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Im Blickpunkt 49 Prof. Dr. Dietrich Stauffer, Institut für Theoretische Physik, Universität Köln, Zülpicher Str. 77, 50937 Köln – Prof. Stauffer wurde für seine Beiträge zum Verständnis von Phasenübergängen mit dem deutsch- französischen Gent- ner-Kastler-Preis 1999 ausgezeichnet. Computer-Simulationen mit Zufallszahlen, auch als Monte- Carlo-Verfahren bekannt, wurden in den letzten Jahren vermehrt auf die Modellierung von Börsen- kursen angewandt. Dieser Artikel beschreibt einen der Versuche, die Preisfluktuationen von Märkten zu verstehen, und weniger, sie vorherzusehen. C omputer-Physik ist mehr als die numerische Lösung parti- eller Differentialgleichungen. Mehr und mehr werden Methoden etwa der Statistischen Physik auf biologische oder soziologische Fra- gen angewandt, aber auch durch das Schreiben von Büchern darüber [1 – 4] wird man selten reich. Daß Physiker Physikprobleme auf den Computern simulieren und Wirtschaftswissenschaftler keine Physik machen, ist eine Meinung, die nicht hundertprozentig stimmt. Einige Wirtschaftswissenschaftler wie der neu nach Bonn berufene Professor Lux zitieren in ihren Ar- beiten auch Physikbücher zur „Syn- ergetik“, und in den letzten Jahren haben so viele Physiker versucht, Börsen zu analysieren und zu mo- dellieren, daß sich Stanleys Begriff „Econophysics“ durchgesetzt hat. Im Juli 1999 findet in Dublin die erste Konferenz der Europäischen Physikalischen Gesellschaft dazu statt, wobei allerdings das franzö- sischsprachige Europa zu dominie- ren scheint. An der Ulmer Uni gibt es sogar einen eigenen Diplomstu- diengang Wirtschaftsphysik. Drei frühere Artikel in diesen Physikalischen Blättern betonten die phänomenologische Beschreibung, etwa analog zu turbulenten Strö- mungen [5]. Dies ist auch der Schwerpunkt in Ref. [1, 3], während in diesem Überblick mehr die mi- kroskopischen Modelle mit einzel- nen Investoren behandelt werden, so wie wir in der Physik gerne mit einzelnen Teilchen arbeiten [6]; an- dere wirtschaftliche Phänomene, wie etwa das Wachstum von Firmen [3], ignoriere ich ganz. Zur weiteren Lektüre sei auf [2, 6 – 8] hingewie- sen. Als Ausgangspunkt eines mikro- skopischen Modells betrachten wir eine Vielzahl von Investoren, die miteinander handeln. Die Modellie- rung behandelt die einzelnen Inve- storen getrennt und addiert ihr Ver- halten, um daraus den Preis zu be- stimmen gemäß Angebot und Nachfrage. Physiker machen das gerne mit Monte-Carlo-Methoden, bei denen die zeitliche Entwicklung durch Zufallszahlen gesteuert wird, auch weil man die Details gar nicht genau genug kennt und daher er- satzweise nur würfelt. In der Regel wird nur ein einziger Börsenkurs simuliert. Schon vor Jahrzehnten entwickelte der spätere Wirtschafts- nobelpreisträger Markowitz eine Programmiersprache für Computer- simulationen, und 1989 veröffent- lichte er mit einem Doktoranden eine solche Simulation, die den Krach von 1987 erklären sollte [9]. Hierbei wurde das Verhalten der Investoren auch durch Zufall be- stimmt, was vielleicht manchen Wirtschaftsexperten widerstrebt, woran aber Physiker seit Boltz- mann gewöhnt sind: Ob Atome oder Investoren, Monte-Carlo- Methoden simulieren das Verhalten von beiden. Man kann auch Kim und Markowitz folgen und anneh- men, daß die Investoren sich völlig rational verhalten. Nur müssen sie auf ihre Kunden Rücksicht nehmen, die aus für den Investor nicht vor- hersehbaren Gründen wie Krank- heit, Erbschaft, Unfall u. ä. Geld vom Bankkonto abziehen oder darauf einzahlen und so ihren Inve- stor zwingen, neue Entscheidungen zu treffen. Unter anderem bemühten sich Kölner Lehramtskandidaten (T. Hellthaler, R. Kohl, E. Egenter) und der Autor darum, bei den Modellen aus Ref. [9 – 11] die Zahl der Investoren zu variieren und festzustellen, inwieweit sich dann die Kursschwankungen qualitativ ändern. Aus der Beschreibung von beispielsweise Flüssigkeiten oder Magneten sind solche „finite size“- Effekte bekannt und gefürchtet, weil man natürlich nicht alle 10 25 Moleküle in einem Glas Bier in den Computer stecken kann (oder soll- te). Bei Börsenkursen ist die analo- ge Frage, ob die in der Realität be- obachteten starken Fluktuationen auf der begrenzten Zahl der wirk- lich wichtigen Investoren beruhen. Bei den sechs bisher daraufhin un- tersuchten Modellen lautet die Ant- wort „Ja“, d. h. die unvorherseh- baren Fluktuationen werden um so kleiner, je mehr Investoren man berücksichtigt; nur im jetzt folgen- den Perkolationsmodell ist es genau am kritischen Punkt anders. Perkolation Derzeit ist nicht klar, welches der vielen Modelle (gesammelt in [6, 4]) die Realität am besten be- schreibt. Daher beschränke ich mich hier aus Gründen der Kompe- tenz auf das Perkolations-Modell von Cont und Bouchaud [12] und deren Schülern. Bei den Perkolations-Rechnun- gen wird jeder Punkt eines großen Gitters zufällig besetzt oder frei- gelassen; benachbarte besetzte Plät- ze bilden ein „Cluster“ [13]. (Es können auch alle Plätze besetzt sein und statt dessen Bindungen zwischen Nachbarn zufällig gebil- det werden.) Wenn im Grenzfall großer Gitter bei wachsender Kon- zentration p erstmals ein zusam- menhängender Pfad besetzter Plät- Monte-Carlo-Simulation mikroskopischer Börsenmodelle Dietrich Stauffer Physikalische Blätter 55 (1999) Nr. 5 0031-9279/99/0505-49 $17.50+50/0 © WILEY-VCH Verlag GmbH, D-69451 Weinheim, 1999 Das Auf und Ab von Börsenkursen zu beschreiben ist eines der Anliegen des noch recht jungen Gebiets „Econophysics“. Phä- nomenologische Modelle setzen Methoden ein, die beispiels- weise zur Beschreibung turbulenter Strömungen entwickelt wurden, und konkurrieren mit mikroskopischen Modellen, in denen sich das Marktgeschehen aus dem Zusammenspiel vieler individueller Aktienhändler ergibt.

Monte-Carlo-Simulation mikroskopischer Börsenmodelle

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Page 1: Monte-Carlo-Simulation mikroskopischer Börsenmodelle

Im Blickpunkt

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Prof. Dr. DietrichStauffer, Institut fürTheoretische Physik,Universität Köln,Zülpicher Str. 77,50937 Köln – Prof.Stauffer wurde fürseine Beiträge zumVerständnis vonPhasenübergängenmit dem deutsch-französischen Gent-ner-Kastler-Preis1999 ausgezeichnet.

Computer-Simulationen mitZufallszahlen, auch als Monte-Carlo-Verfahren bekannt, wurdenin den letzten Jahren vermehrt aufdie Modellierung von Börsen-kursen angewandt. Dieser Artikelbeschreibt einen der Versuche, diePreisfluktuationen von Märktenzu verstehen, und weniger, sievorherzusehen.

Computer-Physik ist mehr alsdie numerische Lösung parti-eller Differentialgleichungen.

Mehr und mehr werden Methodenetwa der Statistischen Physik aufbiologische oder soziologische Fra-gen angewandt, aber auch durchdas Schreiben von Büchern darüber[1 – 4] wird man selten reich.

Daß Physiker Physikproblemeauf den Computern simulieren undWirtschaftswissenschaftler keinePhysik machen, ist eine Meinung,die nicht hundertprozentig stimmt.Einige Wirtschaftswissenschaftlerwie der neu nach Bonn berufeneProfessor Lux zitieren in ihren Ar-beiten auch Physikbücher zur „Syn-ergetik“, und in den letzten Jahrenhaben so viele Physiker versucht,Börsen zu analysieren und zu mo-dellieren, daß sich Stanleys Begriff„Econophysics“ durchgesetzt hat.Im Juli 1999 findet in Dublin dieerste Konferenz der EuropäischenPhysikalischen Gesellschaft dazustatt, wobei allerdings das franzö-sischsprachige Europa zu dominie-ren scheint. An der Ulmer Uni gibtes sogar einen eigenen Diplomstu-diengang Wirtschaftsphysik.

Drei frühere Artikel in diesenPhysikalischen Blättern betonten diephänomenologische Beschreibung,etwa analog zu turbulenten Strö-mungen [5]. Dies ist auch derSchwerpunkt in Ref. [1, 3], währendin diesem Überblick mehr die mi-kroskopischen Modelle mit einzel-nen Investoren behandelt werden,so wie wir in der Physik gerne miteinzelnen Teilchen arbeiten [6]; an-dere wirtschaftliche Phänomene, wieetwa das Wachstum von Firmen [3],ignoriere ich ganz. Zur weiterenLektüre sei auf [2, 6 – 8] hingewie-sen.

Als Ausgangspunkt eines mikro-skopischen Modells betrachten wireine Vielzahl von Investoren, diemiteinander handeln. Die Modellie-rung behandelt die einzelnen Inve-storen getrennt und addiert ihr Ver-halten, um daraus den Preis zu be-stimmen gemäß Angebot undNachfrage. Physiker machen dasgerne mit Monte-Carlo-Methoden,bei denen die zeitliche Entwicklungdurch Zufallszahlen gesteuert wird,auch weil man die Details gar nichtgenau genug kennt und daher er-satzweise nur würfelt. In der Regelwird nur ein einziger Börsenkurssimuliert. Schon vor Jahrzehntenentwickelte der spätere Wirtschafts-nobelpreisträger Markowitz eineProgrammiersprache für Computer-simulationen, und 1989 veröffent-lichte er mit einem Doktorandeneine solche Simulation, die denKrach von 1987 erklären sollte [9].Hierbei wurde das Verhalten derInvestoren auch durch Zufall be-stimmt, was vielleicht manchenWirtschaftsexperten widerstrebt,woran aber Physiker seit Boltz-mann gewöhnt sind: Ob Atomeoder Investoren, Monte-Carlo-Methoden simulieren das Verhaltenvon beiden. Man kann auch Kimund Markowitz folgen und anneh-men, daß die Investoren sich völligrational verhalten. Nur müssen sieauf ihre Kunden Rücksicht nehmen,die aus für den Investor nicht vor-hersehbaren Gründen wie Krank-heit, Erbschaft, Unfall u. ä. Geldvom Bankkonto abziehen oderdarauf einzahlen und so ihren Inve-stor zwingen, neue Entscheidungenzu treffen.

Unter anderem bemühten sichKölner Lehramtskandidaten (T. Hellthaler, R. Kohl, E. Egenter)und der Autor darum, bei denModellen aus Ref. [9 – 11] die Zahlder Investoren zu variieren undfestzustellen, inwieweit sich danndie Kursschwankungen qualitativändern. Aus der Beschreibung vonbeispielsweise Flüssigkeiten oderMagneten sind solche „finite size“-Effekte bekannt und gefürchtet,weil man natürlich nicht alle 1025

Moleküle in einem Glas Bier in den

Computer stecken kann (oder soll-te). Bei Börsenkursen ist die analo-ge Frage, ob die in der Realität be-obachteten starken Fluktuationenauf der begrenzten Zahl der wirk-lich wichtigen Investoren beruhen.Bei den sechs bisher daraufhin un-tersuchten Modellen lautet die Ant-wort „Ja“, d. h. die unvorherseh-baren Fluktuationen werden um so

kleiner, je mehr Investoren manberücksichtigt; nur im jetzt folgen-den Perkolationsmodell ist es genauam kritischen Punkt anders.

PerkolationDerzeit ist nicht klar, welches

der vielen Modelle (gesammelt in[6, 4]) die Realität am besten be-schreibt. Daher beschränke ichmich hier aus Gründen der Kompe-tenz auf das Perkolations-Modellvon Cont und Bouchaud [12] undderen Schülern.

Bei den Perkolations-Rechnun-gen wird jeder Punkt eines großenGitters zufällig besetzt oder frei-gelassen; benachbarte besetzte Plät-ze bilden ein „Cluster“ [13]. (Eskönnen auch alle Plätze besetztsein und statt dessen Bindungenzwischen Nachbarn zufällig gebil-det werden.) Wenn im Grenzfallgroßer Gitter bei wachsender Kon-zentration p erstmals ein zusam-menhängender Pfad besetzter Plät-

Monte-Carlo-Simulation mikroskopischer Börsenmodelle

Dietrich Stauffer

Physikalische Blätter55 (1999) Nr. 50031-9279/99/0505-49$17.50+50/0© WILEY-VCH Verlag GmbH,D-69451 Weinheim, 1999

Das Auf und Ab von Börsenkursen zu beschreiben ist eines derAnliegen des noch recht jungen Gebiets „Econophysics“. Phä-nomenologische Modelle setzen Methoden ein, die beispiels-weise zur Beschreibung turbulenter Strömungen entwickeltwurden, und konkurrieren mit mikroskopischen Modellen, indenen sich das Marktgeschehen aus dem Zusammenspiel vielerindividueller Aktienhändler ergibt.

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Physikalische Blätter55 (1999) Nr. 550

Im Blickpunkt

ze den oberen Rand mit dem unte-ren Rand des Gitters verbindet, soist der Schwellenwert p = pc er-reicht; erst dann kann in einer Kaf-feemaschine ( = percolator in denUSA) das Wasser durch die Porenim Pulver fließen. Genau an diesemkritischen Punkt pc sind die Fluk-tuationen so groß wie die Mittel-werte, auch wenn das System sehrgroß wird. Entfernt man sich vomkritischen Punkt, so geht das Ver-hältnis von Fluktuationen zu Mit-telwert gegen Null, wenn die Sy-stemgröße gegen Unendlich geht,und dies hängt damit zusammen,daß dann die Wahrscheinlichkeitfür besonders große Fluktuationenexponentiell gegen Null geht, genauam kritischen Punkt aber nur miteinem Potenzgesetz.

Im Cont-Bouchaud-Modell fürBörsen schließen sich die Investo-ren zufällig zu „Perkolations“-Clustern zusammen, verschiedeneCluster treffen ihre Entscheidungenüber Kauf und Verkauf unabhängigvoneinander und rein zufällig,

während alle Investoren des glei-chen Clusters gemeinsam handeln.Überwiegt das Angebot die Nach-frage, so sinkt der Preis proportio-nal zur Differenz; sonst steigt erentsprechend. Zu jedem Zeitschritttrifft jedes Cluster mit der Wahr-scheinlichkeit a ( = Aktivität) eineKauf- oder Verkaufsentscheidung,während es mit Wahrscheinlichkeit1 – a nichts tut. Cont und Bouchaudbetrachteten dieses Modell imGrenzfall unendlich langer Reich-

weite, wenn also jeder Gitterpunktmit jedem anderen Gitterpunkt eineBindung eingehen kann oder alleInvestoren mit allen anderen Inve-storen auf dem Markt gleich guteBeziehungen haben. Cluster sinddann wie Familien, die sich überdie Kontinente verstreut haben,aber durch Post oder Telefon engenKontakt miteinander halten. Dieser„Mean-Field“-Grenzfall wurde alserste Perkolationstheorie schon1941 von Flory für die Gelierung(Wackelpudding) behandelt undspäter von Kauffman [14] für dieEntstehung des Lebens durch auto-katalytische Reaktionen in der Ur-suppe vorgeschlagen.

Qualitativ ähnliche Resultate er-halten wir, wenn wir ein d-dimen-sionales Gitter am Computer simu-lieren, was zur durchgezogenenLinie in Abb. 1 führt und „rechtvernünftig“ aussieht. Jetzt lassensich verschiedene Verbesserungenleichter vornehmen. So kann manden Investoren etwas Vernunft zu-gestehen und sie bevorzugt eineKaufentscheidung treffen lassen,wenn der Preis niedriger ist als einfester „Fundamentalpreis“, währendsie bevorzugt verkaufen bei einemhöheren Preis („Ornstein-Uhlen-beck“-Diffusion; der Fundamental-preis könnte die Kaufkraft beiWährungen sein). Dann liegt derPreis meistens näher am Funda-mentalpreis: + in der Abbildung.Danach kann man den Fundamen-talpreis nach einer Gaußverteilungschwanken lassen (gepunkteteLinie in der Abbildung), was eherdem Wert eines zur Aktiengesell-schaft umgewandelten Vereins derFußball-Bundesliga entsprechenkönnte (ändert sich durch jedesTor) und wieder zu etwas stärkerenFluktuationen (×) des simuliertenPreises führt. Schließlich kann mandie Investoren auf dem Gitter lang-sam diffundieren lassen, was zuzeitlichen Korrelationen im Abso-lutwert der Preisfluktuationen führt(�).

All diese Varianten geben aberim wesentlichen das gleiche Bild fürdie Wahrscheinlichkeitsverteilungder Preisfluktuationen: Es gibt vielekleine und wenig große Fluktuatio-nen, und die Kurve ist etwa symme-trisch: Gewinn und Verlust haltensich die Waage (Abb. 2). Am kriti-schen Punkt der Perkolation ist derSchwanz dieser Verteilung ein Po-tenzgesetz, falls a << 1. Für großeAktivität a hingegen ähneln die Re-sultate einer Gaußkurve. Geht man

etwas vom kritischen Punkt weg, sotreten auch schon bei kleiner Akti-vität exponentielle Abweichungenvom Potenzverhalten auf, die sichnäherungsweise durch ein Potenz-gesetz mit größeren effektiven Ex-ponenten fitten lassen. All dieseEigenschaften stimmen recht gutmit realen Aktienbörsen überein[15]. Diese Simulationen liefernrelative Fluktuationen und ihre Ver-teilung. Es ist trivial, daß sich derMarkt mehr bewegt, wenn mehrHändler kaufen und verkaufen,aber es ist nicht trivial, daß mandann zwischen Potenz und Gauß-kurve wechselt.

In der Computer-Simulationwerden zunächst nach seit Jahr-zehnten bekannten Algorithmen diediversen Cluster und die Zahl s derInvestoren ( = Gitterpunkte) in je-dem Cluster bestimmt. Dann klärtman durch eine Zufallszahl, ob dasCluster zum jetzigen Zeitpunkt ak-tiv ist. Wenn es aktiv ist, dann wirddurch eine weitere Zufallszahl be-stimmt, ob dieses Cluster kauft oderverkauft. Bei Kauf wird s zu einerSumme addiert, bei Verkauf wird esvon ihr subtrahiert. Hat man so dasgesamte System analysiert, so istdiese Summe � �s die Differenzzwischen Nachfrage und Angebot,und der Preis (genauer: dessenLogarithmus) ändert sich um einenBeitrag proportional zu dieser Sum-me. Damit hat man eine Iterationgeschafft und geht zur nächstenüber. Falls die Konzentration grö-ßer ist als die kritische Konzentrati-on pc, so wurde unter allen Clu-stern das dann vorhandene einzelneunendliche Cluster ignoriert, alsoals unendlich träge betrachtet (ähn-lich wie bei großen Unis). Die besteÜbereinstimmung mit realen Kurs-fluktuationen fanden wir bei einerKonzentration leicht oberhalb pc,während bei p = pc die Fluktuatio-nen am stärksten sind, so daß Contund Bouchaud diesen kritischenPunkt mit Börsenkrächen identifi-zieren.

Auch wenn es für die bisher dis-kutierten Resultate nicht so wichtigist, so kann man sich doch überle-gen, welchen Sinn ein Gittermodellmacht. Wenn die handelnden Profisweltweit über Computernetze ver-bunden sind, alle die Informationenetwa gleichzeitig kriegen, und sichohne Rücksicht auf Grenzen zuClustern zusammenschließen, dannist die Cont-Bouchaud-Annahme ei-ner unendlichen Reichweite ver-nünftig. (Üblicherweise sind solche

Abb. 1:Zeitabhängigkeit eines simulierten Börsenkurses (durchgezoge-ne Linie) im einfachen Perkolationsmodell auf einem 251 ×× 251-Quadratgitter mit einer Konzentration genau am kritischenPunkt, der bei einer Konzentration von ca. 59 % liegt. Insgesamtgibt es rund 37 300 Investoren. Bei der Gesamtzeit von 400 Ite-rationen hat ein Fünftel aller Investorencluster eine Entschei-dung zum Handel (Kauf oder Verkauf) getroffen. Die Preisskalaist willkürlich. Zur Erläuterung der Symbole s. Text.

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Physikalische Blätter55 (1999) Nr. 5

Im Blickpunkt

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1) Zur Vorhersage mitneuronalen Netzen sieheH. G. Zimmermann undR. Neuneier, S. 59 in„Physik – Informatik –Informationstechnik“16. 3. 99, hrsg. von W.Kluge.

Modelle mit unendlicher Reichwei-te exakt lösbar, und ihr Verhaltenähnelt dem in unendlich hoherDimension und in einfachen theo-retischen Näherungen.) Wenn stattdessen die handelnden PersonenKleinanleger sind, die zur benach-barten Bank gehen und deren Ratfolgen, so ist das Problem eherzweidimensional; wer umzieht,wechselt das Cluster und „diffun-diert“ so im Quadratgitter. Schließ-lich könnten sich einige Händler ineinem großen Finanzhochhaus vorallem beim gemeinsamen Kaffee-Trinken aussprechen über Chancenund Risiken und so ein dreidimen-sionales Cluster bilden.

VorhersagenReich werden Sie mit diesem

und vielen anderen Modellennicht1). Denn durch seine Konstruk-tion sind im einfachen Cont-Bou-chaud-Modell (ohne Fundamental-preis) positive und negative Vorzei-chen der Preisänderungen gleichwahrscheinlich, und es gibt keiner-lei zeitliche Korrelationen in diesenVorzeichen, nur in den Absolutbe-trägen. Systematische Trends sindausgeschlossen. Sornette und ande-re aber finden log-periodische Os-zillationen � sin(v ln�t–tc�) vor odernach Börsenkrächen (Zeitpunkt tc),bei Erdbeben, bei Diffusion in un-geordneten Medien usw. [16]. Aufdiese Weise wurde vorhergesagt,daß der Nikkei-Index in Tokio 1999eher nach oben als nach unten ge-hen soll. Sie können also bald inder Zeitung nachlesen, ob dieseModelle die Realität richtig be-schreiben. Allerdings machte imHerbst 1998 der von den Wirt-schafts-Nobelpreiträgern Scholesund Merton beratene Long TermCapital Management Fond 5 Mrd.Mark Verlust; dies zeigt, wie wenigheute die Risiken wirklich be-herrscht werden.

*

S. Solomon führte mich in diesesGebiet ein, und ich lernte auch vielvon D. Sornette, M. Ausloos, R.Cont, J.-P. Bouchaud, Y. C. Zhang,T. Lux und H. Markowitz. Insbe-sondere danke ich meinen Koauto-ren T. J. P. Penna, P. M. C. de Olivei-ra, A. T. Bernardes, D. Chowdhuryund I. Chang. Eine interdisziplinäreHeraeus-Konferenz zu diesem undähnlichen Themen findet vom 7. bis10. Juni 1999 in Schloß Rauisch-holzhausen statt (Facets of Univer-sality in complex systems: Climate,biodynamics and stock market); e-mail: [email protected] im Internet findenSie unter http://www.unifr.ch/econophysics.

Literatur[1] J. P. Bouchaud, M. Potters,

Théorie des Risques Finan-cieres, Alea-Saclay/Eyrolles,Paris 1997; englische Über-setzung weitgehend fertig;J. P. Bouchaud, Physica A263, 415 (1999)

[2] J. Kertész, I. Kondor, Econo-physics: An emerging scien-ce, Kluwer, Dordrecht 1999

[3] R. N. Mantegna, H. E. Stan-ley, Econophysics: An intro-duction, Cambridge Universi-ty Press, Cambridge 1999, imDruck

[4] S. Moss de Oliveira, P. M. Cde Oliveira, D. Stauffer, Evo-lution, Money, War andComputers, Teubner, Stutt-gart-Leipzig 1999

[5] W. Breymann et al., Phys.Bl., April 1997, S. 339 undJanuar 1998, S. 20; D. Obertet al., Phys. Bl., Februar1999, S. 14.

[6] D. Stauffer, Ann. Physik 7,529 (1998)

[7] J. D. Farmer, preprint adap-org/9812005; C. Busshaus,H. Rieger, Physica A, imDruck

[8] M. Ausloos, EurophysicsNews 29, 70 (1998); J. P.Bouchaud et al., PhysicsWorld 12, 25 (Januar 1999)

[9] G. W. Kim, H. M. Markowitz,J. Portfolio Management 16,45 (1989); Vgl. auch K. Co-hen et al.: The Microstructu-re of Securities Markets,Englewood Cliffs, 1986

[10] M. Levy, M. Levy, S. Solo-mon, Econ. Lett. 94, 103(1994) und J. Physique I 5,1087 (1995)

[11] T. Lux, M. Marchesi, Nature397, 498 (1999); vgl. Financi-al Times, 11. Februar 1999, S. 10.

[12] R. Cont, J.P. Bouchaud, pre-print cond-mat/9712318 undS. 71 in [1]

[13] A. Bunde, H. E. Roman,Physik in unserer Zeit 27,246 (1996)

[14] S. A. Kauffman, At Home inthe Universe, Oxford Univer-sity Press, New York 1995

[15] T. Lux, Appl. Financial Eco-nomics 6, 463 (1996); P. Go-pikrishnan, M. Meyer, L. A.Nunes Amaral, H. E. Stanley,Eur. Phys. J. B 3, 139 (1998)

[16] D. Sornette, Physics Reports,297, 239 (1998); A. Johan-sen, D. Sornette, Int. J. Mod.Phys. C 10, im Druck

Abb. 2: Histogramm derPreisänderungenin einem dreidi-mensionalen Cont-Bouchaud-Börsen-modell am kriti-schen Punkt; Preisin willkürlichenEinheiten. DieAktivität der Inve-storen variiert von1,25 % (Rauten,Potenzverhalten)über 2,5 %, 10 %,20 % bis 40 %(Sterne, Gauß-kurve).