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Die Grundsihtation des Erzählens ist: Ein Ezähler ezählt seinen Zuhörern etwas, was gesche- hen ist oder geschehen sein soll. Zwischen dem Zeitpunkt des tatsächlichen oder angeblichen Ge- schehens und dem ZeiQunkt des Ezählens liegt also ein Abstand. Ein deutlicher spmchlicher Aus- druck dieser Distanz zwischen dem Ezählten und dem Ezählen seitens des Autors ist das ImDeE feK, in dem das Ezählte als Vergangenes, Unveränderliches, Festliegendes vorgetragen wird: Es war einmal ... Gewöhnlich trägt der Ezähler nicht in erregter Ergriffenheit vor, sondern er breitet in ruhiger Ge- lassenheit und distanzierter Überschau die Fülle, die Eigenart und Schönheit der geschehenen Dinge aus; dies gilt vor allem für die Ezählkunst des 18. und 19. Jhdt. Der Zweck des epischen Dichters liegt schon in jedem Punk seiner Bewegung; darum eilen wir nlcht ungeduldig zu einem Ziele, sondem verweilen uns mit Liebe beijedem Schritte. (Fr. Schiller) Das Auktoriale Erzählen (auktorial: neugebildetes Adjektiv zu lat. auctor = Autor). Bezelchnung für eine Ezählstruktur - man spricht auch von Ezählhaltung, Ezählstandpunkt oder EzählperspeKive - aus der Perspektive einer allwissenden Überschau oder Sicht von oben, Der Er- zähler berichtet über Innen- und Auflenwelt der Personen in der von ihm geschaffenen fiktiven (= erfundenen) Welt; dieser Er-Eaähler mischt sich - bisweibn auch in lch-Form - in das Ezählte ein, kommentiert es im Gespräch mit dem Leser oder erörtert mit ihm ezähltechnische (vgl. ,,Der äu- berberg"), moralische und ähnliche Probleme, Dieser Ezähler ist im Grunde auch fiktiv, also nicht mit dem Autor identlsch (vgl. das Verhältnis von lyrischem Ich und Autor in Gedichten), aber auch kein Charakter der ezählten Geschichte; er ist - wenn man so sagen will - Herr der Lage. Der auktoriale Ezähler erscheint in der deutschen Literatur seit etwa 1750. Die VomusseEung dieser Ezähleftradition liegt in dem Glauben an die Fähigkeit des Menschen, aus der Kraft seines schöpferischen @istes der Welt und den in ihr sichtbaren Geschehnissen einen Sinn geben oder einen ihr immanenten Sinn aufdecken zu können, der für den Leser als persönliche Erfahrung fass- bar wird. Diese Sinngebung des Geschehens und ihre veftraut-veftrauliche Weitergabe an den Leser findet sich noch bis in die ezählende Dichtung der Gegenwaft hinein. Beispiele: L Annette von Droste-Hülshofi, Die Judenbuche. n. Thomas Mann, Der äuberberg. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts vediert das auKorial-persönliche Ezählen diese VorausseEung. Die Undurchsichtigkeit und Undeutbarkeit der Geschehnisse wird als so stark, die Fnge nach ihrem Sinngehalt als so unlösbar empfunden, dass es unmoglich zu sein scheint, vom entfernten Stand- punkt des auKorialen Ezählers aus einen alles verbindenden, zum Verstehen führenden Überblick zu gewinnen. Die bisher vorherrschende Intention der Ezählkunst, Wir*lichkeit unter dem Wahrheitsan- spruch des >So ist es< zu fingieren, im Ezählvorgang eine zweite, eigentliche Wirklichkeit zu erstel- len, verfällt ndikaler Kritik. Die Intentionen modemer Ezählkunst haben ihren Ausgangspunkt in dieser Kritik an der epischen Fiktion, d.h. an einer durch die Ezählung geschaffenen Wirklichkeit und damit zugleich an der Vorstellung rron der Wirklichkeit als einem geschlossenen, überschaubaren und deutbaren Sinngefüge. Diese epische Fikion und ihrc zweite Wirklichkeit spiegelte sich im übrigen auch im klassischen Drama wieder: Wie bei der Guckkastenbühne wird dort ein Vorhang - die viefte Wand - getiffnet, und der Zuschauer soll Geschehendes miWollziehen, als wäre er selbst beteiligt; den Bühnenraum, der ihm über die Handlung aufgeschlossen wird, bezeichnen manche Germanisten deshalb auch als Raum der lllusion. In den Vordergrund bitt jeEt das aufzudeckende Selbst des Menschen, der in klarcm Bewusstsein nach der Bestimmung seiner Existenzfragt, nach dem, was er ist, was er sein könnte oder sein soll- te. Im Zentrum steht damit nicht mehr die auktoriale Ausbreitung obiektiver Wirklichkeit - die der tnditionelle Ezähler durch diese Ezählhaltung vorgibt zu vermitteln - und des in sie sinnvoll einge gliederten Einzelnen, sondern der artifizielle (künstliche) Entwurf einer potentiellen. d.h. möglichen Wittlichkeit und eines potentiellen Menschen, der ihr ausgesetrt wird. So soll sich die Wirklichkeit in ihrem So-Sein verantworten vor den in der Literatur aufgedeckten Möglichkeiten oder Unmöglichkei- ten menschlicher Existenz, U.a. in der Kraft, Pespektiven auf utopische Daseinsformen zu öffnen, liegt der Anspruch moderner Ezählkunst. Aus diesem kritischen Bewusstsein heraus werden etwa seit Beginn unseres Jahrhundefts neue Ezähl- und Ausdrucksformen entwickelt, in denen die Fülle der gegenwäftigen, objeKiven Welt um- gewandelt wird in eine vom Einzelnen unmittelbar erfahrene. an das erlebende Subjekt gebundene Welt. Der unvermittelte, durch keinen auktorialen Ezähler gebrochene Einblick in den subiektiven Erlebnisraum der entworfunen poetischen Figur soll es zulassen, Mensch und Welt in unmittelbarer, lebendiger, auf den Augenblick reduzierter Konfrontation sichtbar werden zu lassen. Das Zurücktreten oder gar Verschwinden des auktorialen Eaählers ist das gemeinsame KennzeF chen der Textausschnitte, die personales Ezählen spiegeln : IIL Fnnz lGfka, Die Verwandlung. ry. Thomas Mann, Der äuberberg. V. James Joyce, Ulysses. Der Eaähler tritt hier so weit hinter die Figuren des Romans zurück, dass seine Anwesenheit dem Leser nur noch gelegentlich bewusst wird oder dass sie sich dem Bewusstsein des Lesers enEieht. Der Leser gewinnt die Vorstellung, er trefinde sich selbst auf dem Schauplatz des Geschehens s6sy er betrachte die dargestellt Welt mit den Augen der Romanfigur, die jedoch nicht im herkömmlichen Sinne ezählt, sondern in deren Bewusstsein sich das Geschehen gleichsam spiegelt. Damit wid diese Romanfigur zur persona, zur Rollenmaske (lat. personare: hindurchtönen), die der Leser an- legt. Wir lrennen diese von der Romanfigur ausgehende Ezählhaltung deswegen die personale Ea- ählhaltung. Da hier der fingiefte Eaähler aus der Ezählung verschwindet, ist der Autor nicht mehr durch eine formal vorgeprägte Ezählfigur gezwungen, unfassbare Efahrungen als Sinnzusammen- hänge deuten zu müssen. Das personale Erzählen (auch: einsinnige Ezählhaltung, einpersoniger PerspeKivismus) bezeichnet eine Eaählstruktur, bei der das fiktionale Geschehen nur aus der Perspektive einer der am Geschehen beteiligten fiktiven Personen berichtet wird, d,h,, statt einer allseitigen Darstellung der etzählten Welt erfährt der Leser diese subjektiv gedeutet und je nach FunKion (Mittelpunkts- oder Randfigur), Charafter oder seeli- scher Verfassung (klug, kombinierend, weitsichtig - naiv, unwissend) mehr oder weniger relativiert oder fragmentarisch. Das personale Elzählen hat damit auch Einfluss auf die Rolle des Lesers, der - je nach Bereitschaft - zum akiven Mitgestalten, zur Sinngebung gezwungen wird.

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Die Grundsihtation des Erzählens ist: Ein Ezähler ezählt seinen Zuhörern etwas, was gesche-

hen ist oder geschehen sein soll. Zwischen dem Zeitpunkt des tatsächlichen oder angeblichen Ge-

schehens und dem ZeiQunkt des Ezählens liegt also ein Abstand. Ein deutlicher spmchlicher Aus-druck dieser Distanz zwischen dem Ezählten und dem Ezählen seitens des Autors ist das ImDeEfeK, in dem das Ezählte als Vergangenes, Unveränderliches, Festliegendes vorgetragen wird: Es

war einmal ...

Gewöhnlich trägt der Ezähler nicht in erregter Ergriffenheit vor, sondern er breitet in ruhiger Ge-

lassenheit und distanzierter Überschau die Fülle, die Eigenart und Schönheit der geschehenen Dingeaus; dies gilt vor allem für die Ezählkunst des 18. und 19. Jhdt.

Der Zweck des epischen Dichters liegt schon in jedem Punk seiner Bewegung; darum eilen wirnlcht ungeduldig zu einem Ziele, sondem verweilen uns mit Liebe beijedem Schritte. (Fr. Schiller)

Das Auktoriale Erzählen

(auktorial: neugebildetes Adjektiv zu lat. auctor = Autor).

Bezelchnung für eine Ezählstruktur - man spricht auch von Ezählhaltung, Ezählstandpunkt oderEzählperspeKive - aus der Perspektive einer allwissenden Überschau oder Sicht von oben, Der Er-

zähler berichtet über Innen- und Auflenwelt der Personen in der von ihm geschaffenen fiktiven (=erfundenen) Welt; dieser Er-Eaähler mischt sich - bisweibn auch in lch-Form - in das Ezählte ein,kommentiert es im Gespräch mit dem Leser oder erörtert mit ihm ezähltechnische (vgl. ,,Der äu-berberg"), moralische und ähnliche Probleme, Dieser Ezähler ist im Grunde auch fiktiv, also nicht mitdem Autor identlsch (vgl. das Verhältnis von lyrischem Ich und Autor in Gedichten), aber auch kein

Charakter der ezählten Geschichte; er ist - wenn man so sagen will - Herr der Lage.

Der auktoriale Ezähler erscheint in der deutschen Literatur seit etwa 1750. Die VomusseEungdieser Ezähleftradition liegt in dem Glauben an die Fähigkeit des Menschen, aus der Kraft seines

schöpferischen @istes der Welt und den in ihr sichtbaren Geschehnissen einen Sinn geben odereinen ihr immanenten Sinn aufdecken zu können, der für den Leser als persönliche Erfahrung fass-bar wird. Diese Sinngebung des Geschehens und ihre veftraut-veftrauliche Weitergabe an den Leser

findet sich noch bis in die ezählende Dichtung der Gegenwaft hinein.

Beispiele: L Annette von Droste-Hülshofi, Die Judenbuche.

n. Thomas Mann, Der äuberberg.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts vediert das auKorial-persönliche Ezählen diese VorausseEung.Die Undurchsichtigkeit und Undeutbarkeit der Geschehnisse wird als so stark, die Fnge nach ihrem

Sinngehalt als so unlösbar empfunden, dass es unmoglich zu sein scheint, vom entfernten Stand-punkt des auKorialen Ezählers aus einen alles verbindenden, zum Verstehen führenden Überblick zugewinnen. Die bisher vorherrschende Intention der Ezählkunst, Wir*lichkeit unter dem Wahrheitsan-spruch des >So ist es< zu fingieren, im Ezählvorgang eine zweite, eigentliche Wirklichkeit zu erstel-len, verfällt ndikaler Kritik. Die Intentionen modemer Ezählkunst haben ihren Ausgangspunkt indieser Kritik an der epischen Fiktion, d.h. an einer durch die Ezählung geschaffenen Wirklichkeit unddamit zugleich an der Vorstellung rron der Wirklichkeit als einem geschlossenen, überschaubaren unddeutbaren Sinngefüge.

Diese epische Fikion und ihrc zweite Wirklichkeit spiegelte sich im übrigen auch im klassischen

Drama wieder: Wie bei der Guckkastenbühne wird dort ein Vorhang - die viefte Wand - getiffnet,

und der Zuschauer soll Geschehendes miWollziehen, als wäre er selbst beteiligt; den Bühnenraum,der ihm über die Handlung aufgeschlossen wird, bezeichnen manche Germanisten deshalb auch alsRaum der lllusion.

In den Vordergrund bitt jeEt das aufzudeckende Selbst des Menschen, der in klarcm Bewusstseinnach der Bestimmung seiner Existenzfragt, nach dem, was er ist, was er sein könnte oder sein soll-te. Im Zentrum steht damit nicht mehr die auktoriale Ausbreitung obiektiver Wirklichkeit - die dertnditionelle Ezähler durch diese Ezählhaltung vorgibt zu vermitteln - und des in sie sinnvoll eingegliederten Einzelnen, sondern der artifizielle (künstliche) Entwurf einer potentiellen. d.h. möglichenWittlichkeit und eines potentiellen Menschen, der ihr ausgesetrt wird. So soll sich die Wirklichkeit inihrem So-Sein verantworten vor den in der Literatur aufgedeckten Möglichkeiten oder Unmöglichkei-ten menschlicher Existenz, U.a. in der Kraft, Pespektiven auf utopische Daseinsformen zu öffnen,liegt der Anspruch moderner Ezählkunst.

Aus diesem kritischen Bewusstsein heraus werden etwa seit Beginn unseres Jahrhundefts neueEzähl- und Ausdrucksformen entwickelt, in denen die Fülle der gegenwäftigen, objeKiven Welt um-gewandelt wird in eine vom Einzelnen unmittelbar erfahrene. an das erlebende Subjekt gebundeneWelt. Der unvermittelte, durch keinen auktorialen Ezähler gebrochene Einblick in den subiektivenErlebnisraum der entworfunen poetischen Figur soll es zulassen, Mensch und Welt in unmittelbarer,lebendiger, auf den Augenblick reduzierter Konfrontation sichtbar werden zu lassen.

Das Zurücktreten oder gar Verschwinden des auktorialen Eaählers ist das gemeinsame KennzeFchen der Textausschnitte, die personales Ezählen spiegeln :

IIL Fnnz lGfka, Die Verwandlung.

ry. Thomas Mann, Der äuberberg.

V. James Joyce, Ulysses.

Der Eaähler tritt hier so weit hinter die Figuren des Romans zurück, dass seine Anwesenheit demLeser nur noch gelegentlich bewusst wird oder dass sie sich dem Bewusstsein des Lesers enEieht.Der Leser gewinnt die Vorstellung, er trefinde sich selbst auf dem Schauplatz des Geschehens s6syer betrachte die dargestellt Welt mit den Augen der Romanfigur, die jedoch nicht im herkömmlichenSinne ezählt, sondern in deren Bewusstsein sich das Geschehen gleichsam spiegelt. Damit widdiese Romanfigur zur persona, zur Rollenmaske (lat. personare: hindurchtönen), die der Leser an-legt. Wir lrennen diese von der Romanfigur ausgehende Ezählhaltung deswegen die personale Ea-ählhaltung. Da hier der fingiefte Eaähler aus der Ezählung verschwindet, ist der Autor nicht mehrdurch eine formal vorgeprägte Ezählfigur gezwungen, unfassbare Efahrungen als Sinnzusammen-hänge deuten zu müssen.

Das personale Erzählen

(auch: einsinnige Ezählhaltung, einpersoniger PerspeKivismus) bezeichnet eine Eaählstruktur, beider das fiktionale Geschehen nur aus der Perspektive einer der am Geschehen beteiligten fiktivenPersonen berichtet wird, d,h,, statt einer allseitigen Darstellung der etzählten Welt erfährt der Leserdiese subjektiv gedeutet und je nach FunKion (Mittelpunkts- oder Randfigur), Charafter oder seeli-scher Verfassung (klug, kombinierend, weitsichtig - naiv, unwissend) mehr oder weniger relativiertoder fragmentarisch. Das personale Elzählen hat damit auch Einfluss auf die Rolle des Lesers, der -je nach Bereitschaft - zum akiven Mitgestalten, zur Sinngebung gezwungen wird.

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Miftel dieser eaählerischen Wrklichkeitsvermittlung und damit erweiterte Formen personalen Ez-ählens sind:

* Der-EtzäilFrberif.ht (Beispiel: Kafka, Die Verwandlung)

Bei ihm wird nicht mehr ein durch einen persönlichen Elzähler vermitteltes, gedeutetes oder kom-

mentiertes C'eschehen dargestellt, sondem die Romanfigur und die Romangeschehnisse kommen

hier für sich, losgelöst vom vermittelnden Ezähler, zur Spmche. In der Ezählung scheint sich die

Wirklichkeit selbst, aus sich heraus auszusprechen. Der Vorteil dieser Darstellungsform liegt darin,

dass die Welt nicht mehr in subjektiver Brechung vermittelt zu werden braucht sondem in objektiver

Gesüalt erscheinen kann. Der Eindruck der ObjeKivität sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen,

dass es sich audt beim Ezähleöericht um fiktive, vom Dichter in bestimmter Aussageabsicht gestal-

tete Wirklichkeit handelt.

* Dle-ltrlctrtÄBcdg (Beispiel: Thomas Mann, Der Zauberberg. - ,,Hans Castorp träumte "))Bei ihr handelt es sich um eine Form monologischen Sprechens, ein Stilmittel, das für die modeme

Ezählkunst überhaupt charakteristisch ist. In der Zwischenform der 3, Person Indikativ wird hier die

direKe und indireke Rede vermischt. Die erlebte Rede gibt Bewusstseinsregungen, Vorstellungen,

Gedanken der dichterischen Figur in solcher Unmittelbarkeit wieder, dass der Leser den Eindruck

erhält, selbst daran teilzunehrnen. Der Chankter des Lebendigen, Spontanen, des im Augenblick

Erlebten wlrd häufig durch Fagen oder Ausrufe noch verstärkt.

Der Unterschied zwischen dem Ezählerbericht und der erlebten Rede ist nicht grammatischer, son-

dern psychologischer Art. Beim Ezählerbericht schaut der Leser von außen, vom Standpunkt des -

wenn auch häufig nur noch gedachten - Ezählers auf die Romanfigur; bei der erlebten Rede gleitet

die Perspeftive jedoch unmerklich zur dichterischen Figur hin, aus deren Sicht jetzt innerseelische

Vorgänge erfahren werden. Ein besonderer Reiz liegt in einem kuz aufbliEenden Perspektivenwech-

sel, indem der Ezähler durch plötzliches Heruoftreten die monologische Sprechrichtung durchbricht.

Der - aus der französischen Literaturwissenschaft übernommene - Ausdruck erlebte Rede ist unge'

nau, weil es sich ja hier um die Darstellung vorspnchlicher Gedankenabläufe, nicht um bewusst

formuliefte .Rede" handelt.

* Detjmere-Monolog (Beispiel: James Joyce, Ulysses)

Bei ihm ist der Ezähler völlig zurückgetreten, so dass der Leser ohne jede Vermittlung an stummen

Selbstgesprächen der erzählten Figur teilnimmt, Er befindet sich bei dieser an keinen Zuhörer gerich-

teten, nur im Innercn ablaufenden Rede gleichsam mitten im Bewusstseinszentrum des Sprechen-

den, ja, er wird in dessen Vorstellungswelt in dessen Bewustseinsstrom geradezu suggestiv hinein-

gezogen.

Während d're direke oder indirekte Rede, ja selbst noch die erlebte Rede, mehr oder weniger bestimmte oder bewusste Aussagen und Überlegungen formulieren, in die unterschwellige, vorbewuss-

te Schichten des Erlebens, Denkens, Fühlens nur unzulänglich eingehen können, sprechen sich im

inneren Monolog assoziative Einfälle, Erinnerungsfetzen, Außerungen von Angst- und WahnvorsteF

lungen, triebhafte Bedrängnisse und Wünsche intimster Art in oft fragmentarischen, noch nicht durch

die Mitteilungsabsichten bestimmten, bisweilen vorlogischen Ausdruckformen wie von selbst aus.

Eine Sondeform des personalen Ezählens ist der sogenannte mehrpersonige PerspeKivismus, beidem ein fikives Geschehen Konturen gewinnt durch die subjeKiven AspeKe und Bewusstseinsinhal-

te mehrerer fiktiver Personen. Ziel ist, im Anschluss an die philosophische Richtung des PerspektF

vismus, eine Annäherung an ein objektives Bild, den wahren Kern des Geschehens zu erreichen.

Die Ich-Erzählsituation

Sie unterscheidet sich von der auktorialen Ezählsituation zunächst darin, dass hier der Eaähler zurWelt der Romancharaktere gehört. Er selbst hat das Geschehen erlebt, miterlebt oder beobachtetoder unmittelbar von den eigentlichen Akteuren des Geschehens in Erfahrung gebracht.

Verglichen mit der auKorialen Ezählsituation ist die lch-Ezählsituation die umständlichere, da sie

den Autor auf den Standpunkt und die Erlebnisperspektive der lch-Gestalt festlegt. Was manchen

Autoren des 18. und 19. Jahrhundefts als unnötige Beschränkung ihrer Freizügigkeit im Hervorbrin-gen von fiKiver Welt erschien, erweist sich dem modemen Autor, der die persönlich-intime Welt-

schau dem panoramahaften Ausblick auf die Fülle der Erscheinungen volzieht, als unschätzbarer

Vorteil.

Ein weiteres CharalGeristikum ist, dass die Persönlichkeit des Ezählers, sein Standpunkt in derdargestellten Welt, seine Haltung zu den eaählten Begebenheiten Gegenstand der Elzählung wer-

den. Seine Individualität, seine Typik, seine Pers<inlichkeit werfen ein eigentümliches Licht auf die

betnchtete Szene; durch ein Individuum wird Wirklichkeit vermittelt. Selbst wo die lch-Figur nicht im

MittelpunK des Geschehens, sondern an dessen Rand steht, ist es die schafe Perspektivierung des

Geschehens, die durch die lch-Ezählsituation gefördert wird.

Die dargestellt Welt des auKorialen Romans ist aus der Distanz betrachtete Welt, die des lch-Ro-

mans oft eine in der Erinnerung wiedererlebte Welt. (Text und Dialog, Bagel)

Erzählzeit

x Zeitrafürng

,r, Zeitdeckung

* Zeitdehnung

Ezählzeit: der Begriff meint die zum Ezählen oder Lesen realer oder fiKiver Vorgänge benötigte

Zeit.

Im Unterschied zur Etzählzeit umhsst die eaählte Zeit alle Zeiträume, von denen erzählt wird. Das

Verhältnis der Ezählzeit zu der ezählten Zeit ist konstitutiv für die Gestaltung eines Werkes, u.a.

auch für das Erkennen von Ezählphasen.

Am häufigsten ist zeitraff endes Erzä h len, d.h, derAufovand von relativ wenig Ezählzeit

für die Darstellung längerer Ereignisfolgen, was zu Zeitsprüngen, Aussparungen, Raffungenführt (vgl. ,,Michael Kohlhaas)

In der neueren Ezählkunst wird oft zeitdeckendes Erzählen (Übereinstimmung von

Ezählzeit und ezählter Zeit) angestrebt und durch szenische Darbietungsweisen oder Formen der

Bewusstseinsdarstellung wie Dialog, indirekter Rede, erlebter Rede und innerem Monolog realisiert,

Ze it d e h n u n 9, d.h. der Fortgang der Ezählzeit unter gleichzeitigem Stillstand der ezählten Zeit,

dient der Einschaltung von Beschreibungen und Reflexionen.

J. P. Hebel, Unverhofftes Wiedersehen)

Amo Holz / Johannes Schlaf, aus: Ein Tod

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. des Weiteren, des Öfteren - Martin Luther, der Kohlhaas,die Leviten liesf ... rechtschatfender

. ,,Michael Kohlhaas" (Titel mit Anführungszeichen) + eine Novelle, kein Reman

, aufs, ins, ans aber geht's noch, ich hab's gehöft ... Tut's hier etwas zur Sache?

. Tempus der Vorzeitlgkeit ist meistens das Plusquamperfekt:

- Der Rosshändler, der durch Martin Luther dazu bewegt worden war, seinen Rachefeldzug auf-

zugeben, begröt sich im Anschluss unter Zusicherung des freien Geleits nach Dresden ...

- Nagelschmidt biefet Kohlhaas seine Hilfe an; der Rosshändler war nämlich entgegen dem ihm

zugesicherten f reien Geleit arretiert worden.

Nachdem der Kurfürst den Antwortbrief gelesen hatte, wlrd Kohlhaas festgenommen.

. lnhaltsangabe im Präsens (s. Kursivdruck oben)

. Anmerkung: Rolle dee Zufalls in der Novelle:

Zufällig wählt der Kämmerer in Berlin die Zigeunerin aus, damit sie des Zettels habhaft werde.

(106/14ff)

Zutällig kennt das ,Trödelweib" die Mutter Herses und gelangt, weil letztere Zugang zu Kohl-

haas hat, auch ins Gefängnis.(107/7ff)

Zufällig befinden sich die beiden Kurfürsten in Jüterbock, als MK auch dort auf seinem Rachezug

Station macht.

Zufällig.... Erstaunlich im Übrigen ist, dass die Zigeunerin Kohlhaas rät, von dem Zettel Gebrauch zu ma-

chen, um in Freiheit zu gelangen. (108/28ft)

Nicht der Rat an sich, dass er doch in Freiheit gelangen möge, ist erslaunlich; diesen wiederholt

sie ja (109/3ff); es ist ihr also ein Anliegen, dass MK freikomme und dass also das Amulett ihm

das Leben rette; das sagte sieja auch voraus.

Erstaunlich jedoch ist, dass sie vorher davon spricht, dass der Zettel hier unter dem Schutz des

KFvBra sicher sei (108/21ff); gleichzeitig aber glaubt sie offensichtlich an die Möglichkeit, dass

MK durch den Zettelfreikomme (108/32ff)

. 109/40ff ,,wenn wir uns wiedertreff en" ?? -> 114114t1??

110/26 gemeint ist sein, also des Kämmerers Versuch mit dem Trödelweib (verständlicherweise

hatte sie sich nicht mehr bei ihm gemeldet; es war ja die Zigeunerin gewesen)

. 111/sff Der Erzähler weist darauf hin, dass die Chroniken sich widersprechen in Bezug darauf,

wohin sich der KFvSa wandte; er, also der Erzähler selbst lässt ihn allerdings wie selbst-

verständlich in Berlin auftauchen - ob diese Variante auch in einer Chronik stand?

. 1111321Woher weiß der Erzähler, dass der Brief merkwürdig ist, wenn er doch verloren gegan-gen ist?

. 1111241 in Bezug auf Kohlhaas: ,,glich nichts der Ruhe und Zufriedenheit seiner letzten Tage".

vgl. auch 113/34tf: ,,ganz überwältigt von Gefühlen ... er versicherte freudig (...) dass sein

höchster Wunsch auf Erden erfüllt sei". - Wenzel von Tronka war zu einer zweijährigen Gefäng-

nisstrafe verurteilt worden ...

Allerdings und etwas seltsam: Kohlhaas nimmt seinen Hut ab und wirft ihn auf die Erde (114/25t)

Seite 1 von 3

. 11213 der Erzähler bezeichnet die Tatsache, wie MK zu seinem Recht kommen wollte, im Nach-

hinein als'allzu raschen Versuch'. lnteressant ist die Rolle des Volkes hier, nachdem es sich aufgrund der Marktplatzszene von MK

abgewandt hatte (70/23tf). Doch ist hier sein Verhalten eindeutig: 115112i 113/6; 1'12139.

Die Sympathien der Leute hatte er ja zu Beginn lange gehabt; vgl. den Hinweis von Luther, dassdie

"öffentliche Meinung (...) auf eine höchst gefährliche Weise auf dieses Mannes Seite (sei)'.

(s3/2sft). Kohlhaas wird nicht von Graf Kallheim zum Tode verurteilt (vgl. S. 85 - 1. Todesudeil)

Apropos Volk: Von der Leipziger Bevölkerung heißt es, dass sie bestürzt war über das ,,Dasein des

rasenden Mordbrenners" (44 l28Il).

Brläutere, wie es zu dem Urteil, das hier an Mi"hn61 (6hlhaas vollstrecktwird, kormnL

Denkbar ist, dass man nicht stilistisch wie bei einer lnhaltsangabe vorgeht, sondern z.B. folgen-dermaßen formuliert:

Als Leser hätte man a.nnehnen könneD, dass die Novelle mit der Interventlon Lu-thers und Kohlraa,sens daraus resultlerender Reise naoh Dresden

"behufs einer er-

neuerten Untersuchul€l "(68/16) hätto beend.et sein könneq denn ihm wax fteies

Geieit zugesichert worden und Straffrelheit flrr den FaIl, dass "seine(r)

Kla4ge, derB,appen wegen, (nicht) abgewiesen" (68/ 16) werden würde.Dass setne Kla€le a,n€lenornmen wrirde, davon konate der Leser ausgeheD.

lUlerdings erfd.hrt die Handlulg eine neue, u!.erwaxtete Werrdung, da zun. einen derFrei.herr von \Ienk als

"Chef der Polizei" (8O/5ö) - si.cherlich ganz im Silne der ge-

sa.mten HoIka.marllla r:m den Kurflirsten - Kohlhaa,s arretiert und dieger auf dasAasinnen des Na4lelschmidt eiaSleht, der Anfübrer von d.essen I{aufen zu werden.Dass MK sich darauf nur auf dem llint€rgrund des Bruches der Zuea€le, deuss ihmfleies Geleit gewilbrt werde, eidässt, steht außer Fra6e. Doah geht er einer List deradligen Dra.htzieher auf den Leim, u-trwissend, dass der Brief des Na€el,schmldt a,nlhn 3!5lsfa14len worden war. Er wird verhaftet r:ad zum Tode verurtellt,Ilier nun interveniert tlberraschend der Kurflirst von Bra.D.deuburg - rlberraschend,weil er bzw. seine Hofirerwaltun6l in der Verga.p€ieDheit zweim.al Kohlhaaeens Bitte,ds,ss lhrn F,echt gescheb.e, nlde abgescbla€en hatte - und rettet sein La.ndeskiDd.

,aus den. Händen d.er Überma,chü und Willkirr" (86/I) des Dresdener llofes; derRosshä,ndler verdanl<t dies wohl auch dem in Fol€le dieses Geschehens zum. Erz-kanzler beforderten voD Geusau. (86/6ltf)Kohlhaas wird nach Berlin überstellt, und ala der KFvSa sich außersta,nde sleht,Kohlbass selbet il. Berlin anzukla4len, bittet er den ka^lserlichen Hof zu Wien, denUnruhestifter wegen Land-fuiedensbrucb. ,bei dem Hofgerlcht zu Berlin (..) clurabeinen F,echtsa,nkläger zu.r Rechen-scha,ft zu ziehen." (88/llff) [1,2 S.] ---Zusammenfassung des weiteren Vorgehens: Der KFvSa versucht später aus bekanntenGründen (Geschehen in Dahme) den Prozess zu vereiteln; Brief an den Kaiser, Brief anden KFvBra; missglückter Versuch des Kämmerers in Bezug auf das Trödelweib, Ziqeune-

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Bewertungsgrundlage Klausur Gestaltendes Interpretieren

rin im Gefängnis, Brief der Zigeunerin kurz vor der Hinrichtung, ausgehändigt durch den

Kastellan...)

Zitate sind in dieser Teilaufgabe im Rahmen der Abitur-Aufgabenstellung ll in aller Begel eher die

Ausnahme und oben an der Grenze des Akzeptablen; in Ausnahmefällen mag es aber durchaus

eine Aufgabenstellung geben, die diese Häufung oder noch mehr Zitate als angemessen erschei-

nen lassen kann. - Deshalb ist es notwendig, dass Du die Dimensionen der Aufgabenstellung im-

mer gründlich auslotest. Selten ist eine pure lnhaltsangabe von Anfang bis zur vorliegenden Text-

stelle enadnscht; auch oben setzen die Ausführungen gezielt an einem bestimmten Punkt ein; im

Zentrum der Textstelle stehen ganz otfensichtlich Kohlhaas und der KFvSa sowie das Amulett und

damit die Zigeunerin; dies gilt es zu beachten. Tronkenburg, Wittenberg, Leipzig, Luther usw. wer-

den somit höchstens kurz in drei bis vier Sätzen erfasst; ich habe diese Ereignisse sogar wegge-

lassen.

Bitte also unterscheiden:

lm Rahmen der Texterörterung oder Textanalyse (Abitur-Aufgabenstellung 5) sind Zilale in der

Regel erwünscht, ja zwingend erforderlich, wenn es z.B. darum geht, zentrale Begriffe aus dem

Text herauszudestillieren oder die Kernsätze des Zeitungsartikels zu erfassen; den ein oder ande-

ren Kernsatz oder Teile davon wird man aus dem Text zitieren. Die Abitur-Aufgabenstellungen 1

(Werk im Kontext) und 2 (Gest. lnterpretieren) unterscheiden sich also in Bezug auf das Zitieren

von 5, denn:

vor allem in der Abitur-Aufgabenstellung 5 (Erörterung an Hand eines Textes bzw. Textanalyse)

sind in Teil I in aller Regel Zeilenverweise zwingend erforderlich!

mögliches Vorgehen:

EinseEen mit der Arretierung von MK (85) unter Hinweis in ein, zwei Sätzen, was bisher geschah;

dann in drei bis vier Sätzen bis Nagelschmidt-Affäre inclusive deren Ausgang. Betont werden muss

der vorausgehende Bruch derAmnestie.

Mit Nagelschmidt entwickelt sich eine neue Dynamik:

Kohlhaas geht auf das Ansinnen des Nagelschmidt ein, gewiss allerdings mit dem Gedanken, dem

Ganzen eine eigene Wendung zu geben (Auswanderung). Doch fällt er einer List zum Opfer, inso-

fern als der Brief Nagelschmidts abgefangen worden war. IDie Sache an sich, wie sie von Nagel-

schmidt geplant war, war keine List! - Vorsicht bei der Formulierungtr

Todesurteil in Sachsen (85)

lntervention des KFvBr; jener war von dem Stadthauptmann Heinrich von Geusau über das Ge-schehen um MK informiert worden; so reklamiert er MK als brandenburgischen Untertan (86/4)

Der KFl6a erstattet jedoch dem Kaiser über den Landfriedensbruch Bericht und bittet um einenkaiserlichen Rechtsankläger; er schickt einen Gerichtsrat in Sachen MK nach Wien (Eibenmayer -

88), um gegen Kohlhaas wegen des gebrochenen Landfriedens aktiv zu werden.

Nach der Begegnung mit MK bei Dahme und vergeblichen Aktivitäten, in den Besitz des Amulettszu kommen, will er den Gerichtsrat Eibenmayer zurückziehen, doch der hatte schon eine Klage bei

der Wiener Staatskanzlei eingereicht (lnfo des KFvSa darüber durch den Kämmerer),

Hinwelse zum Aspekt Zufall, Volk, Verhalten von Kohlhaas vor selnem Encle, Blttschriften Selte 2 von 3

Brief von KFvSa an den Kaiser. Dieser antwortet u.a., dass bereits der Hof-Assessor Franz Müller

in der Eigenschaft als Anwalt nach Berlin gegangen sei, um MK wegen Verletzung des öffentlichen

Landfriedens zur Bechenschaft zu ziehen

KtuSa bittet dann noch den KFvBra um das Leben von Kohlhaas.

Der KFvSBH verwies auf den ,,Nachdruck" des kaiserlichen Anwalts und die Statuierung einesExempels autgrund der Aktivitäten des Nagelschmidt; vielleicht ist das auch ein Grund, warum er

ihn am Schluss nicht begnadigt: Meines Erachtens ist der Hauptgrund aber, dass der KFvBr nichtnach der Anklage im Auftrag des Kaisers und der daraus resultierenden Verurteilung Kohlhaasbegnadigen kann;das hätte der Kaiser als handfesten Affront autfassen müssen.

Mögliche Schlusssätze von Teil l:

So kommt eB, dass das Juristische Enga€emeDt des Wener Hofes iD Berlln erfolSpeloh l,st

und bleibt. MK wird zum zweiten Mal zum Tode verurteilt, Dicht so Ea.rtla,li.sch wle belmersten Mal, dafib aber diesmal, wie wir aufgrund des Endee der Novelle w16seD, erfol1;-

reich.

Der vorliegende Textauszug lginha-1f,61 das Ende der Novelle, in der MK ein letztee Malmlt jenem Ma.n.n. zusnmmentrifft, desaen Hof ihm die erst€ gchmerzhafteJurlstieche Nie-derla6le bereitet hatte und dem er ln der Fol6le zwelm&l begegnet. Daa drttto Mat nun eoII-

te d.as Ende deg MK bedeuten, allerdlngs sucb. das Ende des Kurfüreton von Bachsen,von dem wir lesen: nDer KFvBa ka.rn bald darauf, zerrissen an Leib und Seele nach Sacb-sen zurück, wo Era.rr das Weitere ln der Cleschlohte na,cbleseD mu3-"Tnsefss111v41' MI{s Ansinnen mehr als erfol6peich: n[,..], ich aber kann dllr weh tun, und lcbwiltrsl"

ln gewisser Weise ist die hier vorliegende Schlusspassage untypisch für diese Form der Aufga-benstellung, da sie deutlich über eine Wiedergabe des lnhalts hinausgeht.

Sie leitet jedoch gut zum folgenden Teil über und erscheint dadurch in ihrem kommentierendenDuktus nicht überzogen, sondern informativ und die Zusammenhänge gut herstellend.. Was in diesem Teil nichts zu suchen hat, sind Passagen wie:

"Es ist nicht die erste Stelle im Buch, an der der Zufall für den Rosskamm negative Folgen hat.

Als er mit seinen Schergen im Kloster Erlabrunn stand (steht), um den Junker Wenzel von Tron-ka zu finden, löscht(e) ein kuzer, starker Regenguss ihre Fackeln aus ...

Dieses Wissen müsstet ihr einbringen, indem ihr z.B. MK auf dem Schafott sich Gedanken ma-chen lasst, wie viel Zufall ihm begegnet ist... Diese Gedanken müssen sich allerdings auch dortaus der Situation - 2.8., dass MK an die Zigeunerin denkt, die zufällig die Mutter Herses kennt -ergeben; dass MK dann in Gedanken weiterschweift, ist in Ordnung.

. Es darf auch nicht sein, dass ihr ausführlich tiber Nagelschmidt schreibt, dann aber z.B. denBrief der Zigeunerin nicht erwähnt, den der Kastellan übergibt; ihr müsst dann nicht erwähnen,dass Kohlhaasens an den Kastellan gestellte Frage nicht beantwortet wird - das wäre unnötigund unangemessen ausftihrlich. Aber in dem Brief werden doch die Federbüsche enrähnt, die indem Textiauszug eine Rolle spielen. Von daher ist das Geschehen wichtig. übrigens auch in 86r-.

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zug aut die Rolle der Zigeunerin, über welche der bzw. die ein oder andere sich MK doch Ge-

danken machen lässt.

C'ehe von folgender Alnalme aus:

AIs Michael Kohlhaas den ,,wohlbekarurten Mann" walrrnimrnt, wird er sich des gf,ruzeü Gesche-

hens, das mit dem Kurfürsten in Zusammenhmg steht, noch einmal bevrxst, und viele Gedanken

gehen ilrm durch den Kopf.SchreibedieseninnerenMonologl - ( nt-

1.1'.c.c-t\'?tgAls er des Federbusches ansichtig wird: MK denkt an den Brief Lisbeths (112120ft), denkt an den

Hinweis auf den Mann mit dem Federbusch, denkt an deren Warnung

Möglichkeit der Assoziationen zu Lisbeth;

ihr Auttauchen im Gefängnis, ihren mehrfachen (indirekten) Rat zu fliehen

ihr erstes Tretten kurz nach dem Tod seiner Frau - später wird er feststellen, wie sie ihr so ähnlich

sieht, als ob sie deren Großmutter sei.

Erst ganz am Schluss erfährt er, dass ihr Name sogar im Grunde identisch ist mit dem seiner

verstorbenen Frau

Zum KFvSa - mögliche Assoziationen

a) Zweimal bereits getroffen:Auf dem Weg nach Berlin (Dahme) und einst in Jüterbock

Ja, eigentlich dreimal: erste Petition

> Meinen Bitten hast Du keine Beachtung geschenkt ...

Für Deine habe ich nun Verachtung. <

b) Bruch der Amnestie

>iagt in der Gegend herum und verlustiert sich mit Frauen wie der Dame Heloise, während die, dieihm Steuern bringen, zu Tode kommen, weil sie vergeblich um ihr Recht gekämpft haben - dassDU nicht zu schützen wusstest, dass DIR einerlei war .., <

c) ggf, Eingehen auf die beiden Treffen (Jüterbock, Dahme)

d) Auf die Willkür seines Machtapparates, auf die Willkür seines Freundes Hinz von Tronka, auf dieVerletzung der Amnestie, auf das Todesurteil

>in Ketten ,.. wie ein Hund kam ich mir vor ... und [da ihm die Jüterbock-Szene in den Sinnkommtl: Sie waren der Hund, ich der Rehbock. lm Grunde war ich auch tot wie das Vieh ... <

Es ist möglich, per Regieanweisung das Schlucken des Zettels einzubauen:

>lch seh Dir in die Augen, ich seh, dass Du wieder fast ohnmächtig wirst, rieche Deinen Angst-schweiß (steckt den Zettel in den Mund, zerkaut ihn, fast genussvoll) Noch nie hab ich so großePupillen gesehen. Du wirst keinen Rosshändler mehr misshandeln, missachten, verhöhnen. lchverhöhne Dich, letztendlich bist auch Du nur, was ich bin, ein Mensch, aber ich habe meine Ehre,ich habe mein Recht bekommen, der Junker, dieser versotfene Nichtsnutz - selbst auf dem Markt-platz war er betrunken - erhält die gerechte Strafe. Ja, ein Adliger geht ins Gefängnis und eigent-lich müssten von euch noch viel mehr seinen Weg gehen. Doch da wird noch viel Wasser die Ha-vel hinabfließen müssen, bis es so weit ist, bis man euch so behandelt, wie ihr es verdient.

Ja, ich bin stolz auf meine fünf Kinder; sie verlieren ihren Vater, aber sie werden erleben, dass sein

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Name mit Respekt genannt wird; sie können stolz darauf sein, ein Kohlhaas zu sein. Du hättestauch mich als Dein Landeskind (Vorsicht, zu ungenau) schützen müssen, Sorge tragen müssenauch für mein Recht, Stattdessen hast Du zugelassen, dass Dein Hof treibt, was er möchte, allen

voran Dein Freund Hinz von Tronka.

Wenn in Zukunft dieser Name fällt, werden in Brandenburg und Sachsen die Menschen ausspu-cken. Hinz und Kunz, das werden Spottnamen sein. Hinz und Kunz waren es, d+e€erg€+rugen /die dafür Sorge getragen haben, dass meiner ersten Petition kein Erfolg beschieden war ... <

. lmmer auch die aktuelle Situation mit einbeziehen:

Stimmung auf dem Platz

Volk - selbst Mutter von Herse - ist anwesend; Rolle des Volkesl -> gest. lnterpretierenl

MK könnte über so viel Menschen staunen, er könnte wahrnehmen, wie respektvoll sie ihn .... Eingehen darauf, dass sich der KFvSa versteckt (Selina S.5)

. Mögliche Leerstelle: Eingehen auf den verlorenen Brief Luthers

. Vorsicht, Maria.E. ist es nicht korrekt zu sagen MK vernichte den KFvSa! Er zieht ihn nicht ein-mal ins Verderben. Höchstens insotern, als dieser durch MKs Verhalten vollends durchdreht.

. MK macht ihm das Leben zur Hölle, im Grunde aber ist es der KFvSa selbst, der es sich zurHölle macht.

. Stil innerer Monolog - unmittelbare Eindrücke vermitteln, nicht schreiben:

ich grolle / ich denke / Wenn ich mir vorstelle / Endlich hatte meine Seele Ruhe gefunden ...

o So denkt man nicht!

. Vorsicht: Brief und Zettel nicht verwechseln!!

Mögliche Passage;

>Wieder einmal mehr hat die Zigeunerin Recht. So, wie sie ihn beschrieben hat, so steht der KFda. Aber warum hat sie mir den Brief geschrieben? lch hätte doch keine Ahnung davon, dass derKF seine Leute mich ausgraben lassen will - wär' mir das egal?

Ah, sie möchte es nicht; sie steht auf meiner Seite. Aber hat sie auch ein lnteresse, dass er nichtsefährt von der Weissagung? Was könnte sie noch wollen? Sollte ... nein .., sollte es so sein, dasssie mir aus einem ganz anderen Grund schreibt ... wegen des letzten Wortes: ElisabethlOh, wie mein Herz bei dem heiligen Namen pocht ... Lisbeth ... ja ich weiB, Du bist mir nahe aufmeinem letzten Gang ... ich weiß, die Toten sind unter uns, sie leben. Nie hat mich das interessiert... nun spüre ich es.

Lisbeth ... Elisabeth ... und dann diese Ahnlichkeit ... ich habe gesagt: Sie sieht meiner Großmutterähnlich ... jetzt getraue ich mich's zu sagen .., die beiden verbindet etwas ... ich spüre es ... kannes sein, dass Elisabeths Seele im Körper der Zigeunerin ist? Gibt es so etwas? Luther würdewahrscheinlich das nächstbeste Tintenfass nach mir schleudern ... so Magisches mag er ja, wie ichgehört habe, gar nicht ... was interessiert er mich hier, dieser Sturkopf ... (falsch, vgl. 111/30f)

. Reihenfolge der Beschwerden / Suppliken von MK an die Regierungen:1. ,,Beschwerde" (2015) bzw. ,,Klage" (2112)

2. "Supplik"

- KFvBr übergibt diese Kallheim (2911gf) - Antwort ,,Resolution,' (2415)

3.,Klage. (27 135) bzw.,,Bittschriff (29122)

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MICHAEL KOHLHAAS. Aus einer alten Chronik. lKindler]

Erzählung von Heinrich von kleist (1777-18111, erschienen 1810;

einen Teil verötfentlichte Kleist schon 1808 in seiner Zeitschrift

Phöbus (darin sind alle Hinweise auf Sachsen als den Ort der

Handlung getilgt). - Kleists unmittelbare Quelle war die Diplom-

atische und curieuse Nachlese der Historie von Ober-Sachsenund angrenEenden Ländem (1731) von Christian Schöttgen und

Georg Christoph Kreysig, in der die "Nachricht von Hans Kohlha-

sen( aus dem Microchronologicum (ab 1e95) des Peter Hafftiz

mitgeteilt wird. Dem historischen Hans Kohlhasen, Kaufmann in

Cölln an der Spree, wurden am 1. 10. 1532 auf Anordnung einesJunkers von Zaschwitz zwischen Wittenberg und Leipzig zwei

Pferde gestohlen. Nach langem, erfolglosem Rechtsstreit veröf-

fentlichte Kohlhase 1534 einen Fehdebrief, steckte Wittenberg in

Brand und ließ sich auch durch einen Appell Luthers nicht von

seinem Feldzug abbringen. Schließlich wurde er nach Berlin gelockt und doft am 22.31540 hingerichtet. Seine Pferde hatte man

ihm vorher zurückgegeben. Seine Frau überlebte ihn um mehre-

re Jahre.

Kleist hält sich nur zum Teil an diese historischen Fakten. Mit

einer Koppel Plerde in Sachsen unterwegs, wird der im Branden'burgischen ansässige Rosshändler Michael Kohlhaas bei der

Burg des Junkers Wenzel von Tronka widerrechtlich aulgehalten:

Unter dem Vorwand, er habe keinen Pass, nötigt der Burgvogt

Kohlhaas auf Befehl seines Herren, zwei Bappen als Pfand zu-

rückzulassen. ln Dresden darüber belehrt, dass die Passforde-

rung völlig willkürlich gewesen sei, will Kohlhaas seine Rappen

auf der Tronkenburg abholen, muss aber feststellen, dass die-Iiere durch Feldarbeit und schlechte Unterbringung völlig herun'

tergekommen sind, Seine Beschwerde wird höhnisch abgewiesen.

Seinen Knecht Herse, der gegen die missbräuchliche Verwen-

dung der Pferde protestiert hatte, findet er, von den Bedienten

des Junkers übel zugerichtet, zu Hause vor. Kohlhaas verklagt

den Junker beim Gericht in Dresden auf Wiederauffütterung der

Rappen und Erstattung der Krankenkosten für Herse. Nahezu ein

Jahr vergeht, ehe er erfährt, dass seine Klage aufgrund der lntri-ge zweier einflussreicher Verwandter des Junkers, Hinz und

Kunz von Tronka, niedergeschlagen worden ist, "Ein richtiges,

mit der gebrechlichen Einrichtung der Welt schon bekanntes Ge-

fühl" heißt Kohlhaas nichts unversucht zu lassen, um auf ordent-

lichem Wege Recht zu bekommen. Doch als es ihm weder mit

Hilfe der Unterstützung des ihm freundschaftlich zugetanen

Stadthauptmann Geusau noch des pers<inlichen Einsatzes seiner

Frau Lisbeth - beim Versuch, dem Kurfürsten von Brandenburg

eine Petition zu überreichen, wird sie von einem Wachsoldaten

niedergestoßen - gelingt, Gerechtigkeit zu erlangen, und als sei-

ne Frau an den Folgen der VerleEung gestorben ist, zögert

Kohlhaas nicht länger: Mit sieben Knechten überfällt er die Tron-

kenburg und äschert sie ein. Der Junker soll angeblich nach Wit-tenberg entflohen sein.

Kohlhaas zieht mit seinem ständig anwachsenden Kriegshaufen

vor die Stadt und verlangt die Auslieferung seines Feindes.

Mehrmals fällt er brandschatzend in Wiüenberg ein, um seiner

Forderung Nachdruck zu verleihen. Seine Kampftaktik ist so un-konventionell und flexibel, dass es selbst einem 500 Mann star-

ken Heer unter Führung Friedrichs von Meißen nicht gelingt, das

Häuflein des, wie er sich pathetisch nennt, "Statthalters Michaels,

des Ezengels", zu besiegen. Während man in Dresden kopfscheu

die nächsten Schritte berät, verfasst Martin Luther einen flam-menden Aufruf an Kohlhaas, worin er ihn als einen Frevler wider

Gott und die Obrigkeit anprangert. Es kommt zu einem heimli-

chen Gespräch zwischen dem Reformator und dem Mordbren-

ner, mit dem Ergebnis, dass Luther beim Kurfürsten von Sachsen

eine Amnestie für Kohlhaas erwirkt. Sofort entlässt dieser seineSpießgesellen, begibt sich nach Dresden, wo nun endlich seiner

Klage gegen den Junker stattgegeben werden soll. Beim Wieder-

aulrollen seines Falles ergeben sich unvorhergesehene Schwie-

rigkeiten. Nach einer lür die Tronkas schmachvollen Szene auf

oftenem Marktplatz triumphieren diese und ihre einflussreichen

Freunde bei Hof erneut mit einer Reihe von Wnkelzügen über

das unbeirrbare Rechtsgefühl des Rosskamms: Er geht in eine

Falle und wird in den Kerker geworfen. Zwar setzt der Kurfürst

von Brandenburg, sein für ihn zuständiger Landesherr, seine

Auslieferung durch, doch da der sächsische Hof inzwischen den

Kaiser in Wien angerufen hat, erhält der Fall Kohlhaas auch für

die Obrigkeit in Berlin die Bedeutung eines mit Strenge zu statu-

ierenden Exempels.

Obwohl zum allgemeinen Erstaunen kein geringerer als der Kur-

fürst von Sachsen plötzlich alle Hebel in Bewegung setzt, um das

Leben des Mannes zu retten, gegen den er wortbrüchig gewor-

den ist, wird Kohlhaas zum Tode verurteilt. Der Kurfürst hatte

herausgefunden, dass Kohlhaas eine Kapsel bei sich trägt, in der

sich ein für die Geschicke seines Hauses hochbedeutsamer Zet-

tel befindet. (Einst hatte er sich in Begleitung vom Kurfürsten von

Brandenburg in einem Marktflecken (Jüterbock) von einer Zigeu-

nerin weissagen lassen. Diese hatte ihre Prophezeiung jedoch

vor ihm verheimlicht, auf einen Zettel geschrieben und ihm bedeu-

tet, nur von dem Mann mit dem Federhut, den er dort vor dem

Kircheneingang stehen sehe, könne er den Zettel einlösen. Bei

dem Mann mit dem Federhut hatte es sich um niemand andersals Kohlhaas gehandelt, dem die Alte den Zettel mit der Bemer-kung zugesteckt hatte, er werde ihm "dereinst das Leben ret-ten".)Als Kohlhaas zum Schafott gelührt wird, erkennt er in der Menge

den Kurfürsten, der sich verkleidet und inkognito in Berlin aufhält,

tritt auf ihn zu und verschlingt, indem er den verhassten Souve-

rän unverwandt anblickt, den ominösen Zettel, nicht ohne ihnvorher gelesen zu haben. Dann lässt er sich widerstandslos ent-haupten. Zuvor dart er noch seine wohlgenährten Rappen in Au-genschein nehmen und zu seiner Genugtuung erfahren, dassseiner Klage gegen den Junker stattgegeben worden ist. Der

Kurfürst von Brandenburg erweist dem rechtschaffenen Verbrecher

nachträglich seine Reverenz: Er schlägt seine beiden kleinenSöhne zu Rittern und gibt sie auf eine Pagenschule.

Dass Kohlhaas zu Beginn als "einer der rechtschaffensten zugleich

und entseElichsten Menschen seiner Zeit( apostrophiert wird,

weist auf die paradoxe Thematik der Erzählung selbst hin, eineParadoxie, die am Schluss, wenn Kohlhaas kurz vor seiner Hin-richtung die lang ersehnte Gerechtigkeit zuteil wird, besonderseklatant hervortritt. Kohlhaas lehnt sich erst auf, als er die Willkürnicht mehr nur als menschliche Schwäche, sondern als entschie-dene Bosheit im Einzelnen und im System begreifen muss. Erst

das Zusammenspiel unterschiedlichster Faktoren erzwingt dieZuspitzung des Handlungsablaufs. Das verabsolutierte Rechts-gefühl des Kohlhaas ist von seiner strikten Wahrheitsliebe dik-

tiert, aber diese Unbedingtheit des Gefühls führt zu Unrecht und

Unmenschlichkeit. Nicht die das Recht ga,vissenlos manipulieren-den hohen Herren bei Hofe trifft der Rachefeldzug des Kohlhaas,sondern das gemeine Volk. Kohlhaas versieht sich in der Wahl

des rechten Landesherrn, und dieser von der Doppelstaatlichkeitbedingte Fehlgritf lässt sich im weiteren Verlauf des lawinenartig

anschwellenden Unheils nicht mehr korrigieren. (...) Die Einfüh-

rung des Wunderbaren (präsent in der alten Zigeunerin) - kei-neswegs ein entbehrliches Anhängsel, sondern ein Motiv das die

Doppelstaatlichkeit in ihrer Schlüsselfunktion für das Werk-

verständnis unterstreicht - stellt das letzte Glied einer Kette von

Horizontausweitungen des lnhalts dar, die in der privaten Sphärebeginnen und neben dem lokalpolitischen auch den theologi-schen und staatspolitischen Bereich einbeziehen. Die Ereignisfol-ge ist tro? der verwirrenden Detailfülle atemlos und denkbar ge-

radlinig. Retardation und Akzeleration bestimmen den Grund-

rhythmus von Kleists periodisch gegliederter Syntax. (...)

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Dle Erzählung trägt den Untertltel: Aus einer alten Chronik. Ganz offehsichtlich handelt es

sich bei dem Berlqhterstatter nicht um einen Chronisten des 16. lahründerts, sondern um

elnen Zeltgenossen Klelsts (L777-I8LL). Denn am Ende der Erzählung berlchtet er von denNachfahren des Kohlhaas, die >noch lm vergangenen Jahrhundert< (115) gelebt hätten,womlt nur das 18. Jahrhundert genleint seln kann. Der Erzähler stützt sich bei seinem Be-

rlcht auf eelne alte Chronik<, die wohl eher als Hauptquelle gemeint lst, insofern er aus-

drrjckllch vdie Chroniken<< erwähnt, >aus deren Vergleichung wir Bericht erstatten<.Der Erzähler geht in mancher Hinsicht wie eln Geschichtsschrelber vorj er nimmt auf seine

Quellen Bezug, ve;gleicht selne Quellen, berichtet über Dokumente, diö leider verloren ge-

gangen slnd (wle den zwelten Lutherbrief), und gesteht offen, gewisse Hintergründe und

Zusammenhänge nlcht zu kennen: >um welchen Gegenstandes willen wissen wlr nicht<<

G86).Der Erzähler führt seine Pelsonen mit Nameh und Titel ein, wie die Kurfürsten von Bran-

denburg uhd SachFen, Doktor Martih Luther, Prinz Christiern von Meißdn, Frelherr Siegfried

von Wenk, Kämmerer Kunz von Tronka, Meister Himboldt, den sächsi3chen Gerlchtsrat Ei-

benmayer, den br?ndenburglschen Rechtsgelehrten und Anwalt Anton Zäuner, den Weima-

ier Hof-Assessor und kalserllchen Anwalt Franz Müller, den Theologen Jakob Freislng, und

bezieht sich auf Herse nach desseh Tod stereotyp als auf den >bei Mühlberg gefalleqen

Knecht Herse<. Bei den mit Namen genannten Personen handelt es sich nun zum einen um

hlstorlsche oder zumindest im Nachnamen historlsche Personen wie Martin Luther, Kohl-

haas, Nagelschmiqt; zum anderen um Namen, die auf Personen aus Gdethes Götz von Ber'llchingen verweisen, wie Llsbeth auf Elisabeth, Götz' Frau, Herse auf Lerse, den Helfer Göt-

2ens, der sächsisqhe Astronom Oleärius auf den Olearlus, Doktor beider Rechte im Göa;und zuletzt um frel von Klelst erfundene Namen, die durchaus in Anlehnung an bestimmtePersonen (wle Frapz Müller an Adam Müller) gebildet sein mögen. Durch die Art ihrer Ein-

ftihrung erhalten alle Personen quasi den Status historischer Personen.

Der Hinweis auf Goethes GöE erfüllt andererseits die flunktion, die Erzählung an die literari-Sche Traditlon des >Sturm und Drahg< anzuschließen, von del das Recht des Individuupsauf Autonomle ausdrücklich gegen die Herrscherwlllkür des Absolutisnlus sowle gegen An-

passungsdruck und Außtlegsstreben der Bürger verteldigt wird,

Dem Anspruch auf geschichtliche Wahrheit, auf Authentizität [Echthelt, Zuverlässigkeit,

Glaubwtirdlgkeltl, kommen äuch dle genauen Orts- upd Zeltangaben näch: Es werden Orte

Wle Berlin, Dresden, Leipzig, Wittenberg, Mtihlberg, Meißen, Dessaul Lützen, Hainichen,

Wilsdruf, Döbeln, lüterbock, Dahme, Kohlhaasenbrück genannt, Flüsse wie die Elbe und die. Mulde, der heillge Abend vor Pfingsten, der Tag des Hl. Gervasius, der Montag nach Palm-

ärurn. Der Genaulgkeit solcher Angaben entspricht auch die Eigenart, dass der Erzähler

Qanze Passagen des Geschehens seiner Chronologie entsprechend komrnentarlos wiedergibt(so z. B. S, * 37-42, * 57-59, - 85-88). Mit diesen l4itteln wird die etste E.zählebene Ee-bildet, deren Funktlon es ist, beim L€ser die Illusion von Authentizltät hözustellen.

Auf einer zweiten Fnählebehe begegnen wir einem wertenden Erzählef, der ftir oder gegen

bestimmte handelnde Personen Partei ergreift, Handlqngen lobt oder verurteilt. Diese Wqrt-urtelle lassen sich ln zwel verschiedene Arten systematisch zusammenfassen. Die einQn

Erzählstrategien, Blatt 1

gehen unvermittelt aus der Handlung hervor oder quallfizieren vorausweisend eine Hand-lung, so dass der Leser sle nachvollzieheh und beurteilen lqann, In diese Gruppe gehört z. B.das tJrteil: >Diese Relse war aber von allen erfolglosen Schritten [...] der allerunglücklichs-te< (-271 oder auch Qualiflzlerungen wie >der ehrllche Kohlhaas< (-62), der >arme Kohl-haas< 1-59, -71), dle,Darglistlgen Ritter< (-71), >in Wendungen ärglistiger und rabulisti-scher Art< (-75), >arglistige und winkelziehende Einwendungen der Gegenpart< (-76), der,nwackere Stadthauptrnann, Herr Heinrlch von Geusau( (- 86). Dtrrch diesen Typus vonUrteilen wird ein Einvepständnls zwischeh Erzähler und Leser hergestellt, das vor allem diemoraiische Bewertung yon Personen und Handlungen betrifft,Dle zt'rrelte Gruppe von Werturteilen dagegen lässt sich nicht mit vergleichbarer Eindeutig-keit äus den geschllde;ten Handlungen ablesen, ja steht zum Teil ln offenem Widerspruchzu ihnen. Dies gilt zurn einen für dle scharfe Verurteilung von Kohlhaas' Mandaten wle ge-nerell seines gesamten Rachefeldzugs und zum anderen fiir die geurteilung des Verhaltensdes sächsischen Kurftirsten und zum Teii auch des Kämmerers Kun2 von Tronka. In beidenFällen fungieren die negativen bzw. positiven Werturteile nur scheinbar als rezeptionslen-kend für den Leser. Denn der Erzähler hbt auf andere Weise Signale gesetzt, die seine bie-dererl, systemkonformen, obrigkeitsgläubigen Werturtelle unübersehbar konterkarleren. Sohaben dle blblischen Anspielungen Kohlhaas' Selbsterhöhung ausdrücklich in ihrer Ambigui-tät dargestellt, so dass die Festlegung auf ein negatives Urteil nicht glaubwürdig nachvoll-zogen werden kann. Andererseits ist dei Kurftirst bereits als wortbrüchig (durch den Bruchder Amnestie) und verlogen (durch seinen bewusst falschen Hinweis auf Luther in der Sa-che Eibenmayer [-98]) entlarvt, wenn der Erzähler ihn verschiedentlich als >dieser un-glückliche Herr< (-199, -LL2) äpostrophiert, als wolle e;'den Leser zum Mitleld mit demKurftirsten bewegen.Der Erzähler greift also immer dann mit ungerechtfertigten Urtellen in seinen Berlcht ein,wenn das Verhältnis zwlschen Herrschenden und Bürgern sich für den Lesei zugunsten derBürger zu verschieben scheint, well die >Unziemlichkeiterl<, dle aWillkür<, die sich der re-glerende Kurfiirst und seine Günstlinge im Junker-Staat erlauben, so ungeheuerlich sind,dass er sie - auch als lqyaler Bürger eineS Obrigkeitsstaates - kaum mehr gutheißen kann.Während auf der ersten Erzählebene durch die Wiedergabe der Ereignlsse implizit einescharfe Kritik an den ln Sachsen herrschenden Verhältnissen formuliert wird, veffolgt diezweite Ebene elne Verschleierundsstrategie, indem hier den geschllderten Handlungen offenwidelsprechende explizite Wertunelle abgegeben werden. Es ist dem Leser überlassen, bei-de Eizählebenen zueinander in Beziehung zu setzen, um zu seinem eigenen Urteil zu fin-den. Dle Oppositlon zwischen beiden Erzählebenen fungiert insofern als Rezeptionssteue-rung, die das eigenständige moralische tJrteil des Lesers herausfordert.Darüber hinaus kann nicht ausgeschlossen werden, dass rnit solchen Erzählstrateglen auchmöglichen Zensurmaßqahmen begegnet werden sollte. Die Zensur grlff allerdings melst nurbei Jdurnalpublikationen ein, während die besondere Form der WertUrteile erst ln der Buch-fassung der Eaählung verfolgt wird. Kleist hatte vor allem während der Herausgabe der>Berllner Abendblätter( mlt der preuBischen Zensur zu kämpfen. die lhn >belnahe garnlcht$ mehr abdrucken< ließ (tsrief Arnims an Wllhelm Grimm). Entsprechend beklagte

Page 8: mk material

Klelst slch ln einem Schrelben (vorh 20. Mai 1811) an den Prinzen Wilhelm von Preußen,

dass >die Zensurbehörde, durch die willkürlichsten und unerhörtesten Maßregeln (woftir ich

mlr den Bewels zu ftihren getraue), das Blätt, dessen tägliche Erscheinung nur mit dergrößten Anstrengqng erzwungen werden konnte, ganz zu vernichten drohte<<, Wieweit die

Etzählstrateglen im Michaet Kohthaäs die Möglichkelt einer Zensur berücksichtigen, sei da-

hln gestellt.Der Erzähler des 44ichael Kahlhaas ist nicht allwissend. Nur selten berichtet er dem Leser,

was in den Personen vor sich geht. Bemerkungen über Kohlhaas, wie, dass ihm >das Herz

3chon von Ahnungen schwoll< (-8), oder >das Herz gegen den Wams [schlug]< (-9), >das

Hez emporquoll< (-131, oder >mit klopfendem Herzen< (-80), stellen eher die Ausnahme

dar. Kenntnis über innere Vorgänge des Helden soll der Leser offensichtlich auf dem Wege

der Einfühlung erlangen. Zwar erwähnt der EIzähler >auch noch Gründe anderer Art< (für

Kohlhaas' Entschluss, nach Kohlhaasenbrück abzureisen), die er jedoch nicht erläutert, son-

dern >Jedem, der in selner Brust Bescheid weiß, zu erfaten überlassen< (-76) will'

Um so gtröBeres Gewicht gewinnen aufgrund dleses Verfahrens die weriigen Stellen, an de-

nen ausdrgckllch lnnere Vorgänge wiedergegeben werden, wie der oft zitierte Satz: >und

mltten durch den Schmerz, die Welt in einer so ungeheuren Unordnung zu erblicken, zuckte

dle lnnerllche Zufriedenheit empoq seine eigne Brust nunmehr in Ordnung zu sehen<

(-22),Die hier aqsgesprochene Arlfhebung der Übereinstimmung zwlschen lch und Welt

erhält dadurch ,elne besondere Marklerung.

Während der Ezähler also weitgehend darauf vezichtet, über Gedanken und Geftihle der

Flguren Berlcht zu erstattenr schildert er ausgiebig, minutiös und detailliert Gesichtsaus-

druck, physiologlsche Reaktionen und Gesten der Figuren, die jedem aufmerksamen Be-

obachter zugängliCh sind: es werdeh etwa 180 dera(ige mimisch-gestische Vorgänge wie-

dergegeben. Was der Leser über eine Figur in Erfahrung bringen kann, muss er, wenn er

dem Werturteil des Erzählers nicht traut, elnerseits aus ihren Handlung€n, andererseits aus

ihrem mlmisch-gestischen Verhalten schließen. Über Luther werden lhm das >verdrießlicfe<

Gesicht (-48), dep >missvergnügte< Blick (-50) und die Geste mitgeteilt, mit der er >die

Papiere, dle auf seinem Tlsch lagei, übereinanderu (-48) wirft; den Großkanzler Wrede

betreffend wlrd gegchildert, dass er sich auf des Freiherrn von Wenk Bitte um eine Inspekti-

on der pferde hin >eine Brllle von der Nase nahm<, die er nach ablehnendem Bescheid

rwleder außetzte( (-65). Der Prin2 von Meißen feftigt während der Staatsratssitzung (en

Kämmererab, Dindem er den Stuhl, ohne sich zu setzen, in der Hand hielt( (-54).Dle Blässe seines Gesichts wird beirh Junker Wenzel von Tronkä wie eine Art Leitmotiv eln-

geseEt: >Der Junker, indem ihm eine flilchtige Blässe ins Gesicht trat< (-10)' >als er [...]plötzlich leichenblass< (-31); >doch da dieser mit bleichen, bebenden Lippen erwiderte<<

(-64). In ähnlicher Weise wird der Kurfürst von Sachsen durch häufigeb Erröten charakteri-

Slert: während der StaatsratssiEung wird er >über das ganze Gesicht rbt( (-54), dle zufäl-

llge Begegnung mlt Kohlhaas lässt ihn wieder >über pnd über rot< welden (-89), und auf

den Wunsch der Dame Heloise, den Kohlhaas unerkqnnt zu besuchen, reagiert er, >indem

er errötend ihre Hand ergriff< (-90).Während den meisten Flguren bestimmte Gesten zugeordnet sind, völlzieht Kohlhaas die

' Erählstrategien, tslatt 2

unterschiedlichsten Ge9ten. So erscheint Kohlhaas zu Beginn des Streitfalls >bleich im Ge-sicht( (-16), ebenso wie nach dem Unfall seiner Frau (-2e1. Andererselts wlrd die Begeg-nung mlt Luther von sginem Erröten eingerahmt. Nachdem Kohlhaas Luthers Plakat gelesenhat, stieg >eine dunkle Röte [...] in sein Antlitz empor< (-45), und seine Weigerung, demJunker zu vergeben, trägt er Luther >errötend< (-50) vor. Während Kohlhaas auf der Tron-kenburg Dominanzgebaren zeigt: >hob dieser plötzlich, mit einer ftirchterlichen Gebärde,den Fuß< (-32), tritt er Luther mit allen Zeichen der Bescheidenheit gegenüber: >der Man-n, dei seinen Hut ehrerbietig in der Hand hielt< (-46).Mit jedem mimisch-gestischen Verhalteh, das der Erzähler schildert, entwirft er ein be-stlmmtes Erscheinungsbild. Während die übrigen Figuren jeweils weitgehehd übereinstlm-mende Erscheinungsbilder aufoveisen, divergieren dlejenlgen, die Kohlhaas in den verschie-denen Situatlonen zeigt, erheblich.

In den seltensten Fällen wird das gestische Verhalten der Figuren in einem selbständigenSatz wiedergegeben. Zu diesen Ausnahmen gehört die SchilderunQ von Lisbeths Reaktlonauf Kbhlhaas' Kaufangebot an den Amtrnann: >Lisbeth, sein Weib, erblaßte bei diesen Wor-te,n. Sie wandte sich, und hob ihr lüngstes auf, das hinter ihr auf dem Boden spielte, Blicke,in welchen sich der Tqd malte, bei den roten Wangen des Knaben vorbel, der mit ihrenHalsbändern spielte, auf den Roßkamm, und ein Papier werfend, das er in der Hand hielt.<<

(*22) - Übrigens: Dieses Erzählen ist ein neutrales Erzählen.Meist erschelnt das mimisch-gestlsche Verhalten in einem Nebensatz oder in elner adverbia-len Bestimmung. Besopders häufig sind mit 'indem<

eingeleitete Konstruktlonen: >indemihm eine flüchtige Blässe ins Gesicht trat<< (-10), >indern er den Stuhl [...] ln der Hand

hielt< 1-541, >>indem er sich eine Brille von der Nase nahm< (-65) usw. Dabei wird eine

spezifische Satzkonstruktion befolgt, in der die Wledergabe von Handlungeh und die Schil-derurlg mimisch-gestischen Verhaltens unmlttelbar nebeneinander treten: >Kohlhaas, dem

sich, als er die Treppe vom Schloß niederstieg, die alte, von der Gicht geplagte Haushälte-rin, die dem lunker die Wirtschaft ftihrte, zu Füßen warf, fragte sie, indem er auf der Stufestehen blieb: wo der lunker Wenzel von Tronka sei? und da sie ihm, mit schwacher, zittern-der Slimme, zur Antwort gab: sle glaube, er habe sich in die Kapelle geflüchtet; so rief erzwei Knechte mit Fackeln, ließ, in Ermangelung der Schlüssel, den Eingang mit Brechstan-gen und Beilen eröffnen, kehrte Altäre und Bänke um, und fand gleichwohl, zu seinemgrimmigen Schmerz, den lunker nicht.< (-31 f.) - Übrigens: Beachte die Satzlänge .'

Erscheinungsbild der Figur und ihre Handlungen werden i;'t solchen Sätzen scharf nebenei-

nandergestellt. Das auf die im 19. Jahrhundert sich heraugbildende VorstellUng von der Per-

sönlichkeit verweisende Erscheinungsbild und die dem 18. lahrhundert zugehörige Vorstel-

lung Vom natürlichen Charakter, der durch sein Handeln kontrolliert wird, stoßen in einem

Satzgebilde unmittelbaf aufeinander und erscheinen so als gleichzettig (>indem<<).

Ergänzung zu deh Erzählhaltungen:

neuträles Ezählen: Form der Er-Erzähllung, die von keiner Perspektive einer Figur geprägt ist; keine

lnnen$icht; ohne spürbare Erzähledigur und ohne Einmischungen iedweder Art durch den Erzähler bzw-

die ErZählinstanz (vgl. aukloriales und personales Erzählen - s. auqgeteilte Blätter)

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Besprechung der HA Gestaltendes Interpretieren W Michael Kohlhaas g Brief an die Kufürsten

Für zukünftiges Arbeiten ein Tipp: Handwerklich empfiehlt es sich im Rahmen eines Thea-terstücks, die Redeankündigungen (Karl Moor, Franz Moor, Vater) farblich zu kennzeich-nen - das verhindert unnötiges Suchen.

Mit der Aufgabenstellung in Teil II leistest Du eine Tnterpretation der ausgewählten Szene,

zelgst Dein Verständnis für das Verhalten der vorkommenden Personen und lässt erken-nen, ob es im Rahmen des bisher Gewohnten liegt oder neue Verhaltensweisen erkennbarsind.

Im Rahmen der vorliegenden Aufgabenstellung ist weniger ein Eingehen auf die Textstellenotwendig; vielmehr geht es darum, mittels der Brlefe ein Psychogramm der Person desMK zu entwerfen: Inwleweit kann er slch differenziert ausdrücken einem jeweils anderenAdressaten gegenüber, inwleweit ist er zu emotionalem Ausdruck fähig - soweit dles derRahmen des Schreibens und seine bisher gezeigte Persönlichkeit zulässt -, inwieweit weiBer seine Sache zu vertreten, argumentativ und emotional, inwleweit bringt er persönlicheund gesellschaftliche Aspekte gekonnt und angemessen ein.

Sind dabei die Gedankengänge (die Du schreibst) klar strukturiert?

Ebenfalls sollte seine Sprache Ausdruck seiner seelischen Verfassung sein ...

Natürlich gilt es, Leerstellen einzubringen.

Gleiches gilt für zentrale Begrifflichkeiten wie das Geschäft der Rache u.A.

Allerdlngs regt die Erzählweise Kleists nicht gerade zum Finden von Leerstellen an, da sienicht provozieft, Fragen zu stellen, weil das Seelische, auch das Emotionale sehr an derOberfläche bleiben.

Eine Leerstelle wäre belspielsweise, dass MK bekundet, warum er Erlabrunn verschonte,nur: Das interessied im Zusammenhang mit der Themenstellung überhaupt nicht, es

wäre ganz und gar unangemessen, darauf einzugehen.

Eine mögliche Leerstelle wäre auch, dass MK ausführt, was ihn ganz speziell mit demNamen Luther verbindet, Allerdings: Wie sehr mag das einen Kurfürsten interessieren undinwieweit liegt solch eine Ausführung in der Intention des Schreibens?!

Im Rahmen dieser Themenstellung ist das Ausgestalten von Leerstellen sicherllch nichteinfach.

Die im Folgenden aufgezeigten interpretativen Hinweise beinhalten Möglichkeiten desSchreibens; sie beinhalten eine mögliche Slchtweise, die Du nicht übernehmen musst,eine Schreibmöglichkeit, die Du nicht nutzen musst - man muss ohnehin auswählen.

Einleitung (ggf. als Überleitung Hinweis auf den historischen Luther und sein Verhaltenin den Bauernkriegen - Thomas Müntzer); es folgt

Teil IDer Name Maftin Luthers taucht unvermlttelt auf.

Luther mag von sächsischer Seite zum Elngreifen gedrängt worden sein.

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Denn: Die Lage hatte sich für den Kurfürsten zugespitzt, eine militärische Auseinander-setzung mlt Polen drohte von außen dem Land, im Inneren war der Adel berelts in Verrufgeraten, militärisch und moralisch; dle spätere Marktplatzszene zwlschen dem Kämmererund Meister Himboldt gibt Aufschluss, wie aufgeheizt die Stimmung ln der Bevölkerungwar.

Die Ausführungen öffnen ausführlicher, je näher die Textstelle rückt, mit dem Hinweis aufdie Eskalation der militärischen Situation, dass also selbst ein Soo-Mann-Heer keinenErfolg gehabt hat, öffnen in Richtung auf das In-Brand-Stecken Leipzigs, auf den Sitz derprovisorischen Weltregierung auf dem Schloss zu Lützen, auf die Frage, die slch der säch-sische Adel und der Kurfürst samt seinen Beratern gestellt haben mag, ob sie es wohlnoch mlt elnem zurechnungsfähigen Menschen zu tun hätten und zu was MK noch zu tunin der Lage sei, Offensichtllch war er ja unberechenbar.

Kurzes Eingehen auf das Plakat lst möglich, wenn auch durch die Themenstellung nichtzwingend, Ggf. darauf verweisen, dass Luther trotz des Tenors seines plakates eine heim-liche Sympathie für MKs Anliegen gehabt haben mag, denn es lst in selnem Sendschrei-ben an den KfuSa nach dem Treffen beider von einem öitferen Seitenbtick auf die [...]Herren Hinz und Kunz die Rede (53/20ff). Dies kann man vorausverweisend enruähnen.Erwähnenswert ist auf jeden Fall, dass Wittenberg eine Stadt war, die Luther am Herzengelegen haben muss. Mit dem Anschlag der Thesen trat ja im Grunde von hier aus derProtestantismus selnen Siegeszug an. Luthers Erfahrungen im Bauernkrieg (WeinsbergerBluttat) und mit Thomas Müntzer als Lutherschüler lieBen ihn zudem jeder Gewalttat ab-hold sein; "Gebt des Kaisers, was des Kaisers ist" (Bibel),

MK war Protestant und es muss den Protestanten Luther betroffen gemacht haben, wiehier jemand unter Berufung auf den Erzengel Michael operierte.

Schneiben an den Kurfürsten von Brandenburg.

MK bezieht sich z. B, darauf, dass er Landeskind ist, der KF sein LEtndesvater, dass er einehrbarer Bürger sei, der sich nie etwas zuschulden habe kommen lassen und dass er bravseine Steuern gezahlt habe.

MK weist auf die erste Beschwerde an den Kfusa hin und deren Niederschlagung.MK wollte in der Folge (evtl. erwähnt er Geusau) die Hilfe seines Landesvaters erbitten,Ergebnis: Er sei im eigenen Land schlimmer beleldigt worden als im Kurfürstentum Sach-sen (unnützer Querulant, nichtsnutzige Stänkerei). Hinwels auf des Kanzlers, des GrafenKallheims Verhalten (der sich zuerst an den Junker gewandt habe - welch Hohn gegen-über den Interessen eines Landeskindes)

Hinwels auf den Verkauf seines Anwesens, weil er in einem Lande, in welchem man mich,in meinen Rechten, nicht schützen will, nicht bleiben mag. Lieber ein Hund sein, wenn ichvon Füßen getreten werden soll, als ein MenschlVorschlag Lisbeths, die Blttschrlft selbst zu überbringen. Ihr Tod.

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)

Besprechung der HA Gestaltendes Interpretieren W Michael Kohlhaas W Brief an die Kurfürsten

Landesherrliche Resolution auf die Bittschrift während des Begräbnisses!

Er soll die Pferde abholen und ihm wird Gefängnis angedroht, wenn er ln dieser Sache

weitermache - hier kann gekürzt werden.

MK verweist darauf, wie er sich nunmehr heimatlos gefühlt habe, wie er nun ...

Stelle besonders gut ausgestaltenMK macht deutlich, dass er nun beschlossen habe, dass Gesclräft der Rache zu über-nehmen,

MK verweist auf sein mllltärisches Agieren ln Sachsen und dass er seinem Land gewiss

keine Schmach gebracht habe, dass er sogar den Prlnzen von Melßen aufgerieben habe -(das kann man durchaus weglassen ... fragllch ist, ob MK sich als Krlegsheld darstellenwill, ob überhaupt und wie MK seine militärische Aktionen einbringt, stolz oder sich eherentschuldlgend oder ... ?)

Möglicherweise bringt er ein, dass er sich als Sfaftha/fer Michaels auf Erden fühle.{ mögliche Leerstelle: MK berichtet von einem Traum, den er geträumt habe, indem ein

Engel vom Himmel niedergefahren sei und ihn beauftragt habe ...

Gewiss habe seine Frau ihn gebeten ... (3Ll2tf), doch es gehe lhm um die Eftlchtungeiner besseren Ordnung der Dinge (5.44)MK verwelst auf Plakat Luthers und seine Erschütterung, weil er doch selbst Protestant sei

und diesen Mann so schätze. Er verweist aber auch auf die Unlnformiertheit Luthers und

dessen offenslchtlich falsche Aussagen,

Dennoch sei sein einziges Ziel sein Recht zu bekommen und er werde sofort die Waffen

niederlegen, wenn er ein ordentliches Gerichtsverfahren bekomme mit der Aussicht aufErfolg.

MK blttet um die Unterstützung seines Landesherren, um eine mögliche juristische und

eine moralische ...

Schrelben an den KurlFürsten von Sachsen

MK nimmt Bezug auf sein Haus in der Vorstadt Dresdens (25/f5) und seine zahlreichen

Handelsreisen durch Sachsen.

Er betont, dass er sich als Erstes versucht habe, in Dresden Recht zu verschaffen. Er

weist darauf hin, dass die Klage auf eine höhere Insinuation hrn niedergeschlagen worden

sel.

MK weist untertänigst auf den Tatbestand hin, dass der Junker von Tronka mit dem Käm-merer Hinz und dem Mundschenk Kunz verwandt sei und es nicht unangemessen sei,Vetterleswirtschaft zu vermuten.MK verwelst darauf, dass ihm zweimal von dem eigenen KF bitteres Unrecht widefahrensei im Hinblick auf zwei Bittschriften, die er eingebracht habe. Er hoffe, von dem KfvSa

anders behandelt zu werden.

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Er macht aber deutlich, dass das eigentliche Unrecht von einem Landeskind des KfuSaausgegangen sei und auf Grund der Intrigen durch dessen Familie seine Blttschrift an denHofzu Dresden und auch eine an den KFvBr niedergeschlagen worden sei.Er verweist auf die Gefährdung seiner Existenz durch den Junker, auf dessen höhnlschesVerhalten, auf seine Versuche, Recht zu bekommen.

Gewiss, er habe die Tronkenburg eingeäscheft, allerdings das Kloster Erlabrunn ver-schont, dreimal Wittenberg angezündet, das Fähnlein des Landvogtes Otto von Gorgasvernichtet, dem Prinzen von MeiBen übel mltgespielt, Leipzig angezündet und das Lütze-ner Schloss besetzt.

Doch sei es ihm um die Errichtung einer besseren Ordnung gegangen, Er hoffe nun, sieauf anderem Wege zu bekommen.

Wichtiger Punkt (o Textstelle): MK berichtet von seinem Vorhaben, zu Luther zu gehenund jenen zu bltten, sich für ihn einzusetzen. Er werde keine Waffe mehr anrühren, wennAussicht bestehe ...

Er verweist auf offensichtliche Falschaussagen Luthers, auf dessen Überspitzungen unddass er hoffe, einem gerechten Richter gegenübeftreten zu können.

Appell an den KF.

Mk weist auf seine tiefen Verletzungen hin, auf den Tod seiner Frau, auf den Verlust sei-ner Ehre durch das Verhalten der Tronkas, dass sein militärisches Verhalten auf Verzweif-lung basiere ...

Er bietet dem KF einen Waffenstillstand an, wenn ihm ein ordentliches Gerichtsverfahrenzugesichert werde.

MK stellt klare Forderungen und Bedingungen seinerseits auf (wie er das die ganze Novel-le über tut),

In beiden Briefen muss Bezug genommen werden auf Martin Luther, mehr oder wenigerausführlich auf das mitgesandte Plakat - schließlich ist der Textauszug auch vorgegebenund er muss elnbezogen werden - und auch auf das weitere Vorhaben Luthers. Vor allemin dem Brief an den Kfvsa muss das eine Rolle spielen, denn das hat Ja MK vor, die waf-fen niederzulegen zugunsten eines gerechten Verfahrens. Mlt diesem Vorsatz und umseine Person reinzuwaschen geht er ja zu Luther. - Das wlll er ja wohl auch dem KF mlt-tellen und ihn wohl auch bitten, lhm Gerechtigkeit zutell werden zu lassen.

. Absätze

. des Weiteren, der Einzige, der Erste, als Erste, der Erctere, jeder Einzelne, vor allem

. Zahlen werden bis lnclusive 12 ausgeschrieben.

. GroBschreibung bei der Höfllchkeltsanrede - unbedlngt korrekt, vor allem im Abitur!

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Mlchael Kohlhaasr Rachebegeh ren und Rechtsbegeh ren

[...] Während die Staatsratssitzung, das Gespräch Kohlhaasens mit dem Prinzen von Meißen

und dem Großkanzler des Tribunals, dem Grafen Wrede, sowie die Abfassung der Klage-

schrift in Innenräumen und insofern unter Ausschluss der Öffentlichkelt stattfinden, wech-selt für die zweite Eplsode der Schauplatz auf den Marktplatz von Dresden. Die letzten Er-

eignisse haben sich zwar bereits unter großer Anteilnahme des ausgeschlossenen Volkes

abgespielt ('Der Prinz von Meißen [.. .fand [...] eine unermessliche Menschenmenge versammelt< [57];>der Prinz<, der >mit großen Augen das Volk, das vor dem Hause versamrnelt war, überschaute< [58];>unter dem Gefolge einer unabsehbaren Menge< [59]), durch die der Prinz von MelBen sich zurEinsetzung der Wache veranlasst sah. Dle Vorgänge auf dem MarKplatz werden nun Jedochentscheidend durch dle Anwesenheit und Partizipation des Volkes bestlmmt. Hler geraten dle>Volksbedrücker<, der Kämmerer Kunz von Tronka und seln Vetter Wenzel, und das vonihnen bedrückte Volk aneinander (ein ,von Augenblick zu Augenblick sich vergrößernder Haufen

von Menschen" [62]; "von den Blicken der hohnlachenden Menge umstellt< [63]; uaus dem Haufen des

Volks" [64]; eine >Menge von Menschen<<, )>unter dem Volke" [66]; der >Andrang des Volks", >Wut der

Menge" [58]).

Der Kämmerer paradiert mit den Abzeichen seines adligen Standes, (>indem er seinen Man-tel, Orden und Kette entblöBend, zurückschlug" [63]; >indem er seln Schwert, mit Stolzund Ansehen, unter dem Arm hlelt<, >mit einem raschen, seinen Helmbusch erschütterndenSchritt< [66]), ohne dem Volk dadurch >Ehrfurcht und Gehorsam elnflößen< (38) zu könnenwie seinerzeit in Wittenberg der )würdige Herr( Otto von Gorgas >durch seine bloBe Ge-genwaft< (38). Die Bürger reagieren mit >unendllchem Gelächter< (62) und der >ehrlose<

Abdecker gar mit >empfindungsloser( (63) Nlchtachtung: er schüttet vor dem Kämmererden Eimer Wasser aus, schlägt am Wagen sein Wasser ab und lässt den Herrn Kunz vonTronka stehen, um in einer Kneipe zu frühstücken.

Die Feindseligkeit zwischen dem Kämmerer und den Dresdner Bürgern eskaliert in Gewalt-handlungen, als der Kämmerer in adelsstolzer Verblendung die Ehre der Bürger missachtetund beleidigt. Wie in dem Streit zwischen Kohlhaas und Wenzel von Tronka ist es auch hierder Adllge, der zuerst Gewalt anwendet: >der Kämmerer< folgte dem Knecht, der sich ge-

weigert hat, die )unehrlichen Pferde< zu berühren - was durch selne bürgerllchen Rechte

voll abgedeckt ist -)von hlnten, riss ihm den Hut ab, der mit seinem Hauszeichen ge-

schmückt war, zog, nachdem er den Hut mit Füßen getretenf von Leder, und jagte denKnecht mit wütenden Hleben der Klinge augenblicklich vom Platz weg und aus seinen Diens-ten< (68). Er behandelt den Knecht nicht als Bürger, dessen Rechte es zu achten und zu

schützen gilt, sondern wie einen Leibeigenen. Meister Himboldt dagegen tut nlchts anderes,als ihm Gleiches mit Gleichem zu vergelten, worauf die Parallelität der Schilderung implizithinweist: er warf >den Kämmerer von hinten nieder, riss ihm Mantel, Kragen und Helm ab,wand ihm das Schweft aus der Hand, und schleuderte esf ln einem grimmigen Wurf, weitüber den Platz hinweg< (68), Der Tumult ist insofern auch eindeutig nicht als ein Volksauf-stand zu bewerten, sondern als eln Versuch der Bürgeq ihre vom Kämmerer beleidigte Ehre

zu verteidlgen.

Diese Episode hat die Funktion, die chaotischen Verhältnisse lm sächslschen Staat offenzu-legen, deren Opfer Kohlhaas wird, auch wenn der Ezähler dies durch völlig unangemessene

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Wertufteile (wie >der wohlgemeinte und redliche Versuch, dem Rosshändler wegen des Un-rechts, das man ihm zugefügt, Genugtuung zu verschaffen< [69]) zu verschleiern sucht.

Obwohl Kohlhaas an dieser Episode nur am Rand betelllgt lst, sind ihre Auswlrkungen auflhn sowie auf selne Stellung lm Staat verheerend. Ohne sein Zutun schlägt die >öffentlicheMeinung( gegen ihn um und betrachtet nun sein Rechtsbegehren als staatsgefährdend. Ob-wohl dle heillosen Zustände im sächsischen Staat für den Tumult verantwortllch zu machensind, nicht jedoch Kohlhaas, wird er ihm angelastet. Seine Stellung hängt demnach nichtvon lhm selbst und seinem Verhalten ab, sondern von unberechenbaren Umständen, Er hörtdaher auf, ln seiner eigenen Angelegenheit als SubJeK zu agieren, und wlrd zum ObJekt fürund durch die Aktlonen anderer.

Mehr noch, der Tumult auf dem Marktplatz, an dem Kohlhaas selbst ln kelner Welse beteiligtwar, hat selnen >Willen [.. .] ln der Tat gebrochen( Q0); er ist Jetzt berelt, ganz und garauf dle Dlckfütterung der Rappen zu verzichten und sich mit elner Abflndung zufrleden zugeben.

Der Selbsterhöhung im zwelten Abschnitt folgt im dritten die schrittweise Demontage Kohl-haasens, für die unmissverständlich die chaotischen Verhältnlsse lm sächsischen Staat - dleSchwäche des Kuffürsten sowie dle beherrschende Stellung der Tronka-Adelsslppe - verant-wortllch zu machen sind.

Mlt der Nagelschmldt-Eplsode wlrd Kohlhaasens Dem

oralisierung und öffentllche Herabsetzung weitergeführt und vollendet. Eine Reihe von Zufäl-len (wie das Auftauchen Nagelschmidts, das Abfangen eines Brlefes an Kohlhaas, des Prin-zen Christiern von Meißens Abreise auf seine Güter) wissen die Tronkas geschicK auszunut-zen, um den Bruch der Amnestie Kohlhaas gegenüber zu veranlassen. Sie erweisen sichdabei als die eigentlichen Herren im sächsischen Staat, die uneingeschränkt ihre persönli-chen Interessen gegen geltendes Recht durchsetzen können. Der Kurfürst lässt sich bei alldiesen Vorgängen von lhnen bereitwlllig manlpuliercn (S. 70 f.), auch wenn der Erzähler ihnsowohl ln der Bedeutung selner Rolle als auch hinsichtlich selner Integrltät aufzuwertensucht: >Der Kufürst welgefte sich standhaft, auf den Grund bloß dieses Brlefes, dem Kohl-haas das freie Gelelt, das er ihm angelobt, zu brechen( (83). Aufgrund von Umständen,welche die Betelllgten selbst als >zweldeutig und unklar< (88) bezeichnen, lst der Kurfürst

Jedenfalls sofort bereit, den Großkanzler Graf Wrede abzusetzen, den Schwager der Tron-kas, den Grafen Kaliheim, an seiner Stelle zu berufen und einen Verhaftungsbefehl gegen

Kohlhaas zu erlassen.

Kohlhaas ist bei allen diesen Ereignissen zum bloßen Spielball in den Händen der Adelscliquedegradleft, Nicht er handelt mehr, sondem an ihm wird gehandelt. Sein eigenes Handlungs-vermögen ist auf den Entschluss beschränkt, >dle Geslnnung der Regierung gegen lhn, siemöge seln, welche man wolle, zur Sprache zu bringen< (77) und >der Regierung< auchnlcht >den Schein der Gerechtigkelt< zu belassen, <während sie ln der Tat dle Amnestle, diesie lhm angelobt hatte, an ihm brach< (78). Den Wunsch, sich sein Recht zu verschaffen,rhatte seine, von Gram sehr gebeugte Seele [,,.] aufgegeben< (85). Für sich und selne Kln-der sleht Kohlhaas nur noch die Möglichkelt auszuwandern. Er greift also den Plan wleder

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Michael Kohlhaas: Rachebegehren und Rechtsbegehren

auf, den er nach der Rechtsverweigerung in Sachsen und Brandenburg zum ersten Mal ge-

fasst hatte.

Aber auch diese Mögllchkelt besteht jetzt nicht mehr. Kohlhaas wird vielmehr verhaftet und

schmählich abgeurteilt, Während seine elgenen Aktivitäten ihn zum >Statthalter Michaels<

erhöht hatten, denunzieren dle adllgen Intrigen und Machenschaften im sächsischen Staatihn als Verbrecher und erniedrigen ihn zum Ehrlosen. In den Augen der Welt lst Kohlhaas als

Subjekt - als Mensch und als Bürger - ausgelöscht.

Vierter Abschnitt (S. 85-117)

Der vlerte Abschnitt greift sowohl Kohlhaas' Rechtsbegehren (erster und dritter Abschnitt)als auch seln Rachebegehren (zwelter Abschnitt), dle bisher nur dlsJunktlv ln Erschelnunggetreten sind, wieder auf und führt zu belder Erfüllung.

Der befrledlgende Ausgang des Rechtsbegehrens wird durch das Elngrelfen des Kurfürsten

von Brandenburg ermögllcht, der ln allen wesentllchen, Kohlhaas betreffenden Punkten Jetztzum Kurfürsten von Sachsen in scharfe Opposition trltt, Während in Sachsen der ln Vet-

ternwirtschaft verstrickte Graf Kaliheim zum GroBkanzler des Tribunals aufsteigt, wird in

Brandenburg der Erzkanzler von Kallheim vom Kurfürsten >mit mehreren Zelchen selner

Ungnade entsetzt<, als ruchbar wlrd, >daß dle Verwandtschaft desselben mlt dem Hause

derer von Tronka< an der Unterschlagung von Kohlhaas' Klage >schuldq (86) war. Während

ln Sachsen die vom Kufürsten geschützten persönlichen Interessen der Tronka-Sippe den

Tumult auf dem Marktplatz von Dresden verursacht, zum Bruch der Amnestie und zur un-

rechtmäßlgen Verufteilung des Kohlhaas geführt haben, ist es der ausdrückliche Wunsch des

Kurfürsten von Brandenburg, >dem Kohlhaas, es koste was es wolle, Gerechtigkeit zu ver-schaffen< - allerdings >ohne die Ruhe des Ganzen auf eine misslichere Art, als die Rücksicht

auf einen einzelnen erlaubt, aufs Spiel zu setzen< (86).

Diese Maxime wird nun in der Tat mit äußerster Konsequenz - bis zur Vollstreckung des To-

desurteils - befolgt. >Dem Wohlwollen das der Kurfürst für den Kohlhaas trug< (107) zum

Trotz, lst er wegen der Übergriffe Nagelschmidts auf brandenburgisches Geblet zur >Statule-

rung elnes abschreckenden Beispiels< (101) entschlossen, während der Kurfürst von Sach-

sen, der die Klage gegen Kohlhaas wegen Landfriedensbruch durch den Kaiser selbst veran-lasst hat, aus rein persönlichen Motiven (nämlich um sich den Zettel verschaffen zu können)

nun um Kohlhaas'Leben blttet.

In dem Prozess, der Kohlhaas einerseits gegenüber dem Junker von Tronka sein Recht ver-schafft und andererseits zu seiner Verurteilung wegen Landfriedensbruch führt, ist er zu-

nächst selbst eher Objekt als Subjekt. Er wird >geschlossen wle er war, auf einen Wagen

geladen( (88) und nach Berlin transportiert; die Klage des Kaisers wegen Landfriedensbruch

lässt er sich, >da man ihm die Sache auseinander setzte<, >gefallen< (106), ohne ausdrück-

lich mit ihr einverstanden zu sein. Auf dem Richtplatz dagegen wird er vom Kurfürsten ex-plizit als Subjekt und damit als gleichberechtigt anerkannt, wenn der Kurfürst ihn fragt:>Bist du mit mir 2uft1sflqnlc (115)

Die Szene auf dem Richtplatz ist als deutliche Antlthese zur Abdeckerszene, zum Tumult auf

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dem Marktplatz in Dresden komponiert: Die >unermessliche Menschenmenge< (114) ist hlerin einem Halbkreis um den Rlchtblock angeordnet, ihr gegenüber zu Pferde der Kurfürst und

sein Gefolge, )lhm zur Rechten der kaiserllche Anwalt Franz Müller, eine Abschrift des To-

desurtells ln der Hand; ihm zur Linken, mit dem Konklusum des Dresdner Hofgerichts, sein

eigener Anwalt, der Rechtsgelehrte Anton Zäuner.r< (l 14 f.). So wie der Tumult in Dresden

ein Spiegel der Unordnung lm sächsischen Staat war, verweist dle Ordnung hler, als >schöne

öffentlichkeit<, auf die Ordnung im Staate Brandenburg IKleists ,,Heimat"!I . Der Kurfürst,der Kohlhaas als elnem Bürger selnes Staates sein Recht verschafft, stellt dessen Vedrauenln die Rechtsordnung des Staates wieder her. Der Herrscher, der Kohlhaas mlt der Frage, ob

er mlt lhm zufrleden sei, ausdrücklich als SubjeK anerkennt, restltuiert damit selne durchdie Rechtsverwelgerung ln Sachsen und Brandenburg sowle durch den Bruch der Amnestlezutiefst gekränkte Menschenwürde. Für Kohlhaas lst auf dlese Welse >seln höchster Wunsch

auf Erden erfüllt( (115). Darüber hinaus legitlmlert der Kurfürst, indem er Kohlhaas ln ein>ritterllches Gefängnls< (106) brlngen lässt und nach selnem Tod selne Söhne >zu Rlttern(schlägt (tL7), ganz ausdrückllch und öffentllch Kohlhaas'Selbsterhöhung, die mit der Best-

attung seiner Frau als >Fürstin< ihren Ausgang nahm. Der öffentlichen Erniedrigung amEnde des dritten Abschnlttes tritt so dle öffentliche Erhöhung am Schluss der Erzählung ge-genüber.

Das Todesurtell gehört - so paradox dies zunächst scheinen mag - nicht ln den Kontext vonKohlhaas' Rechtsbegehren, sondern erhält selne FunKlon aus dem Kontext selnes Rachebe-gehrens.

Dle Erfüllung des Rachebegehrens wlrd durch die Zigeunerin ermöglicht. Die Zlgeunerintaucht zwar in Kohlhaas' Leben bereits am Tag nach Lisbeths Begräbnis auf, die selbst ftlrchristliche Vergebung plädiert hatte, während ihr Tod Kohlhaas' Rachebegehren auslöst:>warf er sich noch einmal vor ihrem, nun verödeten Bette nieder, und übernahm sodann dasGeschäft der Rache< (29). In der Erzählung wird sie jedoch - ebenso wie die Dame Helolse -erst im vlerten Abschnitt elngeführt, nachdem lm dritten mit der Amnestle und dem Bruchder Amnestle eln dlrektes Verhältnis zwlschen Kohlhaas und dem Kurfürsten von Sachsenetablleft lst. Dles Verhältnls, das von Seiten des Kurfürsten durch Vertrauens- und Wort-bruch gekennzelchnet ist, begründet dle Transformatlon von Köhlhaas' Rachebegehren: esrichtet sich von nun an auf den sächslschen Kurfürsten, während die Genugtuung gegenüberdem Junker von Tronka ihm der Rechtsweg verschafft.

Kohlhaas' Rachebegehren wird in einem Prozess erfüllt, der sich ln elner gegenläufigen Be-

wegung vollzleht: einerseits als Niedergang des sächsischen Kurfürsten, andererselts alsAufstleg des Kohlhaas.

Der Niedergang des Kurfürsten ist Folge seiner elgenen Schwäche. Im Unterschled zum Kur-fürsten von Brandenburg, der als aufgeklärter Mensch nlcht an die Welssagung glaubt - da-rin Kohlhaas verglelchbar, der diese Aft von >Wlssenschaft Zeit selnes Lebens [nicht] be-gehrte< (92) -, sieht er sein Schicksal ln der Prophezelung der Zlgeunerin beschlossen undmacht sich damit selbst vom Besitzer des Zettels abhänglg. Dem Wunsch, in den Besltz desZettels zu gelangen, ordnet er alles andere unter: politische, jurlstlsche und morallsche Be-

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Michael Kohlhaas: Hachebegehren und Rechtsbegehren

denken werden vor ihm zunichte.

Der Niedergang des Kurfürsten nimmt mit der Ohnmacht nach Kohlhaas' Erzählung seinenAusgang, setzt sich mit >zwei neuen Ohnmächten< und einem >Nervenfieber< (93) fort. Diekörperlichen Symptome symbolisieren dergestalt den Verfall seiner Persönlichkeit. Er schrei-tet mit )dem Jammer und der Verzweiflung< (105), in die ihn Kohlhaas' Weigerung undseine eigenen missglückten Versuche zu seiner Lebensrettung stürzen, weiter voran undsteiged sich in >Kummer und Reue<, die ihm nach Unterzeichnung des Todesurteils >das

Herz<< zerreißen (112), und kulmlniert endlich bzw. ist vollzogen, als er >ohnmächtig, lnKrämpfen nieder[sinkt]< (117), nachdem Kohlhaas den Zettel verschlungen hat. Der Kur-fürst kehrt >zerbissen an Leib und Seele< (117) nach Dresden zurück, und der Hinwels aufdie Geschichte, >wo man das Weitere< über den Untergang seines Geschlechtes >nachle-sen( kann, setzt lhn ln einen scharfen Gegensatz zu Kohlhaas, von dem, wle der letzte Satzder Erzählung berlchtet, >noch lm vergangenen Jahrhundert, lm Mecklenburgischen, einigefrohe und rüstige Nachkommen gelebt<< haben (l 17).

Kohlhaas' Erhebung über den Kurfürsten von Sachsen beginnt mlt der >Entdeckung< von>Rang und Namen dessen, der beim Anblickder [...] Kapsel [,..] in Ohnmachtgefallen war<<

(96). Das Verhältnis zwischen ihnen beschreibt Kohlhaas mit den Worten: >du kannst michauf das Schafott bringen, ich aber kann dir weh tun, und ich will's!< (97). >Frelheit und Le-ben< (97), die der Kurfürst ihm im Tausch für den Zettel anbietet, wertet Kohlhaas offen-sichtllch als einen nicht zu hohen Preis, um sein Rachebegehren zu befriedigen,

Wie im zwelten Abschnitt wird auch im vieften das Rachebegehren mlt Hilfe von biblischenAnspielungen dargestellt. Zunächst werden die Bibelreminiszenzen wieder so eingesetzt,dass Kohlhaas' Rachebegehren in einer gewissen Zweideutigkeit erscheint, Wenn es vonKohlhaas heißt, er jauchzte >über die Macht [,..], die ihm gegeben war, selnes Feindes Fer-se, in dem Augenblick, da sie ihn ln den Staub trat, tödlich zu verwunden< (110), so wirddamit unüberhörbar auf die Worte cottes an die Schlange (1. Mose 3. 15) angespielt: >Der-selbe soll dir den Kopf zeftreten, und du wirst ihn in die Ferse stechen<, Damit wird eineAquivalenz zwischen Kohlhaas und der Schlange hergestellt. Im weiteren Verlauf dagegenwerden die Blbelreminiszenzen zur ausdrücklichen Legitimation von Kohlhaas' Rachebegeh-ren elngesetzt.

Eine wlchtlge Funktion kommt in diesem Zusammenhang der Zlgeunerln zu, Während Kohl-haas bei ihrer ersten Begegnung keinerlei Ahnlichkeit mit seiner verstorbenen Frau bemerkthat, fällt sie ihm nun, da sie ihn im Gefängnis besucht, auf. Durch den Bericht weitererMerkwürdlgkeiten, wie des Schwanzwedelns des Hundes, der Verwirrung des Kastellans, derLisbeth in ihrer Jugend den Hof gemacht hat, oder auch durch die Unterschrift >Elisabeth<legt der Erzähler dem Leser den Schluss nahe, die Zigeunerin sei eine Inkarnation Llsbeths,ohne dass er an irgendeiner Stelle selbst diesen Schluss zieht. [.., in Elisabeth trete ihmder Geist Lisbeths gegenübertr .

Auffällig ist in jedem Fall, dass Kohlhaas ihre Ahnlichkeit mit Lisbeth erst bemerkt, als sie zuihm ins Gefängnis kommt, um ihm zu raten, >den Zettel [..,] für Freiheit und Leben an denKurfürsten von Sachsen auszuliefern< (110). Damit aber würde Kohlhaas sich erneut vom

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Kurfürst von Sachsen und seinem Wort abhängig machen. Die Zigeunerin tritt insofern ih-rerseits in elner gewissen Zweideutigkeit als >Versucherin( auf. Darauf verweist einerseitsKohlhaas' Reaktion: Er lehnt ihren Vorschlag mlt den Worten ab: >nicht um die Welt, Müt-terchen, nicht um die Welt!< (110). In ihrer Radikalität sind sie den Woden vergleichbar, mltdenen Jesus der Versuchung des Teufels in der Wüste wldersteht (Matth. 4, 8). Andererseitsverweist darauf der Apfel, den die Zlgeunerln dem kleinen Jungen reicht, Symbol der Versu-chung und des Sündenfalls: sie sucht Kohlhaas zu verführen, für ein friedliches bürgerllchesLeben mit seinen Kindern den Zettel und damit dle Mögllchkeit zur Rache aufzugeben. AuchLlsbeth hatte um dleses Zleles willen Kohlhaas bewegen wollen, dem Junker zu vergebenund auf seine Rache zu verzlchten.

Kohlhaas wldersteht der Versuchung, und die Zlgeunerin gibt ihm nun selbst >in mancherlelHinsicht recht< (111). Die Rache, mlt der ihm Genugtuung für selne vom Kurfürsten zutiefstgekränkte Menschenwürde wird, stellt einen weit höheren Weft dar als die bürgerliche Exis-tenz als Familienvater.

Es ist die Gewissheit vom Wert dieser Rache, dier Kohlhaas nach dem Todesurteil mit derWelt versöhnt: >Demnach glich nichts der Ruhe und Zufriedenheit selner letzten Tage<(113), Dle Entscheidung für die Rache wird ausdriicklich von theologischer Seite bekräftigt.Während Luther seinerzeit Belchte und Abendmahl dem Kohlhaas mit dem Hinweis auf dleNotwendigkeit christllcher Vergebung verweigert hatte, wird lhm nun von einem >Abgesand-ten Doktor Luthers< (113), dem Theologen Jakob Freising, )Ddie Wohltat der helllgen Kom-munion< zuteil (l 13),

Mit dem Vollzug der Rache gelangt Kohlhaas'Aufstieg von dem Tiefpunkt am Ende des drit-ten Aktes an seinen Höhepunkt, Das Verschlingen des Zettels ruft noch einmal die Apoka-lypse auf, auf die Kohlhaas sich in seiner Selbsterhöhung im zweiten Abschnitt bezogen hat-te. Johannes verschlingt das Büchlein auf Befehl dres Engels (Off. 10, 9), der schwört, >dasshinfort kelne Zeit mehr seln soll; sondern in den Tagen der Stimme des siebenten Engels,wenn er posaunen wird, soll vollendet werden da:; Geheimnis Gottes< (Off. 10, 6-7), Wasaber Johannes nach dem Verschlingen des Büchleins weissagen soll, betrifft die neue Welt,das wiederhergestellte Reich cottes (Off. 21, 1).

Dem wiederhergestellten Reich Gottes ln der Offenbarung entspricht hier dle wiederherge-stellte Menschenwürde des Michael Kohlhaas. Aus seiner Annahme des Todesurtells lässtsich daher kaum der Schluss zlehen, er erkenne seinen Rachefeldzug als Unrecht an. DerTod gibt ihm vielmehr die Möglichkeit, seine Rache am Kurfürsten von Sachsen zu vollendenund auf diese Weise seine von dlesem in den Staub getretene Menschenwürde selbst wiederaufzurichten. Kohlhaas steigt damit in elnen Rang auf, der jenseits der Ständegesellschaftliegt. Was der Kurfürst als Herrscher und Repräsentant des Staates leistet, indem er Kohl-haas sein Recht verschafft, lelstet dieser durch selne Rache und insofern durch seinen Tod:seine Anerkenntnis bzw. seine Setzung als ein autonomes Subjekt.

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Michael Kohlhaas: Rachebegehren und Rochtsbegehren

Kohlhaas' Rechtsbegehren

In der Forschung wird überwiegend die Rechtsfrage als Zentralproblem der Erzählung he-

rausgestellt und entsprechend intensiv diskutieft. An dieser Diskussion haben sich auch eine

Reihe von Juristen betelllgt, dle in ihrer Beurtellung zum Teil beträchtlich divergieren. Rudolf

von Ihering hat in seiner Schrift Der Kampf ums Recht (L874) Kohlhaas als Märtyrer des

Rechtsgefühls gefeiert: >Er reiBt der feilen Gerechtigkeit das besudelte Schwert aus der

Hand und schwingt es ln einer Weise, dass Furcht und Entsetzen sich welt im Lande verbrei-

ten, das morsche Staatswesen in seinen Fugen erbebt, und der Fürst auf dem Thron erzlt-tert< (ebd., S, 62). Dagegen deutet ihn der Präsident des Bundesverwaltungsgerlchts, Horst

Sendler, in einer 1985 vorgelegten Studie als einen >verbohrten Weltverbesserer* (ebd., S.

24) und >querulatorischen Terrorlstenc (ebd., S, 34). In beiden Fällen I,..1 betrifft der

Strelt um dle Rechtsfrage die Rechtsgrundlage für Kohlhaas' Rachefeldzug, selnen )gerech-

ten Krieg< (33) gegen den Junker Wenzel von Tronka,

Dagegen besteht weitgehend Einigkeit über die Legalität seines Rechtsbegehrens, wie er es

in der ersten Klage niedergelegt hat, auch wenn die Meinungen über die Bedeutung des zu

schützenden Rechtsgutes erheblich auseinandergehen. Der Erzähler lässt keinen Zweifel

daran, dass Kohlhaas' Rechtsbegehren gerechtfertigt lst: >Dle Rechtssache war ln der Tat

klar.< (17)

Kohlhaas geht keinesfalls von einem Idealzustand aus oder verlangt gar Ungeheuerllches.

Immer wieder wlrd darauf hingewlesen, dass er im Bewusstsein von der )allgemeinen Not

der Welt< (8) und der >gebrechllchen Einrichtung der Welt< (11) bereit ist, >im Gefühl sei-

ner Ohnmacht< (9) ein Unrecht hinzunehmen, >falls nur wlrklich dem Knecht [,..] elne Artvon Schuld beizumessen sei< (11). Kohlhaas erscheint gerade nlcht als ein >verbohrter

Weltverbesserer<, sondern geht ganz realistisch davon aus, dass man sich mit der Unvoll-

kommenheit der Welt bis zu einem gewissen Grade abzufinden hat.

Was er auf dem Rechtswege verlangt: >gesetzmäßige Bestrafung [des Junkers], Wiederher-

stellung der Pferde in den vorigen Stand, und [...] Ersatz des Schadens< (17), ist nichtmehr als recht und billig. Insofern können ihn sowohl sein Anwalt in Dresden als auch derStadthauptmann Heinrich von Geusau guten Gewissens >über den Ausgang seiner Rechts-

sache< (18) völlig beruhigen. Im Schreiben, das die Amnestie verkündet, helßt es entspre-chend, dass eine Ablehnung seiner Klage beim Tribunal ln Dresden >nlcht zu erwaften< sei

(56). Und in der Tat sieht es auch hier zunächst so aus, als sei der Rechtsstreit >im besten

Fortgang begriffen< (74).

Kohlhaas stellt eindeutig keine idealen Forderungen; er verlangt nur, was gang und gäbe ist,und gibt sich insofern mit dem Normalfall zufrieden. Es versteht sich daher auch fast von

selbst, dass seine Klage, wie es dann auch letztendlich nach Eingreifen des Kurfürsten von

Brandenburg geschieht, >Punkt für Punkt, und ohne die mindeste Einschränkung t,..1durchgesetzt< (115) wird.

Ungeheuerlich ist also nicht Kohlhaas' Rechtsbegehren, sondern das Faktum, dass es trotzmehrfacher Eingaben nlcht anerkannt und ihm das Recht vorenthalten wird. Die erste Klage

wird >auf eine höhere Insinuation, bei dem Dresdner Gerichtshofe, gänzlich niedergeschla-

l

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gen< (18). Die zweite Klage wird mit einer Resolution beantwortet, die lhn als >unnützen

Querulanten< (21) diffamiert. Auf die Bittschrift wird mlt einer )landesherrlichen Resoluti-on< (29) reaglert, die ihm unter Androhung elner Gefängnisstrafe alle weiteren rechtlichenSchritte untersagt. Und dle zwelte Klage ln Dresden endlich wird von dem unrechtmäBigenProzess wegen Landfriedensbruch konterkarlert, der mit einem schändllchen Todesurteil

endet. Kohlhaas wird in keinem Fall als Rechtssubjekt anerkannt.

Wenn die Beachtung des geltenden Rechts als Minlmalanforderung angesehen wird, die zurSicherung und Aufrechterhaltung der Ordnung in Staat und Gesellschaft erfüllt seln muss,

um den Rückfall ln Barbarel und Chaos zu verhindern, dann zeugen Rechtsverwelgerung

und eklatanter Rechtsbruch nun ln der Tat von einer >ungeheuren Unordnung< (22) ln derWelt. Dle Rechtsverweigerung erzeugt elnen Zustand der Rechtsunsicherhelt, dle den Eln-

zelnen an selne elgene moralische Autonomle zurückverweist, Er muss alleln entschelden,wie er auf dle >ungeheure Unordnung( reagleren soll: mlt Wlderstand, d. h. dem Versuch,eine neue Ordnung zu etablieren (wie mlt dem Rachefeldzug), oder mit Resignation, d. h,

Flucht (Auswanderung), oder Anpassung an den Zustand der Rechtloslgkeit (wie am Ende

des dritten Abschnitts). Da die bestehende Rechtsordnung als Maßstab und Beurteilungskrl-terlum entfällt, muss der Betroffene autonom handeln.

Der Zustand der Rechtsordnung - und damit dle Mögllchkelt, das Handeln an ihr zu orlentle-ren oder nlcht - wird in der Erzählung durch den Zustand der belden Rappen symbollslert.Zu Beglnn der Erzählung werden sle als >wohlgenährt [...] und glänzend< beschrleben (3).Das Unrecht des Junkers von Tronka venrtandelt buchstäbllch die >glatten und wohlgenähr-ten Rappen< in >ein Paar dürre, abgehärmte Mähren [...]; Knochen, denen man, wle Rie-geln, hätte Sachen aufhängen können; Mähnen und Haare, ohne Wartung und Pflege, zu-sammengeknetet: das wahre Bild des Elends lm Tierreiche!< (8) Indem Kohlhaas auf die>Wlederherstellung der Pferde in den vorigen Stand< (17) klagt, bezeugt er seln Vertrauenin das Funktionieren, d. h. den guten Zustand der Rechtsordnung. Der traurige Zustand, in

dem slch die Pferde auf dem MarKplatz in Dresden präsentieren, fungieft als vollkommenesSinnbild der rechtllchen Verhältnlsse in Sachsen und wlrft noch vor dem Erzählerkommentar(69) selne düsteren Schatten auf den Fotgang der Kohlhaasischen Sache voraus.

Und wenn im Dresdner Kablnett spltzflndig festgestellt wird, die Pferde >srnd tot: sind instaatsrechtllcher Bedeutung tot, well sle keinen Wert haben< (71), so wlrd damit derRechtsordnung ln Sachsen das Urteil gesprochen. Entsprechend wird der Nachweis für dieIntaKheit der Rechtsordnung ln Brandenburg durch die Wiederherstellung der Pferde ge-

führt, die >von Wohlsein glänzendenl, die Erde mit ihren Hufen stampfendenl< (115). In-dem Kohlhaas >ihren feisten Hals< klopft (116) und sle seinen Söhnen Helnrlch und Leopoldschenkt, bezeugt er dle Wiederherstellung seines Vertrauens in die Rechtsordnung desbrandenburglschen Staates, der ihm sein Rechtsbegehren erfüllt hat.

Kohlhaas' Rachebegehren

Kohlhaas' Rachefeldzug gegen den Junker von Tronka wird in der Forschung übenruiegend

unter Bezugnahme auf das mittelalterliche Fehderecht dlskutlert und bewertet, Es wird lm-

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Wie gelingt es Kohlhaas, Luther davon zu ilberzeugen, dass er kein ,,ungerechtertann" ist?

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Das Gespräch arischen Luther und Kohlhaas -Wie gelingt es Kohlhaas, Luther davon zu überzeugen, dass er kein ,,ungerechter

Mann" ist?

AA: Lest das Gespräch zwischen Luther und Kohlhaas (5.48/20-S.53/18) und untersucht inPartneraöeit

1. wie Luther argumentiert und2. wie Kohlhaas sich rechtfertigt.

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!\-------{ Das Amulett der Zigeunerin

Die Geschichte mit der Zigeunerin, auf der der gesamte vierte Abschnitt, der sich in

vielfacher Hinsicht auf die ersten drei Abschnitte zurückbezieht, aufbaut, ist seit Erscheinen

der Ezählung in ihrer vollstäindigen Form immer wieder als >>romantischer Schlussteil<, als

ein >>ins Übersinnliche spielender Ausgang<<, der im Verhältnis zu den bisherigen>realistischen VorausseEungen<< der Ezählung einen >Stilbruch< darstelle, kritisiertworden. Ludwig Tieck (1773-1853), ein Dichter aus der Zeit der Romantik, nahm in seiner

Vonede zu den von ihm herausgegebenen Hinterlassenen Schriften (1821) die Geschichtemit der Zigeunerin zum Anlass, um zum Vorwuf der Trivialität Stellung zu nehmen, derKleist vielfach gemacht wurde:

>Diese wunderbare Zigeunerin, [...] diese grauende Achtung, die der Vefasser plötzlich

selber vor den Geschöpfen seiner Phantasie empfindet, alles dies erinneft an so manches

schwache PrcdulG unserer Tage und an die gewöhnten Bedüfnisse der Lesewelt, dass

wir uns nicht ohne eine gewisse Wehmut davon übezeugen, dass selbst sohervorragende Autorcn, wie Kleist (der sonst nichts mit diesen Krankheiten des Tagesgemein hat), dennoch der Zeit, die sie hervorgerufen hat, ihren Tribut abtragen müssen.<

Ganz offtnsichtlich war Kleist sich des Risikos bewusst, welches die Einführung des>Wunderbaren<< in der Ezählung barg. Denn in keinem der übrigen Abschnitte lässt er den

Ezähler so explizit auf seine Chronistenpflicht und damit sein Bewusstsein vomAuthentizitätsanspruch, dem es nachzukommen gilt, hinweisen wie hier. So kommentiert

der Ezähler den >Missgriff<< des Kämmerers, >>in dem alten Trödelweib [...] die

geheimnisreiche Zigeunerin selbst getroffen<< zu haben ( ), mit den Worten: >>und wiedenn die Wahrscheinlichkeit nicht immer auf Seiten der Wahrheit ist so traf es sich, dass

hier etwas geschehen war, das wir zwar berichten: die Freiheit aber, daran zu zweifeln,

demjenigen, dem es wohlgefällt, zugestehen müssen<< ( ). Die Abreise des Kurfürsten

von Sachsen betreffend beruft sich der Ezähler gar auf >die Chroniken, aus derenVergleichung wir Bericht erstatten<, und hebt das Faktum, dass sie >an dieser Stelle, aufbefremdende Weise, einander widersprechen und auflreben< ( ), ausdrücklich hervor,

Das >Wunderbare< wird auf diese Weise durch den auf seine Chronistenpflicht und Sorgfalt

pochenden Ezähler sozusagen neutralisiert.

Wenn auch die Geschichte mit der Zigeunerin ganz sicher nicht einen >Stilbruch<<

darstellt, so unterbricht sie doch die Chronologie der Erzählung in signifikanter Weise: dieÜbergabe des >>Amuletts< hat am Tag nach Lisbeths Begräbnis stattgefunden, die erste

Erwähnung der Zigeunerin geschieht jedoch erst beim zufälligen Zusammentreffen des

Kufürsten von Sachsen mit Kohlhaas in der Meierei von Dahmen. Dieser Bruch derChronologie erftihrt eine besondere Markierung: während der Begräbnistag das erste Viertel

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der Ezählung (27 Seiten) beendet, eröffnet die Ezählung Kohlhaasens von der Begegnung

mit der Zigeunerin in Jüterbock das letzte Viertel (27 Seiten).

Zu dieser Markierung durch die Eigenart der Distribution tritt eine aareite durchWiederholung: die Geschichte der Begegnung wird zweimal ezähl! und zwar das erste Mal

von Kohlhaas (91 ff) und das zweite Mal vom Kurfürsten von Sachsen (101 ff).Entsprechend hat sie für beide eine grundsäElich andere Bedeutung: Kohlhaas gibt die

lGpsel, ohne dass er es zum ZeitpunK der Übergabe und ihrer Ezählung bereits wusste,die Möglichkeit sich am Kufürsten um den Preis seines eigenen Lebens zu rächen und soseine Menschenwürde als autonomes Individuum wieder hezustellen. Für den Kurfürsten

dagegen bedeutet die Kapsel das Wissen um seinen Untergang: um den Namen nämlich

des leEten Regenten seines Hauses, um >die Jahreszahl, da er sein Reich verlieren<<, undum >>den Namen dessen, der es, durch die Gewalt der Waffen, an sich reißen wird< ( ).Der Anblick des Rehbocks, mit dem das gefordefte >>Zeichen<< für die Wahrheit der

Weissagungen der Frau eintritt, trifft den Kufürsten daher so >vernichtend<< wie der >>BliE,

der an einem Wintertag vom Himmel fällt< ( ). Im Zettel der Zigeunerin glaubt derKurfürst verlässlich den Untergang der Herrschaft seines Hauses verschlossen. Der Zettelerscheint insofern unfehlbar auf das Ende dieser Herrschaft vorauszudeuten,

In diesem Zusammenhang gewinnt das Faktum, dass die Zigeunerin immer wieder zum

Volk in Beziehung gesetzt wird, eine große Bedeutung. Sowohl in Kohlhaas' Ezählung als

auch in der des Kurfürsten wird sie als vom Volk umringt ( ) eingefühft. Wie

Richard W. Müller aufgezeigt hat, wird in der ersten Ezählung >>das Volk< innerhalb von 27

Zeilen viermal und in der zweiten innerhalb von 18 Zeilen dreimal und ein viertes Mal in

weiterem Abstand erwähnt. >Die Zigeunerin ist gleichsam das Zentrum der Volksmenge<,

Das Volk ist bisher in der Ezählung vor allem im zweiten und im driften Abschnitt

hervorgetreten. Im zweiten Abschnitt fordert Kohlhaas >>das Volk auf, sich zur Errichtungeiner besseren Ordnung der Dinge, an ihn anzuschließen<< ( ). Und obwohl das Volk unterseinen Brandstiftungen zu leiden hat, geht es nicht gegen ihn, sondern gegen die>Volkbedrücker< vor: Es versammelt sich >zu Tausenden vor dem, mit Balken und ffählenverrammelten, Hause des Junkers<< ( ), und die >öffentliche Meinung<< ( ) ist >bei derallgemeinen Unzufriedenheit, die wegen der Unziemlichkeiten des Kämmerers im Landehenschte<< ( ), uauf eine hclchst gefährliche Weise<< ( ) auf Seiten des Kohlhaas, so

dass seine Stärke von Tag zu Tag anwächst.

Bei dem Tumult auf dem Markplatz zu Dresden kommt es zu einer direKen Konfrontation

aruischen dem Volk und dem Kämmerer, >dem Volksbedrücker<<. Aber obwohl Meister

Himboldt gegen den Kämmerer vorgeht, der seine bürgerliche Ehre beleidigt hat, entstehen

aus dem Tumult genauso wenig wie durch Kohlhaas' Mandate revolutionäre Aktionen des

Volkes. Das Volk wird zwar schwer bedrückt und äußert seine Unzufriedenheit mit den

herrschenden Verhältnissen immerhin so deutlich, dass Luther durchaus meint, Grund für

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Das Amulett der Zigeunerln

die Befürchtung eines Volksaufstandes zu haben: >so könne dasselbe [das Volk] leicht in

dem Grade verführt werden, dass mit der Staatsgewalt gar nichts mehr gegen ihn

[Kohlhaas] auszurichten sei<< ( ) .

Dennoch bricht der Volksaufstand nicht aus, R.W. Müller hat nun die These aufgestellt,

dass >die lGpsel mit ihrem geheimnisvollen Kern die Funktion des Volksaufstandes

übemimmt, nämlich das Urteil über den wertlosen (und daher unheilbringenden) Kurfürsten

zu vollstrecken.< [Vorsicht, man muss nicht alles glauben, was Germanisten sagen!]

In der Tat schreibt die Zigeunerin >>vor den Augen allen Volks< ( ), wie vorter lautverkündet, die Daten zum Untergang seiner Herrschaft auf den Zettel, >fasst<, >>indem siesich im Volk umshht<, Kohlhaas, der >hinter allem Volk<< auf einer Bank steht, >>ins

Auge< ( ), bescheidet den Kurfürsten, >>von jenem Mann dort, der, mit dem Federhut, auf

der Bank steht, hinter allem Volk, am Kircheneingang, lösest du, wenn es dir beliebt, denZettel ein< ( ), und übergibt Kohlhaas, >>während sich alles Volk< zu ihm>>umwendet<< ( ), den Zettel,

Während Michael Kohlhaas die Zigeunerin nie anders denn als >Mütterchen< anredet

( ) und spräter sogar in ihr eine Ahnlichkeit mit seiner verstorbenen Frau zu

entdecken meintl!!|, die ihn in seinen Bemühungen, sich Recht zu verschaffen, stets

uneingeschränkt unterstütrt hat ( ), erfährt der Kurfürst sie als bedrohlich, wenn sie ihn>mit einem Blick, kalt und lebbs, wie aus marmomen Augen< ( ) ansieht. Sie erscheint

so als eine Aft Todesbotin für ihn und seine Herrschaft.

Die Zigeunerin gehört zu den Standeslosen, zur untersten Schicht des Volkes. Sie ist mit

der Mutter >des bei Mühlberg gefallenen Knechts Herse [...] seit einigen Monden her,

bekannt<< ( ), womit zwischen ihr und Herse, dem Helfer Kohlhaasens bei seinemRachefeldzug, eine au#rückliche Beziehung hergestellt wird. Andererseits venrveist ihr>>bleiemer Siegelring<< auf den >bleiernen Kamm<< des AMeckers und auf Kohlhaas'

>>bleieme lGpsel<<, in der er den Zettel bewahrt, und tritt so zu >>Gold<, >>Geld<. und>>silbemem Klang< ( ), der die Herrschenden umgibt, in eine scharfe Opposition.

Während die >Vernichtung<< des Kufürsten durch den Mann >>hinter allem Volk< bewirktwird, ist ihm das Mittel dazu erst von der Zigeunerin in die Hand gegeben, >die, auf einem

Schemel sitzend, dem Volk, das sie umringte, [...] wahrsagte<< ( ).Insofern ist Müller zuzustimmen, wenn er zu dem Schluss kommt:

>>Wenn diese Botin des Jenseits den Zettel, der das Schickal des Staates enthält, statt in

die Hände des Herrschers, in die des Rebellen >>hinter allem Volk< leg! so mag damitangedeutet sein, dass auch die vom unfähigen Herrscher verspielte Souveänität in die

Hände des \lblkes zurückgeht<<.

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Ergänzung zur Sproche Kleists im >Michoel Kohlhoos< und warum jemand so

schreibt, wie er schreibt ...

Kleist hat in seinem Aufsatz >Über die atlmähliche Verfertigung der Gedankenbeim Reden< Hinweise dozu gegeben, wcrum er so schreibt wie er schreibf.

Ihm geht es nämlich um die Notwendigkeif auf Seiten des Sprechenden, sicheines Sochverholtes im Moment des ,,Dorüber-sprechend' klarer zu werden:

Wenn nämlich der Sprechende seine Gedonken ordnet um seine Sichtweise demHörenden zu erläutern, wird er sich der Dinge bewusster und gelongt dadurchzu einer tieferen Einsicht in die von ihm angesprochenen schwierigenSqchverhalte.

Dos iedoch mog nicht nur für sein Sprechen, sonder auch für sein Schreibengelten. Desholb äupert er in dieser Schrift:

,,Aber weil ich doch irgendeine dunkle Vorstellung habe, die mit dem, was ichsuche, von fernher in Verbindung steht, so prägt, wenn ich nur dreist damitdenAnfang mache, das Gemüt, während die Rede fortschreitet, in derNotwendigkeit, dem Anfang nun auch ein Ende zu findery jene verworreneVorstellung zur völligen Deutlichkeit aus, dergestalt, dass die Erkenntnis zumeinemErstaunenrmitderPeriode il:rr,i ,i 'rri !,rr,.r,L'iir;r,l fertigist."

Dieses relotiv kleine Kleistsche Satzungetüm beweist:

Von den zwei Möglichkeiten, die es für Kteist gibli Gedonken zum Ausdruck zubringen - die erste ist die, ,,wenn der Geist schon vor oller Rede mif demGedanken fertig ist" - ziehl Kleist die zweile eindeutig von nämlich, dass derGedanke sich überhaupt erst im erregten Fortgang der Rede entwickelt eineMethode, die für Kleist der Mögtichkeil; Gedanken zu entwickeln vie[ mehrentspricht. [Unwahrscheinlich auch, doss er bei seinen Schachtel-Sätzen zueinem onderen Ergebnis kommt :-) ]