubus genau anzusehen. Atmet derPatient durch den Tubus, dann entsteht ein Druckabfall am Tubus so wie in derGrafik dargestellt. Dieser Druckabfall wird umso größer, je stärker der Patient dasAtemgas durch den Tubus zieht. Der Druckabfall ist also abhängig vom Atemgas-flow.

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* NIV = Non Invasive Ventilation

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Nun könnte das Beatmungsgerät mehr Beatmungsdruck liefern, um gerade diesenDruckabfall auszugleichen und genau das ist das Prinzip von ATC®*, der auto-matischen Tubuskompensation. Das Beatmungsgerät drückt dabei gerade so stark,wie der Patient ziehen müsste, um das Atemgas durch den Tubus zu befördern. Dasempfindet der Patient als Erleichterung: Obgleich er durch den Tubus atmet, spürter nichts von dessen Widerstand und der damit verbundenen zusätzlichen Arbeit.Die hat das Beatmungsgerät durch ATC übernommen – ein Phänomen, das manauch als „elektronische Extubation“ bezeichnet. Die automatische Tubuskom-pensation wurde 1997 erstmals vorgestellt und entwickelte sich seitdem zunehmendzum Standard in der Intensivbeatmung.

* ATC = Atomatic Tube Compensation

ohne ATC mit ATC

Paw

P TracheaP Trachea

P mus

P Tubus

Paw

P mus

P Tubus

Die Kompensation der durch den Tubus bedingten Atemarbeit. (Paw = Atemwegsdruck)Links: Ohne Tubuskompensation – der Tubus bewirkt einen zusätzlichen Druckabfall und derPatient muss diesen Druckabfall durch forcierte Atmung kompensieren (Pmus = Druck durchAtemmuskulatur). Rechts: Mit Tubuskompensation – das Beatmungsgerät kompensiert durchzusätzlichen Beatmungsdruck den Druckabfall

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Besonderheiten der Früh- und Neugeborenen-Beatmung

Die Beatmung von Früh- und Neugeborenen nimmt aus zwei Gründen eine Sonder-stellung ein: zum einen gibt es spezifische klinische Probleme aufgrund einerunreifen Lunge, und zum anderen gibt es in der Neugeborenenbeatmungzusätzliche technische Herausforderungen.

Spezifische klinische Probleme einer unreifen Lunge sind z. B. der Mangel an Surfactant, einem lebensnotwendigen Flüssigkeitsfilm in der Lunge. Eine typischeKomplikation ist die Aspiration von Fruchtwasser, die häufig eine Lungenent-zündung zur Folge hat. Respiratorische Störungen gehören zu den häufigstenTodesursachen bei Frühgeborenen.

Technische Herausforderungen in der Neugeborenen-Beatmung liegen in der Artder Geräteverbindung zum Patienten. Dort wird der Beatmungstubus in der Regelnicht in der Luftröhre fixiert, sondern es wird ein so genannter ungeblockter Tubus mit meist unvermeidbaren hohen Leckagen eingesetzt. Außerdem arbeitenBeatmungsgeräte für Neugeborene mit einem permanenten Gasfluss, einem sogenannten Continous Flow. Ein derartiges Prinzip der Atemgaslieferung ist zwaroptimal für die kleinen Patienten, bringt aber zusätzliche Schwierigkeiten imBeatmungsmonitoring mit sich. Zusätzliche Anforderungen an das Beatmungsgerätentstehen bei der Behandlung von einigen der oben beschriebenen Krankheits-bilder, wobei es zu dramati schen Veränderungen der Lungenmechanik kommenkann. Diese Veränderungen müssen mit dem Beatmungsmonitoring erkennbarsein, und idealerweise sollte das Gerät die Beatmung automatisch an Änderungender Lungenmechanik anpassen.

Bei derartigen Herausforderungen ist es nicht verwunderlich, dass erst Ende der achtziger Jahre ein Beatmungsgerät eingeführt wurde, das sich den obengenannten Anforderungen stellte. Das Babylog 8000 führte als erstes Beatmungs-gerät für Neugeborene ein integriertes Volumenmonitoring ein und erlaubte damiteine Diagnose der Lungenmechanik. Es hatte dazu eine patientennaheFlowmessung, mit der weiterhin zum einen eine automatische Leckagekom-pensation und zum anderen ein extrem sensibler Trigger zur Auslösung einesAtemhubes noch möglich war.

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Vier Jahre nach seiner Einführung war für das Babylog 8000 die Hochfrequenz-beatmung nachrüstbar. Im Jahre 1997 kamen zwei neue Verfahren hinzu: die Druckunterstützung PSV* und die Volumengarantie VG. Die Druckunterstützungbietet dem Neugeborenen Freiraum zum Atmen. Sie ist damit auch in der Neu-geborenenbeatmung prädesti niert für die Entwöhnung (21). Die Volumengarantiereagiert automatisch auf die Änderung der Lungenmechanik. Sie vermindert so dasRisiko der Lungenüberdehnung, bedingt durch eine rasche Veränderung der Lungenmechanik, zum Beispiel bei der Verabreichung von Surfactant.

Mit der Einführung des Babylog VN500 wurde die Palette der Beatmugsverfahrenerweitert und insbesondere die Hochfrequenzbeatmung erheblich verbessert. DasBeatmungsmonitoring und die Bedienung des Babylog VN500 erreichen durcheinen großflächigen Grafikbildschirm mit Touchsreen Technologie den gleichenhohen Standard wie in der Beatmung von Erwachsenen.

* PSV = Pressure Support Ventilation

Babylog 8000

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SmartCare®/PS

So verschieden die bis hier beschriebenen Beatmungsverfahren auch sind, so habensie doch ein gemeinsames Merkmal: Sie werden nach individuellen Entscheidungendes klinischen Personals manuell eingestellt. Derartige Entscheidungen finden nichtregelmäßig statt und folgen häufig nicht einem festgelegten Plan. Aus diesem Grundwurden Leitlinien zum Beispiel für den Ablauf einer Entwöhnung erstellt, in denenHandlungen wie die Einstellung von Parametern verbindlich vorgeschrieben sind.

Mitte der neunziger Jahre begann man damit, Leitlinien zur Entwöhnung mit Hilfeeines Computers umzusetzen. Der Computer war dabei in der Lage, anhand desBeatmungsmonitorings den Zustand eines Patienten zu analysieren und mit dengespeicherten Leitlinien einen Behandlungsplan zu entwerfen. Und man ging nocheinen Schritt weiter: Man autorisierte den Computer, die im Behandlungsplan vorgesehenen Schritte selbständig umzusetzen und ein Beatmungsgerät zu steuern.

Die ersten klinischen Erprobungen dieser neuen automatischen Entwöhnung fandenmit einer druckunterstützten Beatmung statt und wurden mit einer computergesteu -erten modifizierten Evita 4 durchgeführt. Die Ergebnisse der Studie waren revolu -tionär: Mit derartigen Systemen ließ sich die Entwöhnungszeit im Durchschnittschlichtweg halbieren (19). Der nächste Schritt war die Integration des Computerszur automatischen Entwöhnung in das eigens zu diesem Zweck entwickelteBeatmungsgerät EvitaXL und die Markteinführung unter der ProduktbezeichnungSmartCare/PS* im Jahr 2003. Damit wurde die computergestützte automatischeEntwöhnung erstmalig Bestandteil eines kommerziell verfügbaren Beatmungsgerätes.

SmartCare/PS geht in der Entwöhnung ähnlich wie das klinische Personal vor. Zu nächst wird eine Diagnose der Spontanatmung gestellt, und zwar auf Basis der dreiParameter Atemfrequenz, Tidalvolumen und endtidales CO2. Bei unzureichenderSpontanatmung wird automatisch die Druckunterstützung verändert, um denPatienten mit seiner Spontanatmung in einen stabilen Zustand zu führen. Ist diesererreicht, so wird Schritt für Schritt die Druckunterstützung verringert bis zu einemNiveau, ab dem der Patient voraussichtlich ohne maschinelle Unterstützung wei-teratmen kann. Auf diesem Niveau führt SmartCare/PS ein abschließendesManöver durch, den so genannten Spontanatemversuch. Wenn dieser erfolgreichist, dann wird dem Personal der Abschluss der Entwöhnung gemeldet.

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* PS = Pressure Support

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Die Rolle des Personals ähnelt im SmartCare/PS der Rolle eines Piloten bei einemeingeschalteten Autopiloten. So wie ein Flugzeugführer sich jederzeit ein Bild überKurs, Geschwindigkeit und Flughöhe in ihrer automatischen Regelung machen kann,so kann das klinische Personal jederzeit Verlauf, Diagnose und automatisch durch-geführte Maßnahmen in einer SmartCare/PS-Anwendung einsehen. Und ähnlichwie ein Pilot kann das klinische Personal bei Bedarf manuell eingreifen.

Das Personal erfährt dabei eine deutliche Aufwertung: Entlastet von Routinehand-lungen und gut informiert über den Ablauf des Prozesses, können sich Arzt undPfleger vom Abwickler zum Gestalter der Entwöhnung entwickeln.

f

VTetCO2

Unz

ureichende Ventilation

Unzureichende Ventila

tion

normaleVentilation

InsuffizienteVentilation

UnerklärteHyperventilation

Hyper-ventilation

Hypo-ventilation

SchwereTachypnoe

Tachypnoe

Diagnose der Spontanatmung und Maßnahmen zur Stabilisierung im SmartCare/PS.Links: Atemfrequenz, Tidalvolumen und endtidales CO2 werden bewertet. Ist einer dieser Werteinakzeptabel, so wird auf „unzureichende Spontanatmung“ erkannt. Rechts: Differenzierungder vorliegenden Störung, u. U. Stabilisierung durch Veränderung der Druckunterstützung(heller Pfeil = Druckerhöhung, dunkler Pfeil = Druckerniedrigung, Kreis = keine Veränderung).Nach erfolgreicher Stabilisierung wird durch sukzessives Absenken der Druckunterstützung die Entwöhnung eingeleitet und automatisch durchgeführt

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Tendenzen in der Entwicklung der Beatmungsverfahren – Fazit

In der Entwicklung der Beatmungsverfahren können im Wesentlichen zwei ver-schiedene Tendenzen identifiziert werden: die Beatmung ist erstens patienten-orientierter und zweitens anwenderorientierter geworden.

Die Entwicklung der maschinellen Beatmungbegann mit maschinellen „Luftpumpen“ zurAtemgasversorgung des Patienten. Auf dernächsten Entwicklungsstufe wurden Hilfs-einrichtungen zur Anpassung der maschinellenBeatmung an den Patienten eingeführt. Siewurden als zusätzliche Einstellparameter in denBeatmungsverfahren vom Anwender eingesetzt.

In der zeitgesteuerten Beatmung wurde als Hilfs-parameter die Druckbegrenzung zur Verringerungeiner mechanischen Belastung der Lunge einge-setzt. In der Spontanatmung wurde die Druck-unterstützung eingeführt, um den Patienten inseiner Atemarbeit zu entlasten. In beiden Fällen,sowohl in der Druckbegrenzung als auch in derDruckunterstützung war die Technik noch relativ

einfach. Die Anwendung war jedoch arbeitsaufwändig: Änderte sich die Lungen-mechanik, dann musste der Therapeut in der Regel die Beatmung anpassen.

In der nächsten Entwicklungsstufe wurde die Funktion der manuell eingestelltenHilfsparameter zunehmend durch „intelligente“ Funktionen des Beatmungsgerätesübernommen. Mit AutoFlow®, freier Durchatembarkeit und proportionaler Druck-unterstützung passte sich das Beatmungsgerät automatisch den Veränderungen derLungenmechanik und Atmung an. In der patientenorientierten Beatmunggehorchte fortan das Beatmungsgerät dem Patienten.

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Evita 2 und die Entwicklung derVerfahren. Beatmungsdruck-kurven von unten nach oben:volumenkontrolliert, druck-begrenzt, konventionell druck-kontrolliert und BIPAP

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Als zweite Tendenz ist eine Vereinfachung der Beatmung erkennbar, wodurch dieBeatmung anwenderorientierter wurde. Es wurden immer weniger Verfahrenbenötigt. Die vielen Verfahren älterer Beatmungsgeräte waren durch die begrenztetechnische Möglichkeit bedingt: Man konnte es einfach nicht besser und brauchtefür jedes technische und medizinische Problem ein Spezialverfahren. Einen entscheidenden Schritt zur Vereinfachung der Beatmung leistete BIPAP in der Entwöhnung. Dort ist seitdem nur noch ein einziges Verfahren notwendig. Für dieEntscheidung, ob druck- oder volumenorientiert beatmet wird, konzentriert sichheute die Auswahl auf die beiden Alternativen BIPAP und AutoFlow®.

1970 1980 1990

Evita 4 Evita 1 EV-A UV1/UV2 Spiromat

Volumen- orientiert

Druck- orientiert

volumen-kontrolliert

druck- begrenzt

druck- unterstützt

druck- kontrolliert

Druck- rampe

proportionale Druckunter- stützung

BIPAP

AutoFlow

Die Anzahl der Beatmungsverfahren. 1970: wenige Verfahren aufgrund technischerLimitationen. 1980: viele Verfahren aufgrund neuer technischer Möglichkeiten. Seit 1990: weniger notwendige Verfahren aufgrund patientenorientierter und anwendungs-orientierter Verfahren

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Tendenzen in der Entwicklung der Beatmungsverfahren – Ausblick

Ein Ausblick in die Zukunft der Beatmungsverfahren kann mit der Einführung vonWissensbasierten Systemen wie SmartCare/PS vorgenommen werden. Künftig wird esweniger darum gehen, Verfahren zu optimieren, als vielmehr darum, die Verfahrenoptimal einzusetzen. SmartCare/PS setzt die konventionelle Druckunterstützung ein –ist also vom Verfahren her eher konservativ. Das Neue an SmartCare/PS ist jedoch derstandardisierte Einsatz eines Verfahrens nach festgeschriebenen Regeln. Damit stel -len sich erhebliche Vorteile wie die Kostenersparnis durch Verkürzung der Entwöh -nungszeit sowie die mögliche Qualitätssicherung durch Standardisierung, in Aussicht.

Die Frage, die sich nun stellt, istfolgende: Können Beatmungsgeräte, wiedie Evita 4 und Evita XL so wie wir sieals eigenständige Geräte kennen gelernthaben, in Zukunft die Anforderungenzum Beispiel durch WissensbasierteSysteme noch meistern? Die Antwortlautet: Ja – mit großem Aufwand. Dieneue Herausforderung durch Wissens-basierte Systeme konnte die Evita XLmeistern, nachdem es gelungen war,einen Computer in das Beatmungsgerätzu integrieren und das Beatmungsgerätüber diesen integrierten Computer zusteuern.

Neue Gerätegenerationen wie die Evita V300 und Evita V500 sind hingegen mitihrer Grundausstattung – also ohne zusätzliche Hardware – darauf vorbereitet, mit Wissenbasierten Systemen die Beamtung zu automatisieren.

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Evita V500. Die Darstellung von Echt-zeitkurven, Trends und Daten ist optimal aufeine SmartCare/PS Anwendung eingestellt

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Werden aber künftige Anforderungen in der Beatmung eine Steuerung des Gerätesvon außen erfordern, dann könnte dies die maschinelle Beatmung um einenzusätzlichen Bereich erweitern. Neben den eigenständigen Beatmungsgerätenkönnten sich Systeme etablieren, bei denen eine zentrale Steuereinheit auf einBeatmungsmodul zugreift. Den ersten Schritt in diesen neuen Bereich unternahmDräger im Jahr 2006 mit der Vorstellung des Infinity® Acute Care System™.

Intensiv

Infinity Acute Care System. Medical Cockpit™ und Beatmung mit dem Modul V500

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Vom Messinstrument zum Beatmungsmonitor

Der vorherige Abschnitt befasste sich mit der Entwicklung der Beatmungsverfahren.Im Folgenden soll nun untersucht werden, wie sich parallel dazu das Beatmungs-monitoring entwickelt hat. Das Beatmungsmonitoring stellt das gesamte System zurÜberwachung in der Beatmung dar. Es werden dabei sowohl Gerätefunktionen alsauch der Zustand des Patienten überwacht.

Das Monitoring besteht aus den drei Teilfunktio nen Messen, Darstellen undAlarmieren. Die dazu not wendigen Komponenten eines Beatmungsgerätes sind dieSensorik, die Anzeige und das Alarmsystem. Nach neuerem Verständnis gesellt sichals vierte Komponente das Datenmanagement dazu.

Bereits der Ur-Pulmotor hatte eine bescheidene Sensorik. Ein einfaches Instrumentzur Messung des Beatmungsdruckes erlaubte dort eine oberflächliche Beobachtungder Gerätefunktion. Bei den Spiromaten stand ab 1955 zusätzlich eine Messvor-richtung für das verabreichte Volumen zur Verfügung. Weitere Messparameter wiedie inspiratorische O2-Konzentration und das Atemgas-CO2 wurden in den folgendenGerätegenerationen zunächst über Zusatzmonitore eingeführt. Bei modernenBeatmungsgeräten ist das Monitoring der inspiratorischen O2-Konzentration meistim Beatmungsgerät integriert und das Monitoring des Atemgas-CO2 steht als Optionzur Verfügung.

Aus den einzelnen gemessenen Werten könnenweitere Daten durch Berechnungen gewonnenwerden. Ein Beispiel für eine berechnete Größe ist der mittlere Atemwegsdruck, der als Durch-schnittswert ermittelt wird. Für die gemessenensowie für die berechneten Daten gelten meistzulässige Grenzwerte. Werden diese Grenzen über-schritten, so tritt ein Alarmsystem in Aktion, das

mit hörbaren und sichtbaren Signalen den Anwender informiert. Die Grenzwertezur Patientenüberwachung werden, wie das nebenstehende Beispiel des Monitoringdes Atemwegsdruckes eines UV-1 zeigt, vom Therapeuten eingestellt. Die Grenz-werte der Geräteüberwachung hingegen werden bei modernen Beatmungsgerätenüberwiegend automatisch gesetzt.

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Atemwegsdruckmonitor des UV-1mit Darstellung der Grenzwerte

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Analog zur Entwicklung der Sensorik mit ihrer zunehmenden Integration in dasBeatmungsgerät hat sich auch das Alarmsystem der Beatmungsgeräte entwickelt.Die ungeordnete Vielzahl der Alarme aus verschiedenen Beatmungsmonitorenwurde durch ein Alarmmanagement im Beatmungsgerät ersetzt. Das Alarm-management moderner Beatmungsgeräte ordnet jedoch nicht nur die einzelnenAlarme. Vielmehr gibt es z. B. über Textmeldungen detailliert Auskunft über dieAlarmursache und deren mögliche Abhilfe – es gibt eine Alarmdiagnose.

Sensorik Alarmsystem Anzeige

Beatmungsmonitoring

DarstellenMessen Alarmieren

Das Beatmungsmonitoring. Mitte: Komponenten, unten: Teilfunktionen

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Von der Momentaufnahme zur Trendanalyse

Parallel zur Sensorik und Alarmierung hat sich dieAnzeige der Beatmungsgeräte entwickelt. EinfacheZeigerinstrumente wurden durch Digitalanzeigenergänzt oder ersetzt. Das Informationsangebot ausdem Beatmungsmonitoring wurde damit viel -fältiger, aber die vielen Anzeigen überforderten

bisweilen den Betreiber. Eine leichtere Informationsaufnahme wurde durch dieKonzentration der Messwertanzeigen und Textmitteilungen auf einem zentralenBildschirm erreicht.

Der zentrale Bildschirm ordnet jedoch nicht nur die verschiedenen Anzeigen undMeldungen, er ermöglicht eine völlig neue Form der Messwertdarstellung: Durchgrafische Bildschirmdarstellung werden nicht nur aktuelle Werte, sondern auchderen zeitlicher Verlauf sichtbar.

Derartige grafische Darstellungen waren in der Herz-Kreislaufdiagnostik z. B. als EKG-Registrie rungen bereits bekannt. Obgleich der diagnostische Wert eines grafischen Monitorings sehr hoch ist, wurde es in der Beatmung erst mit demintegrier ten Bildschirm der EV-A eingeführt. Seitdem gehört es allerdings zur Standardausstattung eines Dräger-Intensivbeatmungsgerätes.

Mit dem grafischen Monitoring können Verlaufsdarstellungen eines Beatmungs-hubes sichtbar gemacht werden. Die zur Erläuterung der Beatmungsverfahren imvorherigen Abschnitt beschriebenen Beatmungskurven können damit direkt amBeatmungsgerät dargestellt werden. Das mittlere Bild der Grafik auf der nächstenSeite gibt das Beispiel einer Beatmungsdruckkurve.

Mit den Beatmungskurven auf dem Bildschirm kann die Geräteeinstellung undderen Auswirkung auf den Patienten kontrolliert werden. Die Momentaufnahmeder Beatmungskurven wird im modernen Beatmungsmonitoring durch die Dar-stellung längerfristiger Verläufe ergänzt.

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Digitalanzeige verschiedenerMesswerte einer Evita 2

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Aus derartigen Darstellungen kann der geübte Therapeut gegebenenfalls Trendserkennen – die Darstellungen werden deshalb auch als Trendverläufe bezeichnet.Sie stehen im integrierten grafischen Beatmungsmonitoring der Evita zur Verfügung. Das untere Bild der Grafik stellt einen Trendverlauf des mittlerenAtemwegsdruckes dar. Der Nutzen, den das grafische Monitoring für die Ausbildung, Diagnose und Geräteanwendung bietet, soll im Folgenden am Beispielder Beatmungskurven dargestellt werden.

Messwertdarstellung des Atemwegdruckes im Beatmungsmonitoring. Oben: Zeigerinstrumentdes Spiromaten. Mitte: Beatmungskurven einer Evita 2. Unten: Trenddarstellung einer Evita 4

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Der Wert des grafischen Monitorings

Das Prinzip der Atemwegsdruck- und Flowkurven wurde bereits im Abschnitt„Beatmungsverfahren“ beschrieben. Die Beatmungskurven dienten dort als Hilfs-mittel, um die Entwicklung der Verfahren zu illustrieren. Der Wert der Beatmungs-kurven in der Ausbildung war schon lange vor der Einführung der Bildschirmdar-stellung erkannt worden. Die Gebrauchsanweisungen der Spiromaten enthieltenbereits solche Kurven.

Seit der Einführung des integrierten grafischen Beatmungsmonitorings in der EV-Awerden die Beatmungskurven zunehmend als Hilfsmittel zur Geräteeinstellunggenutzt. So kann aus den Druck- und Flowkurven rasch erkannt werden, ob dieeingestellten Atemphasen in Ordnung sind.

Beatmungskurven erlauben eine rasche Überprüfung der Geräteeinstellung undlassen Einstellfehler erkennen. Einstellwerte mit hoher klinischer Bedeutung, wiedas I:E-Verhältnis, also das Zeitverhältnis von Inspirations- und Exspirationszeit,sowie die Flowzeit und die Plateaudruckzeit sind damit auf einem Blick erkennbarund müssen nicht mehr als Zahlenwerte zusammengetragen werden.

Die Überprüfungsmöglichkeiten durch Beatmungs -kurven beschränken sich jedoch nicht nur auf dieGeräteeinstellung und auf Fehler. Vielmehrerlauben sie einen Einblick in die physiologischeAuswirkung der Beatmung. Sie sind damit einInstrument der Diagnostik. So können aus derDruck- und Flowkurve Rückschlüsse auf Atemwegs-widerstände und Compliance gezogen werden.Allerdings bilden die beiden Beatmungskurven dietatsächlichen mechanischen Lungenverhältnissenur undeutlich ab. Aussagen über den Gas-austausch sind mit diesen Kurven kaum möglich.

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Evita 2. Oben: Echtzeitkurvenvon Flow, Druck und CO2

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Die Forderung nach einer Beatmungskurve mit höherem diagnostischen Wertwurde mit einer dritten Beatmungskurve erfüllt. Die grafische Darstellung desAtemgas-CO2 in einem Beatmungsgerät wird als integrierte Kapnographiebezeichnet. Sie stand bereits in der EV-A zur Verfügung und wurde seitdem mehrfach erweitert um zusätzliche Diagnosefunktionen wie die Messung der CO2-Produktion und des Totraumvolumens. Mit der Kapnographie könnenÄnderungen im Gasaustausch rasch erkannt werden: eine unzureichende Lungen -belüftung oder eine Verschlechterung der Lungendurchblutung würde sich z. B.unmittelbar am Verlauf der CO2-Kurve auswirken. Kapnographie ermöglicht sogarRückschlüsse auf den Stoffwechsel des Patienten und überschreitet damit dieGrenzen des reinen Beatmungsmonitorings.

Einstellhilfe Lernhilfe Entscheidungs-hilfe

Beatmungskurven

DiagnoseBedienung Didaktik

Beatmungskurven im Beatmungsmonitoring. Mitte: Teilfunktionen. Unten: Anwendernutzen

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Beatmungsmonitoring in einer neuen Zeit

So wichtig die Kapnographie durch die detaillierte Abbildung physiologischer Vor-gänge ist, sie hat einen kleinen Nachteil: Die Ursachen, die zu einem verändertenKapnogramm führen, sind in der Regel nicht eindeutig. Kapnographie liefert vielewertvolle Hinweise – aber kaum eindeutige Nachweise. Für eine eindeutige unddifferenzierte Diagnose über den Zustand eines beatmeten Patienten reicht dasMonitoring eines Beatmungsgerätes oft nicht mehr aus. Es werden weitere Datenund deren Integration in einer zentralen Einheit benötigt.

In den neunziger Jahren begann dieEntwicklung zu einem zentralenMonitoring, bei dem zunächst ein Teildes Beatmungsmonitorings zusätzlichauf dem Patientenmonitor erschien.Neue Bildschirm technolo gien machtendieses möglich, und so vervielfachtesich die Standardgröße des Bildschirmsim Patientenmonitoring innerhalbweniger Jahre. Nun hatte man Echt-zeitkurven der Beatmung, invasivenBlutdruck und EKG auf einen Blick,aber die auf dem Bildschirmangebotene Datenflut war kaum noch

zu beherrschen. Außerdem erschienen jetzt auf dem Bildschirm des Beatmungs-gerätes Daten, die man schon seit einiger Zeit im Patienten monitoring hatte, wiez. B. die Sauerstoffsättigung.

Eine elegante Lösung wäre jetzt gewesen sowohl im Beatmungsmonitoring als auchim Patientenmonitoring auf doppelte Darstellungen zu verzichten. Dann allerdingserwies es sich als Problem, dass Beatmungsmonitoring und Patienten monitoringein unterschiedliches Erscheinungsbild in der Datenpräsentation haben und dassman in beiden Bereichen einen kompletten Datensatz haben wollte. Und so leisteteman sich z. B. die kostspielige Kapnographie mit aufwändiger Sensorik auf beidenSeiten. Die Kapnographie war, wie man so sagt, „redundant“ vorhanden – und daswar schlichtweg Verschwendung von Ressourcen.

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Datenpräsentation mit demInfinity® Explorer

DIE GESCHICHTE DER BEATMUNG

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Es stellt sich jetzt erneut die Frage, ob durch eine Optimierung der eigenständigenBeatmungsgeräte und Patientenmonitore eine Lösung für das Problem der Datenflut und Redundanz erreicht werden kann – und die Antwort ist wiederum: Ja – mit großem Aufwand. Durch die Angleichung der Datenpräsentation einerEvitaXL und eines Infinity Patientenmonitors ist das Problem zumindest teilweisegelöst worden.

Datenpräsentation auf dem Bildschirm einer EvitaXL. Echtzeitkurven, Loops undTrends sowie numerische Daten sind konfigurierbar

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Beatmungsdiagnostik, mit neuen Bildern

Ziel einer Überwachungseinrichtung ist, aus vielfältigen Daten leicht erfassbareInformationen zu generieren. Es stellt sich nun die Frage, ob die Darstellung vonZahlen, Textmeldungen und Kurven auf dem Bildschirm eines Beatmungsgerätesdieses Ziel erreicht. Die Möglichkeiten, die sich aus dem modernen Monitoringergeben, können nämlich zu einer nicht mehr beherrschbaren Datenflut führen,die den Anwender überfordern. Die Computerindustrie hat diese Erkenntnis bereitsvor geraumer Zeit gewonnen: Das Betriebssystem Windows beispielsweise setztseitdem überwiegend Symbole und Bilder ein und kaum noch Texte.

Ein ähnliches Prinzip findet sich imBeatmungsmonitoring mit SmartPulmonary View. Dort sind lungen-mechanische Kenngrößen wieResistance und Compliance nicht nur durch Zahlenwerte dargestellt,sondern durch symbolische Grafiken.

In einem Modell des Atemapparats symbolisiert die Dicke der Thoraxwanddie Compliance und die Verengung derTrachea die Resistance. Weitere sym-bolische Darstellungen erlauben einen

schnellen Einblick in die Spontanatemtätigkeit: Das Verhältnis von Spontanatmungund maschineller Beatmung ist durch verschiedenfarbige Flächen symbolisiert undeine Bewegung des Zwerchfells zeigt an, dass der Patient einen maschinellen Hubausgelöst hat.

Das bis hier dargestellte Beatmungsmonitoring ist vielfältig und komplex, zeigt aberimmer nur die globale Lungenfunktion. Es kann regionale Unterschiede in der Lungenicht erfassen und verschließt sich damit einer klinisch außerordentlich wichtigenDetailinformation. Denn es gibt zunehmend Hinweise darauf, dass zu hoheBeatmungsdrücke ein Überdehnen, zu niedrige Drücke dagegen ein Kollabierenbestimmter Lungenregionen verursachen können. Einen Einblick in die Funktionverschiedener Lungenareale erlaubt nun die Elektrische Impedanztomographie.

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Grafische Darstellung der Lungenmechanigim Smart Pulmonary View: Änderungen derResistance und Compliance erkennbar ineinem Modell des Atemapparates

DIE GESCHICHTE DER BEATMUNG

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Dieses bildgebende Verfahren ist von Dräger unter dem Namen PulmoVista 500 imJahr 2011 weltweit erstmalig in einem kommerziell erhältlichen Gerät eingesetztworden.

PulmoVista 500 leitet über einen Elektrodengürtel in schneller Abfolge harmloseStröme in das Gewebe ein und ermittelt elektrische Widerstände in einer Querschnittsebene des Thorax. Mit aufwändiger Computertechnik werden ausdiesen Signalen Bilder sowie Echtzeitkurven der regionalen Ventilationsverteilunggewonnen. Der Anwender kann daraus erkennen, welche Lungenareale gutventiliert sind und er kann sehen, wo die Ventilation behindert ist. Mit derartigenBildern kann er die Beatmung gezielter anpassen. Weiterhin kann er anhand derBilder und zusätzlicher Trends erkennen, ob seine Anpassungen der Beatmungerfolgreich waren.

Elektrische Impedanz Tomografie mit Pulmovista 500. Grafische Darstellung der regionalenLungenbelüftung.

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Leistungsumfang und Bedienung

Nach den Beatmungsverfahren und dem Monitoring soll abschließend das Bedien-konzept in seiner geschichtlichen Entwicklung untersucht werden. Im Gegensatz zuden Beatmungsverfahren und dem Beatmungsmonitoring hat sich das Bedienkon-zept der Beatmungsgeräte erst sehr spät entwickelt: Die Bedienelemente warenzunächst mehr willkürlich angeordnet und wenig an den Anwender angepasst.

Die ersten Beatmungsgeräte waren aufgrund ihres geringen Leistungsumfangesnoch einfach zu bedienen. Mit zunehmendem Leistungsumfang wuchs jedoch dieAnzahl der Bedienelemente. Die Grafik zeigt für verschiedene Geräte die Anzahl der Bedienelemente und den Leistungsumfang.

In der Grafik gelten folgende Vereinfachungen: Der Leistungsumfang einesBeatmungsgerätes setzt sich aus der Summe von Beatmungsverfahren und sonstigenFunktionen zusammen. Bei der Anzahl der Bedienelemente werden nur die Dreh-knöpfe berücksichtigt. Nach diesem Schema hatte ein Spiromat lediglich einBeatmungsverfahren und mit dem Seufzer nur eine sonstige Funktion. Das Ganzewar über sechs Drehknöpfe noch recht einfach zu bedienen. Der UV-2 konntebereits drei Beatmungsverfahren und drei Zusatzfunktionen: neben dem Seufzerdie einstellbare O2-Konzentration und die Druckbegrenzung. Die Bedienung wurdemit nunmehr elf Drehknöpfen schon recht kompliziert.

In den folgenden Gerätegenerationen fand man Wege, um das Bedienkonzept zuvereinfachen. So belegte man in der EV-A einzelne Drehknöpfe mit zwei Funk-tionen, damit die Anzahl der Drehknöpfe nicht weiter stieg. Die Vereinfachungenerwiesen sich jedoch meist als „kosmetische“ Maßnahmen: Das Bedienkonzept sahvordergründig einfach aus – tatsächlich aber wurde die Bedienung komplizierter.

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Unter dem Aspekt Bedienung stellte sich die Entwicklung der Beatmung somitanders dar als unter den Gesichtspunkten Verfahren und Monitoring: Sie war hiernicht nur durch Fortschritte, sondern auch durch diverse Rückschritte geprägt. Die Geräte waren letztendlich nur noch mit erheblichem Schulungsaufwand sicherbedienbar. Dieser Negativtrend wurde erst durch die Evita 4 und ihre Nachfolgerunterbrochen. Mit einer neuen Technologie wurde dort erstmals die Anzahl dergleichzeitig sichtbaren Bedienelemente reduziert und trotzdem der Leistungs-umfang erhöht.

1970 1980 1990

Evita 4Evita 1EV-AUV1/UV2Spiromat

Anzahl derVerfahren

Anzahl derFunktionen

Anzahl der Bedienelemente

Die Entwicklung des Leistungsumfanges und der Bedienungselemente derBeatmungsgeräte. Weitere Erläuterungen siehe Text

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Leistung stark, Bedienung einfach – ein Widerspruch?

Natürlich gab es neben den umseitig beschriebenen Rückschritten in der Entwick-lung des Bedienkonzeptes auch bemerkenswerte Fortschritte, wie die Einführungdes zentralen Bildschirmes als Kontrollinstrument für die vorgenommenen Ein -stellungen.

Ein weiterer Fortschritt war die Einführung einer Benutzerführung mit Schutz-einrichtungen. So erkannte die EV-A bereits 1982 automatisch einen zu hoch eingestellten Beatmungsdruck oder ein ungewöhnliches Atemzeitverhältnis. DurchLeuchtanzeigen an den entsprechenden Bedienelementen und Meldungen auf demBildschirm wurden dem Therapeuten nicht nur Warnungen gegeben, sondern auchgleich Maßnahmen zur Abhilfe vorgeschlagen.

Damit war die Bedienung schon teilweise zielführend, und man erreichtegewissermaßen im Dialog mit dem Gerät sein Ergebnis. Beispielsweise wies dasGerät den Anwender beim Atemzeitverhältnis auf potentiell gefährliche Einstel-lungen hin. Die Unterstützung, die ein Gerät in der Einstellung der Parameteranbietet, nennt man Bedienerführung.

Ein Gerät mit guter Bedienerführung wird zunehmend selbsterklärend. Das Bedien-konzept solcher Geräte, das nach dem Erlernen von Grundelementen aus sichheraus verständlich ist, bezeichnet man als intuitiv. Eine intuitive Bedienung wurdeerstmalig 1995 mit der Evita 4 unter Einsatz einer neuen Technologie realisiert. Diemeisten Bedienschritte sind dabei nicht mehr über Drucktasten und Drehknöpfe,sondern über einen Bildschirm zugänglich. Mit dieser so genannten Touch-Screen-Technologie ergeben sich zwei entscheidende Vorteile.

Ein erster Vorteil ist die zielführende Bedienung, da grundsätzlich nur diejenigenBedienelemente dargestellt werden, die zum aktuellen Zeitpunkt auch wirklichbedienbar sind. Damit verringert sich ihre Anzahl. Als Beispiel dient hier die Ein-stellung der Beatmungsparameter in zwei verschiedenen Beatmungsverfahren.Während das eine Verfahren noch neun Parameter benötigt, reichen bei einemanderen bereits vier.

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Wird gerade keine Einstellung vorgenommen, dann können alle Bedienelemente im Hintergrund verschwinden, und der Bildschirm wird zum reinen Beatmungs-monitor.

Der zweite Vorteil lässt sich aus Erkenntnissen anderer Arbeitsplätze ableiten. AusUntersuchungen mit Verkehrspiloten weiß man, dass die Wahrnehmungsfähigkeitunter Stress abnimmt. Die Cockpits moderner Verkehrsflugzeuge haben deshalb ausGründen der Sicherheit weniger Instrumente und Bedienelemente als ihre Vorgänger.Setzt man diese Erkenntnisse auf einen Arbeitsplatz an einem Beatmungsgerät um,dann gewinnt das neue Bedienkonzept auch unter Sicherheitsaspekten Vorteile.

Bildschirm-Bedienelemente der Evita 4. Weitere Erläuterungen siehe Text

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Bedienung einheitlich – eine Vision?

Neben der Notwendigkeit zur Vereinfachung der Bedienung eines Beatmungsgerätessteht die Forderung nach Vereinheitlichung der Bedienung innerhalb der Akut -medizin. Eine Vereinheitlichung der Bedienkonzepte begann bei Dräger Anfang derNeunzigerjahre mit der Einführung eines zentralen Drehknopfes in Verbindung miteiner Menübedienung.

Dieses einheitliche Bedienkonzept wurde Schritt für Schritt in allen Bereichen derAkut medizin umgesetzt: In der Anästhesie wurde es erstmalig mit dem Narkose-gerät Cicero eingesetzt und später, wie bereits beschrieben, 1995 mit der Evita 4 indie Intensivbeatmung eingeführt. Es fand dann im Bereich der Wärmetherapie imJahr 2000 seine erste Umsetzung mit dem Inkubator Caleo und kam im Jahre 2003schließlich mit dem Oxylog® 3000 in die Notfallmedizin. Im Laufe der Zeit wurdendie Bedienkonzepte immer mehr einander angeglichen. Mit der Einführung desNarkosegerätes Zeus und der EvitaXL hatte man im Jahre 2003 im OP und auf derIntensivstation bereits ein weitgehend harmonisiertes Bedienkonzept mit einerReihe von homologen Bedienelementen.

Trotz weitgehender Annäherung der Bedienkonzepte wurde jedoch immer nochjedes einzelne Gerät für sich bedient und das bringt grundsätzlich zwei Nachteile:Zunächst ist da das bereits in der Diagnostik beschriebene Problem der Redun danzauch bei den Bedieneinheiten innerhalb der Arbeitplätze in der Akutmedizin. Wennes in der Intensivtherapie die drei Modalitäten Beatmung, Infusionstherapie undÜberwachung gibt, dann bedarf es zu deren Bedienung nicht notwendigerweisedreier Bedieneinheiten – sinnvoller und einfacher wären vielleicht nur zwei. EinFortschritt wäre somit die Bedienung aller Modalitäten mit nur einem oder zweiUniversal-Bedieneinheiten, so genannten Medical Cockpits, mit gleicher Strukturund gleicher Hardware.

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KIS

Befundbilder

Informationsmanagement

SmartApplications

OP 2OP 1

Intensiv 1

Patienten-monitoring

Beatmung

Anästhesie

Notfallbeatmung

Der nächste Schritt in der Akutmedizin könnte somit Systeme etablieren, in denendie Grenzen der klassischen Geräte immer mehr aufgelöst werden und dieBedienung noch mehr vereinheitlicht wird. Medical Cockpits wie das C300, C500und das C700, die zur Zeit noch als universelle Bedieneinheit eines Beatmungs-gerätes oder eines Patientenmonitors eingesetzt werden, bekämen dann eine neueFunktion. Sie wären die zentrale Bedieneinheit in einem Arbeitsplatz derAkutmedizin, mit der sowohl die Beatmung als auch das Patientenmonitoringeingestellt wird.

Einheitliche Bedienung über ein Medical Cockpit in allen Bereichen derAkutmedizin

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Vom Beatmungsgerät zum Beatmungsmodul

In den ersten hundert Jahren ihrer Geschichte hat sich die maschinelle Beatmungdurch technischen und medizinischen Fortschritt von einer kurzfristigen Notfall-maßnahme zu einem komplexen Bereich innerhalb der Akutmedizin entwickelt.Therapie, Diagnostik und Bedienkonzept eines modernen Beatmungsgerätes sindleistungsfähig, spezifisch auf verschiedene Einsatzbereiche optimiert und sie sindinnovativ: Es wird in der konventionellen maschinellen Beatmung auf absehbareZeit noch viel Neues mit klinisch relevantem Nutzen geben.

Das konventionelle Beatmungsgerät nimmt dabei naturgemäß primär die Problemeder Beatmung in Angriff, aber diese sind nur ein Teilbereich der Intensivmedizin.Den ersten Ansatz zu einer ganzheitlichen Lösung auf der Intensivstationpräsentierte Dräger bereits Mitte der achtziger Jahre mit der Entwicklung einesintegrierten Systems. Es bestand aus Infusions- und Spritzenpumpen, Beatmungs-und Überwachungsmodulen und einem zentralen Computer. Das System wurdeunter dem Namen Carena 1988 vorgestellt und fand in der klinischen Fachliteraturein großes Interesse (18). Zeitgleich wurde in der Anästhesie der integrierte Arbeits-platz Cicero vorgestellt.

Ziel bei der Entwicklung der Carena war es, die einzelnen Geräte der Intensiv-station in eine kompakte Geräteeinheit zu integrieren, die Anzeigen nach medizi-nischen Gesichtspunkten zu organisieren, die Bedienung auf einem zentralen Bild-schirm zusammenzufassen und die Anzeigen auf das notwendige Minimum zureduzieren. Die Carena hatte bereits eine Vernetzung der Komponenten in einemso genannten Local Area Network (LAN) und eine Datenverarbeitung in einem zen-

tralen Rechner, dem so genannten DataManager. Die Messwertdaten wurden insinnvollen Gruppen zusammengefasstund so präsentiert, dass auf einen Blickeine Abweichung aus dem Normbereicherkannt werden konnte. Außerdem ver-fügte die Carena über ein zentralesAlarmmanagement.

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Datenpräsentation der Carena

DIE GESCHICHTE DER BEATMUNG

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Im Gegensatz zum Anästhesie-Arbeitsplatzkonzept Cicero erfuhr die Carena jedochkeine kommerzielle Verbreitung. Ein Grund dafür mag gewesen sein, dass für die einzelnen Teilbereiche wie z.B. Beatmung und Überwachung verschiedene Hersteller beteiligt waren. Beim Cicero waren die Anästhesiemitteldosierung,Beatmung und Überwachung bereits Eigenentwicklungen aus dem Hause Dräger.Dort hatte man also nicht nur die Kompetenz für das Gesamtsystem, sondern auchdie Kompetenz für die Teilbereiche, und das scheint wohl eine zwingende Voraus -setzung für den Erfolg derartiger Systeme zu sein.

Carena. Integriertes Arbeitsplatzkonzept in der Intensivmedizin

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Vom Modul zum System Akutmedizin

Sowohl Carena als auch Cicero waren geschlossene Arbeitsplatzkonzepte. Dieeinzelnen Arbeitsplätze waren aber in Wirklichkeit nicht isoliert, sondern vielmehrwaren sie Teilbereiche eines Ganzen der Akutmedizin. Innerhalb der Teilbereicheder Akutmedizin finden gleiche oder ähnliche Prozesse wie Überwachung undBeatmung statt und es arbeiten dort oft dieselben Menschen.

Die Akutmedizin begleitet eine Prozesskette, die sich anschaulich mit dem Wegeines Patienten im Verlauf seiner Behandlung darstellen lässt. In einem verein-fachten Beispiel beginnt sie mit der Erstversorgung und der Aufnahme desPatienten im Krankenhaus. Nach einer allgemeinen Diagnostik schließt sichmöglicherweise ein chirurgischer Eingriff an, wobei die Prozesskette den OP undden Aufwachraum durchläuft. Darauf folgt die Behandlung auf der Intensivstationoder der Überwachungsstation, bevor der Patient nach weiterem Aufenthalt auf derPflegestation entlassen wird.

Durchläuft diese Prozesskette nun verschiedene Abschnitte mit starren Abteilungs-grenzen, dann treten allgemein diejenigen Probleme auf, die im Einzelnen bereitsauf den vorherigen Seiten für die Beatmung beschrieben wurden und an derenLösung sich die Carena und Cicero bereits versuchten, ohne dabei jedoch dieGrenzen der Arbeitsplätze zu überschreiten. Da ist zum einen die fehlende Stan-dardisierung und das lückenhafte oder unübersichtliche Informationsangebot.Hinzu kommen Engpässe und Wartezeiten beim Durchlaufen der Abschnitte.Möglicherweise haben die Abschnitte eine unterschiedliche Gestaltung des Arbeits-platzes, und wenn die Abschnitte räumlich weit voneinander getrennt sind, dannergeben sich die spezifischen Probleme des Patiententransportes.

Es stellt sich nun wiederum die Frage, die bereits für die Zukunft des konven -tionellen Beatmungsgerätes gestellt wurde: Können die konventionellen Geräte unddie Arbeitsplatzkonzepte innerhalb der gesamten Akutmedizin soweit optimiertwerden, dass sie standardisiert in der Bedienung sind und ein standardisiertesInformationsangebot zur Diagnose bieten, dass sie ergonomisch angeordnet werdenkönnen und dass sie das Risiko des Transportes minimieren? Und die Antwort istwiederum: Ja – mit großem Aufwand.

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Bereiche der Akutmedizin: Operationssaal

Der größere Aufwand der Anpassung stellt sich dabei nicht nur in der Entwicklungder Geräte, der Mehraufwand zeigt sich auch in deren täglichen Einsatz. Und derAufwand zeigt sich in Kosten: zum einen in Investitionskosten und zum anderen inPersonalkosten.

Bereiche der Akutmedizin: Intensivstation

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Akutmedizin als Ganzes gesehen

Das erste System, das sich nicht nur auf einzelne Modalitäten oder einzelne Arbeitsplätzeinnerhalb der Akutmedizin konzentriert, sondern einen Schritt weiter geht und diegesamte Akutmedizin umfassen wird, ist das 2006 vorgestellte Infinity Acute Care System(IACS). Die wesentlichen Leistungsmerkmale, die in diesem neuen System angestrebtwurden sind Integration, Standardisierung, Mobilität und zielführende Information.Diese Leistungsmerkmale können sich in Zukunft folgendermaßen entwickeln:

Die Integration kann über alle Arbeitsplätze der Akutmedizin hinweg mit demMedical Cockpit erreicht werden. In dieser zentralen Bedieneinheit werdenAnzeige- und Kontrollfunktionen von Patientenmonitoren, Therapieeinheiten unddem Krankenhaus-Informationssystem vereint sein. Dort können künftig Vital-parameter und Therapieverläufe verfolgt sowie Befundbilder analysiert werden. Die Standardisierung innerhalb der Akutmedizin kann künftig auf verschiedenenEbenen erreicht werden: Das Medical Cockpit vereinheitlicht dabei die Bedienungder einzelnen Modalitäten, und Daten werden in einem einheitlichenErscheinungsbild präsentiert. Im gesamten System werden dann standardisierteKomponenten und ein standardisiertes System-Zubehör eingesetzt.

Die Mobilität kann künftig durch kontinuierliche Datenerfassung mit einem ununter-brochenen Datentransfer zur Überwachungszentrale gewährleistet werden. MobileBeatmungseinheiten wie die Evita V500 und Evita V300 mit dem Gasversorgungs-modul GS 500 sowie mit dem Spannungsversorgungsmodul PS 500 in Verbindung mitder Transporteinheit TSU werden für eine kontinuierliche Versorgung des Patientensorgen, und sie werden dabei das transportbedingte Risiko minimieren. Parameterein-stellungen werden mit Hilfe der RFID Technik auf Mikrochips in Beatmungs-schläuchen gespeichert und beim Gerätewechsel automatisch übernommen. DieDaten werden in zweckdienlichen Darstellungen und Bildern, den so genanntenSmart Views, präsentiert. Der Patientenzustand wird dabei schnell und intuitiverkannt werden – aus den Daten wird zielführende Information.

Neben den beschriebenen neuen Leistungsmerkmalen kann sich ein System in derAkutmedizin grundsätzlich von allen vorherigen Ansätzen unterscheiden: es sollkein starres System sein, sondern es soll sich durch modulare Komponentenbeliebig an die jeweiligen Anforderungen anpassen lassen. Und es soll mit denAnforderungen wachsen können – es soll dazu skalierbar sein.

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Mit dieser Vision der neuen Akutmedizin hundert Jahre nach dem ersten Pulmotor stelltsich nun die Frage nach dem zweiten Jahrhundert der Beatmung. Hier ist der Beginneiner neuen Ära möglich. Das Konzept der konventionellen Beatmung mit dem klas -sischen Beatmungsgerät könnte eine Alter native bekommen mit der Integration derBeatmung in ein System, welches die gesamte Akutmedizin grundsätzlich verändernkann.

Das zweite Jahrhundert der maschinellen Beatmung wird sicherlich weitere Fort-schritte in der Therapie und Überwachung bringen und die Entwicklungen der erstenhundert Jahre fortsetzen. In einem Gesichtspunkt jedoch beginnt die Geschichte wie -derum mit der „Stunde Null“, so wie damals mit dem Ur-Pulmotor: Die Geschichte derneuen Akutmedizin, bei der die Standardisierung, Harmoni sierung und Integration vonÜberwachung und Therapie allerhöchste Priorität haben, hat gerade erst begonnen.

7993167/69 118

ED

Notaufnahme

IntensivOP

NeoIntensiv

OP

Intensiv

NeoIntensiv

Patiententransport

Kreißsaal

PatientennahesMonitoring

Smart Diagnostic Image View

Smart Cardio-Pulmonary View

Smart Pilot View Anesthesia

KIS

Befundbilder

Informationsmanagement

SmartApplications

Notaufnahme

OP 3

OP 2OP 1

Intensiv 1

Intensiv 2

Neo Intensiv

Patienten-monitoring

Beatmung

Anästhesie

Notfallbeatmung

Infinity® Medical Cockpit™

Kontinuierliche Patientenversorgung über Abteilungsgrenzen hinweg. StandardisierterVersorgungsprozess ohne Unterbrechungen

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Literaturverzeichnis

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3 Baum M., Benzer H., Putensen Ch., Koller W., Putz G.(1989) Biphasic Positive Airway Pressure (BIPAP) – eine neue Form deraugmentierenden Beatmung. Anaesthesist 38: 452 – 458.

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8 Dräger H. Lebenserinnerungen von Heinrich Dräger , Alfred Jansen,Hamburg (Erstdruck 1914).

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12 Haase-Lampe W. (1923) Die Pulmotor-Frage im ReichsgesundheitswesenDrägerhefte Nr. 91.919 – 921.

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13 Haase-Lampe W. (1924) Der Pulmotorstreit, Drägerhefte Nr. 99.1019 – 1022.

14 Haase-Lampe W. (1929) Pulmotor-Streit. Pulmotor-Nachrichten Nr. 1,Beilage der Drägerhefte.

15 Haase-Lampe W. (1930) Merkenswerte Wiederbelebungserfolge. Pulmotor-Nachrichten Nr. 4, Beilage der Drägerhefte.

16 Haase-Lampe W., Thiel K. (1946) Pulmotor – Sauerstoff-Wiederbelebungs-maschine für künstliche Beatmung, Antäus, Lübeck.

17 Hörmann Ch., Baum M., Putensen Ch., Mutz N. J., Benzer H. (1994)Biphasic Positive Airway Pressure (BIPAP) – ein neuer augmentierenderBeatmungsmode. European Journal of Anaesthesiology 11: 37 – 42.

18 Lawin, P. Opderbecke H.W. (1994) Organisation der Intensivmedizin. In: Lawin, P. (Hrsg.) Praxis der Intensivbehandlung S. 15 – 63.

19 Lellouche F, Mancebo J, Jolliet P, Roeseler J, Schortgen F, Dojat M, Cabello B,Bouadma L, Rodriguez P, Maggiore S, Reynaert M, Mersmann S andBrochard L. (2006) Am J Respir Crit Care Med 174: 894–900.

20 Putensen C, Mutz NJ, Putensen-Himmer G, Zinserling J (1999) Spontaneous breathing during ventilatory support improves ventilation-perfusion distributions in patients with acute respiratory distress syndrome.Am J Respir Crit Care Med, 159: 1241–1248.

21 Rozé J.C. Krüger T. (1997) Pressure Support Ventilation – eine neuegetriggerte Beatmungsform für Neonaten. Dräger, Lübeck.

22 Schröder H. (1913) Die Pulmotor-Organisation. Drägerhefte Nr. 15.140.

23 Schröder H. (1914) Dräger-Baby-Pulmotor. Drägerhefte Nr. 19.172.

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