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Mittwoch, 13. April 2011 | az 3 Social Media «Sehr stolz» sei ihr Mann, schwärmt Trudy Weber. Seit 30 Jahren kenne man ihn «hier in Spanien» unter dem Namen «Ricola» – diesem «Super- Schweizer Produkt». Derweil warnt Werner Beinhart, jeden Tag würde man Süssstoffe wie Aspartam konsu- mieren, «ohne zu wissen, dass diese Stoffe gefährlich sind». Und Sabrina Keagan bittet, Ricola möge doch bald ein «Zeltli» mit «exotic flavor» kreieren. Kommentar, Meinung, Wunsch- zettel. Die Facebook-Fanpage des Ba- selbieter Bonbonherstellers bietet täglich eine bunte Mischung. Seit En- de letzten Jahres ist Ricola auf der grössten Social Media Plattform prä- sent und konnte bereits eine Gefolg- schaft von der Grösse der Stadt Ba- den – sprich 17 000 User – hinter sich scharen: «Direkte, ungefilterte Rück- meldungen zu erhalten, ist enorm wertvoll», sagt Kommunikationslei- ter Bernhard Christen. Künftig sollen gehäufte Kommentare auf Facebook in die Produkteentwicklung einflies- sen. Denkbar sei auch, die Onlinege- meinschaft über neue Kreationen ab- stimmen zu lassen. Eine eigentliche Social Media Strategie fehlt dem Bon- bon-Produzenten aber noch: «Zum Start haben wir gewisse Richtlinien erlassen.» Auch sei der Schritt ins Social Web nicht ohne Nebengeräusche erfolgt, räumt Christen ein: «Der Respekt vor der Direktheit des Feedbacks war im Betrieb sicher da.» Ein Bewusstseins- wandel war vonnöten. Die Frage der Ressourcen stand ebenfalls im Raum: Neben der Zusammenarbeit mit ei- ner externen Werbeagentur hat Rico- la eigens eine Social Media Manage- rin angestellt. Sie wacht über die Fa- cebook-Präsenz und hält mit regel- mässigen Inputs die Fanpage aktuell. Kontinuität sei hierbei wichtig, sagt Christen: «Wir beantworten nicht je- den Beitrag, aber sicher jede Frage.» Das schaffe in der Netzgemeinde Ver- trauen. Manuel P. Nappo leitet den Studi- engang «Social Media Management» an der HWZ Hochschule für Wirt- schaft in Zürich. Auf Facebook müss- ten die Unternehmen mit Anspruchs- gruppen in einen Dialog auf Augen- höhe treten: «Das sorgt für Missver- ständnisse und Überraschungen.» Denn klassisches Marketing sei bis- lang eine Einbahnstrasse gewesen: «Einfach die PR-Meldung auf Face- book posten, reicht nicht mehr.» Nappo ist überzeugt, dass Social Me- dia nur dann Sinn macht, wenn ein Ruck durchs Unternehmen geht: «Denn behaupten ist etwas völlig an- deres als fragen.» Matchentscheidend ist hier die Fir- menkultur: Kommunikation könne nicht mehr von oben herab kontrol- liert werden. Viel mehr gelte es, «ehr- lich und authentisch» Meinungen zu moderieren. Würden die Unterneh- men auch zu ihren Fehlern stehen, erhöhe dies das Vertrauen in die Mar- ke. Denn eins ist sicher: «Auch wenn eine Firma auf Facebook nicht prä- sent ist, wird dort trotzdem fleissig über sie diskutiert.» Doch häufig wür- den Wunsch und Realität auseinan- derklaffen: «Social Media ist kein Zauberstab, der alle Probleme löst», sagt Experte Nappo. Was fehlt, sei ei- ne konzise Strategie. Nur gerade ein Fünftel der Firmen habe wirklich ei- nen Plan. Und bloss ein Drittel evalu- iert die Ergebnisse. Zu diesem Schluss kommt eine Umfrage von Bernet PR unter 56 grossen Schwei- zer Unternehmen. Das strategische Vakuum nährt überzogene Erwartun- gen: Auf einen Schlag ganz viele Fa- cebook-Fans und ganz viel Dialog, lautet der Befehl aus der Teppich-Eta- ge. Dies, nachdem Facebook, Twitter & Co «sehr verspätet zum Thema im Topmanagement» wurden, wie And- rea Back vom Institut für Wirt- schaftsinformatik der Universität St. Gallen konstatiert. Back vergleicht Social Media mit dem Gespräch am Kaffeeautomaten oder in der Rau- cherecke: «Von heute auf morgen ge- winnen sie dort auch keine neuen Freunde.» Das brauche Zeit. Social Media sei Ausdauersport, so Back. Auch macht nicht jede Plattform für jedes Unternehmen gleichermas- sen Sinn. Es gelte der eiserne Grund- satz: «Wo die Zielgruppe ist, da muss die Firma hin.» Während Facebook beispielsweise die ideale Kommuni- kationsplattform für Konsumgüter ist, hat Twitter einen massenmedia- len Info-Charakter. Gemäss einer Stu- die von Yahoo Research erzeugen auf dem Kurzmitteilungsdienst lediglich 0,05 Prozent die Hälfte aller Mittei- lungen. Und Youtube wiederum – ebenfalls Teil des Mitmach-Webs – finde im Investitionsgüterbereich Anklang, sagt Nappo. So nutze ein Schweizer Maschinenhersteller den Videodienst, um Fehlerlösungen für seine Produkte zu dokumentieren. «Und spart sich somit einen Teil des Kundendienstes.» Fehlende Richtlinien Auch müssen die internen Prozesse stimmen: Facebook-Benutzer hielten sich nicht an vordefinierte Kunden- kanäle, weiss Simon Künzler vom Online-Marketingberater Xeit: «Da kommt alles rein – von der charman- ten Anfrage für eine Gratis-Pellerine am nächsten Open Air bis hin zur bit- terlichen Klage über ein Abo-Stornie- rung.» Social Media fordere alle her- aus – vom Personal- über den Kunden- dienst bis hin zur Entwicklungs- abteilung. Bereichsübergreifende Zusammen- arbeit ist das eine. Stimmige Feed- backs sind das andere: Die Unterneh- men müssen den richtigen Ton tref- fen, schliesslich seien «Märkte stets Gespräche», so Künzler. Gemäss Um- frage von Bernet PR verfügen nur 30 Prozent der Unternehmen über Richtlinien, wie sich die Angestellten zu verhalten haben. Vorbildlich ist der Basler Pharmariese Roche. In dessen Mitarbeiter-Manual sind Sätze zu le- sen wie «Während Ihre Aussage in ei- nigen Teilen der Welt zutreffen mag, kann sie in anderen Ländern falsch aufgefasst werden oder Vorschriften verletzen.» Schliesslich macht Social Media den Stammtisch global. VON SVEN MILLISCHER Social Media Auf Facebook, Twitter & Co hat Erfolg, wer sich den Kunden stellt – manche Firmen tun sich noch schwer damit Mitmach-Web bringt Unternehmen ins Rotieren «Wo die Zielgruppe ist, da muss die Firma hin.» Andrea Back, Wirtschaftsinformatik Uni SG Nur ein Drittel der Firmen hat Social Media Richtlinien für Angestellte. HO Unternehmen und Social Media Quelle: Social Media Studie Schweiz Grafik: az/bar 22% Ja 35% Aufwand grösser 39% Ja 13% Geplant 43% Nein 5% Extern 24% Ausgeglichen 17% Nutzen grösser 24% Weiss nicht Geplant Nein 20% 20% 1–3 Monate 5–6 Monate 8–12 Monate >12 Monate 17% 13% 8% Hat Ihr Unternehmen eine Social Media Strategie? Ist Aufwand oder Nutzen grösser? Hat Ihr Unternehmen Personal r Social Media? Wenn es einen «Gefällt mir»-Knopf dafür gäbe, Mark Zuckerberg würde ihn mit Sicherheit anklicken. Ohne viel tun zu müssen, kann der Face- book-Gründer zusehen, wie die Ban- ken sein Unternehmen von Monat zu Monat mit immer astronomischeren Summen bewerten. 24 Milliarden Dollar, 50 Milliarden Dollar, 65 Milli- arden Dollar. Der Marktwert des sozi- alen Netzwerks hat sich zwischen Ju- ni 2010 und März 2011 verdreifacht: 41 Milliarden Dollar in nur neun Monaten, unglaublich. Der Wert des Unternehmens über- steigt damit den Gewinn um mehr als das 100-Fache. Nach eigenen An- gaben erwirtschaftete Facebook in den ersten neun Monaten 2010 einen Umsatz von 1,2 Milliarden Dollar und wies einen Gewinn von 355 Mil- lionen Dollar aus. Zahlen für das gan- ze Jahr gibt es nicht. Als privates Un- ternehmen darf sich Facebook noch verschwiegen geben. Noch: 2012 soll der Börsengang folgen. Angst vor einer erneuten Internet- blase scheinen die Investoren nicht zu haben. Die Unternehmen stehen bei Zuckerberg Schlange: Alle wollen vor dem Börsengang ein möglichst grosses Stück des Facebook-Kuchens abschneiden. Im März ergatterte sich der Investmentfonds General Atlan- tic rund 2,5 Millionen Aktien von ehemaligen Facebook-Mitarbeitern. Kaufpreis unbekannt. Damit hält Ge- neral Atlantic einen 0,1-prozentigen Anteil am Unternehmen. Im Januar investierte bereits die Grossbank Goldman Sachs 450 Millionen Dollar. Ziel: Eine Milliarde Mitglieder Das Interesse der vielen Geldgeber erklärt sich wenn nicht aus dem be- scheidenen Umsatz, dann aus dem starken Anstieg der Mitgliederzahlen. Anfang April zählt Facebook weltweit über 664 Millionen Mitglieder. Das entspricht einem Zehntel der Weltbe- völkerung. Im August 2012 will Face- book die Marke von einer Milliarde Mitglieder übertreffen. Facebook ist die meistbesuchte Website auf dem Planeten. «Die Hälfte der Mitglieder loggt sich einmal pro Tag ein», sagt ei- ne Facebook-Sprecherin. Auch in der Schweiz verbreitet sich Facebook erfolgreich. Über 31 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer haben einen Facebook- Account. Im Vergleich mit Deutsch- land sei die Penetration deutlich hö- her. «Die Schweizer sind halt sehr technikaffin», so die Sprecherin. Pro Monat sind die 2,5 Millionen Schwei- zer Benutzer mindestens einmal auf Facebook online. Traum für Marketingleute Dabei ist Facebook längst nicht mehr nur eine Spielerei, wo man die Fotos des Wochenendes hochlädt oder sich über die Lieblingsmusik austauscht. Facebook ist zu einer Werbeplattform mutiert, auf der Un- ternehmen für ihre Marke und ihre Produkte bewerben. Dabei verfügt Facebook über Infor- mationen, von denen die Marketing- leute nur träumen: Alter, Geschlecht, Wohnort, Nutzungsverhalten – alles liegt bei Facebook offen da. Werbean- zeigen können quasi personalisiert eingeblendet werden. Die Werbung auf Facebook funktioniere bereits sehr gut, sagt die Facebook-Spre- cherin. Grund: «Die Unternehmen le- gen ihre Zielgruppe selbst fest.» An- zeigen können eigenhändig aufge- schaltet werden. Bezahlt wird nur, wenn ein Facebook-Benutzer die ent- sprechende Anzeige anklickt «Cost- per-Click» nennt sich das. Zudem erhöhen die Mitglieder die Attraktivität für die Werbenden noch zusätzlich. Wer sich mit einer Marke oder einem Produkt identifiziert und den «Gefällt mir»-Knopf klickt, der zeigt dies seinen Facebook-Freunden, aber auch dem Unternehmen selbst. Und schon hat dieses ein neues Ziel- objekt gefunden. Mit jedem zusätzli- chen Mitglied wird Facebook deshalb für die Werbewirtschaft interessan- ter und für die Investoren wertvoller. VON ROMAN SCHENKEL Wachstum Facebook zählt bald 700 Millionen Mitglieder. Seinen Marktwert beziffern die Banken auf 65 Milliarden Dollar – wegen des Werbepotenzials. Facebook steigert seinen Wert mit jedem neuen Mitglied Ob SBB, Swisscom, Kuo- ni oder die Krankenkasse Helsana. Kein renom- miertes Unternehmen liess es sich vor drei, vier Jahren nehmen, in der von Avataren bevölker- ten virtuellen Welt von Second Life eine Depen- dance zu eröffnen. Un- mengen von Linden-Dol- lars, die offizielle Second- Life-Währung, wurden hierzu investiert. Diese sind frei in US-Dollar konvertierbar. Die künstli- che Welt ist eine offene Plattform, auf der alle User dreidimensionale Objekte kreieren und auch verkaufen können. Und noch immer kann sich Second Life mit über 21 Millionen registrierten Benutzerkonten rüh- men. Doch die virtuelle Apokalypse hat längst eingesetzt: Die Zahl der aktiven Benutzer hat be- reits vor vier Jahren den Zenit überschritten. Die meisten Firmen haben ih- re virtuelle Geschäftstä- tigkeit längst eingestellt. Nicht zuletzt, weil der vir- tuelle Rummelplatz mit Reputationsrisiken wie Rotlicht-Etablissement zu kämpfen hatte. Die Be- treiberin, die US-Firma Linden Labs, musste im letzten Jahr 100 ihrer 300 Stellen abbauen. Offen- bar setzt Linden Labs nun Hoffnung auf mobile Anwendungen fürs Han- dy. Doch Social-Media- Experten winken ab. Die 3-D-Fantasiewelt mit ih- ren Avataren sei der fal- sche Ansatz. Erfolgreiche Anwendungen wie Face- book würden reale Bezie- hungen befördern. (MIL) SECOND LIFE: DIE VIRTUELLE APOKALYPSE

Mitmach-Web bringt Unternehmen ins Rotieren

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Social Media Auf Facebook, Twitter & Co hat Erfolg, wer sich den Kunden stellt – manche Firmen tun sich noch schwer damit

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Mittwoch, 13. April 2011 | az 3Social Media

«Sehr stolz» sei ihr Mann, schwärmtTrudy Weber. Seit 30 Jahren kenneman ihn «hier in Spanien» unter demNamen «Ricola» – diesem «Super-Schweizer Produkt». Derweil warntWerner Beinhart, jeden Tag würdeman Süssstoffe wie Aspartam konsu-mieren, «ohne zu wissen, dass dieseStoffe gefährlich sind». Und SabrinaKeagan bittet, Ricola möge doch baldein «Zeltli» mit «exotic flavor»kreieren.

Kommentar, Meinung, Wunsch-zettel. Die Facebook-Fanpage des Ba-selbieter Bonbonherstellers bietettäglich eine bunte Mischung. Seit En-de letzten Jahres ist Ricola auf dergrössten Social Media Plattform prä-sent und konnte bereits eine Gefolg-schaft von der Grösse der Stadt Ba-den – sprich 17 000 User – hinter sichscharen: «Direkte, ungefilterte Rück-meldungen zu erhalten, ist enormwertvoll», sagt Kommunikationslei-ter Bernhard Christen. Künftig sollengehäufte Kommentare auf Facebookin die Produkteentwicklung einflies-sen. Denkbar sei auch, die Onlinege-meinschaft über neue Kreationen ab-stimmen zu lassen. Eine eigentlicheSocial Media Strategie fehlt dem Bon-bon-Produzenten aber noch: «ZumStart haben wir gewisse Richtlinienerlassen.»

Auch sei der Schritt ins Social Webnicht ohne Nebengeräusche erfolgt,räumt Christen ein: «Der Respekt vorder Direktheit des Feedbacks war imBetrieb sicher da.» Ein Bewusstseins-wandel war vonnöten. Die Frage derRessourcen stand ebenfalls im Raum:Neben der Zusammenarbeit mit ei-ner externen Werbeagentur hat Rico-

la eigens eine Social Media Manage-rin angestellt. Sie wacht über die Fa-cebook-Präsenz und hält mit regel-mässigen Inputs die Fanpage aktuell.Kontinuität sei hierbei wichtig, sagtChristen: «Wir beantworten nicht je-den Beitrag, aber sicher jede Frage.»Das schaffe in der Netzgemeinde Ver-trauen.

Manuel P. Nappo leitet den Studi-engang «Social Media Management»an der HWZ Hochschule für Wirt-schaft in Zürich. Auf Facebook müss-ten die Unternehmen mit Anspruchs-gruppen in einen Dialog auf Augen-höhe treten: «Das sorgt für Missver-ständnisse und Überraschungen.»Denn klassisches Marketing sei bis-lang eine Einbahnstrasse gewesen:«Einfach die PR-Meldung auf Face-

book posten, reicht nicht mehr.»Nappo ist überzeugt, dass Social Me-dia nur dann Sinn macht, wenn einRuck durchs Unternehmen geht:«Denn behaupten ist etwas völlig an-deres als fragen.»

Matchentscheidend ist hier die Fir-menkultur: Kommunikation könnenicht mehr von oben herab kontrol-liert werden. Viel mehr gelte es, «ehr-lich und authentisch» Meinungen zumoderieren. Würden die Unterneh-men auch zu ihren Fehlern stehen,erhöhe dies das Vertrauen in die Mar-ke. Denn eins ist sicher: «Auch wenneine Firma auf Facebook nicht prä-sent ist, wird dort trotzdem fleissigüber sie diskutiert.» Doch häufig wür-den Wunsch und Realität auseinan-derklaffen: «Social Media ist keinZauberstab, der alle Probleme löst»,sagt Experte Nappo. Was fehlt, sei ei-ne konzise Strategie. Nur gerade einFünftel der Firmen habe wirklich ei-nen Plan. Und bloss ein Drittel evalu-iert die Ergebnisse. Zu diesem

Schluss kommt eine Umfrage vonBernet PR unter 56 grossen Schwei-zer Unternehmen. Das strategischeVakuum nährt überzogene Erwartun-gen: Auf einen Schlag ganz viele Fa-cebook-Fans und ganz viel Dialog,lautet der Befehl aus der Teppich-Eta-ge. Dies, nachdem Facebook, Twitter& Co «sehr verspätet zum Thema imTopmanagement» wurden, wie And-rea Back vom Institut für Wirt-schaftsinformatik der Universität St.Gallen konstatiert. Back vergleichtSocial Media mit dem Gespräch amKaffeeautomaten oder in der Rau-cherecke: «Von heute auf morgen ge-winnen sie dort auch keine neuenFreunde.» Das brauche Zeit. SocialMedia sei Ausdauersport, so Back.

Auch macht nicht jede Plattformfür jedes Unternehmen gleichermas-sen Sinn. Es gelte der eiserne Grund-satz: «Wo die Zielgruppe ist, da mussdie Firma hin.» Während Facebookbeispielsweise die ideale Kommuni-kationsplattform für Konsumgüterist, hat Twitter einen massenmedia-len Info-Charakter. Gemäss einer Stu-die von Yahoo Research erzeugen aufdem Kurzmitteilungsdienst lediglich0,05 Prozent die Hälfte aller Mittei-lungen. Und Youtube wiederum –ebenfalls Teil des Mitmach-Webs –finde im InvestitionsgüterbereichAnklang, sagt Nappo. So nutze einSchweizer Maschinenhersteller denVideodienst, um Fehlerlösungen fürseine Produkte zu dokumentieren.«Und spart sich somit einen Teil desKundendienstes.»

Fehlende RichtlinienAuch müssen die internen Prozesse

stimmen: Facebook-Benutzer hieltensich nicht an vordefinierte Kunden-kanäle, weiss Simon Künzler vomOnline-Marketingberater Xeit: «Dakommt alles rein – von der charman-ten Anfrage für eine Gratis-Pellerineam nächsten Open Air bis hin zur bit-terlichen Klage über ein Abo-Stornie-rung.» Social Media fordere alle her-aus – vom Personal- über den Kunden-dienst bis hin zur Entwicklungs-abteilung.

Bereichsübergreifende Zusammen-arbeit ist das eine. Stimmige Feed-backs sind das andere: Die Unterneh-men müssen den richtigen Ton tref-fen, schliesslich seien «Märkte stetsGespräche», so Künzler. Gemäss Um-frage von Bernet PR verfügen nur30 Prozent der Unternehmen überRichtlinien, wie sich die Angestelltenzu verhalten haben. Vorbildlich ist derBasler Pharmariese Roche. In dessenMitarbeiter-Manual sind Sätze zu le-sen wie «Während Ihre Aussage in ei-nigen Teilen der Welt zutreffen mag,kann sie in anderen Ländern falschaufgefasst werden oder Vorschriftenverletzen.» Schliesslich macht SocialMedia den Stammtisch global.

VON SVEN MILLISCHER

Social Media Auf Facebook, Twitter & Co hat Erfolg, wer sich den Kunden stellt – manche Firmen tun sich noch schwer damit

Mitmach-Web bringt Unternehmen ins Rotieren

«Wo die Zielgruppe ist,da muss die Firma hin.»Andrea Back,Wirtschaftsinformatik Uni SG

Nur ein Drittel der Firmen hat Social Media Richtlinien für Angestellte. HO

Unternehmen und Social Media

Quelle: Social Media Studie Schweiz Grafik: az/bar

22%

Ja

35%

Aufwand

grösser

39%

Ja

13%

Geplant

43%

Nein

5%

Extern

24%

Ausgeglichen

17%

Nutzen

grösser

24%

Weiss

nicht

Geplant

Nein20%

20%1–3 Monate

5–6 Monate

8–12Monate

>12Monate

17%

13% 8%

Hat Ihr Unternehmen eine

Social Media Strategie?

Ist Aufwand oder Nutzen

grösser?

Hat Ihr Unternehmen Personal

für Social Media?

Wenn es einen «Gefällt mir»-Knopfdafür gäbe, Mark Zuckerberg würdeihn mit Sicherheit anklicken. Ohneviel tun zu müssen, kann der Face-book-Gründer zusehen, wie die Ban-ken sein Unternehmen von Monat zuMonat mit immer astronomischerenSummen bewerten. 24 MilliardenDollar, 50 Milliarden Dollar, 65 Milli-arden Dollar. Der Marktwert des sozi-alen Netzwerks hat sich zwischen Ju-ni 2010 und März 2011 verdreifacht:41 Milliarden Dollar in nur neunMonaten, unglaublich.

Der Wert des Unternehmens über-steigt damit den Gewinn um mehrals das 100-Fache. Nach eigenen An-gaben erwirtschaftete Facebook inden ersten neun Monaten 2010 einenUmsatz von 1,2 Milliarden Dollarund wies einen Gewinn von 355 Mil-lionen Dollar aus. Zahlen für das gan-ze Jahr gibt es nicht. Als privates Un-ternehmen darf sich Facebook nochverschwiegen geben. Noch: 2012 sollder Börsengang folgen.

Angst vor einer erneuten Internet-blase scheinen die Investoren nichtzu haben. Die Unternehmen stehenbei Zuckerberg Schlange: Alle wollenvor dem Börsengang ein möglichstgrosses Stück des Facebook-Kuchensabschneiden. Im März ergatterte sichder Investmentfonds General Atlan-tic rund 2,5 Millionen Aktien vonehemaligen Facebook-Mitarbeitern.Kaufpreis unbekannt. Damit hält Ge-

neral Atlantic einen 0,1-prozentigenAnteil am Unternehmen. Im Januarinvestierte bereits die GrossbankGoldman Sachs 450 Millionen Dollar.

Ziel: Eine Milliarde MitgliederDas Interesse der vielen Geldgeber

erklärt sich wenn nicht aus dem be-scheidenen Umsatz, dann aus demstarken Anstieg der Mitgliederzahlen.Anfang April zählt Facebook weltweitüber 664 Millionen Mitglieder. Dasentspricht einem Zehntel der Weltbe-völkerung. Im August 2012 will Face-book die Marke von einer MilliardeMitglieder übertreffen. Facebook istdie meistbesuchte Website auf demPlaneten. «Die Hälfte der Mitgliederloggt sich einmal pro Tag ein», sagt ei-ne Facebook-Sprecherin.

Auch in der Schweiz verbreitetsich Facebook erfolgreich. Über31 Prozent der Schweizerinnen und

Schweizer haben einen Facebook-Account. Im Vergleich mit Deutsch-land sei die Penetration deutlich hö-her. «Die Schweizer sind halt sehrtechnikaffin», so die Sprecherin. ProMonat sind die 2,5 Millionen Schwei-zer Benutzer mindestens einmal aufFacebook online.

Traum für MarketingleuteDabei ist Facebook längst nicht

mehr nur eine Spielerei, wo man dieFotos des Wochenendes hochlädtoder sich über die Lieblingsmusikaustauscht. Facebook ist zu einerWerbeplattform mutiert, auf der Un-ternehmen für ihre Marke und ihreProdukte bewerben.

Dabei verfügt Facebook über Infor-mationen, von denen die Marketing-leute nur träumen: Alter, Geschlecht,Wohnort, Nutzungsverhalten – allesliegt bei Facebook offen da. Werbean-

zeigen können quasi personalisierteingeblendet werden. Die Werbungauf Facebook funktioniere bereitssehr gut, sagt die Facebook-Spre-cherin. Grund: «Die Unternehmen le-gen ihre Zielgruppe selbst fest.» An-zeigen können eigenhändig aufge-schaltet werden. Bezahlt wird nur,wenn ein Facebook-Benutzer die ent-sprechende Anzeige anklickt «Cost-per-Click» nennt sich das.

Zudem erhöhen die Mitglieder dieAttraktivität für die Werbenden nochzusätzlich. Wer sich mit einer Markeoder einem Produkt identifiziert undden «Gefällt mir»-Knopf klickt, derzeigt dies seinen Facebook-Freunden,aber auch dem Unternehmen selbst.Und schon hat dieses ein neues Ziel-objekt gefunden. Mit jedem zusätzli-chen Mitglied wird Facebook deshalbfür die Werbewirtschaft interessan-ter und für die Investoren wertvoller.

VON ROMAN SCHENKEL

Wachstum Facebook zählt bald700 Millionen Mitglieder.Seinen Marktwert beziffern dieBanken auf 65 Milliarden Dollar– wegen des Werbepotenzials.

Facebook steigert seinen Wert mit jedem neuen Mitglied

Ob SBB, Swisscom, Kuo-ni oder die KrankenkasseHelsana. Kein renom-miertes Unternehmenliess es sich vor drei, vierJahren nehmen, in dervon Avataren bevölker-ten virtuellen Welt vonSecond Life eine Depen-dance zu eröffnen. Un-mengen von Linden-Dol-lars, die offizielle Second-Life-Währung, wurdenhierzu investiert. Diesesind frei in US-Dollar

konvertierbar. Die künstli-che Welt ist eine offenePlattform, auf der alle

User dreidimensionaleObjekte kreieren undauch verkaufen können.Und noch immer kannsich Second Life mit über21 Millionen registriertenBenutzerkonten rüh-men. Doch die virtuelleApokalypse hat längsteingesetzt: Die Zahl deraktiven Benutzer hat be-reits vor vier Jahren denZenit überschritten. Diemeisten Firmen haben ih-re virtuelle Geschäftstä-tigkeit längst eingestellt.Nicht zuletzt, weil der vir-tuelle Rummelplatz mit

Reputationsrisiken wieRotlicht-Etablissement zukämpfen hatte. Die Be-treiberin, die US-FirmaLinden Labs, musste imletzten Jahr 100 ihrer 300Stellen abbauen. Offen-bar setzt Linden Labsnun Hoffnung auf mobileAnwendungen fürs Han-dy. Doch Social-Media-Experten winken ab. Die3-D-Fantasiewelt mit ih-ren Avataren sei der fal-sche Ansatz. ErfolgreicheAnwendungen wie Face-book würden reale Bezie-hungen befördern. (MIL)

■ SECOND LIFE: DIE VIRTUELLE APOKALYPSE