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Mit den Kräften des Geistes

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Nr. 394

Mit den Kräften desGeistes

Der Zweikampf der Vertauschten

von H. G. Francis

Nun, da Atlantis-Pthor mittels der neuen eripäischen Erfindung aus dem Korsallo-phur-Stau befreit werden konnte, kommt der »Dimensionsfahrstuhl« auf seiner vor-programmierten Reise der Schwarzen Galaxis unaufhaltsam näher.

Es gibt nichts, was die Pthorer und Atlan, ihr neuer König, tun könnten, um denfliegenden Weltenbrocken abzustoppen und daran zu hindern, die Schwarze Galaxiszu erreichen – jenen Ort also, von dem alles Unheil ausging, das Pthor im Lauf derZeit über ungezählte Sternenvölker brachte.

Wohl aber existiert die Möglichkeit, noch vor Erreichen des Zieles die gegenwärti-ge Situation in der Schwarzen Galaxis, die allen Pthorern unbekanntes Terrain ist, zuerkunden – und Atlan zögert nicht, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen. Ihmgeht es darum, schwache Punkte des Gegners zu entdecken, mit dem sich die Ptho-rer bald werden messen müssen.

Dabei gibt es auf Pthor selbst noch Konflikte auszutragen. Wir meinen speziell denKonflikt zwischen S. M. Kennon und Grizzard. Letzterer der beiden Männer kann sichnicht damit abfinden, in den Körper eines Krüppels versetzt worden zu sein. Erkämpft dagegen an MIT DEN KRÄFTEN DES GEISTES …

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Die Hautpersonen des Romans:Sinclair Marout Kennon und Grizzard - Die Vertauschten setzen ihr Duell fort.Strezzo - Grizzards ergebener Diener.Dartun - Kennons Gefolgsmann.Tullam, Bushmi, Uson und Metax - Vier Wesen mit parapsychischen Kräften.

1.

»Ich übernehme das«, sagte der DalazaareHaazar und lief los, bevor Kennon-Axtonihn aufhalten konnte.

Der Terraner stand unter einem Baum, deram Rand der Senke der Verlorenen Seelenwuchs. Etwa hundert Meter von ihm entfernterhoben sich die ersten Hütten einer Sied-lung aus dem Sand der steppenartigen Land-schaft.

Davor befand sich offenbar eine Quelle.Sinclair Marout Kennon konnte sie nicht

sehen. Er sah nur die Büsche und Bäume inder näheren Umgebung der Quelle, und ervernahm das Rauschen des Wassers. Ihnüberraschte, daß sich niemand in der Näheder Quelle aufhielt, um sie zu bewachen.

Offenbar befürchtete niemand in der Sied-lung, daß irgend jemand Wasser stehlenkönnte.

Sinclair Marout Kennon, der jetzt in demgut gewachsenen Körper Grizzards lebte,hatte Durst. Ein langer Marsch lag hinterihm. In einem Felsengewirr mitten in einemwüstenartigen Gebiet hatte er den Zugor ver-steckt, mit dem er die FESTUNG verlassenhatte. Er hatte sich entschlossen, waffenlosund ohne Fluggerät die Senke der Verlore-nen Seelen aufzusuchen.

Haazar, der sich ihm als Diener und Hel-fer angeboten hatte, hatte darauf bestanden,zumindest ein Messer mitnehmen zu dürfen.Dieses trug der Dalazaare jetzt in der Hand,als er sich der Quelle näherte. Kennon sahihn, als er sich durch die Büsche schob undsich über das Wasser neigte.

Ein Schuß durchbrach die Stille. Haazarrichtete sich auf. Er wandte sich Kennon zu.Dieser sah, daß ihn ein Geschoß mitten indie Brust getroffen hatte. Ein zweiter Schuß

traf den Dalazaaren. Haazar stürzte rück-lings in die Quelle.

Sinclair Marout Kennon stand wie ge-lähmt unter dem Baum. Einem ersten Ge-danken folgend, wollte er fliehen, doch we-nig später erfaßte er, daß er damit einen töd-lichen Fehler begehen würde. Wenn er weg-lief, würde ihn die nächste Kugel treffen.

Er löste sich aus dem Schatten des Bau-mes und ging langsam auf die Quelle zu. Et-wa zehn Meter von der Quelle entfernt bliebder Terraner stehen. Er hob die Arme, umanzuzeigen, daß er unbewaffnet war.

Einige Minuten verstrichen, dann trat einehumanoide Gestalt aus einer der Hütten her-vor. Sie hielt eine Waffe in den Händen, dieKennon an eine altertümliche Muskete erin-nerte. Damit winkte der Schütze Kennon zuund gab ihm so zu verstehen, daß er näher-kommen sollte.

Kennon-Axton folgte dem Befehl. Als ereinige Schritte gegangen war, sah er, daß ersich geirrt hatte. Zwischen den Bäumen undBüschen verbarg sich keine Quelle. Hier tratein unterirdischer Fluß an die Oberflächeund verschwand nach einigen Metern wiederin einer trichterförmigen Öffnung. Das Was-ser schoß schäumend und gischtend dahin.

Von Haazar war nichts mehr zu sehen.Die Strömung hatte ihn mitgerissen.

Der Schütze näherte sich Kennon. Am ge-genüberliegenden Ufer blieb er stehen undspähte zu ihm herüber.

Er hatte ein dunkles, scharfgeschnittenesGesicht. Über den grünen Augen befandensich zwei weitere, die jedoch so klein waren,daß Kennon sie erst jetzt bemerkte. DerSchütze kleidete sich mit Fellen verschie-denster Art, die er jedoch nach einem be-stimmten Muster zusammengestellt hatte, sodaß sich ein harmonischer Eindruck ergab.

Der Schütze rief Kennon etwas zu, was

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dieser nicht verstand. Der Terraner gestiku-lierte, um ihm zu verstehen zu geben, daß erin friedlicher Absicht kam.

Der Schütze deutete auf sich und rief:»Korta!«

Der Terraner antwortete: »Ken.«Jetzt zeigte Korta aufs Wasser. Er legte

seine Waffe in den Sand und setzte sich.Kennon Axton kniete sich hin, tauchte die

Hände ins Wasser und trank, ohne den ande-ren aus den Augen zu lassen.

Als Kennon seinen Durst gelöscht hatte,setzte er sich ebenfalls. Korta erhob sich,ließ seine Waffe liegen, und holte einenDreizack aus einem Gebüsch hervor. Damittrat er an das Wasser, blickte einige Sekun-den lang hinein und stieß dann zu. Er holteeine armlange Garnele aus dem Wasser. Erlegte sie auf einige Blätter, die er von denBüschen abriß, trennte sie der Länge nachauf und beträufelte sie mit dem Saft einerFrucht, die er von dem herabhängendenZweig eines Baumes ablöste. Dann winkteer Kennon zu sich heran und hielt ihm daserlegte Tier hin.

Zögernd nahm der Terraner das Angebotan.

Er wußte nicht, ob er es riskieren durfte,etwas von dem weißen Fleisch zu essen,doch dann sah er, wie Korta ihn anblickte.Er begriff, daß er essen mußte, wenn er seinGegenüber nicht tödlich beleidigen wollte.

Kennon riß sich einige Fleischstücke ausder Schale heraus und schob sie sich in denMund. Sie lösten sich auf seiner Zungeförmlich auf und schmeckten so gut, daß eraugenblicklich erneut zugriff.

Korta lächelte und redete freundlich aufihn ein. Er nahm die andere Hälfte der Gar-nele und verzehrte sie schmatzend.

Als sie gegessen hatten, erhoben sich diebeiden Männer. Korta nahm den Arm Kenn-ons und führte ihn in die Siedlung.

Diese war überraschend groß. Kennonsah, daß die Hütten am Rand der Siedlungunbewohnt waren. Danach aber folgten Ge-bäude, in denen vielköpfige Familien hau-sten. Überall herrschte geschäftiges Treiben.

Männer, Frauen und Kinder arbeiteten anhölzernen Maschinen, deren geniale Kon-struktion Kennon verblüffte.

Nach einiger Zeit fiel ihm auf, daß es hin-ter ihm immer ruhiger wurde. Er blickte zu-rück und bemerkte, daß die Bewohner derSiedlung die Arbeit einstellten und ihm ineinigem Abstand folgten.

Plötzlich kehrte das Unbehagen zurück,das ihn erfüllt hatte, als er sich der vermeint-lichen Quelle genähert hatte. Wieder hatte erdas Gefühl, in eine Falle zu tappen.

Am liebsten wäre er umgedreht und ausder Siedlung geflohen. Doch er wußte, daßer das nicht mehr konnte. Kennon konzen-trierte sich mit allen Sinnen auf das, was vorihm lag. Die Bewohner dieser Siedlung soll-ten ihm als Hebel dienen, mit dem er sein ei-gentliches Problem aufbrechen wollte.

Kennon sah in Grizzard seinen gefährlich-sten Feind. Er war überzeugt davon, daßGrizzard noch nicht aufgegeben hatte, sei-nen Körper zurückzugewinnen. Grizzardlebte in dem verkrüppelten Kennon-Körper,und er hatte bisher nur überlebt, weil ihmdie Porquetor-Rüstung zur Verfügung stand.

Kennon-Axton hatte die FESTUNG ver-lassen, um sich in der Senke Verstärkung zuholen. Er war entschlossen, sich eine Haus-macht aufzubauen, mit der er sich gegenGrizzard behaupten konnte. Er war zugleichdavon überzeugt, daß er seinem Widerpartmit dieser Idee weit voraus war. So konnteer hoffen, Grizzard in einigen Tagen oderWochen mit einem ganzen Heer von Helfernzu überraschen und einen endgültigen Siegüber ihn zu erringen.

Korta und Kennon erreichten einen vonHütten umsäumten Platz, in dessen Mittesich zwei Baumstämme erhoben, die ihrerLaubkronen beraubt waren. Vor einem derbeiden Stämme kauerte ein zwergenhaftesWesen, das mit einem metallenen Gurt undeiner Kette an den Stamm gefesselt war.Vom anderen hing lose die Kette herab.

Kennon begriff augenblicklich. Er fuhrherum und wollte sich zur Flucht wenden,doch Korta hielt ihn fest, und die Bewohner

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der Siedlung bildeten eine Mauer, die ernicht durchdringen konnte.

Der Terraner zwang sich zur Ruhe unddrehte sich wieder um.

Das zwergenhafte Wesen hatte sich erho-ben. Es musterte ihn mit verengten Augen,als taxiere es seine Kräfte. Der Zwerg hatteeine gewisse Ähnlichkeit mit seinem ver-wachsenen Originalkörper. Er war etwaskleiner. Kennon schätzte, daß er nur etwa1,20 Meter groß war. Er hatte einen tonnen-förmigen Körper, dünne Beine undschwächlich wirkende Arme. Ein schlohwei-ßer Bart reichte ihm bis zum Gürtel hinab.Der Kopf war kahl. Die Haut, die die Schä-delplatte bedeckte, sah schwärzlich ver-brannt aus, während sie am übrigen Körperrosig hell war. Kennon fiel auf, daß derZwerg nur drei Finger an jeder Hand hatte.Die Füße, die ihm übermäßig lang erschie-nen, wurden durch ein Gelenk unterteilt.

Einem Wesen wie diesem war Kennonniemals zuvor begegnet.

Er erschauerte. Eine unheimliche Bedro-hung ging von dem Zwerg aus. Kennon warklar, daß er gegen ihn kämpfen mußte, under zweifelte daran, daß er sich gegen ihn be-haupten konnte.

Der Terraner atmete einige Male durch.Er glaubte zu wissen, was er zu tun hatte.Daher ging er zu der Kette am freien Baumund blieb daneben stehen. Herausforderndlächelte er dem Zwerg zu.

Noch durchschaute Kennon den Sinn desKampfes nicht. Er glaubte jedoch, daß derSieger seine Freiheit wiedergewinnen wür-de. Daher glaubte er auch, daß er erste Ver-bündete für sich erringen würde, wenn esihm gelang, den Zwerg zu bezwingen.

Korta kam zu ihm. Ein breitschultrigerMann begleitete ihn. Er trug einen Eimer mitglühenden Kohlen, einen Amboß und einenHammer.

Korta legte ihm die Hände auf die Schul-tern und blickte ihm in die Augen, währendder andere ihm einen Metallgürtel umwarf,die Kette darin verankerte und dann ein glü-hendes Glied einfügte. Einer der anderen

Männer goß Wasser über das Eisen undkühlte es damit ab. Dann traten Korta undder Schmied von Kennon-Axton zurück.

Der Kampf konnte beginnen.Kennon schloß die Augen und konzen-

trierte sich. Als er die Ketten des anderenklirren hörte, öffnete er die Augen wieder.Der Zwerg griff an.

Unter seiner Lederjacke holte er eine Axtund ein Schwert hervor, das er teleskopartigauseinanderziehen konnte. Derart bewaffnetstürzte er sich auf Kennon.

*

Grizzard stoppte die Porquetor-Rüstung.Er glaubte, die Hitze nicht mehr ertragen

zu können, die in der Rüstung herrschte. Erdrehte sich mehrere Male langsam um sichselbst. Er befand sich am Rand der Senkeder Verlorenen Seelen. Der Boden war san-dig. Nur an wenig Stellen wuchs ein wenigGras, und nur vereinzelt erhoben sich Bäu-me und Büsche aus dem Sand. Doch dasstörte Grizzard nicht. Im Gegenteil. In die-sem übersichtlichen Gelände fühlte er sichwohl, weil er glaubte, hier nicht überraschtwerden zu können.

Niemand hielt sich in seiner Nähe auf.Er öffnete die Rüstung und kroch heraus,

um sich die Beine zu vertreten. Dann machteer ein paar gymnastische Übungen, um denKreislauf zu aktivieren. Danach setzte ersich in den Schatten eines Baumes und über-legte.

Doch schon nach wenigen Minuten wurdeer aufgeschreckt. Er hörte einen Ast bre-chen, fuhr herum und sah einen bärtigenMann, der auf ihn zu rannte.

Er begriff.Der Bärtige hatte sich an ihn herange-

schlichen und hoffte nun, ihn überrumpelnzu können. Grizzard war klar, daß er es aufdie Rüstung abgesehen hatte.

Er sprang auf und kletterte in die Rüstung.Dabei blickte er über die Schulter zu demanderen zurück. Entsetzt erkannte er, daß ernicht schnell genug war.

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Grizzard wühlte sich förmlich in die Öff-nung hinein und riß die Verschlüsse hintersich zu. Dann war der Bärtige auch schonheran. Er warf sich gegen die Rüstung undstürzte sie um.

Grizzard hatte sich jedoch gefangen. Erwußte, daß er jetzt die besseren Chancenhatte. In aller Ruhe sicherte er die Ver-schlüsse, so daß sein Gegner sie nicht mehröffnen konnte. Dann bediente er die Steuer-anlage der Rüstung. Mit einer Armbewe-gung schleuderte er den Bärtigen einige Me-ter weit weg und richtete sich auf.

Er drehte sich, bis er den anderen sehenkonnte.

Der Bärtige hockte im Sand und blickteängstlich zu ihm auf. Grizzard stutzte. Erhatte diesen Mann schon einmal gesehen,wußte jedoch nicht, wo das gewesen war.

»Wer bist du?« fragte er. »Was willstdu?«

»Ich bin Strezzo«, antwortete der andere.»Kennst du mich nicht?«

Plötzlich erinnerte Grizzard sich. DiesenMann hatte er bei den Flußpiraten gesehen.

»Doch, ich weiß, wer du bist«, sagte erdaher. »Du solltest dir keine Hoffnungenmachen. Die Rüstung kannst du nicht steu-ern. Du bist zu groß.«

»Meinst du?« entgegnete Strezzo. »Ichglaube nicht. Wollen wir es einmal auspro-bieren?«

Grizzard lachte schallend.»Für wie dumm hältst du mich?« fragte

er. »Du glaubst doch wohl nicht, daß ich dieRüstung verlassen werde? Du würdest michsofort umbringen.«

»Ich schwöre dir …«, begann der Pirat,doch Grizzard unterbrach ihn.

»Lassen wir das«, sagte er. »War das al-les, was du von mir willst?«

Der Bärtige legte den Kopf zur Seite undblickte ihn prüfend an.

»Ich habe den Eindruck, daß du einenHelfer gebrauchen kannst«, sagte er. »Dubist zwar mächtig in deiner Rüstung, aber esgibt verschiedene Dinge, für die du Hilfe be-nötigst. Etwa beim Essen oder beim Trin-

ken.«Grizzard war überrascht.»Du willst mein Diener sein?« fragte er.

»Wieso? Du führst ein freies und ungebun-denes Leben am Fluß. Weshalb willst du dasaufgeben und dich mir anschließen?«

»Um ehrlich zu sein – ich habe Krach ge-habt«, gestand Strezzo. »Daraufhin war esbesser für mich, zu verschwinden, weil mirsonst ein Messer im Rücken sicher gewesenwäre.«

»Ich verstehe«, sagte Grizzard. »Ich bineinverstanden. Du kannst mich begleitenund verschiedene Dinge für mich erledigen.Wenn du zeigst, daß man sich auf dich ver-lassen kann, werde ich dafür sorgen, daß duein angenehmes Leben hast. Wenn ich mei-ne Aufgaben in der Senke der VerlorenenSeelen erfüllt habe, werde ich zur FE-STUNG zurückkehren. Meine Freunde wer-den mich begleiten und dort ebenso ange-nehm leben wie ich.«

»In der FESTUNG?« fragte Strezzo, undseine Augen leuchteten auf. »Du willst michmitnehmen?«

»Ich werde dich prüfen. Alles, was ichverlange, ist Treue. Bist du treu, dann stehtdir die FESTUNG offen.«

»Ich habe nichts zu verlieren«, erwiderteStrezzo. »Hier draußen wartet ein Lebenvoller Gefahren und Ungewißheit auf mich.Besser als bei dir kann ich es kaum treffen.Ich bin dein Freund und Diener.«

Porquetor hielt ihm die Stahlhand hin,und der Pirat schlug mit der Faust dagegen.

»Was hast du vor?« fragte Strezzo.»Mein Name ist Grizzard. Man hat mir

meinen Körper gestohlen und mich gezwun-gen, in diesem verkrüppelten Körper zu exi-stieren, in dem ich jetzt lebe.«

»Das hört sich seltsam an«, erwiderte derPirat.

»Es hört sich verrückt an«, gestand Griz-zard ein, »aber es ist die Wahrheit. Ich bineiner der Schläfer in der Senke der Verlore-nen Seelen gewesen. Als ich aus dem Schlaferwachte, wohnte ich in diesem verwachse-nen Körper, in dem ich jetzt bin.«

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»Und du weißt, daß es nicht der richtigeist?« fragte Strezzo zweifelnd.

»Es ist absolut sicher. Hast du von Atlangehört?«

»Er ist der neue König von Pthor.«»Nun gut. Atlan hat mir bestätigt, daß ich

mich nicht irre. Er kennt den Mann, der ei-gentlich in diesem Körper leben müßte, under weiß, daß ein Tausch stattgefunden hat.«

Diese Worte schienen den Piraten zuüberzeugen. Er nickte.

»Also gut«, sagte er. »Und was hast duvor?«

»Ich will meinen Körper zurückhaben.Doch das ist nicht so einfach. Der Körper-dieb will meinen Körper behalten, in dem erjetzt lebt, weil dieser gesund ist, jung undleistungsfähig. Um ihn sich für alle Zeitenzu sichern, will er mich töten.«

»Das liegt auf der Hand. Ich würde ver-mutlich ähnlich handeln.«

»Ich auch«, antwortete Grizzard.Er überlegte einige Sekunden lang. Dann

deutete er auf einen Busch in der Nähe.»Weißt du, ob die Beeren an dem Busch

eßbar sind?« fragte er.Der Pirat ging zu dem Busch hin und

kehrte mit einigen Früchten zurück. Er ver-zehrte einige Beeren und hielt Grizzard dieanderen hin.

»Du kannst sie essen«, erklärte er. »Siesind sehr bekömmlich.«

Grizzard drehte sich in seiner Rüstungherum und öffnete sie. Er streckte dem Pira-ten eine Hand entgegen. In der anderen, dieStrezzo nicht sehen konnte, hielt er einenDolch. Damit wollte er zustoßen, falls seinneuer Gefährte versuchen sollte, ihn aus derRüstung zu ziehen. Doch Strezzo tat nichtsdergleichen. Er überreichte Grizzard dieBeeren und zog sich einige Schritte weit zu-rück.

»Du hast mir noch immer nicht gesagt,was du tun willst«, bemerkte der Pirat. »Waswillst du in der Senke der Verlorenen See-len?«

Er kicherte.»Glaubst du, daß du deine verlorene Seele

dort wiederfindest?«»Sei nicht albern«, erwiderte Grizzard ab-

weisend. »Ich habe nicht meine Seele verlo-ren, sondern meinen Körper.«

»Vielleicht aber ist deine Seele in deinemKörper geblieben?«

Grizzard stutzte. Für einen kurzen Mo-ment wollte er sich ernsthaft mit diesem Ge-danken beschäftigen, dann sah er, daß dieAugen Strezzos belustigt funkelten, und ihmwurde klar, daß der Bärtige noch immernicht so recht an das glaubte, was er ihm er-zählt hatte.

Er konnte es ihm nicht verdenken. Ihmselbst war die Wahrheit über eine lange Zeithinweg absurd erschienen, so daß er ge-glaubt hatte, alles nur zu träumen.

»Was werde ich tun?« erwiderte er nach-denklich. »Nun, ich habe die FESTUNG mitder Absicht verlassen, mir Freunde zu si-chern, die mir in meinem Kampf gegen dasUngeheuer helfen werden, das eigentlich indiesem Körper leben müßte. Es müssenmächtige und kampffreudige Freunde sein.Sie müssen allen anderen überlegen sein undvor nichts zurückschrecken. Sie müssen mirbedingungslos ergeben sein. Und ich erwar-te, daß sie meine Befehle ausführen, ohne zufragen.«

»Du suchst keine Freunde, du suchst eineSöldnertruppe.«

»So könnte man es auch bezeichnen.«Strezzo hielt Grizzard die Hand hin und

rieb den Daumen am Zeigefinger.»Der Name Söldner leitet sich von Sold

ab«, erklärte er. »Wie steht es denn damit?Bist du in der Lage, deine Privatarmee auchzu entlohnen?«

»Da wird's schwierig«, gab Grizzard zu.»Was, du hast kein Geld?« fragte Strezzo

entsetzt. »Glaubst du, du findest jemanden,der bereit ist, für dich zu sterben, wenn duihm seine Seele nicht ein wenig vergoldenkannst?«

»Wärst du denn bereit, für Geld zu ster-ben?«

Strezzo lächelte verschmitzt.»So ist es auch wieder nicht, Herr«, er-

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klärte er. »Mich lockt das angenehme Le-ben, zumal ich die Gewißheit habe, daß an-dere vor mir kämpfen werden.«

»Ich verstehe«, sagte Grizzard. »Nunsteht noch lange nicht fest, daß es überhauptzu einem Kampf kommt. Wahrscheinlichwerden wir Kennon so schnell überwältigen,daß er gar keine Möglichkeit hat, sich zuwehren.«

»Baut er sich keine Hausmacht auf?«Grizzard schüttelte den Kopf. Dann fiel

ihm ein, daß Strezzo das nicht sehen konnte.»Nein, bestimmt nicht«, erklärte er. »Du

brauchst keine Angst zu haben, daß ich mei-nen Freunden nichts bieten kann. Sie werdenin der FESTUNG Quartier beziehen undsorglos leben. Sie werden alles haben, wassie benötigen. Nur Geld kann ich ihnen nichtgeben, aber dafür haben sie ohnehin keineVerwendung.«

»Das hört sich schon besser an«, entgeg-nete der Pirat. Er streckte den Arm aus undzeigte in Richtung Mittelpunkt der Senke.»Dort leben viele seltsame Geschöpfe. Man-che von ihnen sind so gewaltige Kämpfer,daß alle anderen sich ihnen unterordnenmüssen. Nur die aber kommen für dich inFrage. Du wirst etwas tun müssen, um über-haupt erst mit ihnen ins Gespräch zu kom-men.«

Grizzard ging weiter bis zu einem Hügel.Von hier aus konnte er einen Teil der Senkeübersehen. Weiter nördlich ging das savan-nenartige Land in fruchtbarere Gebiete über.Er vermutete, daß sich den Bewohnern dortwesentlich bessere Möglichkeiten für eineausreichende Ernährung boten als hier amRand. Er glaubte, davon ausgehen zu kön-nen, daß die Stärkeren der ehemaligenSchläfer sich die besten Gebiete erkämpfthatte. Daher beschloß er, gleich bis in diefruchtbaren Landstriche vorzustoßen.

»Alle, die hier leben, haben Probleme«,sagte Strezzo, der ihm gefolgt war. »Wenndu mit deinen zukünftigen Freunden redenwillst, mußt du zuvor wenigstens eines ihrerProbleme lösen.«

»Genau das habe ich vor«, antwortete

Grizzard.

2.

Sinclair Marout Kennon-Axton wich demangreifenden Zwerg aus. Er sprang zur Sei-te, und die Axt verfehlte seine Schulter. Au-genblicklich schnellte sich der Zwerg zu-rück. Er duckte sich tief und streckte seinebeiden Waffen weit nach vorn.

Er lachte herausfordernd und hüpfte voneinem Bein aufs andere, um sein Gegenüberzu verhöhnen. Die Bewohner des Dorfesdrängten sich um den Kampfplatz. Für siewar der Kampf eine willkommene Ab-wechslung in ihrem täglichen Einerlei.

Wieder griff der Zwerg an. Dabei tat erso, als wolle er Kennon das Messer in dieBrust stoßen, bereitete damit jedoch nureinen Hieb mit der Axt gegen den Kopf vor.Im letzten Moment erfaßte der Terraner dieFinte. Er riß den Arm hoch und fing damitdie Axt ab, die ihn sonst mit verheerenderWucht getroffen hätte. Der Schaft der Waffeschlug gegen seinen Unterarm. Kennonschrie vor Schmerz auf. Er stieß seinen Geg-ner mit dem Knie zurück und schleuderteihn in den Sand.

Blitzschnell war der Zwerg wieder aufden Beinen. Mit einer geschickten Handbe-wegung schleuderte er die Axt auf Kennon.Dieser ließ sich in die Knie fallen und ent-ging dem Geschoß dadurch. Er fühlte, daßder Stahl ihm durch die Haare fuhr. Zu späthob er die Hände. Er konnte die Axt nichtmehr fangen. Sie fiel weit hinter ihm in denSand – unerreichbar für ihn.

Kennon blickte zu ihr hinüber. Dann wur-de ihm siedendheiß bewußt, daß der Zwergabermals versucht hatte, ihn mit einer Täu-schung zu überrumpeln. Er warf sich zurSeite – und das Messer schoß dicht an ihmvorbei.

Obwohl der Zwerg ebenso wie er mit Ket-ten gefesselt war, hatte er es geschafft, sichihm in Bruchteilen von Sekunden geräusch-los zu nähern. Geschickt stellte er ihm einBein, und Kennon stürzte zu Boden. Der

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Zwerg versuchte, sich über ihn zu werfen,doch seine Kette war nicht lang genug. Ererreichte die Brust des Terraners nicht. Ken-non schlug die Hand mit dem Messer zurSeite, packte sie mit der anderen und hieltsie so fest, daß der Zwerg die Waffe fallenließ.

Kennon glaubte bereits, den Kampf ge-wonnen zu haben, als sein Gegner ihm dieHandkante wuchtig gegen den Arm schlug,so daß er die Hand mit dem Messer nichthalten konnte. Laut knurrend versuchte derZwerg, das Messer aufzuheben, doch Ken-non stieß ihn zurück.

Er richtete sich halb auf, und der anderegriff erneut an. Mit aller Macht versuchte er,Kennon in die Defensive zu drängen. DerTerraner ließ ihn kommen. Er zog die Beinean und fing den Zwerg mit den Füßen ab.Kraftvoll schleuderte er ihn zurück.

Jetzt hatte er genügend Zeit, auf die Beinezu kommen. Doch kaum stand er, als seinGegner erneut angriff.

Als der Zwerg kam, fing er ihn ab, stießihn zurück, legte mit der Kette eine Schlingeund warf sie ihm über den Kopf. Bevor derZwerg es verhindern konnte, zog die Schlin-ge sich zu.

Der Zwerg stand wie erstarrt. Die Kettelag nicht so eng um seinen Hals, daß er nichtmehr atmen konnte, behinderte ihn aber er-heblich. Er konnte Kennon nicht mehr errei-chen, wenn dieser vor ihm zurückwich, wäh-rend Kennon sich ihm jederzeit nähernkonnte.

Wütend versuchte er, die Kette zu lösen.Es gelang ihm nicht.

Kennon nahm das Messer auf, ging aufden Zwerg zu, packte ihn an der Schulterund setzte ihm die Messerspitze an die Keh-le. Ängstlich versuchte sein Gegner zurück-zuweichen, doch Kennon hielt ihn fest. Erüberraschte ihn vollkommen, als er ihm eineweitere Schlinge über den Kopf warf, so daßder Zwerg auch die letzte Chance verlor,sich aus eigener Kraft zu befreien.

Jetzt blieb ihm nur noch eine Möglichkeit.Er warf sich herum und setzte zur Flucht an.

Wenn es ihm gelang, auf die andere Seitedes Baumes zu kommen, war er außerReichweite. Hier konnte er sich von denSchlingen befreien und weitere Angriffevorbereiten.

Kennon ließ es jedoch nicht so weit kom-men. Er stellte ihm ein Bein, so daß er zuBoden stürzte. Dann bückte er sich und stießdie Messerklinge durch ein Hosenbein sei-nes Gegners tief in den Boden.

Der Kampf war zu Ende, denn nun konnteder Zwerg weder vor noch zurück. Er lagausgestreckt auf dem Boden.

Kennon blickte zu Korta hinüber. Diesergab ihm mit einem Handzeichen zu verste-hen, daß er zurücktreten sollte. Er gehorchte.

Der Schmied betrat den Kampfplatz. Ertrug eine Zange in den Händen. Kennonstreckte ihm die Kette entgegen. Doch derSchmied beachtete ihn nicht. Er stieß denZwerg mit dem Fuß an und durchtrennte dieKette, als er sich erhoben hatte.

»Moment mal«, sagte Kennon verblüfft.»Ich habe den Kampf gewonnen, nicht er.«

Die Bewohner der Siedlung zerrten denZwerg aus dem Kreis und trieben ihnschimpfend davon.

Korta kam zu Kennon. Er klopfte ihm an-erkennend auf die Schulter. Jetzt kamen dieanderen Frauen und Männer zu ihm. Sielachten und betasteten seine Muskeln.

Sinclair Marout Kennon begriff. Er hattegar nicht um seine Freiheit gekämpft. DenDorfbewohnern ging es einzig und alleindarum, einen möglichst starken und ge-schickten Kämpfer zu finden. Er hatte dieAufgabe, für ihre Unterhaltung zu sorgen.Diese Aufgabe hatte der Zwerg bislangwahrscheinlich zu ihrer Zufriedenheit er-füllt. Jetzt hatte er versagt, und sie jagten ihndavon.

Kennon blickte sich verzweifelt um.Überall sah er lachende Gesichter. Die Vier-äugigen hatten ihren Spaß gehabt, jetztwandten sie sich wieder ihrer Arbeit zu.

Der Terraner streckte Korta die Kette ent-gegen.

»Du glaubst doch wohl nicht, daß ich das

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mitmache?« fragte er. »Ich bin nicht hier,um für euer Vergnügen zu sorgen.«

Korta blickte ihn an und lächelte. Er hattenichts verstanden. Anerkennend nickte erihm zu. Dann wandte er sich ab und ging da-von.

Wenig später kam eine junge Frau mit ei-ner dampfenden Schale. Sie setzte sie vorKennon ab und reichte ihm einen hölzernenLöffel.

Ein angenehmer Geruch stieg Kennon indie Nase. Er war hungrig, und er sagte sich,daß es unvernünftig war, auf eine Stärkungzu verzichten. Er nahm die Schale und pro-bierte die Suppe. Sie war kräftig und enthieltFleischstücke, die gut schmeckten.

Als er die Schale geleert hatte, lehnte ersich gesättigt gegen den Baumstamm, anden er gefesselt war.

Etwa eine halbe Stunde verstrich. Einseltsam süßlicher Geruch stieg ihm in dieNase. Kennon blickte sich um. Er war allein.Niemand kümmerte sich um ihn.

Er hob die Hände an das Gesicht undmerkte, daß er selbst diesen Geruch aus-strömte.

Augenblicklich wurde ihm klar, daß dieSuppe dafür verantwortlich war, die er ver-zehrt hatte. Aber noch machte er sich keineSorgen. Er nahm als Tatsache hin, daß dieseSpeise eine solche Wirkung hatte, ohne dar-aus etwas abzuleiten.

Das änderte sich, als ein riesiger Vogelüber der Siedlung erschien. Das Tier hatteeine Flügelspannweite von etwa fünf Me-tern. Auffallend war der lange, scharf gebo-gene Schnabel.

Der Vogel kreiste über der Siedlung. Ken-non blickte zu ihm hinauf, während ihm mitaller Deutlichkeit bewußt wurde, daß er eineleichte Beute für das Tier war. Er sah sichnach einer Deckungsmöglichkeit um, aber esgab keine. Zugleich fiel ihm auf, daß die Be-wohner der Siedlung sich in die Hütten zu-rückzogen. Einige Frauen rannten aufgeregthinter ihren Kindern her, nahmen sie auf dieArme und flüchteten mit ihnen.

Der Raubvogel senkte sich herab. Su-

chend glitt er über die Dächer der Hüttenhinweg, bis er Kennon entdeckte.

Er stieß einen schrillen Schrei aus.Der Terraner zog sich bis an den Baum-

stamm zurück. Seine Hände umklammertendie Kette, die seine einzige Waffe darstellte.Doch jetzt erschien sie ihm wie ein unnützesSpielzeug. Er glaubte nicht, daß er sich da-mit ausreichend gegen das riesige Tier ver-teidigen konnte.

Seine Haut roch noch stärker als bisher.Ihm fiel es wie Schuppen von den Augen.Man hatte ihm die Suppe gegeben, damit

er durch den Geruch den Raubvogel anlock-te.

Der Zweikampf mit dem Zwerg war kaummehr als ein Zwischenspiel gewesen. Es warbedeutungslos gewesen.

Zum erstenmal bereute Kennon, sich nichtausreichend bewaffnet zu haben, als er dieFESTUNG verlassen hatte.

Der Vogel stürzte sich auf ihn herab.

*

Als Grizzard und Strezzo eine Anhöheüberwanden, sahen sie eine festungsartigeAnlage. Sie bestand aus Holz und Felsstei-nen und erhob sich direkt vor dem Eingangzu einer Schlucht. In etwa einem KilometerEntfernung lag ein Glaspalast, der jedochvöllig zerstört war.

»Wer auch immer darin geschlafen hat«,sagte Strezzo, »der lebt jetzt hier oder in derFestung da drüben.« Er zeigte zu einem an-deren Bau hinüber, der ähnlich angelegt war.Auch er ließ erkennen, daß seine Bewohnerdie größten Anstrengungen darauf richteten,Feinde abzuwehren.

»Unter diesen Umständen wird man unsnicht willkommen heißen«, fuhr der Piratfort. »Ich fürchte, daß sie uns zum Teufel ja-gen, ohne mit uns zu sprechen.«

»Warten wir erst einmal ab«, empfahlGrizzard.

Auf dem Vorgelände der Festung arbeite-ten monströse Wesen auf Feldern und inGartenanlagen. Mit ihrem unteren Körperteil

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ähnelten sie großen Schnecken. Sie glittenmit wellenförmigen Bewegungen über denBoden. Über diesem Körper aber erhobensich zwei Rümpfe mit je zwei kräftigen Ar-men, die sich unabhängig voneinander be-wegten. Die beiden Rümpfe vereinigten sichan ihrer Oberseite mit zwölf dünnen Mus-kelsträngen, die einen birnenförmigen Kopftrugen. Aus diesem ragten mehrere unter-schiedlich geformte Fühler empor, von de-nen einige mit augenartigen Gebilden be-setzt waren.

»Wir versuchen es«, sagte Grizzard. »Ichkann mir zwar nicht vorstellen, daß dieseWesen besonders kampfstark sind, es könntejedoch sein, daß sie über einige Fähigkeitenverfügen, die uns völlig fremd sind. Siekönnten gerade deshalb äußerst wirksamsein.«

Sie gingen weiter.Als sie eine kaktusähnliche Pflanze er-

reichten, die zwischen zwei Hügeln wuchs,schoß diese plötzlich fingerlange Stachel aufsie ab. Die Geschosse prallten wirkungslosam Panzer der Rüstung ab. Ein Stachel aberfuhr Strezzo durch den Oberarm.

Er schrie gellend auf und brach zusam-men. Wimmernd wälzte er sich auf dem Bo-den hin und her. Seine Hand versuchte, denStachel zu ergreifen und herauszuziehen,doch sie zuckte nur unkontrolliert.

Grizzard deckte seinen Begleiter mit derRüstung ab. Er hörte, daß weitere Stachelgegen den stählernen Rücken prallten, wosie nicht die geringste Wirkung erzielten. Erergriff das Ende des Stachels und zog ihnmit einem Ruck heraus.

Strezzo krümmte sich stöhnend vor ihmauf dem Boden.

»Du ahnst nicht, was das für Schmerzenwaren«, sagte er. »Ich dachte, ich müßtesterben.«

»Achte darauf, daß du in meiner Deckungbleibst«, riet Grizzard ihm, »dann kann dirnichts passieren.«

»Diese Bestien«, sagte Strezzo fluchend.»Es ist unmenschlich, einen derartigenWächter aufzustellen.«

Grizzard lächelte.»Sie haben ein Recht auf Sicherheit«, er-

widerte er. »Irgendwie müssen sie sich ver-teidigen. Und warum nicht mit dem Kaktus?Es sind keine Menschen. Daher denken undfühlen sie anders als wir. Du darfst ihnen al-so keine Unmenschlichkeit vorwerfen.«

»Wenn ich einen solchen Panzer hätte wiedu«, sagte Strezzo ärgerlich, »würde ichauch kluge Reden schwingen.«

»Du hast wahrscheinlich recht«, bemerkteGrizzard. »Ich werde also still sein.«

»Oh«, rief Strezzo beschwichtigend. »Sohabe ich es nicht gemeint. Du bist der Herr.Rede nur zu, nur erlaube mir, hin und wiedermeinen unmaßgeblichen Kommentar dazuzu geben.«

Er duckte sich, und Grizzard sah, daß ei-nige Stacheln an seinem Kopf vorbeischos-sen.

»Ich gehe jetzt weiter«, verkündete er.»Paß auf.«

»Worauf du dich verlassen kannst«, riefStrezzo und klammerte sich an ihn.

Grizzard blickte zu der festungsartigenAnlage und den Gärten hinüber. Alle Be-wohner, die auf dem Vorfeld gearbeitet hat-ten, waren verschwunden. Feuchte Spurenauf dem Boden wiesen darauf hin, daß sie indie Festung geflüchtet waren.

Als er sich dieser näherte, stellte er fest,daß sie sich über einem Hohlweg erhob, derden einzigen Zugang zur Schlucht bildete.Zu beiden Seiten der Festung stieg das Landan. Wer aus der Schlucht kam, mußte unterder Festungsanlage hindurchgehen.

Etwa zehn Meter von einem aus dickenStämmen gefertigten Tor entfernt bliebGrizzard stehen. Er hob einen Arm undwinkte zur Festung hinüber, doch dort regtesich nichts.

»Hier wirst du nichts erreichen«, sagteStrezzo. »Sie werden nicht herauskommen,um dir die Hand zu schütteln. Sie betrachtendich als Feind.«

Grizzard blickte in den Hohlweg. Dieserkam ihm vor wie eine Falle. »Wir haben kei-ne andere Wahl«, sagte er. »Wir müssen in

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die Schlucht gehen, wenn wir Freunde fin-den wollen – oder wir müssen große Umwe-ge in Kauf nehmen.«

Leise fluchend folgte ihm Strezzo. Sieschritten unter der Festungsanlage hindurchund sahen, daß diese an der Unterseite eini-ge Öffnungen hatte.

»Wenn wir zurückkommen, werden sieuns heißes Fett über den Kopf gießen«, sagteStrezzo.

»Warten wir es ab.«Grizzard beschleunigte seine Schritte, so

daß der Pirat laufen mußte. Überraschender-weise protestierte Strezzo nicht gegen dieschnelle Gangart.

Die Schlucht war nur etwa dreißig Meterbreit und wurde immer enger, je weiter siekamen. Der Weg führte steil in die Tiefe, sodaß Grizzard bereits glaubte, er werde in ei-ner Höhle enden. Doch dann weitete sich dieSchlucht plötzlich zu einem weiten Tal mitzahlreichen Schlafpalästen, die zumeist in-mitten von baumbewachsenen Oasen stan-den. Zwischen den Oasen befanden sich grü-nende Felder, die sorgfältig bearbeitet wa-ren.

Verblüfft blieb Grizzard stehen.»Ich hatte eigentlich erwartet, ein lebens-

feindliches Land zu sehen«, sagte er. »Esmuß doch einen Grund haben, daß am ande-ren Ende der Schlucht diese Festungsanlageist, und daß die Schneckenwesen mit nie-mandem Kontakt haben wollen.«

»Du hast recht«, bemerkte Strezzo. »Dieshier sieht friedlich aus – jedenfalls nicht so,als ob dies die Heimat von gefährlichenMonstern wäre.«

Grizzard antwortete nicht.Ihm fiel auf, daß nirgendwo ein lebendes

Wesen zu sehen war. Auf den Feldern hättejemand sein müssen, der dort arbeitete. Inder Senke der Verlorenen Seelen gab es kei-ne landwirtschaftlichen Maschinen, die ih-ren Bewohnern die Arbeit abnahmen. Werhier lebte, war auf sich allein angewiesen.

Grizzard wußte, daß Atlan sich intensivmit dem Versorgungsproblem für die etwazweihunderttausend Wesen in der Senke der

Verlorenen Seelen beschäftigte. Noch aberwar keine Lösung in Sicht. Es gab noch zuviele andere Probleme auf Pthor, mit denender neue König von Atlantis sich herum-schlagen mußte.

Wer überleben wollte, mußte sich um sichselbst kümmern, mußte versuchen, dem Bo-den landwirtschaftliche Produkte abzurin-gen. Dazu war eine intensive Pflege des Bo-dens und der heranwachsenden Pflanzennotwendig.

Vorsichtig ging Grizzard weiter. Er warständig darauf gefaßt, angegriffen zu wer-den.

»Man hat die Bewohner dieses Tals voruns gewarnt«, sagte er zu seinem Begleiter.»Etwas anderes ist wohl nicht möglich, oderman müßte jemanden sehen.«

»Das ist es nicht«, entgegnete Strezzo.»Irgend etwas liegt in der Luft. Ich spürees.«

»Eine Gefahr?« fragte Grizzard. »Vonwelcher Seite?«

Sie näherten sich einer Oase, in derenMitte sich ein schimmernder Turm erhob.

»Du brauchst keine Angst zu haben«, fuhrGrizzard fort. »Ich werde so ziemlich mit je-dem Gegner fertig. Wir sind nicht hier, weilwir uns herumschlagen, sondern weil wirFreunde finden wollen.«

Der Pirat gab ein paar unbestimmbareLaute von sich. Grizzard drehte sich zu ihmum und erstarrte vor Schreck.

Aus einer Bodenfalte, die etwa hundertMeter von ihnen entfernt war, stieg ein rau-penähnliches Wesen auf. Es war etwa zwan-zig Meter lang und fünf Meter hoch und be-wegte sich auf dichtbehaarten Beinen voran.Es hatte drei riesige, facettenartige Augen,zwischen denen ein mit Zähnen bewehrterSaugrüssel hervorwuchs.

»Wie willst du dem beibringen, daß wirnur Freundschaft suchen?« rief Strezzostammelnd.

»Lauf weg«, schrie Grizzard ihm zu. »Ichversuche, das Biest aufzuhalten.«

»Das schaffst du nie«, erwiderte der Pirat,während er zur Oase flüchtete.

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Grizzard sah, daß die Raupe sich durchdie Flucht nicht ablenken ließ, sondern un-beirrt auf ihn zustrebte. Das war ihm nurrecht. In seiner Rüstung fühlte er sich sicher.Er glaubte, auch mit einem solchen Gegnerfertig werden zu können.

Er streckte die stählernen Arme aus undwartete.

Die Raupe kroch keuchend und schmat-zend auf ihn zu. Aus ihrem Saugrüssel tropf-te eine Verdauungsflüssigkeit.

Grizzard war jetzt alles klar.Er war davon überzeugt, daß diese Raupe

nur zu bestimmten Tageszeiten auf Raubzugging und die Bewohner des Tales ansonstenin Ruhe ließ. Für ihn war sicher, daß diemonströsen Wesen in der Festung am Aus-gang der Schlucht wußten, welch gefährli-cher Räuber im Tal lebte, und sie alles taten,um ihn hier zu halten. Auf diese Art undWeise sicherten sie sich selbst gegen Über-fälle ab.

Als die Raupe nur noch wenige Meter vonGrizzard entfernt war, richtete sie sich eini-ge Meter hoch auf. Sie schob sich weitervoran. Grizzard-Porquetor wich zurück, weiler nicht von den Fleischmassen begrabenwerden wollte.

Plötzlich krümmte sich die Raupe zusam-men. Der Saugrüssel weitete sich trichterför-mig aus und senkte sich blitzschnell überGrizzard herab. Dieser versuchte, ihm zuentkommen, doch das gelang ihm nicht. DerTrichter stülpte sich über ihn. Er fühlte sichemporgerissen. Wild schlug er mit Armenund Beinen um sich, doch damit richtete ernichts aus.

Entsetzt erkannte er, daß er sich auf demWeg in den Magen der Raupe befand.

3.

Sinclair Marout Kennon hatte häufig inseinem Leben Situationen erlebt, die aus-weglos erschienen. Dennoch hatte er nie-mals aufgegeben.

Jetzt aber war er ohne jede Hoffnung. Erglaubte nicht daran, daß er den Kampf mit

dem Raubvogel überleben würde.Er sprang zur Seite, um nicht schon beim

ersten Angriff von den messerscharfen Fän-gen durchbohrt zu werden, und flüchtetehinter den Baumstamm, an den er gefesseltwar. Der Vogel prallte hart auf, konnte sichnicht abfangen und stürzte kopfüber in denStaub. Kennon glaubte, dadurch einen klei-nen Vorteil zu haben, sah sich jedoch ge-täuscht. Er schwang die Kette um den Kopfund wollte sie dem Vogel über den Schädelschlagen, doch das Tier wich zu schnell vorihm zurück. Er drehte den Kopf zur Seiteund blickte ihn mit einem Auge an. Ein dro-hendes Zischen kam aus dem Schnabel.

Der Vogel überragte Kennon um mehr alszwei Meter.

Das Tier drückte den Kopf flach auf denBoden, während es das Hinterteil in die Hö-he streckte. So näherte es sich dem TerranerZentimeter um Zentimeter. Kennon wichhinter den Baumstamm zurück. Das Tierfolgte ihm, so daß er zur Seite ausweichenmußte. Die Kette zwang ihn näher an denStamm heran, um den sie sich wickelte.

Plötzlich erkannte Kennon den Plan desRaubvogels. Dieser trieb ihn um den Stammherum, so daß die Kette immer kürzer wur-de. Zugleich verringerte sich Kennons Spiel-raum mehr und mehr. Es war abzusehen,daß er schließlich überhaupt nicht mehr aus-weichen konnte.

Er sprang auf den Vogel zu und stieß mitdem Fuß nach dem Schnabel. Das Tier wichaber nicht zurück, sondern drang weiter vor.

Kennon tat, als wolle er zurückspringen,schnellte sich dann aber nach vorn. Es ge-lang ihm, auf den Kopf des Vogels zu sprin-gen. Hier konnte er sich allerdings nicht hal-ten, denn der Vogel schleuderte ihn sofort indie Höhe. Die Kette bremste den Flug undwarf ihn wieder auf den Boden zurück.

Kennon fiel so unglücklich, daß er für Se-kunden am ganzen Körper gelähmt war.

Er lag im Sand und blickte mit geweitetenAugen auf den Schnabel, der über ihmschwebte.

Verzweifelt bemühte er sich, die Kontrol-

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le über seinen Körper zurückzugewinnen,doch die Muskeln gehorchten seinen Befeh-len nicht.

In diesem Moment flog ein Speer über ihnhinweg und bohrte sich in die Spitze desSchnabels. Der Raubvogel fuhr kreischendzurück. Er warf den Kopf hin und her undschüttelte den Speer ab. Endlich gelang esdem Terraner, wieder auf die Beine zu kom-men. Mühsam richtete er sich auf.

Er blickte über die Schulter zurück undsah einen hochgewachsenen Mann, der inleuchtend weiße Felle gekleidet war. Breit-beinig stand der Fremde vor einer der Hüt-ten. Seine Hände lagen an einem Gürtel, dermit blitzendem Metall und funkelnden Edel-steinen beschlagen war.

Jetzt näherte er sich Kennon. Mit dunklerStimme sprach er auf den Raubvogel ein,der widerwillig zurückwich.

Schließlich duckte sich der Vogel undsprang auf die Spitze des Baumstamms, andem der Zwerg gefesselt gewesen war. Erbreitete die Flügel aus und ließ sich flatterndfallen. Um Zentimeter strichen die Flügel anKennon vorbei, und schwerfällig erhob sichder riesige Vogel in die Luft. Er stieg höherund höher und kreiste über der Siedlung,wobei er immer wieder laute Schreie aus-stieß.

Der Terraner wandte sich dem Mann inden weißen Fellen zu. Er sah, daß er zu denVieräugigen gehörte. Allerdings waren seineAugenbrauen so buschig, daß die kleinenZusatzaugen kaum zu sehen waren.

Die anderen Bewohner der Siedlungdrängten sich zwischen den Hütten zusam-men. Sie blickten zu dem Weißen hinüberund beobachteten jeden seiner Schritte. Diemeisten von ihnen schienen nicht verstehenzu können, daß er Kennon gerettet hatte.

»Viel länger hättest du nicht warten dür-fen«, sagte der Terraner. »Ich danke dir.«

Der Weiße trat dicht an ihn heran. Erüberragte ihn deutlich. Kennon sah, daß sei-ne Augen einen eigentümlichen Farbton hat-ten, der sich zwischen grün und grau beweg-te.

»Sie wußten nicht, daß du aus der FE-STUNG kommst«, erwiderte der Fremde. Ersprach Pthora. »Hätten sie es gewußt, hättensie es nicht soweit kommen lassen.«

»Aber du weißt, daß ich aus der FE-STUNG komme.«

»Ich weiß es. Du gehörst zu dem Kreis je-ner, die Atlan seine Freunde nennt.«

»Du bist gut informiert«, sagte Kennonüberrascht. »Woher weißt du das alles?«

Der Weiße zuckte mit den Schultern. Da-mit schien das Thema für ihn erledigt zusein. Er hob die rechte Hand und schnipptemit den Fingern. Der Schmied eilte herbeiund befreite Kennon.

»Meine Hütte gehört dir«, erklärte derWeiße. »Komm mit. Ich möchte den Weinder Freundschaft mit dir trinken.«

Kennon begleitete ihn. Als sie die Hüttenerreichten, sah er Korta, der zwischen denanderen Neugierigen stand. Zwei blutigeStriemen zogen sich quer über sein Gesicht.Sie waren ein deutliches Zeichen dafür, daßer gezüchtigt worden war.

Der Weiße bewohnte eine zweistöckigeHütte, die die anderen allerdings nicht über-ragte, da sie in einer Mulde stand. Ein Stegführte zu dem oberen Geschoß hinüber, dasgrob aus Baumstämmen zusammengefügtund mit getrockneten Blättern verhängt wor-den war.

Auch der Innenraum war einfach einge-richtet. Er enthielt nur einige ausgehöhlteKürbisse, einen Hocker, Messer, Speere undeine Holzplatte, die an der Wand lehnte. DerBoden war mit Fellen dick ausgelegt.

Der Weiße setzte sich auf den Boden.Kennon ließ sich neben ihm nieder. Einedunkelhaarige Frau erschien und stellte eineSchale mit Früchten zwischen ihnen ab.

»Das Leben ist schwer in dieser Gegend«,sagte der Weiße. »Wir wären längst wegge-zogen, wenn wir wüßten, wohin wir unswenden sollen.«

»Ich könnte für einen Teil deiner Männersorgen«, eröffnete ihm Kennon. »Ich bin aufder Suche nach Kämpfern, die bereit sind,für mich einzutreten. Sie werden alles be-

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kommen, was sie zum Leben benötigen, undnoch soviel dazu, daß sie ihre Familien sattbekommen.«

»Das ist nicht das, was wir wollen«, erwi-derte der Weiße. »Ich habe ein anderes Ziel.Vielleicht hast du schon von mir gehört?Man nennt mich Dartun.«

»Tut mir leid«, antwortete Kennon. »Ichhörte deinen Namen zum erstenmal.«

Der Weiße lächelte ungerührt.»Nun, das macht nichts«, sagte er.

»Wichtig ist allein das Ziel, das wir uns ge-setzt haben. Ich möchte, daß du für uns ar-beitest, damit wir es erreichen.«

»Du bietest mir ein Geschäft an?«Der Weiße nickte.»Wir werden etwas für dich tun«, erläu-

terte er, »obwohl wir bereits viel für dich ge-tan haben. Und du wirst etwas für uns tun.«

»Was habt ihr für mich getan?«»Wir haben dir das Leben gerettet. Das ist

sehr viel.«Sinclair Marout Kennon verzichtete auf

eine Antwort. Er wußte, daß es sinnlos ge-wesen wäre, mit Dartun zu diskutieren.Fraglos hatte er ihm das Leben gerettet, abererst nachdem die anderen Vieräugigen ihn inLebensgefahr gebracht hatten.

»Was kann ich für dich tun?« fragte er da-her.

Dartun nahm einige Früchte und verzehrtesie.

»Es tut mir leid, daß Korta deinen Gefähr-ten getötet hat«, sagte er. »Korta ist der Hü-ter der Quelle. Er fühlte sich in hohem Maßefür sie verantwortlich – und für die Garne-len, die darin leben.«

»Was hat das mit dem Dalazaaren zutun?«

Dartun blickte ihn durchdringend an.»Korta hat die Aufgabe, dafür zu sorgen,

daß hin und wieder etwas ins Wasser fällt,wovon die Garnelen leben können«, erklärteer.

Kennon wurde fast übel. Er begriff.»Ich weiß, wie dir zumute ist«, fuhr Dar-

tun fort. »Vergiß jedoch nicht, daß wir unterBedingungen leben müssen, wie sie schlim-

mer und härter nicht sein können. Sie sindmenschenunwürdig.«

Seine Stimme steigerte sich.»Niemals zuvor ist mein Volk derart be-

leidigt worden«, verkündete er. »Man sollteuns nicht mit den Monstren vergleichen, diein weiten Teilen der Senke leben. Wir sindanders, und wir ertragen es nicht, so lebenzu müssen. Hätte ich nicht ein gewisses Ver-ständnis für die Schwierigkeiten, die Atlanzu bewältigen hat, so hätte ich längst zumSturmangriff auf die FESTUNG aufgeru-fen.«

Kennon erschrak. Er wurde sich dessenbewußt, daß weder Atlan, noch einer seinerFreunde damit rechnete, daß sich ein solcherAngriff organisieren würde.

»Was erwartest du von mir?« fragte derTerraner.

»Du sollst den neuen König von Pthor da-zu veranlassen, uns zu unserer Heimat zubringen. Wir wollen auf die Welt zurück,von der wir gekommen sind.«

Die Augen veränderten ihre Farbe. Jetztsahen sie weder grau noch grün, sondern rotaus. Sie verdunkelten sich mehr und mehr,und das Gesicht Dartuns verzerrte sich. Ken-non spürte die Leidenschaft, die hinter denWorten des Weißen stand.

»Atlan ist fest entschlossen«, erwiderteKennon, »alle jene Welten zu besuchen, aufdenen Pthor bisher gewesen ist. Er will sichbemühen, das Unrecht wiedergutzumachen,das dort geschehen ist. Fraglos wird er auchdeine Welt berühren, und er wird euch in dieHeimat zurückbringen.«

»Wann wird das sein?«»Das weiß ich nicht.«»Es wird deine Aufgabe sein, uns so

schnell wie möglich dorthin zu führen. Ichwerde dir alles über unsere Welt sagen, unddu wirst Atlan zwingen, Pthor dorthin zusteuern. Dafür tun wir, was du von uns ver-langst.«

Kennon hatte das Gefühl, der Boden wer-de unter ihm weggezogen. Schlagartig be-griff er.

Er war nie ernsthaft in Lebensgefahr ge-

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wesen. Die Vieräugigen hätten auf keinenFall zugelassen, daß der Raubvogel ihn zer-riß. Sie hatten alles von vornherein so insze-niert, daß sie glauben konnten, ihn zu ihremWerkzeug formen zu können.

Er blickte Dartun an.»Ich denke, ich kann viel für euch tun«,

sagte er. »Zuvor aber werdet ihr mir helfen,mein Problem zu lösen. Ich brauche einekampfstarke Truppe, die mich schützendumgibt, und mit der ich meinen Feldzug ge-gen Grizzard führen kann. Sobald Grizzardtot ist, beginnt der Flug in die Heimat.«

»Einverstanden«, erwiderte Dartun, dersichtlich erleichtert zu sein schien.

»Allerdings habe ich vorher noch eine Be-dingung«, erklärte Kennon.

Dartun schien überrascht zu sein.»Wie soll ich das verstehen?« fragte er.»Nun, ich muß wissen, ob ihr mir wirk-

lich etwas zu bieten habt. Ich kann es mirnicht leisten, mich mit schwachen Helfernauf eine Auseinandersetzung mit meinemTodfeind einzulassen.«

Der Weiße lachte.»Wenn ich dich richtig verstanden habe,

dann legst du es darauf an, von einigen mei-ner Leute verprügelt zu werden«, entgegneteer. »Nun gut, dieses Vergnügen sei dir ge-gönnt.«

»Wenn deine Leute gut sind, ist es keinVergnügen«, entgegnete Kennon.

»Wirst du deinen Feind angreifen?« fragteder Weiße.

»Das wird nicht nötig sein«, erwiderte derTerraner. »Ich weiß, daß er früher oder spä-ter in eine schwere seelische Krise geratenwird. Und dann wird er zuschlagen – um je-den Preis.«

Dartun blickte an ihm vorbei zum Steghinüber. Kennon drehte sich um. Er sah, daßzwei Dellos sich dem Haus näherten. Siemachten einen verschüchterten Eindruck. Ih-nen war anzusehen, daß die überstandenenKämpfe mit den Invasoren einen Schock beiihnen hinterlassen hatten. Am Eingang blie-ben sie stehen. Respektvoll blickten sie denVieräugigen an. Der Terraner kannte sie

nicht, aber er merkte, daß er ihnen recht gutbekannt war.

»Wo seid ihr gewesen?« fragte Dartun.»Wir haben lange auf euch gewartet.«

»Später werden wir dir alles erklären«,beteuerte einer der Dellos. »Zunächst abermüssen wir dir etwas sagen.«

Da er Kennon dabei anblickte, forderteihn dieser auf, weiterzusprechen.

»Wir haben Porquetor gesehen«, erklärteder Dello. »Du weißt, wen ich meine? Denanderen, jenen, mit dem du getauscht hast.«

»Ich verstehe. Was ist mit ihm?«»Er ist auch hier in der Senke, und es

scheint, daß er Verbündete sucht. Jetzt ist erunterwegs in das Gebiet der Mächtigen, dasselbst die Invasoren gemieden haben.«

»Die Mächtigen?« fragte Kennon über-rascht. »Wer sind die Mächtigen? Ich habenie von ihnen gehört.«

Die beiden Dellos zuckten mit den Schul-tern. Sie konnten seine Frage nicht beant-worten.

Kennon erhob sich.»Es geht los«, sagte er zu Dartun. »Du

hast es selbst gehört. Der andere geht zumAngriff über. Er will sich die besten Kämp-fer holen, die es auf Pthor gibt.«

*

Grizzard schlug wütend um sich, dochseine Fäuste trafen nur weiches, nachgiebi-ges Fleisch. Er spürte, wie er in der Speise-röhre nach unten rutschte. Immer wiederversuchte er, sich irgendwo zu halten. Es ge-lang ihm nicht.

Allmählich wurde ihm die Luft knapp.Eine ätzende Flüssigkeit drang durch die

Öffnungen der Rüstung. Panik kam in Griz-zard auf. Er spürte, daß er nicht mehr langedurchhalten würde.

Ein Schließmuskel öffnete sich vor ihm.Er stürzte und fiel auf etwas Weiches. Erhatte den Magen der Raupe erreicht. DieSchleimhäute preßten sich an ihn, und Ma-gensäure spritzte zu ihm herein.

Grizzard hörte, wie das Herz der Raupe

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schlug. Er versuchte zu atmen, doch kaumhatte er den Mund geöffnet, als ihm dieKehle zu brennen begann. Die Säure drangihm über die Lippen. Er spuckte sie aus.

Jetzt warf er sich mit aller Energie gegendie Magenwand, krallte die Stahlfinger hin-ein und zerriß sie, bevor sie ihn zurück-schleudern konnte.

Das Herz des Tieres schlug heftiger.Grizzard wühlte sich durch das zuckende

Fleisch. Er arbeitete sich verzweifelt voranund spielte alle Kräfte der Porquetor-Rü-stung aus. Plötzlich wurde es hell vor ihm,und mit einer letzten Anstrengung durch-brach er die Haut der Raupe.

Licht fiel durch die Sehschlitze der Rü-stung, und frische Luft strömte durch dieÖffnungen herein. Grizzard kämpfte sichfrei. Er stürzte auf den Boden. Die Säurebrannte auf seiner Haut, so daß er glaubte,sie löse sich auf. Wie durch einen Schleierbeobachtete er, daß die Raupe flüchtete.

Grizzard schaltete mit bebenden Händen,bis es ihm endlich gelang, die Rüstung auf-zurichten. Er drehte sich um sich selbst, biser einen Teich entdeckte. Er rannte darauf zuund warf sich hinein. Die Rüstung sank so-fort bis auf den Grund. Grizzard riß die Ver-schlüsse auf und kroch aus der Rüstung.Wild nach Atem ringend tauchte er auf.Dann warf er sich im Wasser hin und her,um die Säure abzuspülen.

Strezzo erschien am Ufer. Fassungslosblickte er auf ihn herab.

»Du scheinst schwer verdaulich zu sein,Herr«, sagte er.

Grizzard hielt sich nur mühsam über Was-ser.

Strezzo ergriff einen herumliegenden Astund streckte ihn Grizzard hin. Dieser packteihn, und ließ sich ans Ufer ziehen. Erschöpftsank er ins Gras, und erst jetzt merkte er,was er getan hatte.

Die Rüstung lag auf dem Grund des Tei-ches, und er selbst war dem ehemaligen Pi-raten hilflos ausgeliefert.

Sekundenlang blickten sich die beidenMänner in die Augen. Auch Strezzo war

sich seiner Macht bewußt. Er strich sich mitdem Handrücken über die Lippen und lä-chelte.

Er löste sich von Grizzard und sprangkopfüber ins Wasser. Wenig später tauchteer mit der Rüstung wieder auf. Sie war zuschwer für ihn, und er sank wieder mit ihr indie Tiefe. Unter Wasser kämpfte er sich bisins flache Wasser vor und schleppte sieschließlich bis ans Ufer.

»Eine Wäsche konnte ihr nicht schaden«,meinte er. Der Pirat wälzte die Rüstung her-um, so daß die Öffnung nach oben zeigte.

»Nun, Herr?« fragte er. »Willst du nichtwieder einsteigen?«

Von dieser Sekunde an wußte Grizzard,daß er sich wirklich auf Strezzo verlassenkonnte. Er lächelte.

»Wir sind Freunde«, erklärte er. »Daswerde ich dir niemals vergessen.«

Strezzo legte den Kopf schief. Er winkteab.

»Von Freundschaft wollen wir gar nichtreden«, erwiderte er listig. »Ich habe jedochgehört, daß es in der FESTUNG tolle Mäd-chen gibt. Vielleicht könntest du da ein gu-tes Wort für mich einlegen?«

Grizzard lachte.»Ich werde dafür sorgen, daß du keinen

Grund hast, dich zu beklagen«, versprach erund kletterte in die Rüstung. Strezzo ver-schloß sie von außen, soweit dies möglichwar, und Grizzard sicherte sie von innen.Dann erhob er sich.

Von der Raupe war nichts mehr zu sehen.»Wo bist du gewesen?« fragte Grizzard.»In der Oase«, antwortete der Pirat. »Es

lohnt sich nicht, dorthin zu gehen. Alles istzerstört. Die früheren Bewohner scheinengeflüchtet zu sein. Hier ist gekämpft wor-den.«

»Also hat gar nicht die Raupe die Bewoh-ner vertrieben, sondern die Invasoren warenes.«

»Wahrscheinlich.«»Ich will mir die Oase ansehen.«Strezzo schien damit gerechnet zu haben.

Kommentarlos wandte er sich um und ging

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los. Grizzard folgte ihm.Als er die Oase erreichte, sah er, daß tat-

sächlich alles in Trümmern lag, was vorherin mühseliger Arbeit errichtet worden war.Auch von dem Schlafpalast, der sich in derMitte der Oase erhob, war kaum noch etwasgeblieben. Das aber hatte Grizzard aus derEntfernung nicht sehen können.

»So wie hier sieht es wahrscheinlich inweiten Teilen von Pthor aus«, sagte er.

»Die Situation ist günstig für dich«, ent-gegnete Strezzo. »Die Bewohner der Senkewerden froh sein, wenn jemand kommt, derihnen ein leichteres Leben bietet.«

»Davon gehe ich aus.«Grizzard hörte, wie ein Stein hinter ihm

zu Boden polterte. Er fuhr herum. Strezzoschrie auf.

Nur etwa drei Meter von ihnen entferntstand ein monströses Wesen. Es glich einerGarnele, hatte jedoch kein Außenskelett,sondern eine weiche, schimmernde Haut.Der Rumpf ruhte auf sechs stämmigen Bei-nen. Der Vorderteil des Körpers ragte senk-recht in die Höhe und endete in einem run-den Gebilde, aus dem acht Tentakel hervor-wuchsen. Sie umrahmten eine Vielzahl vonwinzigen Augen, die wie geschliffene Dia-manten funkelten. Darunter ragte ein Schna-bel hervor, der geeignet schien, auch härte-stes Material zu zertrümmern.

»Tut mir nichts«, rief das Wesen wim-mernd in pthorischer Sprache. »Bitte, ver-schont mich. Ich verspreche euch, daß ichalles tun werde, was ihr von mir verlangt.«

Grizzard war so verblüfft, daß er laut auf-lachte. Strezzo grinste nur.

Beide waren erschrocken zusammenge-fahren, als sie das Wesen gesehen hatten. Esschien stark und ein übermächtiger Kämpferzu sein. Und nun flehte es um Schonung, ob-wohl es in der Lage zu sein schien, alles indie Flucht zu schlagen, was sich ihm in denWeg stellte.

»Wir haben nicht vor, dir irgend etwas zutun«, beteuerte Grizzard.

»Ich danke dir, Fremder. Ich habe gehört,daß du Freunde suchst. Du willst ihnen ein

leichteres Leben bieten?«»Das ist richtig. Allerdings suche ich

Freunde, die kämpfen können.«»Damit kann ich nicht dienen. Ich bin –

um ehrlich zu sein – ein Feigling.«»Wer von sich selbst behauptet, daß er ein

Feigling ist, kann schwerlich ein Feiglingsein«, entgegnete Grizzard.

»Ich bin es«, antwortete das monströseWesen. »Ich weiß, ich sehe so aus, daß alleAngst vor mir haben, aber mir wird schonschlecht, wenn ich Waffen klirren höre. Ichtauge nicht für dich, aber ich kenne jeman-den, der mächtiger ist als alle anderen in derSenke.«

»Bist du sicher, daß du das beurteilenkannst?« fragte Strezzo spöttisch.

»Ich weiß, wovon ich rede.« Das Wesenstreckte einen Tentakel aus und wies nachNorden. »Geht in dieser Richtung weiter.Bald werdet ihr auf die Moosons stoßen, unddann werdet ihr wissen, daß ich die Wahr-heit gesagt habe. Niemand ist mächtiger alsdie Moosons. Wenn du sie für dich gewin-nen kannst, wirst du alle deine Feinde besie-gen.«

Grizzard fuhr sich mit der Zungenspitzeüber die Lippen. Er spürte, daß sein Gegen-über die Wahrheit gesagt hatte.

»Warum forderst du mich dazu auf?«fragte er. »Ich tue dir nichts. Was hast dudavon, daß du mich zu den Moosonsschickst?«

»Ich fühle mich ihnen verbunden«, ant-wortete das seltsame Wesen. »Lange Zeithabe ich unter ihnen gelebt. Daher weiß ich,daß es eine Legende bei ihnen gibt. In ihrheißt es, daß eines Tages ein Mächtiger auf-tauchen wird, der ihren Kräften widersteht.«

»Ich verstehe«, sagte Grizzard. »Dumeinst, ich könnte dieser Mächtige sein.«

»Du bist der erste, den die Raupe nichtbezwingen konnte«, erwiderte das seltsameWesen und wirbelte die Tentakel durch dieLuft. »Ich habe gesehen, was passiert ist. Dumußt dieser Mächtige sein.«

4.

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»Vielleicht können diese Mächtigen wirk-lich kämpfen«, sagte Dartun. »Meine Män-ner können es auch. Ich glaube sogar, daßsie noch besser sind.«

»Das werden wir sehen«, erwiderte Ken-non und verließ die Hütte.

Der Weiße folgte ihm. Er pfiff auf denFingern, und von allen Seiten kamen Män-ner und Frauen herbei. Er wartete, bis etwahundert Personen um seine Hütte versam-melt waren, dann hielt er eine Ansprache.Kennon verstand kein Wort, doch der Ton-fall, in dem Dartun sprach, verriet ihm eini-ges über den Inhalt seiner Ansprache. Eben-so erriet er etwas aus den Reaktionen derZuhörer, die immer wieder laut auflachten.

Schließlich wandte sich der Weiße ihm lä-chelnd zu.

»Ich habe ihnen erklärt, daß du Kämpfersuchst«, bemerkte er. »Und ich habe ihnengesagt, daß du an ihren kämpferischen Qua-litäten zweifelst. Es belustigt sie, das zu hö-ren.«

»Offensichtlich«, antwortete der Terranerungerührt. »Hoffentlich haben sie in einigenMinuten auch noch ihren Spaß.«

»Davon bin ich überzeugt.«»Nun gut, dann sage deinen beiden besten

Kämpfern Bescheid. Sie sollen gegen michantreten.«

Dartun rief etwas in die Menge, und zweiMänner drängten sich nach vorn. Sie warenbeide größer als Kennon. Sie hatten langeHaare und Bärte, die ihnen bis an die Gürtelherabreichten. Herablassend blickten sie denTerraner an, und einer von ihnen trat in denKreis, der sich inmitten der Zuschauer gebil-det hatte.

»Ich sagte, beide sollen kämpfen«, be-merkte Kennon.

Dartun lachte und schüttelte verständnis-los den Kopf. Er gab dem zweiten ein Zei-chen, ebenfalls in den Kreis zu gehen.

»Ich will keine Einzelkämpfer«, erklärteer dem Weißen. »Ich will Männer, die sichaufeinander abstimmen, die sich beimKampf helfen und unterstützen, und die da-durch ihre Kräfte vergrößern. Ich glaube dir

ohne weiteres, daß die beiden mich besie-gen, mich interessiert jedoch nur, wie sie estun.«

»Du wirst es erleben«, erwiderte Dartunselbstbewußt.

Er pfiff auf den Fingern.Die beiden Kämpfer stürzten sich auf

Kennon. Dieser beherrschte den Grizzard-körper mittlerweile in jeder Hinsicht. Erwußte den Körper optimal zu nutzen.

Als er in seinem verwachsenen Körpergelebt hatte, war er körperlich wehrlos ge-wesen. So war er von frühester Jugend aufan gezwungen gewesen, sich mit geistigenWaffen zu wehren. Als er seinen Körper je-doch im Feuer einer thermonuklearen Ab-wehrkanone verloren hatte und in einen Ro-botkörper übergewechselt war, hatte er unteranderem auch ein Dagor-Training mitge-macht, das ihn zu einem perfekten Kämpfergemacht hatte.

Diese Kampftechnik beherrschte er jetztauch noch.

Als die beiden Männer ihn angriffen, tän-zelte er leicht zur Seite, schnellte sich plötz-lich hoch und streckte beide gleichzeitig mitden Füßen nieder. Seine Hacken schlugenkrachend gegen ihre Köpfe und schleudertensie zu Boden.

Sie blieben bewußtlos liegen.Die Zuschauer schrien entsetzt auf. Dar-

tun blickte Kennon erbleichend an.Der Terraner stand neben den beiden be-

wußtlosen Männern und strich sich denStaub von den Hosen.

»Ich habe nicht die Absicht, euch meineKampftechnik zu demonstrieren«, sagte erenttäuscht. »Mir wäre es lieber, wenn ihrmir zeigen würdet, was ihr könnt.«

»Sie haben sich überraschen lassen«, be-teuerte Dartun. »Sie sind sonst viel besser.Du hast sie nur durch einen dummen Zufallbesiegt.«

»Na schön«, entgegnete Kennon.»Versuchen wir es noch einmal. Wecke diebeiden auf und gib ihnen zwei Gehilfen zurSeite. Die vier sollen mir zeigen, daß siemehr können als gut schlafen.«

Mit den Kräften des Geistes 19

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Dartun schrie auf die Männer und Frauenein. Einige Frauen schleppten Wasser herbeiund kippten es über den Bewußtlosen aus,bis diese zu sich kamen. Zwei weitereKämpfer kamen hinzu. Sie waren ebenfallsdeutlich größer als Kennon. Einer von ihnenhatte riesige Fäuste.

»Sieh dich vor«, bat Dartun. »Du hast siegereizt. Sie sind wütend und beleidigt. Ver-zeih mir, wenn sie dir weh tun.«

»Wir werden es ertragen«, erwiderte Ken-non. Er wandte sich dem Weißen zu, als dievier Männer überraschend angriffen.

Kennon duckte sich und schnellte sichzwischen ihnen hindurch. Sie rannten anihm vorbei, während er sich hinter ihnenaufrichtete. Ärgerlich schnaufend fuhren sieherum und griffen erneut an.

Der Terraner sprang einen von ihnen mitden Füßen zuerst an und betäubte ihn mit ei-ner blitzschnellen Schlagkombination. Zweiwarfen sich auf ihn, um ihn seitlich zupacken. Er krallte sich an sie, und währender zu Boden stürzte, riß er sie mit.

Sie prallten mit den Köpfen aneinander.Einer von ihnen sank bewußtlos zusammen,der andere preßte die Hände stöhnend vordas Gesicht. Der vierte Gegner versuchte, zuKennon vorzudringen, doch dieser rolltesich zur Seite. Dann fuhren seine Hände undEllenbogen auf die Gegner nieder undstreckten sie zu Boden, bevor auch nur einervon ihnen einen Schlag anbringen konnte.

Dartun und Kennon blickten gleicherma-ßen bestürzt auf die vier kampfunfähigenMänner. Der Weiße war enttäuscht, weilihm aufging, daß er unter diesen Umständenkein Geschäft mit Kennon und Atlan ma-chen konnte, der andere, weil er begriff, daßer mit diesen Männern keine Streitmachtaufbauen konnte, mit der er gegen Grizzardkämpfen konnte.

Kennon blickte Dartun an. Er sah, daßdem Weißen die Tränen der Enttäuschungund der Wut in die Augen stiegen.

»Ich werde sie töten lassen«, erklärte derWeiße mit zornbebender Stimme. »Es sindjämmerliche Versager, die Schande über uns

alle bringen.«»Ich halte das für übertrieben, Dartun«,

erwiderte Kennon. »Deine besten Kämpferhaben versagt. Es tut mir leid, aber unterdiesen Umständen werden wir nicht zusam-menarbeiten.«

»Könntest du es nicht wenigstens versu-chen?« fragte Dartun. »Für meine Männerging alles ein wenig schnell. Wer konnteauch ahnen, daß du dich so behende bewe-gen kannst, daß selbst unsere kleinen Augendir nicht folgen können?«

Kennon begriff. Die Vieräugigen nahmenBewegungsabläufe offenbar mit den beidenAugenpaaren unterschiedlich wahr. Wäh-rend sie mit den großen Augen so sahen wieer selbst auch, vermochten sie mit den klei-nen Augen schnelle Bewegungsabläufe bes-ser zu verfolgen. Doch auch das hatte ihnennichts geholfen, da sie in ihren Reaktionenzu langsam waren.

»Es tut mir leid, Dartun«, sagte er nieder-geschlagen. »Ich wäre froh gewesen, wennich Kämpfer gefunden hätte, denen ich ver-trauen kann. So geht es nicht. Ich werdeeuch verlassen.«

Dartun glich einem Häuflein Elend. Er tatKennon leid, da dieser nachfühlen konnte,was er fühlte. Der Weiße sehnte sich nachseiner Heimat. Er hatte gehofft, sie mit Ken-nons Hilfe zu erreichen.

»Warte«, rief er und hielt Kennon amArm fest. »Geh nicht. Ich werde dir helfen.Ich weiß, wo du Kämpfer finden kannst, diealles aus dem Felde schlagen.«

Er blickte ihn beschwörend an. »Ich sagedie Wahrheit«, beteuerte er. »Gar nicht weitvon hier leben Wesen, denen alle aus demWege gehen, weil sie sich vor ihnen fürch-ten. Sie könnten gerade richtig für dichsein.«

Er blickte auf die noch immer bewußtlo-sen Männer.

»Es tut mir leid, daß es so gekommen ist«,fuhr er fort. »Glaube mir, ich selbst ahntenicht, daß wir so schwach im Vergleich zudir sind.«

Kennon überlegte kurz.

20 H. G. Francis

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»Ich werde versuchen, euch zu helfen«,sagte er dann. »Wir werden zusammenarbei-ten. Ich benötige Männer, die nach meinemFeind suchen. Ich weiß jetzt, daß er eben-falls in der Senke der Verlorenen Seelen ist.Offenbar hat er Verbündete gefunden, diewirklich mächtig sind. Ich muß wissen, woer ist und wohin er sich wendet. Ich benötigeSpäher, die ausschwärmen und mir sofortNachricht geben, wenn sie ihn finden. Dazusind deine Männer gut geeignet.«

Die vier Augen Dartuns leuchteten auf. Erergriff die Arme Kennons.

»Ich danke dir«, sagte er. »Wir werden dirhelfen. Du kannst dich auf uns verlassen.Wir werden alles tun, was in unserer Machtsteht.«

*

Grizzard lenkte die Porquetor-Rüstung zueiner Felsnadel, die sich aus dem völlig ebe-nen Land wie ein Zeigefinger erhob. Als ersie erreicht hatte, sah er, daß Stufen in denStein geschlagen worden waren. Sie führtennach oben. Er stieg bis zur Spitze der Nadelhinauf.

Strezzo folgte ihm. Das monströse We-sen, das ihnen den Weg gewiesen hatte, warbei einer Oase zurückgeblieben, die ihm er-trägliche Lebensbedingungen bot.

»Da ist der Palast«, sagte der Pirat undzeigte auf ein gläsernes Gebilde. Es sah auswie ein Pilz und stand auf einer Insel, die ineinem nierenförmigen See lag.

Überall in der Nähe des Sees befandensich Siedlungen aus primitiven Hütten undZelten, von denen jedoch nahezu alle zer-stört worden waren. Die Spuren heftigerKämpfe waren unübersehbar. Um so auffal-lender war, daß auf der Insel selbst alles in-takt zu sein schien.

»Das Tentakelmonster könnte recht ha-ben«, bemerkte Strezzo. »Sieh dir die Inselan. Dort scheint niemand gekämpft zu ha-ben.«

»So sieht es jedenfalls aus.«Eine Holzbrücke führte zur Insel hinüber.

Auch sie wies keinerlei Zerstörungen auf.»Seltsam«, sagte Grizzard. »Warum ha-

ben die Invasoren dort nicht gekämpft? Ha-ben sie gar nicht erst versucht, die Insel zustürmen? Oder gab es keinen Grund für sie,mit denen auf der Insel zu kämpfen?«

»Du meinst, die Mächtigen der Inselnsind Freunde der Invasoren?« fragte Strezzo.

»Sieht es nicht so aus?«Strezzo schüttelte den Kopf.»Du irrst dich. Hätten die von der Insel

den Invasoren geholfen, dann wären Kämpfein den Siedlungen nicht nötig gewesen.«

Grizzard nickte. Er wurde sich dessen be-wußt, daß man ihn von der Insel her sehenkonnte. Die Rüstung schimmerte silbern hellund mußte Aufmerksamkeit erregen.

»Wir steigen wieder ab und gehen überdie Brücke«, entschied er. »Dann werdenwir ja sehen, was geschieht.«

Strezzo zog den Kopf ein.»Hast du etwas dagegen, wenn ich mich

zunächst in einem sicheren Versteck ver-krieche?« fragte er. »Ich würde ganz gernsehen, was passiert, bevor ich ein Risikoeingehe.«

»Du kannst hier bleiben«, antworteteGrizzard. »Wenn ich dir ein Zeichen gebe,kommst du nach. Wenn es anders läuft, alsich mir vorstelle, kannst du dich aus demStaub machen.«

Strezzo zupfte sich den Bart. In seinenAugenwinkeln bildeten sich zahllose Lach-fältchen.

»Ich bewundere dich immer wieder,Herr«, sagte er, »weil es dir so vorzüglichgelingt, meine innersten Gefühle und Wün-sche zu formulieren.«

Grizzard wandte sich wortlos ab und stiegdie Stufen hinunter. Dann marschierte er aufden See zu. Er erreichte ihn an der Stelle, ander die Brücke begann. Hier blieb er stehenund wartete etwa zwei Minuten.

In dieser Zeit erschienen nach und nachetwa zwanzig monströse Gestalten am ande-ren Ende der Brücke. Sie blickten zu ihmherüber. Grizzard fielen dabei vor allem vierWesen auf, die in ihrem Aussehen einen

Mit den Kräften des Geistes 21

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Terraner an Hamster erinnert hätten. Sie wa-ren allerdings wesentlich größer als terrani-sche Tiere dieser Art. Grizzard schätzte, daßsie eine Höhe von etwa vier Metern erreich-ten, als sie sich auf den Hinterbeinen auf-richteten. Sie hatten langes, zottiges Fell. Ih-re Beine steckten in leuchtend roten Hosen,die an den Seiten mit allerlei Metallteilenverziert waren.

Die anderen Wesen in ihrer Umgebungwaren auch nichthumanoid. Keines von ih-nen besaß eine derartige Ausstrahlung wiedie vier hamsterähnlichen Wesen. Grizzardzweifelte keine Sekunde daran, daß dies dieMoosons waren, von denen das Tentakelwe-sen gesprochen hatte. Nur sie konnten dieMächtigen sein.

Überraschend für ihn war, daß er keinerleiWaffen an ihnen sah, während alle anderenWesen irgend etwas bei sich hatten, was sieals Waffe benutzen konnten.

Grizzard spürte, daß er am Ziel war.Er war entschlossen, herauszufinden, was

die Macht der Moosons ausmachte, und erwollte die Moosons auf seine Seite bringen,um sie gegen Kennon zu führen. Daß esSchwierigkeiten mit Kennon geben würde,war für ihn sicher.

Grizzard ging los. Er bewegte sich lang-sam und ruhig, um einen selbstsicheren Ein-druck auf die Moosons zu machen. Sie soll-ten auf keinen Fall glauben, daß er sie an-greifen wollte. Als Grizzard etwa zehn Me-ter weit gegangen war, sah er, daß die Moo-sons unruhig wurden. Sie redeten miteinan-der und gestikulierten heftig.

Er ging weiter.Die Moosons wandten sich ihm wieder zu

und kamen ihm etwa fünf Meter weit entge-gen. Dann verharrten sie auf der Stelle undblickten ihn mit großen, schimmernden Au-gen an.

Einige Sekunden verstrichen. Grizzardmarschierte weiter. Die Brücke erzitterteund dröhnte unter seinen Füßen. Und wie-derum wurden die Moosons unruhig. Einervon ihnen stieß einen schrillen Schrei aus.Sie wichen einige Schritte weit zurück.

Grizzard konnte sich ihr Verhalten nichterklären. Er führte es auf die Legende zu-rück, von der er gehört hatte, und er fragtesich, ob es irgendwann in der Vergangenheitder Moosons eine Erscheinung gegeben hat-te, die ihm glich.

Er näherte sich dem Ende der Brücke, alsdie monströsen Wesen aus der Nähe derMoosons verschwanden und sich fluchtartigin das Innere der Insel zurückzogen.

Etwa fünf Meter von den Moosons ent-fernt blieb Grizzard stehen. Er blickte ange-strengt durch die Schlitze des Helms. Auchjetzt bemerkte er keine Waffen an den riesi-gen Wesen. Er hoffte, daß die Moosons dieInitiative ergreifen würden, doch sie verhiel-ten sich zunächst ruhig. Sie blickten ihn anund machten weder Anstalten, ihn auf dieInsel einzuladen, noch ihn von der Brückezu vertreiben.

Grizzard zögerte, sie anzusprechen, weiler befürchtete, Schwäche zu beweisen, wenner ihre Sprache nicht beherrschte.

Etwa zehn Minuten verstrichen, ohne daßetwas geschah. Hin und wieder meinte Griz-zard zu spüren, daß ihn etwas berührte. Ihmschien, als streiche etwas unendlich Feinesüber seinen Nacken und seinen Rücken, aberer maß diesem Gefühl keinen besonderenWert bei.

Schließlich kam er zu der Überzeugung,daß die Moosons nichts tun würden. Daherhob er beide Arme und streckte sie ihnenentgegen. Sie reagierten augenblicklich undeilten auf ihn zu. Scheu berührten sie seineStahlhände. Dabei redeten sie in einer Spra-che auf ihn ein, die er nicht verstand.

»Ich verstehe euch nicht«, erklärte er inPthora.

Seine Worte riefen größte Aufregung beiihnen vor. Sie schwatzten miteinander undstießen schrille Schreie aus. Aus ihrem Ver-halten schloß er, daß sie sich freuten.

Schließlich, als sie sich ein wenig beru-higt hatten, wichen sie zur Seite und gabenihm gestenreich zu verstehen, daß er zu ih-nen auf die Insel kommen sollte.

Grizzard folgte ihrer Einladung jedoch

22 H. G. Francis

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nicht sofort, sondern wandte sich um undwinkte zur Felsnadel hinüber. Strezzo, derdas Geschehen von dort aus beobachtet hat-te, winkte zurück und rannte auf die Brücke.Die Moosons gaben Grizzard zu verstehen,daß sie mit ihm einverstanden waren. Siewarteten, bis Strezzo bei ihnen war. Dannführten sie Grizzard und ihn ins Innere derInsel.

Als sie den Glaspalast erreichten, der kei-nerlei Spuren von Zerstörung zeigte, sahGrizzard, daß die Helfer der Moosons einEssen für ihn vorbereitet hatten. Auf eineretwa zwanzig Meter langen Tafel türmtensich Speisen und Getränke aller Art. Selbstin der FESTUNG hatte Grizzard keinen soreichlich gedeckten Tisch gesehen.

Ihm lief das Wasser im Munde zusam-men.

Gleichzeitig aber wurde ihm bewußt, daßer die Rüstung nicht verlassen durfte. DieMoosons ahnten nicht, wie er wirklich aus-sah, und er befürchtete, daß sie sich spontanvon ihm abwenden würden, wenn er sich ih-nen in seiner verwachsenen Gestalt zeigte.

»Das solltest du dir nicht entgehen las-sen«, rief Strezzo begeistert. »Meine Güte,derartige Delikatessen habe ich in meinemganzen Leben noch nicht gesehen.«

Er öffnete die äußeren Verschlüsse derRüstung.

»Komm heraus«, forderte er Grizzard auf.Die Moosons beugten sich über ihn und

klopften behutsam gegen die Rüstung. Ent-setzt erkannte Grizzard, daß er sich geirrthatte. Sie wußten, daß er in der Rüstungsteckte.

»Komm heraus«, rief einer der Moosonsmit schwerer Stimme. Er hatte sichtlich Mü-he, diese Worte zu formulieren.

Grizzard entschied sich, der Aufforderungzu folgen. Er öffnete die Rüstung. Strezzostreckte ihm die Hände entgegen und halfihm heraus.

Voller Unbehagen versuchte Grizzard, aufdie Sitzbank vor der Tafel zu steigen. Es ge-lang ihm nicht, weil er zu klein und zuschwächlich war. Der Pirat half ihm.

Grizzard schämte sich seines verwachse-nen Körpers. Er konnte sich nicht vorstellen,daß die Moosons ihn noch respektierten,nachdem sie gesehen hatten, wer er wirklichwar.

Doch sie taten es. Sie ließen sich ihm ge-genüber auf die Bank sinken und reichtenihm Schalen, die mit gegrilltem Fleisch undFrüchten gefüllt waren. Zögernd griff Griz-zard zu.

Ein zweibeiniges Wesen, das einen Vo-gelkopf und seltsame Greifzangen hatte, nä-herte sich ihm und reichte ihm einen Becher,mit einer angenehm duftenden Flüssigkeit.Danach entfernte es sich einige Schritteweit, stockte plötzlich, als sei es gerufenworden, kehrte zurück und blieb in demüti-ger Haltung an der Tafel stehen. Etwa eineMinute verstrich, dann wandte sich das Vo-gelkopfwesen ab und eilte davon.

Strezzo nahm eine Frucht, legte sie abersofort wieder hin, als habe er sich die Fingerdaran verbrannt.

»Verdammt«, sagte er. »Sie können mei-ne Gedanken lesen. Pausenlos geben sie mirBefehle. Wie soll man das nur ertragen?«

Grizzard fiel das Stück Fleisch, das erzum Munde führen wollte aus den Fingern.

Schlagartig begriff er, worauf sich dieMacht der Moosons begründete.

Die Moosons waren parapsychisch be-gabt. Mit ihren besonderen Kräften lenktensie ihre Helfer auf der Insel. Mit ihren psio-nischen Fähigkeiten hatten sie die Invasorenvon der Insel abgehalten und vielleicht garin die Flucht geschlagen.

Ihn, Grizzard, aber beurteilten sie nichtnach seinen körperlichen Kräften. Sie be-handelten ihn voller Ehrfurcht und Respekt,weil er für ihre mentalen Kräfte unerreichbarwar.

Das war die einzig denkbare Erklärung!Grizzard fühlte, daß ihn die Erregung zu

übermannen drohte. Er wurde sich dessenbewußt, was diese Entdeckung bedeutete.

Er war einem Geheimnis auf die Spur ge-kommen, das bisher nur Kennon gekannthatte. Niemand sonst wußte, daß der ver-

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wachsene Körper über derartige Fähigkeitenverfügte.

Grizzard machte sofort eine Einschrän-kung, als er so weit mit seinen Überlegun-gen gekommen war. Atlan, so meinte er,mußte er ausnehmen. Oder sollte selbst ernichts von dieser Unempfindlichkeit gegenparanormale Kräfte wissen?

Von einem plötzlichen Hungergefühl ge-trieben, stopfte Grizzard in sich hinein, so-viel er nur konnte. Dabei beobachtete er dieMoosons. Allmählich ging ihm auf, was esfür sie bedeutete, daß sie ihn mit ihren be-sonderen Kräften nicht erreichen konnten.

Aus ihrem Verhalten schloß er, daß ihnennoch niemals zuvor jemand begegnet war,der ihnen in dieser Weise widerstand. Unddann wurde ihm klar, über welche Macht-mittel er plötzlich verfügte.

Die Moosons ordneten sich ihm unter. Sieverehrten ihn als übermächtiges Wesen. Al-so würden sie ihm auch gehorchen, wenn erihnen befahl, für ihn zu kämpfen.

Sie würden jeden Widerstand für ihn be-seitigen, bis Sinclair Marout Kennon hilflosvor ihnen stand.

Und vielleicht waren sie sogar in der La-ge, mit ihren parapsychischen Fähigkeiteneinen Körpertausch herbeizuführen, derKennon wieder in seinen verwachsenenKörper zwang.

Grizzard hätte am liebsten laut gejubelt.Mochte Kennon aufbieten, was er wollte,gegen die Moosons war er machtlos.

5.

Sinclair Marout Kennon fuhr aus demSchlaf auf, als Dartun seine Hütte betrat.

»Einige meiner Späher sind zurück«, er-klärte der Weiße. »Sie haben schlechteNachrichten für dich.«

Kennon war sofort hellwach.»Heraus damit«, forderte er. »Schnell.«Dartun begann mit einer umständlichen

Schilderung der Schwierigkeiten, die seineSpäher zu überwinden gehabt hatten, bis sieendlich in das Gebiet vorgedrungen waren,

auf das es dem Terraner ankam. Kennon un-terbrach ihn nicht, obwohl er ungeduldigwar.

»Dein Feind befindet sich auf einer Insel,die von mächtigen Wesen, den Moosons, be-herrscht wird«, berichtete der Weiße end-lich. »Wie es heißt, verfügen diese Wesenüber Zauberkräfte. Sie können andere mitihrem Willen beeinflussen. Niemand kannihnen widerstehen. Was sie wollen, ge-schieht.«

»Und was ist mit ihm?« fragte Kennon.»Sie behandeln ihn voller Ehrfurcht. Sie

unterwerfen sich ihm. Es scheint, daß ihreZauberkräfte bei ihm versagen.«

Der Terraner stöhnte auf.Dartun hätte ihm das nicht zu sagen brau-

chen. Er hatte es schon vorher gewußt,schließlich lebte Grizzard in seinem Körper,der schon vor Jahrhunderten mentalstabili-siert worden war!

Diese Schutzmaßnahme war für ihn alsUSO-Spezialist ergriffen worden, um ihn fürparapsychisch begabte Gegner unangreifbarzu machen. Jetzt schlug diese Operation vollauf ihn zurück, denn der Grizzardkörper warnicht mentalstabilisiert.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Kennondiese Tatsache als unwichtig eingeordnet, daGrizzard die besonderen Fähigkeiten desverkrüppelten Körpers nicht kannte.

Jetzt sah alles anders aus. Für Kennon warklar, daß Grizzard das letzte Geheimnis desKennonkörpers entdeckt hatte. Sein Verhal-ten bei den Moosons zeigte, daß er es fürsich nutzen wollte.

Grizzard hatte sein Mutantenkorps gefun-den.

Kennon hatte das Gefühl, auf schwanken-dem Boden zu stehen. Seine Suche nach ei-ner schlagkräftigen Truppe war bisher fehl-geschlagen. Alles, was er gefunden hatte,waren die Vieräugigen. Die aber hatten sichals klägliche Kämpfer erwiesen. Sie gegendie neuen Freunde Grizzards aufzubieten,wäre sinnlos gewesen.

Kennon griff nach dem Arm Dartuns.»Weißt du, ob es irgendwo in der Senke

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noch andere Zauberer gibt?« fragte er. »Hastdu irgend etwas gehört von Wesen, die übergeheimnisvolle Kräfte verfügen?«

Der Weiße schüttelte den Kopf.»Ich muß dich enttäuschen«, sagte er.

»Die Moosons sind die einzigen.«Kennon sank auf sein Lager zurück. Doch

im nächsten Moment schoß er schon wiederhoch.

»Rufe alle deine Späher zurück«, rief er.»Sie dürfen nicht in der Nähe der Moosonsbleiben.«

»Warum nicht?« fragte Dartun verstört.»Wie willst du sonst herausfinden, was siebeabsichtigen?«

»Zurück mit ihnen«, befahl Kennon mitschriller Stimme. »Verstehst du denn nicht?Die Moosons erfassen deine Späher mit ih-ren Zauberkräften. Sie lesen ihre Gedankenund ermitteln auf diese Weise, wo ich bin.Dadurch werden sie nicht zu Helfern, son-dern zu Feinden, die mich verraten.«

Der Weiße zuckte erschreckt zusammen.»Du hast recht«, erwiderte er stöhnend.

»Sie verraten dich.«Er sprang auf und stürmte aus der Hütte.

Kennon hörte, daß er seinen Männern Be-fehle erteilte. Eilige Schritte zeigten ihm an,daß einige Leute das Dorf verließen.

Kennon wußte, daß es bereits zu spät war.Wenn die Moosons telepathische Fähigkei-ten hatten, dann mußte er davon ausgehen,daß sie mittlerweile wußten, wo er war.

Er verließ die Hütte und ging zu einemBrunnen, um sich zu waschen und zu trin-ken. Dartun kam zu ihm.

»Was wirst du tun?« fragte er.»Wir müssen uns auf den Angriff vorbe-

reiten«, antwortete Kennon. »Wir müssenMittel und Wege finden, die Moosons zu tö-ten, bevor sie uns erreichen. Das geht nur,wenn wir Waffen bauen, die über eine großeEntfernung hinweg tödlich wirken.«

Dartun bewies ihm, daß er über ein be-trächtliches Wissen verfügte. Er versuchte,Kennon einige Waffen zu schildern, die inFrage kamen, scheiterte jedoch an sprachli-chen Schwierigkeiten.

»Es müssen einfache Waffen sein«, be-merkte der Terraner. »Fallen kommen inFrage. Wir könnten sie im Vorgelände er-richten.«

Kennon blickte nachdenklich zu Boden.Ihm wurde klar, daß alle Planungen sinnloswaren, solange er nicht wußte, über welcheFähigkeiten die Moosons verfügten. Er hattegenügend Erfahrungen mit Mutanten, daß ersich keine Illusionen über seine Erfolgsaus-sichten im Kampf mit ihnen machte.

Er wehrte sich gegen die aufkommendeResignation, weil er nicht wahrhaben wollte,daß er im Grunde genommen schon dadurchbesiegt war, daß es Grizzard gelungen war,die Moosons für sich zu gewinnen.

»Wir wissen zu wenig über die Wesen derSenke«, sagte er. »Deshalb müssen wir Spä-her in alle Bereiche der Senke aussenden.Sie sollen Informationen über alle einholen,die hier leben. Überall sind Dellos als Hel-fer. Sie müssen befragt werden. Vielleichtfinden wir auf diese Weise Kämpfer, mit de-nen ich mich gegen die Moosons behauptenkann.«

»Eine gute Idee«, lobte Dartun. »Ich wer-de sofort einige Männer dafür abstellen,wenn …«

Er blickte Kennon fragend an. »Ich ver-spreche dir, daß ich mit dir zu Atlan gehenwerde«, erklärte der Terraner. »Ich werdemich für dich einsetzen und dir helfen. Ichwerde versuchen, Atlan dazu zu bewegen,Pthor zu deiner Heimat zu lenken. Du wirstbei den entscheidenden Gesprächen dabeisein.«

Der Weiße hob beide Hände.»Ich danke dir«, sagte er. »Mehr brauchst

du mir nicht zu versprechen. Ich glaube dir.Ich weiß, daß du nicht mehr tun kannst. Wirwerden gemeinsam kämpfen.«

Kennon antwortete nicht. Die Worte Dar-tuns klangen ihm zu übertrieben und erin-nerten ihn allzu deutlich an die Lobredenüber die stärksten Männer des Stammes.

Der Weiße eilte davon. Kennon sah, daßer mit einigen Dellos sprach. Diese warenwährend der Kämpfe mit den Krolocs zur

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FESTUNG geflüchtet, waren aber nun in dieSenke der Verlorenen Seelen zurückgekehrt.Kennon ging davon aus, daß das überall inder Senke der Fall war, in der etwa zweihun-derttausend Geschöpfe aus allen Bereichendes Universums lebten. Sie alle waren ir-gendwann in der Vergangenheit aus ihrerHeimat nach Pthor entführt worden. Daherbot die Senke ein nahezu unerschöpflichesReservoir an exotischen Entitäten, über diebislang so gut wie nichts bekannt war. Ken-non hielt es für durchaus wahrscheinlich,daß es in der Senke noch andere Wesen gab,die parapsychisch begabt waren. Er wußtejedoch, daß es nahezu unmöglich war, sieinnerhalb kurzer Zeit zu finden und für sichzu gewinnen.

Kennon ging an den Rand der Siedlungund setzte sich auf einen Hügel. Nachdenk-lich blickte er auf das Land hinaus. Auf derSavanne vor der Siedlung ästen antilopenar-tige Tiere. Einige sechsbeinige Wesen be-wachten sie, so daß sie nicht flüchten konn-ten.

In etwa vier Kilometern Entfernung be-gann ein dichter Wald. Aus ihm erhobensich die Ruinen einiger Glaspaläste.

Kennon schüttelte verzweifelt den Kopf.Eine Möglichkeit, die Siedlung gegen An-

griffe von Wesen mit parapsychischen Fä-higkeiten zu schützen, gab es nicht.

Ihm blieb nichts anderes als die Flucht.Davor aber schreckte er zurück. Einmal inseinem Leben war er geflüchtet. DieseFlucht hatte ihn seinen Körper gekostet. Inder tosenden Glut eines Thermostrahlers warer zu Asche verbrannt.

Seitdem war Sinclair Marout Kennonnicht mehr geflüchtet. Er war nicht mehr da-zu fähig gewesen. Der Schock von Lepsowirkte noch nach Jahrhunderten nach.

*

Strezzo tippte Grizzard an.»Ich soll dir etwas sagen, Herr«, bemerkte

er unterwürfig. Er blickte den Verwachsenenbewundernd an. »Die Moosons sind deine

Diener. Sie wollen alles für dich tun, was duverlangst. Sie haben nur einen Wunsch: Siewollen sich für dich aufopfern.«

Grizzard wollte ihn fragen, woher er daswußte, hielt diese Frage jedoch zurück, weiler sich die Antwort selbst geben konnte. DieMoosons hatten Strezzo diese Informationgegeben, weil er für ihre parapsychischenImpulse empfänglich war. Somit diente derPirat als natürlicher Translator.

Die vier Moosons saßen Grizzard gegen-über auf der Bank und blickten ihn mitleuchtenden Augen an.

»Sie sollen für mich kämpfen«, entgegne-te er. »Du kennst meinen Feind. Ihn will ichvernichten, und die Moosons sollen es fürmich tun. Sie sollen ihn jedoch nicht töten,sondern ihn mit ihren mentalen Kräften ausmeinem Körper vertreiben.«

»Sie sind einverstanden«, antworteteStrezzo, kaum daß er zu Ende gesprochenhatte. »Sie fragen, wann wir aufbrechen.«

»Sofort«, erklärte Grizzard.

*

Tullam war glücklich.Eine Legende war wahr geworden. Das

hatte niemanden mehr überrascht als ihn,den ewigen Zweifler. Wenn Bushmi, Usonund Metax von jenem gesprochen hatten,der kommen und ihren Kräften widerstehenwürde, hatte er stets geschwiegen. Er wußte,wie sehr sie den Glauben an diese Legen-dengestalt brauchten, um mit dem Tren-nungsschmerz fertig zu werden. Die dreihatten es nie verwunden, daß man sie ausder Moosongemeinschaft herausgerissenhatte. Für sie war es unendlich schwer, unterUmständen zu leben, wie sie es jetzt muß-ten. Ihnen fehlten die Massen, in denen sieanonym sein konnten.

Für ihn war das etwas anderes. Schon aufMooson war er ein Einzelgänger gewesen.Dort hatte er als Außenseiter der Gesell-schaft gegolten. In der Senke war er der An-führer. Ohne ihn wären die anderen drei hilf-los gewesen.

26 H. G. Francis

Page 27: Mit den Kräften des Geistes

Doch jetzt war Grizzard gekommen. Erhatte ihren mentalen Kräften widerstanden,und er hatte Tullam die Verantwortung ab-genommen.

Aber nicht nur deshalb war Tullam glück-lich. Ihn erfüllte vor allem die Tatsache mitangenehmen Gefühlen, daß es Grizzardwirklich gab. Bis zum heutigen Tag hatteTullam sich nicht vorstellen können, daß Le-bewesen existierten, die den Moosonfähig-keiten widerstanden. Für Tullam und diedrei anderen Moosons war es, als sei einGott zu ihnen gekommen.

Tullam beobachtete Grizzard, der ihm ge-genüber saß und Obst verzehrte, und er wun-derte sich darüber, wie klein er war.

»Ich hätte einen Riesen erwartet«, über-mittelte Metax. »Ihr nicht auch?«

»Sei still«, befahl ihm Tullam, und Metaxgehorchte wie üblich sofort. Unterwürfigwartete er darauf, daß die anderen ihre Ge-danken austauschten.

»Wir werden für ihn kämpfen«, verkünde-te Uson. »Warum brechen wir nicht gleichauf? Je früher der Kampf beginnt, desto bes-ser.«

»Wir müssen erst einmal herausfinden,wo der Feind Grizzards ist«, stellte Bushmifest. Ihn vergnügte, daß die anderen daraufnoch nicht gekommen waren.

»Du hast recht«, erwiderte Tullam unwil-lig. Er mochte das psionische GelächterBushmis nicht.

»Würde es euch stören, wenn ich etwasdazu sage?« fragte Metax schüchtern.

»Durchaus nicht«, erwiderte Tullam.»Vielleicht ist es wichtig.«

»Es ist wichtig«, beteuerte Metax. »Ichhabe einige Späher erfaßt, die sich in derNähe der Insel herumgetrieben haben. Ichhabe sie abgehorcht. Daher weiß ich, woKennon zu finden ist. Kennon ist der Dieb,den wir bekämpfen sollen.«

»Das hast du gut gemacht«, lobte Tullamund schob Metax einen Brocken gegrilltesFleisch hin. Er wußte, daß Metax auf solcheZeichen der Anerkennung besonders positivreagierte.

Tullam bemerkte, daß Grizzard aufstand.»Können wir etwas für dich tun?« fragte

er, und Strezzo übermittelte seine Worte.»Ich würde gern wissen, welche Fähigkei-

ten ihr habt«, antwortete Grizzard. »Erstwenn ich das weiß, werden wir angreifen.«

»Ich kann die Gedanken aller lebendenWesen erfassen«, erklärte Tullam. »Aberdas können die anderen auch. Dann könnenwir jeden dazu veranlassen, das zu tun, waswir wollen. Notfalls können wir sogar errei-chen, daß jemand das Leben einstellt, wennwir wollen.«

»Sollen wir es dir beweisen?« fragte Usoneilfertig. »Bei Strezzo könnten wir es dir ambesten zeigen. Er stirbt bestimmt nicht frei-willig, sondern nur weil wir ihn dazu brin-gen.«

Der Pirat sprang schreiend auf. Er streckteden Moosons abwehrend die Hände entge-gen.

»Nein, nein«, rief er. »Nicht. Das dürft ihrnicht.«

Bushmi schnippte mit den Fingern, undStrezzo fiel wie vom Schlag getroffen um.

»Er hat das Leben eingestellt«, erläuterteBushmi erheitert.

Grizzard stürzte sich auf ihn und versuch-te, ihn wieder aufzurichten. Hilfesuchendblickte er die Moosons an. Er wußte nicht,wie er sich mit ihnen verständigen sollte.

»Es scheint ihm nicht zu gefallen«, sagteMetax verwundert.

»Wir wecken Strezzo wieder auf«, be-stimmte Tullam. »Wir benötigen ihn alsÜbersetzer. Also – gebt euch Mühe.«

»Es war töricht von dir, ausgerechnetStrezzo als Demonstrationsobjekt zu neh-men«, sagte Uson tadelnd zu Bushmi. »Duhättest einen anderen auswählen können, je-manden, der nicht so wichtig ist.«

Danach wandte er sich Strezzo zu undüberschüttete ihn mit psionischen Energien.Der Pirat stöhnte, schlug die Augen auf undgriff sich ans Herz. Dann erfaßte er, was ge-schehen war, und fiel in Ohnmacht. Dochdie Moosons gönnten ihm keine Ruhepause.Sie aktivierten seinen Kreislauf und stimu-

Mit den Kräften des Geistes 27

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lierten sein Nervensystem. Strezzo wachtewieder auf.

Er erhob sich und blickte sich verwirrtum. Dann schüttelte er sich wie ein Hund,der aus dem Wasser kommt.

»Ihr Bestien«, sagte er zornig. »Dasmacht ihr nicht noch einmal mit mir.«

Er rannte plötzlich los und stürmte auf dieBrücke zu.

»Strezzo«, rief Grizzard. »Keine Angst.Es passiert nicht noch einmal.«

Der Pirat rannte weiter bis an die Brücke.Hier blieb er stehen und hüpfte von einemBein aufs andere, als stehe er auf einer glü-henden Herdplatte. Er schlug die Händeüber dem Kopf zusammen und kehrte hüp-fend und tanzend zur Grizzard zurück.

»Wie fühlst du dich?« fragte dieser be-sorgt.

»Großartig«, antwortete der Pirat.»Weitaus besser, als ich mich in meinem er-sten Leben gefühlt habe.«

Er beugte sich vor und blickte Grizzardlachend in die Augen.

»Ich habe soeben eines der größten Rätselunserer Existenz gelöst«, erklärte er. »Ichweiß jetzt, daß es ein Leben nach dem Todegibt.«

Grizzard erschauerte.Strezzo hatte keine Lachfältchen in den

Augenwinkeln. Seine Augen sahen gläsernund leer aus. Nicht der Pirat hatte dieseWorte gesagt, sondern einer der Moosonswar es gewesen. Grizzard hatte kein Ver-ständnis für die Scherze des hamsterähnli-chen Wesens.

»Laßt ihn in Ruhe«, befahl er. »Ich willnicht, daß ihr ihn quält.«

Augenblicklich belebten sich die ZügeStrezzos. Verwirrt blickte er Grizzard an.

»Was war los, Herr?« fragte er ängstlich.»Habe ich geschlafen?«

»Es ist alles in Ordnung«, antworteteGrizzard. »Ich will, daß wir aufbrechen.«

»Die Moosons sind einverstanden«, erwi-derte Strezzo. »Sie wollen nur noch ihreKampfkleidung anlegen.«

Die vier Moosons eilten davon. Nach et-

wa fünf Minuten kehrten sie zurück. Sie tru-gen jetzt keine Hosen mehr, sondern nurnoch breite Gürtel mit mehreren Taschenund Schultergurte.

»Wir sind bereit«, erklärten sie durch denMund Strezzos.

Grizzard zögerte.Er zweifelte daran, daß er die Moosons

immer kontrollieren konnte. Sein Kampfgalt Kennon. Was aber würde geschehen,wenn die Moosons sich während des Kamp-fes vergaßen und über Unbeteiligte herfie-len?

Grizzard wurde sich der grenzenlosenMacht bewußt, die er mit den Moosons ge-wann. Zugleich aber erkannte er auch dieGefahren, auf die er sich einließ. Er fürchte-te, ihnen nicht gewachsen zu sein. Die Moo-sons verehrten ihn. Er aber war sicher, daßer nicht jener war, von dem in ihren Legen-den die Rede war. Daher befürchtete er eineKatastrophe für den Fall, daß die Moosonsdie Wahrheit erkannten.

Aus allen Richtungen näherten sich dieHelfer der Moosons. Einige hatten eine ent-fernt humanoide Gestalt, einige sahen insek-toid aus und einige schienen für ein Lebenim Wasser geschaffen zu sein. Grizzard be-obachtete voller Unbehagen ein Geschöpf,das wie ein riesiger Aal aussah. Es war etwasieben Meter lang und schob sich mitschlangenförmigen Bewegungen über denBoden. Aus seinem Rücken ragten gelbeund rote Federbüsche hervor. Die winzigenAugen lagen in tiefen Falten verborgen. DasGeschöpf richtete sich vor Grizzard bis inAugenhöhe auf und öffnete das Maul vorihm. Grizzard blickte auf zwei Reihen mes-serscharfer Zähne.

»Laßt uns aufbrechen«, bat er. »Je eherwir alles hinter uns haben, desto besser.«

6.

Dartun stürzte atemlos in die Hütte, in derSinclair Marout Kennon saß.

»Wir haben Erfolg«, schrie er. »MeineSpäher haben Helfer für dich gefunden. Vie-

28 H. G. Francis

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le Helfer.«Der Terraner sprang auf.»Ist das wirklich wahr?« fragte er zwei-

felnd.»Es ist wahr«, beteuerte der Weiße.»Komm mit. Ich zeige sie dir.«Er zerrte Kennon aus der Hütte. Er war so

aufgeregt, daß er vollkommen vergaß, wür-devoll aufzutreten. Ihm kam es nur daraufan, Kennon zu zeigen, welch wertvollenDienst er ihm geleistet hatte. Die beidenMänner eilten zu einem Hügel in der Näheder Hütte.

»Von da oben kannst du sie sehen«, ver-kündete Dartun.

Als Kennon den Hügel erstiegen hatte,hielt er überrascht den Atem an. Aus deminneren Bereich der Senke der VerlorenenSeelen näherte sich eine Heerschar von etwazweihundert fremdartigen Wesen, wie sieihm noch niemals zuvor begegnet waren. Ersah vogelähnliche Geschöpfe mit mächtigenSchwingen, menschenähnliche Riesen, diefast fünf Meter groß waren, Echsen, Vielbei-ner und Insektoide. Quallenähnliche Ge-schöpfe schwebten über den Boden dahin.Einige Geschöpfe trugen gepanzerte Raum-anzüge. Kennon konnte sich vorstellen, daßsie unter ganz besonderen Schwierigkeitenlitten. Da sie in der Sauerstoffatmosphärevon Pthor nicht existieren konnten, mußtensie von den Vorräten zehren, die sie bei sichtrugen. Wenn sie keinen Nachschub erhiel-ten, erstickten sie.

»Ist das nicht phantastisch?« rief Dartun.»Da hast du alles, was du brauchst. Unterdiesen Fremden sind Kämpfer aller Art. Mitihrer Hilfe schlägst du alles in die Flucht,was sich in deine Nähe wagt.«

»Das wird sich zeigen«, erwiderte Ken-non zurückhaltend. Er teilte den OptimismusDartuns nicht, beurteilte seine Lage nun abernicht mehr so schlecht wie zuvor.

Jetzt hatte er immerhin die Möglichkeit,Grizzard und seine Helfer an vielen Frontenanzugreifen. Er glaubte nicht daran, daß dieMoosons in der Lage waren, so viele unter-schiedliche Intelligenzwesen gleichzeitig

hypnosuggestiv zu beeinflussen.»Deine Leute haben gute Arbeit gelei-

stet«, sagte er und führte den Weißen vomHügel herunter. »Komm. Wir wollen uns an-sehen, was unsere Helfer können. Danachwerden wir eine Kampftaktik ausarbeiten,mit der wir die Moosons überraschen.«

Die Bewohner der Siedlung liefen derHeerschar der Fremden entgegen. Aufgeregtschwatzten sie miteinander. Dartun lächeltezufrieden. Er glaubte, sein Versprechen er-füllt zu haben.

Als Kennon den Rand der Siedlung er-reichte, wartete die Kampftruppe bereits aufihn. Ein Dello kam ihm freudestrahlend ent-gegen und berichtete von seinem Erfolg.

»Ich habe mit jedem einzelnen von ihnengesprochen«, erklärte er, »soweit das mög-lich war. Alle wissen, um was es geht. Undalle sind bereit, alles zu geben.«

Kennon betrachtete einige der fremdarti-gen Gestalten. Sie alle machten einen furch-terregenden Eindruck. Kennon glaubte nicht,daß er auch nur einen von ihnen in direktemZweikampf besiegen konnte.

»Du hast gute Arbeit geleistet«, sagte er.Dann ging er zu jedem der Fremden hin, umihn zu begrüßen. Einige von ihnen sprachenihn an, doch er verstand sie nicht, da ihmauch ihre Gestik fremd war. Er bemühte sichjedoch, freundlich zu ihnen zu sein, da erwußte, wie sehr er auf sie angewiesen war.

Die meisten der Fremden waren größerund massiger als er. Der größte war fast fünfMeter hoch. Er hatte vier säulenartige Beine,die einen tonnenförmigen Körper trugen.Auf ihm thronte ein Echsenkopf mit ausla-denden Kiefern. Eine zottige Mähne reichteweit über den Rücken herab.

Der kleinste der Fremden überragte Ken-non nur wenig. Er war humanoid, hatte je-doch einen Vogelkopf mit scharf geboge-nem Raubtierschnabel. Allen war gemein-sam, daß sie intelligent waren.

»Bist du zufrieden?« fragte Dartun.»Allerdings«, antwortete Kennon. »Das

ist mehr, als ich erwarten durfte.«Ein schriller Pfiff ertönte. Der Weiße fuhr

Mit den Kräften des Geistes 29

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erschrocken herum.»Was ist los?« fragte Kennon. Er sah, daß

einige Männer auf einem Hügel standen. Siewinkten erregt zu ihnen herüber.

»Grizzard kommt«, erklärte Dartun. »Ergreift an.«

Bestürzt blickte Kennon ihn an. »Das istzu früh«, sagte er. »Wir sind nicht vorberei-tet.«

»Du mußt kämpfen«, erwiderte Dartun.»Du hast keine andere Wahl.«

Kennon eilte zu dem Hügel hinüber, aufdem die Männer Dartuns standen. Er kletter-te hinauf und blickte nach Norden. Von dorther näherten sich Grizzard und seine neuenFreunde. Der Terraner erkannte seinen Geg-ner mühelos an der blitzenden Rüstung. Dievier Moosons gingen neben ihm. Sie über-ragten ihn weit.

Kennon war ratlos.Er konnte Grizzard nur die bunte Schar

seiner Helfer entgegenschicken, doch erwußte, daß das nicht ausreichte. Diese Lö-sung befriedigte ihn nicht. Er glaubte nichtdaran, daß er eine Chance hatte, die Moo-sons zu besiegen, durfte sich seine Zweifelden anderen gegenüber jedoch nicht anmer-ken lassen.

Er kehrte zu Dartun zurück.»Wir werden sie schlagen«, behauptete er

und setzte ein zuversichtliches Lächeln auf.Er winkte den Dello zu sich heran. »Duwirst sie führen. Sie sollen Grizzard und sei-ne Helfer vertreiben. Dabei ist nicht notwen-dig, daß sie sie umbringen. Es genügt, wennsie ihnen eine gehörige Tracht Prügel ver-passen.«

Der Dello hob die geballten Fäuste. »Wirwerden siegen«, entgegnete er. Dann drehteer sich um und rief der Kampftruppe etwaszu, was Kennon nicht verstand. Die fremdar-tigen Wesen wurden unruhig. Auch sieschienen nicht damit gerechnet zu haben,daß der Kampf so bald beginnen würde.Doch sie schreckten davon nicht zurück. Sieschlossen sich dem Dello an und eilten Griz-zard entgegen.

Kennon wollte ebenfalls mitgehen, doch

Dartun hielt ihn fest.»Du darfst nicht kämpfen«, erklärte er.

»Darauf wartet Grizzard nur. Wir sind zah-lenmäßig weit überlegen. Das muß genügen.Da spielt es keine Rolle, ob du dabei bistoder nicht.«

Kennon sah ein, daß er recht hatte, den-noch widerstrebte es ihm, andere für sichkämpfen zu lassen und selbst nichts zu tun,zumal er seinen Helfern kaum mehr bietenkonnte als Versprechungen.

Dartun ließ jedoch nicht zu, daß er sichden Kämpfern anschloß. Er zog ihn zu demHügel, von dem aus er das Schlachtfeldübersehen konnte.

Die beiden Kampfgruppen stürmten auf-einander los. Kennon sah, daß sich auchGrizzard zurückhielt. Der Mann in der Por-quetorrüstung verharrte auf einer Anhöhe.Die vier Moosons blieben bei ihm.

In ihnen sah der Terraner seine eigentli-chen Gegner.

Die Kampfgruppen prallten aufeinander.Die meisten der Fremden brüllten und lärm-ten, während sie aufeinander einhieben undsich gegenseitig zu Boden zu werfen such-ten.

Innerhalb von wenigen Sekunden bildetesich ein derartiges Durcheinander, daß Ken-non nicht mehr wußte, wer eigentlich fürwen kämpfte. Die Helfer Grizzards warenvon den anderen nicht mehr zu unterschei-den.

Doch schon bald blieben einige der Ge-stalten gefesselt oder bewußtlos auf demKampffeld liegen.

»Siehst du es?« schrie Dartun begeistert.»Wir gewinnen. Die anderen haben keineChance.«

Tatsächlich schien es, als könnte KennonGrizzard zurückschlagen, doch dann bewie-sen die Moosons ihre wahre Stärke. Als sichdie Überlegenheit der Helfer des Terranersallzu deutlich zeigte, griffen sie ein, undplötzlich war der Kampf vorbei.

»Was ist los?« rief Dartun entsetzt.»Warum kämpfen sie nicht mehr?«

Die Helfer Kennons standen wie erstarrt

30 H. G. Francis

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auf dem Kampffeld. Einige Sekunden ver-strichen, dann setzten die meisten von ihnensich auf den Boden. Sie blickten zu Grizzardund den Moosons hinüber.

»Wir haben verloren«, sagte Kennon.»Die Moosons zwingen ihnen ihren Willenauf.«

Porquetor und die vier parapsychisch be-gabten Wesen setzten sich in Bewegung. Sieschritten auf die Siedlung der Vieräugigenzu.

»Ich muß weg«, sagte Kennon. »Ich kannnicht hier bleiben. Wir haben verloren.«

Dartun hielt ihn mit beiden Händen fest.»Und was wird aus uns?« fragte er be-

stürzt. »Haben wir auch alles verloren? Ichhabe getan, was in meiner Macht stand. Wiekonnte ich wissen, daß die Moosons überderartige Zauberkräfte verfügen?«

Sinclair Marout Kennon lächelte müde.»Du brauchst dir keine Sorgen zu ma-

chen, Dartun. Ich werde mit Atlan reden, so-fern mir das noch möglich ist. Ich werde al-les tun, damit er Pthor zu eurer Heimat führt.Doch das kann ich nicht, wenn ich bleibe.Ich muß vor Grizzard fliehen. Vielleicht fin-de ich irgendwo jemanden, der sich gegendie Moosons behaupten kann.«

»Und wenn du keinen findest?«Kennon zuckte mit den Schultern. Darauf

wußte er keine Antwort.»Ich wünsche dir viel Glück«, sagte der

Weiße.Kennon drehte sich um und eilte davon.Dartun blickte ihm nachdenklich nach, bis

er ihn aus den Augen verlor.

*

Sinclair Marout Kennon fühlte, daß etwasnach ihm griff, während er aus der Siedlungder Vieräugigen flüchtete. Es war, als schie-be sich eine unsichtbare Hand unter seineKleidung und lege sich um sein Herz, um eslangsam und unbarmherzig zusammenzu-drücken.

Vor seinen Augen begann es zu flimmern.Er konnte nur noch mühsam atmen. Die Bei-

ne wurden ihm schwer, so daß er nur nochlangsam vorankam.

Er war sich dessen bewußt, daß es dieMoosons waren, die ihn mit ihren psioni-schen Energien einzufangen versuchten.

Kennon kämpfte gegen die aufkommendePanik an. Er wußte, daß er den Moosons da-durch am meisten Hilfe leistete, daß er mitseinen Gedanken auf ihre Angriffe reagierte.Sie konnten ihn nicht sehen, aber sie erfaß-ten seine Gedanken, und daher fiel es ihnenum so leichter, ihn zu halten, je mehr er ansie dachte.

Mit aller Kraft versuchte er, sich abzulen-ken und nicht auf das zu reagieren, was inihm geschah. Das erforderte eine geradezuunmenschliche Anstrengung. Er spürte, wiesehr die psionischen Energien das Herz ein-schnürten und damit Sauerstoffnot im Herz-muskel bewirkten. Heftige Schmerzen über-fluteten seine linke Körperseite, und dieBrust wurde ihm so eng, daß er kaum nochatmen konnte.

Dennoch schaffte Kennon es, an etwasanderes zu denken. Er schirmte sich ab, so-weit es ihm möglich war, und konzentriertesich auf eine hyperphysikalische Theorie,die in sich einige paramentale Überlegungenbarg, wie sie für Nichtterrestrier kaum ver-ständlich war.

Je mehr er sich darauf konzentrierte, destofreier wurde er. Dabei war er sich dessen be-wußt, daß die Moosons sich leicht auf ihneinpeilen konnten, wenn sie seinen Überle-gungen folgten. Doch das war offenbar zuschwierig für sie. Sie ließen von ihm ab. Nurhin und wieder spürte er ihre tastenden Vor-stöße, die ihn jedoch nicht ernsthaft gefähr-deten.

Kennons Zuversicht stieg.Das Verhalten der Moosons bewies ihm,

daß diese es nicht gewohnt waren, auf Wi-derstand zu stoßen. Kennon zweifelte nichtdaran, daß die Mutanten der terranischenMutantenkorps ihn eingeholt und überwäl-tigt hätten. Die Moosons aber schienenglücklicherweise nicht so stark zu sein wiesie.

Mit den Kräften des Geistes 31

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Als Kennon etwa fünf Kilometer von derSiedlung der Vieräugigen entfernt war, blieber stehen und blickte zurück. Er war amRand der Senke entlanggelaufen. Jetzt woll-te er sich ihrer Mitte zuwenden, denn nurdort konnte er hoffen, Helfer zu finden, diesich gegen die Moosons behaupten konnten.

Bei der Siedlung Dartuns war alles ruhig.Nichts deutete darauf hin, daß dort noch ge-kämpft wurde. Grizzards Sieg schien voll-kommen zu sein, abgesehen davon, daß ersein wichtigstes Ziel nicht erreicht hatte.

*

Dartun erwachte wie aus einem Traum.Verwirrt blickte er sich um. Er kauerte auf

einem Hügel mitten in der Siedlung. Zwi-schen den Häusern saßen und lagen Männer,Frauen und Kinder, denen es ähnlich ergingwie ihm. Auch sie schienen nicht zu wissen,wo sie waren.

Dann aber sah Dartun vier riesige Gestal-ten, zwischen denen Grizzard in seiner Por-quetorrüstung ging. Sie entfernten sich vomDorf. Er erinnerte sich wieder an das, wasgeschehen war, und ihm dämmerte, daß dieMoosons dafür verantwortlich waren, daß ersich so hilflos fühlte.

Von den mehr als zweihundert Helfern,die Kennons Streitmacht ausgemacht hatten,waren nur noch wenige da. Die meisten vonihnen schienen ins Innere der Senke zurück-gekehrt zu sein.

Einige Minuten verstrichen. Während die-ser Zeit verschwanden die Moosons undGrizzard aus dem Sichtfeld Dartuns, dermehr und mehr zur Wirklichkeit zurückfand.

Er erhob sich und verließ den Hügel. Erfragte einige Männer und Frauen nach denDellos, doch niemand war in der Lage, ihmAuskunft zu geben. Schließlich erreichte erden Rand der Siedlung. Hier fand er zweiDellos. Sie saßen im Sand und blickten insLeere. Bei ihnen kauerte ein achtbeiniges,echsenähnliches Wesen. Es verzehrte dieÄste eines Baumes. Krachend zersplittertedas Holz zwischen den kegelförmigen Zäh-

nen.Dartun sah sieben andere Wesen, die sich

von der Siedlung entfernten. Sie liefen nachNorden und kehrten in die inneren Bereicheder Senke zurück, aus denen sie gekommenwaren.

Dartun stieß einen der Dellos an.»Hilf mir«, befahl er. »Ich möchte, daß

dieser Fremde mich trägt.«Er zeigte auf das Echsenwesen.»Ich will zur FESTUNG.«»Ich versuche es«, erwiderte der Dello zö-

gernd. Er erhob sich und ging zu dem Ech-senwesen hin. Er kniete vor ihm nieder undsprach leise auf es ein. Das fremdartige Ge-schöpf beachtete ihn zunächst nicht, antwor-tete schließlich jedoch mit einigen Lauten,die Dartun unverständlich waren. Der Delloschien jedoch zu wissen, was gemeint war.Er redete weiter, wobei er eine seltsame Mi-schung aus Pthora und fremden Sprachenbenutzte.

Schließlich wandte er sich Dartun wiederzu.

»Du willst, daß die Echse dich auf demRücken zur FESTUNG trägt. Warum?«

»Bis zur FESTUNG ist es weit«, antwor-tete der Weiße. »Ich würde mehrere Tagebenötigen, wenn ich auf jede Hilfe verzichte,bis ich dort bin. Ich muß aber schnell dort-hin kommen. Deshalb soll die Echse michtragen. Ich werde dafür sorgen, daß siereichlich belohnt wird.«

Dartun wußte nicht, was er tun mußte, so-bald er die FESTUNG erreicht hatte. Erhoffte, daß er irgend etwas finden würde,womit er die Echse ausreichend belohnenkonnte. Das Wesen warf den Kopf hin undher und winkte ihm mit einer Tatze.

»Du sollst dich auf den Rücken setzen«,erklärte der Dello.

Dartun kam der Aufforderung nach. Erklammerte sich mit den Händen an einigeschuppenartige Auswüchse. Die Echsestreckte sich und rannte los. Sie stürmte soschnell voran, daß der Weiße fast von ihremRücken gefallen wäre.

Dartun hielt sich fest und wartete ab. Er

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war überzeugt davon, daß sie früher oderspäter langsamer laufen würde, doch ertäuschte sich. Sie stürmte mit unverminder-ter Geschwindigkeit weiter. Stunde umStunde verstrich, ohne daß sie Ermüdungser-scheinungen zeigte.

Die FESTUNG kam in Sicht, bevor dieDunkelheit hereinbrach.

*

Grizzard befand sich in euphorischerStimmung. Er sah, wie der Angriff der Hilf-struppen Kennons zusammenbrach, ohnedaß er selbst etwas tun mußte. Die Moosonsübernahmen es, Kennons Streitmacht zu zer-schlagen.

»Und wo ist Kennon?« fragte Strezzo, alsder Kampf beendet war.

»Das werden wir bald wissen«, entgegne-te Grizzard. Er marschierte zusammen mitStrezzo auf die Siedlung zu. Dabei ging ermitten durch die Gruppen der fremdartigenWesen hindurch, die tatenlos auf der Ebenestanden. Die Moosons veranlaßten immerwieder einige von ihnen, sich abzuwendenund zu entfernen.

»Warum jagen sie nicht alle auf einmal indie Flucht?« fragte Strezzo. »Das wäre dochviel besser.«

Grizzard machte einen respektvollen Bo-gen um ein schlangenähnliches Wesen.

»Vielleicht können sie sie so besser kon-trollieren«, sagte er. »Ich weiß es nicht. Wirwerden die Moosons fragen.«

Er erreichte die Siedlung. Die Männer,Frauen und Kinder saßen oder lagen aufdem Boden. Sie blickten ins Leere. AufGrizzard wirkten sie wie Puppen.

Er sprach einige von ihnen an, erhielt je-doch keine Antwort.

Einer der Moosons kam zu ihm. Er er-kannte Tullam, den Zweifler.

»Ich werde dir helfen«, versprach derMooson. »Wir haben sie voll unter Kontrol-le. Ohne uns geht nichts.«

»Ich will wissen, wo Kennon ist«, erklärteGrizzard. »Um ihn geht es. Die anderen in-

teressieren mich nicht.«Einer der Vieräugigen erhob sich plötz-

lich. Er blickte Grizzard an. Er hatte weißesHaar, das ihm bis fast an die Hüften reichte.

»Was kann ich für dich tun?« fragte er.Grizzard wiederholte seine Frage nach

Kennon. Wortlos stieg der Vieräugige aufeinen Hügel und zeigte nach Westen. Griz-zard sah eine humanoide Gestalt, die etwafünf Kilometer von ihm entfernt war.

»Das ist er«, erklärte der Weißhaarige.»Er entkommt uns nicht«, teilte Tullam

durch den Mund Strezzos mit.Kennon verschwand hinter einer Boden-

welle.»Wenn wir uns beeilen, haben wir ihn

noch vor Einbruch der Dunkelheit«, sagteGrizzard. »Wir wollen keine Zeit verlieren.«

Tullam versetzte den Vieräugigen wiederin Trance und rief die anderen drei Moosonsherbei.

»Wir könnten ihn mit unseren geistigenKräften einfangen«, sagte er zu Grizzard.

Dieser schüttelte den Kopf, nachdemStrezzo die Worte übermittelt hatte.

»Wir holen ihn ein«, erwiderte er. »Dasist jetzt kein Problem mehr. Ich will ihn vormir haben, wenn wir ihn packen.«

*

Kennon blieb vor dem Eingang einerHöhle stehen. Aus dem Dunkel kam ihm einstabförmiges Wesen entgegen. Es war etwaanderthalb Meter hoch und schwebte auf ei-nem blau schimmernden Energiefeld. Dasobere Ende des Rumpfes verschwand imNichts.

Kennon blickte es verwirrt an. Er glaubte,einer optischen Täuschung zum Opfer zufallen. Doch als das Wesen nur noch etwazwei Meter von ihm entfernt war, sah er, daßer sich nicht geirrt hatte. Was auch immersich über dem stabförmigen Rumpf erhob,es war nicht zu sehen. So konnte der Terra-ner nicht feststellen, ob sein Gegenübereinen Kopf oder Arme hatte. Das obere En-de des Stabes wurde allmählich transparent

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und schien ins Nichts hineinzureichen.»Komm herein«, sagte das seltsame We-

sen in einer Sprache, die Kennon jedoch mü-helos verstand, ohne sie einordnen zu kön-nen. »Die Moosons sind dir auf den Fersen.Du kannst ihnen nicht entkommen. Es seidenn, daß wir dir helfen.«

»Danke«, entgegnete Kennon. »Ich wäredir dankbar für deine Hilfe.«

Das Stabwesen wich zurück. Er folgteihm, plötzlich schloß sich die Felswand hin-ter ihm. Verblüfft drehte er sich um undblickte auf das Gestein. Es sah aus, als sei esschon seit Jahrtausenden dort.

»Wer bist du?« fragte Kennon.»Man nennt mich Sthoron«, antwortete

der Stab. »Laß dich nicht täuschen. Das istnur ein optischer Trick. Die Moosons haltenwir damit nicht zurück.«

Sthoron schwebte lautlos in einen schrägin die Tiefe führenden Gang hinein. DasEnergiefeld, auf dem er sich bewegte, ver-breitete soviel Licht, daß Kennon genügendsehen konnte. Er folgte dem geheimnisvol-len Wesen.

»Warum hilfst du mir?« fragte er.»Ich hasse die Moosons«, antwortete

Sthoron. »Genügt das?«»Vorläufig – ja. Später würde ich gern

mehr wissen.«»Du wirst mehr erfahren. Vielleicht.«Der Felsstollen mündete in eine Höhle, an

deren Wandungen leuchtende Scheibenklebten. Sie pulsierten und strahlten einbläuliches Licht aus, in dem Kennon eineReihe von einfachen Hütten ausmachte, dieum einen unterirdischen Bach errichtet wa-ren. Vor ihnen brannten offene Feuer, überdenen die Bewohner der Hütten Fleisch gar-ten. Es waren humanoide Gestalten, die vorden Hütten saßen. Die meisten von ihnenglaubte Kennon als Dalazaaren einstufen zukönnen. Doch als er sie aus der Nähe sah,merkte er, daß er sich getäuscht hatte. Siehatten nicht zwei Augen wie die Dalazaaren,sondern eine Vielzahl von facettenartigenGebilden, die ihr ganzes Gesicht bedeckten.

Sthoron verharrte vor einem der Feuer.

»Nimm Platz«, forderte er Kennon auf.Dieser setzte sich, blickte jedoch voller

Unbehagen zu dem Felsgang hinüber, durchden er in die Höhle gekommen war. Er er-wartete, dort Grizzard oder die Moosons zusehen.

»Du bist in Sicherheit«, behauptete dasstabförmige Wesen. »Die Moosons werdennicht kommen. Sie wissen nicht, wo dubist.«

Kennon wollte eine Frage stellen, dochSthoron fuhr fort: »Diese Männer lenken dieMoosons von uns ab. Und die Decke überuns hilft ihnen dabei. In ihr verbirgt sich einMineral, das die Moosons mit ihren geisti-gen Kräften offenbar nicht durchdringenkönnen.«

Kennon blickte überrascht auf. Ihm warkein Material bekannt, das gegen parapsy-chische Kräfte abschirmte.

»Dann kennst du die Moosons schon län-ger«, sagte er. »Du weißt, wer sie sind.«

»Ich weiß es«, erwiderte Sthoron. »Siehaben lange auf Kosten meines Volkes ge-lebt. Sie haben uns ausgelaugt, so daß füruns selbst nichts mehr blieb. Mit ihren be-sonderen Fähigkeiten haben sie mein Volkunterjocht und gezwungen, ausschließlichfür sie zu arbeiten, bis eines Tages Pthor aufunserem Planeten erschien und denSchrecken noch steigerte.«

Kennon schwieg und wartete ab. Er wußtenicht, ob Sthoron die Wahrheit sagte. Erzweifelte, da unklar blieb, wie die Moosonsauf die Heimatwelt des stabförmigen We-sens gekommen waren.

Einige Minuten verstrichen, dann fuhrSthoron fort und gab Kennon eine Antwortauf die unausgesprochene Frage.

»Ein Raumschiff landete auf Thol. Dievier Moosons wurden von Maschinen her-ausgetragen. Wir haben es beobachtet. Wirdachten, sie seien tot, aber wir irrten uns.Als das Raumschiff wieder startete, begannfür uns der Alptraum: Ich glaube, die Moo-sons sind von einer fremden Macht von ih-rem Planeten entführt worden, die erst nachdem Start merkte, mit wem sie sich da ein-

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gelassen hatte. Wahrscheinlich wähnte sichdiese Macht während des Raumflugs ingroßer Gefahr. Daher hat sie die Moosonskurzerhand hinausgeworfen.«

»Das hört sich plausibel an«, entgegneteKennon. »Aber was soll jetzt geschehen?Die Moosons werden mich weiterhin su-chen. Grizzard gibt nicht so ohne weiteresauf. Er hat gesehen, daß ich in eine Boden-falte gegangen, aber nicht wieder daraushervorgekommen bin. Früher oder späterwird er mir folgen.«

»Er wird dich nicht finden.« Das Energie-feld, auf dem Sthoron schwebte, veränderteseine Farbe und wurde violett. »Das bringtihn in Schwierigkeiten. Die Moosons wer-den an ihm zweifeln.«

Damit verriet das stabförmige Wesen, daßes so gut wie alles über Grizzard und seineAbmachungen mit den Moosons wußte.Kennon stellte keine Fragen. Er ahnte längst,worauf sich die Macht Grizzards über diehamsterähnlichen Wesen gründete. Es konn-te nur daran liegen, daß er mentalstabilisiertwar und sich damit dem Einfluß der Moo-sons entzog. Daraus ergaben sich für Ken-non weitere Konsequenzen. Grizzard kanntenun einen der Vorzüge des Kennonkörpersund wußte ihn zu nutzen. Doch das war keinGrund für ihn, sich mit diesem Körper abzu-finden.

»Habt ihr euch nicht gegen die Moosonsgewehrt?« fragte Kennon.

»Das haben wir getan. Wir haben sogareinen Krieg ihretwegen geführt. Wir habenherausgefunden, daß die Moosons Schlan-gen für göttliche Wesen halten, wobei es ei-ne Reihe von Gottheiten mit unterschiedli-cher Bedeutung für sie gibt. In unserem Lan-de gab es keine Schlangen. Deshalb mußtenwir sie aus einem anderen holen. Das aberwar nicht ohne Krieg möglich. Als wir dieSchlangen hatten, haben wir sie den Moo-sons gezeigt. Sie änderten ihr Verhalten. Sietaten, was wir wollten. Leider ertrugen dieSchlangen unser Klima nicht. Sie starbenbald, und die Moosons gerieten wieder au-ßer Kontrolle.«

»Ich verstehe«, sagte Kennon. Er lächelte.»Damit willst du mir sagen, daß ich versu-chen soll, eine Schlange zu finden. Ich sollsie den Moosons zeigen. Damit hätte ichdann schon fast gewonnen.«

»Danach brauchtest du nur noch mit Griz-zard fertig zu werden. Die Moosons werdenuntätig bleiben, oder sie werden auf ihre In-sel flüchten, auf der sie vor Schlangen sichersind.«

»Wieso sollten sie flüchten?« fragte Ken-non überrascht.

»Zuweilen lebt es sich ohne Gottheit bes-ser«, antwortete das stabförmige Wesen.

7.

Grizzard blieb stehen. Überrascht blickteer sich um. Er stand am Rand einer Senke,die etwa zehn Meter tief war, und die nichtsenthielt außer einigen Steinen.

»Wo ist er geblieben?« fragte er und dreh-te sich nach den Moosons um. Die setztensich hinter ihm auf den Boden.

»Wir wissen es nicht«, antworteten siedurch den Mund Strezzos. »Er müßte hiersein. Hier haben wir ihn verloren.«

»Hier ist er aber nicht«, erwiderte Griz-zard gereizt.

Er eilte bis auf den Grund der Senke dieeinen Durchmesser von etwa fünfzig Meternhatte. Nervös suchte er den Boden nach Spu-ren ab. Die Moosons wollten ihm folgen,doch er wies sie zurück, da er fürchtete, daßsie die Fußabdrücke Kennons zerstören wür-den. Im feinen Sand zeichnete sich ohnehinkaum etwas ab, da ein leichter Wind dieSpuren verwehte. So blieben Grizzard nurwenige Anzeichen. Er konnte zu wenigdurch die Schlitze seiner Rüstung sehen undkroch aus ihr hervor.

Wenig später schon entdeckte er einenGrashalm, der abgeknickt war. Aus seinerForm leitete er eine Spur ab. Zu seiner eige-nen Überraschung fand er zwei Abdrücke,die er vorher übersehen hatte. Und wieder-um zog er aus ihnen Schlüsse, auf die er frü-her nie gekommen wäre.

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Verdutzt verharrte er auf der Stelle. Erhatte nie ein kriminalistisches Talent gehabt.Jedenfalls erinnerte er sich nicht daran.Doch das hatte nur wenig zu bedeuten. SeineVergangenheit lag für ihn im Dunkel, undnur vereinzelt gab es Lichtblicke.

»Was ist los? Warum machst du nichtweiter?« rief Strezzo.

Grizzard fuhr zusammen. Mit einer Gestegab er dem Piraten zu verstehen, daß alles inOrdnung war, und daß er ihn nicht störensollte. Er kroch über den Boden an der Spurentlang, bis er vor einem Felsen kauerte, dermehrere Meter hoch war. Hier endete dieSpur.

»Komm mal her«, befahl Grizzard. Strez-zo gehorchte. Er eilte zu ihm.

»Glaubst du, daß Kennon auf den Felsengeklettert ist?« fragte Grizzard und richtetesich auf.

»Wozu sollte er das getan haben?« Strez-zo stieg an dem Felsen hoch, entdecktenichts Besonderes an ihm und kam wiederherunter.

»Dann ist er in den Felsen gegangen.«Der Pirat schüttelte den Kopf.»Du machst dich über mich lustig«, sagte

er.Grizzard kehrte zu seiner Rüstung zurück

und stieg hinein. Dabei rief er die Moosonszu sich.

»Was ist mit dem Felsen los?« fragte er.»Wir sind uns darüber nicht einig«, erwi-

derte Tullam. »Uson glaubt, daß er gar nichtda ist, aber das stimmt nicht. Er ist da.«

Grizzard überlegte kurz. Dann marschier-te er zu dem Felsen, holte aus und schlug dierechte mit voller Kraft dagegen. Das Gesteinbrach auseinander, und ein Höhleneingangwurde frei.

Die Moosons schrien auf.»Wir haben ihn«, rief Strezzo. »Er ist da

drinnen.«Grizzard schlug abermals zu und entfernte

weitere Felsbrocken. Dann stieg er über ei-nige Steine hinweg und betrat den Spalt, dersich vor ihm aufgetan hatte. Strezzo folgteihm. Die Moosons blieben zurück. Für sie

war der Stollen im Fels zu eng.Grizzard blieb stehen und blickte zu ihnen

zurück.»Wenn er wirklich irgendwo hier unten

ist, dann versucht er vielleicht, durch eineandere Öffnung zu entkommen. Stellt euchoben auf der Anhöhe auf, von wo ihr einenguten Überblick habt, und packt ihn, wenner sich sehen läßt. Er darf nicht noch einmalentkommen.«

»Du kannst dich auf uns verlassen«, erwi-derte Metax unterwürfig. Er ging soweit,Strezzo, der seine Worte übermittelte, zumehreren Verbeugungen zu zwingen.

Grizzard eilte nun in den Felsstollen. Erspürte, daß er dicht vor dem Ziel war. Ken-non war in eine Falle gelaufen, aus der eskeinen Ausweg mehr für ihn gab.

Er zitterte vor Erregung. Dieses Mal wür-de ihm niemand mehr in die Quere kommen.Er würde Kennon mit Hilfe der Moosonsaus seinem Körper vertreiben und ihm keineChance geben, ihn zurückzugewinnen.

»Da vorn ist jemand«, flüsterte Strezzoihm zu. »Hörst du? Sie schreien.«

Tatsächlich vernahm Grizzard die Schreievon fremdartigen Wesen. Sie waren schrillund zeigten ihm an, daß man ihn bemerkthatte. Er stürmte noch schneller voran alsbisher.

Als sich die Höhle vor ihm weitete, ent-deckte er Kennon, der vor ihm zurückwichund über eine in den Stein geschlageneTreppe flüchten wollte. Ein stabförmigesWesen glitt Grizzard-Porquetor entgegen.Etwa zehn humanoide Gestalten folgtenihm.

»Sei vorsichtig«, rief Strezzo, der hinterihm blieb.

Grizzard marschierte furchtlos weiter. Erfühlte sich in seiner Rüstung sicher.

Das stabförmige Wesen bildete einenArm. Diesen streckte es dem Gepanzertenentgegen. Grizzard holte mit dem linkenArm aus und schmetterte ihn kraftvoll gegendas seltsame Geschöpf. Er fürchtete, damitwenig zu erreichen, weil der Stab keinerleiAnstalten machte, dem Hieb auszuweichen.

36 H. G. Francis

Page 37: Mit den Kräften des Geistes

Doch dann traf seine Hand den schlankenKörper und schleuderte ihn hinweg. Griz-zard beobachtete, daß der Stab etwa zehnMeter entfernt von ihm gegen die Wandflog, auseinanderbrach und zu Boden stürz-te.

Die humanoiden Gestalten zögerten. Mitoffensichtlichem Entsetzen blickten sie zudem getöteten Stab hinüber. Sie sahen, wiedas blaue Energiefeld sich verfärbte und all-mählich erlosch.

Grizzard wartete. Er wollte nicht angrei-fen, bevor sicher war, daß man sich ihm ent-gegenstellte. Doch plötzlich schrien die Hu-manoiden wütend auf und warfen sich aufihn.

Grizzard steuerte die Porquetorrüstung.Die stählernen Arme wirbelten durch dieLuft. Die Fäuste trafen und fegten die Geg-ner hinweg. Doch diese rafften sich immerwieder auf und griffen erneut an.

Strezzo hatte einen Knüppel gefunden.Diesen ließ er über dem Kopf kreisen undschlug damit zu, sobald sich einer der Höh-lenbewohner in seine Nähe wagte.

Grizzard marschierte voran. Er sah Ken-non am Ende der Treppe stehen und warten.Der Terraner schien zu glauben, daß sich derKampf doch noch wenden könne. Er gabden Höhlenbewohnern noch Chancen. SeineHaltung steigerte den Zorn Grizzards.Wuchtig schlagend bahnte er sich seinenWeg durch die Höhle. Er nahm keine Rück-sicht mehr und versuchte, seine Fäuste soeinzusetzen, daß seine Gegner kampfunfähigwurden. Es gelang ihm, mehrere so zu tref-fen, daß sie bewußtlos liegen blieben.

Kennon eilte die Treppe hinab auf Griz-zard zu, als sich einige Männer an die Rü-stung hängten und versuchten, sie umzustür-zen. Es gelang ihnen nicht. Der Terranerrannte zu einem Feuer, über dem an einemEisengerät ein Topf hing. Er nahm ihn ansich und schüttete Grizzard den kochendenInhalt entgegen, erzielte damit jedoch kei-nerlei Wirkung.

Strezzo schleuderte ein Stück Holz nachihm, verfehlte ihn jedoch knapp. Kennon

flüchtete zu einem Holzstapel. Er ergriffeinen Baumstamm, der etwa zwei Meterlang war. Damit stürmte er auf Grizzard zu.Er rammte ihm den Baumstamm vor dieBrust. Die Porquetorrüstung neigte sich nachhinten. Kennon holte erneut aus, um sie end-gültig umzustoßen. Er wußte, daß darin sei-ne einzige Chance lag.

Strezzo erkannte die Gefahr.Er warf sich von hinten mit aller Kraft ge-

gen Grizzard und fing ihn auf diese Weiseab. Die Rüstung richtete sich wieder auf.Kennon wich zurück. Er hörte, daß Grizzardin seiner Rüstung höhnisch lachte.

Die Höhlenbewohner warteten ab. Siehatten die Kraft des Stählernen gespürt. Jetztwar ihnen nur recht, wenn Kennon alleinversuchte, den Kampf zu entscheiden.

Der Terraner wies auf Strezzo.»Haltet mir ihn vom Leib«, rief er. Doch

sie verstanden ihn nicht. Tatenlos sahen siezu, als Strezzo und Grizzard gemeinsam an-griffen.

Kennon sprang zur Seite. Er hielt denBaumstamm noch immer in den Armen. AlsGrizzard auf ihn zurannte, stieß er ihm dasHolz zwischen die Beine. Er hoffte, daß derStählerne darüber stolpern werde.

Doch er irrte sich erneut.Der Baumstamm zersplitterte, ohne daß

Grizzard sein Marschtempo verringerte.Kennon rettete sich mit einem Sprung anihm vorbei. Grizzard reagierte nicht schnellgenug, aber der Pirat hieb ihm die Faust inden Nacken. Kennon stürzte zu BodenStrezzo warf sich über ihn, kam jedoch zuspät. Der Terraner wälzte sich zur Seite undempfing ihn mit einem geschickt angesetz-ten Hieb. Er traf den Piraten am Hals undbetäubte ihn.

Grizzard fuhr herum. Kennon raffte sichauf und flüchtete in die Höhle hinein. Griz-zard folgte ihm. Der Terraner nahm allerleiGegenstände vom Boden der Höhle auf undschleuderte sie auf die Rüstung, obwohl erdamit kaum etwas erreichte.

»Helft mir doch«, rief er den Vieläugigenzu, doch sie standen wie gelähmt da und ta-

Mit den Kräften des Geistes 37

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ten nichts.Kennon rannte in der Höhle hin und her.

Er suchte nach einer Flüssigkeit, mit der erdie Sehschlitze der Rüstung verschmierenkonnte. Darin sah er seine letzte Chance.Wenn Grizzard nichts mehr sehen konnte,war er hilflos.

Als Grizzard dichter und dichter an ihnheranrückte, entdeckte Kennon endlicheinen Topf mit einer dunklen Flüssigkeit. Erwollte nach dem Gefäß greifen, als sich ihmdie Höhlenbewohner plötzlich in den Wegstellten. Er wollte sie zur Seite stoßen, dochsie wichen nicht.

Kennon flüchtete zur Treppe.Verzweifelt blickte er sich in der Höhle

um. Er stand völlig allein. Nirgendwo lag et-was, was er als Waffe gegen Grizzard undStrezzo hätte einsetzen können.

»Jetzt erwischen wir ihn«, sagte der Pirat,wobei er sich der Treppe näherte. »Ich blei-be hier unten, damit er nicht ausweichenkann. Geh du die Treppe hoch.«

Porquetor-Grizzard antwortete nicht. DieRüstung marschierte klirrend auf die Treppezu. Kennon wich zurück. Er wußte nicht,wohin die Treppe führte, aber ihm blieb keinanderer Ausweg mehr.

Als er das Ende der Treppe erreicht hatte,sah er, daß ein Felsgang schräg nach obenführte. Leuchtende, quallenähnliche Wesenklebten am Gestein und verbreiteten ein we-nig Licht. Ein Holzfaß stand wenige Schrittevon ihm entfernt in einer Felsnische.

Einer plötzlichen Idee folgend, rannteKennon zu ihm hin und stürzte es um. Eswar so schwer, daß er es kaum bewegenkonnte.

Einige Meter von Kennon entfernt erschi-en Grizzard im Gang. Der Terraner stieß dasFaß an. Es rollte über den abfallenden Bo-den auf die Rüstung zu.

Strezzo schrie warnend auf. Grizzard er-kannte die Gefahr ebenfalls. Wenn das Faßihn traf, würde es ihn von der Treppe stoßenund in die Tiefe schleudern.

Er lief dem Faß entgegen, holte aus undwuchtete das rechte Bein dagegen. Mit ei-

nem ohrenbetäubenden Krachen zerbrachdas Holz, und eine alkoholische Flüssigkeitschoß aus der Öffnung hervor. Die Höhlen-bewohner schrien auf. Sie lösten sich aus ih-rer Starre und griffen an. Es schien, als habesie dieser Verlust schwerer getroffen als derTod des stabförmigen Wesens.

Strezzo flüchtete entsetzt die Treppe hochzu Grizzard. Dieser erkannte die Gefahr undwandte sich den Höhlenbewohnern zu, diesich mit allerlei Gegenständen bewaffneten.

Kennon stürmte den Gang hoch. Er glaub-te, in der Senke wieder ins Freie zu kom-men, in der er auf das stabförmige Wesengestoßen war. Doch der Gang fiel plötzlichwieder ab und führte in die Tiefe. NeueHoffnung kam in ihm auf. Hin und wiederblieb er stehen und horchte, doch weder vonGrizzard noch von Strezzo war etwas zu hö-ren.

Kennon war sich darüber klar, daß irgend-wo über ihm die vier Moosons auf ihn war-teten. Einige Male glaubte er zu fühlen, daßsie mit ihren geistigen Kräften nach ihmgriffen, doch geriet er nicht in ihren Bann.

Schließlich stieg der Gang wieder an, unddann wehte Kennon ein kühler Wind ins Ge-sicht. Er trat ins Freie hinaus. Es war dunkel.Die Nacht war hereingebrochen.

Kennon atmete auf. Er glaubte, Grizzardentkommen zu sein.

Er wartete ab, bis sich seine Augen an dieDunkelheit gewöhnt hatten, dann ging erlangsam weiter. Hin und wieder verharrte erunter einem Baum oder in der Nähe einesFelsens. Dann wartete er einige Minutenlang und konzentrierte sich mit allen Sinnenauf seine Verfolger, doch nichts wies daraufhin, daß sie noch da waren. Es schien, alshabe die Nacht Grizzard und seine Helferverschluckt.

Kennon sagte sich, daß er nicht weiter indie Senke der Verlorenen Seelen eindringendurfte, sondern versuchen mußte, zur FE-STUNG zurückzukehren. Er glaubte, nachSüdosten zu gehen, war sich dessen jedochnicht sicher.

Einige Male vernahm er Schreie hinter

38 H. G. Francis

Page 39: Mit den Kräften des Geistes

sich. Sie hallten durch die Nacht. Sie hörtensich an, als ob sie von jemanden kämen, derihn verfolgte.

Als Kennon etwa eine Stunde lang gelau-fen war, wuchs die dunkle Wand eines Wal-des vor ihm auf. Ratlos blieb er stehen. Erwar sich darüber klar, daß es ein tödlicherFehler gewesen wäre, mitten in der Dunkel-phase in den Wald einzudringen. In der Sen-ke wimmelte es von fremdartigen Wesen,die alle das gleiche Problem hatten. Sie hat-ten Hunger. Viele der Fremden hatten einevöllig andere Mentalität als er. Daher mußteer damit rechnen, überfallen zu werden. Inübersichtlichem Gelände konnte er sich be-haupten, nicht aber im Wald, in dem er nurblind herumtastete.

Er lief eine Weile am Rand des Waldesentlang, bis ihm bewußt wurde, daß er nichtmehr wußte, wohin er sich eigentlich wand-te. Da er keinen Anhaltspunkt hatte, konnteer die Richtung nicht feststellen.

Da er sich nicht restlos verirren wollte,setzte er sich in den Sand und wartete.

Langsam verstrich die Nacht. Aus demWald hallte eine Vielzahl von fremdartigenGeräuschen zu ihm herüber. Er hörte die To-desschreie von kleinen Tieren und das dro-hende Gebrüll großer Räuber. Hin und wie-der verspürte er ein leichtes Zupfen imKopf. Er wußte es richtig zu deuten. DieMoosons suchten nach ihm.

Für ihn war beruhigend, daß sie nichtwußten, wo er war. Sie näherten sich ihmnicht. Daher sah er auch keinen Grund, dieFlucht fortzusetzen.

Ab und zu legte er sich flach in den Sandund horchte in die Nacht hinaus. Er glaubte,die Nähe anderer Wesen fühlen zu können,doch die Nacht verging, ohne daß ihn je-mand bedrohte.

Als es dämmerte, erkannte der Terraner,daß er sich in falscher Richtung bewegt hat-te. Er war nicht nach Südosten gelaufen,sondern nach Nordwesten. Damit hatte ersich der FESTUNG nicht genähert. Er hattesich weiter von ihr entfernt und war tiefer indie Senke der Verlorenen Seelen vorgedrun-

gen.Er befand sich an einem Wald, der un-

durchdringlich erschien. Das Unterholz wu-cherte so dicht, daß es ihm wie eine Wanderschien. Nahezu übergangslos begann einsteppenartiges Gebiet, das mehrere Kilome-ter breit war und das nach Südosten hinleicht anstieg.

Etwa hundert Meter vom Waldrand ent-fernt ragten die Reste eines Glaspalasts überdie Baumwipfel hinaus.

Kennon beschloß, sich nun wieder nachSüdosten zu wenden und so rasch wie mög-lich zur FESTUNG zurückzukehren. Er warjedoch kaum hundert Meter weit gegangen,als er sah, wie sich etwa anderthalb Kilome-ter von ihm entfernt die vier Moosons ausdem Sand erhoben. Sie hatten flach auf demBoden gelegen, so daß er sie nicht bemerkthatte.

Erschrocken blieb er stehen. Fast gleich-zeitig spürte er, daß etwas nach ihm griff. Eswar, als tasteten sich Tausende von haarfei-nen Fingern in sein Gehirn. Er schrie ent-setzt auf, wandte sich um und flüchtete inden Wald.

Er brach in das Unterholz ein, verfing sichin Lianen und Zweigen, kämpfte sich wiederlos, fand eine Lücke und wühlte sich weitervoran. Erst als er etwa fünfzig Meter weitgekommen war, fing er sich wieder undüberwand die Panik.

Er blieb stehen.Licht schimmerte durch die Bäume, das

von den Wänden des Glaspalasts reflektiertwurde. Kennon ging langsam weiter. DasUnterholz war hier nicht mehr so dicht, sodaß er leichter vorankam. Er sprang übereinen Bach hinweg und erstarrte. Dann fuhrer herum und blickte auf das Wasser, in demer eine Bewegung bemerkt hatte.

Eine gelbe Schlange glitt ins Gebüsch. Siewar etwa anderthalb Meter lang. Auf demKopf hatte sie einen feuerroten Fleck.

Kennon sah seine Chance. Er erinnertesich daran, was das stabförmige Wesen ihmübermittelt hatte. Die Moosons hatten ein ei-genartiges Verhältnis zu Schlangen. Sie sa-

Mit den Kräften des Geistes 39

Page 40: Mit den Kräften des Geistes

hen Gottheiten in ihnen, von denen sie eini-ge liebten und andere fürchteten.

Vorsichtig folgte er der Schlange. Erschob die Füße langsam voran, um so wenigErschütterungen wie möglich zu verursa-chen. Dennoch bemerkte die Schlange ihn.Sie wandte sich ihm blitzschnell zu und griffan. Sie versuchte, ihm die Zähne ins Bein zuschlagen.

Kennon sprang zur Seite. Der Schlangen-kopf stieß an seinem Bein vorbei. Er packtesie mit beiden Händen dicht hinter demKopf, so daß sie ihn nicht beißen konnte.Wütend ringelte sie sich um seine Arme. Siewarf den Kopf hin und her und versuchte,ihn mit den Zähnen zu erreichen, aus denenfarbloses Gift tröpfelte.

Kennon streckte die Arme aus und hieltsie weit von sich. So schritt er durch denWald bis hin zum Glaspalast. Abermalshoffte er, sich gegen die Moosons behauptenzu können.

Der Glaspalast war weitgehend zerstört.Nur der untere Teil schien noch in Ordnungzu sein. Kennon betrat ihn und setzte sichauf die Stufen einer Treppe. Von hier ausbeobachtete er den Wald.

Etwa eine Viertelstunde verstrich. Wäh-rend dieser Zeit kämpfte die Schlange un-aufhörlich um ihre Freiheit. Kennon ließ siejedoch nicht los. Er fürchtete sich nicht vorSchlangen.

Als Kennon schon glaubte, die Moosonshätten die Verfolgung aufgegeben, hörte eres im Unterholz krachen. Wenig später hall-ten die Stimmen der Moosons durch denWald. Und dann blitzte es auf, als Grizzardin seiner Rüstung unter den Bäumen hervor-kam.

Kennon rieb sich den Handrücken derrechten Hand vorsichtig an der Hose, so daßdie Schlange ihn nicht mit ihren Zähnen er-reichen konnte. Die Hand juckte.

Er führte es zunächst auf die Erregung zu-rück. Doch dann sah er, daß beide Händefeuerrot waren. Der Juckreiz wurde von Se-kunde zu Sekunde stärker, bis er nahezu un-erträglich wurde.

Kennon erhob sich. Er ging Grizzard undden Moosons entgegen, wobei er die Schlan-ge hoch über den Kopf hielt, so daß sie siesehen konnten. Er preßte die Lippen zusam-men. Am liebsten hätte er das Tier weit vonsich geschleudert.

Er glaubte, daß sie ein Gift verbreitete,das die Hautrötung und den Juckreiz verur-sachte.

Die Moosons kamen aus dem Wald her-vor. Grizzard stand bereits in der Nähe desGlaspalasts ungedeckt neben einem Busch.

Die hamsterähnlichen Wesen standenhochaufgerichtet am Waldrand. Sie blicktenmit geweiteten Augen auf die Schlange.Kennon triumphierte. Das stabförmige We-sen hatte die Wahrheit gesagt. Die Moosonshatten ein besonderes Verhältnis zu Schlan-gen. Das Tier, das er in den Händen hielt,verdammte sie offenbar zur Bewegungslo-sigkeit.

Kennon näherte sich ihnen einige Schritte.Sie wichen scheu vor der Schlange zurück.

Grizzard lachte laut und schrill. »DuNarr«, schrie er. »Nicht nur dein Körper hatGeheimnisse. Meiner ebenfalls. Ich erinneremich deutlich. Ich bin von jeher allergischgegen Schlangen gewesen. Wirf sie weg,wenn dir dein Leben lieb ist.«

Kennon zögerte. Er fühlte, daß seine Bei-ne schwer wurden.

»Spürst du es nicht?« fuhr Grizzard fort.»Die Hände jucken. Doch so bleibt es nicht.Der Juckreiz kriecht die Arme hoch. Gleich-zeitig röten sie sich. Es wird immer schlim-mer. Bald erfaßt es die Brust, den Kopf –den ganzen Körper. Du möchtest dich über-all kratzen, doch das hilft nichts. Solange ei-ne Schlange in deiner Nähe ist, reagiert derKörper immer heftiger. Die Gefäße erwei-tern sich. Der Blutdruck fällt – schließlichbrichst du zusammen, und das Herz versagt.Du kannst tun, was du willst, aber du kannstes nicht verhindern. Wirf die Schlange weg,es ist deine einzige Rettung.«

»Ich werde es nicht tun«, antwortete Ken-non mühsam. Vor seinen Augen tanzten feu-rige Lichter. Ihm fiel es immer schwerer,

40 H. G. Francis

Page 41: Mit den Kräften des Geistes

sich auf den Beinen zu halten. Er wußte, daßGrizzard die Wahrheit sagte. Er durfte dieSchlange nicht länger festhalten.

Mit letzter Kraft schleuderte er dieSchlange von sich. Sie schlängelte sich da-von und verschwand im Gebüsch.

Kennon atmete einige Male tief durch.Ihm war, als habe er sich von einer Last be-freit, die ihn fast erdrückt hätte.

Er blickte auf seine Hände. Die Rötungging bereits jetzt zurück. Grizzard lachte.

Kennon hob den Kopf und sah ihn an.Die Moosons reckten sich. Einer von ih-

nen kam auf ihn zu.»Nein«, schrie der Terraner. »Laßt mich

in Ruhe. Laßt mich.«»Du hast verloren«, teilte Grizzard ihm

lachend mit. »In wenigen Minuten wirst duwieder in deinem alten Körper sein. Nie-mand wird das jetzt noch verhindern kön-nen. Moosons – geht ans Werk.«

Aus dem Gebüsch kroch Strezzo hervor.Er blutete aus mehreren Wunden, doch dasschien ihm nichts auszumachen. Zufriedengrinsend wiederholte er die Worte für dieMoosons.

Kennon drehte sich um. Er wollte in denGlaspalast flüchten, doch er kam keine dreiSchritte weit. Dann überwältigten ihn dieMoosons mit ihren psionischen Energien.

8.

»He, wer bist du?«Kennon hatte das Gefühl, tief in seinem

Innern getroffen zu werden. Er schlug dieAugen auf. Ein blasses Gesicht mit rötlichenAugen beugte sich über ihn.

»Meinst du mich, Herr?«»Natürlich. Wen sonst?«»Ich bin Axton … Lebo Axton«, antwor-

tete er wimmernd.Der andere lachte.»Du also bist Lebo Axton, der Krüppel,

der …«Kennon-Axton bäumte sich auf. Er wehrte

sich mit aller Kraft gegen das, was auf ihneindrang.

»Nein«, sagte er. »Nein, ich bin nicht Le-bo Axton. Ich bin Kennon. Ich bin keinKrüppel. Ich bin …«

Der Arkonide stieß ihm den Fuß in dieSeite und warf ihn zurück.

Kennon-Axton blickte haßerfüllt zu ihmauf.

»Verschwinde«, sagte der Arkonide.»Niemand will dich sehen. Du bist ein Dieb.Niemals zuvor hat jemand ein derart ab-scheuliches Verbrechen begangen wie du.«

Kennon-Axton richtete sich mühsam auf.Er saß in einer Pfütze, und die Hände, mitdenen er sich abstützte, versanken imSchlamm.

»Ich habe kein Verbrechen begangen. Ichhabe meinen Körper verloren und einen an-deren gewonnen, aber ich selbst habe nichtsdazu getan. Es geschah, ohne daß ich eswollte.«

»Du lügst.« Der Arkonide stieß ihn zu-rück. Kennon-Axton fiel in die Pfütze. Erversank immer tiefer in ihr. Vergeblich ver-suchte er, an ihre Oberfläche zurückzukeh-ren. So sehr er auch mit den Armen und Bei-nen ruderte, es half ihm nichts. Das Wasserwar grundlos.

Allmählich wurde es dunkel um ihn, aberdennoch glaubte er, sich schreien zu hören.

Doch als er schon meinte, ersticken zumüssen, wurde es schlagartig hell. Sein Ge-sicht federte hoch. Kennon fühlte, daß einwarmer Wind über sein Gesicht strich.

Vor ihm erhob sich eine etwa vier Meterhohe Gestalt. Sie hatte eine gewisse Ähn-lichkeit mit einem Hamster. Aus großen,feuchten Augen blickte sie ihn an.

Dieb! hallte es in ihm. Verschwinde. Keh-re endlich in deinen Körper zurück.

Kennon blickte zur Seite. Er sah die Por-quetor-Rüstung, die am zertrümmerten Ein-gang des Glaspalastes stand. Neben ihr kau-erte Grizzard in dem verwachsenen Kennon-körper auf dem Boden. Das schüttere Haarfiel ihm in die Stirn. Heftig zuckte das linkeLid.

Kennon streckte die Arme aus. Er wollteetwas sagen, aber seine Stimme versagte.

Mit den Kräften des Geistes 41

Page 42: Mit den Kräften des Geistes

Hinter Grizzard schien sich eine grüne Ne-belwand zu erheben. Der Terraner konnte esnicht genau erkennen. Aus ihr traten dreiweitere Moosons hervor. Ihre Blicke richte-ten sich auf ihn.

Dieb!Kennon fühlte, daß ihn etwas traf. Ein

glühendheißer Dorn schien durch seinenKörper zu fahren. Er stürzte zu Boden, undvor seinen Augen wurde es vorübergehenddunkel. Dann schien der Boden unter ihm zuweichen. Er schien sich aufzulösen. Der Ab-stand zwischen den Molekülen schien weiterund weiter zu werden, weil mehr und mehrMoleküle im Nichts verschwanden. Kennonsuchte vergeblich nach Halt. Er versank inbodenloser Tiefe.

Er hörte die Stimme Grizzards, die sichvon ihm entfernte und dennoch verständlichblieb.

»Weiter«, rief Grizzard. »Geht weiter zu-rück, bis ihr ihn habt. Dann laßt nicht locker.Vertreibt ihn.«

Kennon wußte nicht, was er meinte. Erfürchtete sich. Eisige Kälte durchdrang ihn,und irgend etwas zerrte an ihm, bis Schmer-zen seinen Körper durchfluteten. Ihm war,als wolle ihn irgend etwas auseinanderrei-ßen. Verzweifelt suchte er nach einem Halt.

Plötzlich wähnte er sich wieder auf derFlucht von Lepso. Voller Entsetzen erkannteer, daß er sich dem Schlüsselerlebnis seinerExistenz näherte. Mit aller Kraft wehrte ersich dagegen, doch die Moosons trieben ihnunerbittlich voran.

Er sah sich in der Space-Jet, in der er vonLepso flüchten wollte. Ein Medorobot desRaumschiffs verabreichte ihm eine kreis-laufstabilisierende Injektion. Kennon hattedieses Raumschiff nur einmal inspiziert. Da-nach hatte er es jahrelang nicht mehr betre-ten, um auf keinen Fall eine Entdeckung zuriskieren.

Die Korpuskulartriebwerke liefen an. DerRobotpilot war für den Fluchtfall program-miert. Wenn jemals ein USO-Spezialist überdie Transmitterverbindung ankam, erfolgteein sofortiger Notstart.

Transmitter aber erzeugten Hyperwellen-schocks, die leicht angepeilt werden konn-ten. Das war nicht zu vermeiden. Kennonwußte, daß er sich in trügerischer Sicherheitbefand.

Wäre er auf einem anderen Weg in dasRaumschiff gekommen, hätte er sich für lan-ge Zeit darin verbergen können, ohne eineEntdeckung befürchten zu müssen. Er hätteeinen günstigen Augenblick für den Start ab-warten können.

Jetzt mußte er starten, während auf Lepsodie Alarmsirenen heulten. Er zweifelte nichtdaran, daß die Gegenseite sich nun auf dieSchockkurve einpeilte.

Er schleppte sich in die Zentrale. Dortlegte ihm ein Roboter einen Raumanzug an.Notstarts von Lepso waren und blieben ge-fährlich, denn im freien Raum standen dieschnellen Überwachungskreuzer des SWD.Deren Sperriegel mußte er erst einmaldurchbrechen.

Das Rumoren der Triebwerke steigertesich zu einem dumpfen Donner. Die Space-Jet löste sich vorn Grund des Ozeans undstieg langsam in die Höhe. Als die erstenLichtstrahlen das trübe Wasser durchdran-gen, lag Kennon in einem Kontursessel hin-ter der Zentralkontrolle.

Die Jet stieß aus dem Wasser hervor undbeschleunigte mit höchsten Schubwerten.

Die Atmosphäre des Planeten Lepso wur-de aufgerissen. Die Jet raste mit der hundert-fachen Mündungsgeschwindigkeit einer al-tertümlichen Schiffsgranate davon. WildeLuftturbulenzen entstanden. In ihnen vergin-gen vier anfliegende SWD-Gleiter. Sie wur-den von den ins Vakuum einbrechenden Or-kanböen erfaßt, mitgerissen und anschlie-ßend zu Boden geschleudert.

Kennon bemerkte kaum etwas von denExplosionen. Er sah die Stichflammen aufdem Hauptbildschirm aufzucken. Die Space-Jet raste mit überhöhter Geschwindigkeit inden freien Raum hinaus. Lepso wurde zurHalbkugel.

Das Eintauchmanöver in den Linearraumwürde den Kalupschen Kompensationskon-

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verter bis zur Maximalleistung belasten. Essollte bei viel zu geringer Anlauffahrt erfol-gen, um die Jet möglichst schnell in den si-cheren Schutz der Linearzone zu bringen.

Als die Jet eine Geschwindigkeit von sie-bentausend Kilometern pro Sekunde erreichthatte, eröffneten zwei Wachkreuzer desSWD das Feuer aus ihren schweren Thermo-kanonen.

Kennon fühlte den harten Einschlag unddie sengende Hitze, die plötzlich nach sei-nem Raumanzug faßte.

Glut – sonnenhelle Glut verbrannte seinenKörper. Er tauchte in eine Sonne, in der esnichts gab als unerträgliche, vernichtendeHitze. Er wollte schreien, aber er konntenicht, denn seine Lippen, seine Zunge, dieLuftröhre und die Lunge verwandelten sichin Asche …

Und dann schrie er doch.Er schrie, daß ihn die Lungen schmerzten.Der Schock, den er beim Verlust seines

Körpers erlitten hatte, traf ihn erneut mitverheerender Wucht.

Kennon spürte, daß er sich von seinemKörper löste. Er verlor jeglichen Halt.

Die psionischen Energien, die aus denGehirnen der Moosons auf ihn herabfluteten,peitschten ihn aus dem Körper Grizzardsheraus, trieben ihn weiter und weiter vonihm fort.

Kennon wurde sich dessen bewußt, daß esnichts mehr gab, was ihn auffangen würde.Dieses Mal war kein Medoroboter da, derdas Leben in seinem Gehirn erhielt. Nir-gendwo wartete ein Team von Ärzten dar-auf, sein Leben in einen anderen Körper ein-zupflanzen.

Das Nichts öffnete sich vor ihm.Der Schock war noch größer als jener,

den er erlitten hatte, als er von Lepso geflo-hen war.

Doch dieses Mal stürzte er nicht in eineKrise. Die Gewißheit, vor dem sicheren En-de zu stehen, mobilisierte alle in ihm woh-nenden Kräfte. Sinclair Marout Kennonkämpfte gegen die Energien an, die ihn ausdem Körper Grizzards vertreiben wollten.

*

Atlan blickte unwillig auf den Mann, denein Dello zu ihm hereingeführt hatte.

»Was gibt es denn?« fragte er. »Ich habezu tun.«

Er wurde sich dessen bewußt, daß derDello es nicht gewagt hätte, ihn zu stören,wenn es nicht wichtig gewesen wäre.Gleichzeitig merkte er, daß er sich allzu sehrvon seiner Arbeit hatte einspannen lassen.

»Es tut mir leid«, sagte er. »Sicherlich istes wichtig, was du mir zu berichten hast.«

»Dieser Mann hat eine Botschaft fürdich«, erwiderte der Androide und wies aufden Fremden, den er hereingeführt hatte.

Der Mann kleidete sich in weiße Felle. Erhatte langes, weißes Haar und buschige Au-genbrauen, in denen Atlan winzige Augenbemerkte.

»Ich komme von Kennon«, eröffnete ihmder Fremde. »Mein Name ist Dartun.«

»Was ist mit Kennon?« fragte der Arkoni-de ungeduldig, als Dartun nicht weiter-sprach.

»Er ist in Gefahr.« Wiederum schien derWeiße der Ansicht zu sein, genug verratenzu haben.

Atlan verschränkte die Arme vor derBrust. Gelassen blickte er Dartun an undwartete darauf, daß er fortfahren würde.Doch Dartun dachte nicht daran.

Der Arkonide lächelte.»Du willst also ein Geschäft mit mir ma-

chen«, stellte er fest. »Kennon ist in Gefahr.Du willst eine Information verkaufen. Naschön. Das kann ich dir nicht verbieten. Dukannst dich in der FESTUNG umsehen.Vielleicht findest du irgend jemanden, dersich bereit erklärt, dir etwas für deine Infor-mation zu geben.«

Mit einer Handbewegung gab er ihm zuverstehen, daß er den Arbeitsraum verlassensollte. Der Dello griff nach dem Arm Dar-tuns. Dieser schüttelte ihn ärgerlich ab.

»Kennon ist dein Freund«, rief er Atlanzu.

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»Sicher ist er das«, antwortete dieser ge-lassen. »Und?«

»Er ist in Gefahr.«»Das sagtest du schon.«»Er wird sterben«, rief Dartun erregt.»Du wirst ihn nur um einige Minuten

überleben.«Der Weiße zuckte zusammen. Mit beiden

Händen fuhr er sich über die Augen.»Ich sage die Wahrheit«, beteuerte er

dann. »Kennon befindet sich in einer tödli-chen Gefahr. Er ist in den Händen der Moo-sons, die über Zauberkräfte verfügen. Esgeht um Sekunden.«

»Um so erstaunlicher, daß du dir sovielZeit läßt«, entgegnete Atlan.

»Ich will ja gar nicht viel von dir«, riefDartun. »Nur eine Kleinigkeit. Du sollstmich ja nur anhören.«

»Geh endlich«, befahl der Arkonide. »Ichhabe keine Zeit für einen derartigen Un-sinn.«

»Wenn ich gehe, stirbt Kennon.«»Es gibt noch eine andere Möglichkeit«,

eröffnete ihm Atlan und blickte ihn durch-dringend an. »Du könntest ganz schnell er-zählen, was los ist und wo Kennon jetzt ist.Wir könnten Kennon helfen, und danachkommen wir dann zu dir und deinem Pro-blem.«

»Niemals«, antwortete der Weiße.»Führt ihn hinaus.«Zwei Dalazaaren traten hinzu. Sie packten

Dartun an den Armen und führten ihn zurTür.

»Du mußt Kennon helfen«, schrie derWeiße Atlan über die Schulter hinweg zu.»Du darfst ihn nicht allein lassen.«

»Wenn die Tür sich hinter dir geschlossenhat, hast du deine Chance verpaßt«, erklärteder Arkonide.

»Ich werde reden«, beteuerte Dartun. DieDalazaaren ließen ihn los. Er kehrte zu Atlanzurück. »Versteh doch, Atlan. Ich will dichnicht erpressen, ich möchte nur …«

»Wo ist Kennon?«Dartun zuckte wie unter einem Peitschen-

hieb zusammen. Er wußte, daß er der Per-

sönlichkeit Atlans nicht gewachsen war. Erkam sich klein und erbärmlich vor. Er wuß-te, daß er nachgeben mußte, aber noch woll-te er es nicht zugeben. Er wollte einen er-neuten Versuch machen, Atlan zu einemHandel zu bewegen, dann aber blickte erihm in die Augen. Der Atem stockte ihm.Nie zuvor war er einem Mann mit einer der-artigen Kraft und Ausstrahlung begegnet. Ergab auf, weil ihm klar wurde, daß er tatsäch-lich nur noch verlieren würde, wenn er wei-terhin das Spiel spielte, das er begonnen hat-te.

»Grizzard jagt ihn«, erklärte er niederge-schlagen. »Dabei hat er mächtige Verbünde-te gefunden. Kennon fürchtet, daß sie in derLage sind, ihn aus seinem neuen Körper zuvertreiben. Er hat die mächtigsten Kämpferder Senke um sich versammelt und Grizzardentgegengeworfen, doch vergeblich. DieMoosons haben sie mit ihren Zauberkräftenbeeinflußt. Sie haben sich in den Sand ge-setzt und nichts getan. Dann ist Kennon ge-flüchtet. Ich weiß, daß Grizzard und dieMoosons ihm gefolgt sind. Er ist ganz allein.Grizzard wird versuchen, ihn aus seinemKörper zu vertreiben oder ihn zu töten.«

Atlan ließ sich nicht anmerken, was erdachte. Er zog die richtigen Schlüsse ausden Worten Dartuns. Er wußte, daß mit»Zauberkräften« nur parapsychische Kräftegemeint sein konnten.

»Ich werde ihm helfen«, sagte er. »Wirstarten sofort. Unterwegs kannst du mirdann erzählen, was für ein Geschäft du mitmir machen wolltest.«

Das Gesicht des Weißen erhellte sich.»Du weißt, was du wissen wolltest«, erwi-

derte er. »Dennoch interessiert dich meinProblem? Du hast es nicht nötig, darauf ein-zugehen.«

»Heraus damit«, forderte der Arkonideihn auf. Er lächelte, während er sich erhobund Dartun zu verstehen gab, daß sie dieFESTUNG verlassen würden. »Niemandkann mich erpressen. Das heißt jedoch nicht,daß mir egal ist, was dich bedrückt.«

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Page 45: Mit den Kräften des Geistes

*

Sinclair M. Kennon schlug die Augen auf.Vor ihm stand Grizzard, der die Porque-

tor-Rüstung verlassen hatte. Die kleine, ver-wachsene Gestalt beugte sich über ihn undblickte ihn mit wäßrigen Augen an. Das lin-ke Lid zuckte unkontrolliert.

Grizzard schrie auf. Er fuhr herum undstürzte sich auf einen der Moosons, der eini-ge Meter von ihm entfernt stand. Er trom-melte mit beiden Fäusten gegen den bepelz-ten Leib des Riesen.

»Warum verläßt er seinen Körper nicht?«schrie er. »Warum geschieht nicht endlichetwas?«

Kennon richtete sich auf. Seine Händeglitten über seine Beine. Er lebte noch im-mer im Grizzardkörper. Ihm war es gelun-gen, den psionischen Energieschauern zutrotzen. Er hatte sich in dem besseren Kör-per behauptet.

Lautlos lachend blickte er zu Grizzardhinüber. Dieser erbleichte. Sein Gesicht ver-zerrte sich. Er ballte die Hände zu Fäustenund stürzte sich auf ihn, doch Kennon ge-lang es mühelos, die schwachen Arme zuhalten.

»Noch einmal«, schrie Grizzard.»Versucht es noch einmal. Es muß gelingen.Ihr wart schon dicht davor. Ich habe es ge-fühlt. Nur ganz wenig hat gefehlt. Ich warschon fast wieder in diesem Körper.«

Kennon verspürte einen Schlag. Er flognach hinten. Sein Herz krampfte sich zusam-men. Er schrie auf. Seine Finger kralltensich in die Brust.

Er hatte nicht die Absicht gehabt, Griz-zard zu verhöhnen. Er hatte nur aus einerunendlichen Erleichterung heraus gelacht.Doch der Schock wirkte noch nach, so daßer sich nicht mehr so in der Gewalt hatte wiezuvor.

Er fühlte, daß er zu schwach war, einemweiteren Angriff standzuhalten. Noch ein-mal wollte er sich aufbäumen. Er wollte et-was sagen, um Grizzard zu beruhigen und

Zeit zu gewinnen, doch die Moosons gabenihm keine Chance.

Sie schleuderten ihn in das Nichts. Ken-non wußte nicht, wieviel Zeit vergangenwar, als er Stimmen hörte. Er schlug die Au-gen auf.

Er befand sich in einem mit roten Stoffenausgeschlagenem Saal. Ihm gegenüber saßein rothaariger Mann in einem Sessel. Erhatte einen lindgrünen Teint und lange,schlanke Hände.

Kennon wußte sofort wieder, wer das war.Cherenas Gortham war einer seiner gefähr-lichsten Gegner als USO-Spezialist gewe-sen.

»Wir wollen uns nicht lange mit dir auf-halten«, sagte Gortham. »Deine Verbrechensind bewiesen. Es steht zweifelsfrei fest, daßdu der Täter bist.«

»Darf ich fragen, was man mir überhauptvorwirft?« fragte Kennon. »Wenn ich richtiginformiert bin, dann befinde ich mich geradeseit sieben Minuten an Bord der CHRATIS-MA. Alles, was ich getan haben könnte, ist,die Luft in diesem Schiff geatmet zu haben.«

Gortham legte den Kopf in den Nackenund lachte dröhnend.

»Seit wann bist du ein Feigling, SinclairMarout Kennon?« fragte er. »Ich weiß, daßdu ein USO-Spezialist bist. Das genügt. Ichverurteile dich zum Tode. Werft ihn aus derSchleuse.«

»Nein«, rief Kennon. »Ein Wort noch.«Der galaktische Waffenhändler gab seinen

Helfern mit einer Handbewegung zu verste-hen, daß die Verhandlung beendet war unddaß er Kennon das Recht eines letzten Wor-tes nicht gewährte.

Vier Roboter traten auf den Verurteiltenzu. Sie richteten ihre Energiestrahler auf ihn.Einer von ihnen zeigte auf das Schott.

Kennon gehorchte. Er sah ein, daß es kei-nen Sinn hatte, sich jetzt noch zu wehren.Zwischen den Robotern verließ er denRaum. Er schritt über einen Gang bis zu ei-ner Schleuse. Hier wartete er, bis sich dasinnere Schleusenschott geöffnet hatte. Dannbetrat er die Schleusenkammer.

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»Sollen wir ihm nicht noch eins auf denPelz brennen?« fragte einer der Männer Gor-thams, die in der Nähe standen und zusahen,wie das Urteil vollstreckt wurde.

»Du bist verrückt«, erwiderte ein andererund lachte laut. »Kennon fliegt in einer Mi-nute ins Weltall hinaus. Er hat keinen Raum-anzug. Nur seine Kombination schützt ihn.In spätestens einer Minute ist er mausetot.«

»Dennoch sollte man ihn …«»Sei nicht albern. Außerdem hat der Chef

diesen Tod für ihn gewählt.«Das Schleusenschott schloß sich hinter

Kennon. Hochaufgerichtet stand er in derSchleuse und wartete. Das Raumschiff waretwa vierhunderttausend Kilometer von ei-nem Sauerstoffplaneten entfernt.

Das äußere Schleusenschott glitt auf.Kennon wurde von der ausströmenden

Luft mitgerissen, als die Waffenhändler denAntigravprojektor der Schleusenkammer aufNull stellten. Er wirbelte in den Weltraumhinaus.

Innerhalb weniger Sekunden platzte diebiologische Maske, die seinen Körper um-gab, ab. Nur noch der Stoff der Kombinationhielt sie. Seine Kopfhaut schälte sich mitden Haaren ab, und unter der Gesichtsmaskewurde das Gesicht eines Roboters erkenn-bar.

Sinclair Marout Kennon aktivierte das inseiner Vollprothese verborgene Fluggerät,um sich möglichst schnell von dem Raum-schiff der Waffenhändler zu entfernen. Ersah, daß sonnenhelle Glut aus den Abstrahl-schächten des Raumers flutete. Es beschleu-nigte und verschwand in der Ferne. Kennonstürzte auf den Planeten zu.

Ihm war, als wäre nicht nur das biologi-sche Material, das ihn umgab, abgestorben,sondern er selbst auch. Er wußte, wo er war.Er kannte seine Situation, aber er schiennicht fähig zu sein, klar zu denken.

Er wußte, daß ihm Schlimmeres bevor-stand als der Verlust seines Körpers bei derFlucht von Lepso.

Noch lebte er. Dabei war er nicht mehr alsein Gehirn, das in einem Robotkörper exi-

stierte.Doch es lag in seiner Hand, ob er diese er-

barmungswürdige Existenz fortsetzen oderbeenden wollte. Er stürzte auf einen Plane-ten zu. Noch war er über dreihunderttausendKilometer von ihm entfernt, aber die Distanzschmolz schnell dahin.

Wenn er nichts tat, würde er in die Luft-hülle stürzen und darin verbrennen. Das wardann das Ende.

Die Versuchung, nichts zu tun, war groß.Voller Entsetzen dachte er daran, was ihmauf dem Planeten bevorstand. Er wußte, daßdiese Welt bewohnt war. Er konnte auf ihrlanden, mußte sich dann aber als Roboterdurchschlagen, bis es ihm gelang, Verbin-dung mit der USO aufzunehmen. Das konn-te bedeuten, daß ihm einige qualvolle unddemütigende Jahre bevorstanden.

Er fühlte, daß er nicht die Kraft hatte, siedurchzustehen. Nichts haßte er mehr als Ro-boter. Und jetzt sollte er sich wie eine Ma-schine behandeln lassen?

Es ist eine Lüge! Es ist eine Täuschung!hallte es in ihm.

Irgend etwas in ihm schien zu explodie-ren. Plötzlich sah er sein eigenes Gesicht vorsich. Es war das Gesicht des Körpers, indem jetzt Grizzard lebte. Er sah die wäßri-gen Augen, das zuckende Lid, die viel zugroße Nase.

Mit aller Deutlichkeit wurde ihm bewußt,daß man ihm den Sturz auf den Planeten undin die Hölle endloser Demütigungen als Ro-boter suggerierte, um ihn zum Selbstmord inder Lufthülle des Planeten zu verführen.

Er schlug um sich. Er glaubte zu sehen,wie die zerbröckelten Reste seiner Körper-maske davonflogen. Dann schaltete er dasFluggerät ein, mit dem er den Sturz so kon-trollieren konnte, daß er am Ende weich aufdem Planeten landete.

Er wollte noch nicht aufgeben. Nochlohnte sich der Kampf.

Er hörte einen Schrei.Die Szene wechselte. Es wurde hell. Und

wieder sah er das Gesicht Grizzards übersich, das von abgrundtiefem Haß entstellt

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war. Einige Schritte von ihm entfernt stan-den die vier Moosons. Er sah ihnen an, daßsie ratlos waren.

Grizzard stiegen die Tränen in die Augen.Er richtete sich schluchzend auf.

»Du bist abermals gescheitert«, sagteKennon ohne das geringste Gefühl des Tri-umphs. Er fühlte sich schwach, und er hatteMühe, diese Worte über die Lippen zu brin-gen.

Grizzard wich vor ihm zurück.»Nun gut«, sagte er leise und stieg in die

Porquetor-Rüstung. »Ich bin gescheitert. Dubist zu stark. Die Moosons können dichnicht aus meinem Körper vertreiben. Ich se-he es ein.«

Er schloß die Rüstung. Einige Minutenverstrichen, in denen Kennon sich ein wenigerholte.

»Aber ich will nicht, daß du noch längerin meinem Körper lebst«, fuhr Grizzard fort.»Wenn ich dich schon nicht aus ihm vertrei-ben kann, so sollst du auch keinen Genußmehr an ihm haben. Hört mich, Moosons.«

Aus dem Gras richtete sich Strezzo auf.Er wiederholte die Worte Grizzards. DieMoosons wandten sich der Rüstung zu. Siebeugten sich zu ihr herab.

»Was sollen wir tun?« fragte Strezzo fürsie.

»Stellt sein Leben ein«, befahl Grizzard.»Das ist ein Befehl. Ihr werdet gehorchen?«

»Wir werden dir gehorchen, Meister«,antwortete Strezzo.

»Dann stellt sein Leben ein. Sofort!«Sinclair Marout Kennon erhob sich. Ver-

wirrt verfolgte er das Gespräch. Er wußtenicht, was Grizzard meinte, bis eine unsicht-bare Hand nach seinem Herzen griff.

Da erkannte er, daß die Moosons ihn tötenwollten.

Er wollte etwas sagen, doch der Druckwurde so stark, daß er keinen Laut mehrüber die Lippen brachte. Er stürzte zu Bo-den.

Strezzo schrie auf.»Grizzard – dort«, rief er und zeigte nach

oben.

Ein Zugor schwebte über die Wipfel derBäume hinweg. Grizzard erkannte die hoch-gewachsene Gestalt des Arkoniden Atlan,der zu ihm herabblickte. Zugleich erfaßte er,daß der neue Herrscher von Pthor das EndeKennons in letzter Sekunde verhindernkonnte.

Wie von Sinnen schrie er auf die Moo-sons ein, ohne sich dessen bewußt zu wer-den, daß er sie damit nur von Kennon ab-lenkte.

»Tötet Atlan«, schrie er. »Stellt sein Le-ben ein. Schnell. Beeilt euch.«

Die Moosons zögerten. Sie sondierten dasGehirn Strezzos, um zu ermitteln, was ihnender vermeintlich Mächtige befehlen wollte.Doch Strezzo war so durcheinander, daß erdie Worte Grizzards kaum aufnahm. Erwehrte sich gegen den Gedanken, sich ander Ermordung Atlans zu beteiligen.

Der Arkonide landete.Die vier Moosons begriffen, welchen Be-

fehl ihnen Grizzard gegeben hatte. Sieschleuderten Atlan ihre psionischen Energi-en entgegen – und erreichten nichts.

Sie versuchten, seine Gedanken zu erfas-sen. Sie wollten ihn nach ihrem Willen len-ken. Sie wollten ihn zwingen, wieder zustarten, doch nichts geschah.

Entsetzt blickten sie sich an.Die Legenden ihres Volkes hatten ihnen

das Erscheinen eines Mächtigen angekün-digt. Sie hatten geglaubt, ihn in Grizzard ge-funden zu haben. Nun sahen sie sich mit ei-nem zweiten Mächtigen konfrontiert, derebenfalls immun gegen ihre Kräfte war.

Grizzard beobachtete die Moosons fas-sungslos. Er ahnte nicht, daß Atlan ebenfallsmentalstabilisiert war.

Der Arkonide beugte sich über Kennon.Als dieser die Augen öffnete, fuhren dieMoosons herum und rannten ängstlichschreiend davon. Grizzard rief ihnen Befehlenach, doch Strezzo leitete sie nicht weiter.Er folgte den Moosons, da er fürchtete, vonAtlan zur Rechenschaft gezogen zu werden.Er war das Werkzeug Grizzards gewesen.Ohne ihn wäre eine Befehlsübermittlung

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nicht möglich gewesen. Das waren Gründegenug, so meinte er, ihn zu bestrafen.

»Es ist vorbei«, sagte Atlan. »Ich bin froh,daß ich noch im rechten Augenblick gekom-men bin.«

»Es ist nicht zu Ende«, erwiderte Grizzardmit schriller Stimme. »Ich werde ihn töten.«

»Du wirst nichts tun«, sagte der Arkonideruhig. »Wir können uns keine privaten Feh-den leisten: Pthor rast auf die Schwarze Ga-laxis zu. In dieser Situation müssen wir allezusammenstehen.«

»Ich ertrage es nicht, ihn sehen zu müs-sen«, erklärte Grizzard.

»Es ist nicht zu ändern. Kennon hat denKörpertausch nicht absichtlich herbeige-führt. Dir ist es offensichtlich nicht gelun-gen, den Tausch rückgängig zu machen, ob-wohl du mächtige Helfer zur Seite gehabthast. So geht es also nicht. Sei geduldig,mehr kann ich dir nicht raten. Ihr müßt mit-einander auskommen, bis sich eine Lösung

ergibt.«»Was ist, wenn ich mich nicht füge?«

fragte Grizzard hitzig.»Dann bin ich gezwungen, dich einzuker-

kern«, erklärte Atlan. »Ich habe keine ande-re Wahl.«

»Also gut«, sagte Grizzard. »Ich fügemich. Vorläufig lasse ich ihn in Ruhe. Dasheißt jedoch nicht, daß ich auf meinen Kör-per verzichte.«

Atlan stützte Kennon, der zu schwachwar, aus eigener Kraft zum Zugor zu gehen.Dartun und mehrere Dellos kamen ihnenentgegen und halfen dem Arkoniden.

Kennon hatte das Gefühl, zum zweiten-mal geboren zu sein.

ENDE

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