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| Der Urologe [A] 5 · 2003 624 Der genetische Hintergrund für Fehl- bildungen und Tumoren der Niere ist in den letzten 10 Jahren zunehmend Gegen- stand der zyto- und molekulargenetischen Forschung geworden. Damit kann dem Bedürfnis der behandelnden Ärzte, der Patienten oder deren Angehörigen Rech- nung getragen werden, qualifizierte und wissenschaftlich fundierte Auskunft zum Wiederholungsrisiko dieser Erkrankun- gen geben zu können. Zunehmend wer- den durch die Aufklärung der genetischen Grundlagen und molekular- und zellbio- logischen Mechanismen von Erkrankun- gen die sichere Diagnosestellung, eine in- dividuelle Überwachung und neue The- rapieformen möglich. Im Folgenden sollen die derzeitigen Kenntnisse über genetisch bedingte Fehl- bildungen und Erkrankungen der Niere sowie die aktuellen Möglichkeiten der ge- netischen Diagnostik am Beispiel ausge- wählter Erkrankungen aufgezeigt werden (Tabelle 1): polyzystische Nierenerkrankungen, Nierenagenesie, Nierendysplasie, familiäre Tumorerkrankungen. Genetische Diagnostik Die Ergebnisse der genetischen Untersu- chungen von vererbten Nierenerkrankun- gen sind von großer Bedeutung für die Diagnostik einzelner Krankheitsbilder, deren Klassifikation und für die Aufklä- rung ihrer Entstehungsmechanismen. Entscheidendes Kriterium für die Durch- Leitthema K. Junker · Molekularbiologisches Labor, Klinik für Urologie, FSU, Jena Molekulare Diagnostik von Erkrankungen der Niere mit genetischer Prädisposition führung einer molekulargenetischen Di- agnostik sollte die Beantwortung der Fra- ge sein, ob durch diese Diagnostik neue Informationen zu erwarten sind, die auch zu neuen Optionen für die Patienten oder deren Familien führen. In Einzelfällen kann die molekularge- netische Diagnostik zur Diagnosesiche- rung eingesetzt werden. Die Pränataldi- agnostik ist nur für schwere und letale Krankheitsbilder wie der autosomal-re- zessiven polyzystischen Nierenkrankheit indiziert. Eine prädiktive Diagnostik zur Identifizierung von Anlageträgern ist v.a. bei vererbten Tumorerkrankungen zur frühzeitigen Tumorerkennung und The- rapie von Bedeutung und sollte betroffe- nen Familien empfohlen werden. Eine molekulargenetische Diagnostik sollte entsprechend den Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Humangene- tik nur nach ausführlicher humangeneti- scher Beratung erfolgen. Eine prädiktive Diagnostik von Kindern und Jugendli- chen sollte nur dann durchgeführt wer- den, wenn sich daraus therapeutische Konsequenzen ableiten lassen. Methoden der molekulargenetischen Diagnostik Voraussetzung für die direkte molekular- genetische Diagnostik ist die Kenntnis über Lage und Art der Mutation des Gens, das für die Erkrankung verantwortlich ist. Die Untersuchung erfolgt fast ausschließ- lich mit Hilfe der Polymerasekettenreak- tion (PCR). Unter PCR versteht man die Vermehrung (Amplifizierung) kleiner ge- nomischer DNA-Fragmente. Dadurch ist es möglich, ein Ergebnis aus kleinsten Ausgangsmengen von DNA zu erzielen. Nach Amplifikation mittels PCR können die entstandenen Fragmente in Agarose- gelen sichtbar gemacht werden. Somit kann z. B. eine Deletion (Verkürzung) im entsprechenden Gen, die zum Krankheits- bild führt, erkannt werden (Abb. 1). Urologe [A] 2003 · 42:624–633 DOI 10.1007/s00120-003-0348-x Online publiziert: 8. April 2003 © Springer-Verlag 2003 Redaktion W. A. Schulz, Düsseldorf M. Burchardt, Düsseldorf M.-O. Grimm, Düsseldorf Abb. 1 Die Deletion führt zu einer Verkürzung im Gen und wird durch die kürzere Bande im Gel (120 bp) dargestellt. Bei dem betroffenen Kind finden sich nur die verkürzten Banden, wodurch der Nachweis für das Auftreten der autosoma-rezessiven Erkrankung erfolgt

Molekulare Diagnostik von Erkrankungen der Niere mit genetischer Prädisposition

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| Der Urologe [A] 5 · 2003624

Der genetische Hintergrund für Fehl-bildungen und Tumoren der Niere ist inden letzten 10 Jahren zunehmend Gegen-stand der zyto- und molekulargenetischenForschung geworden. Damit kann demBedürfnis der behandelnden Ärzte, derPatienten oder deren Angehörigen Rech-nung getragen werden, qualifizierte undwissenschaftlich fundierte Auskunft zumWiederholungsrisiko dieser Erkrankun-gen geben zu können. Zunehmend wer-den durch die Aufklärung der genetischenGrundlagen und molekular- und zellbio-logischen Mechanismen von Erkrankun-gen die sichere Diagnosestellung,eine in-dividuelle Überwachung und neue The-rapieformen möglich.

Im Folgenden sollen die derzeitigenKenntnisse über genetisch bedingte Fehl-bildungen und Erkrankungen der Nieresowie die aktuellen Möglichkeiten der ge-netischen Diagnostik am Beispiel ausge-wählter Erkrankungen aufgezeigt werden(⊡ Tabelle 1):

▂ polyzystische Nierenerkrankungen,▂ Nierenagenesie, Nierendysplasie,▂ familiäre Tumorerkrankungen.

Genetische Diagnostik

Die Ergebnisse der genetischen Untersu-chungen von vererbten Nierenerkrankun-gen sind von großer Bedeutung für dieDiagnostik einzelner Krankheitsbilder,deren Klassifikation und für die Aufklä-rung ihrer Entstehungsmechanismen.Entscheidendes Kriterium für die Durch-

Leitthema

K. Junker · Molekularbiologisches Labor, Klinik für Urologie, FSU, Jena

Molekulare Diagnostik von Erkrankungen der Niere mitgenetischer Prädisposition

führung einer molekulargenetischen Di-agnostik sollte die Beantwortung der Fra-ge sein, ob durch diese Diagnostik neueInformationen zu erwarten sind,die auchzu neuen Optionen für die Patienten oderderen Familien führen.

In Einzelfällen kann die molekularge-netische Diagnostik zur Diagnosesiche-rung eingesetzt werden. Die Pränataldi-agnostik ist nur für schwere und letaleKrankheitsbilder wie der autosomal-re-zessiven polyzystischen Nierenkrankheitindiziert. Eine prädiktive Diagnostik zurIdentifizierung von Anlageträgern ist v.a.bei vererbten Tumorerkrankungen zurfrühzeitigen Tumorerkennung und The-rapie von Bedeutung und sollte betroffe-nen Familien empfohlen werden.

Eine molekulargenetische Diagnostiksollte entsprechend den Richtlinien derDeutschen Gesellschaft für Humangene-tik nur nach ausführlicher humangeneti-scher Beratung erfolgen. Eine prädiktiveDiagnostik von Kindern und Jugendli-

chen sollte nur dann durchgeführt wer-den, wenn sich daraus therapeutischeKonsequenzen ableiten lassen.

Methoden der molekulargenetischen Diagnostik

Voraussetzung für die direkte molekular-genetische Diagnostik ist die Kenntnisüber Lage und Art der Mutation des Gens,das für die Erkrankung verantwortlich ist.Die Untersuchung erfolgt fast ausschließ-lich mit Hilfe der Polymerasekettenreak-tion (PCR). Unter PCR versteht man dieVermehrung (Amplifizierung) kleiner ge-nomischer DNA-Fragmente. Dadurch istes möglich, ein Ergebnis aus kleinstenAusgangsmengen von DNA zu erzielen.Nach Amplifikation mittels PCR könnendie entstandenen Fragmente in Agarose-gelen sichtbar gemacht werden. Somitkann z.B.eine Deletion (Verkürzung) imentsprechenden Gen,die zum Krankheits-bild führt, erkannt werden (⊡ Abb. 1).

Urologe [A] 2003 · 42:624–633DOI 10.1007/s00120-003-0348-xOnline publiziert: 8. April 2003© Springer-Verlag 2003

RedaktionW. A. Schulz, DüsseldorfM. Burchardt, DüsseldorfM.-O. Grimm, Düsseldorf

Abb. 1 ▲ Die Deletion führt zu einer Verkürzung im Gen und wird durch die kürzere Bande im Gel(120 bp) dargestellt. Bei dem betroffenen Kind finden sich nur die verkürzten Banden, wodurch derNachweis für das Auftreten der autosoma-rezessiven Erkrankung erfolgt

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Leitthema

| Der Urologe [A] 5 · 2003626

Eine 2. Möglichkeit der direkten mo-lekulargenetischen Diagnostik besteht imsog. ARMS-Test (amplification refracto-ry mutation system). Voraussetzung isthier, dass eine ganz bestimmte Mutationgehäuft auftritt. Hierbei wird die PCR somodifiziert, dass jeweils nur die Sequenzdes gesunden Gens oder die mutierte Se-quenz amplifiziert werden kann. Als 3.Möglichkeit kann die direkte Sequenzie-rung eingestzt werden, d. h. es erfolgt dieAnalyse der Nukleotidabfolge im entspre-chenden Gen.

Ist nur die Lokalisation der genetischenStörung, jedoch nicht das Gen oder dieMutation selbst bekannt,wird die indirek-

te molekulargenetische Diagnostik durch-geführt.Hierzu werden sog.flankierendeMarker,d.h.DNA-Sequenzen,die dem be-troffenen Gen möglichst eng benachbartsind, ausgewählt. Für diese Marker kön-nen Restriktionsfragmentlängenpolymor-phismen (RFLP) ermittelt werden.Grund-lage ist hier,dass bestimmte Enzyme (Re-striktionsenzyme) an bestimmten Stellendie DNA schneiden können; dadurch ent-stehen DNA-Fragmente,die entsprechendihrer Länge im Gel aufgetrennt werden.Durch Hybridisierung von markierten ho-mologen sog. DNA-Sonden können die-se Fragmente sichtbar gemacht werden(⊡ Abb. 2).

Voraussetzung für die Identifizierungvon betroffenen Personen ist einerseits,dass der Marker informativ ist,d.h.2 Ban-den auf dem Gel zeigt (d.h.die Fragmen-te der beiden homologen Chromosomenhaben unterschiedliche Längen).Zum an-deren muss durch die Untersuchung vonEltern und bereits betroffenen bekanntsein, welche der beiden Banden mit derErkrankung in Beziehung steht.

Zunehmend werden Mikrosatelliten-marker für die indirekte genetische Diag-nostik eingesetzt. Mikrosatelliten stellenkurze Sequenzen von sich vielfach wie-derholenden Nukleotiden [2,3,4] dar,diean vielen Stellen im Genom vorkommen.Bisher wurden bereits sehr viele Mikro-satelliten in spezifischen chromosomalenRegionen lokalisiert,sodass für die inter-essierende Region mehrere Mikrosatelli-ten als Marker ausgewählt werden kön-nen.Diese Marker sind ebenfalls hoch po-lymorph, d. h. die Anzahl der Wiederho-lungen der Nukleotidsequenzen ist vonMensch zu Mensch sehr variabel. Da inder Regel die den Mikrosatelliten benach-barten Sequenzen bekannt sind,kann einespezifische PCR für den entsprechendenMarker durchgeführt werden.Nach elek-trophoretischer Auftrennung im Gel kön-nen die Marker sichtbar gemacht werden(⊡ Abb. 3).

Grundsätzlich muss bemerkt werden,dass die indirekte molekulargenetischeDiagnostik weniger genau als die direkteist,da trotz enger Nachbarschaft zwischenMarker und betroffenem Gen immer dieMöglichkeit der Rekombination,d.h.vonDNA-Stückaustausch besteht. Deshalbwerden zur Absicherung der Diagnosehäufig mehrere flankierende Marker ein-gesetzt.

Polyzystische Nierenerkrankungen

Unter dem Begriff„polyzystische Nieren-erkrankungen“ werden sowohl spora-dische als auch die beiden genetisch deter-minierten Krankheitsbilder der autoso-mal-rezessiven und autosomal-dominan-ten Form zusammengefasst.Es sind unter-schiedliche Klassifikationssysteme ge-bräuchlich,zunehmend setzen sich jedochdie genetischen gegenüber den patho-anatomischen Bezeichnungen durch.

Abb. 2 ▲ RFLP-Analyse zum Nachweis einer autosomal-dominanten Erkrankung: Marker A (a) ist mit dem verantwortlichen Gen K (N) eng benachbart (gekoppelt). Allel (Zustand) A ist mit derErkrankung gekoppelt, a mit dem Normalzustand. Vereinfachend wurde hier auf die Darstellungder Banden des gesunden Vaters verzichtet

Abb. 3 ▲ Mikrosatellitenanalyse für eine autosomal-dominanten Erkrankung: (CAG)32 bei derMutter ist mit der Erkrankung gekoppelt

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Der Urologe [A] 5 · 2003 | 627

Zusammenfassung · Abstract

Autosomal-dominante polyzystische Nierenkrankheit

Die häufigste Form ist die autosomal-do-minante polyzystische Nierenkrankheit.Autosomal-dominante Zystennieren stel-len eine systemische Erkrankung dar,beider v. a. die Nieren betroffen sind. Eskommt zur Bildung von flüssigkeitsgefüll-ten Zysten in beiden Nieren bei gleichzei-tiger interstitieller Fibrose, was bei 50%der Patienten im Alter von 60 Jahren zumchronischen Nierenversagen führt.Ande-re Symptome sind Bluthochdruck, kar-diovaskuläre Auffälligkeiten,Zysten in an-deren Organen (Leber, Pankreas) sowiezerebrale Aneurysmen.Bei einem Eltern-teil sind ebenfalls Zysten nachweisbar,daes sich um eine autosomal-dominanteErbform handelt.

Genetik/PathogeneseInzwischen wurden 2 verantwortlicheGene identifiziert (PKD1 und PKD2),waszur Differenzierung dieser Erkrankungin 2 Formen führte [1, 2]. Mutationen inPKD1 und PKD2 verursachen ca.85% bzw.ca. 15% der Erkrankungen.Weitere Genewerden vermutet.

Das Gen-PKD1 konnte bereits 1985 aufdem Chromosom 16p lokalisiert werden[3].Erst 1995 gelang es einem europäischenKonsortium durch die Untersuchung vie-ler Familien, dieses Gen zu charakterisie-ren [1]. Es besteht aus 46 Exons. Mehrereähnliche Gene liegen benachbart.Das Genhat eine Länge von 53 kbp,das große Tran-skript umfasst 14,2 kb. PKD1 kodiert einMembranglykoprotein (Polycystin 1).PKD2 kodiert Polycystin 2, das ebenfallsin der Membran lokalisiert ist.Beide Pro-teine bilden einen Komplex, der an Zell-Zell- und Zell-Matrix-Interaktionen be-teiligt ist. Polycystin 1 und 2 initiieren of-fensichtlich eine Signaltransduktion, diezur Aktivierung verschiedener Effektorenwie G-Proteinen, Proteinkinase C, undmitogenaktivierten Proteinkinasen führt.Die Interaktion zwischen beiden Protei-nen ist für die Erhaltung der epithelialenStruktur der Niere notwendig.Außerdemscheint Polycystin 2 an der Regulation desKationenflusses beteiligt zu sein.

Die Pathogenese der Zystenbildung istcharakterisiert durch erhöhte Zellprolife-ration,Flüssigkeitsansammlung und Um-

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K. Junker

Molekulare Diagnostik von Erkrankungen der Niere mit genetischer Prädisposition

Molecular diagnostics of renal diseases with underlying genetic predisposition

ZusammenfassungDer genetische Hintergrund für Fehlbildungenund Tumoren der Niere ist in den letzten Jahrenzumehmend aufgeklärt worden.Damit kanndem Bedürfnis der behandelnden Ärzte, der Pati-enten oder deren Angehörigen Rechnung getra-gen werden, qualifizierte und wissenschaftlichfundierte Auskunft zum Wiederholungsrisiko beidiesen Erkrankungen geben zu können.

Da für die meisten häufig vorkommendenerblichen Erkrankungen der Niere die verant-wortlichen Gene und Mutationen identifiziertworden sind, ist die molekulargenetische Diag-nostik prinzipiell möglich geworden.Die Sinn-

AbstractThe genetic basis for dysplasia and tumors of thekidney has increasingly become the subject ofcytogenetic and molecular genetic investigationsover the last decade.For that reason, it is nowpossible to define the risk of disease recurrencemore precisely in families with kidney diseasescaused by genetic alterations.

The relevant genes and the mutations havebeen identified for most of these diseases andgenetic diagnostics are possible.However, it is

haftigkeit muss jedoch für jedes Krankheitsbildund für jeden individuellen Fall kritisch bewertetwerden.

In dieser Arbeit soll dies am Beispiel der poly-zystischen Nierenerkrankungen, der Nierendys-plasie und Nierenagenesie sowie familärer Tumorerkrankungen der Niere für die urologi-sche Praxis dargestellt werden.

SchlüsselwörterPolyzystische Nierenerkrankungen · Nierendysplasie · Nierenagenesie · Familäre Tumorerkrankungen der Niere

necessary to evaluate in each individual casewhether genetic diagnostics are reasonable.Thiswill be discussed for polycystic renal diseases,agenesis and dysplasia of the kidney, and heredi-tary kidney tumors.

KeywordsPolycystic renal diseases · Renal dysplasia · Renal agenesis · Hereditary renal tumors

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Leitthema

| Der Urologe [A] 5 · 2003628

bau der Basalmembran. Zyklisches Ade-nosinmonophosphat (cAMP) spielt offen-bar durch Stimulierung der apikalen Chlo-ridsekretion und die damit verbundeneAkkumulation von Flüssigkeit eine zen-trale Rolle bei der Zystenbildung.Die Zel-len der Zystennieren zeigen in Reaktionauf cAMP eine erhöhte Proliferation imVergleich zu normalen Nierenzellen.Durch die erhöhte Flüssigkeitssekretionvergrößern sich die Zysten weiter.Es wirdangenommen, dass die veränderte Funk-tion des Polycystin-1- und -2-Komplexesdiese veränderte Reaktion auf cAMP ver-ursacht. Diese Erkenntnisse über die Pa-thophysiologie machen es für die Zukunftdenkbar, dass durch Inhibitoren der Sig-naltransduktionskaskaden eine Behand-lung dieser Erkrankung möglich wird.

In Abhängigkeit davon, welches derbeiden Gene betroffen ist,wird ein unter-

schiedlicher Verlauf beobachtet. Patien-ten mit PKD2-Mutationen weisen eine ge-ringere Progression auf,das Alter bei Nie-renversagen ist durchschnittlich höher (69vs. 53 Jahre), es treten seltener Bluthoch-druck, Infektionen des Harntraktes oderHämaturie auf.

Die Mutationen in beiden Genen sindsehr unterschiedlich. Es existieren keine„Hot-spots“, d. h. eine Häufung von Mu-tationsorten in diesen Genen wurde nichtfestgestellt.Prinzipiell hat jede Familie ihrespezifische Mutation. Aufgrund der Ho-mologie eines großen Teils des PKD1-Genszu benachbarten Genen auf Chromo-som 16 sind direkte Techniken zum Mu-tationsnachweis nicht effektiv.Dagegen istdie Mutationsanalyse für PKD 2 (Chromo-som 4q) einfacher durchzuführen.

Für die Praxis ergeben sich kaum Indi-kationen zur molekulargenetischen Di-

agnostik, da durch die regelmäßigeDurchführung von Ultraschalluntersu-chungen bei möglichen Betroffenen An-lageträger im Alter von 20 Jahren zu 95%und von 30 Jahren praktisch zu 100% er-fasst werden können.Eine prädiktive mo-lekulargenetische Diagnostik bietet des-halb für Personen ohne Symptomatik kei-ne Vorteile. Eine Pränataldiagnostik istmöglich, wird von den meisten betroffe-nen Familien aber nicht in Anspruch ge-nommen.

Autosomal-rezessive polyzystische Nierenkrankheit

Die Symptomatik entwickelt sich bereitsin der Neugeborenenperiode. Es tretenrespiratorische Störungen (Lungenhypo-plasie, Atemnotsyndrom) auf, die über-wiegend bereits im Säuglingsalter zumTod führen.Bei seltener längerer Überle-benszeit kommen Niereninsuffizienz undeine portale Hypertension hinzu. Einekongenitale Leberfibrose tritt in sehr un-terschiedlichem Ausmaß auf. Zusätzlichwerden zystische Pankreasveränderun-gen beschrieben.

Wie bei rezessiven Erkrankungen häu-fig, liegen bei den Eltern keine Auffällig-keiten vor.Der sonographische Ausschlussvon Zysten bei den Eltern ermöglicht die

Tabelle 2

Charakterisierung von familiär gehäuften Tumorerkrankungen

Familiäre Tumorerkrankungen Vererbte Tumorerkrankungen

Häufung der Erkrankung in einer Familie Häufung der Erkrankung in einer Familie

Mindestens 2 direkt verwandte Personen Auftreten der Erkrankung:

sind betroffen über 3 Generationen oder

bei 3 verwandten Personen 1. Grades

bei 2 verwandten Personen <55 Jahre

Tabelle 1

Merkmale, Häufigkeit und Genetik von ausgewählten genetisch bedingten Fehlbildungen und Erkrankungen der Niere

Erkrankung Synonym Häufigkeit Genetik

Autosomal-dominierte polyzystische Adulte polyzystische 1:1.000 Autosomal-dominant

Nierenkrankheit Nierenkrankheit

Zystennieren Typ Potter III PDK-1 (16p)

Autosomal-dominante PDK-2 (4q)

Zystennieren

Autosomal-rezessive polyzystische Typ I nach Potter 1:20.000 Autosomal-rezessiv

Nierenkrankheit PKHD 1 (6p)

Nierendysplasie Typ II nach Potter 1:4.300 Autosomal-rezessiv, autosomal-dominant,

X-chromosomal-rezessiv, selten isoliert

Nierenagenesie 1:3.000–1:10.000 (bilateral) Autosomal-dominant

1:1.000 (unilateral)

Von Hippel-Lindau-Syndrom 1:35.000–1:40.000 Autosomal-dominant,VHL-Gen

Andere klarzellige vererbte Sehr selten t(3; 6); t(3; 8); t(3; 11), t(3; 12)

Nierenzellkarzinome

Vererbte papilläre Sehr selten Autosomal-dominant; Met-Onkogen

Nierenzellkarzinome (7q31-34)

Vererbte Onkozytome Sehr selten Burt-Hogg-Dube-Syndrom; 17q11.2

Wilms-Tumoren Verebte Form sehr selten WT-1

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Der Urologe [A] 5 · 2003 | 629

sichere Abgrenzung von der autosomal-dominanten Form der polyzystischen Nie-renkrankheit.

GenetikDas Gen für die autosomal-rezessiven Nie-renzystenerkrankung wurde auf Chromo-som 6p lokalisiert [4].Als Kandidatengenwurde PKHD1 (polycystic kidney and he-patic disease 1) identifiziert [5,6].Die gene-tische Pränataldiagnostik wird in betrof-fenen Familien aufgrund der nicht selteninfausten Prognose und des frühen Todesder Kinder häufig in Anspruch genommen.Dies ist auch erforderlich,da die Pränatal-diagnostik mittels Ultraschall unsicher istund eine Größenzunahme der Niere erstin der 2. Schwangerschaftshälfte auftritt.

Voraussetzung für eine molekularge-netische pränatale Diagnostik ist die si-chere klinische und pathologisch-anato-mische Diagnosestellung beim Indexpa-tienten.Zur sicheren Abgrenzung von ei-ner früh-manifesten autosomal-dominan-ten Nierenzystenerkrankung ist ein un-auffälliger Ultraschallbefund bei den El-tern Voraussetzung.Die molekulargeneti-sche Diagnostik wird indirekt mit Hilfedas Gen flankierender genetischer Mar-ker unter Einbeziehung von DNA-Probender Eltern,evtl.Geschwistern und des In-dexpatienten durchgeführt. Dabei wirddie Konstellation der Marker bei bereitsbetroffenen mit der bei dem zu untersu-chenden Kind verglichen.Diese Diagnos-tik weist eine hohe Sicherheit auf.Derzeitkann jedoch noch nicht sicher ausge-schlossen werden, dass ein weiteres ver-antwortliches Gen existiert. Diese Wahr-scheinlichkeit liegt jedoch <5%.

Differentialdiagnostisch müssen wei-tere Krankheitsbilder, die mit Zystennie-ren einhergehen (kongenitale Leberfibro-se, glomeruläre Zystennieren, Markzys-tenerkrankungen,erworbene Zysten,Nie-rendysplasie) sowie Zystennieren im Rah-men von Syndromen abgegrenzt werden.

Nierendysplasie und Nierenagenesie

Nierendysplasie

Unter Nierendysplasie wird der komplet-te Verlust von Form und damit der Funk-tion der Niere verstanden (multizystische

Nierendysplasie entsprechend Typ Pot-ter IIa, hypoplastische Nierendysplasieentsprechend Typ Potter IIb). Das klini-sche Bild hängt auch vom Zustand derkontralateralen Niere ab.

Genetik/PathogeneseBei der isolierten Nierendysplasie sind ge-netische Faktoren von geringer Bedeu-tung. In einzelnen Familien wurden au-tosomal-rezessive, autosomal-dominan-te oder X-chromosomal-rezessive Erb-gänge beobachtet.Die Bewertung des Wie-derholungsrisikos richtet sich nach denErgebnissen der Untersuchung weitererFamilienmitglieder und kann zwischen 5und 50% betragen.

Häufig treten Nierendysplasien im Zu-sammenhang mit komplexen Fehlbil-dungssyndromen auf.Um das Wiederho-lungsrisiko bewerten zu können,muss dasbetreffende Syndrom eindeutig identifi-ziert werden, Über die Kenntnis des Erb-gangs des Syndroms kann das Wiederho-lungsrisiko abgeschätzt werden.

Nierendyplasien sind in 51% der Fällemit anderen Anomalien assoziiert [7].Diehäufigsten sind der vesikoureterale Re-flux und die Ureterabgangsstenose. Eswird angenommen, dass diese 3 Fehlbil-dungen sowie die Nierenagenesie oftdurch eine gemeinsame Pathogenese be-dingt sind [8]. Auch Samenstrangagene-sien ipsilateral sowie seltener zystischeHodendysplasien werden in Assoziationmit zystischen Nierendysplasien beob-achtet.

Nierenagenesie

Genetik/PathogeneseBei den bi- und unilateralen Nierenage-nesien wird von einem autosomal-domi-nanten Erbgang mit verminderter Pene-tranz (d.h.,nicht bei allen Personen mit ei-ner Mutation kommt es zur Ausbildungdes Krankheitsbildes) ausgegangen, ob-wohl andere Erbgänge nicht sicher aus-geschlossen werden können.Die Beurtei-lung des Wiederholungsrisikos hängt vonder Familienanamnese ab und liegt zwi-schen 5 und 50%.Auch hier muss die Ab-klärung hinsichtlich Fehlbildungssyndro-men erfolgen. Diesen können zytogene-tisch erkennbare Syndrome wie das Tur-ner-Syndrom,Trisomie 13 und 18 oder Ver-

änderungen in einzelnen DNA-Abschnit-ten wie beim Beckwith-Wiedemann-Syn-drom sowie die bei der VATER-Assoziati-on zugrunde liegen.

Die Nierenagenesie ist mit anderenFehlbildungen assoziiert. Die bilateraleAgenesie führt zur Pottersequenz, derentypische Gesichtssymptomatik die Folgeeiner An- oder Oligohydramnie ist.DieseKinder überleben nicht. Die unilateraleAgenesie ist häufig mit einer Ureterage-nesie und seltener mit einer Nebennieren-agenesie assoziiert.Es werden außerdemHydronephrosen, vesikoureterale Reflu-xe sowie Fehlbildungen des Genitalsys-tems beobachtet. Darüber hinaus tretenkardiovaskuläre, gastrointestinale undmuskuloskelettale Fehlbildungen auf.

Da Nierendysplasie und -agenesie vie-le verschiedene genetische Veränderun-gen zugrunde liegen können, sie jedochinsgesamt nicht häufig sind,stellt die ge-netische Diagnostik ein Problem dar.Amehesten ist sie möglich, wo die Fehlbil-dungen im Rahmen genetisch gut cha-rakterisierter Syndrome auftreten, diedurch zytogenetische oder molekularge-netische Analysen nachgewiesen werdenkönnen.

Familiäre Tumorerkrankungen

Tumorerkrankungen treten in manchenFamilien gehäuft auf.Hierbei kann es sichum eine Häufung unterschiedlicher Tu-moren oder aber einer spezifischen Tu-morerkrankung handeln. Grundlage fürfamiliäre oder vererbte Tumore ist einegenetische Prädisposition. Diese geneti-sche Prädisposition kann zur Bildung spe-zifischer Tumore (Mammakarzinom,Pros-tatakarzinom), zur Bildung verschiede-ner Tumorarten (Li-Fraumeni-Syndrom,VHL) oder zur Tumorentstehung in As-soziation mit anderen Fehlbildungen (Tu-beröse Sklerose, Xeroderma pigmento-sum) führen.

Man unterscheidet bei den familiärgehäuften Tumorerkrankungen die in⊡ Tabelle 2 aufgeführten Definitionen.

Typische Merkmale der vererbten Tu-moren sind generell das frühe Erkran-kungsalter, Multifokalität und bei paar-weisen Organen die Bilateralität.

Folgende vererbte Nierentumore wur-den bisher beschrieben:

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Der Urologe [A] 5 · 2003 | 631

▂ Nierenzelltumore:- klarzellig

Von-Hippel-Lindau-Syndrom,mit Translokationen des Chromosoms 3,andere.

- papillär- Onkozytom,

Burt-Hogg-Dube-Syndrom,▂ Wilms-Tumor

Von-Hippel-Lindau-Syndrom

Die häufigste vererbte Form von Nieren-tumoren findet sich beim Von-Hippel-Lindau-Syndrom (VHL). Dieses ist cha-rakterisiert durch:

▂ Angiomatosis retinae,▂ zerebelläre und spinale Hämangio-

blastome,▂ Pankreaszysten,▂ klarzellige Nierenzellkarzinome,▂ Phäochromozytome,▂ Nierenzysten.

Prognosebestimmend sind bei Patientenmit VHL-Syndrom die ZNS-Tumoren so-wie die Nierenzellkarzinome (NZK).

Aufgrund des unterschiedlichen Auf-tretens der genannten Manifestationen inden betroffenen Familien wurde eine Sub-klassifizierung vorgenommen, die durchdie molekulargenetischen Erkenntnissefundiert worden ist:

Typ 1: - keine Phäochromozytome,- NZK.

Typ 2 Phäochromozytome,Typ 2A: ohne NZK,Typ 2B: mit NZKTyp 2C: ausschließlich Phäochromo-

zytome

Als erste Merkmale werden häufig Verän-derungen der Retina beobachtet,NZK tre-ten erst in der 3. bis 4. Lebensdekade auf.Die NZK beim VHL-Syndrom sind offen-sichtlich weniger aggressiv als die spora-dischen NZK [9].Es wurde ein langsame-res Wachstum beobachtet,Metastasen tra-ten erst ab einer Tumorgröße von 7 cmauf und das tumorspezifische Überlebenwar signifikant länger als bei Patientenmit sporadischen Tumoren.Solide Tumor-bildungen sollten deshalb möglichst or-

ganerhaltend entfernt werden, da auchmit Tumoren in der kontralateralen Nie-re gerechnet werden muss.

Genetik/PathogeneseDas VHL-Syndrom folgt einem autoso-mal-dominanten Erbgang.Das VHL-Genwurde 1993 identifiziert und in der Regi-on 3p25–26 lokalisiert [10,11].Das Gen be-steht aus 3 Exons mit einer Gesamtlängevon 639 bp, welche ein Protein aus 213Aminosäuren kodieren. Das VHL-Prote-in steuert den Abbau bestimmter Proteineüber deren Markierung mit Ubiquitin[12].Es hemmt die Induktion von Genen,die durch Hypoxie induziert werden undist an der Steuerung der Angiogenese [13,14] und der Ausbildung einer extrazellu-lären Fibronektinmatrix [15] beteiligt.DasVHL-Gen regelt den Fortgang des Zellzy-klus [16] sowie die Expression der Carbo-anhydrasen 9 und 12,die an der Aufrecht-erhaltung des extrazellulären pH beteiligtsind [17]. Die Art der Mutation im VHL-Gen beeinflusst den Typ des VHL-Syn-droms,d.h.es besteht eine gute Genotyp-Phänotyp-Beziehung.

Durch die Identifizierung des verant-wortlichen Gens ist nun eine molekular-genetische Diagnostik möglich. Bei kli-nischem Verdacht auf ein VHL-Syndromsollte eine molekulargenetische Diagnos-tik nach humangenetischer Beratungempfohlen werden.Außerdem kann eineprädiktive genetische Diagnostik bei Fa-milienmitgliedern erfolgen, sodass die-se je nach Ausgang engmaschig kontrol-liert werden bzw. aus Vorsorgeprogram-men für diese Erkrankung ausscheidenkönnen.

Nicht alle vererbten klarzelligen Nie-renzellkarzinome sind auf Mutationenim VHL-Gen zurückzuführen. Hierzuzählen die selteneren Nierentumoren beiPatienten mit einer konstitutiven Trans-lokation unter Beteiligung des Chromo-soms 3 mit anderen Chromosomen (6, 8,11,12), [18, 19, 20, 21]. Diese Veranlagungkann durch Chromosomenanalyse beiFamilienmitgliedern von Betroffenennachgewiesen werden. Anders als beimVHL-Syndrom werden hier keine weite-ren Tumore oder Fehlbildungen beob-achtet. Es gilt als sicher,dass weitere erb-liche Formen des klarzelligen NZK exis-tieren, bei denen weder ein VHL-Syn-

drom noch chromosomale Translokatio-nen vorliegen.Die verantwortlichen Gen-veränderungen sind noch nicht bekannt.

Vererbte papilläre Nierenzellkarzinome

Diese Nierenzellkarzinome treten isoliertohne weitere Fehlbildungen auf. Es wer-den sehr häufig multifokale und bilatera-le Tumore beschrieben,das durchschnitt-liche Erkrankungsalter liegt bei 52 Jahren[22]. Es liegt ein autosomal-dominanterErbgang mit verminderter Penetranz(60%) vor. Durch Kopplungs- und Se-quenzanalysen in betroffenen Familienwurde gezeigt, dass das verantwortlicheGen auf dem Chromosom 7 in der Regi-on 7q31-q34 lokalisiert ist und hier Muta-tionen im MET-Onkogen vorliegen.Mis-sense-Mutationen in der Tyrosinkinase-Domain dieses Protoonkogens führen zurkonstitutionellen Aktivierung des MET-Proteins und damit zur Entstehung derpapillären Nierentumore [23]. Das MET-Gen besteht aus 21 Exons und kodiert einetransmembranäre Tyrosinkinase mit Ho-mologien zum RET- und c-KIT-Gen. Esbildet den Rezeptor für HGF.

Eine molekulargenetische Diagnostikist möglich, wird aber in Deutschlandnoch nicht in der Routine angeboten. Esbesteht jedoch die Möglichkeit,Patientenin ein Programm am „National Cancer In-stitute“ aufzunehmen,in dessen Rahmendie Diagnostik erfolgen kann. Auch beidiesen Tumoren sollte zum Funktionser-halt möglichst organerhaltend operiertwerden, da die Tumore bilateral auftre-ten. Durch Herring et al. wurde gezeigt,dass dies bis zu einer Tumorgröße von3 cm ohne erhöhtes Risiko für eine Me-tastasierung möglich ist [24].

Onkozytome

Bisher wurden weltweit erst 5 Familienmit vererbten Onkozytomen bei einemdurchschnittlichen Erkrankungsalter von55,8 Jahren beschrieben [25]. Offensicht-lich handelt es sich hier um eine hetero-gene Gruppe von Erkrankungen. Bei ei-nem Teil der Familien wurden die Onko-zytome isoliert beobachtet mit multifoka-ler oder bilateraler Manifestation, bei ei-nem anderen Teil fand man neben denTumoren Hautveränderungen in Form

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Leitthema

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von Genodermatosen sowie eine Häu-fung von Pneumothoraces.Diese Patien-ten können offensichtlich dem Burt-Hogg-Dube-Syndrom (BHD) zugeordnetwerden [26].

Bisher konnten keine spezifischen ge-netischen Veränderungen für diese Tu-moren beschrieben werden.Durch Kopp-lungsanalysen wurde die kritische Regionfür das BHD-Syndrom im Chromoso-menabschnitt 17p11.2 lokalisiert [26] undein Kandidatengen ermittelt, in dem Mu-tationen bei Betroffenen in 8 von 9 Fami-lien mit BHD-Syndrom nachgewiesenwurden [27].Dieses Gen kodiert das Pro-tein Folliculin,dessen Rolle bei der Entste-hung von Nierentumoren nun geklärtwerden muss.

Wilms-Tumoren

Beim Wilms-Tumor handelt es sich umeinen malignen embryonalen Nierentu-mor. Symptome sind eine indolenteSchwellung des Abdomens, Hämaturieund Hypertonie. Das Erkrankungsalterliegt im Durchschnitt bei 3,0–3,5 Jahren,gelegentlich sind auch Jugendliche oderErwachsene betroffen.

In einigen wenigen Familien wurde einerhöhtes Risiko für die Entstehung einesWilms-Tumors festgestellt. Durch Kopp-lungsanalysen wurden einige Regionenbeschrieben, die am familiären Wilms-Tumor beteiligt sein könnten, eindeutigidentifiziert wurde bisher jedoch nur dasWT-1-Gen auf Chromosom 11p13.

Wilms-Tumore werden auch im Zu-sammenhang mit Fehlbildungssyndro-men beschrieben. Beim WAGR-Syndrommit Aniridie,Urogenitalfehlbildungen,Re-tardierung,wurden zuerst Veränderungendes WT-1-Gens beobachtet. Später stellteman fest,dass das Denys-Drash-Syndrommit Genitalfehlbildungen und Glomeru-lopathie mit frühem Nierenversagen eben-falls auf Mutationen im WT-1-Gen beruht,jedoch in anderen Abschnitten.Dies wur-de auch für das Frasier-Syndrom mit Ne-phropatie und Nierenversagen sowie XY-Gonadendysgenesie nachgewiesen. Fürdas Beckwith-Wiedemann-Syndrom mitMakrosomie und perinataler Hypoglyk-ämie sind genetische und epigenetischeVeränderungen im Chromosomenab-schnitt 11p15.5 verantwortlich.

Nur bei einem Teil der Patienten mitdiesen Syndromen wird eine Mutation tat-sächlich in der Familie vererbt,die Mehr-zahl der Fälle wird durch Spontanmutatio-nen in Keimzellen oder im frühen Em-bryo verursacht.

Fazit für die Praxis

Für die meisten häufigen erblichen Erkran-kungen der Niere sind die verantwortlichenGene und Mutationen identifiziert. Darausergibt sich prinzipiell die Möglichkeit der mo-lekulargenetischen Diagnostik, die jedochvon Krankheit zu Krankheit und Fall zu Fallunterschiedlich sinnvoll sein kann. Entschei-dendes Kriterium für die Durchführung einermolekulargenetischen Diagnostik sollte dieBeantwortung der Frage sein, ob durch dieseDiagnostik neue Informationen zu erwartensind, die auch zu neuen Optionen für die Pati-enten oder deren Familien führen. Dadurchergibt sich für den behandelnden Arzt dieNotwendigkeit, durch genetische Prädispo-sition bedingte Erkrankungen als solche zuidentifizieren und in der Interaktion mit Part-nern aus der Humangenetik die optimale Be-treuung der Patienten zu gewährleisten.Inder Praxis besonders wichtig erscheint die aus-führliche Familienanamnese und die Erken-nung von Syndromen und familiären Tumor-erkrankungen.Die Erkennung von vererbtenTumorerkrankungen ist für die optimale Be-handlung von betroffenen Patienten aberauch für die frühzeitige Erfassung weitererbetroffener Familienmitglieder entscheidend.Für folgende Erkrankungen/Syndrome ist inDeutschland derzeit eine molekulargenetischeDiagnostik möglich: Beckwith-Wiedemann-Syndrom, Denys-Drush-Syndrom, Frasier-Syndrom, autosomal-dominante polyzysti-sche Nierenerkrankung Typ 1 und Typ 2, auto-somal-rezessive polyzystische Nierenerkran-kung,Von-Hippel-Lindau-Syndrom,WAGR-Syndrom.

Korrespondierender AutorDr. K. Junker

Molekularbiologisches Labor,Klinik für Urologie,FSU,Lessingstraße 1, 07743 JenaE-Mail: [email protected]

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Ausschreibung Forschungs- und Entwicklungspreis 2003 des Krebsverbandes Baden-Württemberg e. V.

Der Krebsverband Baden-Württemberghat anlässlich seines 25-jährigen Jubi-läums beschlossen, einen Preis zu schaf-fen, mit dem Forschung und Entwicklungauf dem Gebiet der Onkologie gefördertwird. Er wurde erstmalig im Jahr 1999verliehen.

Mit dem Forschungs- und Entwicklungspreissollen herausragende Leistungen in der an-wendungsbezogenen Forschung und Konzept-entwicklung im psychosozialen, ärztlichen undpflegerischen Bereich der Versorgung vonKrebspatienten in Baden-Württemberg gewür-digt werden. Es sollen Ärzte, Psychologen,Pflegekräfte und Mitarbeiterinnen und Mit-arbeiter der Sozialdienste der Tumorzentrenund onkologischen Schwerpunkte, onkolo-gischen Nachsorgeeinrichtungen, onkolo-gischen Schwerpunktpraxen und verwandtenOrganisationen in Baden-Württemberg zurweiteren Forschung und zur Umsetzung vonForschungsergebnissen zum Nutzen der Pa-tienten angeregt werden. Besonderes Gewichtwird auf den interdisziplinären und/oder inter-institutionellen Charakter der Preisarbeitengelegt.Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der o. g.Einrichtungen können sich selber für den Preisbewerben. Kandidatinnen und Kandidaten fürden Preis können aber auch von Dritten vorge-schlagen werden. Gegenstand der Auszeich-nung kann eine eigene in Form einer Presse-arbeit formulierte oder in der Literatur veröf-fentlichte Arbeit, ein Bericht über eine erfolg-reiche Forschungs- und Entwicklungstätigkeitoder einer Konzeptentwicklung, aber auch derbegründete Vorschlag eines Dritten sein.Der Preis in Höhe von 5.000 Eur wird jährlichanlässlich der ATO-Tagung (Arbeitstagung derbaden-württembergischen Tumorzentren,onkologischen Schwerpunkte, onkologischenArbeitskreise und verwandten Organisationen)des Krebsverbandes Baden-Württembergvergeben.

Bewerbungen und Vorschläge mit Anlagenund Begründung bis zum 29. August 2003 an:

Geschäftsstelle des Krebsverbandes Baden-Württemberg e.V.,Adalbert-Stifter-Straße 105,70437 Stuttgart

Birgit Wohland-Braun

Fachnachricht