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www.fliegermagazin.de #10.2012 79 REISE & ERLEBNIS 78 www.fliegermagazin.de #10.2012 MIT SECHS ULS AUF DIE KRIM Scharfes Erlebnis Als Nachbarland von Polen ist die Ukraine eigentlich nicht so weit weg. Und doch so fremd, fliegerisch wie kulturell. Genau das reizte eine Gruppe von UL-Piloten aus Deutschland. Ihr Ziel: Tabasco am Schwarzen Meer Über der Küste des Schwarzen Meers: Östlich von Odessa nehmen die Piloten Kurs auf die Halbinsel Krim TEXT Jens Bürger FOTOS alle Teilnehmer der Reise – danke Jungs! D er Vollmond steht über dem Schwarzen Meer. Still und an- dächtig schauen wir in die Nacht, als plötzlich vom nahen Steg ein riesiges Feuerwerk los- bricht. Fliegerkumpel Jürgen Bosk hat das zusammen mit unserem ukrainischen Gui- de Andrej Ferchuk ausgeheckt – als Über- raschung für Hans Bertram, einen Piloten unserer Gruppe: Hans feiert heute seinen 80sten Geburtstag hier in Tabasco auf der Krim. Es kostet uns reichlich Überzeugungs- kraſt, ihm klar zu machen, dass wir das für ihn organisiert haben. Er ist sehr gerührt, während Andrej und Jürgen von den Ang- lern auf dem Steg fast verprügelt werden. Niemand ahnt, dass es das letzte Feuerwerk sein sollte, das Andrej erlebt. Freitag, 1. Juni, 6.30 Uhr. Aufstehen. Re- gen prasselt auf unseren Wohnwagen in Stendal-Borstel. Das Wetter könnte wirklich besser sein. Alles ist etwas klamm hier drin; immerhin wärmt die Pfütze schwarzen Pul- verkaffees, den wir gekocht haben. Der Blick aus dem Fenster verspricht nichts Gutes: Wolkenbasis nur ein paar hundert Fuß. Um 8.00 Uhr treffen die letzten Krim- Flieger ein. Um 8.30 Uhr soll’s losgehen. Un- sere P-96 haben wir gestern schon getankt. Der Regen hört auf, die Untergrenzen stei- gen langsam. Ich stehe in der Tür des Wohn- wagens und schaue gen Osten in den grauen Himmel. Das intensivste Regengebiet seit Wochen hat sich ausgeregnet, wenigstens für den Moment – zum Glück für die Bau- ern und zum Glück für uns. Eine Herausforderung wird’s dennoch. Wir haben schon einige weite UL-Reisen in Europa bewältigt, aber keine Kultur kommt uns so undurchschaubar vor wie jene, in die es diesmal geht. »Wohin? Ukraine? Da seid ihr ’ne Woche zu früh dran, wenn ihr zur Fussball-EM wollt!«, hat der freundliche DFS-Mann noch gesagt, als wir den Flugplan aufgegeben haben. Aber die EM ist ja auch nicht unser Ziel. Wir suchen die Herausfor- derung, wir wollen mit unseren leichten Fliegern Neuland erkunden, Plätze besu- chen, die für UL-Piloten ungewöhnlich sind. Und wir wollen die Menschen dort kennen- lernen und ihre Kultur. Gut sechs Monate Vorbereitung liegen hinter uns, viele Telefonate und E-Mails so- wie mehrere Treffen mit den anderen Pilo- ten der Gruppe. Nun kommt der praktische Teil. War all der Aufwand nötig? Oder sogar noch zu wenig? Ein mitgebrachtes Brötchen als Frühstück wird auf dem Vorfeld brüder- lich geteilt, dann steigen wir in unsere Flie- ger: P-96, alle drei. Wenig später starten in Braunschweig noch zwei FK-9 und eine P-92. Alle Maschinen sind doppelt besetzt.

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REISE & ERLEBNIS

78 www.fliegermagazin.de #10.2012

MIT SECHS ULS AUF DIE KRIM

Scharfes ErlebnisAls Nachbarland von Polen ist die Ukraine eigentlich nicht so weit weg. Und doch so fremd, fliegerisch wie kulturell. Genau das reizte eine Gruppe von UL-Piloten aus Deutschland. Ihr Ziel: Tabasco am Schwarzen Meer

Über der Küste des Schwarzen Meers: Östlich von Odessa nehmen die Piloten Kurs auf die Halbinsel Krim

TEXT Jens BürgerFOTOS alle Teilnehmer der Reise – danke Jungs!

Der Vollmond steht über dem Schwarzen Meer. Still und an-dächtig schauen wir in die Nacht, als plötzlich vom nahen Steg ein riesiges Feuerwerk los-

bricht. Fliegerkumpel Jürgen Bosk hat das zusammen mit unserem ukrainischen Gui-

de Andrej Ferchuk ausgeheckt – als Über-raschung für Hans Bertram, einen Piloten unserer Gruppe: Hans feiert heute seinen 80sten Geburtstag hier in Tabasco auf der Krim. Es kostet uns reichlich Überzeugungs-kraft, ihm klar zu machen, dass wir das für ihn organisiert haben. Er ist sehr gerührt, während Andrej und Jürgen von den Ang-lern auf dem Steg fast verprügelt werden. Niemand ahnt, dass es das letzte Feuerwerk sein sollte, das Andrej erlebt.

Freitag, 1. Juni, 6.30 Uhr. Aufstehen. Re-gen prasselt auf unseren Wohnwagen in Stendal-Borstel. Das Wetter könnte wirklich besser sein. Alles ist etwas klamm hier drin; immerhin wärmt die Pfütze schwarzen Pul-verkaffees, den wir gekocht haben. Der Blick aus dem Fenster verspricht nichts Gutes: Wolkenbasis nur ein paar hundert Fuß.

Um 8.00 Uhr treffen die letzten Krim-Flieger ein. Um 8.30 Uhr soll’s losgehen. Un-sere P-96 haben wir gestern schon getankt.

Der Regen hört auf, die Untergrenzen stei-gen langsam. Ich stehe in der Tür des Wohn-wagens und schaue gen Osten in den grauen Himmel. Das intensivste Regengebiet seit Wochen hat sich ausgeregnet, wenigstens für den Moment – zum Glück für die Bau-ern und zum Glück für uns.

Eine Herausforderung wird’s dennoch. Wir haben schon einige weite UL-Reisen in Europa bewältigt, aber keine Kultur kommt uns so undurchschaubar vor wie jene, in

die es diesmal geht. »Wohin? Ukraine? Da seid ihr ’ne Woche zu früh dran, wenn ihr zur Fussball-EM wollt!«, hat der freundliche DFS-Mann noch gesagt, als wir den Flugplan aufgegeben haben. Aber die EM ist ja auch nicht unser Ziel. Wir suchen die Herausfor-derung, wir wollen mit unseren leichten Fliegern Neuland erkunden, Plätze besu-chen, die für UL-Piloten ungewöhnlich sind. Und wir wollen die Menschen dort kennen-lernen und ihre Kultur.

Gut sechs Monate Vorbereitung liegen hinter uns, viele Telefonate und E-Mails so-wie mehrere Treffen mit den anderen Pilo-ten der Gruppe. Nun kommt der praktische Teil. War all der Aufwand nötig? Oder sogar noch zu wenig? Ein mitgebrachtes Brötchen als Frühstück wird auf dem Vorfeld brüder-lich geteilt, dann steigen wir in unsere Flie-ger: P-96, alle drei. Wenig später starten in Braunschweig noch zwei FK-9 und eine P-92. Alle Maschinen sind doppelt besetzt.

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REISE & ERLEBNIS

Kennung verdreht. Der Flugplan zeigt die richtige, die Permission die falsche. Und nun? Na, wenn die Papa Hotel als Hotel Pa-pa genehmigt ist, dann heißt sie jetzt eben so! Hoffentlich geht das gut … Eine neue Ge-nehmigung würde Tage dauern. Es geht gut.

Start auf der »27« – wir sind gespannt da-rauf, was uns erwartet. Kurz hinter dem Ein-flugpunkt DIBED ändert sich die Landschaft deutlich. Es wird auch wärmer – das Tief-druckgebiet liegt jetzt hinter uns. Immer noch mit Rückenwind erreichen wir nach eineinhalb Stunden Chernivtsi, wo wir un-sere Uhren eine Stunde vorstellen müssen.

»Follow the follow-me and stay in your planes!« – eine klare Ansage des Tower-manns. Wir werden auf einen abgetrennten Bereich geleitet, beäugt von Uniformierten.

gabe. Nach dem Start beginnen wir uns zu wundern, warum keine Funksprüche kom-men, wie besprochen, bis wir realisieren, dass wir Funkausfall haben. Ausgerechnet jetzt! Und nun? Transponder auf 7600 und zurück? Nein, wir bleiben erstmal hinter der Truppe und probieren mehrere Frequenzen aus. Nach zehn Minuten löst sich das Prob-lem merkwürdigerweise – wir haben wieder Kontakt. Gott sei Dank! Wir hören Andrej oft mit dem Controller sprechen, während wir über das weite Land fliegen. Bis zum Horizont ist es bretteben, wir sehen riesige landwirtschaftliche Flächen, wenige Dörfer und keine großen Städte. Als Ex-Landwirt ist Hans Bertram von den Böden begeistert: »Guckt mal, der Boden sieht aus wie Schoko-lade! Der ist fruchtbar!«

Was passiert nun wohl? Zollabfertigung, mehr nicht. Das Vorfeld, auf dem wir par-ken, ist wirklich schlecht. Es hat riesige Lö-cher und Risse, aus denen Büsche wachsen. Etwa 200 Meter entfernt stehen zwei alte An-12-Transportmaschinen. Nach anfäng-licher Skepsis des weiblichen Zollpersonals tauen alle langsam auf. Eine zunächst foto-scheue Beamtin möchte sich in einem un-serer Flieger fotografieren lassen und bringt später sogar ihre kleine Tochter vorbei, um weitere Fotos zu machen. Sowas haben die noch nicht gesehen, solche kleinen Hüpfer wie unsere ULs.

Andrej Ferchuk begrüßt uns auf Eng-lisch. Der Ex-Militär ist ein Pionier der pri-vaten Luftfahrt in seinem Land und unser Scout durch die Ukraine. Er ist mit Sergej

Chevchuk, dem Flugplatz-Betreiber von Tabasco, wo wir übermorgen sein werden, in einer RV-10 angereist. Einer aus unserer Gruppe hatte ihn über berufliche Kontakte in die Ukraine kennengelernt. Nichts auf dieser Tour wird sich als so wichtig erwei-sen wie die Kontakte, die wir im Vorfeld ge-knüpft haben. Ohne Unterstützung durch ukrainischen Freunde läuft man Gefahr, von offiziellen Stellen einer Standardbe-handlung unterzogen zu werden, »rasieren ohne Schaum«, davon hatten wir öfter ge-hört: Erst kommt der Flughafenchef, dann der Polizeichef, dann der Zoll und irgend-wann der Gärtner und sein Hund, und alle halten die Hand auf. Ist es wirklich so? Wenn man nicht aufpasst, ist sowas jedenfalls nicht auszuschließen. Bei uns war es anders.

Nach Klärung aller Formalitäten gibt’s in einem nahegelegenen Re-staurant ein Briefing für den Wei-terflug nach Odessa. Anweisung

von Andrej: »Niemand meldet sich mit der Kennung, alle Transponder aus, ich sitze als Leader der Formation in der ersten Maschi-ne und übernehme den Funkverkehr, alle anderen melden sich nur mit ihrer Num-mer.« Klingt gut. Als letzte fliegend haben Ernst Eggers und ich die Aufgabe, von Zeit zu Zeit zu melden, ob noch alle Maschinen dabei sind.

Wir stehen aufgereiht vor dem Rollhalt, und alle melden sich. Wir auch. Wir hören Andrej auf Ukrainisch mit dem Tower reden und sehen dann eine Maschine nach der an-deren in die Bahn rollen, ohne weitere Frei-

Über einen kurzen Zwischenstopp in Kamenz zum Auftanken geht’s zum ersten Platz in Polen: Gliwice, ehemals Gleiwitz, das traurige Berühmtheit erlangte als deut-scher Vorwand für den Überfall auf Polen im September 1939. Wir werden freundlich empfangen und stär-ken uns im »Surf-Club« gleich um die Ecke. Sehr zu empfehlen!

Das Tagesziel, den Verkehrs-flughafen Rzeszów-Jasionka im Osten Polens, erreichen wir dank Rückenwind nach gut ein-einhalb Stunden. Zwar gibt es Missverständnisse bezüglich der Einflugroute, aber der polnische Controller weiß damit souverän umzugehen. Über Nacht stellen wir die Maschinen auf dem Vorfeld ab, wo wir sie an extra herbeige-schafften riesigen Betonklötzen vertäuen. Vom anfangs nicht so tollen Wetter abgese-hen ist der erste Tag für alle recht entspannt verlaufen. Die morgige Etappe, in die Ukra-ine, wird spannender. Die Flugpläne sind vorbereitet, alle Genehmigungen liegen vor. Eigentlich kann nicht viel schiefgehen auf dem Flug nach Chernivtsi, unserem Zoll-flugplatz. Zeit fürs Bett im Hotel.

Es ist kalt am Morgen auf dem Vorfeld von Jasionka. Auf dem Hinweg mit dem Taxi haben wir an einer Tank-stelle gehalten, um unsere sechs

mitgebrachten Kanister aufzufüllen. Mogas gibt’s am Flugplatz nicht.

»Attention! Flight DMPHX from EPRZ to UKLN is prohibited to enter the Ukrani-an Airspace for lack of permission.« Was ist das denn?! Die Nachricht erreicht uns kurz vor dem Abflug. Die erforderliche Geneh-migung liegt doch vor! Doch wie sich her-ausstellt, wurde bei ihrer Beantragung die

Flugplanaufgabe unterwegs: Nur für kontrollierte Plätze ist in der Ukraine ein Plan notwendig

Anfangs skeptisch: Zoll-personal in Chernivtsi, dem Port of Entry. Auf dem zu-gewiesenen Vorfeldbereich war schon mal mehr los

Weiter Osten: Hinter der polnisch-ukrainischen Grenze hat sich die Land-schaft verändert, und es ist wärmer geworden

Odessa Hidroport: Der Flugplatz liegt außerhalb der Stadt. Sein Name verweist auf den einstigen Wasserflugbetrieb

Fremdkörper: Auf den grob strukturierten Parkflächen in Odessa wirken die ULs neben der mächtigen An-2 wie Spielzeug

»Wohin? Ukraine? Da seid Ihr ’ne Woche zu früh dran, wenn Ihr zur Fußball-EM wollt!«

FIS-Lotse bei der Aufgabe des Flugplans

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immer drei Trinksprüche, mindestens. Und so tranken wir immer auf die Flieger, die nicht mehr wiedergekommen sind. Andrej, wir trinken auf Dich und werden Dich in sehr guter Erinnerung behalten. Na zdoro-vje!

Beim Frühstück treffen wir die Entschei-dung, trotzdem wie geplant nach Sewasto-pol zu fahren. Hotel und Guide sind bereits gebucht, und für unseren Freund können wir hier nichts mehr tun. Jürgen Lodders, unser russisch sprechender Fliegerkame-rad, klärt die letzten Formalitäten mit der eintreffenden Miliz, und mit einstündiger Verspätung brechen wir per Bus auf. Unter-wegs treffen wir in Simferopol Nadia, unse-re Führerin für den Tag. Weiter geht’s nach Sewastopol, das als Heimathafen der russi-

schen Schwarzmeer-Flotte bekannt ist. Wir besichtigen das berühmte Panorama-Mu-seum, den ehemaligen, streng geheimen U-Boot-Stützpunkt in Balaklava und be-staunen im Hafen die Reste der russischen Schwarzmeer-Flotte.

»In Deutschland ist das Wetter ziemlich mies, meine Frau macht sogar schon die Heizung an!«, sagt Jürgen Bosk nach einem Telefonat in die Heimat. Na gut, noch haben wir ein paar Tage hier auf der Krim.

Eines unserer Tagesziele ist Jalta. Auf dem Weg dahin besichtigen wir zunächst den Woronzow-Palast in Alupka, nahe der Südküste wunderschön am Berg Aj-Petri ge-legen. Die Luft dort ist herrlich, voller Nadel-holzduft, weshalb der Ort als Luftkurort gilt. Alupka hat etwa zwei Dutzend staatliche

Nach fast drei Stunden Flugzeit, immer entlang der moldawischen Grenze, kommt Odessa in Sicht, unser Tagesziel. Einer nach dem anderen landen wir auf der 600 Meter langen Graspiste 36 von Odessa-Hidroport. Der Platz, an dem in der Pionierzeit Was-serflug stattfand, wird privat betrieben und liegt etwas außerhalb der Stadt. Flugplatz-chef ist ein ehemaliger Oberstleutnant der russischen Armee und Afghanistan-Vete-ran.

Am nächsten Morgen treffen wir Natascha, unseren Scout für den Tag am Boden. Einige von uns besichtigen die Katakomben von

Odessa, die insgesamt etwa 2500 Kilome-ter lang sind. Die ganze Stadt samt Umland wurde unterhöhlt, um Steine als Baumate-rial für Häuser zu gewinnen. Während des Zweiten Weltkriegs nutzten etwa 70 Partisa-nen einen kleinen Teil der Katakomben als Versteck. Dieser Bereich ist heute ein Muse-um – wir sind beeindruckt, unter welchen Umständen die Kämpfer gehaust haben. Den Abend verbringen wir wieder gemein-sam; langsam freunden wir uns mit den uk-rainischen Trinkgewohnheiten an.

Entsprechend klein sind die Augen beim Frühstück, der Vorabend war lang und feucht. Unser Hans feiert heute seinen 80sten, und so gibt es erstmal Geburtstags-kuchen und Luftballons. Dann ruft Andrej zum Briefing für den Weiterflug nach Tabas-co im Südwesten der Krim.

N

S

OW

Wien

Bern

Rom

Prag

Stendal-Borstel

Mittelmeer

Athen

Zagreb

Budapest

Bratislava

Belgrad

Sofia

Ankara

Bukarest

Ljubljana

Sarajevo

SkopjeTirana

0 500 km

Kamenz

Berlin

Gliwice

Rzeszów-Jasionka

Chernivtsi

Odessa

Tabasco

Wroclaw

Zielona Góra-Przylep

Warschau

Schwarzes Meer

Krim

Zielona Góra-Babimost

Minsk

Vilnus

Kiew

Chisinau

DEUTSCHLAND

POLEN

UKRAINE

MOLDAVIEN

Kopenhagen

Moskau

RUMÄNIEN

Steppe. Unendliche Weite. Hans, als letz-ter der Formation, ist so begeistert von der Landschaft, dass er beim Tiefflug die Gruppe verliert. Wir malen uns schon die Schlagzei-le aus: »Wolfsburger Pilot Hans Bertram ver-schollen über dem Schwarzen Meer! Fünf Flugzeuge an Suchaktion beteiligt, Auslau-fen der Schwarzmeerflotte konnte vermie-den werden.« Wir vereinbaren eine kleine Insel an der Krimküste, darüber wollen wir uns treffen. Nach 20 Minuten ist Hans wie-der dabei.

Bei Traumwetter – 31 Grad, blauer Him-mel – fliegen wir unsere P-96 mit zehn Zentimeter geöffneter Kanzel über das wei-te Land. Gut zwei Stunden dauert das Leg nach Tabasco, wo wir auf einer völlig ausge-dörrten Piste landen, als erste deutsche UL-

Piloten, wie sich herausstellt. Platzbesitzer Sergej zeigt uns voller Stolz sein Restaurie-rungsprojekt, eine Aero 45 aus den späten vierziger Jahren. Besonders beeindruckt bin ich von einer, sagen wir mal »ukraini-schen Pitts Special«. Der Doppeldecker be-steht vollkommen aus Metall und hat einen Vierzylinder Walter-Motor. Die Maschine ist zwar noch nicht ganz fertig, aber eine flie-gende soll es bereits geben. Nicht die letzte Überraschung für diesen Tag.

Den Abend verbringen wir in einem Freiluft-Restaurant nahe dem Stadtzent-rum. Bei einem guten Essen feiern wir Hans’ Geburtstag. Zum Abschluss gehen wir mit ihm zur Strandpromenade. Das ukrainische Feuerwerk, das Andrej und Jürgen gekauft haben, ist nicht mit einem deutschen ver-

gleichbar. Aus einem dunklen Kleinbus wer-den uns die Kartons übergeben, sie sind so groß wie Umzugskartons. Es braucht zwei Mann, um sie zu schleppen. Der Wagen ist voll mit ähnlichen Kartons. Jürgens Kom-mentar: »Hätte da einer ’ne Kippe reinge-schnippt, würde es morgen in der Zeitung stehen.«

Entsetzen am Morgen: Andrej wird um 7.00 Uhr tot in seinem Bett auf-gefunden. Wir sind schockiert. An-drew ist nur 42 Jahre alt geworden,

ein Mensch, der für die Fliegerei lebte, voller Optimismus und Lebensfreude. Offenbar ist er einfach eingeschlafen. Das gute Essen und das Feuerwerk am Vorabend waren sein Abschied vom Leben. Andrej hatte abends

Auf Wiedersehen Odessa! Ein Tag Aufenthalt, Besichtigungen, mal etwas anderes als Fliegen – jetzt geht’s entlang der Küste weiter

Tabasco: klingt nach Mexiko und sieht auch so aus, liegt aber auf der Krim. Fliegerisch ist hier das Reiseziel erreicht

Exot: Pitts-ähnlicher Doppeldecker mit Walter-Reihenmotor

Charme vergangener Tage: Hafen von Sewastopol im Südwesten der Krim

Auf Landgang: Matrosen der russischen Schwarzmeerflotte in Sewastopol

»Wir sind die ersten deutschen UL-Piloten auf diesem Platz«

Jens BürgerFlieger und UL-Enthusiast

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TIPPS UND INFOS

GENERELL WICHTIG: vorher Kontakt aufnehmen mit

Piloten, Clubs, Flugplatzbetreibern oder Herstellern in der

Ukraine; das spart Kosten und macht Procedures einfacher.

Ansprechparter in Tabasco ist Platzbetreiber Sergey Chevchuk,

www.tabasco.aero

LUFTFAHRTINFOS: AIP, NOTAMs, Preflight Bulletin etc.

auf www.aisukraine.net (dort unter »Publications«); allgemei-

ne Infos u. a. zur Ukraine auf www.flyingineurope.be

EINFLUGGENEHMIGUNG: per Fax an Flight Coor-

dination Department Ukraine, Fax-Nr. 00380-444 86 75 40;

Beantragung für jedes Flugzeug einzeln ca. drei bis vier Wo-

chen vorher mit Angabe der gesamten Flugstrecke. Unbedingt

anmerken, dass es sich nicht um einen gewerblichen Flug

handelt. Pro Maschine kostet eine Genehmigung 100 Euro;

wesentlich günstiger: Alle Permissions von Kontaktperson in

der Ukraine beantragen lassen! Port of Entry darf später von

angegebenem Einflug-Flugplatz abweichen.

FLUGPLAN: für jedes Flugzeug einzeln obligatorisch,

wenn das Ziel ein kontrollierter Platz ist (z. B. Chernivtsi).

Die Permission-Nummer muss in den Flugplan eingetragen

werden. Flugpläne können über die DFS aufgegeben werden

– ruhig ein paar Tage früher, auch wenn die DFS den Plan

erst 24 Stunden im voraus akzeptiert: »Von Hand« schickt

sie ihn dann schon mal in die Ukraine. Unbedingt bei der DFS

Flugberatung einholen – Herr Kaufmann war sehr hilfreich.

LUFTRÄUME: etwas anders strukturiert als in Deutsch-

land. Tipp: in »G« bleiben!

Flugplätze: Karte mit verzeichneten Plätzen und

Flugplatz-Infos sowie -Kontakten unter www.maps.aopa.ru

(auf Russisch; automatische Übersetzung per Browser hilft

aber).

KRAFTSTOFF: auf der beschriebenen Tour an Flugplätzen

nicht zu bekommen; getankt wurde an Autotankstellen (Taxi)

mit Hilfe von mitgebrachten Kanistern. Schüttelschlauch nicht

vergessen! Super Plus kostet zirka 1,10 Euro.

WETTER: DWD informiert auch über die Ukraine, E-Mail

[email protected]; Anrufe aus Ost- und Nordosteuropa: 0049-

18 05-25 01 25, aus Süd- und Südosteuropa: 0049-18 05-

25 01 26; METARs und TAFs auch auf www.flyingineurope.be

ZWISCHENSTATION/ÜBERFLUG POLEN: vorher

NOTAMs einholen auf www.ais.pata.pl

WEITERE FRAGEN: Jürgen Bosk, E-Mail [email protected]

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REISE & ERLEBNIS

Sanatorien und Erholungsheime. Die Wei-terfahrt bringt uns am »Schwalbennest« vorbei, einem kleinen Schloss, das in spekta-kulärer Lage auf einem Felsen steht. Die Be-sichtigung des Liwadija-Palasts ist der letzte Teil unseres Kulturprogramms. Ursprüng-lich war das Gebäude die Sommerresidenz des letzten Zaren Nikolaus der Zweite und seiner Familie. Ende des Zweiten Weltkriegs wurde in dem Palast die Teilung Europas be-schlossen.

Genug der Kultur – wir freuen uns wieder aufs Fliegen. Von Tabasco soll es zunächst nach Odessa gehen und von dort weiter zu-rück nach Chernivtsi, unserem Zollflugplatz in der Ukraine.

Dieses zweite Teilstück ist über 500 Kilometer lang und könnte bei Gegenwind für die FK-9 kritisch werden. Anderswo in Europa wä-

re das unproblematisch, da man eigentlich überall einen Flugplatz zum Zwischenlan-den hat. Doch hier gibt es außer Steppe rein gar nichts. Die Route führt an der moldawi-schen Grenze und an einem militärischen Sperrgebiet entlang. Spritmanagement und Flugvorbereitung müssen also exakt pas-sen. Dazu gehört, einen Point of no Return festzulegen oder einen erheblichen Umweg über einen Flugplatz in Kauf zu nehmen, der viel weiter nördlich liegt. Diese Variante würde die Strecke in zwei Abschnitte teilen, falls Gegenwind einen Direktflug ausschlös-

se. Abends an der Bar diskutieren wir die Flugvorbereitung, was sich bis nach Mitter-nacht hinzieht. Weckzeit ist fünf Uhr – da bekommen einige sehr wenig Schlaf.

Das Frühstück fällt heute aus. Um sechs Uhr treffen wir uns in der Lobby des Hotels. Der Bus ins 120 Kilometer entfernte Tabas-co wartet schon. Zweieinhalb Stunden lang fahren wir über Straßen, die teilweise Löcher so groß wie Gullideckel haben (was daran liegt, dass die Gullideckel einfach fehlen und stattdessen Äste in die Löcher gesteckt wur-den). Wie es unseren Fliegern wohl geht? Vor fünf Tagen haben wir sie im Niemandsland abgestellt. Die Angst ist völlig unbegründet. Als wir den Platz erreichen, ist alles noch da. Und eigentlich noch viel mehr: »Druzhba«, Freundschaft. Wir werden mit Kaffee und Broten begrüßt. Außerdem haben Platzbe-sitzer Sergej und sein Freund Jury Yakovlev, Chefdesigner bei Aeroprakt in Kiew, vieles für uns vorbereitet: Luftfahrtkarten der Uk-raine für jede Maschine, Anflugkarten, NO-TAMs und mehr. Der Abschied fällt schwer.

Auf dem Hinweg hatte Andrej den Funk auf Ukrainisch gemacht, nun müssen wir uns selbst durchschlagen. Wir sind heilfroh, dass Jürgen Lodders dabei ist, der fließend Russisch spricht. Er wickelt den Funk bis Odessa ab. Dort nehmen wir uns die Zeit, den Nachbau eines Farman-Doppeldeckers von 1910 zu bewundern. Es war das erste Muster, das in der Frühzeit der Luftfahrt in der Ukraine flog und deshalb den Flugha-

fenchef von Odessa bewog, diesen Apparat flugfähig nachzubauen. Am meisten amü-siert uns der Passagiersitz: eine Parkbank aus Holz! Wie im Original.

Vollgetankt starten wir zum längsten Streckenabschnitt, auf dem der Wind auch noch von vorn bläst. Je weiter wir allerdings westwärts fliegen, desto mehr dreht er, und auch der wechselnde Steuerkurs macht uns schneller. So erreichen wir sicher Chernivtsi. Der nächste Tag bringt uns über Rzeszów-Ja-sionka nach Wroclaw-Szymanów (Breslau), am darauf folgenden Tag soll es nach Hause gehen.

»Habt Ihr das NOTAM nicht gelesen? Wegen der Fußball-EM ist das Schengen-Abkommen vorübergehend außer Kraft gesetzt!« Ausgerechnet der Controller von Kraków Information, der uns am Vortag betreut hat und deshalb weiß, wo wir hin wollen, steht morgens in Breslau am Platz. Wir hatten gehofft, von hier einfach nach Hause fliegen zu können. Das wird wohl nichts. »Ihr müsst nach Zielona Góra-Przy-lep, da könnt Ihr den Zoll machen und Eu-ren Flugplan aufgeben.« Okay, dann nach Przylep. »Was wollt Ihr hier? Zoll?? Na, das kann dauern.« Was jetzt? »Fliegt doch nach Babimost, da geht das.« Also fliegen wir in zehn Minuten das kurze Stück nach Zielo-na Góra-Babimost und geben auf dem alten Militärplatz unseren Flugplan auf. Ein Zöll-ner kommt hier zwar auch nicht, aber alle sind zufrieden.

Am neunten Tag unserer Tour treffen wir in Stendal ein – bei bestem Wetter.

Was für eine Reise!

Luftkurort Jalta: Nicht nur historisch ist die Stadt wichtig – mit ihren Sanatorien zieht sie auch Erholungssuchende an

Vor der Oper in Odessa: Gruppenfoto mit Guide, oben v. l. Jürgen Lodders, Reinhold Uthardt, Jürgen Bosk, Thomas Wojtalla, Jens Bürger, Matthias Wanjetschek, Wilfried Kuhn, Ernst Eggers; unten v. l. Andrej Ferchuk, Hans Bertram, Philip Hofmann, Michael Rugullis, Wolfgang Nagel

Zarenschloss in Jalta: Hier wurde Ende des Zweiten Weltkriegs die Teilung Europas beschlossen

Schwalbennest: In spektakulärer Lage auf eine 40 Meter hohe Klippe gebaut, überragt das Schloss die Südküste der Krim

Restaurant: Die »spanische Insel« liegt in Jalta und war mal ein Segelschiff