59
Mitteilungen Heft 19 · Februar 2012 Neurowissenschaften in Sucht- und Marketingwissenschaften Überzeugende Nutzervorteile: Eine notwendige Zutat zum „Nachhaltigen Essen“ Regionale Lebensmittel – Neuer Trend oder großer Schwindel? Was ist Esskultur? Versuch einer typologischen Interpretation des Begriffs Esskultur Internationaler Arbeitskreis für Kulturforschung des Essens

Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

  • Upload
    others

  • View
    0

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

MitteilungenHeft 19 · Februar 2012

Neurowissenschaften in Sucht-und Marketingwissenschaften

Überzeugende Nutzervorteile:Eine notwendige Zutat zum „Nachhaltigen Essen“

Regionale Lebensmittel –Neuer Trend oder großer Schwindel?

Was ist Esskultur? Versuch einer typologischenInterpretation des Begriffs Esskultur

Internationaler Arbeitskreis für Kulturforschung des Essens

Page 2: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker
Page 3: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

IAKE. Mitteilungen, Heft 19 1Inhalt

Liebe Leserinnen und Leser,

die Nachhaltigkeit war im vergangenen Jahr ein wesentliches Thema für alle, die sich mit Ernährung beschäftigen.Zahlreiche Tagungen und Forschungsberichte bezeugen dies. Offensichtlich ist das Thema auch in der Mitte der Wis-senschaft angekommen, denn ohne Nachhaltigkeitsaspekte scheint Forschung heute kaum mehr möglich. Und das istgut so. Auch in diesem Heft ist Nachhaltigkeit ein zentrales Thema und es ist bemerkenswert, wie stark sich dieses ausdem ursprünglich sehr polar geführten Diskurs herausbewegt. So zeigt Jan Jarre (Münster) in seinem Beitrag auf, wiewichtig der ökonomische Nutzen – aber auch eine gewisse „Leichtigkeit“ im Umgang mit dem Thema – für eine Ver-stetigung und Ausweitung nachhaltigen Handels ist. Stephanie Dorandt (Berlin) beschäftigt sich in ihrem Beitrag mitdem neuen Trend Regionalität und damit, wie unterschiedlich dieser Begriff definiert bzw. ausgelegt werden kann.Doch Nachhaltigkeit betrifft uns Menschen auch ganz direkt bei der immer währenden, äußerst komplexen Frage, wiewir richtig handeln, wie wir essen und trinken sollen. Nachhaltigkeit – richtig verstanden – ist in seinem Wesen einethisches Konzept, weil ökologische, soziale und ökonomische Argumente gleichberechtigt nebeneinander stehend dieFrage nach dem Gut und Richtig beantworten sollen – auch im Ernährungsbereich. Doch möglicherweise bietet eineBeschäftigung mit Ethik in der Ernährung noch mehr. Das wird sich beim nächsten Symposium des Arbeitskreisesim Oktober 2012 zeigen. Eine erste Gedankenskizze von Gunther Hirschfelder (Regensburg) in diesem Heft lädt Sieheute schon zum Nachdenken ein.

Ihre Redaktion

Internationaler Arbeitskreisfür Kulturforschung des Essens

Mitteilungen Heft 19 · Februar 2012

Berichte

39 „Brennpunkt Ernährung – Aufgaben für morgen“

40 „Wie isst Mann? Wie kocht Mann? Ernährung vonmännlichen Jugendlichen zwischen Pizza und Pommes“

41 „So isst die Stadt. Esskultur und die Eigenlogik derStädte“

42 Ankündigung: 16. Heidelberger Ernährungsforum

43 „Food Literacy – Perspektiven für die Erwachsenenbil-dung“

44 Käsebrot mit Marmelade?Geschmack ist mehr als schmecken

46 Deutsche Gesellschaft für Sensorik fördert die interdis-ziplinäre Weiterentwicklung der sensorischen Analyse

Literatur

47 Literaturhinweise

53 Rezensionen

Nicht zuletzt

56 Themenpapier „Alkohol als Einschlafhilfe?“

56 Wir über uns / Impressum

Beiträge

2 Gerhard BrennerNeurowissenschaften in Sucht- und Marketing-wissenschaften:Forschen auf gleichen Wegen mit verschiedenen Zielen

11 Jan JarreÜberzeugende Nutzervorteile:Eine notwendige Zutat zum „Nachhaltigen Essen“

18 Stephanie DorandtRegionale Lebensmittel –Neuer Trend oder großer Schwindel?

Zur Diskussion gestellt

28 Stephanie BaumWas ist Esskultur? Versuch einer typologischen Interpretation des Begriffs Esskultur

Aus dem Arbeitskreis

36 Aus dem Vorstand

37 Was der Mensch essen darf.Ökonomische Zwänge, ökologisches Gewissen und globale Verlockungen

Inhalt

Page 4: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

2 IAKE. Mitteilungen, Heft 19Beiträge

1 http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20111024_OTS0035/vki-klagt-gegen-alkohol-werbung-fuer-maturareise (18.12.2011).2 unhate.benetton.com/gadgets (18.12.2011).3 STAATS, Arthur W. /STAATS, CarolynK.: Attitudes established by classical conditio-ning, The Journal of Abnormal and SocialPsychology 57 (1), 1958, 37–40.

Kürzlich verklagte der österreichische„Verein für Konsumenteninformation“einen Maturareisen-Anbieter (Abitur-reisen), der seinen Zielgruppen ver-sprach: „Auf euch wartet die besteParty eures Lebens: Und das Beste.Erstmals gibt’s in der Geschichtevon Event-Maturareisen OttakringerBier, Bacardi und Eristoff jederzeitund überall und immer und alle Tageund die ganze Woche und dauerndund rund um die Uhr und im ge-samten Club 4 FREE!“

Im Prospekt finden sich Fotosvon fröhlich feiernden Mädchen vorCocktailgläsern, den Fotografen mitWodka-Flaschen zuprostend, undMädchen, die Rum-Flaschen küssenund in die Kamera strahlen, wiedermit dem Bacardi-Rum-und-Eristoff-Slogan. „Während Mediziner be-sonders vor Alkohol für Jugendlichewarnen und der Gesetzgeber Werbe-verbote im Fernsehen und Radio vor-schreibt, werden hier Maturareisenals Alkohol-Spektakel zu verkaufenversucht“, kritisiert Dr. Peter Kolba1,Leiter des Bereiches Recht im „Ver-ein für Konsumenteninformation“.

Wenn Werbefachleute ihre Sachein bestimmten Feldern offenbar „zugut“ machen, kann es passieren, dasssie gegen gesellschaftliche Normenverstoßen. Die Werbung gerät meistdann in die Kritik, wenn sie entwe-der mit Reizbildern provoziert undüber das Ziel hinausschießt oderwenn sie Produkte bewirbt, die zwarlegal zu erwerben sind, die aber zu-

mindest in Teilen der Gesellschaftgeächtet sind. Klassisches Beispielfür Ersteres sind Benetton-Fotos ausden 1980er-Jahren – und aus jüng-ster Zeit die „Unhate-Kampagne“,bei der unterschiedliche Politikereinander küssend dargestellt werden,beispielsweise der US-amerikani-sche Präsident Barack Obama undder Präsident von Venezuela, HugoChávez.2 Klassisches Beispiel fürZweiteres ist Werbung für legaleSuchtmittel, wie Alkohol und Ziga-retten. Der Grund für die „natürli-che Feindschaft“ zwischen Konsu-mentenschützern und Werbern indiesem Fall liegt im Gehirn der Kon-sumenten und wie dieses auf Werbe-reize und auf süchtig machende Rei-ze reagiert: nämlich auf dieselbeWeise und im selben „Schaltkreis“,im Belohnungssystem.

Als die Marketing- und Marken-forschung gegen Ende der 1990er-Jahre, Anfang der 2000er-Jahre diefunktionellen Neurowissenschaftenfür sich zu entdecken begannen, gin-gen sie auf die Suche nach dem„Buying-Button“, einem Kaufknopfim Gehirn. Er sollte identifiziert wer-den, damit ihn Werber bedienenkonnten. Bereits in den späten1950er-Jahren hatten Konsumenten-verhaltensforscher postuliert, dassrein auf das Rationale abzielendeWerbebotschaften jenen unterlegenseien, die mit emotionalen Botschaf-ten spielten. Als klassisch gilt dasExperiment von Staats und Staats3,

Neurowissenschaften in Sucht- und Marketingwissenschaften:Forschen auf gleichen Wegen mit verschiedenen ZielenGerhard Brenner

Mit dem Einzug der Neurowissenschaften in unterschiedliche Forschungsfelder gelingt es, bis zu einem ge-wissen Grad, menschliche Denkprozesse in vivo sichtbar zu machen. Bei Sucht- und Marketingwissenschaft-lern hat sich in den vergangenen 10 bis 15 Jahren ein gemeinsamer Fokus herauskristallisiert: das System anbelohnungsrelevanten Bahnen im Gehirn und die Erforschung von deren Protagonisten.

Internationaler Arbeitskreis für Kulturforschung des Essens. Mitteilungen 2012, H.19, S. 2–10

Page 5: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

in dem die Fantasieseife „Hoba“ unddie erfundene Ringbuchordner-Marke„Semo“ je einmal mit schwach emo-tionaler Werbung und einmal mit starkemotionaler Werbung in KinospotsVersuchspersonen präsentiert wurde.Die Probanden schrieben 24 Stun-den nach der Präsentation der Spotsden fiktiven Marken Eigenschaftenzu, die den emotionalen Markenbot-schaften zuzuordnen waren.

Ebenfalls in den 1950er-Jahrenmachten die Forscher James Oldsund Peter Milner4 von der McGillUniversity in Montreal (Kanada) ei-nen Zufallsfund, von dem heutenoch mehrere Wissenschaftszweigezehren. Sie pflanzten Ratten Elektro-den ins Gehirn, mit denen sie ihnenAngst machen wollten. In einem „T-Labyrinth“ standen den Versuchs -tieren zwei Wege offen: Wählten sieden „richtigen“, wurden sie am En-de des Ganges mit Futter belohnt.Wählten sie den „falschen“, wurdeihnen ein Stromschlag ins Gehirnversetzt. Die Forscher vermuteten,die Ratten würden auf diese Weiselernen, den Weg zum Futter zu neh-men, sobald sie durch Stromschläge„bestraft“ worden wären.

Doch das Gegenteil trat ein: DieRatten lernten bevorzugt den Wegzum Stromschlag als zum Futter.Olds und Milner veränderten ihreVersuchsanordnung, so dass sich dieTiere selbst die Stromschläge verab-reichen konnten. Sie taten das biszum Umfallen – im wörtlichen Sin-ne. Sie wurden „süchtig“ nachStrom. Olds und Milner fanden her-aus, dass ihr Ratten-Strom-Experi-ment nur dann funktionierte, wenndie Elektroden in bestimmten Berei-chen des Gehirns steckten.

Die Wissenschaftler stellten fest,sie hatten die Elektroden im „Sep-tum pellucidum“ der Ratten befes -tigt, in einer Struktur zwischen denHirnhälften in der Nähe des Hypo-thalamus. Heute weiß man: Das un-ter Strom gesetzte Gehirngebiet ge-hört zu einem der Schaltkreise, dieam Belohnungssystem des Gehirns

beteiligt sind. Des Weiteren ist heutebekannt, dass es mehrerer solcherSchaltkreise gibt und dass sie dasGehirn recht weitläufig durchziehen.

Hätte die Menschheit zu ZeitenOlds’ und Milners bereits das Face-book erfunden, hätten die Wissen-schaftler ihre Entdeckung mögli-cherweise als „Gefällt-mir-Button“bezeichnet. Möglicherweise entstandauf Grund dieser Einzelentdeckungauch erst die Idee, einen „Buying-Button“ im Gehirn der Konsumen-ten zu suchen. Doch für die Sucht-forschung konnten Olds’ und MilnersErgebnisse ein Alarmzeichen sein.Heute ist bekannt, sämtliche Süchte– sowohl stoffgebundene als auchstoffungebundene – setzen in Schalt-kreisen des Belohnungssystems an.Die Stromläufe und die chemischenAustauschvorgänge des Belohnungs-systems fahren sich im Lauf der Zeitein, werden „überdreht“ und führenso zur Sucht.

Eine andere Entdeckung brachtebereits vor Olds’ und Milners Zu-fallsfund im Belohnungssystem dieMarketingwelt in Aufregung und dieKonsumentenwelt in Aufruhr: DerUS-amerikanische Werber JamesVicary präsentierte Kinogästen inNew Jersey unterhalb der Wahrneh-mungsschwelle (etwa 350 Millise-kunden in Filmsequenzen versteckteingebaut) die Kurzbefehle: „DrinkCoca-Cola!“ und „Eat Popcorn!“. Inder Abspielpause – so behauptete er –hätten die Kinokunden die Buffetsgestürmt, um Coca-Cola und Pop-corn zu kaufen. Einige Jahre spätergestand Vicary, dass er die Ergeb-nisse seines „Experiments“ manipu-liert hatte. Doch Vicary hatte zu die-sem Zeitpunkt längst eine hitzigeDebatte ausgelöst – und Myriadenvon Versuchen, seine Ergebnisse zuwiederholen. Die Unterschiede wa-ren beträchtlich. Aus heutiger Sichtsind die Experimente Vicarys undseiner Nachfolger eher in das Reichder Mythen zu verweisen – wenn-gleich unbewusste Wahrnehmungauch seriös nachweisbare Effekte er-

4 OLDS, James /MILNER, Peter: Positivereinforcement produced by electrical stimula-tion of septal area and other regions of ratbrain, Journal of Comparative PhysiologicalPsychology 47, 1954, 419–427.

IAKE. Mitteilungen, Heft 19 3Neurowissenschaften

Page 6: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

5 ZAJONC, Robert B.: Attitudinal effects ofmere exposure, Journal of Personality and So-cial Psychology Monographs 9, 1968, 1–27.6 RUGG, Michael D. /MARK, Ruth E. /WALLA, Peter / SCHLOERSCHEIDT, As -trid M. /BIRCH, Claire S. /ALLAN, Kevin:Dissociation of the neural correlates of impli-cit and explicit memory, Nature 392 (9), 1998,595–598.7 TVERSKY, Amos /KAHNEMANN, Da-niel: The framing of decisions and the psycho-logy of choice, Science 211, 1981, 453–458.8 FISCHHOFF, Baruch: Perceived infor-mativeness of facts, Human Perception andPerformance 3, 1977, 349–358.9 WERTH, Lioba /STRACK, Fritz: An in-ferential approach to the knew-it-allalong-phenomenon, Memory 11, 2003, 411–419.

zielen kann. Eine dieser Wirkungenist der „Mere-Exposure-Effect“, derEffekt bloßer Darbietung eines Rei-zes mit daran anschließenden Lern-effekten.5

Verschiedene Forscher fanden„Irradiationseffekte“. Dabei kam eszu Veränderungen der emotionalenEinstellung einem Einstellungsobjektgegenüber, wenn das Einstellungsob-jekt gemeinsam mit einem emotionalgeladenen Reiz präsentiert wurde –egal ob die gemeinsam dargebote-nen Reize intentional oder auch nurbeiläufig wahrgenommen wurden.Der „Mere-Exposure-Effect“ bewirktbeispielsweise auch, dass ein Objekt(etwa ein unbekanntes Gesicht),nachdem es unterschwellig erstmalspräsentiert worden ist, in einer dar-auf folgenden Sympathie-Bewertungbesser abschneidet als ein noch nie-mals präsentiertes Objekt.

Mit Hilfe der Elektroenzephalo-graphie (EEG) gelang es, den „Mere-Exposure-Effect“ auch „objektiv“ inGehirnaktivitäten nachzuweisen.Probanden zeigten an der Kopfober-fläche eine andere elektrische Akti-vität bei Wörtern, die ihnen bekanntwaren, als bei Wörtern, die sie nochnie zuvor gehört hatten.6

Auch das „Wie“ einer Darbietungkann Menschen unbewusst beeinflus-sen. Tversky und Kahneman nann-ten das „Framing-Effect“7. Generellist das Gedächtnis des Menschen eineleicht beeinflussbare Konstruktion.Fischoff entdeckte den Rückschau-fehler8 und Werth und Strack gabendem „Knew-it-all-along-Effect“ sei-nen Namen9.

Funktionelle neurowissenschaft-liche Methoden

In den 1970er-Jahren hielten physio-logische funktionelle neurowissen-schaftliche Methoden Einzug in denMarketingwissenschaften. Mit Elektro-enzephalographie (EEG) und Mag-netoenzephalographie (MEG) gelanges, Entscheidungsabläufe im Gehirnvon Konsumenten zu verfolgen – insehr hoher zeitlicher Auflösung (imMillisekundenbereich), jedoch mitgeringer örtlicher Auflösung, so dassim Wesentlichen nicht nachweisbarwar bzw. ist, welchen Gehirnarealenbestimmte Abläufe zuzuordnen sind.Dieses Manko wurde behebbar mitHilfe der funktionellen Magnetreso-nanztomographie (fMRT): In fMRT-Messungen lässt sich auf wenige Pi-

4 IAKE. Mitteilungen, Heft 19Beiträge

nach © elvira gerecht/ fotalia.com

Page 7: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

xel (bzw. Voxel) eingrenzen, in wel-chen Arealen Neuronen-Verbändeihre Aktivitäten steigern. Allerdingsmisst die fMRT nicht die Neuronen-Aktivitäten selbst, sondern Verände-rungen im Blutfluss. GesteigerteBlutzufuhr in bestimmte Gebiete desGehirns lässt darauf schließen, dassdort erhöhte Aktivität stattfindet.Allerdings geschieht das mit einerzeitlichen Verzögerung von rund vierSekunden – was eine schlechte zeit-liche Auflösung des fMRT zur Folgehat. Auch die örtliche Auflösung hatnur begrenzte Gültigkeit. Das Gehirnverteilt nämlich das Blut als Energie-träger recht großzügig. Forschersprechen vom Prinzip des „Wateringthe whole garden for the sake of oneflower“.

Während EEG und fMRT vonhoher Bedeutung für die Marketing-forschung sind, weil durch sie Ent-scheidungsabläufe sehr gut darstell-bar sind, ist für die Suchtforschungdie Positronenemissionstomographie(PET) hoch relevant. Im PET lässtsich nämlich darstellen, welche Bo-tenstoffe in welchen Gebieten ver-stärkt ausgeschüttet werden. DenProbanden wird ein radioaktiverStoff mit einer Halbwertszeit von et-wa 20 Minuten verabreicht. Der ra-dioaktive Stoff bindet an einen be-stimmten Botenstoff im Gehirn (z.B.Dopamin) und kann im PET nach-verfolgt werden. Der Neurotrans-mitter Dopamin ist sowohl für dieEntscheidungsforschung relevant alsauch für die Suchtforschung. Für dieEntscheidungsforschung deshalb,weil er Informationen über motori-sche Aktivität verspricht und Aussa-gen über die Motivationslage einesOrganismus zulässt; für die Sucht-forschung, weil er einen Antriebsfak-tor in der Suchtentstehung darstellt.

Kürzlich wurde für die Marketing-forschung eine Methode entdeckt,die es in anderen Forschungsfeldern,wie der Psychologie, schon seit Län-gerem gibt: die „Startle-Reflex-Mo-dulation“. Die Forscher machen sichdabei zu Nutze, dass einer der Au-

genringmuskeln, der „Musculus or-bicularis oculi“, nicht willkürlich be-wegt werden kann. Dieser Muskelreagiert stärker auf einen Schreckreiz(z.B. ein 105 Dezibel lautes Zischen),wenn dieser mit negativ behaftetenEinstellungsobjekten gekoppelt ist.Mit Hilfe dieser Kombination lässtsich feststellen, ob Konsumenten ei-ne Marke eher positiv oder eher ne-gativ bewerten.10

Für die Marketing- und Marken-forschung sind physiologische Mess-methoden insofern nützlich, als sieeine objektive Form der Messung dar-stellen. Vor allem Befragungen – seiensie qualitativ oder quantitativ – bietenmehrere Unsicherheitsfaktoren bei derErforschung von Einstellungen oderkünftigem und vergangenem Verhal-ten, wie etwa Antworten sozialer Er-wünschtheit, falscher Einschätzungkünftiger Zustände oder Gedächtnis-fehler. Natürlich sind auch bei physio-logischen Messungen beispielsweiseVersuchsleitereffekte nicht auszu-schließen. In sauber durchgeführtenStudien kann ihnen allerdings vorge-beugt werden.

Vor allem durch die fMRT, dieAnfang der 1990er-Jahre Anwendungs-gebiete in mehreren Wissenschaftenfand, fokussierte sich die Marketing-forschung neurowissenschaftlich im-mer mehr auf einige wenige Gehirn-gebiete – die meisten von ihnenliegen entlang der Belohnungsroutenzwischen Hirnstamm, limbischemSystem, Basalganglien und Neocortex,der Gehirnrinde. Eine der Hauptbot-schaften der neurowissenschaftlichenMarketingforscher ist: Markenreizeführen zu einer Aktivierung von Area -len im Belohnungssystem; außerdemdeaktivieren sie Bereiche, in denenBewertungsmechanismen stattfin-den, die den Konsumenten bewusstsind und die mit rationalem Abwä-gen bei Entscheidungen zu tun ha-ben. In einer TMS-Studie (Transkra-nielle Magnetstimulation) wurdenbeispielsweise seitlich vorne gelege-ne Cortexgebiete als Gehirnbereicheidentifiziert, die für rationale Ent-

10 WALLA, Peter /BRENNER, Gerhard /KOLLER, Monika: Objective measures ofemotion related to brand attitude: A new wayto quantify emotion-related aspects relevant toMarketing, PLoS ONE, 2011, 626–762.

IAKE. Mitteilungen, Heft 19 5Neurowissenschaften

Page 8: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

11 KNOCH, Daria / PASCUAL-LEONE,Alvaro/MEYER, Kaspar /TREYER, Valerie/FEHR, Ernst: Diminishing reciprocal fairnessby disrupting the right prefrontal cortex,Science 314, 2006, 829–832.12 SCHÄFER, Michael /ROTTE, Michael:Favorite brands as cultural objects modulatereward circuit, NeuroReport 18 (2), 2007,141–145.13 MC CLURE, Samuel M. /LI, Jian /TOM-LIN, Damon /CYPERT, Kim S. /MONTA-GUE, Latané M. /MONTAGUE, P. Read:Neural correlates of behavioral preference forculturally familiar drinks, Neuron 44, 2004,379–387.14 KENNING, Peter /PLASSMANN, Hil-ke /DEPPE, Michael /KUGEL, Harald /SCHWINDT, Wolfram: The discovery of cor -tical relief, Neuroecon Res Rep 1, 2002, 1–26.15 RAAB, Gerhard /NEUNER, Michael:Kaufsucht als nichtstoffgebundene Abhängig-keit entwickelter Konsumgesellschaften; We-sen, Entwicklungstendenzen und Forschungs-perspektiven. In: Batthyány, Dominik /Pritz,Alfred (Hg.): Rausch ohne Drogen; substanz -ungebundene Süchte, Wien 2009, 95–107.16 FINGELKURTS, Alexander /KÄHKÖ-NEN, Seppo /FINGELKURTS, Andrew /KIVISAARI, Reetta / BORISOV, Sergei /PUUSKARI, Varpu/HIJEKA, Olga /AUTTI,Taina: Reorganization of the composition ofbrain oscillations and their temporal characte-ristics during opioid withdrawal, Journal ofPsychopharmacology 22, 2008, 270–284.17 ROBBINS, Trevor W. /EVERITT, BarryJ.: Interaction of the dopaminergic systemwith mechanisms of associative learning andcognition; implications for drug abuse, Psy -chological Science 10 (3), 1999, 199–202.

scheidungen notwendig sind. Bei derTMS werden bestimmte Gehirnge-biete für kurze Zeit von außen deak-tiviert. Kann eine bestimmte Funk-tion dadurch nicht mehr ausgeführtwerden, bedeutet das, das „ausge-schaltete“ Gehirnareal ist für dieseFunktion eine notwendige Voraus-setzung. So manipulierten beispiels-weise Knoch et al. die seitlich vornegelegenen Cortexgebiete ihrer Pro-banden während eines Ultimatum-spiels. Wurden diese Bereiche deak-tiviert, waren die Versuchspersonenim Ultimatumspiel nicht imstande,unfaire Angebote von fairen zuunterscheiden.11

Schäfer und Rotte fanden heraus,dass es bei der Konfrontation mitReizen bevorzugter Marken zu einerAktivierung des Striatums kommt.Das ist ein Bereich der Basalganglien,der mit positiven Gefühlen korreliertist. Gleichzeitig kam es zu einer De-aktivierung cortikaler Bereiche, indenen bewusste Denkvorgänge ab-gebildet sind.12 Ähnliches stelltenMcClure et al. fest, als sie Proban-den Cola-Getränke einmal unter Be-kanntgabe der Marke und ein anderesMal in Blindverkostungen verabreich-ten.13 Die deutschen Forscher Ken-ning und Deppe postulierten den Ef-fekt der „cortikalen Entlastung“ beiDarbietung bevorzugter Marken.14

Die „cortikale Entlastung“ stellteinen ersten Schnittpunkt zwischenMarketing- und Suchtforschung dar.Raab und Neuner fanden z.B. einenZusammenhang zwischen pathologi-schem Kaufverhalten und verminder-ter Aktivität in cortikalen Bereichendes Gehirns.15 Fingelkurts et al. fan-den bei Opioidabhängigen umorgani-sierte cortikale Bereiche vor.16

Ein zweiter, ganz wesentlicherSchnittpunkt zwischen Sucht- undMarketingforschung ist die Erfor-schung von Konditionierungseffekten.Durch die wiederkehrende Kopplungzweier Reize kommt es zu deren As-soziation in der Vorstellungswelt derBetroffenen. Das ist unbedenklich,solange die Verbindung kein gesund-

heitsschädliches Verhalten zur Folgehat und eine Entkopplung („Lö-schung“) der Reize leicht möglichist. Typische Beispiele sind Raucher-rituale (Kaffee und Zigarette), situa-tionsgebundene Verhaltensweisen(Rauchen als Belohnung nach Bewäl-tigung einer schwierigen Aufgabe)oder ortsgebundene Verhaltensweisen(Rauchen im Wagen).

Genau auf diesen konditionierba-ren Verhaltensweisen baut oft die Wer-bung auf. Automarken werden mitschönen Frauen verbunden; Mütterwerden durch ein Kinderlächeln fürdie Verabreichung von Fertigkost „be-lohnt“, Männer durch begehrens-werte Blicke von Frauen für das Ver-wenden eines bestimmten Parfums.

Letztlich ist Sucht ein „erlerntesVerhalten“ – ohne Unterschied, obes sich dabei um die Einnahme einerlegalen oder illegalen Droge handeltoder die Ausführung eines bestimm-ten Verhaltens, wie das pathologi-sche Kaufverhalten oder das Spielenim Casino. Durch immer wiederausgeführte Handlungen werden diegekoppelten Reize immer tiefer mit-einander verbunden. Eine Löschungwird immer schwieriger. Es entstehtein „Suchtgedächtnis“, das zu weite-rer Drogenhinwendung („Drug-See-king“) führt. Robbins und Everittfanden einen Zusammenhang zwi-schen solchen Lernvorgängen undeinem wesentlichen Teil des Beloh-nungssystems im Gehirn, dem „do-paminergen System“.17

Neuronale Basis des Belohnungssystems

In den Neurowissenschaften wurdenin den letzten Jahren im Wesent-lichen drei Schaltkreise im Gehirnidentifiziert, die mit belohnendenGefühlen korreliert sind: die nigro-striatale Bahn, die mesolimbischeBahn und die mesocortikale Bahn.

Die nigrostriatale Bahn verbindetdie dopaminerzeugende Substantianigra im Mittelhirn (an der Gehirn-basis) mit dem dopaminaufnehmen-

6 IAKE. Mitteilungen, Heft 19Beiträge

Page 9: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

den Striatum in den Basalganglien,einer Struktur, die bereits an den Cor-tex (Gehirnrinde) anschließt. DemBotenstoff Dopamin wird eine Schlüs-selrolle im Erleben antreibender, an-genehmer Gefühle zugeschrieben.18

Ebenfalls dopaminerg ist die me-solimbische Bahn. Sie verbindet dieSubstantia nigra mit dem Nucleusaccumbens, der häufig als „Lustzen-trum“ bezeichnet wird – was nichtganz falsch, aber sicher eine verein-fachende Darstellung ist. Der Nu-cleus accumbens schließt an dasStriatum vorne an und auch er istTeil der Basalganglien. Dem Nucleusaccumbens wird beispielsweise dieklassische Konditionierung (der Ver-bindung eines neutralen Reizes miteinem bekannten) zugeschrieben.19Damit kommt auch eine der bekann-testen Strukturen im Gehirn ins Spiel:der Mandelkern (Amygdala). Er giltals der Protagonist für die klassischeund emotionale Konditionierungund ist eine Struktur, deren Aktivie-rung mit Emotionen einhergeht.

Die mesocortikale Bahn führt vomVentralen Tegmentalen Areal (VTA),das sich in der Nähe der Substantianigra befindet, in weite Bereiche desvorne liegenden (frontalen und prä-frontalen) Cortex. Auf dem Wegdorthin durchkreuzt dieser Pfad denHypothalamus, einen Teil jenerStruktur, die Olds’ und Milners Rat-ten süchtig nach Stromschlägenmachte.

Eine vierte Bahn aus den Raphe-Kernen unterhalb der Substantia ni-gra versorgt praktisch in einemRundkreis weite Teile der Gehirnrin-de mit dem Botenstoff Serotonin,der mit Glücksgefühlen in Zusam -menhang gebracht wird und der durchseine Ausschüttung bei Schokolade-konsum bekannt wurde.

Eine wesentliche Botschaft im Zu-sammenhang mit dem Belohnungs-system ist: Alle genannten Struktu-ren (und noch mehr) sind in dasEvozieren belohnender Gefühle ein-gebunden – manche mehr, mancheweniger. Nirgendwo entlang dieser

Bahnen befindet sich eine Art „Schal-ter“, durch dessen alleinige Betäti-gung ein Belohnungssignal aktivwürde. Es ist ein komplexes Zusam -menspiel vieler Kräfte.20

Diese Belohnungsbahnen wer-den belegterweise durch sehr unter-schiedliche Reize aktiviert – etwadurch Kinderlachen, Glücksspiel,durch den Anblick von Geldschei-nen, schöner Gesichter und bevor-zugter Marken. Aber auch Drogensetzen ihren Wirkhebel über dieseBahnen in den Schlüsselstrukturender Sucht an – nicht nur durch ihrestoffliche Wirkung allein, auch durchden bloßen Anblick.

Stippekohl beispielsweise fand imfMRT heraus, dass Teile des Beloh-nungssystems von Rauchern durch„Beginnreize“ aktiviert wurden, wiedas Herausnehmen einer Zigaretteaus einer Packung oder das Anzün-den einer Zigarette. „Endreize“, wiedas Ausdämpfen einer Zigarette, de-aktivierte diese Schaltkreise.21

Die Bezeichnung „Belohnungs-system“ könnte allerdings in die Irreführen. Die betreffenden Schaltkrei-se werden nicht allein als Belohnungfür ein bestimmtes Verhalten akti-viert, sondern eher als Vorbereitung,als Hinführen zu einem Verhalten,das Belohnung induziert, in einerArt „Go-Role“.

Aber auch Vermeidungsverhaltenkann durch das Belohnungssystemin die Wege geleitet werden, undzwar in Bezug auf aversive Reize.22Selbst wenn sich das Belohnungssys -tem „irrt“ („Belohnungsvorhersage-fehler“), indem es zu einem Verhal-ten motiviert, das der Organismusspäter als „schädlich“ identifiziert,wird es neuerlich aktiviert.23 Auchbesonders intensive Reize aktivierendas Belohnungssystem, auch wennsie keine Belohnung versprechen.24

Suchtforschung

Die Abhängigkeit von einer Sub-stanz umfasst drei wesentliche Phä-nomene:25

18 COOLS, Roshan: The role of dopaminein the motivational and cognitive control of be -haviour, Neuroscientist 14 (4), 2008, 381–395.19 CARELLI, Regina M.: The nucleus ac-cumbens and reward: Neurophysiological in-vestigations in behaving animals, Behavioraland Cognitive Neuroscience Reviews 1, 2002,281–296.20 ZHOU, Fu-Ming /WILSON, Charles /DANI, John A.: Muscarinic and nicotiniccholinergic mechanisms in the mesostriataldopamine systems, Neuroscientist 9 (1), 2003,23–36.21 STIPPEKOHL, Bastian/WINKLER, Mar -kus /MUCHA, Ronald F. / PAULI, Paul /WALTER, Bertram/VAITL, Dieter /STARK,Rudolf: Neural responses to begin- and end-stimuli of the smoking ritual in nonsmokers,nondeprived smokers and deprived smokers,Neuropsychopharmacology, 2010, 1209–1225.22 MIRENOWICZ, Jacques / SCHLUTZ,Wolfram: Preferential activation of midbraindopamine neurons by appettitive rather thanaversive stimuli, Nature 379, 1996, 449–451.23 D’ARDENNE, Kimberlee /MC CLURE,Samuel M. /NYSTROM, Leigh E. /COHEN,Jonathan D.: BOLD responses reflecting do-paminergic signals in the human ventral teg-mental area, Science 319, 2004, 1264–1267.24 HORVITZ, Jon C.: Mesolimbocortical andnigrostriatral dopamine responses to salientnon-reward events, The Journal of Neuro-science 96, 2000, 651–656.25 KOOB, George F. / SANNA, Pietro P. /BLOOM, Floyd E.: Neuroscience of addic-tion, Neuron 21, 1998, 467–476.

IAKE. Mitteilungen, Heft 19 7Neurowissenschaften

Page 10: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

26 ESCH, Tobias / STEFANO, George B.:The neurobiology of pleasure, reward proces-ses, addiction and their health implications,Neuroendocrinology Letters 4 (25), 2004,235–251.27 BERNS, Gregory S. /MC CLURE, Sa-muel M. /PAGNONI, Giuseppe /MONTA-GUE, P. Read: Predictability modulates hu-man brain response to reward, The Journal ofNeuroscience 21 (8), 2001, 2793–2798.28 LEJOYEUX, Michel /MC LOUGHLIN,Michael /ADÈS, Jean: Epidemiology of beha-vioral dependence: literature review and re-sults of original studies, European Psychiatry15, 2000, 129–134.29 VOLKOW, Nora D. /FOWLER, JoannaS. /WANG, Gene-Jack: Imaging studies onthe role of dopamine in cocaine reinforce-ment and addiction in humans, Journal ofPsychopharmacology 13, 1999, 337–345.30 UNGLESS, Mark A. /WHISTLER, Jen-nifer L. /MALENKA, Robert C. /BONCI,Antonello: Single cocaine exposure in vivo in-duces long-term potentiation in dopamineneurons, Nature 411, 2001, 583–587.31 LÜSCHER, Christian /BELLONE, Camil-la: Cocaine-evoked synaptic plasticity: A keyto addiction? Nature Neuroscience 11, 2008,737–738.32 BRENNAN, Katie A. /LEA, Rod A. /FITZMAURICE, Paul S. /TRUMAN, Pagra:Nicotinic receptors and stages of nicotine de-pendence, Journal of Psychopharmacology24 (6), 2010, 793–808.33 DE LA FUENTE-FERNÁNDEZ, Raúl /STOESSL, A. Jon: The biochemical bases forreward, Evaluation and the Health Professions25, 2002, 387.34 BENFORD, Rebecca /GOUGH, Bren-dan: Defining and defending ‚unhealthy‘ prac-tices: a discourse analysis of chocolate ‚ad-dicts‘ accounts, Journal of Health Psychology11 (39), 2006, 427–440.35 KOOB, George F. / SANNA, Pietro P. /BLOOM, Floyd E.: Neuroscience of addic-tion, Neuron 21, 1998, 467–476.

• Die oder der Suchtkranke emp-findet ein „übersteigertes Verlangen“bis hin zu einem „inneren Zwang“,das Suchtmittel einzunehmen;• es kommt zu einem „Kontroll-verlust“ über das suchtinduzierendeVerhalten (Impulsstörung);• es treten Entzugserscheinungenbei Wegfall der Substanz auf.

Die Grenze zwischen „Freude“oder „Vergnügen“, das vor bzw. beiEinnahme einer Substanz empfun-den wird, und einer Abhängigkeit istfließend. Esch und Stefano ziehen siedort, wo die Möglichkeit verloren geht,eine Handlungsalternative zu wählen.26Im Zuge der Suchtentstehung ist einwesentliches Merkmal auch die To-leranzentwicklung gegenüber demsüchtig machenden Stoff oder dersüchtig machenden Verhaltensweise.Die oder der Süchtige benötigt immermehr von der suchtinduzierendenSubstanz bzw. von dem süchtigma-chenden Verhalten. Die Toleranzent-wicklung lässt sich auf neuronalerEbene durch eine reduzierte Aktivie-rung im Belohnungssystem belegen.Beispielsweise lässt die Dopaminaus-schüttung im Belohnungssystem mitder Zeit nach, wenn ein süßer Saft wie -derholt verabreicht wird, im Gegen-satz zur Verabreichung von Wasser.27

Unterschieden wird zwischen• substanzgebundener Sucht, der„stofflichen“ Abhängigkeit, wobeihier weiter unterschieden werdenkann zwischen– Abhängigkeit von psychoaktivenStoffen (wie Alkohol, Nikotin, Bar-biturate, Tranquilizer, Heroin, Ecstasyoder Cannabis und– nicht psychoaktiven Substanzen(z.B. Schokolade) und• substanzungebundenen Süchten(Verhaltenssucht, wie Spielsuchtoder Kaufsucht).

Während substanzgebundeneSüchte als Krankheitsbild klassifiziertsind (DSM-IV-TR, ICD-10 GM), istdas bei substanzungebundenen Süch-ten nicht der Fall. Sie werden als „ab-norme Gewohnheiten und Störungender Impulskontrolle klassifiziert.28

Suchtmittel haben trotz unter-schiedlicher chemischer Wirkung derabhängigkeitsinduzierenden Stoffeeines gemeinsam: Sie heben den Do-paminspiegel im Gehirn an. Kokainbeispielsweise verhindert die Wieder-aufnahme von Dopamin, das nachAktivierung entsprechender Neuro-nen in den synaptischen Spalt derNeuronenverbindungen ausgeschüt-tet wird. Kokain blockiert dabei Do-pamin-Transporterpumpen, die dieAufgabe haben, den Botenstoff indie Neuronenausläufer zu bringen.Diese Blockade bewirkt, dass Dopa-min im Bereich des Striatums längerfreigesetzt und aktiv bleibt sowie sei-ne aktivierende Wirkung aufrechthält.29 Bereits eine einzige Einnahmevon Kokain kann zu nachhaltigenVeränderungen im Dopaminsystemführen. Ungless et al. z.B. stellten ei-ne solche Veränderung im VTA fest– dort, wo Dopamin erzeugt undvon wo aus es in andere Bereichedes Gehirns geleitet wird.30 Von dortaus breitet sich die Umstellung derNeuronenverbände innerhalb wenigerWiederholungen des Kokainkonsumsauf diese – höheren – Bereiche aus,wie etwa das Striatum.31

Nikotin wiederum dockt an denAusläufern dopaminerzeugender Neu-rone selbst an.32 Aber auch Placebossetzen auf diese Weise ihre Wirkungum.33 Schokolade führt nicht nur zuder mit einer Belohnungserwartungeinhergehenden Wirkung im Ge-hirn, sie kann auch zu körperlichenAbhängigkeitsphänomenen führen.34

All das macht – wie in der Mar-ketingforschung – das Dopaminsys -tem und damit das Belohnungssysteminteressant für die Suchtforschung.

Koob et al. identifizierten zweiSysteme, die die Drogenwirkung imGehirn entfalten ließen:• das nigrostriatale System (s. oben)und• das „mesocortikolimbische“ Sys -tem; Koob et al. beschreiben damitdas oben dargestellte Zusammen-wirken des mesolimbischen und desmesocortikalen Systems.35

8 IAKE. Mitteilungen, Heft 19Beiträge

Page 11: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

Die Aktivitäten von Verläufen in -nerhalb des Belohnungssystems unter -scheiden sich allerdings bei nichtpsychoaktiven Substanzen von jenenpsychoaktiver Stoffe. Bei nicht psycho-aktiven Substanzen kommt es nachgewisser Zeit zu einem Nachlassender Dopaminaktivität und die damiteinhergehende positive Wirkungklingt ab. Bei Schokolade beispiels-weise schlägt das anfängliche Verlan-gen bei übermäßigem Konsum inEkel um, weil die entsprechendenGehirnareale (vor allem das Cortex-gebiet „Insel“) aktiviert werden.36 BeiKokain z.B. ist das nicht der Fall.Ähnlich ist das bei einem anfänglichstarken Verlangen („Craving“) in Be-zug auf Schokolade bzw. Kokain,wenn es durch visuelle oder olfakto-rische Reize ausgelöst wird. Des Wei-teren unterscheiden sich die neuro-nalen Muster voneinander, die durchpsychoaktive und nicht psychoaktiveSubstanzen evoziert werden.37

Bei substanzungebundenen Ver-haltenssüchten kommt es im Gehirnzu ähnlichen Vorgängen im Beloh-nungssystem wie bei den stofflich in-duzierten Süchten.38, 39 Bei Spielsüch-tigen z.B. werden ähnliche Aktivitätenim Gehirn beim Anblick spielassozi-ierter Stimuli wachgerufen, wie dasbei Alkoholsüchtigen der Fall ist.40Das Gehirn eines Verhaltenssüchti-gen verliert ähnlich wie das einesSubstanzabhängigen die Fähigkeit, dasBelohnungssystem bei natürlichenUmweltreizen zu aktivieren. Bei ma-gersüchtigen Frauen wurde bei-spielsweise festgestellt, dass es imStriatum zu geringeren Aktivitätenkommt, wenn ein natürlicher Beloh-nungsreiz gesetzt wird, etwa einGeldgewinn in Aussicht gestellt wird,als das bei gesunden Frauen der Fallist.41 Forscher halten es für möglich,dass diese „Unteraktivität“ im Beloh-nungssystem bei natürlichen Stimulieine Prädisposition für Suchtentste-hung sein könnte.

Verhalten, das diese Vorgängehervorruft, geht mit positiven Ge-fühlen einher und wird dadurch als

„Glücksauslöser“ im Gedächtnis ab-gespeichert.42 Das kann die Gewinn -erwartung beim Glücksspiel ebensosein wie der (als angenehm empfun-dene) Belohnungseffekt beim Kaufvon Waren. Es kommt zu einem kon-ditionierten Reiz-Reaktions-Schema,das im Suchtgedächtnis („AddictionMemory“) gespeichert und im Ver-lauf der Suchtentstehung und derSucht selbst weiter verstärkt wird.43

Zusammenfassung und Ausblick

Es ist kein Zufall, dass Sucht- undMarketingwissenschaftler auf neuro-naler Basis dieselben Schaltkreiseund Funktionen derselben Gehirn-bereiche untersuchen: Sie versuchen,auf gleichen Wegen zu verschiedenenZielen zu kommen, und zwar zu teilskonträren Zielen.

Die Suchtforscher versuchen zuergründen, welche Vorgänge im Ge-hirn dazu führen, einerseits dassMenschen zu suchtinduzierendenSubstanzen greifen und andererseits,wie sich Abhängigkeit von bestimm-ten Stoffen und Verhaltensweisen imZeitverlauf entwickelt. Ziel ist es,nicht nur das Phänomen Sucht zuverstehen, sondern auch wirksameMethoden zu finden, um Suchtkrankezu behandeln sowie zu verhindern,dass Menschen süchtig werden.

Die Marketingforscher versuchenherauszufinden, wie KonsumentenKaufentscheidungen treffen. Ähnlichwie in der Suchtforschung geht esdarum, Konsumentenverhalten zuverstehen. Konsumentenforscherwollen ergründen, wie sich Einstel-lungen entwickeln, gleichsam als„Prädisposition“ für bestimmte Pro-dukte oder Marken. Im Unterschiedzu Suchtforschern forschen Marke-tingwissenschaftler unter anderemmit dem Ziel, der MarketingpraxisMaßnahmen empfehlen zu können,wie sie Marken- und Produktreizeerfolgreich einsetzen – und letztlichmit dem Ziel, dass Konsumenten dieProdukte oder Dienstleistungen derMarketer kaufen.

36 SMALL, Dana M./ZATORRE, Robert J./DAGHER, Alain/EVANS, Alan C./JONES-GOTMAN, Marilyn: Changes in brain activityrelated to eating chocolate: from pleasure toaversion, Brain 124, 2001, 1720–1733.37 DI CHIARA, Gaetano: Dopamine in dis -turbances of food and drug motivated beha-vior: a case of homology? Physiology and Be-havior 86, 2005, 9–10.38 HYMAN, Steven E. /MALENKA, Ro-bert C. /NESTLER, Eric J.: Neural mecha-nisms of addiction: the role of reward-relatedlearning and memory, Annual Review ofNeuroscience 29, 2006, 565–598.39 NESTLER, Eric J. /MALENKA, RobertC.: The addicted brain, Scientific American290, 2004, 78–85.40 THALEMANN, Ralf /WOLFLING,Klaus /GRÜSSER, Sabine M.: Specific cuereactivity on computer game-related cues inexcessive gamers, Behavioral Neuroscience121 (3), 2007, 614–618.41 WAGNER, Angela /AIZENSTEIN, Ho-ward/VENKATRAMAN, Vijay K./FUDGE,Julie /MAY, J. Christopher /MAZURKE-WICS, Laura / FRANK, Guido K. / BAI-LER, Ursula F. / FISCHER, Lorie /VANNGUYEN/CARTER, Cameron/PUTNAM,Karen/KAYE, Walter H.: Altered reward pro -cessing in women recovered from anorexianervosa, American Journal of Psychiatry 164,2007, 1842–1849.42 MILLER, Robert: The feeling-state theo-ry of impulse-control disorders and the im-pulse-control disorder protocol, Traumatology16 (2), 2010, 2–10.43 EVERITT, Barry J. /WOLF, Marina E.:Psychomotor stimulant addiction: a rewardsystem perspective, The Journal of Neuro-science 22 (9), 2002, 3312–3320.

IAKE. Mitteilungen, Heft 19 9Neurowissenschaften

Page 12: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

Zwei Ansatzpunkte scheinen be-sonders relevant für beide For-schungsfelder zu sein:

1. das Verständnis für beloh-nungsrelevante Vorgänge im Gehirn,also die neuronale Basis angeneh-mer, erstrebenswerter Gefühle, wieFreude, und

2. die Erkenntnisse über die Ab-nahme kognitiver Prozesse, die mitreduzierter Aktivität in cortikalenBereichen korreliert sind.

In der Gemeinsamkeit der Wegekönnte aus heutiger Sicht Potenzial fürbeide Forschungsrichtungen stecken.Die Marketingwissenschaft könnteKonsumentenverhalten noch bessererklären und prognostizieren. DieSuchtforschung könnte aus dem Er-kennen von Prozessen, die zu sucht -induzierendem Konsumverhalten füh-ren, Schlüsse für die Prävention ziehen.

Wichtig für beide Wissenschaftenwäre es, einen möglichen „Wende-punkt“ zu identifizieren (wahrschein-lich ist es ein „Wendebereich“), andem „Gefallen am Konsum“ in„Zwang zum Konsum“ kippt. Fürdie Suchtforschung wäre das eineMöglichkeit, um Anhaltspunkte fürdie Prävention und möglicherweisefür die Heilung Suchtkranker zu fin-den. Für die Marketingwissenschaftkönnte es einerseits hilfreich sein,um die Grenzen aufzuzeigen, wieweit persuasive Kommunikation ge-hen darf. Andererseits eröffnen sichdadurch Möglichkeiten, Erkennt-nisse für Kommunikationsmaßnah-

men zu gewinnen, mit deren HilfeMenschen von schädlichem Kon-sum oder Verhalten abgehalten wer-den könnten, wie etwa von der Ein-nahme illegaler Drogen oder auchlegaler Drogen sowie von Verhal-tenssüchten. Gerade in diesem Be-reich bestehen immer noch Unsi-cherheiten, wie die Zielgruppen derjeweiligen Marken effektiv erreichtwerden könnten. Häufig wird z.B.mit abschreckenden Kommunika-tionsmaßnahmen kaum oder sogargegenteilige Wirkung erzielt.

Derzeit sind Sucht- und Marke-tingwissenschaftler allerdings nochweit davon entfernt, Hand in Handoder aufeinander abgestimmt zu for-schen – wenngleich allen Beteiligtenbewusst sein sollte, dass ein Schul-terschluss durchaus sinnvoll undfruchtbar sein könnte.

Mag. (FH) Gerhard Brenner studier-te Kommunikationswirtschaft amFHWien-Institut für Kommunikations-management der WirtschaftskammerWien (WKW) (www.fh-wien.ac.at). Erarbeitet derzeit an der Wirtschaftsuni-versität in Wien (www.wu.ac.at) an ei-nem Forschungsprojekt, in dem mitHilfe neurowissenschaftlicher Metho-den Einstellungsveränderungen durchverschiedene Lernprozesse untersuchtwerden (www.neuroconsulting.org). Erarbeitet als „Fachkommunikator Poli-zei“ im österreichischen Innenministe-rium und war dort mehrere Jahre inder Suchtprävention tätig.

10 IAKE. Mitteilungen, Heft 19Beiträge

„Junkie Food“ – Glücksgefühl oder Suchtgefahr?

Themenpapier zum Life Science Dialogue Heidelberg

Mit dem Life Science Dialogue Heidelberg führt die Dr. Rainer Wild-Stif-tung seit 2010 Kamingespräche zur Zukunft von Medizin, Gesundheit undErnährung durch. Eine interdisziplinäre Runde namhafter Experten ausWissenschaft und Praxis diskutiert mit ganzheitlichem Blick aktuelle wis-senschaftliche Entwicklungen, deren Möglichkeiten und Risiken.Die Ergebnisse des dritten Kamingesprächs mit Professor Iain Mattaj vomEuropean Molecular Biology Laboratory Heidelberg finden Sie als PDFauf unserer Homepage unter www.gesunde-ernaehrung.org.

Page 13: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

Nachhaltig essen: Zwischen Tradition und radikalem Wandel

In der Nachhaltigkeitsliteratur istkaum vom „Nachhaltigen Essen“ dieRede; einem Essen also, das Nach-haltigkeit quasi spontan, „aus demBauch heraus“ – dem natürlichenWollen des Einzelnen folgend – rea-lisiert. Vielmehr dominiert der Be-griff „Nachhaltige Ernährung“1, derdas Phänomen des vernunftgesteu-erten, des „reflektierten“ Essens be-zeichnet und auch einfordert.2 „Er-nährung“ appelliert an rationaleKalküle, an Disziplin und Selbstbe-herrschung sowie schließlich auchan wissenschaftliche Kriterien undpädagogische Vorgaben: Ernährteuch, indem ihr vorher nachdenktund gegebenenfalls spontanen Be-dürfnissen nicht folgt. Ernährt euch,indem ihr bewusste, abgewogeneEntscheidungen darüber trefft, was füreuch, aber auch für andere und dieGesellschaft insgesamt, „gut“ ist undwas ihr deshalb zu euch nehmensolltet. „Gut“ ist die Orientierung anvon außen kommenden Kriterien,eben solchen der Nachhaltigkeit, dieallerdings keineswegs immer eindeu-tig, zudem wandlungsfähig und gera-de im Bereich „Ernährung“ auchnicht unumstritten sind.

„Nachhaltigkeit“ steht im aktuel-len Sprachgebrauch auf der einenSeite für Dauer, Stabilität und Be-ständigkeit sowie für eine langfristigePerspektive, die „Halt“ gibt und„dauerhaft lebensfähig“3 ist: Nach-haltig ist, was bleibt. Zugleich stehtdiese Metapher auf der anderen Sei-te für den radikalen Wandel4 vonetablierten Denk-, Produktions- und

Konsummustern, für weitreichendeVeränderungen gesellschaftlicher wieindividueller Lebenswelten und All-tagspraktiken.

Entsprechend dieser janusköpfi-gen Nachhaltigkeitsmetapher bedeu-tet „nachhaltig essen“ zum einen ur-sprünglich und traditionell essen:Also frische, naturbelassene („natür-liche“), heimische Lebensmittel ver-wenden und dabei regionale und sai-sonale Besonderheiten pflegen oderauch wiederentdecken. „Heimat“ und„Region“ sind wichtige Wertmaßstä-be. Erwünscht sind Übersichtlichkeitund persönliche Vertrauensverhält-nisse. Nachhaltig meint in diesemZusammenhang nicht zuletzt dieWiederbelebung verloren gegangenerNahräume, Traditionen und Rituale.Altes und Bewährtes gilt es zu be-wahren. Zu meiden sind neuartigeGen-, Kunst- oder Retortennahrungs-mittel.

Zum anderen und zugleich be-deutet „nachhaltig essen“ aber auchanders essen. Dabei geht es nicht al-lein um gewisse Anpassungen in dertäglichen Nahrungsaufnahme („Bio-produkte kaufen“), sondern im Kernum eine Veränderung der eigenenLebensweise insgesamt. Es geht umeine neue kulturelle Vielfalt, umökologische Innovationen und nichtzuletzt um aktuelle Sozialkritik. Einnachhaltiges Ernährungsverhaltenwird in der Nachhaltigkeitsliteraturziemlich einheitlich durch folgendeGrundcharakteristika gekennzeich-net: einen niedrigen Fleischkonsum,die Verwendung von Produkten ausdem ökologischen Anbau, die Be-vorzugung regionaler und saisonalerProdukte, die wenig verarbeitet, we-

1 Vgl. beispielhaft: HAYN, Doris /EMPA-CHER, Claudia (Hg.): Ernährung anders ge-stalten. Leitbilder für eine Ernährungswende,München 2004; BRUNNER, Karl-Michael /SCHÖNBERGER, Gesa (Hg.): Nachhaltig-keit und Ernährung, Frankfurt /New York2005 sowie verschiedene dort abgedruckteAufsätze; oder BIERMANN, Brigitte: Nach-haltige Ernährung: Konflikte und Lösungsan-sätze. In: Internationaler Arbeitskreis für Kul-turforschung des Essens (Hg.): Mitteilungen,Heft 15, Dezember 2007.2 Vgl. auch die Ausführungen zum Unter-schied von „Essen“ und „Ernährung“ beiMETHFESSEL, Barbara: REVIS Fachwis-senschaftliche Konzeption: SoziokulturelleGrundlagen der Ernährungsbildung, Paderbor-ner Schriften zur Ernährungs- und Verbrau-cherbildung, Bd. 7, Paderborn 2005, 5 (auch:www.evb-online.de).3 MEYER-ABICH, Klaus Michael: Was esbedeutet, gesund zu sein. Philosophie der Me-dizin, München 2010, 357.4 Vgl. den Buchtitel von LANGE, Hellmuth(Hg.): Nachhaltigkeit als radikaler Wandel,Wiesbaden 2008.

Überzeugende Nutzervorteile:Eine notwendige Zutat zum „Nachhaltigen Essen“Jan Jarre

IAKE. Mitteilungen, Heft 19 11Überzeugende Nutzervorteile

Internationaler Arbeitskreis für Kulturforschung des Essens. Mitteilungen 2012, H.19, S.11–17

Page 14: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

5 Beispielhaft BRUNNER, Karl-Michael:Menüs mit Zukunft: Wie Nachhaltigkeit aufden Teller kommt oder die schwierigen Wegezur gesellschaftlichen Verankerung einer nach-haltigen Ernährungskultur. In: Scherhorn,Gerhard /Weber, Christoph (Hg.): Nachhalti-ger Konsum – Auf dem Weg zur gesellschaft-lichen Verankerung, München 2003, 262f.;ANTES, Ralf et al.: Die Zukunft der Ernäh-rung in Deutschland. Qualitative Szenarienzum nachhaltigen Konsum im Jahr 2020. In:Antoni Komar, Irene (Hg.): WENKE2 – We-ge zum Nachhaltigen Konsum, Marburg2010, 438f.6 „Ernährungsmuster sind nur gezielt inGrenzen veränderbar, (…) Ernährungshandelnist häufig routiniert und nur partiell reflexiv.(…) Deshalb sind radikale Veränderungen imErnährungshandeln in Richtung Nachhaltigkeiteher unwahrscheinlich.“ BRUNNER, Karl-Michael: Konsumprozesse im alimentärenAlltag: Die Herausforderung Nachhaltigkeit.In: Brunner, Karl-Michael / Schönberger, Ge-sa U. (Hg.): Nachhaltigkeit und Ernährung,Frankfurt /New York 2005, 215.7 Vgl. beispielhaft verschiedene Aufsätze indem Band von NÖLTING, Benjamin/SCHÄ -FER, Martina (Hg.): Vom Acker auf den Teller.Impulse der Agrar- und Ernährungsforschungfür eine nachhaltige Entwicklung, München2007; oder auch grundsätzlicher ERNST, An-dreas: Individuelles Umweltverhalten – Pro-bleme, Chancen, Vielfalt. In: Welzer, Haraldet al. (Hg.): Klima Kulturen. Soziale Wirklich-keiten im Klimawandel, Frankfurt a.M. 2010,128ff.8 SPIEKERMANN, Uwe: Warum scheitertErnährungskommunikation? In: AID Info-dienst (Hg.): Ernährungskommunikation. NeueWege – neue Chancen? Bonn 2006, 14.

nig oder umweltverträglich verpacktsind und sozial verträglich erzeugtwurden.5 Vieles muss danach in derErnährung anders werden, um diemenschlichen Lebensgrundlagen zuerhalten.

Wollen Menschen nachhaltig essen?

Können wir erwarten, dass die großeMehrheit der Menschen offen ist für„vernünftige“ Argumente, ihr indivi-duelles Essverhalten nachhaltiger zugestalten? Skepsis ist angebracht undin der Literatur auch durchaus ver-breitet.6 Hemmfaktoren und Hinder-nisse individueller, institutionellersowie gesellschaftlicher Art werdenbenannt.7 Die individuellen Hand-lungsbarrieren, die das „Wollen“ derMenschen begrenzen können, seienim Folgenden stichwortartig zusam -mengestellt:• Gewohnheitshandeln ist nur mithohem Energieaufwand veränderbar.• Gelebte und bewährte Vereinfa-chungen dominieren den Alltag.• Anreizstrukturen sind nicht nach-haltigkeitskonform: „Öko“ ist zuteuer und mit einem zu niedrigenProduktnutzen verbunden.• Nichtwissen / Verunsicherungdurch widersprüchliche öffentlicheInformationen und Handlungsemp-fehlungen.• Verdrängung /Leugnung des Pro-blems u.a. aus Angst vor weitrei-chenden, häufig auch zeitintensiven,persönlichen Konsequenzen.• Der eigene Beitrag zur Nachhal-tigkeit wird als zu unbedeutend ein-gestuft.• Resignation („Es ist eh’ alles zuspät“; „Nach mir die Sintflut“; „DieAnderen tun ja auch nichts“).• Abschiebung der Verantwortlich-keit auf Staat und /oder Industrie.• Attraktiver Genuss- und Spaß-charakter von ungesundem Essenund Trinken.• Betonung des persönlichen Frei-heitsspielraums, der nicht beschnittenwerden darf.

• Menschen sind mit individuellgewichtigeren Problemen (Arbeits-plätze, Scheidung, Krankheiten usw.)voll ausgelastet.

Diese eindrucksvolle Zahl ernst-zunehmender Hemmfaktoren stehtdem Wollen des einzelnen Menschenim Wege, und perspektivisch stelltsich die Frage: Wie kann nachhaltigeErnährung bei den Menschen er-wünscht sein, wenn z.B. im Trend zuConvenience-Produkten, zur Ent-häuslichung der Ernährung und zuweltweit gehandelten (exotischen)Nahrungsmitteln eine historische Er-rungenschaft von individueller Un-abhängigkeit und Freiheit gesehenwird? Wie kann nachhaltige Ernäh-rung erwünscht sein, wenn z.B. imTrend zu immer aufwendigeren Ess -erlebnissen auf der einen Seite undimmer schnelleren Esserlebnissenauf der anderen Seite häufig auch dieEinlösung eines gesellschaftlichenVersprechens auf Genuss, „Wellness“,Selbstverwirklichung und (schnelle)Erholung von der kräfte- und ge-sundheitszehrenden Arbeitswelt ge-sehen wird? Es kann, wie Uwe Spie-kermann es formuliert, „demnachrational sein, einer ernährungswis-senschaftlichen Rationalität nicht zufolgen.“8

Wenn Nachhaltigkeit aufgrundder oben genannten Hürden indivi-duell nicht erwünscht ist, werden dieMenschen sich auch nicht nachhaltigverhalten. Es hilft gar nichts, hiervordie Augen zu verschließen. Die Viel-zahl der Hindernisse fordert die Fra-ge heraus: Was steht den damit ver-bundenen Beharrungstendenzenentgegen bzw. was kann ihnen ent-gegengestellt werden?

Vielfach wird betont, dass esnicht an Empfehlungen zu umwelt-verträglicher und gesunder Ernäh-rung mangelt. Nachhaltigkeitskom-munikation hat aber offenbar dortihre Grenzen, wo sie von den Ange-sprochenen als Zumutung oder garals Bedrohung wahrgenommen wird.Dies ist z.B. dann der Fall, wenn siesich gegen verwurzelte Gewohnhei-

12 IAKE. Mitteilungen, Heft 19Beiträge

Page 15: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

ten, geschmackliche Vorlieben undzeit- wie arbeitssparende Ernährungs-praktiken richtet. Zusätzlicher Auf-wand und augenfällige Unbequem-lichkeiten bei kaum erkennbarenindividuellen Vorteilen und immernoch hohen Preisen sind nicht dazuangetan, Verhaltensänderungen zubegünstigen.

Eine Vielzahl von Erhebungenund wissenschaftlichen Studien derletzten Jahre9 geht in Hinblick aufdas Umwelt-, das Nachhaltigkeits-wie auch das Ernährungsverhalten10von einer Diskrepanz zwischen „Be-wusstsein“ und „Wissen“ auf der ei-nen Seite sowie „Verhalten“ und„Handeln“ auf der anderen Seite aus.Information und Beratung habennachweisbar zu einem erheblichenWissenszuwachs geführt. Allerdingsbleibt das Umwelt- oder Essverhal-ten der meisten Menschen davonunbeeindruckt. In hohem Maße sindsymbolische Handlungen („hier unddort auf dem Markt ein Bio-Brotkaufen“) und Absichtserklärungenverbreitet. Vereinzelte Verhaltensän-derungen und symbolische Kaufent-scheidungen sollen und können Zei-chen setzen und vor allem auch einindividuell erwünschtes Image pfle-gen. Weitergehende individuelle Ver-änderungsbereitschaften aber sindsehr begrenzt.11 Man handelt nachdem (humorigen) Motto: Eigentlichverhalte ich mich nachhaltig, aberich komme zu selten dazu!12

Zu diesen Erkenntnissen passenErhebungen zur Zahlungsbereitschaftder Menschen für mehr Umwelt-oder Klimaschutz. Bereits in derVergangenheit war die Bereitschaft,Mehrkosten für eine intakte Umweltzu übernehmen, sehr gering.13 EineZahlungsbereitschaftsstudie kam En-de 2010 zu dem Ergebnis, dass 60%der Teilnehmer für die Vermeidungeiner Tonne CO2 eine Zahlungsbereit-schaft von Null aufwiesen. Eine kost-spielige Klimaschutzpolitik scheintzumindest nach diesen Zahlen vor-erst nicht mehrheitsfähig zu sein.14Aus der Nestlé-Studie 2011 wird deut-

lich, dass die Menschen bestimmteNachhaltigkeitsaspekte durchaus fürbedeutsam halten, aber nur geringeZahlungsbereitschaften artikulieren.So ist für 60% der Bevölkerung dieartgerechte Haltung von Tierenwichtig, dafür bezahlen jedoch wür-den nur 33%. 62% würden den Ver-zicht auf Gentechnik begrüßen, abernur 27% wären auch bereit, dafürhöhere Preise in Kauf zu nehmen.15

Einen theoretischen Hintergrundfür diese empirisch ermittelten Datenliefern Andreas Diekmann und PeterPreisendörfer mit ihrer „Low-Cost-Hypothese des Umweltverhaltens“16.Wo umweltfreundliches oder nach-haltiges Verhalten weder Geld nochMühe kosten, dort fällt es nichtschwer, umweltfreundlich und nach-haltig zu handeln. Das gilt sowohlfür Einzelpersonen und für privateHaushalte als auch für Unternehmen.Unter solchen „Low-Cost-Bedingun-gen“ werden latent angelegte Umwelt-einstellungen oder auch bestimmteindividuelle Wünsche hinsichtlich ei-nes positiven Nachhaltigkeitsimagessehr schnell verhaltenswirksam. Sindallerdings höhere Kosten in Kauf zunehmen oder muss ein nennenswer-ter persönlicher Aufwand „gezeigt“werden, so sind Verhaltensänderun-gen weniger wahrscheinlich. Bei-spielhaft werden Menschen viel eherdemonstrativ Bio-Trendgetränke kau-fen als für den Großeinkauf auf dasAuto oder auf die Flugreise in denUrlaub zu verzichten. Menschen wer-den danach ihre Nachhaltigkeit fürsich und für Andere eher durch densporadischen Kauf von Biolebens-mitteln unter Beweis stellen alsdurch den Verzicht auf Fleisch in dertäglichen Ernährung.

Kann „Nachhaltiges Essen“ vorteilhaft sein?

Der Hauptvorteil einer nachhaltigenErnährungsweise wird mit Blick aufdas Individuum vor allem in einembesseren Gesundheitsstatus aufgrundvon nur geringfügigen Pestizid-, Her-

9 Vgl. beispielhaft DIEKMANN, Andreas /PREISENDÖRFER, Peter: Umweltsoziolo-gie, Reinbek 2001, 114ff.; ERNST, Andreas:Individuelles Umweltverhalten – Probleme,Chancen, Vielfalt. In: Welzer, Harald et al.(Hg.): Klima Kulturen. Soziale Wirklichkeitenim Klimawandel, Frankfurt a.M. 2010, 136f.;KUCKARTZ, Udo: Nicht hier, nicht jetzt,nicht ich – Über die symbolische Bearbeitungeines ernsten Problems. In: Welzer, Harald et al.(Hg.): Klima Kulturen. Soziale Wirklichkeitenim Klimawandel, Frankfurt a.M. 2010, 144ff.10 „Gegenüber kognitiven Argumenten undInformationen allerdings, die auf Gesundheitabheben, scheint das menschliche Ernährungs-verhalten eher resistent zu sein.“ PUDEL,Volker /WESTENHÖFER, Joachim: Ernäh-rungspsychologie. Eine Einführung, 3.Aufl.,Göttingen 2003, 18; ähnlich BARLÖSIUS,Eva: Soziologie des Essens, Weinheim /Mün-chen 1999, 224f.; METHFESSEL, Barbara:Essen: Körperbewußtsein, Genuß und Ver-antwortung. In: Methfessel, Barbara (Hg.):Essen lehren – Essen lernen, Hohengehren1999, 6; HÖHL, Karolin: Gesundheit brauchtGenuss. In: Haushalt und Bildung, Heft 1,2009, 28.11 Vgl. im Einzelnen KUCKARTZ, Udo:Nicht hier, nicht jetzt, nicht ich – Über diesymbolische Bearbeitung eines ernsten Pro-blems. In: Welzer, Harald et al. (Hg.): KlimaKulturen. Soziale Wirklichkeiten im Klima-wandel, Frankfurt a.M. 2010, 159.12 Sehr frei nach Ödön von Horvath, öster-reichisch-ungarischer Schriftsteller, 1901–1938.13 Vgl. JARRE, Jan: Private Haushalte in derKonzeption der Umweltökonomik. In: GRÄ-BE, Sylvia (Hg.): Private Haushalte im Span-nungsfeld von Ökologie und Ökonomie,Frankfurt /New York 1993, 40.14 Vgl. LÖSCHEL, Andreas / STURM, Bo-do /VOGT, Carsten: The Demand for ClimateProtection – An Empirical Assessment for Ger-many, Mannheim 2010 (ftp://ftp.zew.de/pub/zew-docs/dp/dp10068.pdf, Stand 24.2.2011).15 NESTLÉ Deutschland AG (Hg.): Nestlé-Studie 2011. Zusammenfassung. So i(s)stDeutschland (http://www.nestle-studie.de/,Stand 24.2.2011).16 Vgl. DIEKMANN, Andreas /PREISEN -DÖRFER, Peter: Umweltsoziologie, Reinbek2001, 117ff.

IAKE. Mitteilungen, Heft 19 13Überzeugende Nutzervorteile

Page 16: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

17 Vgl. PLOEGER, Angelika /AMINFO-ROUGHI, Sonika: Welchen Mehrwert hat eineökologische Ernährung? Ökologie & Land-bau 157, 2011, 12ff.; STRASSNER, Carola:Biolebensmittel. Besser, gesünder, geschmack -voller? Ökologie & Landbau 157, 2011, 16ff.;BRUNNER, Karl-Michael: Der Konsum vonBio-Lebensmitteln. In: Brunner, Karl-Michaelet al. (Hg.): Ernährungsalltag im Wandel.Chancen für Nachhaltigkeit, Wien/New York2007, 173ff.18 Vgl. z.B. Ergebnisse der Nestlé Studie2010: NESTLÉ Deutschland AG (Hg.): Sois(s)t Schule. Chancen für das lernende Ess-zimmer, Frankfurt a.M. 2010, 7, 10.

bizid- und Nitratbelastungen vermu-tet.17 Als gesundheitsförderlich wer-den zudem hohe Gehalte an wertge-benden Inhaltsstoffen wie bestimmtenMineral- und sekundären Pflanzen-stoffen sowie die Vermeidung vonzahlreichen Zusatzstoffen angese-hen. Allerdings ist die menschlicheGesundheit von derart vielen Fakto-ren abhängig, dass klare und belast-bare Kausalzusammenhänge nichtvorliegen. Gesundheitliche Folgenergeben sich für den einzelnen Men-schen meist erst in der (fernen) Zu-kunft und sind in keiner Weise pro-gnostizierbar und damit auch nichtkommunizierbar. Zugleich tobt mitBlick auf den Aspekt „Gesundheit“eine heftige Auseinandersetzung derInteressengruppen, die wechselseitig,z.B. über wissenschaftliche Studien,gesundheitliche Vorteile bzw. Nach-teile für Bioprodukte oder für kon-ventionell erzeugte Nahrungsmittelnachzuweisen oder zu widerlegenversuchen. Leider führt diese polari-sierte, öffentliche Auseinandersetzunggerade über den Gesundheitsaspekteher zu einer allgemeinen Verunsi-cherung und zur Ratlosigkeit derdurchschnittlichen VerbraucherIn-nen. Vor diesem Hintergrund ist dieÜberzeugungskraft des Gesund-heitsarguments für Verhaltensände-rungen derzeit sehr begrenzt. Hinzukommt, dass viele Bevölkerungs-gruppen Gesundheitsaspekten mitBlick auf das Essen derzeit offenbarlediglich eine untergeordnete Bedeu-tung beimessen18; zumal dann, wennsie sich gesund fühlen.

Als weitere Vorteile und möglicheMotive für die Nutzung nachhaltigerBiolebensmittel werden in der obenzitierten Literatur insbesondere diefolgenden Aspekte genannt:• Sicherheit über die artgerechteHaltung der Tiere,• regionale Herkunft der Waren undUnterstützung regionaler Betriebe,• Erhalt der (regionalen) Kultur-landschaft,• besserer Geschmack und Schutzvor Gen Food,

• Unterstützung einer umwelt- undressourcenschonenden Produktions-weise.

Diese Vorteile wirken gegenüberden Hemmfaktoren sicher nicht sehrkonkurrenzfähig. Sie werden zwei-fellos nur kleine Konsumentengrup-pen überzeugen können, dem Expe-riment „nachhaltig essen“ eine ersteAufmerksamkeit zu schenken. Esgibt derzeit einfach noch zu wenigeund wenn, dann eher schwache, in-dividuell zurechenbare Handlungs-anreize und Nutzervorteile für eineVeränderung des Verhaltens in Rich-tung auf ein nachhaltigeres Essen.

Was sind Nutzervorteile?

Nutzervorteile sind monetäre undnichtmonetäre Zusatznutzen (mehrBequemlichkeit, mehr Zeit, mehr in-dividuelles Ansehen, besseres Ge-wissen u.a.), die Menschen für sichrealisieren können, wenn sie nach-haltig handeln. Sie sind bisher inHinblick auf ihre strategischen Vor-züge kaum betrachtet, analysiert undsehr selten bewusst als besonders„starkes“ Instrument gestaltet wor-den. Dabei weisen sie nachvollzieh-bare Vorteile auf:• Individuell erfahrbarer Nutzen isteine verhaltenslenkende Kraft mit be-sonderem Durchsetzungsvermögen.• Nutzervorteile sind flexibel „vorOrt“ und ausgesprochen zielgrup-penorientiert gestaltbar. Als Akteurist eher die Kommunal- als die Bun-des- oder die Landespolitik gefragt.• Nutzervorteile in Form von Be-lohnungen weisen eine hohe gesell-schaftliche Akzeptanz auf.• Nutzervorteile sind nicht zwin-gend mit großen finanziellen Ausga-ben verbunden. Häufig sind sie so-gar nichtmonetärer Natur und damitkostengünstig zu etablieren.

Derartige Vorteile gilt es gezieltnachhaltigkeitspolitisch zu gestalten,und das wird in Ansätzen auch be-reits getan, ohne allerdings die ver-haltenslenkenden Vorzüge syste -matisch herauszustellen. Dass dieses

14 IAKE. Mitteilungen, Heft 19Beiträge

Page 17: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

Instrument erfolgreich sein kann,beweist die beachtliche Resonanzdes Erneuerbare-Energien-Gesetzesmit Blick auf die nutzeninduzierteBereitschaft der Menschen zur Inves -tition in erneuerbare Energien. Hiersind die monetären Nutzervorteile(Einspeisevergütung Photovoltaik)so gewichtig und überzeugend, dassVerhaltensänderungen in beachtli-chem Umfang initiiert werden konn-ten. Die Anreizgestaltung ist derzentrale Hebel zur erwünschten Ver-haltensänderung.

Großzügige und privilegierte Park-regelungen für Car-Sharing-Fahrzeugein Innenstädten können in ähnlicherWeise die Bereitschaft beflügeln, aufden privaten Pkw zu verzichten.Vorfahrtregelungen, Öffnung von Ein-bahnstraßen, spezielle Ampelschal-tungen und Fahrradstraßen begün-stigen in vielen deutschen Städten inbeachtlichem Maße den Fahrradver-kehr. Lärmarme Baumaschinen wer-den von Unternehmen deshalb be-vorzugt, weil sie an bestimmtenOrten in den Abendstunden längereingesetzt werden können. (Öffentli-che) Auszeichnungen für beispielhaf-tes, nachhaltiges Handeln sind einvon vielen Menschen durchaus sehrgeschätzter Nutzervorteil. Simple Na-mensplaketten an frisch gepflanztenBäumen in Parks und auf öffent-lichen Plätzen fördern die Spenden-bereitschaft der Menschen für um-weltförderliche Neuanpflanzungen.Mit (imageförderlichen) Plaketten anHäusern wird auf vorbildlichenDenkmalschutz oder beispielhafteAltbausanierung verwiesen. Kleine Ge-winnchancen mit Hilfe von Lotterie-losen erhöhen regionale Glasrecycling-quoten in Glascontainern.

In ähnlicher Weise vertraut etwaRichard Thaler auf die verhaltens-lenkende Kraft der kleinen Anrei-ze19: Derartige Anreizstrukturen ge-währen Entscheidungsfreiheit und„schubsen“ dennoch Menschen ineine bestimmte Richtung, die dieUmweltsituation und zugleich ihrLeben verbessern kann. Nutzervor-

teile sollten deshalb die prioritärepolitische Antwort auf die Erkennt-nis sein, dass individueller Konsumheute von herausgehobener globalerBedeutung ist und nicht einerethisch-moralischen Selbstverpflich-tung des Individuums überlassenwerden kann, der die gegebenen An-reizstrukturen entgegenstehen.

Kreativ gestaltete Nutzervorteilekönnen in vielen Fällen die indivi-duellen Vorteilhaftigkeitsrechnungenentscheidend zugunsten des nachhal-tigen Handelns verändern, so dassEigeninteresse und Nachhaltigkeitkein Gegensatz mehr sind. Ist dies ersteinmal geschehen, dann könnten ineinem nächsten Schritt Nachhaltig-keitsberatung, -erziehung und -bildungmit einem überzeugenden Rücken-wind dafür sorgen, dass sich diesemotivierende und handlungsleitendeErkenntnis schnell verbreitet.

Die oben genannten Beispiele zuNutzervorteilen stammen allesamtaus eher ernährungsfernen Bereichen,aber sie zeigen, dass das Prinzip funk-tioniert. Manches ließe sich zudemkreativ übertragen. Mit „Einspeise-vergütungen“ (nomen est omen) alszentralem Hebel ließe sich beispiels-weise auch die Vorteilhaftigkeitsstruk-tur zugunsten eines nachhaltigeren Es-sens überzeugend verändern. Wenndie Preise die ökologische Wahrheitsagen würden, wären Öko-Produkteohnehin meist billiger als konventio-nelle Ware. Da aber ökologische Fol-geschäden der Nahrungsmittelpro-duktion bekanntlich nicht schadens-und verursachergerecht kalkuliert zuwerden brauchen, müssen nachhalti-ge Produkte meist mit gravierenden– und volkswirtschaftlich eigentlichnicht gerechtfertigten – Wettbewerbs-nachteilen leben. In der Regel wer-den KonsumentInnen und Steuer-zahlerInnen für die Kompensationbzw. Beseitigung der ökologischenFolgekosten in die Pflicht genom-men. Ökonomisch sinnvoll ist dasbekanntermaßen nicht.

„Einspeisevergütungen“ für Bio-Produkte wäre sicherlich ein gerade

19 Vgl. THALER, Richard H.: Nudge. Wieman kluge Entscheidungen anstößt, Berlin2009 und dort verschiedene umweltbezogeneBeispiele auf den Seiten 251ff.

IAKE. Mitteilungen, Heft 19 15Überzeugende Nutzervorteile

Page 18: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

20 „Wenn es schmeckt, erlebt die Zunge ei-nen Moment lang die Ewigkeit.“ (Mir unbe-kannter Verfasser).21 Vgl. hierzu ausführlicher HÖHL, Karolin:Gesundheit braucht Genuss. In: Haushalt undBildung, Heft 1, 2009, 28ff.22 Besonders wichtig ist in diesem Zusam -menhang häufiges Probieren und die positiveemotionale Besetzung der zu fördernden Bio-Produkte. Vgl. ausführlicher den Abschnittüber den Geschmack bei METHFESSEL,Barbara: REVIS Fachwissenschaftliche Kon-zeption: Soziokulturelle Grundlagen der Er-nährungsbildung, Paderborner Schriften zurErnährungs- und Verbraucherbildung, Bd. 7,Paderborn 2005, 29ff.23 Vgl. beispielhaft KUHNERT, Heike: SocialMarketing – ein Konzept für die Gestaltungvon Politik zur Ausweitung des ökologischenLandbaus in Deutschland? Agrarwirtschaft,Heft 2/2006, 112ff.24 ANTHUS, Antonius: Vorlesungen überdie Eßkunst, Frankfurt a.d.O. 2006 (Nach-druck von 1838), 17.25 LUKS, Fred: Endlich im Endlichen. Oder:Warum die Rettung der Welt Ironie undGroßzügigkeit erfordert, Marburg 2010, 192.26 SCHWITTERS, Kurt: Kuwitter. Grotesken,Szenen, Banalitäten, Hamburg 1986, Klappen -text.

volkswirtschaftlich zu rechtfertigen-der Nutzervorteil. Realistischerweiseist eine Vorteilsgestaltung dieser Artderzeit aufgrund gegebener Interes-sen- und Machtstrukturen eine poli-tische Illusion. Insofern gilt es, überweitere Nutzervorteile im Bereich„Ernährung“ nachzudenken, die viel-leicht „auf kleinerer Flamme gekocht“werden könnten. Einer der bestenNutzervorteile wäre zweifellos dersofort und zweifelsfrei zu erkennen-de bessere Geschmack20 von Bio-Produkten. An einer entsprechendenGeschmackssensibilisierung breiterBevölkerungsschichten (möglichstbereits in der frühen Kindheit) mussallerdings noch gearbeitet werden.21, 22Sicher ist auch dies kein kurzfristigzu mobilisierender Nutzervorteil.

Zu denken ist weiter an eine um-fassende „Social Marketing Strate-gie“ zugunsten von Bio-Produkten,die nicht zuletzt auf das „bessereImage“ dieser Lebensmittel setzt.Kann hieraus ein handfester Nutzer-vorteil geformt werden? Das Marke-ting hätte es gerne deutlich handfes -ter, denn immer wieder wird in derMarketing-Literatur mit allem Nach-druck betont, „dass es für die Ziel-gruppe einen erkennbaren Nutzenfür die Annahme des erwünschtenVerhaltens geben muss“23. Damitsind wir erneut bei dem eigentlichenGrundproblem – der Gestaltung in-dividuell zurechenbarer und spürbarerVorteile – angekommen, das auchvon den Marketing-ExpertInnen bis-her noch nicht überzeugend gelöstwerden konnte.

Nutzervorteile in Richtung „nach-haltig essen“ sind derzeit leider nochMangelware. Deshalb sollte diesesviel versprechende Themenfeld zumvorrangigen und bevorzugten Denk-und Aktionsfeld aller Freundinnenund Freunde des nachhaltigen Es-sens gemacht werden. Im Grundegenommen wäre alles ja ganz einfach:Eine attraktive Einspeisevergütung fürÖko-Produkte würde in der Tat dieVoraussetzungen schaffen, dass sich„nachhaltiges Essen“ fast wie von

selbst verbreiten und durchsetzenwürde. Wir befänden uns beinaheschon im nachhaltigen Schlaraffen-land. Der Weg dorthin wird realisti-scherweise noch weit sein und es isteine beachtliche Kreativität gefordert,tragfähige Nutzervorteile zu findenoder zu gestalten.

Nutzervorteil „Humor“?

Wenn es allerdings trotz aller einge-setzten Kreativität und politischenKraft nicht gelingt, überzeugendeNutzervorteile zu etablieren, werdenwir uns realistischerweise damit ab-zufinden haben, dass wir weiterhinmehrheitlich nicht-nachhaltig undfleischreich essen werden. Auch die-se Perspektive hat eine gewisse (trau-rige) Tradition, wie das folgende Ge-dicht von Wilhelm Busch aus den1890er Jahren (!) belegen kann, dasnach so langer Zeit immer noch indie Zukunft weist:

Das Messer blitzt, die Schweine schrein,Man muß sie halt benutzen,Denn jeder denkt: Wozu das Schwein,Wenn wir es nicht verputzen?Und jeder schmunzelt, jeder nagtNach Art der Kannibalen,Bis man dereinst Pfui Teufel sagtZum Schinken aus Westfalen.

Vielleicht muss an dieser Stelle aucheinmal daran erinnert werden, dass„man beim Essen die Lachmuskelnin Bewegung setzen muss“24! DerHumor, das Lachen und ihre verän-dernde Kraft aber kommen in der(ernährungsbezogenen) Nachhaltig-keitsdebatte nicht nur meines Erach-tens viel zu kurz. Nachhaltigkeit ist„eine humorfreie Zone“, wie FredLuks es formuliert.25 Kann etwaswirklich wichtig sein, wenn niemanddarüber lacht? Nachhaltigkeitspolitiksollte sich verstärkt an dem Lebens-motto des Künstlers Kurt Schwittersorientieren: „Das Ziel ist ernst, derWeg humorvoll.“26 Ein humorvollerWeg könnte von den Menschen nichtzuletzt als gewichtiger Nutzervorteil

16 IAKE. Mitteilungen, Heft 19Beiträge

Page 19: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

für eine Reise mit dem Zielbahnhof„Nachhaltigkeit“ angesehen werden.

Der Mensch befindet sich nichtnur in einem Nachhaltigkeitswider-spruch zur Ordnung dieser Welt,sondern nach Peter L. Berger vor al-lem „in einem Zustand des komi-schen Widerspruchs zur Ordnung desUniversums“27. Wenn man etwassucht, das diesen Widersprüchenentgegenwirken könnte, dann sollteman es durchaus einmal mit demLachen versuchen, einem Lachen,das die Grenzen des menschlich Zu-mutbaren beständig überprüft. DieWelt könnte in Richtung auf denLernprozess „Nachhaltigkeit“ mit ei-ner gehörigen Portion Humor vor-angebracht werden. Denn Humordurchbricht eingefahrene Gewohn-heiten unserer Wahrnehmung undstellt dort Bezüge her, wo im Nor-malfall Unvereinbarkeit herrscht.Berger formuliert es wie folgt: „Inder Welt des Komischen sind die Be-grenzungen der menschlichen Exis -tenz auf wunderbare Weise aufgeho-ben.“28 Heben wir also auch dieNachhaltigkeitsbegrenzungen durchden selbstbewussten Einsatz vonHumor und Lachen Stück für Stückauf. „Weglachen“ lässt sich vielleichtvor allem die hinderliche Angst vorVeränderungen.

Möglicherweise ist ja etwas dranan dem Motto der Internationale desHumors und der Satire in der Kunstin der bulgarischen Stadt Grabowo:„Überlebt hat die Welt, weil ihr das

Lachen gefällt“; und auch eine klei-ne chinesische Weisheit geht von ei-ner besonderen Bedeutung des La-chens für die Zukunft der Welt aus.Dort heißt es: „(…), und wenn mannicht lacht und keine Geschichtenerzählt, kann man auch die Weltnicht voranbringen.“29 Also solltenwir immer wieder versuchen zu la-chen und Nachhaltigkeitswahrheitenmit Hilfe von (humorvollen) Nach-haltigkeitsgeschichten zu verbreiten!Vielleicht mit einer wie dieser, diedas Phänomen der Hemmfaktorenerkenntnisfördernd beleuchtet:

Nasrudin geriet zusammen mit an-deren Passagieren auf einem Schiff inSeenot. Es sah so aus als würde dasSchiff jeden Augenblick sinken. DiePassagiere lagen auf den Knien, bete-ten und bereuten ihre Sünden. Sie ge-lobten alle möglichen Dinge zu tun,wenn sie nur gerettet würden. AlleinNasrudin war ungerührt. Plötzlich aufdem Höhepunkt der Panik sprang erauf und rief: „Sachte, sachte Freunde!Versprecht nicht zu viel – ihr könnt dieAlten bleiben. Ich glaube ich seheLand!“ 30

Prof. Dr. Jan JARRE ist am Fachbe-reich Oecotrophologie der Fachhoch-schule Münster im Lehrgebiet „Didaktikund Methodik der Verbraucherbildungund -beratung“ tätig. Forschend be-schäftigt er sich vor allem mit der Eva-luation von Umwelt- und Ernährungs-projekten sowie Fragen des nachhaltigenKonsums.

27 BERGER, Peter L.: Erlösendes Lachen.Das Komische in der menschlichen Erfahrung,Berlin /New York 1998, 43.28 Ebd., XI.29 BACHMAIER, Helmut (Hg.): Texte zurTheorie der Komik, Stuttgart 2005, 134.30 Diese Nasrudin-Geschichte ist zu findenbei: SHAH, Idries: Die Sufis, Düsseldorf/Köln1980, 74.

IAKE. Mitteilungen, Heft 19 17Überzeugende Nutzervorteile

Page 20: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

18 IAKE. Mitteilungen, Heft 19Beiträge

1 STELLPFLUG, Jürgen: Der große Schwin-del. Test Regionale Lebensmittel, ÖKO-TEST-Magazin 09, 2011, 14–30.2 SIEVERS, Hermann: Nach der Bio- rolltnun die Regio-Welle. Lokal verankerte Händlerprofitieren vom Nachhaltigkeitstrend – Dis-counter ziehen bei regionalen Eigenmarkennach, Lebensmittel Zeitung 16, 2011, 10.3 TEGUT… Gutberlet Stiftung & Co.: Dietegut… Märkte, 2011 (http//:http://www.te-gut.com/maerkte.html, Stand 15.12.11); DO-RANDT, Stephanie: Analyse des Konsumen-ten- und Anbieterverhaltens am Beispiel vonregionalen Lebensmitteln. Empirische Studiezur Förderung des Konsumenten-Anbieter-Dialogs, Hamburg 2005, 179.4 FENEBERG LEBENSMITTEL GmbH:VonHier – Informationen für den landwirt-schaftlich Interessierten, Kempten, 2011(http://www.feneberg.de/index.php?id=133,Stand 11.09.2011).

Regionale Lebensmittel im Lebensmitteleinzelhandel

Regionale Lebensmittel boomen.„Nach der Bio- rollt nun die Regio-Welle“ fasst Sievers seinen Artikelüber Lebensmittelhändler zusammen,die sich – nachdem der Verkauf vonBio-Lebensmittel auf hohem Niveauabflachte – zunehmend mit regiona-len Lebensmitteln auseinander set-zen und diese verstärkt in ihrenMärkten anbieten.2

Einige Händler bieten schon seitlängerem Lebensmittel regionalerHerkunft an. Hierzu zählt beispiels-weise das Fuldaer Unternehmen Te-gut… gute Lebensmittel, das in ei-nem Umkreis von ca. 200 km um denFirmenstammsitz Fulda agiert. Die-ses Gebiet erstreckt sich auf Hessenund die angrenzenden BundesländerNiedersachsen, Thüringen, Bayernund Rheinlandpfalz.3 Das Unterneh-men führt in seinem gesamten Sorti-ment regionale Lebensmittel, mitSchwerpunkt auf den Bereichen„Obst und Gemüse“ sowie „Fleischund Fleischwaren“. Die regionalenLebensmittel stammen dabei ausdem o. g. Wareneinzugsgebiet.

Als Pionier in Sachen Vermark-tung und Verkauf regionaler Lebens-

mittel gilt das Allgäuer UnternehmenFeneberg, das bereits 1998 seine Re-gionalmarke „VonHier“ etablierte.Dabei dürfen „VonHier“-Produktenur in einem Umkreis von 150 kmum den Firmensitz Kempten erzeugtund verarbeitet werden. Alle Pro-dukte entsprechen mindestens derEU-Ökoverordnung. Derzeit sind600 Bio-Bauernhöfe und 25 Verar-beitungsbetriebe unter „VonHier“-Vertrag. Mit diesen Produkten er-wirtschaftete Feneberg 2008 einenJahresumsatz von 16 Millionen Eu-ro. Dabei konnte die regionale Land-wirtschaft eine zusätzliche Wert-schöpfung von 3,2 Millionen Euroerwirtschaften. Nach Angabe vonFeneberg sind rund 500 zusätzlicheArbeitsplätze in das „VonHier“-Pro-gramm eingebunden.4

Seit 2005 führen ausgewählteREWE-Märkte in Hessen die Marke„Landmarkt“ der Vereinigung Hessi-scher Direktvermarkter. Mittlerweilekönnen hessische Verbraucher über150 Landmarkt-Produkte in 75 REWE-Märkten erwerben. Dabeiwerden die Landmarkt-Produkte auflandwirtschaftlichen Betrieben, dieunmittelbar im Einzugsgebiet des je-weiligen REWE-Marktes liegen, so-wohl nach den Richtlinien des öko-

Regionale Lebensmittel –Neuer Trend oder großer Schwindel?Stephanie Dorandt

Regionale Lebensmittel erleben derzeit einen Boom. Dies zeigt sich nicht nur auf der Nachfrageseite, also beiden Verbrauchern, die zunehmend regionale Lebensmittel einkaufen, sondern auch auf der Angebotsseite.Nach den Bio-Lebensmitteln sind nun die regionalen Lebensmittel im Lebensmitteleinzelhandel angekom-men. Und das nicht nur im Naturkosthandel – für den regionale Produkte von Anbeginn Teil der Vermark-tungsphilosophie waren, sondern gerade auch im konventionellen Lebensmitteleinzelhandel.Doch ist Regionalität lediglich ein neues Label, das der Verkaufsförderung dient? Und damit „Der großeSchwindel“, wie die September-Ausgabe des ÖKO-Test-Magazins seinen Test über regionale Lebensmittel ti-tulierte?1 Was sind überhaupt regionale Lebensmittel? Welche Motive können Regionalität zugeschriebenwerden? Gibt es Basiskriterien für regionale Lebensmittel? Diesen Fragen geht der Beitrag im Folgenden nachund beleuchtet kritisch den „neuen“ Trend Regionalität.

Internationaler Arbeitskreis für Kulturforschung des Essens. Mitteilungen 2012, H.19, S.18–27

Page 21: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

logischen Landbaus als auch nachkonventioneller Wirtschaftsweise er-zeugt und verarbeitet. Verboten istder Einsatz von gentechnisch verän-dertem Pflanz- und Saatgut sowieFuttermitteln, die gentechnisch ver-änderte Organismen (GVO) enthal-ten.5

Ebenfalls 2005 führte Coop dieRegionalmarke „Unser Norden“ ein,die in den Lebensmittelmärkten vonSky und Plaza in Norddeutschlandvermarktet werden. Mittlerweile um-fasst das Sortiment über 800 Artikelaus dem Food- und Nonfood-Bereich.Regional bedeutet bei den „UnserNorden“-Artikeln, dass sie in Nord-deutschland – das umfasst das Ge-biet Schleswig-Holstein, Mecklen-burg-Vorpommern, Niedersachsen,Brandenburg, gelegentlich auchHamburg, Bremen und Berlin – her-gestellt oder bearbeitet werden. Dasbedeutet aber nicht, dass alle Roh-stoffe aus dieser Region stammenmüssen. Schließlich wachsen nachAussage von Coop „nördlich der El-be […] kein Pfeffer, kein Kaffee undkeine Apfelsinen“.6

Nach den Vollsortimentshändlernhaben in jüngster Zeit auch einigeDiscounter das Thema „Regionalität“für sich entdeckt (vgl. Tabelle 1).

Lidl beispielsweise startete An-fang 2010 mit „Ein gutes Stück Hei-mat“ und bietet seitdem Milch undMolkereiprodukte an, die aus bay-erischer Milch in bayerischen Mol-kereien verarbeitet und ausschließ-

lich in Bayern vermarktet werden.Das Konzept „Ein gutes Stück Hei-mat“, das mit „Lebensmittel, die ty-pisch für unsere heimischen Regio-nen sind und aus Produktionen inDeutschland stammen“7 wirbt, wur-de bereits Ende 2010 auf Deutsch-land ausgeweitet.8 Unter „Ein gutesStück Heimat“ kann überall inDeutschland z.B. Apfel-Kirschsaftvom Bodensee oder Emsländer Ap-felkuchen mit Äpfeln aus dem AltenLand eingekauft werden.9

Im Gegensatz zu den konventio-nellen Supermärkten hat der Natur-kostfachhandel von Anfang an aufregionale Lebensmittel gesetzt. Re-gionale Lebensmittel sind Teil desNaturkosthandel-Grundverständnis-ses. So ist beispielsweise eine derStärken des 1999 gegründeten Berli-ner Unternehmens BIO COMPANY– mit mittlerweile 26 Filialen vor al-lem im Berliner Raum – die Vernet-zung mit Erzeugern und Verarbei-tern aus der Region. Waren aus derUmgebung – dies entspricht demGebiet Berlin, Brandenburg, teil-weise Sachsen, Sachsen-Anhalt undMecklenburg-Vorpommern – wer-den bevorzugt angeboten. Die Be-deutung der regionalen Produkte fürdas Unternehmen zeigt sich daran,dass die BIO COMPANY mit ihnen50% ihres Umsatzes generiert.10 DerRegionalitätsansatz dieses Handels-unternehmens dient einerseits derTransparenz für den Kunden, fördertandererseits die Stärkung regionaler

5 Vgl. NN: Mit Landmarkt in die Rewe-Märkte in NRW? LZ Rheinland 45, 2010, 18–19 sowie SIEVERS, Hermann: Nach der Bio-rollt nun die Regio-Welle. Lokal verankerteHändler profitieren vom Nachhaltigkeitstrend– Discounter ziehen bei regionalen Eigenmar-ken nach, Lebensmittel Zeitung 16, 2011, 10.6 COOP eG: Aus dem Norden – für denNorden, Kiel 2011 (http://www.unser-nor-den.de/unser-norden/philosophie/regionali-taet, Stand 11.09.2011).7 LIDL Dienstleistung GmbH & Co. KG:Ein gutes Stück Heimat, Neckarsulm 2011(http://www.ein-gutes-stueck-heimat.de/ein-gutes-stueck-heimat.html, Stand: 11.09.2011).8 SIEVERS, Hermann: Nach der Bio- rolltnun die Regio-Welle. Lokal verankerte Händlerprofitieren vom Nachhaltigkeitstrend – Dis-counter ziehen bei regionalen Eigenmarkennach, Lebensmittel Zeitung 16, 2011, 10.9 LIDL Dienstleistung GmbH & Co. KG:Ein gutes Stück Heimat, Neckarsulm 2011(http://www.ein-gutes-stueck-heimat.de/sorti-ment.html?assortment=5, Stand 11.09.2011).10 DORANDT, Stephanie /KORIAT, Tho-mas/MORRISON, Camilla: BIO-COMPANYund Social Media – PR-Konzept für die BIO-COMPANY, Unveröffentlichtes Manuskript,Berlin 2011, 6.11 Nach SIEVERS, Hermann: Nach derBio- rollt nun die Regio-Welle. Lokal veran-kerte Händler profitieren vom Nachhaltig-keitstrend – Discounter ziehen bei regionalenEigenmarken nach, Lebensmittel Zeitung 16,2011, 10.

IAKE. Mitteilungen, Heft 19 19Regionale Lebensmittel

Unternehmen Marke Einführung Region Sortimentsbreite Artikel(= zirka)

BüntingCoopEdeka NordEdeka Südwest

Edeka Rhein-RuhrFenebergLidl

Netto MarkendiscountPennyPenny

NaturWert regionalUnser NordenUnsere Heimat – Echt & GutUnsere Heimat – Echt & Gut

Mein LandVon HierEin gutes Stück Heimat

Ein Herz für ErzeugerEcht NordischEcht Bayrisch

1994200520102006

201019982010

200820112011

AbsatzgebietAbsatzgebietAbsatzgebietjew. Bundesland(BW, HE, SR, RP)NRWeng (100 km)(Bayern, Molkereipro-dukte) / DeutschlandDeutschlandNorddeutschlandBayern

engsehr breit (inkl. Nonfood)Molkereiprodukte/Obst und Gemüsebreit

Obst und Gemüse, Eierbreit(Molkereiprodukte)/breit

engbreitbreit

3080020250

2020020

151515

Tab.1: Regionale Eigenmarken im deutschenLebensmitteleinzelhandel11

Page 22: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

12 BIO COMPANY Beteiligungs GmbH:Regionale Partnerschaften um und in Berlin,Berlin 2011 (http://www.biocompany.de/regio-nale-partnerschaften.html, Stand 11.09.2011).13 DORANDT, Stephanie: Analyse desKonsumenten- und Anbieterverhaltens amBeispiel von regionalen Lebensmitteln. Empi-rische Studie zur Förderung des Konsumen-ten-Anbieter-Dialogs, Hamburg 2005, 178.14 Die Münchehofer Bio-Milch wird abFrühjahr 2012 als Bio-Milch Aus dem Spree-wald und die Münchehofer Bio-Molkereibutterals Bio-Molkereibutter Aus dem Spreewald imNaturkosthandel erhältlich sein (Produktre-launch).15 HEMME MILCH GmbH & Co. KG:Homepage von Hemme Milch, Angermünde2011 (http://hemme-milch.de/uckermark.html,Stand 09.10.2011).16 McDONALD’S Deutschland Inc.: So gut,wie es schmeckt. Der Qualität von McDonald’sauf der Spur, München 2011 (http://www.mcdonalds.de/ernaehrung/qualitaet.html,Stand 09.10.2011).17 SKOPOS Institut für Markt- und Kom-munikationsforschung: SKOPOS-Studie zuLebensmittelsiegeln: regionale Herkunft istwichtiger als Bio, Hürth 2010 (http://www.skopos.de/de/newspresse/141-skopos-studie-zu-lebensmittelsiegeln-regionale-herkunft-ist-wichtiger-als-bio.htm, Stand 30.06.2011).

Strukturen und der regionalen Er-zeuger. Dabei kommen vor allem dieLebensmittel des Frischesortiments(Obst und Gemüse, Fleisch undFleischwaren, Brot und Backwaren,Milch und Milchprodukte) aus derRegion.12

Auch die SuperBioMarkt AG mitSitz in Münster und Filialen haupt-sächlich in Nordrhein-Westfalen so-wie Osnabrück (Niedersachsen) bie-tet in fast allen SortimentsbereichenRegionalprodukte an. Generell giltder Grundsatz: Hat das Unterneh-men bei gleichen Qualitätsstandardsdie Wahl, bevorzugt es Anbieter ausder Region. Region entspricht beidiesem Unternehmen einem Umkreisvon 200–250 km um die Filialen.13Auf diese Weise fördert das Unter-nehmen aktiv den regionalen ökolo-gischen Landbau.

Auch Produzenten setzen mit ih-ren Eigenmarken auf regionaleStrukturen. So ist beispielsweise dieGläserne Molkerei im Jahr 2001 mitdem Ziel gegründet worden, Bio-Milch aus dem nordostdeutschenRaum regional zu verarbeiten. Da-bei stammt die Milch aus einem Ein-zugsgebiet, das in einem Umkreisvon ca. 250 km um den jeweiligenProduktionsstandort liegt. Schwer-punktmäßig werden diese Milch unddaraus produzierte Milchprodukteauch in diesem Gebiet vermarktet.Konkret bedeutet dies, dass bei-spielsweise der ProduktionsstandortMünchehofe (nördlicher Spreewald),die Münchehofer Bio-Milch undMünchehofer Bio-Molkereibutter14vorrangig in Berlin, Brandenburgund Sachsen-Anhalt vermarktet.

Ähnliches gilt für das Unterneh-men Hemme Milch, das Landwirt-schaft (Milchviehhaltung) und Verar-beitung (Hofmolkerei) unter einemDach vereint. Hemme Milch hat sei-nen Sitz in Angermünde im Bio-sphärenreservat Schorfheide-Chorin,einem Naturschutzgebiet in der Ucker-mark 90 km nordöstlich von Berlingelegen. Die Milch stammt von Kü-hen, die um die Molkerei gehalten

werden. Die Produkte aus dieserMilch werden schwerpunktmäßig inBerlin /Brandenburg vermarktet –zum einem über Direktvermarktung(Hofladen und Milchlieferservice),zum anderen über den Berliner Le-bensmitteleinzelhandel.15

Selbst große Verarbeitungsunter-nehmen wie McDonald’s Deutschlandsetzen zunehmend auf den Regiona-litätstrend und bemühen sich umTransparenz, d.h. dem Kunden aufzu-zeigen, woher die Rohwaren stammenund welcher Erzeuger sie produzierthat. In seiner aktuellen Kampagnebewirbt McDonald’s, dass durch-schnittlich 70% der eingesetzten Roh-waren aus regionalem Anbau stam-men. So wird Rindfleisch zu 93%,Kartoffeln zu 64% und Weizen zu81% aus regionalem Anbau bezogen.Regionaler Anbau heißt im Fall die-ses weltweit agierenden Unternehmensaus der Region „Deutschland“.16

„Regional“ und „bio“ aus Sichtder Verbraucher

Regionale Lebensmittel scheinenden Bio-Lebensmitteln in der Ver-brauchergunst den Rang abzulaufen.Das SKOPOS Institut für Markt- undKommunikationsforschung stelltebereits 2010 fest, dass die Kaufent-scheidung der Deutschen vor allemvon unabhängigen Testurteilen wieStiftung Warentest und ÖKO-Testabhängt – aber auch von der regio-nalen Herkunft eines Lebensmittels.Wohingegen die ökologische als auchdie nachhaltige Produktion insgesamtweniger von Bedeutung sind.17 Jeweilsein Drittel der 1.004 Befragten gabenbei der Frage, welche Aussage einesSiegels am ehesten zum Kauf führenwürde, „aus der Region“ und „gutesTesturteil“ an. Aber nur 17% der Be-fragten entschieden sich für „Bio“bzw. 6% für „nachhaltig produziert“.

Die Nestlé-Studie 2011 fand her-aus, dass 81% der über 10.000 befrag-ten deutschen Verbraucher im Alterzwischen 14 und 84 Jahren regelmä-ßig oder gelegentlich Produkte aus der

20 IAKE. Mitteilungen, Heft 19Beiträge

Page 23: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

Region kaufen, hingegen lediglich45% der Befragten regelmäßig odergelegentlich Bio-Produkte kaufen.18Bio-Produkte werden dabei eher auspersönlichen Gründen nachgefragt,d.h. vorrangig aus gesundheitlichenGründen. Mit regionalen Lebensmit-teln werden dagegen verschiedeneAspekte eingekauft: Frische, Unter-stützung der regionalen Wirtschaft,kurze Transportwege und „das Wis-sen um die Herkunft der Produkte“.19

Eine aktuelle Gießener Studie hatebenfalls nachweisen können, dassProdukte mit regionaler Herkunft einehöhere Wertschätzung genießen alsanonyme Bio-Ware, obwohl jeweilsdie Hälfte der Befragten in einemEingangsstatement sowohl die öko-logische Produktionsweise als auchdie regionale Herkunft beim Kaufvon Lebensmitteln als wichtig erach-teten.20 Schröder untersuchte in einerOnlineumfrage, welche Eigenschaftenvon Schnittkäse Verbraucher veran-lassen, ihn zu kaufen. Die Vorliebender 166 Teilnehmer wurden anhandvon Auswahlsets abgefragt. Diese be-standen aus verschiedenen Schnitt-käsesorten mit unterschiedlichenPreisen, Fettstufen, Verpackungsgrö-ßen, regionalen Herkunftsbezeich-nungen und Bio-Siegeln. Dabeimussten sich die Befragten diejenigeKäsesorte aussuchen, die sie im Le-bensmittelgeschäft kaufen würden.Hieraus ermittelte Schröder, welcheEigenschaften für den Kauf entschei-dend sind. Darüber hinaus konnte siebestimmen, wie sich die Eigenschaf-

ten auf die Entwicklung der Markt-anteile auswirken würden. Was zu-nächst wenig überrascht: Den größtenEinfluss auf die Kaufentscheidunghat der Preis mit 38,4%. Aber fastgenauso wichtig ist mit 35,2% dieHerkunftsangabe. Die Produktions-methode – ob bio oder konventio-nell – hat auf die Kaufentscheidungnur noch einen Einfluss von 17,5%.Verpackungsgröße und Fettgehalt sindfür die Kaufentscheidung von margi-naler Bedeutung (vgl. Abbildung 1).

Die Ausprägung „Herkunft“ warunterteilt in die Angaben• Käse und Milch aus der Region,• Käse aus der Region, keine An-gabe über die Herkunft der Milchsowie• keine Angabe über Herkunft vonKäse und Milch.

Für den Kauf entscheidend warendabei die erste Angabe – in positiverHinsicht – und die letzte Angabe –in negativer Hinsicht. Schröder leitetdaraus ab, dass die regionale Her-kunft und insbesondere die Informa-tion über den Ursprung des Roh-stoffs für die Verbraucher besonderswichtig sind und demnach Schnitt-käse mit einer solchen Kennzeich-nung präferieren. Wird die Produk-tionsmethode näher betrachtet, zeigtsich, dass sowohl Käsesorten mitstaatlichem Bio-Siegel der EU alsauch mit Bio-Siegeln eines privatenAnbauverbandes deutlich gegenüberden konventionell erzeugten Käse -sorten („ohne Bio-Siegel“) von denBefragten präferiert werden. Im Hin-

18 NESTLÉ-DEUTSCHLAND: Nestlé-Studie2011 – Zusammenfassung. So i(s)st Deutsch-land 2011, Frankfurt a.M. 2011 (http://www.nestle.de/Unternehmen/Nestle-Studie/Nestle-Studie-2011/Documents/Nestle%20Studie%202011_Zusammenfassung.pdf,Stand 15.07.2011).19 Ebd.20 SCHRÖDER, Simone: Die neue EU-Qualitätspolitik für Agrarerzeugnisse. Eine Be-fragung anhand der Choice-Based-Conjoint-Analyse, Schriftenreihe Agribusiness-Forschung26, Gießen 2011.21 Ebd., 66.

IAKE. Mitteilungen, Heft 19 21Regionale Lebensmittel

Verpackungsgröße 2,9%Fettgehalt 6,0%

Herkunftsangabe 35,2%

Produktionsmethode 17,5%

Preis 38,4%

Abb.1: Eigenschaften, welche die Kaufentscheidung beeinflussen21

Page 24: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

22 DORANDT, Stephanie: Regionale Le-bensmittel aus Anbieter- und Verbraucher-sicht, Ernährung im Fokus 5, 2005, 348.23 SCHRÖDER, Simone: Die neue EU-Qualitätspolitik für Agrarerzeugnisse. Eine Be-fragung anhand der Choice-Based-Conjoint-Analyse, Schriftenreihe Agribusiness-Forschung26, Gießen 2011.24 KUNZMANN, Klaus R.: Die Region inder Raumplanung. In: Brunn, Gerhard (Hg.):Region und Regionsbildung in Europa. Kon-zeptionen der Forschung und empirische Befunde. Schriftenreihe des Institutes für Eu-ropäische Regionalforschungen, Bd.1, Baden-Baden 1996, 84–93.25 Ebd., 88.26 FUNCK, Rolf: Regionalwissenschaft. In:Akademie für Raumforschung und Landes-planung (ARL) (Hg.): Handwörterbuch derRaumordnung, Hannover 1995, 831–838; vgl.auch die ausführliche Betrachtung des Begriffes„Region“ bei DORANDT, Stephanie: Analy-se des Konsumenten- und Anbieterverhaltensam Beispiel von regionalen Lebensmitteln.Empirische Studie zur Förderung des Konsu-menten-Anbieter-Dialogs, Hamburg 2005, 6–8.

blick auf die Entwicklung von Markt-anteilen konnte Schröder mittelsMarktsimulation feststellen, dass einSchnittkäse ohne Bio-Siegel und mitAngabe der Herkunft von Milch undKäse einen Marktanteil von etwa30% erzielen würde, würde dieserKäse durch das Attribut „ökologi-sche Produktion“ ergänzt, würde derKäse sogar einen Marktanteil vonknapp 50% erreichen.23

Dimensionen regionaler Lebensmittel

Doch was heißt „regional“ bzw. wassind überhaupt „regionale Lebens-mittel“? Bei Betrachtung des Begriffs„regional“ – also eine Region bzw.ein Gebiet betreffend – wird bereitsdeutlich, dass dieser nicht einfach zufassen ist. Er wird von verschiedenenWissenschaftsdisziplinen und Profes-sionen, aber auch umgangssprachlichgenutzt und hat demensprechendverschiedene Ausprägungen. NachKunzmann ist Region nicht eindeutigdefinierbar, da die Kriterien, die zurAbgrenzung einer Region führen,von unterschiedlichen Interessen ge-leitet oder von sektoralen Perspektivenbestimmt sind.24 Das bedeutet, „kul-turelle Kriterien (Sprache, Religions-zugehörigkeit, Baustile etc.) führenzu anderen Abgrenzungen als natur-räumliche (z.B. Wassereinzugsgebie-te). Politisch-administrative Grenzenhaben oft nichts mehr mit funktiona-len Kriterien zu tun“.25 So kann Re-gion nach administrativen Aspekten

eingeteilt werden, wie z.B. in Bun -desländer, (Land-)Kreise oder Ge-meinden, oder sich auf Naturräumebeziehen, wie z.B. die Rhön, die sichüber drei Bundesländer (Bayern,Hessen, Thüringen) erstreckt. Regionmuss also nicht unbedingt eine admi-nistrative Raumeinheit sein. Sie kannauch aufgrund geographisch-topo-graphischer, wirtschaftlicher odersozialer Kriterien gebildet wordensein. Sie sollte jedoch in sich homo-gen sein und sich von benachbartenRegionen abgrenzen lassen.26 Darü-ber hinaus kann Region emotionalbesetzt sein, z.B. mit Heimatgefüh-len oder Urlaubserinnerungen.

Vor diesem Hintergrund ist auchdie Einordnung des Begriffs „regio-nale Lebensmittel“ nicht einfach. Sielassen sich eben nicht auf „Lebens-mittel aus einem bestimmten Gebiet“verkürzen. Zudem sind regionale Le-bensmittel im Gegensatz zu ökologi-schen Lebensmitteln keine eindeutigdefinierte Produktgruppe. Sie sind ge-setzlich nicht geschützt. Das bedeutetfür die Praxis, dass Anbieter (Erzeu-ger, Verarbeiter, Lebensmittelhandel),Verbraucher und auch Wissenschaft-ler zum Teil sehr unterschiedlicheAuffassungen von diesem Begriff ha-ben bzw. die Spannbreite dessen, wasregionale Lebensmittel ausmacht,sehr komplex ist (vgl. Tabelle 2).

In der Regel setzt sich dieser Be-griff aus zwei verschiedenen Bedeu-tungsebenen zusammen, die wiede-rum sinnhaftig unterschiedlich besetztsein können. Die eine Ebene ist eine

22 IAKE. Mitteilungen, Heft 19Beiträge

Autoren Auslegung des Begriffes „regionale Lebensmittel“

Hauser (1994)

Wirthgen et al. (1999)

Hensche und Ullrich (1999)

Verbraucher-ZentraleNordrhein-Westfalen (2000)Ross et al. (2000)Jasper (1997)

Agrarerzeugnisse aus der heimischen Region bzw. Nahrungsmittel mit regionaler Herkunft; regionale Herkunftbezieht sich dabei auf die Herkunft aus einzelnen regionalen Gebieten innerhalb eines Bundeslandes (hier Nord -rhein-Westfalen).„Produkte und auch Spezialitäten, die hier in der Region hergestellt werden, sowohl direkt vom Landwirt odervon der hiesigen Ernährungsindustrie und dem Handwerk“; das „hier“ entspricht den Regionen, in denen dieStudie durchgeführt wurde (Nordhessen, Thüringen, Sachsen-Anhalt).„Erzeugnisse mit geographischer Herkunftsidentität“, d.h. diese Lebensmittel „haben sich traditionell in Regionenmit positivem Image entwickelt und stehen für Qualität und sind häufig Spezialitäten“.Lebensmittel, die möglichst nah am Verkaufsort erzeugt werden.

Lebensmittel, die in einem Bundesland erzeugt wurden/gewachsen sind („grown in the federal state“).Für das Handelsunternehmen Feneberg (Allgäu) ist das Lebensmittel „Rindfleisch” regional, wenn der Rohstoff„Rind“ in einem Umkreis von 70 km um den Stammsitz des Unternehmens aufgewachsen und gehalten worden ist.

Tab. 2: Übersicht über die Definitionsvielfalt desBegriffes „regionale Lebensmittel“ (Auswahl)22

Page 25: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

räumliche bzw. geographische (Her-kunft), die andere eine inhaltliche(Eigenschaften, Qualitätsmerkmale).Um ein genaueres Bild dieser Pro-duktgruppe zu erhalten, befragteDorandt sowohl Konsumenten, wel-che Vorstellung sie mit regionalenLebensmitteln verbinden (n = 486;quantitative Befragung), als auch er-gänzend die Anbieterseite27 (n = 17;qualitative Befragung). Ziel war eineDefinitionsfindung dieser Lebens-mittelgruppe.28

Zunächst äußerten sich die Kon-sumenten assoziativ. Diese Äuße-rungen spiegelten die Wahrnehmungdieser Lebensmittelgruppe durch dieBefragten zum damaligen Zeitpunktwider. Es wurde deutlich, dass dieBefragten mit dem Begriff „regionaleLebensmittel“ vor allem die geogra-phische Herkunft und im weitestenSinne gesundheitsförderliche Aspekte(unverarbeitete, frische (Grund-)Nah-rungsmittel) verbinden. Nur 2% derVerbraucher dachten an ökologischerzeugte Produkte. In einem zweitenSchritt wurden den KonsumentenStatements zur Charakterisierung re-gionaler Lebensmittel vorgelegt.Hier zeigte sich eine Bewertungsver-schiebung. Der Herkunftsaspekt inseinen verschiedenen Dimensionenblieb prägend. Eine große Rollespielten nun auch umweltpolitischeAspekte wie kurze Transportwegeund sozialpolitische Aspekte wie dieUnterstützung der einheimischenLand- und Ernährungswirtschaft.Die Einschätzung, dass regionale Le-

bensmittel ökologische Lebensmittelsind, hat sich mehr als verzehnfacht.Die Zustimmung zu den vorgegebe-nen Statements spiegelte die Erwar-tungen bzw. die Wunschvorstellungender Verbraucher an diese Lebens-mittel wider, d.h. diese Statementskönnen zur Profilbildung dieses Be-griffes genutzt werden.

Die Befragung der Anbieter be-stätigte die Komplexität des Terminus„regionale Lebensmittel“ und mach-te deutlich, dass er mehrere Dimen-sionen umfasst (vgl. Abbildung 2).

Der räumliche Aspekt spielt auchbei den Antworten der Anbieter diebedeutendste Rolle. Hierbei könnenzwei Ausprägungen unterschiedenwerden. Die erste betrifft die geogra-phische Herkunft, d.h., dass Le-bensmittel aus einem bestimmtenGebiet stammen. Es werden dabeizum Teil exakt umrissene Gebietebenannt, die aufgrund ihrer natür-lichen, historischen, verwaltungs-technischen oder „unternehmerisch-logistischen“ Grenzen schon (länger)bestehen. Zum Teil werden Um-kreis-Angaben gegeben, die hin-sichtlich des Durchmessers großeSchwankungen aufweisen (zwischen30 km und 250 km). Die zweite Aus-prägung betrifft die regionale Vermark-tung, die den reinen Herkunftsaspektum verschiedene Verarbeitungsleis -tungen und den Absatz in der be-nannten Region erweitert.

Qualitätsaspekte stehen für Anfor-derungen an regionale Lebensmittel,die sie gegenüber nicht-regionalen Le-

27 Befragt wurden Stellvertreter und Stellver-treterinnen aus folgenden Bereichen: Erzeu-gung, Lebensmittelhandwerk, Lebensmittel-einzelhandel, Landwirtschaftskammern undVerbraucherpolitik.28 DORANDT, Stephanie: Analyse desKonsumenten- und Anbieterverhaltens amBeispiel von regionalen Lebensmitteln. Empi-rische Studie zur Förderung des Konsumen-ten-Anbieter-Dialogs, Hamburg 2005.29 DORANDT, Stephanie: Regionale Le-bensmittel aus Anbieter- und Verbraucher-sicht, Ernährung im Fokus 5, 2005, 349.

IAKE. Mitteilungen, Heft 19 23Regionale Lebensmittel

Trans-parenz

Kommunikation

Frische

nahräumlich zum Verbrauch

Spezialität Grundnahrungsmittel

wirtschaftliche Aspekte

Emotionalität, Heimatverbundenheit, positives Image

Qualitätsaspekte

regionale Vermarktung

geographische Herkunft

Abnahme der Antworthäufigkeit

Abb. 2: Dimensionen des Begriffs „regionaleLebensmittel“ aus Sicht der Anbieter29

Page 26: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

30 DORANDT, Stephanie: Analyse desKonsumenten- und Anbieterverhaltens amBeispiel von regionalen Lebensmitteln. Empi-rische Studie zur Förderung des Konsumen-ten-Anbieter-Dialogs, Hamburg 2005, 127.

bensmitteln abgrenzen und entspre-chend aufwerten. Diese Anforderun-gen werden für das jeweilige Produktdefiniert, müssen von den Erzeugernbzw. Verarbeitern eingehalten undvon einer neutralen Stelle überprüftund kontrolliert werden. Diese Quali-tätseigenschaften bieten dem Konsu-menten aus Sicht der Anbieter einenZusatznutzen, der neben dem (regio-nalen) Herkunftsnachweis nachgefragtwird. Emotionalität, Heimatverbun-denheit und positives Image stehenfür die Identifizierung mit dem Pro-dukt und führen über rationale Be-weggründe hinaus. Der Gedanke andie heimatliche Region erzeugt beimKonsumenten eine positive Grund-stimmung, die sich wiederum positivauf das Image des regionalen Le-bensmittels auswirkt und so zumMarktvorteil für das Produkt wird.

Von wirtschaftlichen Aspekten spre-chen die Anbieter zum einen, wennsie regionale Lebensmittel bewusstals Wettbewerbsvorteil einsetzen, dasie diese Produkte zur Profilierungam Markt bzw. zur Abgrenzunggegenüber Mitbewerbern nutzen.Zum anderen dann, wenn durchUmgehung von Absatzmittlern bzw.Handelsstufen die Wertschöpfung inder Landwirtschaft gehalten werdenkann (Direktvermarktung, Waren-austausch innerhalb einer Erzeuger-gemeinschaft).

Unter regionalen Spezialitätenverstehen die befragten Anbieterüberwiegend verarbeitete Produkte,die mit einer bestimmten Region inVerbindung gebracht werden. Dieskönnen „lokale Spezialitäten“, alsoProdukte aus typischen Anbaugebie-ten der „ortsnahen“ Umgebung, aberauch überregionale bis internationa-le Spezialitäten sein. Einige dieserüberregionalen Spezialitäten könnenselber von den lokalen Produzentenhergestellt werden, einige wiederumnicht, da sie durch die entsprechen-de Region und /oder Herstellungs-weise zur typisch regionalen Spezia-lität werden. Von den verarbeitetenLebensmitteln lassen sich dieGrundnahrungsmittel abgrenzen.Regionale Lebensmittel werden indiesem Fall mit unverarbeiteten,landwirtschaftlichen Urproduktengleichgesetzt. Der Aspekt der Fri-sche ergibt sich durch kurze, direkteWege zwischen Produkterzeugung,Verarbeitung, Vermarktung und Pro-duktverbrauch, der durch die Forde-rung nach Nahräumlichkeit zumVerbrauch durch einen umweltpoliti-schen Aspekt (Vermeidung unnötigerTransporte) erweitert wird. Kommu-nikation und Transparenz stehenebenfalls im engen Zusammenhang.Einerseits geht es generell um denAustausch bzw. Dialog zwischenAnbieter und Käufer, andererseits

24 IAKE. Mitteilungen, Heft 19Beiträge

0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80%

den Gesundheitswert betreffend

den Genusswert betreffend

die Auszeichnung mit Labeln betreffend

die Herstellung betreffend

sonstige Aspekte betreffend

immer frisch

rückstandsfrei/weitgehend schadstofffrei

geschmackvoll und aromatisch

nicht immer einheitlich aussehend

regionale Herkunftszeichen tragend

ständig unabhängig kontrolliert

mit Gütezeichen/Prüfsiegeln ausgezeichnet

"Hausmacher-Rezepturen"

traditionelle Produktionsverfahren

Markenprodukte

mit Verbandszeichen ausgezeichnet

sonstige Qualitätskriterien

Abb. 3: Qualitätskriterien für regionale Lebensmittel aus Verbrauchersicht (n = 485);bis zu drei Antwortmöglichkeiten30

immer frisch

rückstandsfrei / weitgehend schadstofffrei

geschmackvoll und aromatisch

nicht immer einheitlich aussehend

regionale Herkunftszeichen tragend

ständig unabhängig kontrolliert

mit Gütezeichen / Prüfsiegeln ausgezeichnet

„Hausmacher-Rezepturen“

traditionelle Produktionsverfahren

Markenprodukte

mit Verbandszeichen ausgezeichnet

sonstige Qualitätskriterien

den Gesundheitswert betreffend

den Genusswert betreffend

die Auszeichnung mit Labeln betreffend

die Herstellung betreffend

sonstige Aspekte betreffend

0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80%

Page 27: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

um die Offenlegung, auf welcheWeise die Produkte erzeugt und ver-arbeitet werden (Sicherheitsaspekt).

Qualität regionaler Lebensmittel

Eng verknüpft mit dem Begriff sinddie Qualitätserwartungen, die Ver-braucher an regionale Lebensmittelhaben. Im Gegensatz zur Anbieter-seite, bei der die Qualitätsmerkmaleder eigenen Regionalprodukte imFokus stehen, haben die befragtenKonsumenten ähnliche Qualitäts -erwartungen an regionale Lebens-mittel wie auch an Lebensmittelnicht-regionaler Herkunft (vgl. Ab-bildung 3).

Die Frische ist mit Abstand daswichtigste Kriterium, das knapp80% der befragten Konsumenten er-warten. Am zweithäufigsten wird dieRückstands- und Schadstofffreiheitgenannt (31%). Weniger von Bedeu-tung sind Merkmale, die den Ge-nusswert und die Herstellung betref-fen. Recht erstaunlich ist dasAntwortverhalten der Befragten imHinblick auf das Qualitätskriterium„Auszeichnung mit einem regiona-len Herkunftszeichen“. Zunächst er-scheint ein Wert von 20% der Be-fragten, die diese Auszeichnung alsQualitätsmerkmal einstufen, als rela-tiv niedrig. Andererseits ist der Wertverhältnismäßig hoch, da die Befrag-ten an anderer Stelle derselben Stu-die angaben, wenig auf Herkunfts-zeichen zu achten.31 Diese Zeichenhaben generell wenig Auswirkungauf die Kaufentscheidung bei Le-bensmitteln. Deutlich weniger als50% der Konsumenten kennenüberhaupt die Herkunftszeichen derberücksichtigten Bundesländer und

nur bei ca.10% der Befragten habendiese Zeichen wenigstens zum Teileine Auswirkung auf die Kaufent-scheidung. Im Zusammenhang mitregionalen Produkten scheint diesesQualitätskriterium jedoch an Bedeu-tung zu gewinnen.

Für die befragten Anbieter ist derAspekt „regionale Herkunft“ als al-leiniges Qualitätskriterium nicht aus-reichend. Sowohl die Erzeuger alsauch einige Vertreter des Lebensmit -telhandwerks und des Naturkostfach-handels haben neben der HerkunftKriterien entwickelt, in der Regel dieProzessqualität betreffend, welchediese Produkte gegenüber nicht-re-gionalen profilieren (Tabelle 3).

Der konventionelle Lebens-mitteleinzelhandel stellt generell diegleichen Anforderungen an regiona-le Produkte wie an (inter-)nationaleLebensmittel, d.h. gleichbleibendhohe Produktqualität und Eingliede-rungsfähigkeit in das bestehende Lo-gistiksystem. Die Vertreter derLandwirtschaftskammern und Ver-braucherpolitik fordern einheitlicheHerkunftszeichen, durch die nichtnur die geographische Herkunft,sondern auch die zusätzlichen Qua-litätskriterien gewährleistet werden(Kontrolle, Transparenz).

Die Antworten der Verbraucherund der Anbieter zeigen, dass denregionalen Lebensmitteln insgesamtein eindeutiges, typisches Qualitäts-profil fehlt, das sie klar gegenübernicht-regionalen Produkten abgrenzt.Die Zusatzeigenschaften, also diequalitativen Vorteile (s. Tabelle 3),werden von den Konsumenten nichtnachhaltig wahrgenommen unddemnach kaum in Kaufentschei-dungsprozessen berücksichtigt.

31 Den Verbrauchern wurden verschiedeneHerkunftszeichen zum gestützten Wiederer-kennen vorgelegt: „Hergestellt und geprüft inSchleswig-Holstein“, „Qualität aus Bayern“und „NRW (Nordrhein-Westfalen)“.32 DORANDT, Stephanie: Regionale Le-bensmittel aus Anbieter- und Verbraucher-sicht, Ernährung im Fokus 5, 2005, 350.

IAKE. Mitteilungen, Heft 19 25Regionale Lebensmittel

Tab. 3: Qualitätskriterien, die regionale Lebensmittel neben dem Herkunftsaspektgegenüber nicht-regionalen Produkten profilieren32

Qualitätskriterien Ausprägungen, die von den Anbietern genannt wurden

die Tierhaltung betreffendden Pflanzenbau betreffenddie Verarbeitung betreffend

Serviceleistungen rund umdas Produkt

extensiv; artgerecht; ökologisch„chemiefrei“; umweltschonend; ökologischhofeigene Verarbeitung; Verarbeitung nach ökologischen Richt-linienLieferdienst, Aboservice; Verarbeitung vor den Augen derKunden

Page 28: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

33 HAUSLADEN, Helmut: Regionales Mar-keting. Ein Marketing-Management-Ansatzfür kleinräumige Kooperationsprojekte zurErzielung regionaler Wettbewerbsvorteile,Kiel 2001, 6.34 DORANDT, Stephanie: Analyse desKonsumenten- und Anbieterverhaltens amBeispiel von regionalen Lebensmitteln. Empi-rische Studie zur Förderung des Konsumen-ten-Anbieter-Dialogs, Hamburg 2005, 267.35 DORANDT, Stephanie: Analyse desKonsumenten- und Anbieterverhaltens amBeispiel von regionalen Lebensmitteln. Empi-rische Studie zur Förderung des Konsumen-ten-Anbieter-Dialogs, Hamburg 2005, 15; vgl.ERMANN, Ulrich: Regional Essen? Wertund Authentizität der Regionalität von Nah-rungsmitteln. In: Gedrich, Kurt /Oltersdorf,Ulrich (Hg.): Ernährung und Raum. Regionaleund ethnische Ernährungsweisen in Deutsch-land. Berichte der Bundesforschungsanstaltfür Ernährung, Karlsruhe 2002, 121–140;HAUSER, Astrid: Verbraucherpräferenzenfür Nahrungsmittel aus der näheren Umge-bung. Analyse einer Repräsentativbefragungbei nordrhein-westfälischen Verbrauchern,Pinneberg-Waldenau 1994, 137; VON KOER-BER, Karl /MÄNNLE, Thomas /LEITZ-MANN, Claus: Vollwert-Ernährung. Konzep-tion einer zeitgemäßen Ernährungsweise,9.Aufl., Stuttgart 2002, 59; SAUTER, Ar-nold /MEYER, Rolf: Potenziale zum Ausbauder regionalen Nahrungsmittelversorgung.Endbericht zum TA-Projekt „Entwicklungs-tendenzen bei Nahrungsmittelangebot und -nachfrage und ihre Folgen“, TAB-Arbeits -bericht 88, Berlin 2003, 17.36 DLG (Deutsche Landwirtschafts-Gesell-schaft): Regionalität aus Verbrauchersicht,DLG Lebensmittel 6, 2011, 12–15.

Begriffsbestimmung „Regionale Lebensmittel“

Im Hinblick auf die Definition vonregionalen Lebensmitteln zeigt sich,dass regionale Lebensmittel begriff-lich schwer einzuordnen sind. Zwarist die regionale Herkunft das zentraleElement, problematisch ist aber,dass Konsumenten „Region“ ehermit kleinräumigen, Anbieter ehermit großräumigen Strukturen in Ver-bindung bringen. Darüber hinaus sindes für die Konsumenten Lebensmit -tel der Urproduktion, die über kurzeEntfernungen transportiert werden.Für Anbieter ist der geographischeUrsprungsbezug hingegen eineGrundbedingung, die durch qualita-tiv bestimmende Aspekte ergänztwird. Die Bedeutung kurzer Trans-portwege steht nicht so deutlich imVordergrund, wie es die befragtenKonsumenten erwarten. Abgeleitethiervon entwickelte Dorandt folgen-de Definition:

„Als regionale Lebensmittel soll-ten solche Lebensmittel verstandenwerden, die in einer bestimmten Re-gion erzeugt, verarbeitet, veredelt,ggf. verpackt, entsprechend gekenn-zeichnet sowie dort abgesetzt wer-den. Dabei ist die Region als ‚Raum -einheit innerer Homogenität‘33 zubegreifen, die mit den Vorstellungender Konsumenten möglichst über-einstimmen sollte (höchstmöglicheIdentifikation). Ein regionales Lebens-mittel sollte darüber hinaus mindes -tens ein Qualitätskriterium aufweisen,durch das es sich vom konventionel-len (i.S.v. nicht-regionalen) Maßstababhebt – beispielsweise bezüglichdes Anbauverfahrens, seiner Um-weltverträglichkeit, des Tierschutzesoder eines speziellen / traditionellenHerstellungsverfahrens.“34

Diese Definition erfüllt einerseitsden von den Konsumenten gefor-derten und erwarteten nahräum-lichen Herkunftsbezug dieser Pro-duktgruppe, der sich durch diegesamte Nahrungsmittelerzeugungs-kette ziehen soll („aus der Region –

für die Region“). Andererseits fördertdiese Begriffsbestimmung eine ver-stärkte Profilbildung auf qualitativerEbene, die nicht nur der anbietendenSeite, sondern auch der nachfragen-den Seite entgegen kommt.

Was bedeuten regionale Lebensmittel letztendlich für den„essenden Menschen“?

Für den essenden Menschen sind re-gionale Lebensmittel von Bedeu-tung, da sie ihm folgende Vorteileverschaffen:35• Sie sind transparent: Sie bietenSicherheit und Information aufgrunddes möglichen direkten Kontakts zuden Anbietern und der besserenProduktkommunikation.• Sie geben ihm hinsichtlich ihrerHerkunft Vertrauen: sowohl in Be-zug auf den Produktionsort als auchauf die Produktionsweise; dies ins-besondere, wenn persönliche Bezie-hungen zum Produzenten bestehen.• Sie bieten ihm eine höhere Pro-duktqualität durch heimische, saiso-nale, frische und reife Lebensmittelbzw. handwerkliche Produktion; diehöhere Produktqualität äußert sichinsbesondere darin, dass regionaleProdukte in der Regel zum Zeit-punkt ihrer optimalen Reife geerntetwerden und dementsprechend einMaximum an wertgebenden, ge-sundheitsfördernden Inhaltsstoffenaufweisen.• Sie bieten ihm Identifikations-möglichkeiten: mit den Lebensmit-teln selbst als auch mit deren Erzeu-gern und Verarbeitern.• Sie sensibilisieren ihn: für die Si-tuation und Belange der Land- undErnährungswirtschaft.

Von Verbraucherseite besteht eingroßes Interesse an regionalen Le-bensmitteln, was die zu Grunde lie-gende Studie und auch andere Stu-dien – wie die aktuelle Studie derDLG – sehr eindrucksvoll bestäti-gen.36 Diese Studien zeigen, dass Re-gionalität unter Verbrauchern schonlange Trend ist. Dieser Trend wurde

26 IAKE. Mitteilungen, Heft 19Beiträge

Page 29: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

jetzt erst beim konventionellen Le-bensmitteleinzelhandel als solcherwahrgenommen und entsprechendstrategisch eingesetzt.

Gleichzeitig wird jedoch auch of-fensichtlich, dass die Vorstellungenund Erwartungen der Konsumentenhinsichtlich dieser Produktgruppenicht immer deckungsgleich mit de-nen der anbietenden Seite sind. Dieszeigt sich auch an den eingangs dar-gestellten Herkunftsbegriffen derHandelsunternehmen, die doch zumTeil sehr dehnbar sind (vgl. Coop,LIDL und McDonald’s). Darüberhinaus findet nicht immer die vonVerbraucherseite gewünschte Erzeu-gung, Verarbeitung und Vermarktungin einer Region – wie auch immer siedefiniert sei – statt.

Für den essenden bzw. einkaufen-den Menschen bedeutet dies, dass erimmer kritisch hinterfragen muss,welchen Regionalitätsbegriff das anbie-tende bzw. erzeugende Unternehmenals Maßstab zugrunde legt. Handelt essich um einen Regionalitätsbegriff, wieDorandt (s.o.) und auch beispielsweiseÖKO-Test37 ihn fordern, der also dieRohstofferzeugung, deren Verarbeitungund Vermarktung in einer Regionsieht? Oder geht es dem Verbraucherdarum, die regionale Wirtschaft vorOrt zu unterstützen, unabhängig vomEinsatz der Rohwaren, ausschlagge-bend ist alleine der Produktionsort(vgl. „Unser Norden“-Produkte wieKaffee, Pfeffer oder Teekannen)?Hier ist der einzelne essendeMensch gefragt, was er bevorzugt.

Andererseits sollten die Unter-nehmen transparente und für den

Verbraucher nachvollziehbare Aus-sagen treffen. Hierzu gehört, dassUnternehmen erläutern, warum ihrRegionsbegriff z.B. einen Umkreisvon 200–250km umfasst. Der Grundhierfür liegt oft darin, dass Unterneh-men bestimmte Rohwarenmengenbenötigen, die nicht in ausreichenderGrößenordnung in räumlich engergefassten Regionen zu bekommensind oder um wirtschaftlich arbeitenzu können, das Absatzgebiet aus-dehnen müssen. Kurz: Es darf keineAugenwischerei unter dem Deck -mäntelchen der Regionalität betrie-ben werden, um „einen schnellenReibach“ zu machen. Denn diesschadet letztendlich dem Image re-gionaler Lebensmittel.

Dr. Stephanie DORANDT studierteÖkotrophologie (Schwerpunkt: Ernäh-rungswissenschaft) an der Justus-Lie-big-Universität in Gießen. Nach ihremDiplom wurde sie dort wissenschaftli-che Mitarbeiterin an der Professur fürErnährungsberatung und Verbraucher-verhalten. 2004 promovierte sie zumThema „Analyse des Konsumenten- undAnbieterverhaltens am Beispiel regio-naler Lebensmittel“. 2008 übernahmsie beim Deutschen LandFrauenver-band e.V. in Berlin die Stelle als Refe-rentin für Bildung, Agrarpolitik undHausWirtschaft. Nach verschiedenenProjekten für die FördergemeinschaftNachhaltige Landwirtschaft im Bereichlandwirtschaftlicher Öffentlichkeitsar-beit ist sie seit Oktober 2011 zuständigfür den Bereich Marketing/Öffentlich-keitsarbeit bei der Gläsernen Molkereiin Münchehofe/ Spreewald.

37 STELLPFLUG, Jürgen: Der große Schwin-del. Test Regionale Lebensmittel, ÖKO-TEST-Magazin 09, 2011, 15.

IAKE. Mitteilungen, Heft 19 27Regionale Lebensmittel

Page 30: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

28 IAKE. Mitteilungen, Heft 19Zur Diskussion gestellt

1 FRATZSCHER, Peter: Tatort. Der Finger,Bayerischer Rundfunk, München 2006.2 HIRSCHFELDER, Gunther: Esskultur.Zur Geschichte des Regionalen und denChancen des Globalen, Ernährung im Fokus9, 2009, 368.3 Siehe dazu auch SETZWEIN, Monika:Was ist Ernährungskultur? Ein Diskussions-beitrag, Mitteilungen Heft 11, 2003, 64–65.

„Essen ist Kultur. Und Kultur istteuer“1, so Franz Leitmayr, Kom-missar des Münchner Tatorts zu sei-nem Kollegen Carlo, als diese imRahmen ihrer Ermittlungen mit derSpeisekarte eines oberbayrischenGourmetrestaurants konfrontiertwerden. Kontrastierend wirkt dienächste Filmszene. Sie zeigt beide,über die Lösung des aktuellen Fallsnachdenkend, vor einer Imbissbudemit dem typisch bayrischen Leber-käse in der Hand.

Beide Szenen handeln vom Es-sen, einmal geht es um Gerichte dergehobenen Küche, einmal um einetraditionelle regionale Alltagsspeise.Die Kontexte könnten also unter-schiedlicher nicht sein. Trotzdemwird niemand leugnen können, dasses sich in beiden Fällen um Formenvon Esskultur handelt.

Was Esskultur ausmacht, istnicht einfach zu erklären. Ist der Be-griff des Essens noch relativ intuitiverschließbar, so ist beim Begriff derKultur genau das Gegenteil der Fall.Unzählige Diskussionen und Stand-punkte existieren, macht Kulturdoch das Zentrum von Gesellschaf-ten aus. Die Kulturtheorie ist einweites Feld, in dem sich unzählige,sich teils ergänzende, teils wider-sprüchliche Ansätze gegenüberste-hen. Und je nach Fachdisziplin ver-ändert sich der Rahmen, in demKultur betrachtet wird.

In den modernen Kulturwissen-schaften herrscht Konsens darüber,dass Esskulturen historisch bedingtsind, auf Ideen und Werten aufbauenund symbolisch vermittelt werden.Esskultur umfasst somit menschli-

ches Handeln im damaligen undheutigen Ernährungskontext2. Einean diese Grundlagen anknüpfendekulturgeschichtliche Abhandlung desBegriffs der Esskultur soll an dieserStelle allerdings nicht erfolgen. Viel-mehr will dieser Artikel versuchen,sich dem Begriff von einer anderenSeite her zu nähern, ausgehend vonseiner praktischen Verwendung imAlltag und in der Literatur. Eine Li-teraturrecherche deutscher und ein-schlägiger internationaler Literaturzum Thema Esskultur bildete hierfürdie Basis. Diese hatte das Ziel, einenÜberblick zu geben und Zusammen-hänge aufzuzeigen, in denen der Be-griff verwendet wird. Hieraus erga-ben sich zwei Erkenntnisse:

1.) Auch die wissenschaftlicheGemeinschaft scheint nicht vor die-ser begrifflichen Vieldeutigkeit gefeitzu sein. Eine Definition von Esskul-tur ist bisher kaum Gegenstand vonAushandlungsprozessen gewesen.3Dies hat zur Folge, dass der Begriffinkonsistent benutzt wird. Oftmalsgeht es um die bloße Beschreibungvon sozialen Tatbeständen, dannwieder um interpretative Wertungen.Teils werden Essgewohnheiten alsAusformung nationaler Identität be-schrieben, teils als individuumszen-trierte soziale Praxis, als Alltagskul-tur. So kann unter die Bezeichnung„Esskultur“ beispielsweise die bür-gerliche Hochkultur des 19. Jahr-hunderts, aber auch die moderneKonsumkultur des Industriezeitaltersfallen. Die vielfältigen Deutungszu-sammenhänge zeigen, dass eine kla-re Eingrenzung dessen, was Esskul-tur ist und sein kann, nur schwer

Was ist Esskultur?Versuch einer typologischen Interpretation des Begriffs EsskulturStephanie Baum

Internationaler Arbeitskreis für Kulturforschung des Essens. Mitteilungen 2012, H.19, S. 28–35

Page 31: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

möglich ist. Dies liegt in der Naturdes Begriffs, der je nach eingenom-mener Perspektive völlig unterschied-liche Facetten des Esshandelns be-leuchten kann. Der Begriff bewegtsich folglich beständig in einem Span-nungsfeld, das im kulturellen Umfeldmenschlicher Ernährung zu verortenist und damit automatisch Fragestel-lungen rund um individuelle und ge-sellschaftliche Handlungsfelder be-rührt. Obwohl diese erste Erkenntnisden Begriff also keineswegs klarerwerden lässt, hilft sie, Esskultur alsdas zu begreifen, was sie ausmacht:als ein soziales Konstrukt, basierendauf verschiedenen Wertorientierun-gen und Zielsetzungen derer, die mitdem Begriff operieren. Ohne Einig-keit darüber erzielen zu wollen, wassich im Begriffskonzept der Esskulturwiederfinden muss und was nicht,eröffnet sich nun die Möglichkeit,die unterschiedlichen Facetten desBegriffs genauer zu betrachten.

2.) Die zweite Erkenntnis war,dass sich die Begriffsverwendung inder Literatur grob in vier verschiede -ne Dimensionen einteilen lässt. Zu-nächst gibt es eine anthropologischeDimension des Begriffs, die sich mitFragen der Natur und Kultur desMenschen beschäftigt. In dieser gehtes um die grundlegende Frage, obErnährungshandeln in der Naturoder der Kultur des Menschen an-zusiedeln sei. Diese Dimension legteden Grundstein dafür, dass sich Wis-senschaft außerhalb der Naturwis-senschaft mit Ernährung als sozialesPhänomen beschäftigt. Die nächsteKategorie betrifft eine strukturelle Di-mension von Esskultur. Sie befasstsich sowohl mit geographischer alsauch historischer Verortung spezifi-scher Esskulturen und untersucht da-mit Unterschiede in verschiedenenEsskulturen. Ein drittes Muster, dassich in der Literatur wiederfindenlässt, ist eine normative Betrachtungs-weise. Esskultur wird verwendet, umBewertungen vorzunehmen, um zwi-schen guter Praxis und unerwünsch-tem Verhalten zu unterscheiden.

Viertens lässt sich eine soziale Di-mension von Esskultur identifizieren,die Esskultur als etwas begreift, dasdurch Sozialisation identitätsbildendfür Menschen, Gruppen und ganzeGesellschaften wirkt und sich mit denimpliziten und expliziten Regeln spe-zifischer Esskulturen auseinandersetzt.

Diese Systematisierung mit Blickauf die Verwendung des Begriffs er-klärt zwar, welch unterschiedlicheDimensionen gemeint sein können,aber nicht, welches Verständnis vonKultur bei der Verwendung voraus-gesetzt wird und welche Konsequen-zen ein bestimmter Blick nach sichzieht. Für eine tiefergehende Be-schäftigung mit diesen Fragen er-schien es deshalb sinnvoll, sich demBegriff der Kultur bzw. Esskultur mitHilfe einer bestehenden Typologie zunähern. Ausgewählt wurde ThomasReckwitz’ Typologie verschiedenerKulturbegriffe. Diese ist zwar sichernicht die einzig existierende Typologieim viel diskutierten Feld der Kultur-begriffe, sie erwies sich aber als guthandhabbar, weil sie relativ deckungs-gleich mit den oben genannten Di-mensionen ist. Sie greift Elemente,die bei der Recherche nach Esskul-tur als bestimmend für die verschie-denen Bedeutungsoptionen diesesBegriffs erscheinen, systematisch aufund verdichtet sie im historischenKontext. Letztendlich ist es zwar un-möglich, eine umfassende, einheitli-che Definition von Esskultur zu ent-wickeln, eine analytische Schärfung,mit dem Ziel eines bewussterenUmgangs mit den Begriffskonzeptenund seinen Implikationen, kann aller-dings nur von Vorteil sein.

Angelehnt an Reckwitz’ Typolo-gie des Kulturbegriffs werden nach-folgend die verschiedenen Facettender Kulturbegriffe offengelegt. In-dem Esskultur zu dieser Typologiein Bezug gesetzt wird, sollen die ein-zelnen analytischen Ebenen der Ess-kultur deutlicher werden. Grenzenund Überschneidungen zwischen denKulturbegriffen können mit Hilfe dertypologischen Einordnung ebenfalls

IAKE. Mitteilungen, Heft 19 29Was ist Esskultur?

Page 32: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

4 Vgl. RECKWITZ, Andreas: Die Transfor-mation der Kulturtheorien. Zur Entwicklungeines Theorieprogramms, Weilerswist 2006.

erkannt und beschrieben werden.Anhand von Beispielen aus der Ess-kulturanalyse werden die Implikatio-nen der verschiedenen Kulturbegriffedargelegt. Jede Facette von Esskul-tur geht einher mit bestimmten Fra-gestellungen und einem klar einge-grenzten Forschungsfokus, liefert alsoeine eigenständige Perspektive aufEsskultur. Diese Perspektiven deutlichvoneinander abzugrenzen, soll Zieldieses Textes sein. Ergänzt wird dieseTypologie dadurch, dass beispielhaftam Thema der Ernährungstrendsgezeigt wird, welche unterschied-lichen Varianten der Betrachtungvon Esskultur möglich sind.

Typologie der Kulturbegriffe

Reckwitz unterscheidet in seiner his -torischen Typologie vier Kulturbe-griffe:4

1. den normativen – Kultur als„gute“ Lebensweise

2. den totalitätsorientierten –Kultur als kollektive Lebensform ei-ner Gruppe

3. den differenzierungstheoreti-schen – Kultur als repräsentativeKultur

4. den bedeutungs- und wissens-orientierten – Kultur als alltäglichesymbolische Praxis

1. Der normative Kulturbegriff

Esskultur ist … HochkulturKultur als … „gute“ LebensweiseBegriff bietet … klare normative

OrientierungBegriff erklärt nicht … kulturelle

Dynamiken und Prozesse

Esskultur wird vor allem im alltägli -chen Sprachgebrauch oft mit Hoch-kultur gleichgesetzt, wie das Beispielaus dem Münchner Tatort zeigt. Siewird dabei in höheren gesellschaft-lichen Schichten verortet und zeich-net sich aus durch bestimmte rituali-sierte Formen des Speisenverzehrs,der Speisenabfolge, aber auch durchbestimmte Umgangsformen. Trägervon Esskultur können demnach auchnur ebenjene gesellschaftlichen Grup-pen sein, die sich diesen Regeln un -terordnen und sie befolgen. Auch einegewisse Bildung, Einkommen und so-zialer Stand sind hier Grundvoraus-setzung für das Erlangen von Esskul-tur. Je mehr eine Person mit diesen

30 IAKE. Mitteilungen, Heft 19Zur Diskussion gestellt

Kulturbegriff normativ totalitätsorientiert differenzierungstheoretisch bedeutungs- und wissensorientiert

Esskultur ist …

Kultur als …

Entstehung

Einflüsse

Begriff bietet/erklärt …

Defizite

Fragestellungen/Themenfelder

Hochkultur

wertender Begriff

18./19. Jhd.

• Aufklärung:Kant

• klare normative Orientierung

Keine kulturellenDynamiken undProzesse

• Ermöglichung guter Esskultur

• Verfall der Esskultur

Gruppenkultur

spezifische Lebensform einer Gruppe

19./20. Jhd.

• Herder• Philosophische Anthro-pologie: Helmut Pless-ner, Arnold Gehlen

• Historisierung• Kontextualisierung• Alltagsperspektive• Wertung

Keine Subgruppen

• Regionalität• Nationalität• Küchen im historischen Kontext

repräsentative Kultur

bestimmtes Feld der Gesellschaft

20. Jhd.

• Friedrich Tenbruck• Strukturfunktionalismus:Talcott Parsons

• Esskultur als Konsumkultur• Funktion von Organisationen

Keine Motivstrukturen von Individuen

• Ausverkauf der Kultur/Kultur und Kommerz

• Produzenten/Konsumenten• gesellschaftliche Differenzierung, Arbeitsteilung, Industrialisierung

Alltagskultur

soziale Praxis

Ab 1960er Jahre

• Cultural Turn: Pierre Bourdieu, Anthony Giddens

• Individualisierungs-, Pluralisierungs- sowie Globalisierungsprozesse

• Betont Handlungskomponente

(Über-)Betont Authentizität und Subkulturen

• Kultureller Wandel• Strategien und Interessen der Akteure

• geteilte Bedeutungsmuster sozialer Gruppen

• Identitätsbildung durch soziale Praktiken

• Distinktionsprozesse

Abb.1:Historische Typologie der Kulturbegriffe(Eigene, erweiterte Darstellung nach Reckwitz)

Page 33: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

Attributen ausgestattet ist, desto eherkann sie als Träger von Esskulturverstanden werden. Esskultur wirdunter diesen paradigmatischen Vor-aussetzungen weniger in den Koch-töpfen der Alltagsküche als vielmehrin der Spitzengastronomie verortet.

Wendet man diese Sichtweise vonEsskultur nun auf die Frage nach derEntstehung von Ernährungstrends an,wird deutlich, dass Trends als Mittelzur sozialen Abgrenzung analysiertwerden können. Als Beispiel dienthier die Entstehung der Molekular-küche, eine moderne Spielart derHaute Cuisine, maßgeblich vorange-trieben von Ferran Adrià. Diese Kü-che konnte sich durchsetzen, weil sieneuartig und exklusiv war und somitMöglichkeiten bot, sich vom „gemei-nen Volk“ abzugrenzen. Distinktionim Bereich der Ernährungstrends er-folgt nicht ausschließlich über dieökonomischen Möglichkeiten, son-dern beispielsweise auch über exklu-sives Wissen. Das „Neue“ zu kennen,es als einer der ersten ausprobiert zuhaben, weiterempfehlen zu können– so konstituiert sich ein klassischerAbgrenzungsmechanismus.

Doch woher stammt diese Gleich-setzung von Esskultur mit bürgerlicherHochkultur? Die Grundlage dafürbildet der normative Kulturbegriff.Dieser geht auf antike Denkweisenzurück, wird aber erst mit der Epo-che der Aufklärung relevant. NachReckwitz zeichnet er sich zunächstdurch eine Unterscheidung zwischenKultur und Nicht-Kultur aus. Dasbedeutet, dass Kultur nur das seinkann, was auch als Kultur anerkanntwird. Folglich ist in diesem Kultur-begriff die begriffliche Bezeichnungmenschlicher Lebensweise immerabhängig von deren Bewertung. Kul-tur wird in dieser Begriffstraditionals Hochkultur gedacht und dientder Abgrenzung gegenüber im sozi-alen Gefüge weiter unten angesiedel-ten Personen und Gruppen. Folglicheignet sich der Begriff zur Bestäti-gung des eigenen Verhaltens sowiezur Selbst- und Fremdkritik.5

Anders als die im weiteren Ver-lauf vorgestellten Kulturbegriffeweiß der normative Kulturbegriff dieFrage nach dem „guten“ und „rich-tigen“ Essen eindeutig zu beantwor-ten. Seine klare normative Orientie-rung hat Stärken und Schwächen:So bietet der Kulturbegriff einerseitszwar eine Orientierung am gutenund richtigen Handeln und ermög-licht eine klare Unterscheidung des-sen, was Esskultur ist und was nicht.Andererseits eignet er sich aber auf-grund seiner Fixierung auf dieHochkultur nicht als Instrument, umkulturelle Dynamiken und Prozesseangemessen zu erfassen. Ein großesManko des normativen Kulturbe-griffs ist folglich, wie Norbert Eliasfeststellt, seine unverrückbar festeWertorientierung. Eigentlich ist esnur für mittlere und gehobene sozia-le Schichten möglich, „angemessen“zu essen. Elias kritisiert nicht nur dieschichtspezifische, sondern auch dieräumliche und zeitliche Standortge-bundenheit des normativen Kultur-begriffs. Dieser ist im Gegensatz zuanderen Kulturbegriffen keineswegseinem prozesshaften Wandel unter-zogen, sondern von universeller Gel-tung.6

Der normative Kulturbegriff bildetdie Basis für die Weiterentwicklung derhistorischen Typologie der Kultur-begriffe7. Aus ihm heraus bilden sichzunächst zwei Richtungen: der tota-litätsorientierte sowie der differen-zierungstheoretische Kulturbegriff.

2. Der totalitätsorientierte Kulturbegriff

Esskultur ist … GruppenkulturKultur als … spezifische Lebens-

form einer GruppeBegriff bietet … Historisierung und

Kontextualisierung, Alltagsperspektive

Begriff erklärt nicht … Subgruppen

Der totalitätsorientierte Kulturbegriffsetzt Esskultur nicht mehr mit Hoch-kultur gleich, sondern rückt den

5 Vgl. ebd., 65f.6 Vgl. ebd., 66; ELIAS, Norbert: Über denProzeß der Zivilisation. Soziogenetische undpsychogenetische Untersuchungen, Band 1,Frankfurt a.M. 1997, 90f.7 Hier ist von der Entwicklung des Kultur-begriffs vornehmlich im deutschen Raum dieRede. Eine vergleichende Analyse in Hinblickauf andere Kulturräume erscheint lohnens-wert, kann aber an dieser Stelle nicht erfolgen.

IAKE. Mitteilungen, Heft 19 31Was ist Esskultur?

Page 34: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

8 Vgl. HERDER, Johann Gottfried: Ideenzur Philosophie der Geschichte der Mensch-heit, Karlsruhe 1794, 36ff.; RECKWITZ, An-dreas: Die Transformation der Kulturtheorien,Weilerswist 2006, 72.9 Vgl. RECKWITZ, Andreas: Die Transfor-mation der Kulturtheorien, Weilerswist 2006, 72.10 Zumindest in der romantischen Spielartdes totalitätsorientierten Kulturbegriffs, auf diesich hier bezogen wird. Eine andere Facettedes Begriffs rückt den Dualismus von Naturund Kultur in den Mittelpunkt der Betrach-tung. Hier wird Kultur in der Tradition derphilosophischen Anthropologie, rekurrierendauf Arnold Gehlen und Helmut Plessners an-thropologische Betrachtungsweisen, als all dasaufgefasst, was nicht durch natürliche Zwängevorgegeben ist (vgl. RECKWITZ, Andreas:Die Transformation der Kulturtheorien, Wei-lerswist 2006, 72).11 Vgl. HIRSCHFELDER, Gunther: Zwi-schen Pizza, Döner und Rheinischem Sauer-braten – Europäische Esskultur im Wandel.In: Stadt Köln (Hg.): Ernährung zwischenFrust und Lust, Eigenverlag 2004. Online un-ter: http://www.stadt-koeln.de/mediaasset/content/pdf57/43.pdf (Stand 15.01.2012).12 Vgl. TENBRUCK, Friedrich H.: Reprä-sentative Kultur. In: Tenbruck, Friedrich H.:Perspektiven der Kultursoziologie, GesammelteAufsätze, Opladen 1996, 99–113.

Unterschied zwischen den Kulturenin den Mittelpunkt der Betrachtung.Dies ist beispielsweise der Fall,wenn wir etwa von Nationalküchensprechen, welche die Vorstellungüber die kulinarischen Gepflogen-heiten in einem bestimmten Landprägen. Totalitätsorientiert bedeutetfolglich, dass Kultur hier immer ineiner bestimmten räumlich verorte-ten Gruppe, die sich klar von ande-ren Gruppen unterscheidet, aufge-funden wird.8 Dies müssen nichtimmer Nationalküchen sein, auchregionale Besonderheiten lassen sichmit diesem Kulturbegriff erfassen,da er besonderes Augenmerk auf diegeographische und historische Ent-wicklung einer bestimmten Esskulturlegt. Im Gegensatz zum normativenKulturbegriff findet also eine Kon-textualisierung und Vergeschichtli-chung von Kultur statt.

Werden Esstrends unter der ana-lytischen Brille dieses Kulturbegriffsbetrachtet, geschieht dies z.B. imHinblick auf Gruppenidentitäten undderen Dynamik. Dieser Begriff drehtsich vielfach um den Dualismus desEigenen und des Fremden. Trendskönnen dann als Bedrohung vonGruppenidentität verstanden werdenund in tiefer Verunsicherung resul-tieren. Die Frage nach der eigenenKultur im Unterschied zu den An-deren wird laut.

Der totalitätsorientierte Kultur-begriff fokussiert das Spezifische,das eine Gruppe von einer anderenunterscheidet, und wirkt durch dieseGrenzziehung identitätsstiftend.9 Er-kennbar ist das daran, dass für Men-schen Esskultur immer auch „Heimat“bedeutet. Der vertraute Geschmackin der Regel regional verankerterGerichte bietet ihnen ein Gefühl vonSicherheit. Diese Wahrnehmung wirdumso stärker unter dem Eindruckeiner, auch im Bereich des Essens,globalisierten Welt, die von unter-schiedlichsten Gerichten aus vielenKulturen geprägt ist.

Mit dem totalitätsorientiertenKulturbegriff rückt die Esskultur als

Spiegel nationaler und regionalerIdentität in den Mittelpunkt. Esskul-tur ist in dieser BetrachtungsweiseGruppenkultur.10 Dieser Kulturbe-griff schließt im Gegensatz zum nor-mativen Kulturbegriff auch die All-tagskultur in die Analyse mit ein.

Doch auch diese Betrachtungs-weise weist einige Defizite auf. Be-trachtet man Esskultur als eine Na-tion prägende Art und Weise,bestimmte Gerichte zuzubereiten,dann verliert man aus den Augen,dass es DIE Nationalküche niemalsgegeben hat. Denn es gab immerschon verschiedene Küchen – dieKüchen der Alten, der Jungen, dieKüchen der Einheimischen und derMigranten, die Küchen sozial besserund sozial schlechter Gestellter.11Für diese interne Differenzierung derEsskultur weist der totalitätsorien-tierte Kulturbegriff einen blindenFleck auf.

3. Der differenzierungstheoretischeKulturbegriff

Esskultur ist … repräsentative Kultur

Kultur als … bestimmtes Feld der Gesellschaft

Begriff erklärt … Esskultur als Konsumkultur

Begriff erklärt nicht … Motiv-strukturen von Individuen

Wer ist eigentlich Träger von Esskul-tur? Nach dem differenzierungstheo-retischen Kulturbegriff sind es dieje-nigen, die sich professionell mit derProduktion und der Verarbeitungvon sowie dem Handel mit Lebens-mitteln beschäftigen. Der Unter-schied zwischen Kulturschaffendenund Kulturkonsumierenden wird al-so betont. Friedrich Tenbruck prägteden Begriff der Repräsentativen Kul-tur12, bei der von einer Asymmetriezwischen Kulturproduzenten undKulturkonsumenten ausgegangenwird. Kulturschaffend wären dem-nach nicht lediglich Köche und Re-staurantleiter, sondern generell all

32 IAKE. Mitteilungen, Heft 19Zur Diskussion gestellt

Page 35: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

diejenigen, die im Lebensmittelsek-tor eine Rolle spielen. Der differen-zierungstheoretische Kulturbegriffgeht darauf zurück. Er ist somit engmit der modernen arbeitsteiligenGesellschaft verwoben, in der jedemSektor der Gesellschaft eine be-stimmte Aufgabe zufällt: Kultur wirdvon den dafür zuständigen Expertendes Feldes produziert und von denMassenmedien verbreitet.13

Vor allem diese Trennung zwi-schen Produzenten und Konsumentenist es, die den differenzierungstheo-retischen Kulturbegriff auszeichnet.Durch ihn wird es erst möglich, neu-ere konsumbezogene Phänomene,die sich mit der Industrialisierung er-geben, analytisch zu fassen. Hervor-gerufen durch die zunehmendefunktionale Arbeitsteilung in der Ge-sellschaft entwickelt sich Esskulturmehr und mehr zu einer Konsum-kultur. Kaum jemand produziert dieGüter seines täglichen Bedarfs selbst,sondern erwirbt sie von extra für dieProduktion dieser Güter zuständigenSektoren der Gesellschaft. Die For-schung konzentriert sich in diesemDeutungszusammenhang darauf, dieRolle von Markt, Medien und Kon-sum im Rahmen der industriellenProduktion in den Fokus der Be-trachtung zu rücken. Es werden Fra-gen gestellt nach den Mechanismen,die zum Kauf oder zur Produktionvon bestimmten Gütern führen.

Mit Blick auf Ernährungstrends er-geben sich hieraus verschiedene in -teressante Fragen, wie zum Beispiel:Welche (Markt-)Mechanismen etablie-ren Ernährungstrends; welche Akteu-re sind relevant für ihre Entstehung?Und auf welche Art und Weise wir-ken die verschiedenen Sektoren derGesellschaft wie Industrie, Medien undPolitik zusammen? Bei der Betrach-tung, wie etwa bestimmte Bedürfnisseentstehen, wird der enge Zusammen-hang mit dem medialen Sektor deut-lich, denn mit dem differenzierungs-theoretischen Kulturbegriff rückt derEinfluss von Werbung auf unserKonsumverhalten in den Fokus.

Eine Frage, die dieser Kulturbe-griff zwar nicht direkt stellt, die sichaber durch seine Verwendung auf-drängt, ist die nach der Legitimationvon Kultur. Wer darf Kultur produ-zieren und mit welchen Motivlagen?Da dies nicht abschließend zu beant-worten ist, wundert es nicht, dassder differenzierungstheoretische Kul-turbegriff immer wieder die Fragenach Kultur und Kommerz stellt undfolglich nicht wertfrei ist. Erklärenlässt sich dieser wertende Beiklang ausseiner Entwicklungsgeschichte. Derdifferenzierungstheoretische (odersektorale) Kulturbegriff entwickeltesich, ebenso wie der totalitätsorien-tierte, ausgehend vom normativenKulturbegriff. Seine Entwicklungknüpft damit zunächst an die An-nahme an, dass Kultur mit Hochkul-tur gleichzusetzen sei und somit nurin bestimmten Teilsystemen der Ge-sellschaft stattfinden könne.14 ImLaufe seiner Rezeptionsgeschichte fin-det allerdings eine Abkopplung vondieser normativen Konnotation statt.Kultur wird nun als das gesellschaft-liche Handlungsfeld identifiziert, „indem die Produktion, Verteilung undVerwaltung von Weltdeutungen‚ in-tellektueller, künstlerischer, religiöseroder massenmedialer Art stattfin-det“15. Kennzeichnend für diesenKulturbegriff ist eine an Talcott Par-sons angelehnte strukturfunktiona -listische Sichtweise, die Kultur als et-was betrachtet, das in bestimmtengesellschaftlichen Teilsystemen statt-findet, weil es dort eine bestimmteFunktion erfüllt.16

Das Defizit des differenzierungs-theoretischen Kulturbegriffs für dieEsskulturforschung liegt darin be-gründet, dass der Begriff zwar in derLage ist, die Funktion von lebens-mittelproduzierenden Einheiten imgesellschaftlichen Kontext zu erklä-ren, aber beispielsweise keinesfallsdazu befähigt, individuelle Motiv-strukturen der Konsumenten in einemausreichenden Maße zu beleuchten.Diese Betrachtung von Esskultur alssoziale Praxis leistet der vierte und

13 Vgl. RECKWITZ, Andreas: Die Transfor-mation der Kulturtheorien. Zur Entwicklungeines Theorieprogramms, Weilerswist 2006, 80.14 Vgl. ebd.15 Vgl. ebd., 79.16 Vgl. PARSONS, Talcott: Zur Theorie so-zialer Systeme, Opladen 1976.

IAKE. Mitteilungen, Heft 19 33Was ist Esskultur?

Page 36: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

17 Vgl. RECKWITZ, Andreas: Die Transfor-mation der Kulturtheorien. Zur Entwicklungeines Theorieprogramms, Weilerswist 2006, 78.18 Vgl. ebd., 90.19 Vgl. ebd., 84f., 90.

letzte Kulturbegriff dieser Typologie:der bedeutungs- und wissensorien-tierte Kulturbegriff.

4. Der bedeutungs- und wissensorientierte Kulturbegriff

Esskultur ist … AlltagskulturKultur als … soziale Praxis

Begriff erklärt … Individualisie-rungs-, Pluralisierungs- und

GlobalisierungsprozesseDefizit : (Über-)Betonung von Authentizität und Subkulturen

Die Esskulturforschung ist mit die-sem Kulturbegriff endgültig in derAlltagskultur angekommen. Esskul-tur ist das, was Menschen täglichpraktizieren. Sie ist losgelöst vonnormativen Wertorientierungen undnationalen Identitätszuschreibungen.Sie kann überall stattfinden und istnicht mehr auf den bloßen Konsumreduziert, wie das im differenzie-rungstheoretischen Deutungsmusterder Fall war. Das bedeutet, dass die-ser Begriff von Esskultur sowohl In-dividualisierungs- als auch Pluralisie-rungs- und Globalisierungsprozesseangemessen erfassen kann. ImMittelpunkt des Interesses stehendie Beeinflussung und Konstitutionsozialer Realität im Wechselspielzwischen gesellschaftlichen Struktu-ren und individuellen Akteuren, zwi-schen Koch und Esser, zwischenNahrungsproduzenten und Konsu-menten, zwischen den einzelnenMitgliedern der Tischgemeinschaft.Mit diesem Kulturbegriff ergibt sichein analytischer Zugang zu neuenThemenfeldern wie etwa der Wech-selwirkung von Gender, sozialemStand, Ethnizität und Esskultur.

Ernährungstrends würde manunter diesem Fokus in ihrer Umset-zung in der Alltagspraxis betrachten.Wie etablieren sich Trends im tägli -chen Leben? Welche Komponentenwerden umgesetzt und wie verän-dern sie das alltägliche Kochhan-deln? Wie ist die Wechselwirkungzwischen medialer Vermittlung von

Trends und ihrer tatsächlichen Um-setzung? Hat sich beispielsweise dieasiatisch angehauchte Küche so gutin die deutsche Kochpraxis einfügenkönnen, weil sie hervorragend in dasvorherrschende Diktum von schnellund gesund hineinpasst? Oder hatsie etwa dazu geführt, dass diesesDiktum erst verfestigt wird?

Der bedeutungs- und wissens-orientierte Kulturbegriff geht in sei-ner Entstehungsgeschichte aus demtotalitätsorientierten Kulturbegriffhervor. Er sieht den Menschen imSinne der philosophischen Anthro-pologie als ein zur Kultur befähigtesund gleichzeitig gezwungenes Wesenan. Im Fokus steht allerdings nichtmehr wie im totalitätsorientiertenKulturbegriff die Beschreibunggruppenspezifischer Lebensformen,sondern die Erklärung bestimmterkollektiv geteilter Motive und Deu-tungen.17 Kultur wird als soziale Pra-xis begriffen, die einerseits von sym-bolischen Ordnungen bestimmtwird, diese aber andererseits auchhervorbringt. Damit gelingt es, so-wohl akteurszentrierte als auch angesellschaftlichen Strukturen orien-tierte Zugänge der Sozialwissen-schaften zu vereinen.18

Zwar wird Kultur, ähnlich zumdifferenzierungstheoretischen Mo-dell, als dynamischer Prozess begrif-fen, dieser wird aber nicht mehr nurdurch soziale Differenzierung ausge-löst. Jedes Mitglied der Gesellschaftkann Kultur schaffen und verändern.Eine starke Betonung liegt also aufder Handlungskomponente. Men-schen schaffen Kultur dadurch, dasssie Dingen und Ereignissen Bedeu-tungen zuschreiben. Sie interpretie-ren folglich ihre soziale Realität. Wenndiese Interpretationen von vielenMenschen geteilt werden, nehmensie eine strukturierende Funktionein. Sie werden zu geteilten Wissens-ordnungen, die dann wiederum dasHandeln des Einzelnen im Alltagstrukturieren.19

Zusammen mit dieser Verände-rung des theoretischen Rahmens,

34 IAKE. Mitteilungen, Heft 19Zur Diskussion gestellt

Page 37: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

mit dessen Hilfe esskulturelles Han-deln interpretiert werden kann, än-dert sich auch das zu analysierendeThemenspektrum. Wenn Esskulturnicht mehr als Hochkultur, nichtmehr als Volkskultur und nicht mehrals repräsentative Kultur verstandenwird, sondern als das, was sich imalltäglichen Handeln konstituiert,dann kann und muss konsequenter-weise alles Ernährungshandeln imAlltag auch zur Esskultur beitragen.Diese Sichtweise bietet viele Vortei-le, denn mit ihrer Hilfe lässt sichEsskultur erstmals dort verorten, wosie stattfindet, nämlich im Alltag vonFamilien und Singles, Berufstätigenund Arbeitssuchenden, Gebildetenund Ungebildeten. Jedes Mitgliedder Gesellschaft kann als Gestaltervon Esskultur verstanden werden.

Doch leider ist auch diese Be-trachtungsweise nicht „perfekt“:Durch die Offenheit für mannigfalti-ge Fragestellungen im Bereich derEsskultur birgt der bedeutungs- undwissensorientierte Kulturbegriff dieGefahr, beliebig zu werden. Wennalle sozialen Praktiken Kultur schaf-fen, besteht die Möglichkeit, sich nurnoch in subkulturellen Räumen zubewegen, die so spezifische Eigen-heiten aufweisen, dass eine gemein-same Fragestellung kaum mehr her-auszufiltern ist.

Die Ausführungen zeigen, dass derbedeutungs- und wissensorientierteKulturbegriff wohl am ehesten dasheutige egalitäre Verständnis vonKultur zu treffen vermag. Allerdingshaben auch die anderen Kulturbe-griffe durchaus ihre Existenzberech-tigung, denn jeder liefert eine eigeneBetrachtungsweise, die ihn für dieAnalyse jeweils ganz spezifischerFragestellungen geeignet erscheinenlässt.

Durch eine Offenlegung des einerEsskulturanalyse zugrunde liegen-den Kulturbegriffs werden die mitihm einhergehenden Annahmen undBewertungsschemata expliziert und

eine Diskussionsgrundlage geschaffen.Dies stellt den eigentlichen Mehr-wert der vorliegenden typologischenBetrachtung der Esskultur dar. Istman sich erst einmal bewusst, dassder jeweilige Kulturbegriff wie eineBrille wirkt, die den Fokus auf be-stimmte Fragestellungen lenkt, kannman sich auch bewusst für die eineoder andere Brille und somit für dieeine oder andere Perspektive ent-scheiden. Dadurch wird die analyti-sche Aufmerksamkeit schon im Vor-feld auf bestimmte Aspekte gelenktoder es werden – im Umkehrschluss –bestimmte Themenfelder nicht zumGegenstand der Analyse gemacht.Gerade der Kulturbegriff streift undtrifft auch immer Fragen der Deu-tungsmacht, der gesellschaftlichenVerteilung von Gütern, der Wert-schätzung und Wertsetzung.

Esskultur kann niemals ein un-veränderbarer, festgesetzter Begriffsein, weil seine Grundlage, der Kul-turbegriff, nicht statisch ist. Der Kul-turbegriff ist einem prozesshaftenWandel ausgesetzt, der sich somitauch auf die Wahrnehmung dessen,was Esskultur überhaupt bedeutet,auswirkt. Er ist abhängig von histori-schen und geographischen Gegeben-heiten und kann deshalb immer nurals ein Teil dessen gesehen werden,was Kultur ausmacht.

Stephanie BAUM M.A., studierte So-ziologie und Politische Wissenschaft ander Rheinisch-Westfälischen Techni-schen Hochschule Aachen. Seit Okto -ber 2011 forscht sie als Stipendiatin amInstitute of Education in London. Siearbeitet dort in der Thomas Coram Re-search Unit am Projekt „NOVELLA-Narratives of Everyday lifes and linkedapproaches“ und beschäftigt sich in ihrerDissertation mit Konstruktionen undVeränderungen von Männlichkeitenim Kontext alltäglicher Ernährungs-versorgung.Der Text „Was ist Esskultur?“ entstandzum Großteil während eines Prakti-kums in der Dr. Rainer Wild-Stiftung.

IAKE. Mitteilungen, Heft 19 35Was ist Esskultur?

Page 38: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

Die Zukunft auf dem Tisch

Im Juli 2011 legte der Arbeits-kreis seinen sechsten Sammel-band vor, mit dem program -matischen Titel „Die Zukunftauf dem Tisch“. Der Band istdem langjährigen Vorstands-mitglied und Ernährungspsy-chologen Volker Pudel gewid-met, der die Leitung desvorangegangenen Symposi-ums noch inne hatte, die Re -daktion des weit über die Ta-gung hinausgehenden Bandesjedoch nicht mehr erlebte. DieHerausgeber danken an dieserStelle allen Autoren und Mit-wirkenden für die konstruktiveZusammenarbeit.

Symposium des Arbeits-kreises 2012 in Planung

Das siebte Symposium desArbeitskreises wird am 8. und9. Oktober 2012 in Regens-burg stattfinden. Die Tagungsteht unter der Federführungdes Arbeitskreisvorstandesund Regensburger Professorsfür vergleichende Kulturwis-senschaft Dr. Gunther Hirsch-felder. Im Mittelpunkt stehenethische Grundfragen zum

Kulturthema Essen (sieheS. 37–38). Das Programm wirdaktuell im Dialog mit den Mit-gliedern erstellt.

Die Symposien des Arbeits-kreises dienen dem interdiszi-plinären Austausch von Wis-senschaftlern zum KulturthemaEssen. Sie finden seit 1989 stattund werden seit 1996 im drei-jährigen Turnus von der Dr.Rainer Wild-Stiftung als Ge-schäftsstelle organisiert sowieinhaltlich und finanziell unter-stützt. Da sich die Räumlich-keiten der Stiftung in Heidel-berg im Umbau befinden,wird das Symposium 2012 inRegensburg stattfinden.

Vorstandswahlen

Im Rahmen des diesjährigenSymposiums finden die Vor-standswahlen des Arbeitskreisesstatt. Die Vorstände werdenfür drei Jahre von den Mitglie-dern gewählt und treffen sichrund drei Mal im Jahr, um diegemeinsamen Projekte zu pla-nen. Derzeit gehören demVorstand an: Prof. Dr. AngelikaPloeger (Universität Kassel),Prof. Dr. Gunther Hirschfel-der (Universität Regensburg)

und Dr. Gesa Schönberger(Dr. Rainer Wild-Stiftung,Heidelberg). Vorschläge undKandidaturen für das Amt desVorstandes werden ab sofortvon der Geschäftsstelle, z.H.Dr. Gesa Schönberger, entge-gen genommen.

Verstärkung der Aktivitätender Homepage diskutiert –Finanzierung unklar

Der Arbeitskreis wird imInternet durch die Dr. RainerWild-Stiftung präsentiert. SeitFrühjahr 2011 besitzt er eineeigene Internetadresse, überdie er leicht auffindbar ist:www.ak-esskultur.org. Nacheiner technischen Umstellungdes Systems, die derzeit in Ar-beit ist, wird es möglich sein,auch einen geschlossenen Be-reich für Mitglieder und Inter-essierte einzurichten. Dazuhat es erste Gespräche imVorstand gegeben. Die Ein-richtung und regelmäßigePflege ist allerdings zeit- undkostenaufwändig. Die Finan-zierung ist noch unklar. Diebisherige ArbeitsplattformBSCW wurde Ende 2011 ein-gestellt.

Neue und ausgeschiedeneMitglieder

Der Internationale Arbeitskreisfür Kulturforschung des Essensfreut sich, folgende neue Mit-glieder begrüßen zu dürfen:Prof. Dr. Silke BARTSCH(ordentliches Mitglied), Insti-tut für Technik, Alltagskulturund Gesundheit, PädagogischeHochschule KarlsruheProf. Dr. Jan JARRE (ordent-liches Mitglied), FachbereichOecotrophologie, Fachhoch-schule MünsterSilvia LEUTNANT (ordentli-ches Mitglied), Institut für Er-nährung, Konsum und Gesund-heit, Universität PaderbornPD Dr. Maren MÖHRING (or-dentliches Mitglied), HistorischesInstitut, Universität zu KölnDr. Rengenier RITTERSMA(ordentliches Mitglied), Belt -heim-HeyweilerVerabschieden möchten wir unsvon den Mitgliedern CorneliaBERTHOLD, Dr. Karl-PeterELLERBROCK, Prof. Dr. MaxMATTER, Prof. Karl-Otto HO-NIKEL und Dr. Marc SCHA-LENBERG, die 2011 aus demArbeitskreis ausgeschieden sind.

Für den VorstandDr. Gesa Schönberger

Aus dem Vorstand

36 IAKE. Mitteilungen, Heft 19Aus dem Arbeitskreis

PLOEGER, Angelika /HIRSCHFELDER, Gunther / SCHÖNBERGER, Gesa (Hg.):

Die Zukunft auf dem TischAnalysen, Trends und Perspektiven der Ernährung von morgen

Essen und Trinken stehen stets im Spannungsfeld von Genuss und Gesundheit, Traditionund Innovation, von lokalen Möglichkeiten und globalen Auswirkungen. Dieses Buch dis -kutiert die gegenwärtige und zukünftige Esskultur aus kultur- und naturwissenschaftlichenPerspektiven. Es ist eine komprimierte Gesamtschau des aktuellen Standes der wichtigstenForschungsfelder und Analysen zum Thema.Die Ernährung der Gegenwart wird dabei als Ergebnis eines historischen Prozesses verstan-den und weiter in die Zukunft gedacht.Der Nachhaltigkeit gilt ein besonderes Augenmerk: Werden ökonomische Zwänge und Ide-ologien oder doch Verantwortungsbewusstsein die Oberhand gewinnen? Anhand zahlreicherThemenfelder zeigt der vorliegende Band für unsere Gesellschaft auf, welche Gestaltungs-räume und welche Grenzen sich für die Ernährung von morgen eröffnen.

VS Verlag, Wiesbaden 2011EUR 29,95ISBN 978-3-531-17643-7

Page 39: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

Die Frage, was der Menschessen darf und was nicht, istvom Grundsatz her nicht neu.Vielmehr ist sie Teil des Zivili-sationsprozesses und dürfteschon in prähistorischer Zeitvon Relevanz gewesen sein.Spätestens in den frühenHochkulturen und in der An-tike spielte sie dann eine zen-trale Rolle. Nahrungsempfeh-lungen beziehungsweise -tabuserfüllten dabei stets eine klareFunktion. Das Spektrum reich-te von Schutzmechanismen ge -genüber Gefahren wie Krank-heit und Vergiftung über dieSchonung von Ressourcen biszu sozialen Distinktionsme-chanismen und hatte weitrei-chende Auswirkungen auf dieÖkonomie und die Kulturund damit auch auf die Struk-turen und Identitäten der je-weiligen Gesellschaften. Dazuzwei Beispiele:

Zunächst die maßgeblich vonHippokrates (460–370 v. Chr.)geprägte antike Diätetik. Da-bei handelte es sich um eineganzheitliche, auf Gleichmaßausgelegte Ernährungslehre,deren Grundlage eher Emp-fehlungen als strikte Vorschrif-ten waren; eine generelle Um-setzung dieser Empfehlungenfür eine Bevölkerungsmehr-heit war allerdings nicht unbe-dingt vorgesehen.1

Als zweites Beispiel seiendie bis zum fünften vorchristli -chen Jahrhundert entstandenenrituellen jüdischen Kaschrut-Gesetze angeführt. Das Einhal-ten dieser Speisevorschriftenführt nach jüdischer Vorstel-lung zur Harmonie zwischen

Körper und Seele. Für ortho-doxe Juden sind sie auch heu-te noch verbindlich. Abseitsmoderner Vorstellungen vonLifestyle und gesunder Ernäh-rung haben diese Regeln do-minanten Einfluss auf alle Le-bensbereiche jener, die sichauf die in der Tora gelehrtengöttlichen Gebote beziehen.Die Essensregeln werden aufdiese Weise zu Lebensregeln,denn es geht nicht nur um das,was gegessen wird: Mindes -tens 50 Gebote beschäftigensich auch mit den Tischsitten.Ohnehin ist die Küche fürgläubige Juden weit mehr alsein Ort, an dem nur Speisenzubereitet werden. Sie bildetvielmehr das geistige Zentrumdes Haushalts. Essensregelnund Lebenssymbolik gehenhier eine enge Verbindung ein,denn das Einhalten der Spei-sevorschriften dient dazu, denAlltag zu heiligen. Sogar dieZubereitung der Speisen wirdals Dienst an Gott verstanden,und die Speisevorschriftensollen nicht zuletzt den Dua-lismus von Physischem undGeistigem, Alltäglichem undGeheiligtem überbrücken. DasErgebnis ist ein Essalltag, dereine klare Trennlinie zwischenzugelassenen (koscher) und alsuntauglich (trefe) geltendenSpeisen kennt.2

Die Geschichte der Nah-rungsvorschriften und -tabus

verlief außerordentlich wech-selhaft, wie drei Beispiele zei-gen: Der Hund, im Neolithi-kum noch gängige Speise,wurde im Übergang zur Anti-ke zunehmend gemieden; an-tike Diätvorschriften spieltenin der Praxis des frühenMittelalters kaum mehr eineRolle; der Alkoholkonsumverlor im Verlauf der Früh-neuzeit an Ansehen, so dasssich im 19. Jahrhundert gar ei-ne schlagkräftige Temperenz-bewegung herausbildete.3 Niezuvor aber war der Bruch somarkant wie jener, den dieEntwicklung am Ende des 20.Jahrhunderts erlebte. Seit die-ser Zeit – man kann von ei-nem Zeitraum von etwa 20 bis25 Jahren sprechen – habensich die ökonomischen, gesell-schaftlichen und kulturellenParameter so stark verscho-ben, dass die Frage, was derMensch essen darf, eine völligandere Ausrichtung erfährt.Dafür verantwortlich sindnicht nur der Wegfall alterOrdnungsmuster und das Ent-stehen neuer Freiheiten, son-dern vor allem auch neueökonomische Zwänge undglobale Verlockungen. Außer-dem stellen sich für einen im-mer größeren Teil der postmo-dernen Gesellschaften Fragennach der ökologischen Dimen-sion der Nahrungsproduktion,die heutige Konsumenten vorein Entscheidungsdilemmastellen. Was darf der Menschessen? Was und wie dürfenProduzenten produzieren? AnRichtlinien und Empfehlun-gen mangelt es nicht. Trotz-dem klafft meist eine empfind-

liche Lücke zwischen den Ide-alen und der Realität. Zunächstist vielen Empfehlungen ge-mein, dass ihre Umsetzung anden ökonomischen Fähigkei-ten der Konsumenten schei-terte und scheitert. Darüberhinaus seien an dieser Stelle inHinblick auf das Symposiumdrei wesentliche Gründe ange-führt:

1) Zunächst wird die Kom-plexität der Esskultur nichthinreichend berücksichtigt;Ernährung wird kognitiv ge-dacht, aber beim Essen spie-len emotionale Faktoren einemaßgebliche Rolle. Oft wirdder prägende Einfluss vonTradition und Sozialisationunterschätzt, der sich kaumüberwinden lässt; und schließ-lich sind Nahrungsmittel kul-turell aufgeladen – sie werdenüber ihre reine Stofflichkeithinaus mit kulturellen Zu-schreibungen versehen, wennetwa das Italienische für Ge-nuss steht, Champagner fürLuxus oder die Maultaschefür eine Region.4

2) Zudem werden die De-batten um das Essen meisttheoretisch geführt. Damitbleiben auch die Aufforderun-gen zu einem Wandel der Er-nährung abstrakt. Eine para-digmatische Diskussion amkonkreten Beispiel könnte da-bei helfen, das Dilemma desVagen aufzulösen.

3) Schließlich findet einFaktor, der entscheidendenEinfluss auf die Esskultur hat,bislang trotz inzwischen ein-dringlicher Forderungen nochkaum Berücksichtigung: Es

Was der Mensch essen darf.Ökonomische Zwänge, ökologisches Gewissen und globale VerlockungenGrundgedanken zum 7. Symposium des Internationalen Arbeitskreises für Kulturforschungdes Essens, 8.–9. Oktober 2012 in Regensburg

IAKE. Mitteilungen, Heft 19 37Aus dem Arbeitskreis

1 BERGDOLT, Klaus: Leib undSeele. Eine Kulturgeschichte desgesunden Lebens, München 1999;NUTTON, Vivian: Ancient Medi-cine, London 2004.

2 Vgl. jüngst FRIEDLANDER,Michal /KUGELMANN, Cilly(Hg.): Koscher & Co. Über Essenund Religion. Berlin 2009, sowieHIRSCHFELDER, Gunther: Rich -tig essen? In: Engel, C. /Gold, H./Wesp, R. (Hg.): Satt. Kochen – es-sen – reden (Kataloge der Muse -umsstiftung Post und Telekommu-nikation Bd. 28), Frankfurt a.M.2009, 104–111; HONEGGER, Tho -mas: Tier und Religion, Berlin 2007.

3 HARRIS, Marvin: Wohlge-schmack und Widerwillen. DasRätsel der Nahrungstabus, 4.Aufl.,Stuttgart 2005.

4 HIRSCHFELDER, Gunther:Die kulturale Dimension gegen-wärtigen Essverhaltens, Ernäh-rung – Wissenschaft und Praxis 4,2007, 156–161.

Page 40: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

handelt sich um den vor allemvon Harald Lemke immer wie-der aufgeworfenen Aspekt derEthik des Essens.5 Dabei gehtes um die praktisch-philoso-phisch determinierte Fragenach dem richtigen Handeln –nicht in Bezug auf die ökono-mischen, sondern auf die mo-ralischen Dimensionen desHandelns.6 Die Grundfrage„Was darf der Mensch essen“hat dabei zwei grundsätzlichePerspektiven: Sie kann sowohlmit Blick auf die persönlichenInteressen, sprich die eigeneGesundheit und das eigeneGlück, gestellt werden, als auchmit Blick auf das Wohl derGemeinschaft. Es geht alsonicht alleine um eine Kulturdes Essens, sondern um dasgesamte Ernährungssystem.7

Die vormoderne, primärchristlich geprägte abendlän -dische Gesellschaft entwickeltenur mit einiger Mühe ein letzt -endlich diffuses Konzept rech-ten Handelns. Beispielsweiseauch für das immer wieder dis -kutierte und ethisch besetzteThema Fleisch. Das christlicheVerständnis des Verzehrs tieri-scher Produkte beruhte vor al-lem auf zwei Textpassagen ausdem Alten Testament8: Wäh-rend der Schöpfungsgeschichtezufolge den Menschen zunächstalle pflanzlichen Produkte an-vertraut waren (Gen 1, 29), er-hielten Noah und seine Söhne

und mit ihnen das ganze VolkIsrael göttliche Absolution fürFleischkonsum (Gen 9, 2–3).Auf diese Art gelangten Tiere indie Nahrungskette christlicherMenschen, obwohl das Tier alsMitgeschöpf der Menschenverstanden wird. Der ApostelPaulus von Tarsus († nach 60)argumentierte, jeglicher Spei-severzicht sei zudem ein Aus-druck von Undankbarkeitgegenüber den Gaben Gottes(1. Tim 4, 1–5).9

Wie schwer es ist, Ernäh-rungsethik in all ihrer Komple-xität zu greifen, zeigte bereitsein Workshop des Internatio-nalen Arbeitskreises für Kultur-forschung des Essens zu diesemThema (siehe MitteilungenHeft 18). Auf dem 7. Sympo-sium des Arbeitskreises sollennun die verschiedenen Strän-ge verknüpft werden, denn dieDynamik der jüngsten Vergan-genheit zeigt, wie wichtig es ist,sich auch im Ernährungsbe-reich kritisch mit der Fragenach dem richtigen Handelnauseinanderzusetzen: Zum ei-nen lassen neue globale Ar-beitsteilungen und komplexereProduktionsprozesse die Her-stellung der Nahrung aus un-serem Nahbereich und Sicht-feld verschwinden, so dass sieoffenbar auch kaum mehrethischer Kontrolle unterliegen.Zum anderen hat der schwin-dende Einfluss von Religionund Kirche im Verlauf des 20.Jahrhunderts verstärkt dazugeführt, Tiere und Pflanzen

nicht als mit Würde behafteteResultate göttlicher Schöpfung,sondern als Ware zu sehen.Zudem sind neue Kulturkreiseauf den Plan getreten, die dasMensch-Natur-Verständnisfundamental anders betrach-ten. Die daraus resultierendenPraxen vor allem im Ostenund Süden Asiens haben di-rekten Einfluss auf die europä-ische Esskultur – aber trägtEuropa auch Verantwortungfür derartige globale Produk-tionspraxen? Die Liste derethischen Herausforderungen,mit denen sich die Konsu-menten heute täglich konfron-tiert sehen, ließe sich noch be-trächtlich erweitern: Wie istauf die zunehmende Konkur-renz der Ressourcen zwischenNahrungs- und Energiegewin-nung zu reagieren? Wo istFair-Trade unverzichtbar? Wel-che Rolle spielen gewaltsameKonflikte und Kriege umNahrungsressourcen für deneuropäischen Essalltag?

Um die Komplexität desThemas zu erfassen, soll einAnschauungsobjekt gewähltwerden, das paradigmatisch fürden Wandel der Nahrungspro-duktion wie auch der Esskultursteht. Gemeint ist das Huhn,das den Menschen seit dessenSesshaftwerdung begleitet unddas auch in der europäischenEsskultur stets eine tragendeRolle spielte, so dass sich eineFülle regionaler Ausprägungenbei Aufzucht und Verarbeitungentwickeln konnte. Allerdingskonstatierte der KabarettistGerhard Polt unlängst: „Der mo-derne Mensch kennt das Hendldoch nur als Chicken.“ Dieserzweifelsfrei zutreffenden Re-duktion der Kulturtechnikensteht eine enorme Ausweitungder Produktion gegenüber: Derweltweite Konsum hat sich inden letzten 50 Jahren fast ver-fünffacht. Das Huhn ist der

globalste Fleischlieferant, daam wenigsten mit religiösenNahrungstabus behaftet; esspiegelt die globalen Trends zuweniger fetthaltigem Fleischam stärksten und ist zucht-technisch am weitesten ausge-reizt. Zudem entzünden sichan den Geflügelzuchtanlagenin Deutschland die heftigstenDebatten um die Bedenklich-keit der großindustriellen Tier-produktion.10

Wie das Symposium kon-kret strukturiert wird, ist der-zeit noch offen. Klar ist aber,dass die komplexe Ausgangs-situation zunächst grundlegendaufgezeigt, analysiert und dis -kutiert werden soll. Wün-schenswert ist zudem, dassDiskurse aus der Perspektiveder Wissenschaft aufgedecktwerden: Wie diskutieren Poli-tik, Medien und Wirtschaft dieThemenfelder Moral undEthik? Welche Rolle spielendie Positionen und Gestal-tungsinstrumente der Kirchenin Vergangenheit und Gegen-wart? In welchem Maße fin-den bereits Aushandlungspro-zesse um ernährungsethischeFragen statt? Eine zentraleKategorie stellt schließlich dieKategorie Wissen dar: WelcheRolle spielt Wissen im Kon-text von Ernährungsethik? In-wieweit leben wir in einer In-formations- und nicht etwaWissensgesellschaft? Und biszu welchem Grad könnenHandlungskompetenzen opti-miert werden?Prof. Dr. Gunther Hirschfelder,

Universität Regensburg

38 IAKE. Mitteilungen, Heft 19Aus dem Arbeitskreis

10 Vgl. PEITZ, Beate / PEITZ,Leopold: Hühner halten, 6.Aufl.,Stuttgart 2005 sowie STADLER,Rainer: Der Überflieger. Im Jahr1960 schlachteten die Menschensechs Milliarden Hühner. 2010werden es 45 Milliarden sein. Wasist da passiert? SZ-Magazin 47,2010.

5 LEMKE, Harald: Ethik desEssens. Eine Einführung in dieGastrosophie, Berlin 2007.6 FENNER, Dagmar: Ethik.Wie soll ich handeln? Tübingen /Basel 2008, 4ff.7 FENNER, Dagmar: Wiesobrauchen wir eine Ernährungs-ethik? Mitteilungen Heft 18, 2011,39–40.8 SCHMITZ-KAHMEN, Flo-rian: Geschöpfe Gottes unter derObhut des Menschen. Die Wertungder Tiere im Alten Testament,Neukirchen 1997.

9 HIRSCHFELDER, Gunther /LAHODA, Karin: Wenn Men-schen Tiere essen. Bemerkungenzu Geschichte, Struktur und Kulturder Mensch-Tier-Beziehungen unddes Fleischkonsums. In: Buchner-Fuhs, Jutta /Rose, Lotte (Hg.):Tierische Sozialarbeit. Ein Lese-buch für die Profession zum Lebenund Arbeiten mit Tieren, Hamburg2012 (im Druck).

Page 41: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

Dass Essen für unser Leben vielmehr ist als eine reine Nah-rungsaufnahme, ein Grundbe-dürfnis eines jeden Menschen,ist für viele selbstverständlich.Ernährung beeinflusst in bedeu-tender Weise unsere physischeund psychische Leistungsfähig-keit und somit unsere Lebens-erwartung und Lebensqualität.Daher ist eine gesunde Ernäh-rung nicht nur für Jung undAlt, für Singles und Familien,sondern auch in der Gemein-schaftsverpflegung von immergrößerer Bedeutung, und oft-mals eine echte Herausforde-rung für die Gesellschaft. Aberwelchen Anspruch haben Kin-dertagesstätten, Krankenhäuseroder Seniorenheime an einegesundheitsfördernde Ernäh-rung? Wie sieht dabei die Ge-meinschaftsküche von Morgenaus? Und wie lässt sich z.B. immultikulturellen Setting Schulenicht nur eine gesunde Ernäh-rung, sondern auch eine ethischverträgliche und insbesonderenachhaltige Gemeinschaftsver-pflegung realisieren? Diese undviele weitere Fragen wurden imRahmen der Fachtagung 2011„Brennpunkt Ernährung –Aufgaben von morgen“ am 16.und 17. Mai in Fulda von Ex-perten zur Diskussion gestellt.In Kooperation mit dem pari -tätischen Gesamtverband undder Hochschule Fulda entstandein reger und konstruktiverAustausch mit den verschiede-nen Ernährungsfachleuten ausTheorie und Praxis.Prof. Ulrike Arens-

Azevedo von der HAW Ham-burg erläuterte in ihrem Vortragdie Ziele einer gesundheitsför-dernden Ernährung in der Ge-meinschaftsverpflegung. DiePrävention ernährungsassozi-ierter Erkrankungen sowie dieSteigerung der Lebensqualitätseien langfristige Effekte, die esumzusetzen gelte. Wie aberdiese Ansprüche realisiert wer-den könnten, sei u.a. abhängig

von der Struktur des Betriebes.Die Qualität der Speisen und dieZufriedenheit der Gäste undMitarbeiter seien wichtig für einoptimales Ergebnis und letztlichentscheidend für das Erreichender Ziele. Die SMART-Regel,spezifisch – messbar – akzep-tabel – realistisch – terminiert,erleichtere dabei die sachorien-tierte Formulierung und sei inder Lage, die verschiedenenZiele zu konkretisieren. Ver-schiedene Standards, wie z.B.die Qualitätsstandards für dieBetriebsverpflegung von derDeutschen Gesellschaft für Er-nährung sind bereits vorhan-den. Andere, wie die Qualitäts-standards für Krankenhäuserund Reha-Kliniken wurden am1. September 2011 vorgestellt, soArens-Azevedo. Die Standardshätten nicht nur für die Gästediverse Vorteile, sondern auchfür die Anbieter der Gemein-schaftsverpflegung. Innovative,schmackhafte Gerichte unter-stützten die Gesundheitsförde-rung und -erhaltung der Gäste.Eine Zertifizierung des Betriebsstärke den Wettbewerb und seiin allen Lebenswelten, von derKita bis zum Seniorenheim,sinnvoll. Für die Umsetzung indie Praxis seien dabei die ver-schiedenen Produktionssysteme,wie z.B. Cook & Hold oderCook & Chill, von Bedeutung.Mit diesen Aspekten beschäf-tigte sich Prof. Dr. StephanieHagspihl, HS Fulda. Sie in -formierte ausführlich über dieVerpflegung von heute und dieAuswirkungen der demogra-phischen Entwicklung, die esnotwendig machten, neue Stra -tegien zu entwickeln. Diesereichten von der bedarfsge-rechten Speisenplanung über dieWahl des Produktionssystemsbis zum Einsatz regionaler Pro-dukte. Die Anforderungen andie Küche von Morgen seiendaher vielfältig. Sowohl beimEinkauf als auch bei diversenInvestitionen müssten anfallen-

de Kosten optimiert werden.Eine gesunde Ernährung fürdie Teilnehmer an der Gemein-schaftsverpflegung sowie einenachhaltige Entwicklung imBetrieb seien genauso wichtigwie gute Arbeitsbedingungen fürdie Mitarbeiter. Zur Berück -sichtigung von Vorlieben undWünschen der Kunden ließensich z.B. Zufriedenheitsbefra-gungen durchführen. Der Be-darf neuer Angebotsformen,wie vegetarische oder veganeSpeisen, lasse sich damit ermit-teln und könnte so in ein neuesSpeisenkonzept eingebundenwerden. Entscheidend sei beiallem: Transparenz schaffenund darüber reden!

Welche Effekte bzw. Zieledie Prävention durch Ernäh-rung auf den Menschen hat undwie eine Verhaltensänderungerreicht werden kann, stellteProf. Dr. Christoph Klotter,HS Fulda, in seinem Vortragdar. Prävention als Teildisziplinder Medizin bestehe seit Jahr-tausenden mit mäßigen, aberdennoch positiven Effekten beiverschiedenen Erkrankungen.Prävention ziele in erster Linieauf die Vermeidung von Risi-ken, seien es gesundheitsabträg-liche Verhaltensweisen oderübermäßiges Essen. Dabei be-rücksichtige sie nicht den gan-zen Menschen. Dies gescheheaber dann, wenn Präventiondurch Gesundheitsförderungergänzt werde. Gesundheits-förderung verstehe sich alspsychosozialer Ansatz undstelle, im Gegensatz zur Prä-vention, die Erhaltung vonWohlbefinden und Gesundheitdes ganzen Menschen in denVordergrund. Auf Basis derWHO-Definition für Gesund-heit soll Gesundheitsförderungden Menschen die Möglichkeitgeben, ihr körperliches, seeli-sches und soziales Wohlbefindenzu verbessern. Sie soll sogenann-te „Hilfe zur Selbsthilfe“ dar-stellen. Wie könnte dies besser

umgesetzt werden als im Set-ting, wie z.B. in Kitas, Schulen,Betrieben oder Seniorenhei-men. Durch eine möglichst op-timal gestaltete Gemeinschafts-verpflegung sei, bezogen auf dieErnährung, eine Motivation zurVerhaltensänderung deutlicheinfacher umzusetzen, da hierjeder die Wahl hätte zu ent-scheiden, wie viel Gesundheiter haben wolle, so Klotter.

In ihrem Vortrag zu Ethik,Nachhaltigkeit und sozialerVerantwortung beschäftigte sichDr. Gesa Schönberger vonder Dr. Rainer Wild-Stiftung,Heidelberg mit den gestiege-nen Anforderungen an die Ge-meinschaftsverpflegung. Nebendem Versorgungsaspekt nanntesie die Gesundheitsförderung,die Ernährungsbildung und dieNachhaltigkeit. Sie bezeichnetedie Küche insbesondere inKrankenhäusern als Kellerkindmit Monopol. Auch ohne diä-tetische Notwendigkeit stündemeist der „Patient“ und nichtder „Gast“ im Vordergrund.Und das, obwohl die Küche inder Regel viel mehr bietenkönne, so Schönberger. Dasmerke man an Küchen, dieKonkurrenz bekämen und da -raufhin deutlich gastorientierterarbeiteten. Andere Häuser hät-ten bereits erkannt, dass sichdas Essen auch auf die Zufrie-denheit mit dem ganzen Hausniederschlage.

Insgesamt wurde deutlich,dass die Außer-Haus-Verpflegungeine zunehmende Bedeutung inunserer Gesellschaft bekommt.Gesundheit ist die Wachstums-ressource der Zukunft und dieGemeinschaftsverpflegung istdie Dienstleistung schlechthin.Daher freuen wir uns auf dieTagung 2012, mit dem Titel„Netzwerk Ernährung – Zu-kunft gestalten“, die am 11. Ju-ni in Fulda stattfinden wird.

Nora Hendgen,B. Sc. Ökotrophologie,

Hochschule Fulda

„Brennpunkt Ernährung – Aufgaben für morgen“16.–17. Mai 2011, Fulda

IAKE. Mitteilungen, Heft 19 39Berichte

Page 42: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

Besonders männliche Jugend-liche ernähren sich schlecht,konsumieren viel Fast Food undneigen stärker als Mädchen zuÜbergewicht. Umso erstaun-licher ist es, dass sich bisherweder in Deutschland noch inÖsterreich mit den Ursachendieser spezifischen Ernährungs-problematik auseinanderge-setzt wurde. Das „forum. er-nährung heute“ – Verein zurFörderung von Ernährungsin-formationen, wollte mit demWiener Symposium den Steinins Rollen bringen und Ernäh-rung einmal aus einer sowohlmänner- als auch jugendspezi-fischen Perspektive heraus be-trachten. Dr. Peter Reinecke,Präsident des Forums betonte,dass so ein Grundstein für ei-ne praxis- und zielgruppenge-rechte Herangehensweise andie Problematik gelegt werdenkönne.

Ernährung als wichtigerFaktor der Gesundheits-ökonomie

Welche Bedeutung die Fragenach der Ernährung jungerMänner aus gesundheitsökono-mischem Blickwinkel hat, ver-deutlichte Bernhard Schwarzvom Zentrum für Public Healthder Medizinischen UniversitätWien: Ernährung ist ein we-sentlicher Faktor für die Ge-sundheit, vor allem in derWohlstandsgesellschaft, in derÜbergewicht eine entschei-dende Rolle spielt. Laut einerrepräsentativen Umfrage anösterreichischen Vorsorgepa-tientinnen und -patienten sind50% der Frauen sowie über65% der Männer übergewich-tig, schweres Übergewicht ha-ben immerhin 21% der Frauenund 23% der Männer. Auchviele männliche Jugendlichesind adipös. Dies stellt nicht

nur für die Betroffenen eineerhebliche Alltagsbelastung dar,sondern wird auch zum gesell-schaftlichen Problem. Überge-wicht führt auch zu Folgeer-krankungen. In Deutschlandentstehen 6% aller Krank-heitskosten durch Adipositas,das entspricht einem Umfangvon 15–20 Milliarden Europro Jahr. Deshalb ist es umsowichtiger, präventive Maßnah-men gezielt und systematischeinzusetzen. Wenn man, be-tonte Schwarz, diese Maßnah-men mit Hilfe einer möglichstgroßen, interdisziplinären Ex-pertise erarbeitet, könne manauch für die Zielgruppe derjungen Männer eine wirkungs-volle Ansprache entwickeln.

„Männer fühlen sich kern-gesund, bis sie tot umfallen“

So fasste Thomas Altgeld,Geschäftsführer der Landes-vereinigung für Gesundheitund der Akademie für Sozial-medizin, Hannover, das „Pro-blem mit den Männern undder Gesundheit“ sehr treffendzusammen: Die Neigung,Symptome zu ignorieren undvor sich und anderen zu ver-leugnen, findet sich bei Män-nern wesentlich häufiger als beiFrauen. Männern werden einehöhere Risikobereitschaft undein geringeres Gesundheitsbe-wusstsein attestiert. Sie nehmenwesentlich weniger Präven-tionsleistungen in Anspruchals Frauen und sprechen Ge-sundheitsfragen einen niedri-geren Stellenwert zu. Dies er-klärt sich laut Altgeld zumeinen aus der gesellschaft-lichen Vorstellung von Männ-lichkeit und zum anderen ausnicht-männersensiblen Ange-boten. Männliches Leben istvon einer starken Außenorien-tierung geprägt. Deshalb ver-

wundert es kaum, dass Män-ner auch in Bezug auf Ernäh-rung eher eine Außenperspek-tive einnehmen. Im Gegensatzzu Frauen beurteilen sie deneigenen Einfluss auf ihre Ge-sundheit als sehr viel geringer.Altgeld betonte, dass es wich-tig sei, sowohl die traditionel-len Männlichkeitskonzepte alsauch die etablierten Denkwei-sen der Gesundheitsförderungaufzubrechen, um diese Ziel-gruppe zu erreichen. Konkretzählt dazu zum einen die gen-dersensible Schulung von Multi-plikatorinnen und Multiplikato-ren mit dem Ziel einer männer-und jungenspezifischen Ge-sundheitskommunikation. Zwei-tens sollen aber auch Maßnah-men etabliert werden, die dieGleichstellung der Geschlech-ter auf allen gesellschaftlichenEbenen zum Ziel haben.

Den Spagat zwischen spezi-fischer Ansprache und stereo-typer Betonung von herrschen-den Männlichkeitsvorstellungenzu schaffen, stellt wohl diegrößte Herausforderung einergendersensiblen Männerkom-munikation dar. Ansetzen solltedie Kommunikation allerdingsnicht ausschließlich bei den Ri-sikofaktoren, sondern auch beipositiven Männerbildern und denspezifischen Gesundheitsres-sourcen von Männern wie z.B.den besseren Berufs chancen oderder geringeren Doppelbelastungdurch Arbeit und Familie.

Jugendliche leben in Szenen

Jugendliche befinden sich ineiner Lebensphase, in der sienoch relativ fragile Identitäts-strukturen aufweisen und die-se im Sinne einer konsistentenLebensführung stärken wollen.Manfred Zentner von Jugend-kultur.at aus Wien betonte,dass Jugendkulturforschung

als Lebensstilforschung be-trachtet werden muss: Dieheutige Gesellschaft ist von ei-nem stetigen Wandel geprägt.Das Individuum nimmt einenwichtigen Stellenwert ein undkommuniziert mit anderenüber spezifische Codes undSymbole. Deshalb gewinntauch die Inszenierung von Zu-gehörigkeit an Bedeutung, vorallem für Jugendliche. Dieseshohe Maß an individuellerFreiheit weckt gleichzeitig auchein Bedürfnis nach Sicherheit.Deshalb schließen sich Jugend-liche in Szenen zusammen,die als soziale Netzwerke fun-gieren. Szenen grenzen sichdurch einen bestimmten Stil,durch Codes und Symbole vonanderen Szenen ab. Hier kommtdie Ernährung als Lebensstil-instrument ins Spiel. DerKonsum oder die Ablehnungbestimmter Speisen kenn-zeichnen die Szenenzugehörig-keit. Der Jugendforscher stell-te fest, dass gerade männlicheJugendliche sich wenig Ge-danken um Gesundheit undErnährung machen und dieseThemen oft als genussfeindlichwahrgenommen werden. Ge-sundheit heißt Verzicht und die-sen zu üben erscheint Jugend-lichen nicht als erstrebenswert.Umso wichtiger sei es, soZentner, bei der Ernährungs-kommunikation für junge Män-ner auf Vorbilder zu setzen,den kulturellen Hintergrund zubeachten und die Informatio-nen entsprechend anzupassen.

Männliche Jugendliche sind„Kochpraktiker“

In der aktuellen Diskussion übergesunde Ernährung spielt dieFrage nach den Kochkenntnis-sen und Fertigkeiten eine wich-tige Rolle. Hermine Mandel,Psychotherapeutin aus Wien,

„Wie isst Mann? Wie kocht Mann? Ernährung von männlichen Jugendlichenzwischen Pizza und Pommes“19. Mai 2011, Wien

40 IAKE. Mitteilungen, Heft 19Berichte

Page 43: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

Können Städte darüber cha-rakterisiert werden, was man inihnen isst und trinkt? DieserFrage ging ein interdisziplinäresReferententeam aus Kultur-und Geschichtswissenschaft,Soziologie und Philosophiegemeinsam mit rund 50 Teil-nehmern am 6. und 7. Mai2011 an der TU Darmstadtnach. Dabei hätten die Vorträ-ge und Ansätze unterschied-licher nicht sein können.

Den Einstieg übernahmHelmuth Berking von derTU-Darmstadt, Vordenker desKonzepts der Eigenlogik derStädte. Er definierte Eigenlo-gik als einen Modus der Ver-dichtung von beobachteterUmwelt, Material- und Stoff-strömen sowie Verkehrs- undMenschenströmen. Ulf Ma-thiesen hingegen plädierte da-für, stärker in Regionen anstattin Städten zu denken und de-ren schwächende oder ver-

stärkende Einflüsse bei derErfassung von Eigenlogikenzu berücksichtigen. Auch dieim Zuge der Globalisierungstattfindenden Zu- und Ab-wanderungen und die damiteinhergehende ethnische Viel-falt beeinflussen die städtischeEigenlogik. Der HistorikerGideon Reuveni verdeutlich-te diese Tendenzen in seinemVortrag „Kosher in the City“am Beispiel der jüdischen Mi-gration in New York. Reuvenisprach dabei von einer Zu-nahme an „Ethnic Food“.Dass nicht nur die Globalisie-rung und das Konzept der Re-gion für die Erfassung einerstädtespezifischen Esskulturvon Bedeutung sind, zeigtendie Vorträge von IngridBreckner und Toralf Gonzá-lez. Ihre Untersuchungen zuHamburg ergaben ein inho-mogenes Essprofil des Städ-ters. Demnach isst dieser sozi-

al, räumlich, zeitlich und sach-lich unterschiedlich; nordischnational und international;ökologisch und konventionell;ungesund pragmatisch undgesund kulinarisch; protestan-tisch sparsam bis opulent; ein-fach und alternativ. Im Zugedieser vielfältigen Entwicklun-gen zeichnen sich auch neueTrends ab, die einen Einflussauf die Eigenlogik von Städtenausüben. Der „Hype“ um dassogenannte „Urban Garde-ning“ hat längst die Städte er-reicht und ist in aller Munde.Wer aufmerksam durch dieStädte geht, kann auf den Dä-chern kleine Gärten, auf Bal-konen eigens angebautes Obstund Gemüse oder in gemein-schaftlicher Arbeit angelegteHochbeete erspähen. SelbstMichelle Obama baut zusam-men mit Grundschülern ausWashington im Küchengartendes Weißen Hauses Gemüse an,

um ausgewählte Staatsgästedamit zu bewirten.Harald Lemke schilderte

in seinem Vortrag eindrucks-voll diese Entwicklungen: DerBegriff der „Gastropolis“ kamerstmals mit dem Großkünst-ler und Gastrosophen JosephBeuys auf. Mit seinen Gueril-la-Gärten setzte er sich als re-volutionäre Figur des Stadt-bauers selbst in Szene. DieUtopie der Gastropolis besagt,dass es ein Recht auf eineStadtlandwirtschaft gibt, d.h.jeder hat das Recht auf selbst-produziertes Essen im städti-schen Raum – egal ob als ur-bane Agrikultur oder in Formvon Küchengärten. Dabei istdie gastropolitische Praxis derNährboden für viele Transfor-mationsprozesse eines gutenLebens. Sozusagen eine „Poli-tik der gelebten Demokratievon unten“. Überall auf derWelt lassen sich derartige Be-

„So isst die Stadt. Esskultur und die Eigenlogik der Städte“6.–7. Mai 2011, TU Darmstadt

IAKE. Mitteilungen, Heft 19 41Berichte

stellte ein Projekt vor, das mitmännlichen Lehrlingen arbei-tet. Aus ihrem Bericht gehthervor, dass die größte Gruppemännlicher Jugendlicher sichselbst als „Kochpraktiker“ ver-steht. Wenn es nötig ist, wer-den kleine, einfache Gerichteselbst zubereitet. Ein wesent-lich geringerer Anteil der Lehr-linge definierte sich selbst als„Kochverweigerer“, die kaumselbst kochen, oder als „Hob-byköche“, die gerne und re-gelmäßig am Herd stehen. Beiletztgenannten wurde deutlich,dass sie nicht nur aus einemVersorgungsaspekt heraus ko-chen, sondern diese Aktivitätoft auch zur Beziehungspflegeoder zur Demonstration kuli-

narischer Kennerschaft nutzen.Die jungen Lehrlinge definie-ren sich stark über Motive wie„Jugend genießen“ und „Din-ge ausprobieren“. Kochen wirddabei eher als Arbeit empfun-den, die erledigt werden muss.Eine Brücke zwischen Kochenals Muss und Kochen als Lustzu schlagen kann folglich amBesten gelingen, wenn dieseHaltung berücksichtigt wirdund somit Berührungsängsteabgebaut werden können.

Drahtseilakt: Jugendliche ansprechen ohne zu stereotypisieren

Ein zentrales Ergebnis desSymposiums ist sicher, dass

keine Rede sein kann von derunerreichbaren Zielgruppe„Junge Männer“. Natürlich istes notwendig, sich mit denspezifischen Lebenslagen derJugendlichen auseinanderzu-setzen. Diese sind aber meistgerne bereit, die Angebotemitzugestalten und sich einzu-bringen. Schafft man es, dieJugendlichen in möglichst vie-le Stadien der Angebotserstel-lung, Durchführung und Eva-luierung miteinzubeziehen,dann steigt auch die Chancefür den Erfolg eines Projektes.Gleichzeitig wurde im Laufeder Tagung deutlich, wieschwer es sein kann, denDrahtseilakt zwischen demBedienen stereotyper Bilder

von Männlichkeit und demAufbrechen gefestigter Ge-schlechterarrangements zuschaffen. Es mag zwar auf denersten Blick attraktiv erschei-nen, mit traditionellen Bildernvon Männlichkeit zu arbeiten,da viele junge Männer davonangesprochen werden. Gleich-zeitig tradiert man durch sol-che Angebote aber eindimen-sionale Vorstellungen vonMännlichkeit und lässt denJugendlichen so wenig Hand-lungsspielraum, die eigene Er-nährungsidentität selbständigzu finden.

Stephanie Baum, M.A., Doktorandin Thomas Coram

Research Unit, Institute ofEducation, London

Page 44: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

wegungen ausmachen: So er-lebte Havanna Anfang der 90-erJahre seinen Umbruch, der mitdem Ausbau der Infrastrukturund der Aktivierung von Brach-flächen gefördert wurde. Infol-gedessen konnten sich dieStadtbewohner zunehmendselbst mit Produkten aus öko-logischem Anbau versorgen.Neben der Selbstversorgung er-möglichten diese Entwicklun-gen aber auch die Produktionvon Überschüssen. Sie dientenden Bewohnern als zusätzlicheErwerbsquelle. Damit leistetedas Anlegen von Hochbeetenund Volksgärten in Havannaeinen wichtigen Beitrag zurVerbesserung der Ernährungs-verhältnisse – mit dem Ergeb-nis, dass Havanna heute alsWeltführer für die Stadtland-wirtschaft gilt. Auch in ande-ren Gebieten Lateinamerikasgab es Anstrengungen der Re-gierung, die Selbstversorgungin den Städten mit Lebensmit-teln aus eigenem Anbau zufördern. In Belo Hochizontewurde das „Recht auf Nah-rung“ bereits 1993 als Bürger-recht gesetzlich verankert. In-folgedessen erhielten lokaleBauern Standrechte für dieDirektvermarktung von regio-

nalen und ökologisch ange-bauten Produkten zu günsti-gen Preisen. Staatlich subven-tionierte Volksküchen sowieABC-Märkte wurden einge-richtet, auf denen lokale Basis-produkte zu subventioniertenPreisen angeboten werden.

Ganz anders stellt sich dieLage in Slums von Nairobi-Kibera dar. Dort hatte sichaufgrund der gestiegenen Le-bensmittelpreise die Lebenslageder Bevölkerung verschlech-tert und die Hungerproblema-tik verschärft. Daraufhin riefdie Regierung gemeinsam miteiner Nichtregierungsorgani-sation das Projekt „Sackgär-ten“ ins Leben: Reissäckewerden mit Erde gefüllt, umdarin Gemüse wie Paprika,Spinat, Frühlingszwiebeln undKohl anzubauen. Dieses ba-siert auf einer Mikrostrategiedes Eigenanbaus, die den Vor-teil hat, dass nur eine geringeFläche bei maximaler Nutzungbenötigt wird.

Auch in Deutschland lässtsich Urban Gardening beob-achten. Im Hamburger Stadt-teil Wilhelmsburg kämpfenseit 2006 kleinstädtische Gärt-ner gegen die lokale, kommu-nale Politik an, die sich der

Bedeutung der Gärten nichtbewusst zu sein scheint. Hierentstehen „Interkulturelle Gär-ten“ in Form von Hochbeeten.Dies führt zu einer Rückbesin-nung auf die eigenen, vielleichtlängst vergessenen Kompeten-zen, schafft Nähe zur Naturund trägt zum interkulturellenAustausch bei. Nach Lemkeleisten stadtlandwirtschaftlicheAktivitäten einen wichtigenBeitrag für eine nachhaltigeund demokratische Stadtent-wicklung. Sie beleben den öf-fentlichen Raum und tragen zueinem Strukturwandel in derÖffentlichkeit bei. Dadurchfindet eine Redefinition vonStadt und Land statt.

Als Ergebnis der Konfe-renz lässt sich festhalten, dasses schwierig ist, eine für Städ-te spezifische Esskultur aus -zumachen. UnterschiedlicheDefinitionen von Eigenlogikführten auch zu verschiedenenBlickrichtungen in der Diskus-sion. Städte sind dabei immereinem Wandel unterworfen,der sich auch auf die Esskul-tur auswirkt. Die mit der zu-nehmenden Globalisierungverbundenen Zu- und Ab-wanderungen, die fortschrei-tende Urbanisierung sowie die

Veränderungen im internatio-nalen Handel spielen für dieEsskultur in Städten einewichtige Rolle. Auch Bewe-gungen wie das Urban Garde-ning und die Forderung nachRegionalität üben einen inner-städtischen Einfluss aus. Infol-gedessen ist Eigenlogik keinstatischer Begriff, sondern hateinen dynamischen Charakter.Untersuchungen zu städtespe-zifischer Esskultur könnendemnach immer nur einentemporären Zustand für eineStadt abbilden und müssenkontinuierlich um neue Ergeb-nisse erweitert werden. DieKonferenz verdeutlichte dieVielfalt der Ansätze und diemethodischen Schwierigkeiteneiner systematischen Erfassungeiner städtespezifischen Esskul-tur. Gleichzeitig resultiert ausder Fragestellung, ob Städte ei-nen spezifischen Geschmack,eine eigensinnige Identität be-sitzen, ein unglaublich span-nendes Forschungsfeld. Es giltabzuwarten, wohin die Reiseder Stadtforschung, insbeson-dere mit Blick auf die städte-spezifische Esskultur, geht.

Kristin Pelz, M. Sc. PHN, Dr. Rainer Wild-Stiftung,

Heidelberg

42 IAKE. Mitteilungen, Heft 19Berichte

Terminankündigung

16. Heidelberger Ernährungsforumin Kooperation mit der Tutzinger Zeitakademie

Tempodiät – Essen in der Nonstopgesellschaft19. bis 20. September 2012

Evangelische Akademie Tutzing

Zeitdruck erzeugt auch Ess-Stress. Immer mehr Mahlzeiten werden durch Snacks ersetzt. Immer weniger Menschen kochenselbst, weil ihnen die Zeit dafür fehlt. Wie viel Zeit und welche Rhythmen benötigt eine für die Zeitkultur gesunde Esskultur?Das detaillierte Programm befindet sich noch in Vorbereitung.

Page 45: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

Food Literacy beschreibt dieFähigkeit den Ernährungsalltagselbstbestimmt, verantwor-tungsbewusst und genussvollzu gestalten. Food Literacywill nicht primär „gesunde Er-nährung“ thematisieren, son-dern das Thema „Essen“ alsVehikel nutzen, um kulturelleund soziale Unterschiede zuüberwinden, Gruppenprozes-se positiv zu gestalten, fachbe-zogene Inhalte zu vermittelnund dabei das Bewusstsein fürErnährung fördern.

Das EU-Projekt Food Lite-racy, ein internationales Ko-operationsprojekt, das von2004 bis 2007 im Rahmen desSOCRATES-GRUNDTVIG-Programms der EU-Kommis-sion gefördert wurde, wirkte alsInitialzündung, um „Essen undTrinken“ als Querschnittsthemain der Erwachsenenbildung zuverankern. Für den Einsatz inder Erwachsenenbildung ent-stand 2006 ein Handbuch miteiner Sammlung von Übun-gen, das vom aid infodienst2010 komplett überarbeitetund erweitert wurde. DieseÜbungen wurden in verschie-denen Pilotprojekten getestet,wobei sich bestätigte, dass derAnsatz von Food Literacy ins-besondere für bildungsferneGruppen wie Migranten undsozial Benachteiligte geeignetist. Im Rahmen eines Work -shops in der Dr. Rainer Wild-Stiftung wurden im Juni 2008Food Literacy Materialienüberprüft, Zielgruppen defi-niert und der Grundstein fürein Train-the-Trainer Konzeptgelegt, das bestmöglich an dieBedürfnisse der Erwachsenen-bildung angepasst werden soll-te. Anhand der Ergebnisse desWorkshops wurden die Mate-

rialien überprüft, erweitert undstehen jetzt Kursleitenden alsinnovativer Methodenkofferzur Verfügung.

Mit dem Ziel, Food Literacynoch stärker in der Erwachse-nenbildung zu etablieren, ludender aid infodienst, die Dr. Rai-ner Wild-Stiftung und dasDeutsche Institut für Erwach-senenbildung am 20. Oktoberins Spenerhaus in Frankfurt amMain ein. Dr. Gesa Schönber-ger von der Dr. Rainer Wild-Stiftung sowie Dr. MargaretaBüning-Fesel vom aid info-dienst begrüßten leitende Mit-arbeiter und Vertreter von (Er-wachsenen-)Bildungseinrich-tungen, Landesverbänden undHochschulen. Die Teilnehmerhatten die Chance anhand vonalltagsnahen Beispielen aus derPraxis das Bildungskonzeptkennen zu lernen und zu dis -kutieren.

Eingesetzt wird Food Litera-cy beispielsweise in Alphabeti-sierungskursen. In Deutschlandgibt es 7,5 Millionen Analpha-beten, die durch dieses Handi-cap nicht in der Lage sind,ausreichend am gesellschaft-lichen Leben teilzunehmen.„Essen ist eines der wenigenThemen, über das alle spre-chen können und zu dem alleetwas zu sagen haben“, ver-deutlichte Ines Wilhemi vonder Volkshochschule Frankfurt.Weitere Vorteile seien, dass beiden Übungen auf unterschied-lichem Niveau gearbeitet wer-den könne, obendrein das all-tagsnahe Thema die Teilnehmermotiviere und somit den Lern -erfolg verbessere.

Ähnliche Erfahrungenmachte auch die Sprachlehre-rin Dr. Nicolette Schusteraus Bad Dürkheim bei einem

Modellprojekt zur Erprobungeines Kurskonzeptes mit Mi-grantinnen. „Das Thema Es-sen und Gesundheit ist immerein verbindendes Thema, überdas alle sprechen wollen.“ DieAnwendung der Übungenzum Thema Ernährung führeim Laufe des Kurses zu einerStärkung des Selbstwertge-fühls der Teilnehmerinnen, ei-ner deutlichen Aktivierung derSpracherweiterungsprozesseund einer Übernahme der an-gewandten Formulierungen.

Ihre Erfahrungen mit FoodLiteracy in der Bildungsarbeitmit älteren Menschen schil-derte Stefanie Thees von derHochschule Coburg. Sie ent-wickelte Food Literacy-Übun-gen mithilfe eines mehrstufi-gen, partizipativen Verfahrensfür bestehende Sprachkurse. DieÜbungen mit den ThemenFertiggerichte, Vielfalt erleben,Trinkverhalten und Kreationneuer Gerichte sind heute imFood Literacy Handbuch desaid infodienst zu finden. Theeskam zu dem Schluss, dass dieÜbungen die Teilnehmer dazubringen, das eigene Ernäh-rungsverhalten zu reflektieren,das Bewusstsein für eine aus-gewogene Ernährung fördern,Ernährungsmündigkeit schaf-fen und einen Beitrag zur po-sitiven Gestaltung von Grup-penprozessen leisten.

Im zweiten Teil der Konfe-renz bearbeiteten die Teilneh-mer in vier Workshops ver-schiedene Kriterien, um Nut-zen und Chancen von FoodLiteracy in der Erwachsenen-bildung zu konkretisieren. EinWorkshop thematisierte diewissenschaftliche Evaluationdes Bildungsprogrammes ineinem Forschungsprojekt, in

dem z.B. Sprachkurse evalu-iert und der Erfolg von FoodLiteracy anhand von Befra-gungen der Teilnehmer ge-messen werden könnte. In ei-nem weiteren Workshop ginges um die Frage, welche Vor-aussetzungen Kursleiter fürdie praktische Anwendungvon Food Literacy benötigen.Als wünschenswerte Bedin-gungen erarbeitete die Gruppez.B. Kursräume mit Koch-möglichkeiten, Methodenkof-fer, regionale Fortbildungen,gute Sozialkompetenz derKursleiter sowie der Einbezugvon Exkursionen und Koope-rationen. Ein dritter Work -shop beschäftigte sich mit denKriterien der Etablierung vonFood Literacy. Dafür müssteder Bekanntheitsgrad gesteigertund die Methode flächende -ckend in Bildungsangebote wieAlphabetisierungs-, Sprach-und Ernährungskurse inte-griert werden. Die Teilnehmereines vierten Workshops be-fassten sich mit den Verbesse-rungen der Kommunikationüber Food Literacy. Es wurdevorgeschlagen, Entscheidungs-träger der Erwachsenenbil-dung gezielt anzusprechen, ei-nen Schirmherren für dieKampagne zu suchen und sys -tematisch darauf aufmerksamzu machen.

Die Tagung zeigte, dass er-ste wichtige Schritte getansind. Um das Bildungskonzeptallerdings zukünftig noch stär-ker zu etablieren, sind weitereMaßnahmen nötig.

Weitere Informationen findensich unter www.food-literacy.de.

Eva-Maria Baron M.Sc. troph.,Dr. Rainer Wild-Stiftung,

Heidelberg

„Food Literacy – Perspektiven für die Erwachsenenbildung“20. Oktober 2011, Frankfurt am Main

IAKE. Mitteilungen, Heft 19 43Berichte

Page 46: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

Der Geschmack eines Le-bensmittels bestimmt maß-geblich mit, ob es gekauft undgegessen wird oder nicht. Ge-schmack bedeutet dabei abernicht nur schmecken im phy -siologischen Sinn; Geschmackist ein komplexes Zusammen-spiel aller Sinne, der durchviele Faktoren beeinflusst undgeprägt wird. Rund 120 Teil-nehmer folgten der Einladungder Dr. Rainer Wild-Stiftungzum 15. Heidelberger Ernäh-rungsforum, das sich dem Ge-schmacksbegriff aus ganz un -terschiedlichen Perspektivennäherte. Das Forum fand in Ko-operation mit der Hochschulefür Angewandte Wissenschaf-ten (HAW) Hamburg statt.

Sinne und Sensorik

Die Sensorik ist eine relativjunge Wissenschaftsdisziplin,die sich mit der Erfassung dermenschlichen Sinneswahrneh-mung beschäftigt, erläuterteProf. Dr. Mechthild Busch-Stockfisch von der HAWHamburg. Zu unterscheidenseien zwei Bereiche: Bei deranalytischen Sensorik werdengeschulte Prüfpersonen einge-setzt, welche die Eigenschafteneines Produktes wie Geruch(blumig, würzig etc.), Ge-schmack (salzig, bitter etc.)oder Mundgefühl (cremig,knusperig) möglichst genauund objektiv beschreiben sollen.Für die hedonische Sensorik,auch Konsumentensensorikgenannt, werden bewusst un-geschulte Personen herange-zogen, um Informationen überdie Akzeptanz oder Präferenzeines Produktes zu erhalten.Die gewonnenen Erkenntnissedienen z.B. der Marktforschungoder der Produktentwicklung.Wichtig sei, die Sensorik im-mer interdisziplinär zu be-trachten – beginnend bei Fra-

gestellungen aus der Lebens-mittel- und Ernährungswissen-schaft bis hin zur Psychologieund Verhaltensforschung.

Zur Psychologie des Geschmacks

Die Sensorik muss immer dieBesonderheiten des Menschenberücksichtigen, das zeigte der

bei rotem und blauem Lichtbesser als bei grünem). Aberauch „innere“ Faktoren wieEmotionen und Wissen spieleneine Rolle: Informationen, diemit bestimmten Emotionenverbunden sind (Angaben zurMarke oder zum Verarbeitungs-grad eines Lebensmittels), kön-nen beachtliche Wirkung dar-auf haben, ob wir ein Produkt

mögen oder nicht. Und je stär-ker eine Produktbeschreibungpositive Bilder erzeuge (z.B.„Homemade“ Pudding), umsobesser werde das Produkt ge-schmacklich beurteilt.

Schmecken will gelernt sein

Im Alltag prüfen wir Lebens-mittel mit allen Sinnen, bevor

wir sie essen, erläuterte ImkeMatullat vom ttz Bremerha-ven. Denn Fehler in der Aus-wahl können im schlimmstenFall tödlich enden. Unser Ge-schmack verändere sich dabeiim Laufe des Lebens: Säuglin-ge haben eine angeboreneVorliebe für Süß und Umamiund eine angeborene Aver-sion gegen Bitter und Sauer.Die Vorliebe für Süß bleibebestehen; die Aversion gegen-über Sauer nehme dagegen imAlter von fünf bis neun Jahrenab. Grundsätzlich haben Kin-der eine geringere Empfind-lichkeit gegenüber bestimmtenGeschmacksarten als Erwach-sene. Das gustatorische Systemund die kognitiven Fähigkei-ten seien noch nicht voll ent-wickelt – Kinder müssen dasfeine Schmecken erst lernen.Aber auch im Erwachsenenal-ter gebe es Veränderungen inder Geschmackswahrnehmung,z.B. durch physiologischen undpsychologischen Stress oderauch altersbedingt durch dieAbnahme der Sehkraft oderdie Degeneration der Riech-zellen.

Alles geerbt?

Unser Geschmackssinn beein-flusst maßgeblich mit, welcheLebensmittel wir auswählen,zeigte der Vortrag von Prof.Dr. Wolfgang Meyerhof vomDIfE, Potsdam-Rehbrücke.Basierend auf Erfahrungenmit bestimmten Nahrungsmit-teln entstehe ein Geschmacks-erkennungsgedächtnis, das fürNahrungspräferenzen und -aversionen verantwortlich sei.Als Beispiel nannte Meyerhofdie hereditäre Fructoseintole-ranz, die häufig mit einerAversion gegenüber Süßemeinhergehe. Interessant seienauch die genetisch bedingtenAbweichungen in der Ge-

Käsebrot mit Marmelade? Geschmack ist mehr als schmecken15. Heidelberger Ernährungsforum, 28.–29. September 2011, Heidelberg

44 IAKE. Mitteilungen, Heft 19Berichte

Vortrag von Ass. Prof. DIDr. Klaus Dürrschmid vonder Universität für BodenkulturWien. Vor allem die hedonischeBewertung eines Produkteswerde immer auch von nicht-geschmacklichen Faktoren be-einflusst. Dazu zählen zum ei-nen Umweltfaktoren wie dasAmbiente oder die Lichtverhält-nisse (derselbe Wein schmeckt

Page 47: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

schmackswahrnehmung. So ge-be es Menschen, die bestimmteBitterstoffe besser schmeckenals andere (Taster und Non-Taster). Bitterrezeptoren wie-sen beim Menschen eine gro-ße genetische Variabilität auf;eine identische Genausstattungsei selten. Was das genau fürVorlieben bzw. Abneigungengegenüber bitteren Lebens-mitteln bedeute, sei noch nichtgeklärt. Die genetische Varia-bilität bestimme aber den Ak-zeptanzrahmen, innerhalb des-sen die Nahrungsmittelauswahlausgestaltet werde. Bereitskleine Empfindlichkeitsunter-schiede können Konsequen-zen für die Ernährung und dieGesundheit haben.

Zeitlicher Verlauf des Geschmacks

Bitterstoffe sind, so Prof. Dr.Ulrich Fischer vom DLRRheinpfalz, Neustadt, auch fürWeinproduzenten und Wein-liebhaber von besonderer Be-deutung. Grundsätzlich sei derBittergeschmack bei der Pro-duktentwicklung unerwünscht,da dieser zwar erlernt und ak-zeptiert sei, grundsätzlich aberabgelehnt werde. Interessantsei aber nicht nur der Ge-schmack an sich, sondern auchdessen zeitlicher Verlauf: Denersten Geschmackseindruckim vorderen Mund- und Zun-genbereich bezeichne manbeim Wein auch als „Attacke“.Ihm folge der Eindruck aufder Zungenmitte und schließ-lich der Abgang bzw. Nach-hall. Dieser stehe für den Ge-schmackseindruck, den derWein während und nach demHerunterschlucken hinterlässt.Zeitabhängige Untersuchungs-methoden können neue undrelevante Informationen überden Verlauf von sensorischenWahrnehmungen im Mundliefern. Denn es sei nicht nurwichtig zu erfahren, dass et-was z.B. bitter schmeckt, son-dern auch, in welcher „Ge-schmacksphase“.

Geschmacksvorliebe fettig

Der Frage, warum wir fettrei-che Lebensmittel so sehr mö-gen bzw. wie wir Fett wahrneh-men, ging René Nachtsheimvon der Universität Gießennach. Ernährungsphysiologischliefern Fette Energie und sindTräger von Vitaminen und es-sentiellen Fettsäuren. 2011konnten Wissenschaftler auchbeim Menschen einen Fettre-zeptor nachweisen, der mögli-cherweise für die „Lust aufFettes“ mit verantwortlich sei.Unsere Geschmacksvorliebefür Fett sei aber auch auf dieBeschaffenheit fetthaltiger Nah-rung zurückzuführen, sprichauf das Mundgefühl (Fließfä-

Von der Nase ins Gehirn

Anders als beim Geschmackist die Bewertung von Düftengrundsätzlich nicht genetischdeterminiert, sondern erlerntund durch den Kulturkreisund Erfahrungen geprägt, er-läuterte Prof. Dr. Dr. Dr.Hanns Hatt von der Univer-sität Bochum. Zur Duftwahr-nehmung stehen dem Men-schen rund 350 Typen vonRiechrezeptoren zur Verfü-gung, die sich nicht nur in denRiechzellen der Nase, sondernauch in anderen Körperzellenbefinden (z.B. Prostata, Ma-gen-Darmtrakt). Diese Zahlreiche aus, um tausende Gerü-che zu unterscheiden, obwohl

nen Aromen einer Speise aus.Eine gestörte Geruchswahr-nehmung oder ein völligerVerlust des Geruchssinns (An-osmie) führe deshalb zu einerdeutlichen Beeinträchtigungder Geschmacksempfindungund Lebensqualität.

Wie klingt sauer?

Für unser Geschmacksemp-finden spielen auch akustischeReize eine Rolle – denn waswären Chips ohne den Crunch?Dass Geschmack aber aucheinen ganz eigenen Klang be-sitzen kann, zeigte RainerHirt von audity, einer Agen-tur für Audio Branding undAudio Interaction in Konstanzmit seiner innovativen Vorfüh-rung. Mithilfe einer Studie ha-be die Agentur verschiedeneGeschmacksrichtungen vonsüß-sauer über sauer bis bit-ter-sauer bestimmten Tönenzugeordnet. Entstanden seidabei der „Sound of Citrus“.Im Vergleich zu den eher„sanften Tönen der Vanille“konnten die Teilnehmer desForums bei der kühlen, klarenMelodie mit aufsteigenderTonfolge durchaus den Biss ineine Zitrone akustisch nach-vollziehen. Zugrunde liegendiesem Ansatz intermodaleAnalogien, d.h. die bewussteZuordnung unterschiedlicherSinnesdimensionen wie z.B.Ton und Farbe (hoher Ton –helle Farbe). Die Ergebnissesolcher Studien seien vor allemfür Marketingmaßnahmenhilfreich, um das sensorischeErlebnis optimal dem entspre-chenden Produkt anzupassen.

Warum hat die Semmel 5 Teile?

Das Bedürfnis, Nahrung zubearbeiten und zu gestalten,sei so alt wie die Zivilisation,erläuterten Sonja Stummererund Martin Hablesreiter vonhoney & bunny productions,Wien. Zum einen steigere dasden Genuss, denn Konsistenz

IAKE. Mitteilungen, Heft 19 45Berichte

Prof. Dr. Wolfgang Meyerhof

higkeit, Reibung). Außerdemverstärke Fett das Aroma. EineFettreduktion habe häufig gro-ße geschmackliche Auswir-kungen: Je weniger Fett, umsobitterer werden z.B. Eiscreme,Pudding und Käse. Außerdemkönnen texturelle Einflüssedie geschmackliche und retro-nasale Wahrnehmung beein-flussen. Praktische Relevanzhabe die Forschung zur Fett-wahrnehmung zum einen fürdie Produktentwicklung, zumanderen aber auch für die Er-nährungsberatung: Nicht alleProdukte können ohne „sen-sorischen Verlust“ gegen fett-reduzierte ausgetauscht werden.Fettreduktion sei immer auchein Gewöhnungsprozess.

die Rezeptoren auf jeweils nureinen bestimmten Duftstoffansprechen. Die Vielfalt wahr-nehmbarer Düfte erklärteHatt damit, dass ein Duft ausverschiedenen Komponentenbestehe (Kaffeeduft z.B. aus200). Diese werden von denRiechzellen zunächst einzelnwahrgenommen und im Ge-hirn kombiniert, identifiziertund – häufig zusammen mitanderen Wahrnehmungen –gespeichert. Deshalb könnenbestimmte Gerüche Erinnerun-gen oder Emotionen wecken.Auch für das Essen sei der Ge-ruch wichtig, denn etwa 80%des empfundenen Geschmacksmachen in Wirklichkeit die vomGeruchssinn wahrgenomme-

Page 48: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

Sensorik – die Wissenschaft vomEinsatz menschlicher Sinnes-organe zu Prüf- und Mess-zwecken – ist eine noch relativjunge Wissenschaft. Frühestensseit den 1970er Jahren kannman von einer zunehmenden„Professionalisierung“ der Me-thoden und einem zunehmen-den Interesse der Nahrungs-und Genussmittelindustrie, aberauch der Forschung und Ent-wicklung an den sensorischenErkenntnissen sprechen. In-zwischen ist das Forschungs-feld der Sensorik multidiszipli-när und vereint physiologischeund psychologische Erkennt-nisse u.a. auch mit sozio-kul-turellen Faktoren.

Um die verschiedenen Ak-teure und Disziplinen – neben

der Industrie auch Forschungs-einrichtungen, Hochschulen,Marktforscher u. a. – inDeutschland stärker zu ver-netzen und um auch zukünftigdie sensorischen Methodenweiterzuentwickeln, wurde be-reits Ende 2010 die gemeinnüt-zige Deutsche Gesellschaft fürSensorik (DGSens) gegrün-det. Die Gesellschaft fördertWissenschaft und Forschungsowie die Weiterentwicklungder sensorischen Analyse undKonsumentenforschung. DasWissen über die Sensorik sollin der Öffentlichkeit und derFachwelt verbreitet werden.Außerdem werden die Mit-glieder der DGSens aus- undweitergebildet. Hierzu werdenWorkshops, Seminare und

Vorträge abgehalten. ErsteKooperationen im internatio-nalen Forschungsfeld sind be-reits initiiert.

Die erste Jahreshauptver-sammlung der DGSens fandam 11. November 2011 in Ham-burg statt. Der Einladung vonFrau Professorin MechthildBusch-Stockfisch, Vorsitzendeder DGSens, folgten etwa 40Mitglieder. Neben inhaltlicherInformation und Weiterbildung(Vorträge zu den Themen:„Sensorik – Eine interdiszipli-näre Wissenschaft im Auf-bruch“, „Sensorische Fähigkei-ten und Ernährungsverhalten“,„Sensory Management“,„Multisensuale Verpackungs-gestaltung“) standen vor allemdie weitere Ausrichtung der

DGSens, ihre Kooperationensowie die Gestaltung der Home-page zur Diskussion.

Eine Mitgliedschaft in derDGSens steht auf Antraggegenüber dem Vorstand jedervolljährigen natürlichen oderjuristischen Person zu, die aufdem Gebiet der Sensorik oderverwandter Disziplinen tätigist oder langjährig war. Weite-re Informationen erhalten Sieunter: Deutsche Gesellschaftfür Sensorik (DGSens) e.V.,Lohbrügger Kirchstraße 65,21033 Hamburg, [email protected], www.dgsens.de.

Dipl.oec. troph. Karolin Höhl,Dr. Rainer Wild-Stiftung,

Heidelberg

Deutsche Gesellschaft für Sensorik fördert die interdisziplinäre Weiterentwicklung der sensorischen AnalyseErste Jahreshauptversammlung am 11. November 2011 in Hamburg

46 IAKE. Mitteilungen, Heft 19Berichte

und Textur machen rund 60%des Lustempfindens aus. Zumanderen müsse Essen auch„funktionieren“, d.h. eine Reihevon Bedürfnissen befriedigen,die nicht immer offensichtlichsind: Essen muss transport-und lagerfähig sein, portionier-bar, Take-away-tauglich odereinfach zubereitbar. MancheNudelsorten funktionieren bei-spielsweise wie Löffel, indemsie durch ihre Form möglichstviel Soße aufnehmen können.Die Lebensmittelgestaltung ha-be aber auch kulturelle Bedeu-tung: Eines der ältesten Beispie-le seien die Opferbrote, die bisheute beliebt seien (z.B. Hefe-zopf). Food Design ist nachAnsicht von Stummerer undHablesreiter deshalb auch nichteinfach nur ein Teilbereich vonIndustriedesign, sondern ein

menschliches Bedürfnis undAusdruck von Zivilisation.

Zur Bedeutung des gutenGeschmacks

Im Rahmen des Forums stell-ten Dr. Lisa Hahn und Karo-lin Höhl von der Dr. RainerWild-Stiftung erste Ergebnisseeiner eigenen repräsentativenStudie vor. Laut vieler Markt-forschungsstudien ist der Ge-schmack für Verbraucher(sehr) wichtig. Im Alltag müs-sen aber scheinbar immerwieder Kompromisse einge-gangen werden. Das bestätig-ten die Ergebnisse der Studie,denn 81% der Befragten essenLebensmittel und Speisen, dieihnen nicht schmecken. Diesewerden zumeist außer Haus(in Restaurants, Kantinen oder

Imbissen) verzehrt (45%) undüberwiegend von gewerblichenHerstellern oder professionel-len Köchen zubereitet (57%).Besonders überraschend war,dass 73% der Befragten weiteressen, auch wenn es ihnen nichtschmeckt, 40% essen sogar(fast) die gesamte Mahlzeit auf.Um die tatsächliche Relevanzvon Geschmack aufzudeckenund dem Essen im Alltag einStück näher zu kommen, sol-len im Fortgang der Studie dieMotive untersucht werden.

Die Tagung hat gezeigt, dassunser Geschmack von vielenEinflussgrößen bestimmt wird:Kulturelle Faktoren, individuel-le Befindlichkeiten und unsereGene spielen ebenso eine Rol-le wie der Preis oder die Mar-ke eines Produktes. Auch die

Medien und zahlreiche andereMeinungsbildner beeinflussenunsere Geschmacksvorliebenund unser Essverhalten erheb-lich – im positiven wie im ne-gativen Sinn. „Außerdem istGeschmack eine Mann-schaftssportart und nur dasTeam aller fünf Sinne kann dieganze Wahrheit schmecken“,fasste Karolin Höhl zusam-men. Im Alltag müsse derMensch immer wieder aufsNeue abwägen, was im wahr-sten Sinne des Wortes „Sinnmacht“. Denn Geschmack istauch etwas sehr Persönliches,das es gilt, für sich selbst zuentdecken. Ein Tagungsbandmit den überarbeiteten Vorträ-gen ist für Mitte 2012 geplant.

Nicole Schmitt,Dr. Rainer Wild-Stiftung,

Heidelberg

Page 49: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

ADAMS, Jean /TYRRELL, Rachel /WHITE, Martin: Do te -levision food advertisements portray advertised foods in a‚healthy‘ food context?, British Journal of Nutrition 105,2011, 810–815.

ADLWARTH, Wolfgang /RECKTENWALD, Heike: Was sinduns Essen und Trinken wert?, Ernährungs-Umschau 57,2010, 605–607.

ALEXY, Ute /LIBUDA, Lars /MERSMANN, Sabine /KER-STING, Mathilde: Convenience foods in children’s diet andassociation with dietary quality and body weight status, Eu-ropean Journal of Clinical Nutrition 65, 2011, 160–166.

AUSTEL, Anja /MICKELAT, Simone /HESEKER, Helmut /ELLROTT, Thomas: Ernährungswissen in Deutschland. Ei-ne repräsentative Studie, Ernährungs-Umschau 58, 2011,304–311.

BACKER de, Charlotte J.S.: Grandma’s kitchen. An evolutio-nary perspective on gender differences in meal preparations,Appetite 56, 2011, 525.

BÁNÁTI, Diána: Consumer response to food scandals and scares,Trends in Food Science & Technology 22, 2011, 56–60.

BARLÖSIUS, Eva: Soziologie des Essens. Eine sozial- und kul-turwissenschaftliche Einführung in die Ernährungsfor-schung, 2.Aufl., München 2011.

BARON, Kelly G. /REID, Kathryn J. /KERN, Andrew S. /ZEE, Phyllis C.: Role of sleep timing in caloric intake andBMI, Obesity 19, 2011, 1374–1381.

BARTSCH, Silke: Jugendesskultur. Jugendliches Essverhaltenim häuslichen und außerhäuslichen Umfeld, Ernährungs-Umschau 57 (8), 2010, 432–438.

BELLOWS, Anne C. /LEMKE, Stefanie / SCHERBAUM,Veronika: Das Recht auf Nahrung. Historischer Rückblickals Vorausschau zur Lösung der Ernährungskrise, Ernäh-rungs-Umschau 58, 2011, 66–72.

BENDER, Ute: „Aber bitte mit Unterhaltung“ – Bildungsfern-sehen aus der TV-Küche?, merz medien und erziehung 55,2011, 58–64.

BENDER, Ute: Ernährungskompetenz von Jugendlichen. Eineexplorative Studie an weiterführenden Schulen, Ernährungim Fokus 10, 2010, 196–210.

BENER, Abdulbari /AL-MAHDI, Huda S. /ALI, Awab I. /AL-NUFAL, Mohammed /VACHHANI, Pankit J. /TEW-FIK, Ihab: Obesity and low vision as a result of excessiveInternet use and television viewing, International Journal ofFood Sciences and Nutrition 62, 2011, 60–62.

BENSLEY, Robert J. /ANDERSON, Judith V. /BRUSK,John J. /MERCER, Nelda /RIVAS, Jason: Impact of Inter-net vs Traditional Special Supplemental Nutrition Programfor Women, Infants, and Children Nutrition Education onFruit and Vegetable Intake, Journal of the American Diete-tic Association 111, 2011, 749–755.

BENTON, David: The influence of dietary status on the cogni-tive performance of children. Molecular Nutrition & FoodResearch 54 (4), 2010, 457–470.

BEVANS, Katherine B. / SANCHEZ, Betty /TENERALLI,Rachel /FORREST, Christopher B.: Children’s Eating Be-

havior: The Importance of Nutrition Standards for Foods inSchools, Journal of School Health 81, 2011, 424–429.

BIARS, Rachel: Not for your mother’s kitchen. A general over-view of cookbooks written for men, Appetite 56, 2011, 520.

BLOHM, Manfred /GŁĘBOCKA, Alicja /HEIL, Christine(Hg.): Body-Images. Sozio-kulturelle Aspekte des Körpers,Flensburg 2010.

BOBROW-STRAIN, Aaron: Making White Bread by theBomb’s Early Light: Anxiety, Abundance, and IndustrialFood Power in the Early Cold War, Food and Foodways 19,2011, 74–97.

BÖHM, Justus / SPILLER, Achim /COSSEL von, Cosima:Die (neue) Lust am Discount? – Einkaufsmotive und Kauf-barrieren, Ernährungs-Umschau 57, 2010, 598–604.

BÖHRINGER, Stefanie /NOWITZKI-GRIMM, Susanne /BODE, Christiane /GRIMM, Peter: Analyse der Verpfle-gungssituation an Schulen in Baden-Württemberg als Grund-lage für die Weiterentwicklung und Validierung von Strategienzur Optimierung der Ernährung in schulischen Einrichtun-gen, Aktuelle Ernährungsmedizin 36, 2011, 241–247.

BØLLING JOHANSEN, Susanne /NAES, Tormod /HERS -LETH, Margrethe: Motivation for choice and healthinessperception of calorie-reduced dairy products. A cross-culturalstudy, Appetite 56, 2011, 15–24.

BOOTH, David A. /BOOTH, Phil: Targeting cultural changessupportive of the healthiest lifestyle patterns. A biosocialevidence-base for prevention of obesity, Appetite 56, 2011,210–221.

BOUTELLE, Kerri N. /CAFRI, Guy /CROW, Scott J.: Pa-rent-Only Treatment for Childhood Obesity: A RandomizedControlled Trial, Obesity 19, 2011, 574–580.

BRENNAN, Thomas E. (Hg.): Public Drinking in the EarlyModern World: Voices from the Tavern, 1500–1800, Lon-don 2011.

BRIESEN, Detlef: Das gesunde Leben. Ernährung und Ge-sundheit seit dem 18. Jahrhundert, Frankfurt a.M. / NewYork 2010.

BROMBACH, Christine: Soziale Dimensionen des Ernäh-rungsverhalten, Ernährungs-Umschau 58, 2011, 318–324.

BROWN, Kerry A. /TIMOIJEVIC, Lada /BARNETT, Julie /SHEPHERD, Richard /LÄHTEENMÄKI, Liisa /RAATS,Monique M.: A review of consumer awareness, understan-ding and use of food-based dietary guidelines, British Jour-nal of Nutrition 106, 2011, 15–26.

BUGGE, Annechen Bahr: Lovin’ It?: A Study of Youth and theCulture of Fast Food, Food, Culture and Society, Interna-tional Journal of Multidisciplinary Research 14, 2011, 71–89.

BURKE, Lora E. /CONROY, Molly B. / SEREIKA, Susan M. /ELCI, Okan U./STYN, Mindi A./ACHARYA, Sushama D./SEVICK, Mary A. /EWING, Linda J. /GLANZ, Karen:The Effect of Electronic Self-Monitoring on Weight Lossand Dietary Intake: A Randomized Behavioral Weight LossTrial, Obesity 19, 2011, 338–344.

CALITRI, Raff / POTHOS, Emmanuel M. /TAPPER, Katy /BRUNSTROM, Jeffrey M. /ROGERS, Peter J.: Cognitive

Literaturhinweise

Nachfolgend eine Auswahl an aktuellen Publikationen:

IAKE. Mitteilungen, Heft 19 47Literatur

Page 50: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

Biases to Healthy and Unhealthy Food Words Predict Changein BMI, Obesity 18, 2010, 2282–2287.

CHAN, Jeffrey C. / SOBAL, Jeffery: Family meals and bodyweight. Analysis of multiple family members in family units,Appetite 57, 2011, 517–524.

CHANG, Mei-Wei /NITZKE, Susan /BROWN, Roger /BAU-MANN, Linda: Predictors of Low-income, Obese Mothers’Use of Healthful Weight Management Behaviors, Journal ofNutrition Education and Behavior 43, 2011, 87–95.

COOGAN, Patricia F. /COZIER, Yvette C. /KRISHNAN,Supriya /WISE, Lauren A. /ADAMS-CAMPBELL, LucileL. /ROSENBERG, Lynn /PALMER, Julie R.: Neighbor-hood Socioeconomic Status in Relation to 10-Year WeightGain in the Black Women’s Health Study, Obesity 18, 2010,2064–2065.

COPPINS, D. F. /MARGETTS, Barrie /FA, J. L. /BROWN,Monique /GARRETT, Francisco /HUELIN, S.: Effective-ness of a multi-disciplinary family-based programme for treating childhood obesity (The Family Project), EuropeanJournal of Clinical Nutrition 65, 2011, 903–909.

CRONIN, James M. /McCARTHY, Mary B.: Fast food andfast games: An ethnographic exploration of food consump-tion complexity among the videogames subculture, BritishFood Journal 113, 2011, 720–743.

DARIAN, Jean C. /TUCCI, Louis: Perceived health benefitsand food purchasing decisions, Journal of Consumer Mar-keting 28, 2011, 421–428.

DEAN, Wesley R. / SHARKEY, Joseph R. /COSGRIFF-HERNÁNDEZ, Kevin-Khristián /MARTINEZ, AmandaR. /RIBARDO, Julie /DIAZ-PUENTES, Carolina: „I CanSay that We Were Healthy and Unhealthy“: Food Choiceand the Reinvention of Tradition, Food, Culture and Socie-ty, International Journal of Multidisciplinary Research 13,2010, 573–594.

DERNDORFER, Eva: Genuss. Über Epikur, Erdmandeln undExperimente beim Essen, Wien 2011.

DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR ERNÄHRUNG E.V:DGE-Qualitätsstandard für die Schulverpflegung, 3.Aufl.,Bonn 2011.

DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR ERNÄHRUNG E.V:DGE-Qualitätsstandard für die Betriebsverpflegung, 3.Aufl.,Bonn 2011.

DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR ERNÄHRUNG E.V.:DGE-Qualitätsstandard für die Verpflegung in Tageseinrich-tungen für Kinder, 3.Aufl., Bonn 2011.

DRISCOLL, Ira /ESPELAND, Mark A. /WASSERTHEIL-SMOLLER, Sylvia /GAUSSOIN, Sarah A. /DING, Jing -zhong /GRANEK, Iris A. /OCKENE, Judith K. /PHIL-LIPS, Lawrence S. /YAFFE, Kristine /RESNICK, SusanM.: Weight Change and Cognitive Function: Findings Fromthe Women’s Health Initiative Study of Cognitive Aging,Obesity 19, 2011, 1595–1600.

DUBOIS, Lise /WANLESS, Alissa: Self-regulation by industryof food marketing is having little impact during children’spreferred television, International Journal of Pediatric Obe -sity 6, 2011, 401–408.

DULIN KEITA, Akilah /CASAZZA, Krista /THOMAS, Oli-via /FERNANDEZ, Jose R.: Neighborhood perceptionsaffect dietary behaviors and diet quality, Journal of NutritionEducation and Behavior 43, 2011, 244–250.

DÜRR, Ingolf /KRAUSE, Dietmar /NITTNER, Gerolf: Kaf-fee: Wirkungen auf die Gesundheit. Was sagt die Wissen-schaft?, 2.Aufl., Marburg 2010.

EBENEGGER, Vincent/MARQUES-VIDAL, Pedro/NYDEG-GER, Andreas / LAIMBACHER, Josef /NIEDERER,Iris /BÜRGI, Flavia /GIUSTI, Vittorio /BODENMANN,Patrick /KRIEMLER, Susi / PUDER, Jardena J.: Indepen-dent contribution of parental migrant status and educationallevel to adiposity and eating habits in preschool children,European Journal of Clinical Nutrition 65, 2011, 210–218.

ELLROTT, Thomas: Essen will gelernt sein. Ansatzpunkte füreine günstige Entwicklung des Essverhaltens im Kindes-und Jugendalter, Moderne Ernährung Heute 2, 2010, 1–11.

FERRIDAY, Danielle/BRUNSTROM, Jeff M.: ‚I just can’t helpmyself‘: effects of food-cue exposure in overweight and leanindividuals, International Journal of Obesity 35, 2011, 142–149.

FOLLANSBEE-JUNGER, Katherine /JANICKE, David M. /SALLINEN, Bethany J.: The Influence of a BehavioralWeight Management Program on Disordered Eating Atti -tudes and Behaviors in Children with Overweight, Journalof the American Dietetic Association 110, 2010, 1653–1659.

FUTSELAAR, Ralf: Incomes, Class, and Coupons. Black Mar-kets for Food in the Netherlands during the Second WorldWar, Food and History 8, 2010, 171–198.

GASTEIGER, Nepomuk: Der Konsument. Verbraucherbilderin Werbung, Konsumkritik und Verbraucherschutz 1945–1989, Frankfurt a.M. / New York 2010.

GERHARD, Gesine: Food as a Weapon: Agricultural Sciencesand the Building of a Greater German Empire, Food, Cul-ture and Society, International Journal of MultidisciplinaryResearch 14, 2011, 335–351.

GIESEN, Janneke C.A.H. / PAYNE, Collin R. /HAVER-MANS, Remco C. /JANSEN, Anita: Exploring how calo-rie information and taxes on high-calorie foods influencelunch decisions, The American Journal of Clinical Nutrition93, 2011, 689–694.

GLOGOWSKI, Stella: Nachhaltigkeit und Ernährung. Konzepteund Grundsätze in Deutschland, Ernährungs-Umschau 58,2011, B33–B36.

GOLDSCHMIDT, Andrea B. / SINTIN, Meghan M. /ASPEN,Vandana Passi /TIBBS, Tiffany L. / STEIN, Richard I. /SAELENS, Brian E. /FRANKEL, Fred /EPSTEIN, Leo-nard /WILFLEY, Denise E.: Psychosocial and familial im-pairment among overweight youth with social problems,International Journal of Pediatric Obesity 5, 2010, 428–435.

GORIN, Amy A. /PHELAN, Suzanne /RAYNOR, Hollie /WING, Rena R.: Home Food and Exercise Environmentsof Normal-weight and Overweight Adults, American Jour-nal of Health Behavior 35, 2011, 618–626.

GOSLINER, Wendi /MADSEN, Kristine A. /WOOD-WARD-LOPEZ, Gail /CRAWFORD, Patricia B.: WouldStudents Prefer to Eat Healthier Foods at School?, Journalof School Health 81, 2011, 146–151.

GRACIA-ARNAIZ, Mabel: Fat bodies and thin bodies. Cul-tural, biomedical and market discourses on obesity, Appetite55, 2010, 219–225.

GRUMETT, David /BRETHERTON, Luke /HOLMES, Ste-phen R.: Fast Food: A Critical Theological Perspective,Food, Culture and Society, International Journal of Multi -disciplinary Research 14, 2011, 375–392.

48 IAKE. Mitteilungen, Heft 19Literatur

Page 51: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

GRUNERT, Klaus G. /WILLS, Josephine M. /FERNÁN-DEZ-CELEMÍN, Laura: Nutrition knowledge, and use andunderstanding of nutrition information on food labelsamong consumers in the UK, Appetite 55, 2010, 177–189.

GÜNTHER, Anke L.B. / STAHL, Lisa J. /BUYKEN, Anette E. /KROKE, Anja: Association of dietary energy density in child-hood with age and body fatness at the onset of the pubertalgrowth spurt, British Journal of Nutrition 106, 2011, 345–349.

HANSEN, Torben /MUKHERJEE, Ashesh /THOMSEN,Thyra Uth: Anxiety and search during food choice: the mo-derating role of attitude towards nutritional claims, Journalof Consumer Marketing 28, 2011, 178–186.

HAROUN, Dalia /WOOD, Lesley /HARPER, Clare /NEL-SON, Michael: Nutrient-based standards for school lunchescomplement food-based standards and improve pupils’ nu-trient intake profile, British Journal of Nutrition 106, 2011,472–474.

HART, Chantelle N. /RAYNOR, Hollie A. /OSTERHOLT,Kathrin M. /JELALIAN, Elissa /WING, Rena R.: Eatingand activity habits of overweight children on weekdays andweekends, International Journal of Pediatric Obesity 6, 2011,467–472.

HASSEL, Holger /THEES, Stefanie: Food Literacy für Mehr-generationen. Partizipative Entwicklung von niederschwelligerBildungsarbeit mit älteren Menschen, Ernährung im Fokus11 (5), 2011, 222–226.

HAYES, Jacqueline F. /D’ANCI, Kristen E. /KANAREK, Ro-bin B.: Foods that are perceived as healthy or unhealthy dif-ferentially alter young women’s state body image, Appetite57, 2011, 384–387.

HEBDEN, Lana /KING, Lesley /KELLY, Bridget/CHAP-MAN, Kathy / INNES-HUGHES, Christine: A Menagerieof Promotional Characters: Promoting Food to Childrenthrough Food Packaging, Journal of Nutrition Educationand Behavior 43, 2011, 349–355.

HEINDL, Ines: Gastlichkeit in allgemeinbildenden Schulen,Palatum Zeitschrift für Kulinaristik (2), 2010, 22–23.

HENSEN, Peter /KÖLZER, Christian (Hg.): Die gesunde Ge-sellschaft. Sozioökonomische Perspektiven und sozialethischeHerausforderungen, Wiesbaden 2011.

HERMANS, Roel C. J. /HERMAN, C. Peter /LARSEN, Ju-nilla K. /ENGELS, Rutger C.M.E.: Social Modeling Ef-fects on Young Women’s Breakfast Intake, Journal of theAmerican Dietetic Association 110, 2010, 1901–1905.

HIERHOLZER, Vera: Nahrung nach Norm: Regulierung vonNahrungsmittelqualität in der Industrialisierung 1871–1914,Göttingen /Oakville 2010.

HIRSCHFELDER, Gunther: Mahlzeit macht Gesellschaft.Endet unser soziales Lagerfeuer?, Ernährung im Fokus 11,2011, 398–403.

HOEFERT, Hans-Wolfgang /KLOTTER, Christoph: »Gesun-de Lebensführung« – kritische Analyse eines populärenKonzepts, Bern 2011.

HOEFKENS, Christine /VERBEKE, Wim/CAMP van, John:European consumers’ perceived importance of qualifyingand disqualifying nutrients in food choices, Food Qualityand Preference 22, 2011, 550–558.

HOFFMANN, Ingrid /SCHNEIDER, Katja /LEITZMANN,Claus (Hg.): Ernährungsökologie. Komplexen Herausforde-rungen integrativ begegnen, München 2011.

HOLLAND, Kate /BLOOD, R. Warwick /THOMAS, Saman-tha /LEWIS, Sophie /KOMESAROFF, Paul/CASTLE,David: ‚Our girth is plain to see‘: An analysis of newspapercoverage of Australia’s Future ‚Fat Bomb‘, Health, Risk &Society 13, 2011, 31–46.

HOWARD, Larry L.: Transitions between food insecurity andfood security predict children’s social skill development du-ring elementary school, British Journal of Nutrition 105,2011, 1852–1860.

HUNT, Geoffrey /FAZIO, Adam/MacKENZIE, Kathleen /MOLONEY, Molly: Food in the family. Bringing young people back in, Appetite 56, 2011, 394–402.

IZMIRLI, Serdar /PHILLIPS, Clive J. C.: The relationship be -tween student consumption of animal products and attitudesto animals in Europe and Asia, British Food Journal 113,2011, 436–450.

JANSEN, Lisa: Verbraucherakzeptanz der erweiterten GDA-Nährwertkennzeichnung. Eine empirische Untersuchungam Beispiel der Verbraucherzielgrupppe „50plus“, Göttin-gen 2010.

JOHNSON, Laura /JAARSVELD van, Cornelia H.M. /WARDLE, Jane: Individual and family environment corre-lates differ for consumption of core and non-core foods inchildren, British Journal of Nutrition 105, 2011, 950–959.

JONES, Rachel /WELLS, Michelle /OKELY, Anthony /LOCKYER, Lori /WALTON, Karen: Is an online healthylifestyles program acceptable for parents of preschool chil-dren?, Nutrition & Dietetics 68, 2011, 149–154.

KALINKE, Heinke M. /ROTH, Klaus /WEGER, Tobias(Hg.): Esskultur und kulturelle Identität. EthnologischeNahrungsforschung im östlichen Europa, München 2010.

KAPSAK, Wendy Reinhardt /RAHAVI, Elizabeth B. /CHILDS,Nancy M. /WHITE, Christy: Functional Foods: ConsumerAttitudes, Perceptions, and Behaviors in a Growing Market,Journal of the American Dietetic Association 111, 2011, 804.

KATZ, David L. /KATZ, Catherine S. /TREU, Judith A. /REYNOLDS, Jesse /NJIKE, Valentine /WALKER, Jenni-fer / SMITH, Erica /MICHAEL, Jennifer: Teaching Health-ful Food Choices to Elementary School Students and TheirParents: The Nutrition Detectives TM Program, Journal ofSchool Health 81, 2011, 21–28.

KIMMICH, Dorothee / SCHAHADAT, Schamma /HAU -SCHILD, Thomas (Hg.): Kulturtheorie, Bielefeld 2010.

KIRCHHOFF, Stephanie / SMYTH, Heather / SANDERSON,Jessica / SULTANBAWA, Yasmina /GETHING, Katrina:Increasing vegetable consumption: a means-end chain ap-proach, British Food Journal 113, 2011, 1031–1044.

KOFAHL, Daniel: Geschmacksfrage. Zur sozialen Konstruk-tion des Kulinarischen, Berlin 2010.

KOTHE, Emily J. /MULLAN, Barbara: Increasing the fre-quency of breakfast consumption, British Food Journal 113,2011, 784–796.

KRASCHNEWSKI, J. L. / BOAN, Jarol / ESPOSITO, J. /SHERWOOD, N. E. /LEHMAN, Erik B. /KEPHART,D.K. / SCIAMANNA, Christopher N.: Long-term weightloss maintenance in the United States, International Journalof Obesity 34, 2010, 1644–1654.

KÜHN, Thomas /STEINMEIER, Romy: Lebensmittel aufdem Weg nach Hamburg: Kulturgeschichte der Grenzkon-trolle von Lebensmitteln, Bremen 2010.

IAKE. Mitteilungen, Heft 19 49Literatur

Page 52: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

KYR, Paulus: Die Gesundheit ist ein köstlich Ding, herausge-geben von Offner, Robert, Hermannstadt /Bonn 2011

LANIGAN, Jane D.: The substance and sources of young chil-dren’s healthy eating and physical activity knowledge: impli-cations for obesity prevention efforts, Child: Care, Healthand Development 37, 2011, 368–376.

LAUREATI, Monica /PAGLIARINI, Ella /MOJET, Jos /KÖS -TER, Ep: Incidental learning and memory for food variedin sweet taste in children, Food Quality and Preference 22,2011, 264–270.

LAZAROU, Chrystalleni /MATALAS, Antonia-Leda: A criti-cal review of current evidence, perspectives and researchimplications of diet-related traditions of the Eastern ChristianOrthodox Church on dietary intakes and health consequen-ces, International Journal of Food Sciences and Nutrition61, 2010, 739–758.

LEAHEY, Tricia M. /GOKEE LaROSE, Jessica /FAVA, Jo-seph L. /WING, Rena R.: Social Influences Are AssociatedWith BMI and Weight Loss Intentions in Young Adults, Obe -sity 19, 2011, 1157–1162.

LEITZMANN, Claus: Die 101 wichtigsten Fragen – GesundeErnährung, München 2010.

LEITZMANN, Claus /KELLER, Markus: Vegetarische Ernäh-rung Unter Mitarbeit von Ute Brehme, Andreas Hahn, Ma-thias Schwarz, Annika Waldmann und Bernd Wirsam,2.Aufl., Stuttgart 2010.

LENOIR-WIJNKOOP, Irene /DAPOIGNY, Michel /DUBOIS,Dominique/GANSE van, Eric/GUTIÉRREZ-IBARLUZEA,Inaki /HUTTON, John /JONES, Peter /MITTENDORF,Thomas /POLEY, Marten J. / SALMINEN, Seppo /NUIJ-TEN, Mark J.C.: Nutrition economics – characterising theeconomic and health impact of nutrition, British Journal ofNutrition 105, 2011, 157–166.

LIORET, Sandrine/TOUVIER, Mathilde /BALIN, Morgan /HUYBRECHTS, Inge /DUBUISSON, Carine /DUFOUR,Ariane /BERTIN, Mélanie /MAIRE, Bernard/LAFAY, Lio-nel: Characteristics of energy under-reporting in children andadolescents, British Journal of Nutrition 105, 2011, 1671–1680.

LU, Ji /HUET, Catherine /DUBÉ, Laurette: Emotional rein -forcement as a protective factor for healthy eating in homesettings, The American Journal of Clinical Nutrition 94,2011, 254–261.

LYTLE, Leslie A. /PASCH, Keryn E. /FARBAKHSH, Kian:The Relationship Between Sleep and Weight in a Sample ofAdolescents, Obesity 19, 2011, 324–331.

MANZ, Friedrich: Wenn Babys reden könnten! Was wir ausdrei Jahrhunderten Säuglingspflege lernen können, Lüding-hausen 2011.

MARCHIORI, David /WAROQUIER, Laurent /KLEIN, Oli-vier: Smaller Food Item Sizes of Snack Foods Influence Re-duced Portions and Caloric Intake in Young Adults, Journalof the American Dietetic Association 111, 2011, 727–731.

MARSHALL, Sarah /GOLLEY, Rebecca /HENDRIE, Gilly:Expanding the understanding of how parenting influencesthe dietary intake and weight status of children: A cross-sec-tional study, Nutrition & Dietetics 68, 2011, 127–133.

MASCHKOWSKI, Gesa /BÜNING-FESEL, Margareta: Er-nährungskommunikation in Deutschland – Definition, Risi-ken und Anforderungen, Ernährungs-Umschau 57, 2010,676–679.

McINTOSH, Alex /KUBENA, Karen S. /TOLLE, Glen/DEAN,Wesley /KIM, Mi-Jeong /JAN, Jie-Sheng /ANDING, Jen-na: Determinants of Children’s Use of and Time Spent inFast-food and Full-service Restaurants, Journal of NutritionEducation and Behavior 43, 2011, 142–149.

McINTOSH, William Alex /KUBENA, Karen S. /TOLLE,Glen /DEAN, Wesley R. /JAN, Jie-sheng /ANDING, Jen-na: Mothers and meals. The effects of mothers’ meal plan-ning and shopping motivations on children’s participation infamily meals, Appetite 55, 2010, 623–628.

METHFESSEL, Barbara: Treffpunkt Familientisch. Anmerkun-gen zu einem Mikrokosmos, Kulinaristik 1 (3), 2011, 10–13.

MEYER-ABICH, Klaus Michael: Was es bedeutet, gesund zusein. Philosophie der Medizin, München 2010.

MHURCHU, Cliona Ni: Food costs and healthful diets: theneed for solution-oriented research and policies, The Ame-rican Journal of Clinical Nutrition 92, 2010, 1007–1008.

MILLER, Paige /MOORE, Reneé H. /KRAL, Tanja V. E.:Children’s Daily Fruit and Vegetable Intake: Associationswith Maternal Intake and Child Weight Status, Journal ofNutrition Education and Behavior 43, 2011, 396–400.

NAMIE, Joylin: Public Displays of Affection: Mothers, Chil-dren, and Requests for Junk Food, Food, Culture and So-ciety, International Journal of Multidisciplinary Research 14,2011, 393–411.

NAPOLITANO, Fabio /GIROLAMI, Antonio /BRAGHIERI,Ada: Consumer liking and willingness to pay for high wel-fare animal-based products, Trends in Food Science & Tech-nology 21, 2010, 537–543.

NESTLÉ DEUTSCHLAND AG: So is(s)t Deutschland. EinSpiegel der Gesellschaft, Stuttgart 2011.

NEVE, Melinda J. /MORGAN, Philip J. /COLLINS, Clare E.:Participant characteristics and reach of a commercial web-based weight loss program, Nutrition & Dietetics 67, 2010,267–274.

NURK, Eha /REFSUM, Helga /DREVON, Christian A. /TELL, Grethe S. /NYGAARD, Harald A. /ENGEDAL,Knut / SMITH, A. David: Cognitive performance amongthe elderly in relation to the intake of plant foods. The Hor-daland Health Study, British Journal of Nutrition 104, 2010,1190–1201.

OBBAGY, Julie E. /CONDRASKY, Margaret D. /ROE, LianeS. / SHARP, Julia L. /ROLLS, Barbara J.: Chefs’ OpinionsAbout Reducing the Calorie Content of Menu Items in Res -taurants, Obesity 19, 2011, 332–337.

OLDHAM-COOPER, Rose E. /HARDMAN, Charlotte A. /NICOLL, Charlotte E. / ROGERS, Peter J. / BRUN-STROM, Jeffrey M.: Playing a computer game during lunchaffects fullness, memory for lunch, and later snack intake,The American Journal of Clinical Nutrition 93, 2011, 308–313.

PALMER, Michelle A. /CAPRA, Sandra /BAINES, SurinderK.: To Snack or Not to Snack: What should we advise forweight management?, Nutrition & Dietetics 68, 2011, 60–64.

PAXMAN, Jenny R. /HALL, Anna C. /HARDEN, CharlotteJ. /O’KEEFFE, Jean /SIMPER, Trevor N.: Weight loss iscoupled with improvements to affective state in obese parti-cipants engaged in behavior change therapy based on incre-mental, self-selected „Small Changes“, Nutrition Research31, 2011, 327–337.

50 IAKE. Mitteilungen, Heft 19Literatur

Page 53: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

PEARSON, Natalie /BALL, Kylie /CRAWFORD, David: Pre-dictors of changes in adolescents’ consumption of fruits, ve-getables and energy-dense snacks, British Journal of Nutri-tion 105, 2011, 795–803.

PENDERGRAST, Mark: Uncommon Grounds: The HistoryOf Coffee And How It Transformed Our World, 2nd Edition,New York 2010.

PETERS, Erica J.: Food, Anxiety and Dependency in a Post-Colonial World, Food and History 8, 2010, 277–286.

PLATTFORM ERNÄHRUNG UND BEWEGUNG e.V.(peb) (Hg.): Gesunde Kita – starke Kinder! Methoden, All-tagshilfen und Praxistipps für die Gesundheitsförderung inKindertageseinrichtungen, Berlin 2011.

PLOEGER, Angelika /HIRSCHFELDER, Gunther / SCHÖN-BERGER, Gesa (Hg.): Die Zukunft auf dem Tisch. Analy-sen, Trends und Perspektiven der Ernährung von morgen,Wiesbaden 2011.

POPKIN, Barry: The world is fat. The fads, trends, policies,and products that are fattening the human race, New York2010.

ROLLS, Edmund T.: Taste, olfactory and food texture rewardprocessing in the brain and obesity, International Journal ofObesity 35, 2011, 550–561.

RÖSCH, Ruth: Internetforen, Ernährungsbildung und Koch -shows. Ernährungskommunikation im Wandel der Zeit, Er-nährung im Fokus 11, 2011, 205–207.

ROSEMAN, Mary G. /RIDDELL, Martha C. /HAYNES,Jessica N.: A Content Analysis of Kindergarten-12th GradeSchool-based Nutrition Interventions: Taking Advantage ofPast Learning, Journal of Nutrition Education and Behavior43, 2011, 2–18.

RÜCKERT-JOHN, Jana: Nachhaltigkeit in der Außer-Haus-Verpflegung. Potenziale, Herausforderungen, Hemmnisse,Ernährung im Fokus 11, 2011, 344–349.

RUSSEK, Audrey: Appetites Without Prejudice: U.S. ForeignRestaurants and the Globalization of American Food Betweenthe Wars, Food and Foodways 19, 2011, 34–55.

RUST, Hildegard: Vorrat halten, München 2011.RÜTZLER, Hanni /REITER, Wolfgang: Food change. 7 Leit-

ideen für eine neue Esskultur, Wien 2010.SALVY, Sarah-Jeanne /ELMO, Alison /NITECKI, Lauren A. /

KLUCZYNSKI, Melissa A. /ROEMMICH, James N: In-fluence of parents and friends on children’s and adolescents’food intake and food selection, The American Journal ofClinical Nutrition 93, 2011, 87–92.

SAULO, Aurora A. /MOSKOWITZ, Howard R.: Uncoveringthe mind-sets of consumers towards food safety messages,Food Quality and Preference 22, 2011, 422–432.

SCHEIBEHENNE, Benjamin /TODD, Peter M./WANSINK,Brian: Dining in the dark. The importance of visual cues forfood consumption and satiety, Appetite 55, 2010, 710–713.

SCHIRRMEISTER, Claudia: Bratwurst oder Lachsmousse?Die Symbolik des Essens – Betrachtungen zur Esskultur,Bielefeld 2010.

SCHLIEPER, Cornelia A.: Grundfragen der Ernährung,20.Aufl., Hamburg 2010.

SCHÖNBERGER, Gesa /METHFESSEL, Barbara (Hg.):Mahlzeiten. Alte Last oder neue Lust?, Wiesbaden 2011.

SCHRITT, Katarina: Ernährung im Kontext von Geschlechter-verhältnissen: Analyse zur Diskursivität gesunder Ernäh-

rung: Diskursivität von ‚gesunder‘ Ernährung und doinggender im Ernährungsverhalten, Wiesbaden 2011.

SCHULZ, Anne: Essen und Trinken im Mittelalter (1000–1300), Berlin, Boston 2011.

SELKE, Stefan (Hg.): Tafeln in Deutschland: Aspekte einer so-zialen Bewegung zwischen Nahrungsmittelumverteilungund Armutsintervention, 2.Aufl., Wiesbaden 2011.

SHOFAN, Y. /KEDAR, Osat /BRANSKI, David /BERRY,Elliot /WILSCHANSKI, Michael: A school-based programof physical activity may prevent obesity, European Journalof Clinical Nutrition 65, 2011, 768–770.

SKATRUD-MICKELSON, Monica /ADACHI-MEJIA, An-na M. /SUTHERLAND, Lisa A.: Tween Sex Differencesin Snacking Preferences during Television Viewing, Journalof the American Dietetic Association 111, 2011, 1385–1390.

SLATER, Megan E. / SIRARD, John R. /LASKA, MelissaN. /PEREIRA, Mark A. /LYTLE, Leslie A.: Relationshipsbetween Energy Balance Knowledge and the Home Envi-ronment, Journal of the American Dietetic Association 111,2011, 556–560.

STANGE, Rainer /LEITZMANN, Claus (Hg.): Ernährungund Fasten als Therapie, Berlin, Heidelberg 2010

STEIN-HÖLKESKAMP, Elke: Das römische Gastmahl: EineKulturgeschichte, 2.Aufl., München 2011.

STUMMERER, Sonja /HABLESREITER, Martin: food de-sign XL, Wien 2010.

SWEETMAN, Claire /McGOWAN, Laura /CROKER, He-len /COOK, Lucy: Characteristics of Family Mealtimes Affecting Children’s Vegetable Consumption and Liking,Journal of the American Dietetic Association 111, 2011,269–273.

TALS, Canan /UÇAR, Asli /ÖZÇELIK, Ayse Özfer: Attitudesof women towards food safety, British Food Journal 112,2010, 115–1123.

TANAKA, Shaun: A Review of „Modern Japanese Cuisine:Food, Power, and National Identity“, Food and Foodways18, 2010, 177–179.

THOMSON, Cynthia A. /RAVIA, Jennifer: A Systematic Re-view of Behavioral Interventions to Promote Intake of Fruitand Vegetables, Journal of the American Dietetic Associa-tion 111, 2011, 1523–1535.

TIETZE, Wolfgang /LASSON, Andrea /LAMBECK, An-drea /EICHNER, Mirko : Gesunde Kitas – Starke Kinder.Ernährung und Bewegung im Kita-Alltag, Ernährungs-Umschau 58, 2011, 424–431.

TOMASIK, Timothy J.: Tastes and Temptations: Food and Artin Renaissance Italy, Food, Culture and Society, Internatio-nal Journal of Multidisciplinary Research 13, 2010, 463.

TUCKER, Larry A. /TUCKER, Jared M.: Television Viewingand Obesity in 300 Women: Evaluation of the Pathways ofEnergy Intake and Physical Activity, Obesity 19, 2011, 1950–1956.

VERMEER, Willemijn M. / STEENHUIS, Ingrid H.M. /LEEUWIS, Franca H. /BOS, Arjan E.R. /BOER de, Mi-chiel / SEIDELL, Jacob C.: Portion Size Labeling and In-tended Soft Drink Consumption: The Impact of LabelingFormat and Size Portfolio, Journal of Nutrition Educationand Behavior 42, 2010, 422–426.

VILGIS, Thomas /WURZER-BERGER, Martin (Hg.): Jour-nal Culinaire 11 – Fisch, Münster 2010.

IAKE. Mitteilungen, Heft 19 51Literatur

Page 54: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

VILGIS, Thomas /WURZER-BERGER, Martin (Hg.): Jour-nal Culinaire 12 – Kräuter, Münster 2011.

WARDLE, Jane /CHIDA, Yoichi /GIBSON, E. Leigh /WHI-TAKER, Katriina L. / STEPTOE, Andrew: Stress and Adi-posity: A Meta-Analysis of Longitudinal Studies, Obesity19, 2011, 771–778.

WEICHSELBAUM, Elisabeth /BUTTRISS, Judith: Nutrition,health and schoolchildren, Nutrition Bulletin 36, 2011, 295–355.

WEST, Delia S. /GORIN, Amy A. / SUBAK, Leslee L. /FOS -TER, Gary D. /BRAGG, Charlotte /HECHT, Jennifer /SCHEMBRI, Michael /WING, Rena R.: A motivation- focused weight loss maintenance program is an effective al-ternative to a skill-based approach, International Journal ofObesity 35, 2011, 259–269.

WHAM, Carol A. /BOWDEN, Jennifer A.: Eating for health:Perspectives of older men who live alone, Nutrition & Die-tetics 68, 2011, 221–226.

WILLIAMS, Lauren K. /VEITCH, Jenny /BALL, Kylie: Whathelps children eat well? A qualitative exploration of resilienceamong disadvantaged families, Health Education Research26, 2011, 296–307.

WILLIAMS, Lauren /BALL, Kylie /CRAWFORD, David:Why do some socioeconomically disadvantaged women eatbetter than others? An investigation of the personal, socialand environmental correlates of fruit and vegetable con-sumption, Appetite 55, 2010, 441–446.

WONG, Yueching /CHANG, Yu-Jhen /TSAI, Mei-Rong /LIU, Tsai-Wei /LIN, Wei: The Body Image, Weight Satis-faction, and Eating Disorder Tendency of School Children:The 2-Year Follow-up Study, Journal of the American Col-lege of Nutrition 30, 2011, 126–133.

ZANINOTTO, Paola /PIERCE, Mary /BREEZE, Elizabeth /OLIVEIRA de, Cesar /KUMARI, Meena: BMI and WaistCircumference as Predictors of Well-being in Older Adults:Findings From the English Longitudinal Study of Ageing,Obesity 18, 2010, 1981–1987.

ZEIS, Agathe: Die Milch und die Butter. Ein Lehrbuch (von1880). Verein Milch & Kultur Rheinland und Westfalen e.V.(Hg.), Beiträge zur Milchwirtschaft Band 7, Köln 2010.

ZICK, Andrea /WAKE, Yvonne /REEVES, Sue: Nutrition la-belling in restaurants: a UK-based case study, Nutrition &Food Science 40, 2010, 557–565.

ZIJLSTRA, Nicolien /BUKMAN, Andrea Johanna /MARS,Monica /STAFLEU, Annette /RUIJSCHOP, Rianne M.A.J. /GRAAF de, Cees: Eating behaviour and retro-nasal aro-ma release in normal-weight and overweight adults: a pilotstudy, British Journal of Nutrition 106, 2011, 297–306.

ZWICK, Michael M. /DEUSCHLE, Jürgen /RENN, Ortwin(Hg.): Übergewicht und Adipositas bei Kindern und Ju-gendlichen, Wiesbaden 2011.

Dipl. oec. troph. Anke Borchardt,Georg-August-Universität Göttingen

(Ergänzungen durch die Dr. Rainer Wild-Stiftung, Heidelberg)

52 IAKE. Mitteilungen, Heft 19Literatur

Page 55: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

KIMMICH, Dorothee/SCHAHADAT, Schamma/HAUSCHILD, Thomas(Hg.): Kulturtheorie. Biele-feld 2010, transcript Verlag,300 S. , EUR 19,80, ISBN978-3837612844

Für jene, die sich mit der Kul-tur der Ernährung und des Es-sens beschäftigen, fällt es zu-nehmend schwer, sich in derFülle der neu erscheinendenwissenschaftlichen und popu-lärwissenschaftlichen Publika-tionen zurechtzufinden, erlebenbeide Themenfelder doch seitgeraumer Zeit eine Themati-sierungskonjunktur. Währendaber der Begriff Ernährung ei-nigermaßen klar umrissen ist,diskutierten die AnthropologenAlfred L. Kroeber und ClydeKluckhohn bereits in ihrem1952 in Cambridge/Massachu-setts erschienenen Grundlagen-werk Culture. Critical Review ofConcepts and Definitions 240Werke bzw. Kulturkonzepte.Inzwischen wird der BegriffKultur inflationär gebraucht.Daher nimmt der Rezensentdankbar zur Kenntnis, dassdieser Band 15 Klassiker derKulturtheorie vereint, denennicht nur ihre lange Halbwert-zeit gemein ist, sondern die alleauch, so Dorothee Kimmich,Literaturwissenschaftlerin ander Universität Tübingen, undSchamma Schahadat, Slavistinebendort, in ihrem Vorwort,„die notwendige Balance zwi-schen Relativismus und Uni-versalismus“ (S.10) halten.Dieser anthropologische Be-zug zur Realität des Essensmacht dieses Buch für alle, diesich mit der Ernährung be-schäftigen, so interessant,denn Kulturtheorien reflektie-ren die Beziehung zwischenKultur und Gesellschaft. Dassheute weitgehende Einigkeitdarüber besteht, dass es in derKultur keine Zufälle gibt, dassauch banale (Ernährungs-)

Handlungen Teil eines selbst-gesponnenen Bedeutungsge-webes sind, dass die Welt auf-grund symbolischer Ordnungensinnhaft produziert wird, istvor allem das Verdienst der indiesem Sammelband zu Wortkommenden Persönlichkeiten,deren Namen, mehr aber nochderen Grundideen sich expli-zit oder zumindest implizit alsLeitmotiv durch die modernekulturwissenschaftliche Er-nährungsforschung ziehen.

Der Band gliedert sich invier Abschnitte, die von denHerausgeberInnen jeweilskompetent eingeführt werden.Den Reigen eröffnet das Kapi-telDas Heilige und das Profane,in dem das hohe Maß an Sa-kralität außereuropäischer undvormoderner Kulturen alsLeitmotiv dient. Der Bogenspannt sich dabei von Arnoldvan Gennep, dessen gut ein-hundert Jahre altes Konzeptder rites des passage immernoch taugt, um die kulturellmarkierten Übergänge im Le-benslauf zu beschreiben undzu analysieren, über den Reli-gionstheoretiker Georges Ba-taille und den in der Traditionder philosophischen Anthro-pologie stehenden René Gi-rard bis zu Hans Peter Duerr,dessen Ziel darin besteht, ar-chaische Formen der Wahr-nehmung in eine technisierteWelt zu retten.

Im zweiten, vom an derMartin-Luther-UniversitätHalle-Wittenberg lehrendenEthnologen Thomas Hauschildeingeleiteten Abschnitt Naturund Kultur kommen ClaudeLévi-Strauss, Sherry B. Ortnerund Bruno Latour zu Wort, imFolgeteil die ethnologischenKlassiker Marcel Mauss, Bro -nisław Malinowski, CliffordGeertz und Fritz Kramer – wervon diesen Klassikern nochnie hat etwas lesen können,findet hier einen wunderbarenparadigmatischen Einstieg.

Der letzte Abschnitt Her-ausforderungen der Moderneverweist am stärksten auf dieNotwendigkeit, sich den Unwäg-barkeiten der Zukunft zu stellen– kein Alleinstellungsmerkmaldes frühen 21. Jahrhunderts,wie Georg Simmels KlassikerDie Großstädte und das Geistes-leben, Siegfried Kracauers Textüber Die Angestellten, PierreBourdieus Sozialkapitaltheorieoder Sigmund Freuds Psycho-analysemodell deutlich machen.

Die hier präsentierten undeingeleiteten Texte fokussierenkaum auf das Thema Ernäh-rung, aber ohne sie würden wirErnährung heute anders undweniger strukturiert diskutierenkönnen. Es handelt sich umKlassiker, welche die moderneKulturtheorie maßgeblich ge-prägt haben. Eine ideale Lek-türe für alle, die im Meer derInformationsflut auf der Suchenach Strukturen sind, zudemeine ideale Basis für jene, dieeinmal ein kulturtheoretischesGrundlagenseminar anbietenwollen – genau für diese Ziel-gruppe ist das Buch eigentlichgedacht. Praktisch, dass dieMenge an Texten genau für einSemester hinreicht. Wohltuendist dieser Reader nicht zuletztdeshalb, weil er der Masse ankulturwissenschaftlichem Ge-plapper einen sauber struktu-rierten Kanon an Grundlagen -texten gegenüberstellt, die nichtGefahr laufen zu veralten.Prof. Dr. Gunther Hirschfelder,

Universität Regensburg

HOFFMANN, Ingrid/SCHNEIDER, Katja/LEITZMANN, Claus(Hg.): Ernährungsökologie.Komplexen Herausforde-rungen integrativ begegnen.München 2011, oekom Ver-lag, 224 S. , EUR 29,90,ISBN 978-3865811400

„Ernährung ist ein zentralesGrundbedürfnis, das alle Men-

schen betrifft: Jeder Menschmuss sich ernähren“ (S.16).Diese Aussage impliziert dieFrage, ob es dabei nur um dassubjektive Bedürfnis und dieeigene Gesundheit oder nichtvielmehr auch um die Verant-wortung geht, die wir Menschengegenüber unserer Umwelt ha-ben. Lebensmittel durchlaufeneinen langen Prozess, bis sie aufunserem Teller landen – von derlandwirtschaftlichen Erzeugung,der Verarbeitung und Verpa -ckung der fertigen Produkte,über Transport und Vermark-tung bis hin zu Verzehr undEntsorgung. Zwischen deneinzelnen Schritten bestehenkomplexe Zusammenhänge,die nicht nur die menschlicheGesundheit, sondern ebensoUmwelt, Wirtschaft und Gesell-schaft betreffen. Das Konzeptder Ernährungsökologie sagt indiesem Sinne etwas über denunmittelbaren wie auch denmittelbaren Bezug der Ernäh-rung zu vielen globalen Proble-men aus, genannt seien hier nurKlimawandel und Armut. DieErnährungsökologie versucht,als ein relativ junges, interdis-ziplinäres Wissenschaftsgebiet,weitreichende Lösungsansätzefür Probleme zu entwickeln, diemit der Ernährung zusammen-hängen. Dabei berücksichtigtsie auch Einzelaspekte, die inmittelbarem Bezug zur Ernäh-rung stehen.

Das Buch „Ernährungsöko-logie. Komplexen Herausfor-derungen integrativ begegnen“bietet einen Einblick in dieMehrdimensionalität und Kom-plexität ernährungsrelevanterThemen. Beispielsweise „kannArmut in Entwicklungsländernsowohl Ursache für Unterer-nährung sein als auch die Folgevon Unterernährung (aufgrunddaraus resultierender Gesund-heitsschäden und dadurch ver-minderter Möglichkeiten zurErwerbstätigkeit)“ (S. 85). DieAutoren diskutieren den Um-

Rezensionen

IAKE. Mitteilungen, Heft 19 53Literatur

Page 56: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

gang mit dieser Mehrdimensio-nalität, vor allem im Hinblickauf die inter- und transdiszipli-nären Aspekte. Genannt wirdhier die Methode der NutriMod(Nutrition-ecological Modelling)als eine ernährungsökologischeModellierungstechnik zum Um-gang mit dieser Mehrdimen-sionalität und der Komplexitäternährungsassoziierter Themenbzw. mit deren Erfassung undDarstellung. Zur besseren Er-läuterung gehen die Autorenbeispielsweise auf den Fleisch-sowie Honigkonsum ein. Sowird zu beiden Produkten je-weils ein qualitatives Ursache-Wirkungs-Modell für die gesam-te Produktionskette entwickelt,bei dem die vier Dimensionender Ernährung (Gesundheit, Ge-sellschaft, Umwelt, Wirtschaft)während des gesamten Pro-zesses berücksichtigt werden.„Das Ergebnis der Arbeit mitNutriMod ist ein Dimensionenübergreifendes Modell, welchesdas komplexe Zusammenspielvon Faktoren einer ernäh-rungsassoziierten Fragestellungwiderspiegelt“ (S.139). DasNutriMod-Modell unterscheidetsich von anderen darin, dasses mehrere Aspekte aus unter-schiedlichen wissenschaftlichenDisziplinen zusammenführt,um die Interaktionen zwischender Vielzahl beteiligter Faktorenbesser darstellen zu können.Die Autoren zeigen, dass inder Regel bei anderen Model-lierungen ausschließlich dieWechselwirkungen zwischen nurzwei bzw. nur wenigen Fakto-ren berücksichtigt werden.

Das Buch „Ernährungsöko-logie“ unterstützt seine Leser– Verbraucher wie Hersteller –darüber hinaus mit Empfehlun-gen für eine nachhaltige Ernäh-rung. Viele Herausforderungenfür den Umgang mit komple-xen, mehrdimensionalen Pro-blemen bleiben zwar bestehen.Im letzten Abschnitt des Bucheswerden diese Herausforderun-gen jedoch von den Autorenidentifiziert und Konzepte zumUmgang mit ihnen entwickelt.

Dabei stehen beson ders die Po-tenziale der Modellierungstech-nik NutriMod im Blickpunkt.

Durch eine einfache, klareSprache ist es den Autoren ge-lungen, die Mehrdimensionalitätvon Ernährung deutlich zu ma-chen und das komplexe The-ma verständlich darzustellen.Das Buch liefert darüber hin-aus Lösungsansätze zur Aus-einandersetzung mit verschie-denen ernährungsrelevantenProblembereichen. Zudembietet das umfangreiche Lite-raturverzeichnis interessiertenLesern auf über zwanzig Sei-ten eine Fülle vertiefender In-formationen zum Thema.

Die Ernährung ist direktoder indirekt Verursacher vielerglobaler Probleme. Gesellschaftund Umwelt sind gleicherma-ßen durch die ökonomischenZwänge bei der Organisationeiner weltweiten Lebensmittel-versorgung und die Folgen derMassenproduktion belastet.Die Ernährungsweise und dasKonsumverhalten der Ver-braucher, insbesondere in denIndustrieländern, sind hierbeivon elementarer Bedeutung.Angesichts der steigenden glo-balen Umweltbelastungen, derHungerkrisen in vielen Län-dern, der Armut und vieler an-derer Auswirkungen des Ernäh-rungssektors auf Gesellschaftund Umwelt ist es also höchsteZeit, ökologische und umwelt-bewusste Handlungsmaximenauf jeder Entscheidungsebenezu entwickeln, um die Schä-den so gering wie möglich zuhalten. Ein nachhaltiges Han-deln hat höchste Priorität.

Sonika Aminforoughi,Dipl. Ing., Universität Kassel

KYR, Paulus: Die Gesund-heit ist ein köstlich Ding.Hermannstadt /Bonn 2010,herausgegeben von RobertOffner, Schiller Verlag,383 S. , EUR 19,00, ISBN978-3941271333

„Die Gesundheit ist ein köst-lich Ding“ – das stellte Paulus

Kyr, der Stadtarzt aus Kron-stadt/Siebenbürgen schon 1551fest, natürlich auf Latein. DerHerausgeber des vorliegendenWerkes, Robert Offner, hielt esfür sinnvoll, neben dem latei-nischen Text der Faksimile dieÜbersetzungen ins Deutsche,Rumänische und Ungarischebeizufügen – die traditionellenSprachen Siebenbürgens.

So sind es mit Quellenan-gaben, Literaturverzeichnis undRegister rund 150 Seiten deut-scher Text von insgesamt 380Seiten. Das Originalwerk hatbisher kaum Beachtung gefun-den – unverständlicherweise,denn die Erkenntnisse sindhöchst interessant und span-nend. Der eigentlichen Gesund-heitslehre gehen Kapitel überKronstadt und den StadtarztKyr, über das medizinischeSchrifttum der damaligen Zeitund über die Einordnung undBewertung des Werkes ausheutiger Sicht voraus, die sehrgut zum Verständnis des ei-gentlichen Textes beitragen.

Krankheit entsteht nachKyr häufig durch falsche Le-bensweise und weniger durch„persönliche Körperverfassung“– eine Erkenntnis, die sich lei-der bis heute kaum durchge-setzt hat. Die Einflüsse der gu-ten oder schlechten Luft („inunglaublicher Weise verdirbtnämlich eine Menge von Men-schen die Luft“), die Bedeutungvon Speis und Trank (Essenimmer zur gewohnten Stunde,es muss immer noch etwasAppetit übrig bleiben) und dieBedeutung von Bewegung undRuhe („Vor dem Essen – undauch danach – ist eine maß-volle körperliche Übungstätig-keit auszuüben, sonst füllt sichder Kopf mit Dünsten!“) wer-den erläutert. Als weitere Ein-flüsse nennt er Schlafen undWachen („die rechte Länge be-tragt 7 Stunden und zwar desNachts“), Ausleerung und An-füllung des Leibes (Aderlass,Stuhlgang, Erbrechen, Schröp-fen, Blutegel, Baden, Schwitzen,Abreibungen, Fasten, Schlaf,

Anregung der Nieren, Schleim-auswurf, Monatsblutung, Hä-morrhoiden und Venusdienst!)und Gemütsverfassungen („beiDepressionen lad Gäste einund spiel die Leier“). Sehr aus-führlich befasst sich Kyr mitdem Thema Ausscheidungenund zitiert u.a. Hippokrates,der beispielsweise beschreibt,dass Menschen mit Hämor-rhoiden vor vielen Krankhei-ten sicher sind.

Im zweiten Teil seiner Aus-führungen geht es um dieKräfte und Wirkungen derNahrungsmittel – alphabe-tisch geordnet! Von Acetum(Essig) bis Zinziber (Ingwer)ist wirklich alles dabei – „dieHoden von Hähnen sind her-vorragend, besonders, wennsie gemästet sind.“ Es folgt einVerzeichnis der Lebensmittelund Verhaltensweisen, die ver-schiedene Reaktionen im Kör-per hervorrufen. So steht z.B.bei den Dingen, die dick ma-chen: Süßigkeiten, Fettes,Nährreiches, mäßige Massage,Schlaf und heiteres Gemüt!

Es ist eine Freude das Buchzu lesen, denn es gibt erstaun-liche Einsichten in das Lebender damaligen Zeit. Viele Er-kenntnisse sind zudem auchheute noch relevant und mankommt nicht umhin, sich zufragen, warum es eigentlich solange gedauert hat mit den„neuesten“ Gesundheitsratschlä-gen. Seine eigenen Fehlinter-pretationen hätte der Autor si-cher bei längerer Lebensdauerin weniger als 500 Jahren revi-diert!

Dr. Renate Storch, Heidelberg

STUART, Tristram: Für dieTonne. Wie wir unsere Le-bensmittel verschwenden.Mannheim 2011, Artemis &Winkler, 384 S. , EUR 19,95,ISBN 978-3538073135

Wie es der äußerst treffendformulierte Titel des Buchesbereits vermuten lässt, thema-tisiert Tristram Stuart in sei-

54 IAKE. Mitteilungen, Heft 19Literatur

Page 57: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

nem 384-seitigen Werk das glo-bale Ausmaß der Lebensmit -telverschwendung. Dabei triffter genau den Puls der Zeit:Anfang September 2011 kam derFilm „Taste the Waste“ vonValentin Thurn in die deut-schen Kinos; mit dem Interes-se der Tafeln und ähnlichenProjekten an für den Handelnicht mehr verwertbaren Le-bensmitteln hat neben dem Ge-danken der Mildtätigkeit aucheine ökonomische Debatte be-gonnen; auch für die Politikscheint das Thema von stei-gendem Interesse: Erst kürzlichhat das Bundesministerium fürErnährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutz (BMELV)eine Studie in Auftrag gege-ben, die Aufschluss über dastatsächliche Ausmaß der weg-geworfenen Lebensmittel inDeutschland geben soll.Schätzungen zufolge landen inDeutschland jede zweite Kar-toffel, jeder zweite Kopfsalatund jedes fünfte Brot im Müll.Pro Kopf werden somit imDurchschnitt 100 KilogrammEssbares pro Jahr entsorgt.

Der Londoner Umweltakti-vist und Journalist Stuart zeigt,

dass Lebensmittelverschwen-dung nicht nur Thema der In-dustrienationen ist, sondernauch der Schwellen- und Ent-wicklungsländer. Für die Re-cherche zu seinem Buch be-reiste er verschiedene Länderweltweit und stellte dabei be-merkenswerte Unterschiede inder Einstellung verschiedenerKulturen zu Lebensmitteln fest.Während in Südkorea beispiels-weise der verschwenderischeUmgang mit Nahrung ein Zei-chen von Überfluss und Gast-freundschaft ist, ist es bei denUiguren in Westchina tabu,Nahrung zu verschwenden. Inden typischen Mittelschichts-vierteln in Delhi sorgen vieleRestaurants und Lebensmittel-läden dafür, dass Essensreste anBettler verteilt werden. Müll-sammler bringen dort organi-sche Haushaltsabfälle zu Beton-bunkern am Ende der Straße,wo sich Kühe und Schweineeine Mahlzeit aus Mango- undKartoffelschalen und Korian-derstielen erwühlen.

Um zu zeigen, dass die Le-bensmittelverschwendung alleEbenen der Lebensmittelkettebetrifft, nimmt Stuart den Le-

ser mit zu ganz unterschied-lichen Schauplätzen und Ak-teuren, denn sie alle leisten„ihren Beitrag“ zu den täglichwachsenden Bergen an Le-bensmittelabfällen: Die Verbrau-cher werfen ihre Lebensmittelnach Ablauf des Mindesthalt-barkeitsdatums weg; der Bau-er lässt aufgrund mangelnderKenntnis über die Lagerung undWeiterverarbeitung unzähligeMangos verderben, weil derTransport zum nächsten Marktder Stadt zu weit und teuer ist;Getreide wird als Biokraftstoffgenutzt und spendet in denWintermonaten Wärme, wäh-rend in Afrika unzählige Men-schen Hunger leiden; der Ein-zelhändler will noch bis kurzvor Ladenschluss sein Waren-sortiment vorrätig haben.

In seinem Werk zeigt er dieMissstände jedoch nicht mitdem erhobenen Zeigefingerauf, sondern führt dem Lesergleichzeitig auch unterschied-liche Lösungsansätze vor Au-gen. Dadurch hebt er sichdeutlich von Erwin Wagenho-fers Film „We feed the world“aus dem Jahr 2005 ab, dessenKritiker vor allem die einseitige

Darstellung der Problematikohne jegliche Lösungsansätzebemängeln. Denn Stuart ver-tritt den Standpunkt, dass derBerg an Lebensmittelabfällenfür Mensch und Umwelt nichtnur eine ungeheure Belastungdarstellt, sondern auch Chan-cen bietet, durch gezielte Maß-nahmen den Hunger sowiedie globale Erderwärmung zubekämpfen.

Stuart hätte möglicherweisegut daran getan, die Vielzahl anFakten und Einzelzahlen bei-spielsweise durch Schaubilderleserfreundlicher aufzubereiten.Nichtsdestotrotz handelt es sichbei dem Buch um eine gelun-gene Darstellung der Zusam -menhänge. „Für die Tonne“ eig-net sich für alle, die sich demaktuellen Thema aus unterschied-lichen Perspektiven nähernmöchten, offen für neue Lösun-gen sind und bereit, ihr eigenesVerhalten in Frage zu stellen.

Fazit: Ein äußerst viel-schichtiges Buch über die Le-bensmittelverschwendung mitpraxisrelevantem Mehrwert.

Kristin Pelz, M. Sc. PHN, Dr. Rainer Wild-Stiftung,

Heidelberg

IAKE. Mitteilungen, Heft 19 55Literatur

Page 58: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

56 IAKE. Mitteilungen, Heft 19Nicht zuletzt

Der Internationale Arbeitskreis für Kulturforschung des Essens

Essen ist ein zentrales Thema menschlicher Existenz. Der InternationaleArbeitskreis für Kulturforschung des Essens widmet sich gezielt diesemThema und will ein kompetenter Ansprechpartner für Wissenschaft undÖffentlich keit sein. Seine Arbeit zielt darauf,

• Vorreiter für eine interdisziplinäre Erforschung des Kulturthemas Essenzu sein,

• die Grenzen zwischen den verschiedenen mit Essen und Ernährung be-fassten Wissenschaftlern zu überwinden,

• die unterschiedlichen Denk- und Erfahrungsweisen der Ernährung inWirtschaft und Gesellschaft zu vermitteln und

• das öffentliche Interesse am Kulturthema Essen zu stärken.

In Trägerschaft der Dr. Rainer Wild-Stiftung arbeiten gegenwärtig rund 60Wissenschaftler/innen aus Deutschland und dem benachbarten Auslandzusammen, um diese Ziele zu erreichen. Für Rückfragen steht Ihnen dieGeschäftsstelle gerne zur Verfügung.

Herausgeber:Internationaler Arbeitskreis fürKulturforschung des Essensc/o Dr. Rainer Wild-StiftungMittelgewannweg 10, D-69123 HeidelbergTel.: ++49 (0) 6221/ 7511200Fax: ++49 (0) 6221/ [email protected]

Vorstand des Arbeitskreises:Prof. Dr. Gunther HirschfelderProf. Dr. Angelika PloegerDr. Gesa Schönberger (geschäftsführend)

Redaktion:Nicole Schmitt M.A.Dr. Gesa Schönberger

Satz: Dr. Dirk Reinhardt, MünsterDruck: CITY-DRUCK HeidelbergLithographien: Dr. Rainer Wild-Stiftung

ISSN 1437-5222Für den Inhalt der Beiträge sind die Autorenverantwortlich.

ImpressumWir über uns

Fakten, Trends und Meinungen. Gesunde Ernährung interdisziplinär aufbereitet

„Alkohol als Einschlafhilfe? Gut einschlafen heißt nicht gut durchschlafen“

Fast jeder vierte Bundesbürger ist zumindest zeitweise von Schlaf-störungen betroffen. Deshalb verwundert es nicht, dass eine Reiheganz unterschiedlicher Tipps kursieren, wie ein von Schlaflosigkeitgeplagter Mensch wieder zu seiner erholsamen Nachtruhe findenkann. Insbesondere Alkohol scheint eine beliebte Einschlafhilfe zusein.

Doch fördert ein Schlummertrunk tatsächlich einen erholsamenSchlaf? Mit dieser Frage beschäftigt sich das fünfte Themenpapieraus der Reihe „Fakten, Trends und Meinungen. Ernährung interdis-ziplinär aufbereitet“.

Die Themenpapiere können unter www.gesunde-ernaehrung.orgkostenlos heruntergeladen werden.

Bisherige Themen:• Ich ess’ was mir gefällt!• Geschmäcker sind verschieden• 5 am Tag – realistisch oder utopisch?• Wie viel Genuss tut gut?

Page 59: Mitteilungen - Rainer Wild-Stiftung · für Ersteres sind Benetton-Fotos aus den 1980er-Jahren – und aus jüng - ster Zeit die „Unhate-Kampagne“, bei der unterschiedliche Politiker

Schutzgebühr: EUR 5,–