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Archly Ohr- usw. Heilk. u. Z. Hals- usw. Heilk., Bd. 163, S. 1--97 (1953). Morphologie, Physiologie und Pathologie des neuro-endokrinen Systems. Von Oo GAGEL. Mit 14 Textabbiidungen. (Eingegangen am 13. Mgrz 1953.) Wie allgemein bekannt sein diirfte, hat vor ungef~hr einem Viertel- jahrtausend der d~nische Anatom JACOB BENIGNUS WINSLOW (1669-- 1760) fiir den bis damn als Intercostalnerv bezeichneten Grenzstrang den Begriff ,,Sympathicus" gepr~gt, weft er diesen Namen wegen der vielf~ltigen Verbindungen dieses Nerven mit dem grSBten Teil der iibrigen haupts~chlichsten Nerven des KSrpers ffir besser hielt. Bereits 1732 schreibt der gleiehe Autor dem yon ihm so bezeiehneten Sympathicus die Koordination kSrperlieher und seeliseher Lebenserscheinungen zu. Von dem Hallenser Prof. JoH. CHa. I~EIL (1759--1813) stammt der Begriff ,,vegetatives Nervensystem", wobei das Beiwort vegetativ aber nichts mit dem Pflanzenwuehs zu tun hut, sondern im Sinne einer seeli- schen Belebung gebraucht wird. Der Franzose XAVIER BICttAT stellte dann in seinen Reeherches physiologiques sur la vie et la mort (Paris 1832) die Bedeutung des vegetativen Nervensystems heraus. CLACD~ BERNARD, bekannt durch seinen bertihmten Zuckerstieh, zog noch das Stoffwechselgeschehen in den Bereich des vegetativen Nervensystems ein. Gegen Ende des vorigen Jahrhunderts gelang LANGLEY U. SHER- ~INGTON der Nachweis, dab diese beiden l~epr~sentanten des Sym- pathicus nicht die Bezeichnung autonom verdienen, da sic durch Nervenfasern mit dem nervSsen Zentralorgan in Verbindung stehen. Diese nervSsen Verbindungen zwischen Rtickenmark ufld den beiden Grenzstr~ngen legten andererseits die Annahme, dab das vegetative Nervensystem auch innerhalb des nerv6sen Zentralorgans vertreten sein miisse oder mit anderen Worten, die Existenz eines zentral-nervSsen, vegetativen Anteiles nahe. Dazu konnte LANGLEY noch aufzeigen, dab die Leitfs innerhalb des peripheren sympathischen Nerven- systems unterbrochen wird, wenn Ganglienzellknoten des Grenz- stranges mit einer NicotinlSsung bestrichen wurden. Dieses auffaUende Verhalten veranlaBte ihn, eine mehr lockere Verbindung innerhalb der Ganglienze]lknoten des Grenzstranges und tier diesen vorgeschalteten pr/~vertebraten Ganglienzellknoten anzunehmen, die wir bekanntlich als Synapse bezeiehnen, womit der AnschluB einer nerv6sen Einheit an Arch.Ohr- usw.Heilk.u. Z. ttals- usw.Heilk.Bd. 163(Kongrel]bericht 1953). 1

Morphologie, Physiologie und Pathologie des neuro-endokrinen Systems

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Page 1: Morphologie, Physiologie und Pathologie des neuro-endokrinen Systems

Archly Ohr- usw. Heilk. u. Z. Hals- usw. Heilk., Bd. 163, S. 1--97 (1953).

Morphologie, Physiologie und Pathologie des neuro-endokrinen Systems.

Von Oo GAGEL.

Mit 14 Textabbiidungen.

(Eingegangen am 13. Mgrz 1953.)

Wie allgemein bekannt sein diirfte, hat vor ungef~hr einem Viertel- jahrtausend der d~nische Anatom JACOB BENIGNUS WINSLOW (1669-- 1760) fiir den bis damn als Intercostalnerv bezeichneten Grenzstrang den Begriff , ,Sympathicus" gepr~gt, weft er diesen Namen wegen der vielf~ltigen Verbindungen dieses Nerven mit dem grSBten Teil der iibrigen haupts~chlichsten Nerven des KSrpers ffir besser hielt. Bereits 1732 schreibt der gleiehe Autor dem yon ihm so bezeiehneten Sympathicus die Koordination kSrperlieher und seeliseher Lebenserscheinungen zu. Von dem Hallenser Prof. JoH. CHa. I~EIL (1759--1813) s tammt der Begriff ,,vegetatives Nervensystem", wobei das Beiwort vegetat iv aber nichts mit dem Pflanzenwuehs zu tun hut, sondern im Sinne einer seeli- schen Belebung gebraucht wird. Der Franzose XAVIER BICttAT stellte dann in seinen Reeherches physiologiques sur la vie et la mort (Paris 1832) die Bedeutung des vegetativen Nervensystems heraus. CLACD~ BERNARD, bekannt durch seinen bertihmten Zuckerstieh, zog noch das Stoffwechselgeschehen in den Bereich des vegetativen Nervensystems ein.

Gegen Ende des vorigen Jahrhunder ts gelang LANGLEY U. SHER- ~INGTON der Nachweis, dab diese beiden l~epr~sentanten des Sym- pathicus nicht die Bezeichnung autonom verdienen, da sic durch Nervenfasern mit dem nervSsen Zentralorgan in Verbindung stehen. Diese nervSsen Verbindungen zwischen Rtickenmark ufld den beiden Grenzstr~ngen legten andererseits die Annahme, dab das vegetative Nervensystem auch innerhalb des nerv6sen Zentralorgans vertreten sein miisse oder mit anderen Worten, die Existenz eines zentral-nervSsen, vegetativen Anteiles nahe. Dazu konnte LANGLEY noch aufzeigen, dab die Leitfs innerhalb des peripheren sympathischen Nerven- systems unterbrochen wird, wenn Ganglienzellknoten des Grenz- stranges mit einer NicotinlSsung bestrichen wurden. Dieses auffaUende Verhalten veranlaBte ihn, eine mehr lockere Verbindung innerhalb der Ganglienze]lknoten des Grenzstranges und tier diesen vorgeschalteten pr/~vertebraten Ganglienzellknoten anzunehmen, die wir bekanntlich als Synapse bezeiehnen, womit der AnschluB einer nerv6sen Einheit an

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2 0. G~-GEL :

eine andere gekennzeichnet wird. 1)amit war auch ein ganz wesentlicher Unterschied zwischen dem cerebrospinalen und dem sympathischen Nervensystem aufgezeigt, n~mlich der, dab sich im Gegensatz zum cerebrospinalen Nervensystem der per@here Abschnitt des vegetativen Nervensystems nicht aus einem, sondern mindestens aus zwei Neuronen aufbaut. Es fragt sich nun, an welchen Abschnitten des vegetat iven Nervensystems in den letzten Dezennien wesentliche Fortschrit te er- zielt wurden und worauf diese zurfickzuffihren sind. Da man bekanntlich in den ]etzten Jahren sogar yon einer l~evolution auf dem Gebiet der Pathogenese so gut wie s~mtlicher Organ- und Stoffwechselkrankheiten gesprochen hat, mul~te ich die Beantwortung meiner zweiten Frage der der ersteren voranstellen. Wenn auch ohne weiteres zuzugeben ist, dab sowohl in der ~ui~ersten Peripherie wie im Bereiche des hSchsten zen- tralen Abschnittes des vegetativen Nervensystems neue Erkenntnisse gewonnen wurden, so haben diese abet gegenwi~rtig erst zum Teil das Bild, das wir bisher vom Aufbau und den Leistungen des vegetativen Nervensystems gewonnen hatten, nur weitgehend zerstSrt, ohne jedoch zugleich an dessen Stelle einen entsprechenden neuen Entwurf setzen zu kSnnen. Naturgem~l~ erschweren gerade diese gegenwi~rtig sich noch im Flul~ befindlichen Probleme eine iibersichtliche Darstellung des Gesamtgebietes nicht unwesentlich.

Zuni~chst haben die fast das Ma~ des Ertri~gliehen fibersteigenden psychischen und kSrperliehen Be]astungen des Krieges und der Nach- kriegszeit eine Zunahme der neuroendokrinen BetriebsstSrungen, und zwar vor allem auf dem Gebiete yon Herz und Kreislauf mit sich ge- bracht, die sich mit unseren bisherigen pathogenetischen Auffassungen schwer erkli~ren liel]en und in deren Pathogenese naturgem~6 neurale Einflfisse mit die t tauptrolle spielen muBten. Dazu kam, da{~ der mo- derne Krieg Verletzungen sowohl des Zentral- wie peripheren Nerven- systems und damit auch des zentralen und peripheren Anteiles des vege- ta t iven Nervensystems leider in einem bisher nicht gekannten AusmaB mit sich brachte, deren Beobachtung die bereits im letzten Kriege ge- wonnenen Erkenntnisse vom Aufbau und den Leistu~lgen des vege- ta t iven Systems vertiefen und erweitern liel~.

Auf der anderen Seite legten neuere histologisehe Untersuchungs- ergebnisse von BOEKE U. S T S ~ jr. entgegen der bisherigen Auffassung die Annahme nahe, dal~ die sympathischen Nervenfasern zusammen mit den parasympathisehen Fasern in ein gemeinsamo~s/einstes Endreticulum einmfinden, d a s siimtliche Zellen des Organismus einbezieht. Aus der wesentlichen Zunahme der vegetativen BetriebsstSrungen im Bereich yon Magen und Darm sowie gewisser inkretorischer Organe und vor allem auf dem Gebiet von Herz und Kreislauf, die, wie sehon kurz an- gedeutet, in den fast das er~rii, gliche AusmaB iibersteigenden seelischen

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und k6rperliehen Belastungen des Krieges, zu denen noch das Fehlen der unbedingt nStigen Erholung und der Nahrungsmittelmangel w/~hrend des Krieges hinzukamen, genugsam ihre Begrfindung finder, erwuehs zwangsl/~ufig ffir den in der Praxis und Klinik t/~tigen Arzt das Bediirfnis naeh einer Anderung und Erweiterung der bisherigen Ps~tho- genese der inneren Erkrankungen. Wie naeh dem eben Gesagten nieht anders zu erwarten war, spielte sehon bei den Ende 1940 zur Beob- aehgung kommenden inneren Nrkrankungen das vegetative Nerven- system eine viel bedeutendere loathogenetisehe l~olle als in den ruhigeren Zeiten vor dem Kriege. Diese sieh anbahnende groBe Wandlung in unse- ren pathogenetisehen Auffassungen der inneren Erkrankungen land daher bereits auf der Kriegstagung der Deutsehen Gesellschaft ffir innere Medizin in Wien 1941 ihren beredten Ausdruek, auf weleher meiner Auffassung naeh in einer weir fiber das Ziel hinaussehiegenden Uberseh/~tzung der pathogenetisehen Bedeutung des Dieneephalons nieht allein so gut wie fast s/~mtliche Organerkrankungen der Leber, Niere, yon Herz, Magen-Darm usw., sondern aueh die versehiedensten Stoffweehselkrankheiten ohne entspreehende Krit ik mit funktionellen, d .h . morphologiseh nieht naehweisbaren StSrungen im Bereiehe des Diencephalons in urs/~chlichen Zusammenhang gebraeht wurden. Unter diesen Verh/iltnissen muBte naturgem/iB das im Jahre 1942 yon W. H. V~IL u. A. STURM herausgegebene Bueh: ,,Die Pathologie des Stamm- hirns und ihre vegetativen klinisehen Bilder als Erkenntnis und Grund- lage der Unfallbegutaehtung innerer Krankheiten" auf einen denkbar gfinstigen Boden fallen, und in der Tat wurden die in dem Buehe ge- zogenen Sehlfisse begeistert, abet leider zum Teil ohne entspreehende kritische Einstellung aufgenommen. Die Folge davon war, dab yon zahlreiehen Seiten pathogenetiseh ungeklgrte Erkrankungen kurzerhand als ,,Dieneephalosen" gedeutet und, wie die zahlreiehen VerSffent- liehungen aus dieser Zeit beweisen, aueh unter dieser Bezeichnung ver- 6ffentlieht wurden. Beim Lesen derartiger Arbeiten mugte man abet nieht so selten den Eindruek gewinnen, dab der betreffende Autor selbst von der Lokalisation und Ausdehnung des Hypothalamus keinerlei Ahnung hatte. Im Gegensatz zu diesem kritiklosen Hineinlokalisieren nieht nur yon bestimmten Einzelsymptomen und Syndromen, sondern sogar von Krankheiten, d. h. lV[orbi im strengen Sinne des Wortes, stan- den aber klinisehe Arbeiten wie aus der Feder yon L. I~. Mt~LLS,~, CUSHING, O. FOERSTER, KEHRE~, ~EICILIARDT und STERZ sowie in erster Linie die sieher allgemein bekannten ausgezeiehneten tierexperimen- tellen Untersuehungen des Sehweizer Physiologen I~. W. HEss, yon ~r und FULTON, des Anatomen SC~ABADASCH, yon R. GRm~NG, I~ANSON, INGRAM, SHEEHAN, RIOCH, BEATTIE, MAOUN, die bereits er- wahnten histologische Arbeiten von BOEKE und STSHR jr. sowie ihrer

1"

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4 O. GAGEL :

Mitarbeiterkreise, die pharmakologischen Untersuchungen yon DAL~ und FELDm~RG, die neuropathologisehen Studien von H. SPATZ und seinem Mitarbeiterkreis und die pathologiseh-anatomisehen Arbeiten yon FErRTER, E. HEgzoo sowie die ausgezeiehneten morphologisehen Studien yon DE CASTRO, um nur einen kleinen Teil der sieh um die Er- weiterung unserer Kenntnisse yon Aufbau und der Leistung des vege- tativen Nervensystems verdienten Forseher zu nennen, die zu dieser Zeit unsere Kenntnis vom Aufb~u und den Leistungen des Hypothalamus bzw. des gesamten vegetativen Nervensystems ganz wesentlieh be- reichert und vertieft haben. Dazu kommen abet noeh kritisehe Stimmen yon internistiseher-neurologiseher Seite wie yon WETZLE~, BODEC~TEL, SIE]3ECK, B6HME, ACItELIS, VOGEL U. a., welehe sieh gegen dieses zum Teil sieher kritiklose I-Iineinlokalisieren der versehiedensten Krank- heiten in das Dieneephalon erhoben.

Da aber meine Ausfiihrungen vielleieht den Ansehein erweeken k6nnten, daB ein groger Teil der _~rzte ohne jede eigene Stellungnahme zu den Problemen einfaeh kritiklos v611ig unbewiesene Behauptungen als Tatsaehen hingenommen h/itte, mSehte ieh in diesem Zusammenhang doeh noeh dar~uf hinweisen, dab zu der gleiehen Zeitperiode die NeurM- therapie unter der Ftihrung des bekannten Diisseldorfer Arztes HUNEKE tiberrasehende, zum Teil an Wunder grenzende ~herapeutisehe Erfolge zu verzeiehnen hat te und damit eine starke Stiitze der Neuralpathologie abgab und vielleieht die bet manehem aufkommende Kritik wieder zer- st6rt hat. Es mug vorbehaltlos zugegeben werden, dab sieh mit einer [njektion yon Impletol, Novoeain, Praeeupin, bet riehtiger Wahl der Injektionsstelle eine sehlagartige Wirkung erzielen 1/~gt, doeh weehselt sehon die Dauer des therapeutisehen Effektes bet den einzelnen Kranken nieht unwesentlieh.

H/~lt man sich noehmals die Absehnitte des vegetativen Nerven- systems vor Augen, tiber die in den letzten Jahrzehnten unsere Kennt- nisse wesentlieh bereichert wurden, so sind dies kurz gesagt die/~uBerste Peripherie, das Endretieulum, sowie der hSehste zentrale Absehnitt, der Hypothalamus, und die Verbindung yon t~iiekenmark und Grenzstrang sowie die Frage der Synapsenbildung.

Naeh den gegenw~rtig vorliegenden Untersuehungsergebnissen 1/iBt das vegetative Nervensystem einen hierarchischen Au/bau erkennen, dessen auf tiefster Ebene sieh abspielende Regulationen yon den in den Wandungen yon Magen-Darm und gewisser Organe wie der Harnblase, Herz, Uterus usw. gelegenen intramuralen Ganglienzellen und dazu- gehSrigen Nervenplexu8 gew/~hrleistet werden. Von diesem sogenannten intramuralen oder viseeralen Nervensystem ftihren Verbindungen fiber die pr/~vertebralen und paravertebralen Ganglienzellknoten zum zen- tralen Anteil, der zun~ehst die prim/iren vegetativen Zentren im Brust-

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Morphologie, Physiologie und Pathologie des neuro-endokrinen Systems. 5

mark (Cs--L~) und Saeralmark (S~---$5) sowie in Oblongata, Pons und Mittelhirn umfal~t (siehe Abb. 1). Von diesen prim~ren Zentren fiihren zentrale, spinale Bahnen zu den nach Organsystemen zusammengefai3ten fibergeordneten Regulationsarealen in Oblongata, Pons und Mittelhirn, fiber welchen sch]iel~lich im Hypoth~lamus die h6chsten, nach System- aggregaten ausgerichteten Regulationsareale stehen. Der auf Leistung ausgeriehtete Hypothalamus erffillt seine vegetativ-regulativen Lei- stungen in engster Arbeitsgemeinschaft mit der Hypophyse, die ebenso wie der ttypothalamus als hSchstes vegetatives l~eflexorgan den oben genannten tieferen Regulationsarealen, den inkretorischen Organen, iibergeordnet ist. Da sich die Einzelleistungen yon ttypothalamus und Itypophyse oft nur sehr schwer, zuweilen gar nicht voneinander trennen lassen, spricht man am zweckmi~l~igsten, wie auch allgemein fiblich, von einem hypothalamo-hypophys~ren, vegetativen l~egulationssystem.

Da in der ttierarchie des neuroendokrinen Systems der fiber- geordnete, im Hypothalamus und in der Hypophyse verankerte neuro- endokrine l~egulationsmechanismus die hSehste Stellung einnimmt, wird sich naturgemi~B die Frage erheben, wie sehliel31ich die an hSchster Stelle stehenden neuroendokrinen Regulationsorgane reguliert werden. Die Antwort auf diese Frage ermSglichen ohne weiteres die Verbindungen der sogenannten vegetativen Kerngebiete des Hypothalamus

1. mit der/~ul~ersten Peripherie des vegetativen Nervensystems und 2. mit der Grol~hirnrinde, denn diese legen doch, da sonst keine Ver-

bindungen des Hypothalamus nachweisbar sind, den Schlul~ nahe, dab diese beiden eben angeffihrten Abschnitte des Nervensystems regulierend auf das an hSchster Stelle stehende, im Hypothalamus verankerte vege- tative Reflexorgan regulierend einwirken.

Neben diesen nervSsen Einflfissen dfirften abet mit grofter Wahr- scheinlichkeit aueh noch hormonale oder sonstige humorale Reize auf dem Blutwege an das fibergeordnete vegetative t~eflexorgan des ttypo- thalamus herangelangen und regulierend auf dieses einwirken. Die un- mittelbare Nachbarschaft yon Hypothalamus und Neurohypophyse sowie die engen nervSsen und hormonalen Verbindungen zwischen diesen beiden Organen ermSglichen und gew~hrleisten vor allem die so enge Zusammenarbeit dieser beiden, fiir den normalen Ablauf der Lebensvorg~tnge so wichtigen Organe. Aus dem eben Angeffihrten geht, kurz gesagt, hervor, dab unter Umstgnden selbst das an hSchster Stelle stehende vegetative Reflexorgan, wenn es der harmonische Ablauf der Lebensvorg~tnge fordert, als Erfolgsorgan des auf tiefster Ebene veran- kerten intramuralen Systems und Endreticulums fungieren kann (siehe Abb. 1 a und l b). Aus dieser F~higkeit des an h6chster Stelle stehen- den vegetativen Reflexorgans des gypothalamus sowohl als Regulator wie aueh als reguliertes Erfolgsorgan des peripheren Absehnittes des

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6 O. GAGEL :

vegetativen Nervensystems wie der Groghirnrinde zu fungieren, ergeben sich natfirlich eine gro6e Anzahl der verschiedensten kaum fibersehbaren vegetativen RegulationsmSgliehkeiten, denn damit gleicht letzten Endes das neuroendokrine System in seinem funktionellen Verhalten einem Kreis ohne Anfang und Ende.

Orale vegetative Ganglienzells/~ule

Vegetatives Rindenareal

Ergotropes Areal des IIypothalamus

Trophotropes Areal des Hypothalamus

Pr~ganglion~re~ parasympathisehes Neuron

Thorakolumbale vegetat ive

SeitenhornzellsKule Organ- Ganglienzellen

Terminalreticulum

Postganglion~res sympathisehes Neuron

Pr'Xvertebrales Caudale vegetative Ganglion

Ganglienzells~ule Paravertebrale

Ganglien

Pr~ganglloni~res symp~thisches Neuron

Abb. 1 a. Schematische Darstellung, die den hierarchischen Aufbau des vegetativen l~ervensystems vor Augen ffihren soll.

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Dieser kurze, nur skizzenhafte Uberbliek fiber den hierarehischen Aufbau und fiber die im Gegensatz zum cerebrospinalen Nervensystem stehende Funktionsweise des neuroendokrinen Systems, die es erm6glicht, dag selbst das auf hSehster Ebene verankerte neuroendokrine hypo- thalamo-hypophys~re t~eflexorgan sowohl als Regulator wie als reguliertes Reflexorgan in Erscheinung treten kann, sollten nur in wenigen Worten die wesentlichsten Merkmale im Aufbau wie in der Funktionsweise des

Caudale vegetative

~k~etatives l%indenareal

Trophotropes Areal ~Hy.p0rha]~ nus\

Thorakolumbale vegetative Seitenhornzellsfiule

Ganglienzells/iule - | Paravertebrale Ganglien

..2_'t :Praevertebrale Ganglien

Organ- Ganglien-Zellen.

Terminalretieulum

Abb. 1 b. Tabelle, die in vereinfaehter Form die auf versehiedenen Niveaux des Nervensystems vertretenen neurovegetativen I~egulationsme cha~li smen und ihre gegense~t, ige Beeinflussung aufzeigt.

neuroendokrinen Systems aufzeigen, damit bei der nun folgenden analytischen Darstellung der allgemeine Zusammenhang nieht zu sehr verwiseht wird.

Die Entwieklung des Einzellers zu einem aus zahtlosen Zellen und einer groBen Zahl yon Organen sieh aufbauenden Zellstaat maehten naturgem~g ein Ordnungssystem notwendig, das einerseits die Be- ziehungen des Zellstaates, Organismus genannt, zu seiner Umwelt zu ordnen, andererseits abet die Lebensvorg/~nge in dem bereits eingangs erw/~hnten Sinne zu steuern hatte. Dieses Ordnungssystem wird naeh einem Mlgemein gebr/~uehlichen Einteilungsprinzip seinem doppelten Aufgabenbereieh entspreehend untergeteilt :

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8 O. GAGEL :

1. in ein nerv5ses System, welehes die Beziehungen des Organismus zu seiner Umwelt ordnet und dementspreohend auch die Bezeichnung Umweltnervensystem fiihrt und

2. in ein System, welches das Zusammenspiel der zahllosen K5rper- zellen und verschiedenartigen K5rperorgane zur ErzMung einer be- stimmten Gesamtleistung, n~mlich der AufrechterhMtung des Organis- mus und seiner Art fiberwacht und Ms vegetatives System bezeichnet wird.

Diese Steuerung der Lebensvorg~nge gew~ihrleistet die nervSse Kom- ponente des vegetativen Systems, das vegetative Nervensystem oder Innenweltnervensystem, wie bereits erw/ihnt, in engster Gemeinschafts- arbeit mit der humoralen Komponente, den in den KSrpers~tften ent- hMtenen Hormonen, Vitaminen und Ionen, wobei die humorMe Steue- rung der Somazelle durch direkte Einwirkung eines im Blut enthMtenen ehemischen Agens erfolgt und demnach eine einf~che chemo-cellul/ire Funktions- oder Wirkungseinheit darstellt. Im Gegensatz dazu wirkt bei der neurMen Steuerung das ehemiseh-physikMische Agens primer zun~chst auf die Nervenzelle ein, und erst yon dieser geht dann sekund~r der 1%eiz ~uf die som~tisehe Empfiingerzelle fiber. Bei dem prim'gren Gesehehen verwandelt die Nervenzelle die ihr zugefiihrte, ruhende potentielle Energie unter gleiehzeitiger Umwandlung in kinetiseh-elek- trisehe Energie, zum Teil wieder in eine andere chemische Verbindung, weshMb dieser dreigliedrige Vorgang Ms physo-elektro-cellul~re Wir- kungseinheit bezeiehnet wird.

Diese Gegeniiberstellung eines mit der Ordnung der Umweltbezie- hungen betrauten eerebrospinMen Nervensystems und eines mit der Ordnung der Innenwelt betrauten vegetutiven Nervensystems vermag jedoch ebensowenig wie Mle iibrigen biologisehen Ordnungsprinzipien dem lebenden Flusse biologischen Geschehens gerecht zu werden. Fiir das Umwelt- oder cerebrospinMe Nervensystem werden auch die Be- zeiehnungen animMes und sensomotorisches Nervensystem gebraucht, wiihrend anstelle der Bezeiehnung Innenwelt-Nervensystem, die sich nicht entsprechend durehsetzen konnte, im Mlgemeinen noch vom auto- nomen oder vegetativen Nervensystem oder involuntary nervous system gesprochen wird. Die Bezeichnung ,,Lebensnervensystem" yon L. 1%. M~iTLLE~, die zwar zutreffender Ms die iibrigen gebr~iuchliehen Be~ zeichnungen ist, hat sieh jedoch im Sehrifttum gleiehfMls nicht ein- biirgern k5nnen, weshMb im folgenden die gebr~uehlichste Bezeiehnung vegetati~res Nervensystem beibehMten werden soll.

Wie schon betont, entspricht auch die Mlgemein gebr/iuchliche Gegentiberstellung eines eerebrospinMen und vegetativen Nerven- systems nieht den tats~ehlichen Verhgltnissen, denn es reagi'ert z.B. der Irismuskel, der Ms eine der Linse und den cerebrospinMen Reeeptoren

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der 1%etina vorgeschaltete Blende fungiert, auf Belichtung, also auf einen Umweltreiz und ebenso erweist sich seine Leistung als Blende zu wirken, als ein Ordner yon Umweltbeziehungen, w~hrend er jedoch de facto auf Grund seiner Innervation dem vegetativen Nervensystem zuzurechnen ist. Da sich aber, wie schon die kurze Skizzierung des Auf- baues und der Leistungen des vegetativen Systems zur Genfige auf- gezeigt haben dfirfte, die so verwickelten und sich gegenseitig beein- flussenden Lebensvorg/~nge nur durch eine analytisch vorgehende Dar- stellung dem Verst/indnis halbwegs n~herbringen lassen, kann auf die Gegentiberstellung der beiden Systeme nicht verziehtet werden. Aul~er- dem diirfte der Mangel in der Bezeichnung nicht so aussehlaggebend sein, wenn man sich dessen bewuBt bleibt, zumal doeh zum Tefl, wie bereits angefiihrt wurde und auch im folgenden noch ausffihr]icher ge- zeigt wird, wichtige morphologische und funktionelle Unterschiede zwischen dem cerebrospinalen und vegetativen Nervensystem die an- gegebene Unterteflung rechtfertigen.

Gegeni~berstellung de# cerebrospinaleu und vegetativen Nervensystems. L~Bt man sich bei der Darstellung des Aufbaues und der Leistungen

des vegetativen Systems, insonderheit des vegetativen I~ervensystems, wie vielfach fiblich, yon der Morphologie leiten und beginnt mit den auf tiefstem l~iveau lokalisierten Ganglienzellen und l~ervennetzen, so st52t man sowohl an den Endigungen der efferenten wie am Beginn der afferenten vegetativen Nervenfasern, die beide in der Wandung des be- treffenden Erfolgsorgans ganz peripher gelegen sind, auf wesentliehe morphologische Unterschiede zwisehen cerebrospinalem und vegetativem Nervensystem. Gerade diese Gebiete sind in den letzten Jahrzehnten der Gegenstand histologischer Forschungen yon BO~KE und ST6~R jr. sowie ihrer Mitarbeiterkreise gewesen, denen sehr interessante neue Tat- sachen fiber den Bau dieses Endabschnittes des vegetativen Iqerven- systems zu verdanken sind, die eine eingehendere Darstellung ver- dienen. Von den Nervenendorganen der afferenten cerebrospinalen oder sensiblen Nervenfasern, die allgemein bekannt sein dfirften, soll nur, insoweit es sich um wesentliche Merkmale ihres Aufbaues handelt, die 1%ede sein, w~hrend dagegen die neugewonnenen Erkenntnisse vom Auf- bau des vegetativen Receptors eine genauere Darstellung erfahren.

Entspreehend der Funktion eines sensiblen Nervenendorgans Reize aufzunehmen, die naturgem~l~ eine mSgliehst grol3e Oberfl/~che des leitenden, speziell aber des reizaufnehmenden Elements der peripheren Nervenfaser, des Achsenzylinders, insonderheit seiner l~eurofibrille for- dert, liegt auch de facto dem Aufbau der sensiblen Nervenendorgane eine starke Oberfl/~chenvergrSl3erung der zugehSrigen Achsenzylinder zu- grunde, die durch Kn/~uel-, Spindel-, Kolben- und Traubenbi]dung des

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10 O. GAo~L:

Achsenzylinders erzielt wird, wodurch die versehiedenartigsten Struk- turen der sensiblen Nervenendorgane zustande kommen, die nach ihrem ersten Beschreiber als M~IssNE~sche, DocI~Lsche, RuFsI~Ische, MAz- zo~Ische, VATER-PACCI~Ische KSrperehen bezeiehnet werden. W~hrend ein Tell der Autoren die Auffassung vertritt, dal~ die Sensibilitiits- qualiti~t durch das jeweilige sensible Nervenendorgan bestimmt wird, nimmt der andere an, dab nicht das sensible ]gervenendorgan, sondern vielmehr die Reiz[orm fiir die Sensibilitiitsqualitiit ausschlaggebend ist.

Naeh den neuesten histologischen Untersuchungsergebnissen von BOEKE und STSm~ jr. sowie ihrer Mitarbeiterkreise, die mit Schwer-

Abb. 2. Nervenendorgan vom Typus der KRAUSlgschen Endkolben aus der Adventit ia der A. femoralis nach HmSCH (Silberimpr/tgnation Vergr. 650 fach, auf "[4 verkleinert).

metall-Impr~gnationsmethoden gewonnen wurden, miindet im Gegen- satz zur cerebrospinalen 2qervenfaser, die bei weitem iiberwiegende Mehrzahl aller sympathisehen und parasympathischen Nervenfasern in ein gemeinsames, feinstes Nervenfasernetz ein, in dessen Innervations- bereich s~mtliche Zellen des Organismus einbezogen sein sollen. Ver- tritt man wie STSH~ konsequent die Auffassung, dal~ s~mtliche vege- tativen Fasern in dieses Nervenendnetz einmiinden, so 1/iBt sich natiir- ]ich kein Anfang und kein Ende dieses vegetativen Nervensystems mehr bestimmen. Im Gegensatz zu STSH~ jr., der konsequent diese Auffassung vertritt, unterscheidet BOEKE, worauf noch genauer eingegangen wird, an diesem Nervenfasernetz doch gewisse Endigungen. Sonst konnten im Bereiche des Magen-Darms yon SHE~I{A~, VATER-PACOINIsehen KSrper- chen weitgehend gleichende vegetative receptorische Nervenendappa- rate, in der Adventitia grSBerer Extremit~tengefs wie z. B. der Arteria femoralis yon HmscH I%eceptoren vom Typus der K~AusEschen End- kolben (siehe Abb. 2), der VATE~-PAceINIsehen und DoGx]~Lsehen KSrperehen, und schlieB]ieh im Glomus carotieum und im Sinus caroti-

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Morphologie, Physiologie und Pathologie des neuro-endokrinen Systems. l l

cus yon DE CASTaO chemo- und barosensible Receptoren in Form yon epitheloiden Zellen, deren einer Po] mit dem Meniscus dcr zugehSrigen Nervenf~ser in Verbindung steht, w~hrend der andere sich unmittelbar einer Capfllarwand anlegt, festgestellt werden, um nur einige wichtige Beispiele yon Receptoren anzuffihrcn (siehe Abb. 3).

Auf die Darstcllung des Neuroreticulums und der aus diesem hervor- gehenden bzw. in dieses einmiindenden Nervenfasern soll erst im An-

Abb. 3. Schema vom synapsenartigen Aufbau der Chemoreeept~oren. Die epitheioiden Zellen e stehen mit einem grol~en Tei l ihrer :Protoplasmaoberfl~che durch alas geticulum, das die Sinus- capillare c umgibt, in Beziehung zum Blutstrom. ] sensible markhaltige Nervenfaser, die S0ttWnNN- schen Zellen a umgeben marklose 1%rvenfasern, die Endmenisci bilden, b Bindegewebshtille

(Schema nach CXST~o).

schlul~ an die Frage nach der Existenz eigener afferenter vegetativer Nervenfasern eingegangen werden.

Die Existenz yon vegetative ]~eize afferent leitenden Nervenfasern diirfte wohl yon koinem m~l~geblichen Autor bezweifelt werden, die Differenz in den Meinungen betrifft vielmehr die Benennung. D~ die afferenten vegetativen Nervenfasern hinsichtlich ihres Baues und physiologischen Verhaltens mit cerebrospinalen Nervenfasern nnd nicht mit den offerenten sympathischen Fasern iibereinstimmen, werden sie yon der Mehrzahl der Autoren nicht den vegetativen, sondern den diinn- myelinisierten cerebrospin~len Nervenfasern zugerechnet. Die histolo- gische Struktur wio das physiologische Verhalten der Nervenf~sern diirfte aber im wesen~lichen ein Ausdruck ihrer Funktion sein, die ebenso

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wie die der afferenten cerebrospinalen Nervenfaser in der Leitung yon sensiblen ]~eizen besteht. Im folgenden wird vor allem aus didaktischen Grfinden die nicht falsehe Bezeichnnng afferente vegetative Faser bei- behalten, denn, wie schon angedeutet, fordert die Existenz vegetativer Receptoren folgerichtig auch afferent leitende vegetative Nervenfasern.

In grol3er Zahl finden sich afferente Fasern im Sympathicus, und zwar in dessen verschiedenen Abschnitten wie in den loeriarteridlen sympathisehen Geflechten, welche meist direkt in den Grenzstrang ein- mfinden, in den zahlreiehen ~sten und Plexus des Sympathicus, welche die afferenten Bahnen der Eingeweide enthalten (Splanchnicns major et minor, Plexus hypogastrieus, Plexus mesenterieus inferior) und sehlie$- lich in den l~ami eommunieantes. Vom Grenzstrang ziehen dann die afferenten Fasern in die Spinalnerven und yon diesen dureh die hinteren und, wie Fo~asT~R u. a. auoh annehmen, zum Tell dureh die vorderen Wurzeln ins Rfickenmark. DaB die versehiedenen Abschnitte des Sym- pathicus beim Menschen de facto afferente Nervenfasern ffihren, ist daraus zu schliel3en, dal~ einerseits bei ihrer Reizung Sehmerzen auf- treten, andererseits abet Schmerzzustgnde dureh ihre Unterbreehung be- hoben werden k6nnen. Auf dektrische oder auch mechanische Reize reagiert der Grenzstrang des Sympathicus mit Schmerzen, die je nach dem Angriffsort des l~eizes in die verschiedenen K6rperteile verlegt werden. So z. B. bei l~eizung des Ggl. cervicale craniale in das Kopf- gebiet und den Hals, bei Reizung des Ggl. stellatum in den Arm und sehlieNieh bei Reizung des tumbosaeralen Abschnittes in das Bein. Bei I~eizung eines t~amus communieans wird der 8ehmerz in das zugehSrige I)ermatom projiziert, und zwar in der Regel in die sogenannten Maximal- punkte H~ADs, so z. B. bei Reizung des Ramus comm. thoracalis 5 in die Gegend der Mamille. Bei Reizung des N. splanehnieus wird fiber heftige Leibsehmerzen, bei Reizung der Nn. eardiaei fiber Herzbeklemmung und Herzsehmerz, bei Reizung des periarteriellen Gefleehtes der Carotis comm. fiber Kopfschmerz, bei Reizung des Geitechtes der A. hypo- gastriea oder des N. hypogastricus fiber Blasenschmerz und bei Reiznng des periarteriellen Geflechtes der A. poplitea sehliel31ich fiber Fugschmerz geklagt. Umgekehrt lassen sich die Schmerzzust~tnde der Angina pectoris mit Erfolg dutch Aussehaltung der ~--5 ersten thoracalen Rami comm. bekgmpfen.

Bis dato ist jedoeh die Frage nicht vSllig geklgrt, ob die bekanntlieh zahlreicben im Sympathicus vorkommenden afferenten Nervenfasern samtlieh nur als periphere Neuriten yon Spinalganglienzellen anzu- sprechen sind, deren zentrale Neuriten dureh die hinteren Wurzeln in das I~fiekenmark gelangen, oder die im Symp~thieus verlaufenden affe- renten Nervenfasern nieht aueh Ursprungszellen in den Ganglien des Grenzstranges oder den prgvertebralen G~nglienzellknoten besitzen,

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deren zentrale Neuriten yon dem Grenzstrangganglion in das Spinal- ganglion gelangen, um sieh dort an kleinen Zellen yore Typ der Spinal- ganglienzellen aufznsplittern, deren zentraler Neurit dann erst dureh die hintere Wurzel in das I~iiekenm~rk gelangt oder ob nieht auch der

Abb. 4. NervSses T e r m i n a l r e t i c u l u m aus der Mllcosa des Colons (Mensch, Vergr . 1500fach). J Ke rne Yon In t e r s t i t i enen Zellen. K :I(erne e iner gla~ten 3luskelf~ser . B Kerne yon Bindegewebs-

geIlen. ( E ~ t n o m m e n aus e iner A r b e i t yon S~Sga jun. )

zentrale Neurit der in einem Grenzstrangganglion gelegenen Ursprungs- zelle direkt ohne eine Synapse mit einer im Spinalganglion gelegenen Zelle zu bilden, dutch die vordere oder hintere l~iiekenmarkswurzel in das R/iekenmark gelangt.

Die zwar aueh sonst im Gesamtbereich des vegetativen Nerven- systems herrsehende Differenz zwisehen den morphologisehen Unter- suehungsresultaten einerseits und den tierexperimentellen und pharma-

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kologischen andererseits t r i t t ganz besonders deutlich im Endaus- breitungsgebiet des vegetativen Nervensystems zutage und hat sehon gegenw~rtig zuweilen so weir gefiihrt, d~l~ das vegetative Nervensystem der Morphologen mit dem der Physiologen und Pharmakologen kaum noeh irgendwelche gemeinsame Zfige zeigt. Mit Recht weist P~. S T S ~ schon fiber 2 Jahrzehnte auf die grol~e Gefahr bin, dal~ zwischen den beiden Forschungsrichtungen, die doch einander unbedingt zu erg~nzen haben, bei noch l~nger anhaltender Weiterentwicklung in dieser Rich- tung keine Verst~ndigung mehr mSglich sein wird. Da die yon Pm S T S ~ und BO~,KE mit Hilfe der Schwermetall-Impr~tgnation gewonnenen neuen Erkenntnisse fiber den Aufbau des neurovegetativen Endaus- breitungsgebietes auch ffir unser Gesamtbild vom Aufbau und den Leistungen des vegetativen Nervensystems yon grol~er Bedeutung sind, mul~ auf diese im folgenden genauer eingegangen werden. P~. STS~, der sich die Frage vorlegte: ,,Wird in der Peripherie die nerv5se Er- regung auf die Effectorzelle durch den einzelnen Neuriten einer be- stimmten vegetativen Ganglienzelle iibertragen oder wird die Erregung vom Nervensystem auf den Effector dutch eine netzartige Bfldung er- mSglicht?", kam auf Grund seiner neueren, schr eingehenden, mit Hilfe der Silbertechnik gewonnenen histologischen Untersuchungs- ergebnisse zu einem im Gegensatz zur experimentellen und pharmakolo- gischen Forschung, die noch an dem Aufbau auch des peripheren vege- tat iven Nervensystems aus einzelnen Neuronen festh~lt, stehenden Er- gebnis. Der Auffassung STSHRS, da$ die Darstellung der nervSsen End- formation auch im Bereiche des vegetativen Nervensystems Sache der histologischen Technik bleibt, kann man sicher nur beipflichten. Da- gegen kann ich nicht ganz die Auffassung des um unsere Kenntnisse vom Aufbau des peripheren vegetativen Nervensystems so hochverdien- ten Forschers teilen, da$ irgendwelche Schliisse aus experimentellen Vorg~ngen fiber den Aufbau yon Nervenendorganen niehts auszusagen vermSgen, da doch gerade die neueren Untersuchungen yon D~ CASTRO eher das Gegenteil beweisen. Die Ahb. 4, die einer Arbeit yon P~. STS~R entnommen ist, vermittelt ein anschauliches Bild yon dem mit der Silberimprggnations-Methode gewonnenen sehr feinen Netzwerk, das STSH~ und seine Mit~rbeiter seiner Stellung innerhalb des ges~mten vegetativen Nervensystems entspreehend als Terminalreticulum be- zeichneten. Wie noch auf der gleichen Abbildung klar zu erkennen ist, verlaufen die feinsten durch zahlreiche An~stomosen miteinander in Verbindung stehenden hTeurofibrillen in kernhaltigen, syncytial ver- bundenen Str~ngen des ScgwA~Nschen I-Ifillplasmodiums. hCachdem diese feinen Nervenstr~nge allmghlich mehr und mehr an Umfang ein- gehiiBt und ihre Kaliber zu grSftter Feinheit verringert haben, treten sie in direkten plasmodischen Zusammenhang mit dem Gewebe des

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betreffenden ErfoIgsorgans, ohne dabei an dieser Stelle der Synapse irgendeine Endigung oder sonsgige besondere Strukturbildung erkennen zu lassen. Das .plasma des Effeetorgewebes und das des peripheren sieh gegenfiber seinen gr6beren, zuffihrenden Nervenfasern nieht seharf ab- grenzbaren, kernhMtigen Nervennetzes, des TerminMretieulums, gehen demnaeh ohne jede besondere morphologiseh faBbare Einriehtung in- einander fiber, ttieraus ergibt sich, dal] die f3bertragung nerv6ser Im- pulse auf das Effeetorgewebe dutch ein dreidimensionMes Nervengitter erfolgen muB, in dessen Bereieh sieh die nerv6se Erregung naeh ver- schiedenen Riehtungen diffus auszubreiten vermag. Dieses nerv6se Fibrillenretieulum enth~l~ in seinem Leitplasmodium noeh besondere Zellen mi~ runden, ovalen oder mehr dreieekigen Kernen, die nach dem Vorschlag ihres ersten 13esehreibers gAMON Y. CAJAL als ,,interstitielle Zellen" bezeiehnet werden. Diese interstitiellen Zellen bilden im Gebiet des vegetativen Nervenendnetzes ein Syneytium, in welehem das nenro- fibrillgre Endnetz verl/~uft. Wenn aueh sowohl Struktur wie Funktion dieser interstitiellen Zellen noeh nieht v611ig gekl~rt sind, so diirften sie doch mit ziemlieher Sieherheit als Oligodendrogliazellen anzuspreehen sein, zu welehen bekanntlich aueh sowohl die Gliocyten Ms Begleitzellen der Spinalganglienzelle, wie die ScItWAN~schen Zellen Ms Begleitzellen der peripheren Nervenfaser zu reehnen sind. Die jeweilige [Form der Ms Begleitzelle fungierenden Oligodendrogliazelle wird dutch die Form der Ganglienzelle bzw. dutch den Verlauf des Nervengewebes, Ms dessen Be- gleiter sie fungieren, bestimmt. So 1/~gt sieh aus dem parallelen, b/~nder- f6rmigen Verlauf der Nervenfaser die l~ngliehe Form der Begleitzellen, der Sc~wANNsehen Zellen, ableiten, w/~hrend die Begleitzelle im Bereiehe des netzf6rmig angeordneten Terminalreticulums in der Endausbreitung der Nervenfaser eine mehr dreieekige Gestalt annimmt, die ffir die inter- stitiel!e Zelle typisehe Form. Entsprechend der Bedeutung der Glioeyten beim Vorgang der synaptisehen l~bertragung des Nervenimpnlses vom pr/~ganglion/~ren auf das postganglion/~re Neuron, auf die DIS CASTRO, worauf ansehliegend noeh genauer eingegangen werden soll, in seinen gr6Beren l~eferaten hingewiesen hat, dfirften aueh die interstitiellen Zellen bei der Ubertragung der Nervenimpulse vom nerv6sen Gewebe auf das Erfolgsorgan beteiligt sein. Wie Bin Bliek auf die Abbildung 4 erkennen 1/~13t, sind im Bereiche des bus der Mueosa des mensehliehen Colons stammenden nervSsen TerminMretieulums Vagus- und Sympathicus- elemente nieht mehr gegeneinander abzugrenzen, denn die beiden ner- v6sen Komponenten sind zu einer in sich geschlossenen ne~zartigen Formation, dem mit den interstitiellen Zellen versehenen Terminal- reticulums aufgegangen. Wie sieh _Pro ST6~ in seiner ibm eigenen sehr pr/~gnanten Form ausdrfiekt, mug dutch die untrennbare Verbindung yon Vagus und Sympathieus in der peripheren nervSsen Ausbreitung

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offenbar morphologisch und physiologisch etwas Neues entstehen, wie wenn man rot und blau zu violett misehen wollte.

Der groSe Reichtum an nervSser Substanz in der Peripherie soil nach PI4. STOlZ~ den Gedanken nahelegen, dab kein normales und patholo- gisehes Geschehen im Organismus, selbst nicht einmal der Durchtri t t einer Wanderzelle dureh die Capillarwand, ohne jede Mitbeteiligung des Nervensystems denkbar ist (s. Abb. 5). In der normalen und pathologi- schen Anatomie mul~ bei der Beschreibung der Gewebe vor allem dem Nervensystem ganz besondere Beachtung geschenkt werden, damit der

Abb. 5. Intraglomerul~r gelegenes nerv6ses Terminalret iculum. (Niere, Menseh, ~BIELSCHOWSt~Y ~e thode 1690fach vergr61~ert, auf vier Fiinftel verkleinert , tri Terminalret iculum im Glomerulus, tr~ Terminalret iculum auBerhalb des Glornerulus, g Glomerulusschlinge. En tnommen einer Arbeit yon H. KNOCHIS, Zeitschrift ffir Anatomie und Entwicklungsgeschichte :Bd. 115, S. 97, 1950.)

Blick yon Gewebe und Organ hinweg auf die durch das Nervensystem re- prgsentierte Ganzheit des Organismus gelenkt wird. D~s besondere Ver- dienst yon t~IcxE~ bleibt es, anstelle der frfiheren, heute in m~ncher Hinsicht verMteten Cellularp~thologie seine t~elationspathologie gesetzt zu haben, die in vSlliger l)bereinstimmung mit dem morphologischen Be- funde jedes komplexe physiologisehe oder pathologisehe Geschehen im Organismus in Beziehung zum Nervensystem und auch die innervierte , ,Strombahn" in untrennbaren funktionellen Zusammenhang mit dem Gewebe bringt. Von dieser Auffassung fiber das Verhalten der veget~- tiven Nervenfasern im Endausbreitungsgebiet PH. STSHaS, der ein Ein- miinden s~mtlieher vegetativer Nervenfasern, d.h. sowohl der sympathi- schen wie der parasympathischen Fasern in ein in sich selbst geschlos- senes dreidimensionales Flecht- bzw. Gitterwerk, das Terminalretieulum, vertritt , das sich auf sgmtliche KSrperzellen erstrecken sell, weicht BOEKE

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in der Richtung ab, dab sein nerv6ses Grnndnetz nicht direkt mit den Effeetorzellen in Verbindung trit t , sondern vielmehr zun/~ehst noeh in ein feineres mit Sehwermetallsalzen, sich abet nieht mehr tiefschwarz, sondern nut dunkelgrau impr/~gnierendes Gitterwerk fortsetzt, das erst die direkte Verbindung mit den Effeetorzellen herstellt. Diese Differenz in der Intensit~t der Impregnation des Grundnetzes und des sich peri- pher an dieses anschlieBenden Netzes, zwang BOEKE das letztere als (~bergangsgewebe zwisehen dem nerv6sen Grundnetz und den Effector- zellen anzuspreehen und als sogenanntes periterminales Netzwerk yon dem nervSsen Grundnetz abzutrennen. Im Gegensatz zu STSHI~ und seinem Mitarbeiterkreis, die das Vorkommen yon Nervenendorganen oder auch freien Nervenendigungen im Bereieh des vegetativen Nerven- systems strikte ablehnen, will BOEKE, wie schon angedeutet, neben diesem nervSsen Grundnetz und periterminalen Netzwerk als l~bergangsgewebe zwischen diesem nnd dem Effector mit IIilfe der Schwermetall-Imprag- nation aueh noeh EndSsen, Endringe, Endreticulare usw. zur Darstellung gebraeht haben. STSHI~ deutet die von BOEKE beschriebenen und auch abgebfldeten sogenanntenNervenendorgane nur als dieProdukte einer un- vollkommenen Impragnation des Terminalreticulums mit Schwermetall- salzen und bestreitet jedes Vorkommen yon Nervenendorganen oder auch freien Nervenendigungen im Bereiehe des vegetativen Nervensystems.

Im Gegensatz zu diesen beiden eben genannten Autoren steht der bekannte spanische Forscher DE CASTRO, der durch seine ausgezeichneten histologischen und tierexperimentellen Untersuehungen unsere Kennt- nisse von Aufbau und Leistung des vegetativen Nervensystems ganz wesentlich erweitert und vertieft hat, auch im Bereiche des peripheren vegetativen Nervensystems auf dem Boden der sehon yon seinem be- riihmten Lehrer RA3ION Y CAJAL mit groger Begeisterung vertretenen Neuronenlehre, da sich das vSllige Aufgehen s~mtlicher vegetativen Nervenfasern sowohl der sympathischen wie parasympathischen in ein gemeinsames, in sich selbst geschlossenes Nervenendgitter mit den zur Zeit vorliegenden klinisehen und physiologisehen Tatsachen zum Teil nur sehr sehwer, zum Teil gar nieht in Einklang bringen l~Bt. Die Mei- nung, die er sieh selbst anf Grund seiner Erfahrungen yon der ~ber- tragung der nerv6sen Impulse vom vegetativen geeeptororgan anf die afferente vegetative Nervenfaser gebildet hat, soll ebenso wie yon ihm selbst an den Chemoreceptoren des Glomus earotienm zur Darstellung gebraeht werden, da an diesen wegen ihres einfachen Aufbaues die sonst sehr sehwierigen Verh/~ltnisse am leiehtesten verst~ndlich zu maehen sind. Das Carotisk6rperehen stellt weder ein Ganglion noeh eine endokrine Driise, wie dies auch DE CASTgO frfiher angenommen hat, sondern ein sensibles geeeptororgan dar. Die Ursprungszellen der dem Glomusorgan zugehSrigen afferenten Nervenfasern sind ini Ggl. petrosum des

Arch. Ohr- usw. Hei lk . n. Z. Hals - usw. Hei lk . ~Bd. 163 (Kongrel~berich~ 1953). 2

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5T. glossopharyngeus gelegen. Wie auf der von DE CASTRO stammenden Zeichuung klar zu erkennen sein diirfte, steht der eine Polder epitheloiden Glomuszelle in engster Beziehung zu der Wand von Sinuscapillaren und besitzt somit einen fast direkten Kontakt mit dem Blutstrom (Blut- pol). Da aber die Glomuszelle andererseits auch enge Beziehungen zum Nervenendorgan der afferenten Nervenfaser (nervSser Pol) besitzt, ergibt sich ihre Funktion, auf qualitative ~nderungen der Blutzusammensetzung zu reagieren, worin sic sieh yon den Reeeptoren des Sinus caroticus funk- tionell unterscheidet, deren Aufgabe in der Wahrnehmung des Gefi~fiinnen- druckes bestehen diirfte (Abb. 3). Das sensible Element, das auf die J~nderung des humoralen Milieus ansprieht, ist aber nieht die Endigung der Nervenfaser, die erst direkt durch die _~nderung der Aktiviti~t und Art des Stoffwechsels der Glomuszelle, die sich, wie auf der Abb. 3 gut zu erkennen ist, als Receptor fungierende epitheloide Zelle zwisehen die Capillare und den Endmeniseus der afferenten dem N. glossopharyngeus zugehSrigen Nervenfaser eingeschaltet hat. Die ad~quaten Reize ftir die als Chemoreceptor fungierende epitheloide Glomuszelle sind in einer Zu- nahme der Konzentrat ion yon CO s im Blur, in der Hypox~mie und dem Absinken des PH zu suehen, die demnaeh nicht direkt auf die nervSse Endigung der afferenten Fasern des ~T. glossopharyngeus, sondern auf das Cytoplasma der Glomuszellen einwirken, dort eine pl5tzliehe _~nderung der Reaktion und Aktivit~t des Stoffweehsels bediugen, deren Folgen Potentialdifferenzen, vielleicht auch eine Ausschfittung yon Ionen oder beides sind, die dann sekund~r eine Erregung in dem nervSsen Meniscus hervorrufen und damit einen nervSsen Impuls auslSsen. Die Glomus- zelle stellt demnach keine rudiment~re Nervenzelle dar. Die epithe]oiden Zellen des Sinus caroticus sprechen dagegen auf Anderungen des endo- vasalen Druckes an und erweisen sich damit als barosensible Recep- toren. Im Brennpunkt des Interesses steht jedoch die Frage, ob Kon- tinuiti~t oder Kontaguitiit nicht so sehr an der Stelle, an weleher die durch einen ad~quaten Reiz bedingte plStzliche Anderung yon Reaktion und Aktivitiit des Stoffwechsels im Cytoplasma der Receptorzelle verur- sachten Potential-Differenzen oder Ionenverschiebungen in dem ner- vSsen Meniscus einen Impuls auslSsen, der dann durch den ableitenden Nerven zentralw~rts weitergeleitet wird, sondern vielmehr an der, an welcher die Ubertragung einer nervSsen Erregung yon dem pr~- auf das postganglion~re Neuron erfolgt, mit anderen Worten an der Synapse, die in den peripheren vegetativen Ganglien zu suchen ist. W~hrend auf der einen Seite die Reticularisten, die jede Art yon Nervenendigungen abstreiten wie bereits zur Geniige dargestellt, s~mtliche sympathi- schen wie parasympathischen Nervenfasern in ein in sich geschlossenes feinstes dreidimensionales Nervengitter einmfinden lassen, nehmen auf der anderen Seite die Anh~tnger der strengen Neuronenlehre an, dal3 sich

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auch das gesamte vegetative Nervensystem aus Neuronen aufbant und die Ubertragung der nervSsen Erregung von Neuron zu Neuron dutch kleine schlingen-, kSpfehen-, 5sen- und andersartige, am Ende einer Nerven- laser gelegene Nervenendigungen erfolgt, 'die sich entweder direkt dem Ganglienzellk6rper oder einem Fortsatz des n/~ehsten Neurons dicht anlegen. DE CAST~O, der in friiheren Jahren selbst die letzt angeffihrte Auffassung vertrat, kam auf Grund eingehender neurohistologiseher und ~ierexperimenteller Untersuchungsergebnisse zu einem yon seiner alten Auffassung abweiehenden Modell der Synapse. Allein schon die Tatsache, dab die Zahl dieser NervenendkSrperchen in einem Ganglion relativ sehr gering ist und auBer- dem das Nervenendk6rperehen nieht mit einer Ganglienzelle und einem Ganglienzellfortsatz, ' sondern vielmehr mit dem Kern eines Glioeyten in Kontakt steht, sprieht gegen die Annahme, dal3 die besehriebenen Sehlingen-, P1/~ttehen- und 0senbildungen als nervSse lJbertragungsorgane der Erregung in Frage kommen. Die neueren Untersuehungen von D~. CAs~o sprechen fiir eine wesentliehe Betefligung der Glioeyten an der Synapse, die den Kapselzellen entspreehen und ebenso wie die ScHwA~sehen- und interstitiellen Zellen der Oligodendroglia zuzureehnen sind (siehe Abb. 6). Naeh DE CASTRO baut sieh die Synapse der vegetativen Faser aus 3 aktiven Elementen auf: : ,

1. aus dem Endabsehnitt des ersten spinalen, oblongat/~ren oder mesencephalen Neuron, der als zufiihrendes Element fungiert, 2. der Ganglien- zelle mit Dendriten, die dem abffihrenden Ele-

Abb. 6. Glioey~. Oligoden- meng entspricht, u n d 3. dem Cytoplasma der drogl~amethode naeh ltoR-

Glioeytensyndesmie als iibertragendes Element. ~aA. (Einer Arbeit yon DE CAS~O entnommen.)

Interessanterweise konnten nE CASTRO und BULLON aufzeigen, dab eine einzige praganglion/~re Faser mit Hilfe von Kollateralen samtliehe Nervenzellen eines Ganglions des ACERBAC~- sehen Plexus zu innervieren vermag, indem sie mehrere umsehriebene netzf6rmige Endigungen bildet, yon denen eine jede far mehrere Ganglienzellen besgimmt ist.

An der Synapsenstelle verl/~uft die intraganglion/ire Ver/istelung der pr/iganglion/~ren Faser in dem Cytoplasma einer Glioeytensyndesmie, die dem KSrper und den Dendriten der postganglion/~ren Nervenzelle

2*

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unmittelbar benachbart liegt. Demnach beschr/inkt sich die Synapse nicht auf die Stelle der knopf- oder meniscusfSrmigen Endigung, sondern entspricht vielmehr in ihrer Ausdehnung dem Abschnitt der pr~ganglio- n~ren Faser, der im Ganglion das Cytoplasma der Gliocytensyndesmie durchl/~uft und in der Norm einen diffusen Charakter aufweist. Wenn auch die pr~ganglion~ren Fasern in ihrem Endgcbiet einen netzfSrmigen Bau annehmen kSnnen, so gehen sie doch keine gemeinsame Netzbildung ein, wie aus dem Ergebnis der experimentellen Durcbschneidung der Rami comm. albi hervorgeht, wobei sich eine unabh~tngige Degeneration ergibt. DaB die Gliocytensyndesmie de facto als trophische Schranke fungiert, ist daraus ersichtlich, daft auf die Durchschneidung der prK- ganglion~ren Nervenfaser nur der End abschnitt der pr/~ganglion/iren Faser der Degeneration anheimfi~llt, w/ihrend sich die Ganglienzelle selbst in keiner Weise ver/indert. Bekanntlich unterscheiden sich die ein- zelnen Ganglienzellen der paravertebralen und intramuralen Ganglien in ihrer Gr61~e deutlich voneinander, w~hrend die GrSBenunterschiede in den pr~vertebralen, Kopf- und visceralen Ganglien weniger deutlich sind. So ]assen sich nach I)E CASTRO in den paravertebralen Ganglien des Mensehen drei Ganglienzelltypen unterschciden

1. grof3e Zellen mit einem Durchmesser yon 35--60 # 2. mittelgrofte Zellen mit einem Durchmesser yon 25--32 # 3. kleine Zellen mit einem Durchmesser yon 15--22 # Im Ganglion cerv. cram entfallen auf die groBen Zellen 27 ,1%, die

mittelgrol~en 50% und die kleinen Zellen 22,90/0 . Zu den Zellen des ersten Zelltyps z/ihlen die Ganglienzellen des Ggl. cerv. cram, welche den Dfla- tator pupfllae, den MO~L~Rschen Muskel und die Nickhaut innervieren, zu den des zweiten Typs, die Zellen, welche die Vasoconstrictoren und Pfloarectoren versorgen, w/ihrend die Funktion des dri t ten Typs bis dato noch unbekannt ist. Im Gegensatz zum Ggl. cerv. cran. setzen sich das Ggl. coeliacum, Ggl. mesentericum inf. u. a. pr~vertebrale Ganglien aus nur einem einzigen Zelltyp mittlerer Gr51~e zusammen.

Entspreehend dem Aufbau der vegetativen Ganglien aus Zellen gle~- cher und verschiedener Gr6Be kOnnen sich auch ihre zufiihrenden prK- ganglion~ren Fasern, deren Faserzahl nngef~hr gleich ist, aus Fasern gleichen (isomorpher Fasertyp) wie auch verschiedenen Durchmessers (heteromorpher Fasertyp) aufbauen. So enth~lt nach DE CASTRO der Halsgrenzstrang Fasern mit einem Durchmesser

1. yon 5--6,5 #, 2. yon 3--4,5 #, 3. yon 1,5--2,5 !t, wobei ein direktes Verh~ltnis zwischen Leitungsgeschwindigkeit und Durchmesser besteht, d. h. je grSfter der Durchmesser, desto gr61~er die Leitungsgeschwindigkeit. Each D~ CASTRO trifft jedoch die Annahme nicht zu, daft etwa die dicksten pr~ganglion~ren Fasern zu den grSftten Ganglienzellen des Ggl. cerv. cran. usw. verlaufen, sondern as zieht jede

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Faser zu den drei Zelltypen; naturgem~13 mug sieh aber die ZellgrSge dahingehend auswirken, dab die gr6Bten Zellen, da sic aueh fiber die grSl3te Oberfl~ehe verftigen, eine grSl~ere Anzahl yon Synapsen eingehen k6nnen als die kleineren Zellen.

Die Reinnervierung eines vegetativen Ganglions nach vorheriger Durehsehneidnng seines pr~ganglion/iren Nerven dutch diesen alten Nerven wird nach BOEI~E als homogene Regeneration bezeiehnet, w~hrend man, wenn an Stelle des pr/iganglion/~ren Nerven ein anderer vegetativer oder cerebrospinaler Nerv zur Reinnervierung genommen wird, yon hetero- gener Regeneration sprieht. Die auswachsende, junge Nervenfaser folgt beim Auswaehsen der Leitung des Cytoplasmas der Glioeytensyndesmie und den Dendriten der Ganglienzelle. Heterogene Regeneration zwischen dem zentrMen Stnmpf des Vagusstammes am Hals und dem peripheren Halssympathieus, zwisehen dem zentralen Stumpf des Hypoglossus und dem peripheren Antefl des Halssympthieus und zwisehen dem zentrMen Antefl des Vagus und dem peripheren Halssympathicus wurden, wie sehon erw/ihnt, yon DE CASTRO mit Erfolg ausgeffihrt. Dabei kam es abet nieht nur zu einem Auswachsen der nengebfldeten Fasern im Cyto- plasma der Glioeytensyndesmie mit Bildnng von Endkn6pfen und End- sehlingen, die hs in der Nghe eines Glioeytenkernes gelegen sind, sondern bei heterogener Regeneration mit dem Hypoglossus t reten die vom Ggl. eerv. eran. innervierten und gel~hmten Organe und Gewebe im Augenbliek des Kauaktes oder Trinkens yon Fliissigkeit in T/itigkeit und man beobaehtet einen erhShten Tonus in den Geweben und Organen, die vom Ggl. eerv. eran. innerviert werden. Wird an Stelle des Hypo- glossus der Vagus verwandt, so unterseheiden sieh wegen des hetero- morphen Baues dieses Nerven die Fasern die zu dem Ggl. eerv. eran. ver- lanfen dutch die I-I~ufigkeit und ihren versehiedenen Entladungsrhyth- mus, was den physiologisehen Verh~ltnissen dieses paravertebralen Ganglions entsprieht. Damit erweist sieh das Ggl. eerv. eran., welches, wie bereits gesagt, drei versehiedene Zelltypen enth~lt, als ein peripheres Zentrum des vegetativen Systems, das Iml)ulse zu koordiniere,~ vermag. Zum Untersehied davon sind das Ggl. eoeliaeum und mesenter, inf. Zentren der Verteilung der Impulse, in welchen keine Inhibitionsph~no- mene im Falle zweier bedingter I~eize naehgewiesen werden konnten.

Einigen vegetativen Erfolgsorganen wie vor allem dem Herzen kommt noch die besondere F~higkeit zu, rhythmisehe Kontraktionen auszu- fiihren und zwar auch noeh naeh Durehsehneidung s~Lmtlicher extra- eardiMer Nerven. Daher war es naheliegend, ftir diese rhythmischen Kontraktionen des s~Lmtlieher zufiihrender Nerven beraubten Herzens die in der Herzwand selbst gelegenen Ganglienzellen und Nervenplexus verantwortlich zu machen, die, wie sehon erw/ihnt, als intramurales oder Organ-Nervensystem yon dem zentralen und peripheren vegetativen

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~Vervensystem als dritte Komponente abgegrenzt wurden. Demnach um- faBt die Hierarchic des gesamten vegetativen Nervensystems die bereits erw~hnten drei iibereinanderliegenden Hauptstationen, yon denen das zentrale vegetative Nervensystem, dessen Unterteilung in drei Unter- abschnitte bereits angeffihrt wurde, auf das hSchste Niveau zu liegen kommt, w~hrend auf das n~ehst tie/ere das periphere vegetative Nervensystem, das die Rami comm., die paravertebralen, prgvertebralen und visceralen Ganglienknoten und Nervenplexus umfaSt, und auf dem tie/sten Niveau das intramurale oder Organnervensystem, das sich aus den in den Wan- dungen der Erfolgsorgane lokalisierten Ganglienzellen und Nervennetzen aufbaut, zu liegen kommen.

Von der verschiedenen Funktion der vegetativen G~nglien, die sich darin manifestiert, daS die paravertebralen Ganglien, wie z. B. das Ggl. cerv. cran., als periphere Koordinatoreu zu fungieren vermSgen, w~hrend die pri~vertebralen Ganglien den Wirkungsbereieh der pr~ganglioniiren Ner- ven/aser nieht unwesentlich vergrSfiern k6nnen, war schon die l~ede. Des- gleichen wurde bereits betont, dab die im Glomus caroticum bzw. im Sinus caroticus und Arcus aortae verankerten Baro- und Chemoreeeptoren nicht als Nervenendapparate oder rudiment~ire Ganglienzellen anzusprechen sind, sondern als ein zwischen den] l~eizelement und der Nervenfaser ein- geschaltetes besonderes Element der Reizfibertr~gung fungieren.

Die Bedeutung der peripheren vegetativen Ganglien sowohl ffir die peripheren veget~tiven Nerven wie flit die zugehSrigen Erfolgsorgane aufzudecken war das Zie] einer grSBeren Reihe yon Ausschaltungsexperi- menten. Aus diesen geht zun~chst hervor, dab die peripheren vegetativen Ganglienzellknoten reflektorische Erregbarkeit besitzen, wozu jedoch die pr/~vertebralen Ganglien den Wirkungsbereich der pr/~gangliongren Nervenfasern nicht unwesentlich zu vergrSgern vermSgen, w/~hrend die paravertebralen Ganglien sogar die Bezeichnung eines peripherenKoordi- nationszentrums verdienen.

Vegetative receptorische Nervenendorgane. In aller Kfirze mug an dieser Stelle wenigstens noch auf die zwar

~ugerlich nur kleinen und unscheinbaren, funktionell daffir aber um so wichtigeren Glomusorgane eingegangen werden, die zahlreicher in der Haut der Finger- und Zehennagelbetten, in den Volarfurchen der End- phalangen, in den Knie- und Ellenbogengelenken und schlieBlich noch in der Ohrlgppchenhaut angetroffen werden. Wie bei der Betrachtung der Abb. 7, die eine yon MAsso~ stammende schematische Skizze eines Glo- musorgans darstellt, ohne weiteres erkenntlich ist, mug bei Kontraktion dieses widerhornfSrmigen zwischen Arteriole und Venole eingeschalteten Kngulchens das Arteriolenblut, um in den ven6sen Gefi~Babschnitt zu gelangen, seinen Weg durch das Capillarnetz der t taut nehmen. Urn-

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Abfiihrender Venenast des

Capillarnetzes

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gekehrt aber kann bei Erschlaffung oder der damit verbundenen 0ffnung des Glomusorgans das Blur unter Umgehung dos Capillarnetzes der Haut yon der Arteriole direkt in die Venole gelangen. Dazu l~tBt die Abb. 7 den groBen t~eiehtum des Glomusorgans an Nervenfasern erkennen, die in einem dichten, sich sowohl aus marklosen vegetativen Nervenfasern des periarteriellenNervennetzes, wie aus markhaltigen sensiblen, aus dem nervSsen Hautplexus stammenden Nervenfasern aufbauenden Nerven- plexus das Glomusorgan umgeben. In den Maschen dieses feinen Nerven- netzes eingestreut liegen vegetative Ganglienzellen umgeben yon ihren Kapselzellen, auch Gliocyten genannt. Diese mit einer sehr guten Sen- sibilit~t und entsprechender Muskulatur ausgestatteten Glomusorgane

Epidermis

- - - __ ~ e d i a

Venen ~176 ~ Arterie

Abb. 7. Einfaehes Olomusorgan einer Fingerbeere in Kontrak~ion nach ~L~ssON.

verm5gen naturgem~B einen sehr groBen und vor allem rasch ein- setzenden EinfluB auf die Hautdurchblutung auszufiben, indem sie einerseits das Blur auffangen, andererseits es durch die Capillaren passie- ren lassen. Bei 0ffnung des Glomus entleert sich das Blur, wie bereits erw~hnt, durch diesen direkt yon der Arteriole in die Venole, was sich in einer B1/~sse des betreffenden Hautgebietes manifestiert. GrSBer als auf den Blutdruck ist der EinfluB des Glomusorgans auf die Thermoregula- tion, denn bei 0ffnung des Glomus sinkt die tIautdurehblutung ab, und es wird auf diese Weise KSrperw~rme zuriiekgehalten, w~hrend um- gekehrt bei seiner Kontraktion und besonders natiirlich bei seinem Ab- schluB die Hautdurehblutung zunimmt, was sieh in RStung und An- steigen der Hauttemperatur in dem betreffenden Hautgebiet dokumen- tiert. Das Ansteigen der Hauttemperatur geht wiederum zwangsl~ufig mit vermehrter Wiirmeabgabe einher, die ein Absinken der K6rper- temperatur zur Folge haben muB. Je mehr die Umgebungstemperatur absinkt, um so mehr nimmt der Kontraktionsgrad der Hautgef/~Be zu, um dem gesteigerten Wi~rmeverlust des 0rganismus auf diese Weise

Lockeres Bindegewebe

Arterole mi t Gef~it]nerven

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eine Sehranke entgegenzusetzen. Im Gegensatz zur Hauttemperatur von K6rperstamm and Stirn sowie der proximMen Extremit~tenabsehnitte, die im wesentliehen mit der K6rperirmentemperatur parallel verl~uft, reagiert die IIauttemperatur der Finger- und Zehenbeeren sehnell und ausgiebig auf jede Anderung der Umgebungstemperatur, indem sie sehon innerhalb yon 10 see um einen Grad absinkt. Diese so prompte und inten- sive Reaktion der tIauttemperatur an den Extremit~tenenden auf jede Anderung der Umgebungstemperatur wird vor allem dutch die ange- ffihrten am Ursprung des tIauteapillarnetzes zwisehen Arteriolen and Venolen eingesehalteten und widerhornartig gewundenen Anastomosen, die Glomusorgane, gew~hrleistet, die bekanntlieh lokalisatoriseh die Extremit~tenenden bevorzugen. Infolge ihrer ausgezeiehneten Inner- ration wie guten Kontraktionsf/~higkeit vermSgen die Glomusorgane bei seelisehen Erregungen, vor Mlem aber bei einem plStzlieh einsetzenden stark passageren Hypertonus, eine grol~e Blutmenge raseh abzuleiten und auf diese Weise die sehr empfindliehen sensiblen Nervenendplexus der I-Iaut vor den mit starken Blutdrueksehwankungen einhergehenden intensiven Reizen zu sehiitzen.

Ganz allgemein gesagt, laufen die peripheren vegetativen t~egula- tionen so nahe ihrem Erfolgsorgan ab, wie es die betreffende spezielle Regulation nur irgendwie zul~fit, l)ementspreehend wird die auf eine lokal mSgliehst kleine K~tlteapplikation einsetzende Vasokbnstriktion ebenso wie die bei Muskelarbeit erfolgende Vasodflatation yon den in den Wandungen der betreffenden Arterien verankerten Regulationsorganen gew~hrleistet. Im erstangeffihrten Falle setzt die Kglteeinwirkung zun/~ehst die vasalen Reeeptionsorgane in Erregung, yon welehen dann diese in den nervSsen Grundplexus und yon dort fiber das periterminale bzw. ter- minMe Netzwerk zu dem Erfolgsorgan, den Vasoeonstrietoren, gelangt, die ihrerseits mit Kontraktion reagieren, die eine Gef~gverengung be- dingt. Umgekehrt haben bei Muskelarbeit entstehende ehemisehe Stoffe eine Erregung derjenigen vasMen Rezeptionsorgane zur Folge, die wahr- seheinlieh den im vegetativen Endplexus herrsehenden Tonus herab- setzen, wodureh sie infolge tIemmung des Vasoeonstrietorentonus eine Gef~flerweiterung verursaehen. Im Gegensatz zu der I{Stung des vom i~eiz direkt getroffenen Hautareals soll aber das bei intensiveren t~eizen in der Umgebung desselben auftretende l~eflexerythem im allgemeinen ausbleiben, wenn die zugehSrigen I~fiekenmarkssegmente zerst6rt sind. Demnaeh kommt ffir die auf intensive Hautreize einsetzende Vasodfla- ration neben dem direkten aueh ein indirekter, fiber das Rtiekenmark gehender l~bertragungsmeehanismus in Frage. Wie jedoeh O. FO~RST~ aufgezeigt hat, kann in Ausnahmef~llen sowohl ein auf meehanisehe wie ehemisehe l~eize hin einsetzendes und weitere tIautareale umfassendes Reflexerythem naeh ZerstSrung der entspreehenden Rfiekenmarks-

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segmente und aueh nach vorliegender Deafferentierung und Deefferentie- rung der betreffenden Hautareale auftreten, woraus folgt, dag in Aus- nahmefiillen das l%eflexerythem aueh durch nervSse Eigengefleehte der Gefs vermittelt warden kann. W~hrend die Abkiihlung eines Haut- areals aueh naeh Zerst6rung des Rtiekenmarkes in dem segmental zu- geh6rigen Darmabsehnitt eine deutliche Vasokonstriktion zur Folge hat, beobaehtet man auf ErwS, rmung des gleiehen Hautgebietes keine ent-

Abb. 8 a. Traubenf/Srmige epilemnale Nervenendigung sympathischen Ursprungs auf quergestreiften Muskelfasern der Mm. lumbricales der Katze nach AGDUHR.

sprechende Vasodflatation auf der Serosa des segmental entspreehenden Diinndarmabsehnittes, woraus hervorgeht, dab sich dieser sensorovis- eeralvasoeonstrictorische Effekt von dem sensoro-visceraldilatatorischen hinsichtlich seines Erregungsablaufes unterscheiden mug und letzterer als ein rein intraspinaler Reflex anzusprechen ist. Der vasoconstrietori- sehe Reflex auf die gleiche oder andere untere Extremit~t erfordert f/Jr seine Vermittlung eine noah hShere Stufe im Zentralnervensystem, n/~m- lich die Oblongata.

In ungefi~hr dem gleichen Niveau des Zentralorgans dtirften die zen- tralen t{egulationsmeehanismen des Kreislaufes verankert sein, deren ausgedehnte und verwiekelt gebaute i%eeeptoren in den baro- und ehe- mosensiblen Gef~gabschnitten des Abb. 8b. Entbfindelungsretieulum einer sym-

pathischen Nervenfaser innerhalb der Kapsel Bulbus earotieus und Areus aortae z u eitter 1V[uskelspindel der Kat;ze nach AGDUHR.

suehen sind. In diesem Zusammen- hang mug aber wenigstens noch der epilemnal gelegenen, feinen trauben- f6rmigen Rezeptionsorgane und der sieh innerhalb der Kapsel der Muskel- spindeln ausbreitenden Entbiindelungsretieula gedaeht werden (s. Abb. 8a u. b). Diese bleiben im Gegensatz zn den degenerierten cerebrospinalen Nervenendapparaten der Muskelspindeln erhalten, wenn der Spinalnerv distal yon dam betreffenden Spinalganglion, jedoeh zentral yon dem Ab- gang der Rami comm. durehsehnitten worden ist. Hieraus ergibt sieh, dab

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die traubenfSrmigen Receptoren sowie die Entbiindelungsreticula ihr tro- phisches Zentrum nicht wie die degenerierten cerebrospinalen Muskel- spindeln im Spinalganglion, sondern in dem betreffenden Grenzstrang- ganglion haben, d.h. mit anderen Worten afferenter vegetativer Natur sind. Als vegetative Rezeptionsorgane fungieren schliel~lich auch noch die D3ndriten der mittelgroBen in der Substantia reticularis der Oblon- gata und des oberen Halsmarkes vorkommenden Ganglienzellen, die durch im Blur kreisende chemische Stoffe und durch mechanischen Druck erregt werden und dann sowohl l~ezeptions- wie Steuerungs- organe ffir die Gefggweite und die Herzschlagfolge darstellen.

Vegetative Nervenendorgane e//erenter Fasern. Der wesentlichste Fortschritt, dcr durch die ausgezeichneten histo-

logischen Untersuchungen von BOEKE und STSHR erzielt wurde, diirfte die Erkenntnis sein, dag der gesamte Organismus yon einem feinsten nervSsen Reticulum durchwoben ist, das keine Zelle durchl~gt und auf diese Weise jede der unz~hligen KSrperzellen der nervSsen Steuerung unterwirft. Kaum weniger bedeutungsvoll jedoch dLirfte die Feststelhng sein, dab sich dieses Endnetz gleichm~gig sowohl auf Gefgge wie auf Organe und KSrpergewebe ausdehnt und so eine Trennung yon Gef~g- und Organ- bzw. Gewebsinnervation so gut wie vSllig ausschlieBt. In diesem Zu- sammenhang wird auch die Beobachtung verst~ndlich, dab die Erregung des craniosacralen Anteiles des vegetativen Nervensystems eine Kon- traktion s~mtlicher glatter Muskeln zur Folge hat, ausgenommen jedoch die Gefgl~muskulatur. Wfirde n~mlich die Erregung des N. Vagus eine Kontraktion der Muskulatur sowohl des Magen-Darmtraktes wie der Gef~ge bedingen, so wiirden die t~tigen glatten Muskeln des Magen- darmes schlechter als in der Ruhe durchblutet werden, was zumindestens eine schwere Sch~digung, wenn nicht die Nekrose der Muskelfasern zur Folge h~tte. H~lt man sich die Unentbehrlichkeit des Sauerstoffes ftir den Zellstoffwechsel vor Augen, so wird es ohnc weiteres verst~ndlich, dal] die Zufuhr eines so lebenswichtigen Stoffes von einer zentralnervSsen Steuerung weitgehend unabhgngig sein mug, und in der Tat kontrahieren sich auch jeglicher Innervation beraubte Blutgefs nicht nur auf lokale mechanische und thermische Reize, sondern auch aus Adrenalin- applikation und erweitern sich umgekehrt bei Kohlensaureeinwirkung. Desgleichen gewinnt ein denerviertes Gefi~g n~ch einer gewissen Zeit- spanne seinen ihm eigenen Tonus wieder. Wie ganz allgemein fiir s~mt- liehe vegetativen Fasern, so gilt auch fiir die Vasomotoren, dad sich deren l~eizerscheinungen viel deutlicher als deren Ausf~llserscheinungen mani- festieren. Auf3erdem zeigen vSllig denervierte GefgBe oder sogar auch nur Gefagstiicke in vitro ohne jegliche I~eizung langsame rhythmisehe Bewegungen, die eine gewisse Xhnlichkeit mit peristaltischen Darm-

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bewegungen erkennen lassen. Eine doppelseitige lumbale Sympathico- tomie erzeugt in den beiden unteren Extremit/~ten sogar eine derartige Dilatation, dab sieh eine Resektion der Aorta an der Abgangsstelle beider Aa. iliacae durchfiihren l~13t, ohne dab die iibliche Gangr/~n in Er- scheinung trit t . Bei I~eizung der Sympathicusfaser kontrahieren sich auch die Venen des zugeh6rigen K6rperabschnittes. Dagegen konnte ein sicherer Beweis dafiir, dab der Sympathicus einen EinfluB auf die Ca- pillarweite auszuiiben vermag, bis dato wenigstens ffir den Menschen nieht erbracht werden. Wie bereits angefiihrt, reagieren die ttautgef/~13e auf meehanische Reize wie Druek, kr/~ftiges Streichen usw. mit Xnderun- t en ihrer Weite, die mehr oder minder lange bestehen bleiben k6nnen, weshalb eine mit einem gewissen Druek auf die t t au t gesehriebene Zahl eine gewisse Zeit sichtbar bleibt, was als Hautschrift oder Dermographis- mus bezeiehnet wird. Demnach stellt der Dermographismus eine direkte lokale Vasomotorenreaktion dar und ist nicht an ein nerv6ses Substrat gebunden. Der Dermographismns kann sich in Form der weil3en Lokal- reaktion oder Dermographismus albus, der roten Lokalreak~ion oder Dermographismus ruber und schlie$1ich der oedemat6sen Lokalreaktion oder Dermographismns elevatus/~uBern.

Im Gegensatz zu der peripheren cerebrospinalen Faser kommt der peripheren vegetativen Nervenfaser eine wesen~lieh 1/~ngere Reizleitungs- zei~ zu. AuBerdem soll die periphere vegetative Nervenfaser nach Mei- nung mancher Autoren unter bestimm~en Bedingungen auch als P~eflex- organ fungieren k6nnen. I)abei sol1 zun~tehst der Reiz in dem afferenten Axonschenkel bis zu einer Teilungsstelle des Nerven verlaufen, um sich dann dort des abgehenden Nervenastes als efferenten Axonschenkels zu bedienen und in diesem zu den benachbarten Erfolgsorganen, z .B. zu den Vasodflatatoren der benachbarten Hautgef~ge, zu gelangen. In diesem Zusammenhang verdieng auch die Beziehung zwischen Haut und Viscera Erw~hnung. So bedingt die umschriebene Erw~rmung eines be- stimmten I-Iautareals in dem segmental zugeh6rigen Dtinndarmabschnitt Vasoditatation, ebenso wie eine ausgedehnte Abkiihlung in den ent- sprechenden Diinndarmabsehnitten Vasokonstriktion zur Folge hat. In gleicher Weise wie sich das Verhalten des quergestreiften 3~Iuskels nach der supranuele/iren und nucle~ren oder peripheren L/ision des ihn inner- vierenden Nerven wesentlich unterscheidet, zeigt auch das vegetative Erfolgsorgan nach der pri~- und postganglion/iren Sch~digung des zu ihm geh6rigen peripheren sympathischen Nerven ein vSllig verschiedenes Verhalten gegeniiber Adrenalin. So sprichg ein sympathisch vSllig deeffe- rentiertes vegetatives Erfolgsorgan im Gegensatz zu einem vegeta~iven Erfolgsorgan, dessen postganglion/ires Neuron erhalten ist, nicht nur auf Adrenalin an, sondern es reagiert schon auf die geringste Adrenalin- menge mig einer augergew6hnlich starken Intensit/~t, woraus sich der

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ungenfigende Erfolg der postgangliongren Sympathicusdurchschneidung bei Morbus I~Au oder sonstigen Angiospasmen ergibt. Auf die im Gegensatz zum cerebrospinalen Nervensystem weitgehende Unabhgngig- keit des vegetativen Erfolgsorganes yon seinem Innervator soll nur kurz hingewiesen werden. Von Wichtigkeit sind aber in diesem Zusammenhang noch gewisse allgemeine Unterschiede, welche in der Innervationsweise versehiedener vegetativer Erfolgsorgane bestehen. So wird das Spiel der Pupillen dutch zwei antagonistisch wirkende ~[uskeln, den Pupillen- erweiterer und Verengerer, yon welchen der erstere dem Halsgrenzstrang, der letztere dem parasympathischen Oculomotoriusanteil untersteht, gewghrleiste~. Demgegeniiber beruht das Spiel der Gefgl~verengerer und Erweiterer im Bereiche des Verdauungsstractus auf der rein abgestuften Einstelhng des Sympathieustonus, d. h. ~uf dem Innervationsgrad der Nervi splanchnici, wghrend der Vagus~onus dabei keine wesentliche t~olle spielt. Umgekehr~ wird jedoch die Regulation der Herzgefgl~weite im wesentlichen dutch den Vagustonus gewghrleistet. 8chlieBlieh wird abet die Leistung funktionell gleichartiger Erfolgsorgane noch dureh die be- sondere Struktur des jeweiligen Erfolgsorganes bestimmt. So kommt den Blutgefgl~en yon Magen-~)arm im Verhgltnis zu den Gefg[ten des Ge- hirnes, Herzens, der Muskulatur usw. eine wesentlich stgrker entwickelte Muskularis zu, weshalb es infolge der im Momen~e der Gefahr, des An- griffes usw. einsetzenden Adrenalinausschfittung zu einer Versehiebung des Blutes aus dem t~eservoir des Spl~nchnicusgebietes in die Muskulatur des Herzens, Gehirns usw. kommt, woes auch in diesem Augenblick be- sonders notwendig ist. I)abei erhalten die tgtigen quergestrefften Mus- keln, die unter den obwaltenden Verhgltnissen bei ihrer Aktivitgt am meisten Blur ben~tigen, dadurch mehr Blur, dab die Blutgefgl]e des tgtigen quergestreiften Muskels auf Adrenalin nicht mit einer Kontraktion reagieren. Ein kardinaler Unterschied zwischen der efferenten eerebro- spinalen und veget~tiven Innervation manifestiert sich in der zweifachen, hgufig sogar antagonistischen Innervation des vegetativen Erfolgsorganes durch Sympathieus und Parasympathicus, die bekanntlich gewissen rhythmisehen Sehwankungen unterliegt, yon welehen nur auf den 24 Std-l~hythmus mit ~berwiegen des Sympathieus am Tage und des Parasympathicus bei N~cht hingewiesen werden soll. Wie neuere Unter- suehungen klarlegten, greffen, wie bereits angedeutet, die nerv~sen vege- tativen Reize nieht direkt an dem vegetativen Erfolgsorgan selbst an, sondern es fungieren ehemisehe Substanzen, ngmlieh Aeetyleholin, Sym- pathin und vielleieht auch noeh Histamin als Zwisehentr~tger, weshalb man an Stelle yon Sympathieus und Parasympathieus aueh yon einem cholin- und adrenergischen Nervensystem sprioht. AuBer durch den nerv~sen I~eiz und das jeweflige hormonale Milieu wird der t~eizeffek~ des vegetativen Erfolgsorganes noeh yon der Ionenver~eilung in seiner

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Umgebung bestimmt. So wirkt im Sinne eines sympathischen Reizes eine relative Zunahme der Calciumionen, w/~hrend umgekehrt eine relative Zu- nahme von Kaliumionen einen nervSsen parasympathischen Reiz gleich- zusetzen ist. Dabei kann ebenso wie Atropin die Wirkung eines parasym- pathischen Reizes und yon Acetylcholin, das Ergotamin die Wirkung eines sympathischen Reizes und von Sympathin hemmen, w~hrend aber die Wirkung der Calcium- und Kaliumionenanreicherung in keiner Weise be- einfluBt wird. Hieraus ergibt sich, dab die Angriffsstelle der Ionen zentr~ler im Zellgeschehen verankert sein muB ~ls jene des nervSsen und hormo- nalen Reizes. SchlieI]lich beeinflussen auch noch Vitamine den Reizeffekt eines vegetativen Erfolgsorganes, und zwar in der Richtung, dab Cebion sympathicomimetisch, Vitamin ]31 parasympathicomimetisch wirkt.

Aber nicht nur den angeffihrten hormonalen, ionalen und vitamin~len Einfliissen ist der nervSse Reizeffekt eines vegetativen Erfolgsorganes unterworfen, aueh der Zustand des Erfolgsorganes im Moment der Reiz- einwirkung ist fiir den l~eizerfolg yon wesentlicher Bedeutung. So rea- giert eine nicht gravide Katze auf eine I~eizung des Nervus hypogastrieus mit einer Erschlaffung ihrer Uterusmuskulatur, w/ihrend die in jeder Hinsicht gleiche Reizung bei einem graviden Tiere zu einer geradezu entgegengesetzten Wirkung, n~mlich zu einer intensiven Kontraktion ihrer Uterusmusknlatur ffihrt.. Sehliel]lieh erweist sieh aueh noch der jeweilige Funktionszustand des Erfolgsorganes yon ausschI~ggebender Bedeutung fiir den Ausfall des Reizerfolges, indem die Reizung des ab- dominellen Vagusanteiles bei ge6ffnetem Pylorus dessen SchluB, bei geschlossenem dagegen geradezu umgekehrt dessen 0ffnung bedingt. Wenn auch jeder sensible Nerv als afferenter Schenkel eines vegetativen Reflexes zu fungieren vermag, so sind auf Grund der vorliegenden Reiz- und Aussehaltungsexperimente mit Recht doch einzig und allein nur der Nervus HgRr~G und Cu als rein vegetative afferente Nerven an- zusprechen. Nach ttSu sollen auf einem experimentellen elek- trischen wie auch physiologisehen, durch DruckerhShung innerhalb des Sinus carotieus erzeug~en Reiz hin Blutdrucksenkung und Bradykardie erfolgen. Zum Naehweis der reflektorisehen Natur dieser Bradykardie liefi H]~u einen Hundekopf, der mit seinem eigenen KSrper nur dureh die Nn. vagi in Verbindung stand, yon einem anderen Itundek5r- per durchbluten. Bei dieser Versuchsanordnung erzeugte eine arterielle BlutdruckerhShung im KSrper des Blutspenderhundes keinerlei An- zeichen einer Bradykardie, w/~hrend sich dagegen auf die Blutdruek- erhShung in dem zu dem durchbluteten Kopf gehSrigen HundekSrper eine deutliehe Bradykardie eins~ellte, die, wie zu erwarten, auf Dureh- trennung der beiden Nervi vagi wieder sistierte. Hiernaeh dfirfte an der Reflexnatur dieser Bradykardie kein Zweffel mehr bestehen. W/ihrend die Denervierung des Sinus caroticus die auf mechanische und elektrisehe

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Reize erfolgenden t~eaktionen zum Sistieren bringt, hebt dagegen die isolierte Ausschaltung des Glomus caroticum nur die dutch chemisehe Reize hervorgerufenen Effekte aufi Im Gegensatz zu der Ausschaltung s~mtlicher afferenter Nerven von HEI~ING und CYo~-, die einen arteriellen Dauerhochdruck zur Folge hut, sell sehon ein einziger der 4 Nerven gentigen, um den arteriellen Normaldruek zu sichern.

Die t~eizung sympathischer Fasern hat in gleicher Weise wie eine Kontrakt ion der glatten Gefgf~musl~eln eine solche der Hautmuskeln, d .h . der Pilomotoren, der Museularis areolaris mamillaris, der Tuniea dartos usw. zur Folge. Jeder intensivere, irgendeine Hautstelle treffende Reiz kann eine rasch einsetzende, lokale Pilomotorenreaktion hervor- rufen, die sich gew6hnlieh streng auf das gereizte Hautareal beschr~nkt und ungefs ~ rain anh~lt. Diese rein lokale Piloarektion kommt aueh dann noch zustande, wenn die das betreffende Hautgebiet innervieren. den Nervenfasern unterbrochen sind, und diirfte demnach nicht an einen nerv6s reflektorisehen Vorgang gebunden sein, sondern auf einer direkten Erregung der Haarbalgmuskeln oder der in ihnen gelegenen Nervenplexus beruhen. In der neurologiscben Lokaldiagnostik spielt jedoch nicht diese lokale Pilomotorenreaktion eine wichtige Rolle, son- dern vielmehr der Pilomotorenreflex, der dutch in bestimmten Haut- arealen gesetzte Reize ausgel5st wird und in einer sieh wellenfSrmig nach oral und caudal auf den gesamten KSrper ausbreitenden Piloarektion besteht. Der encephale Pilomotorenreflex yon A. THo~A ]~Ll3t sich durch einen auf den Trapeziuswulst ausgefbten Druek oder dureh faradische oder meehanisehe l~eizung des Nackenfeldes sowie durch eine KAlte- app]ikation ebendort erzielen, die veto Arm auf den Rumpf, die Lenden- gegend, den Oberschenke] und sehliel~lieh auch den Unterschenkel fiber- greift. Der spinale Pilomotorenreflex l~l~t sich durch die gleiehartigen, aber in der Lendengegend gesetzten Reize erzeugen und manifestiert sieh in einer diffusen wellenfSrmig oralw~rts fortsehreitenden Pfloarektion. Zu betonen w~re noch, da ] der Pilomotorenreflex stets streng einseitig bleibt. Bei st~rkerer Seh~digung peripherer Nervenst~mme kommt es stets zu einem Ausfall des Pflomotorenreflexes in den dazugehSrigen Hautarealen und umgekehrt erweist sich der Pflomotorenreflex bei einer leiehteren mit Reizerseheinungen einhergehenden peripheren Nerven- l~sion gesteigert. Im Verlauf einer Nervenregeneration ist sein Auftreten eines der ersten Anzeichen fiir die Wiederkehr der nerv6sen Funktion. Die Existenz yon piloarektionshemmenden Fasern, die in ihrem Verlauf mit den Vasodilatatoren iibereinstimmen sollen, ist noeh keineswegs gesiehert.

Physiologie und Pathophysiologie des Schwitzens. Im allgemeinen werden 3 verschiedene Formen des Schwitzens unter-

schieden, n~mlich :

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1. Das thermoregulatorische Schwitzen der Homoiothermen, das im Dienste der AufrechterhMtung der fiir den betreffenden Organismns lebensnotwendigen K6rpertemperatur steht.

2. Das emotionelle Schwi~zen, das dureh seelische Erregungen vor allem durch Fureht ausgelSst wird.

3. Das Gesehmacksschwitzen (gustatory sweating), das unmittelbar mit dem Sehmeeken bestimmter wiirziger und saurer Spsisen oder yon Schokolade einsetzt.

W~hrend das thermoregulatorische und emotionelle Schwitzen, solange sie sich in bestimmten Grenzen halten, normale physiologisehe Reaktionen der SehweiBfasern darstellen, ist das Geschmacksschwitzenan Kopf und Gesieht als pathologische R, eaktionsform der SchweiBfasern anzusprechen.

Der wesen~liche Fortschritt in der Erforschung der nervSsen Sehweflt- sekretionsstSrungen, der im Lanfe der beiden letzten Jahrzehnte erzielt wurde, ist mit in erster Linie der M~No~schen Jodglycerine-St/irkepuder- me~hode zu verdanken, die erst eine wahrheitsgetreue photographische Darstellung der Intensitgt nnd Ausdehnung der schwitzenden bzw. schweil31osen KSrperabsehnitte und damit die Herstellung eines blei- benden Beweisdokumentes ermSglichte.

Bekanntlich ffhren die klinisch-physiologisehen Untersuchungen anf der einen und die pharmakodynamischen Prfifungen auf der anderen Seite im Hinblick auf die Innervation der Schweif]driisen geradezu zu widersprechenden nnd auch bis zum heutigen Tage noch nicht gekl/irten Ergebnissen. W/~hrend n/~mlich, wie zu erwarten, sowohl am Grenzstrang des Sympathicus angreifende Reize ausgesprochene Schwefl~sekretion her- vorrufen, wie umgekehrt Aussehaltungen der gleichen Grenzstrangab- schnitte zu einer umschriebenen Anhidrosis in den gleichen KSrperab- schnit~en fiihren, hat d~gegen Adrenalin so gut wie keine Schweil~sekretion zur Folge, und ebensowenig vermag Ergotamin die auf Sympathicusreiz erfolgende Schweil3sekretion zu unterbrechen. Geradezu umgekehrt fiihrt nicht das adrenomimetische Adrenalin, sondern das cholinomimetische Piloearpin zum Einse~zen einer Schweil3sekre~ion, die dementsprechend durch das eholinolytische Atropin unterbrochen werden kann. Demnaeh dokumentiert sich das Schwitzen auf Grund der Ergebnisse der am Grenz- 8trang ausge/iihrten Reiz- und Ausschaltungsoperation als Sympathicus- phdinomen, wahrend es sich auf Grund seines pharmakodynamischen Ver- Italtens geradezu umgekehrt als Parasympathicusphi~nomen manifestiert.

Einzig und allein beim Pferde sol] sich das Schwitzen auf Grund sowohl der am Grenzstrang ausgeffihrten Reiz- und Ausschaltungsexperimente wie a.uch seines pharmakodynamischen Verhaltens ~]s Sympha~icusph~nomen manifestieren.

Aus der grol3en Zahl yon Beobachtungen, d~l~ bei anatomisch sicher- gestellter Totalunterbrechung eines gemischten peripheren Nerven aus- nahmslos Anhidrosis in einem umsehriebenen Hautgebiet, das ungef~hr

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dem Ausbreitungsgebiet der Schmerzempfindung des betreffenden durch- trennten peripheren Nerven entsprieht, und zugleieh eine mehr oder minder deutliehe Hypohidrosis in dem Gebiet auftreten, in dem Ther- manasthesie besteht, lggt sieh mit I~eeht der Sehlul3 ziehen, dab die SehweiBfasern in ihrem peripheren Abschnitt mit dem gemischten peripheren Nerven nnd, wie spi~ter noeh n~her aufgezeigt wird, speziell mit dessen sensiblem Antefl zu ihren Erfolgsorganen, den Schweig- drfisen, gelangen. Lediglieh w~hrend eines kurzen, sieh an die akute Nervendurehtrennung unmittelbar anschliegenden und starken indi- viduellen Sehwankungen unterworfenen ZeitintervMls l~gt sieh dutch lokale meehanisehe, thermisehe und elektrisehe l~eize oder dureh parenterale Zufuhr yon 0,015 Piloearpin noeh ein I~est yon SehweiB- sekretion in diesem AreM erzielen. Abet aueh diese nut sparliche, initiMe Schweigbildung auf direkte geize sistiert naeh der totMen Deefferentierung der Sehweigdrfisen ausnahmslos bald vSllig.

Bei isolierter Entfernung yon Grenzstrangga@ien oder naeh Dureh- sehneidung von l~ami communicantes grisei, d.h. bei isolierter sym- pathischer Deefferentierung der Schweil~drfisen kommt zwar die hypo: thalamogene, ira Dienste der Thermoregulation des Gesamtorganismus stehende SehweiBsekretion g]eichfalls v611ig oder nahezu vS]lig in Wegfall, w~hrend aber im Gegensatz zu dieser die auf intramuskul~re Injektion yon 0,015 Piloearpin erfolgende Sehweigsekretion erhalten bleibt. Aus diesem VerhMten der sympathiseh deefferentierten Sehweigdrfisen ergibt sieh, dab die Nervenfasern ffir die im Dienste der Thermoregulation des Gesumtorganismus stehende, hypothalamisehe SehweiBsekretion ihren Weg fiber den Grenzstrang des Sympathieus nehmen, wiihrend die auf das parasympathieomimetisehe Pharmakon, Pilocarpin, einsetzende Sehweigsekretion und damit auch die parasympathisehe Innervation der SchweiBdrfisen erhalten bleibt. Nieht ang~ngig ist es jedoeh diese hypo- thalamogene, auf heigen Lindenblfitentee, Aspirin und Liehtkasten einsetzende SehweiBsekretion als sympathiseh anzuspreehen. Der bereits erwi~hnte gemeinsame periphere Verlauf von Sehweig- und sensiblen Fasern wird nahegelegt dutch das Vorkommen yon ttypohidrosis einzig und allein bei solchen partiellen L~sionen gemischter peripherer Nerven, bei denen sieh, wenn aueh nur leiehte Sensibilit~tsstSrungen naehweisen l~ssen, doch niemals bei rein motorisehen L~hmungen. Beweisender noeh ist die Wiederkehr der Sehweigsekretion im Verlauf der I~egeneration naeh gelungener Nervennaht, indem erst dann wieder eine normale SehweiBsekretion naehweisbar ist, wenn sich aueh die Sensibflit/~t ffir s~mt.liehe Empfindungsqualit~ten wieder eingestellt hat. Das gleiehe sell ffir transplantierte Hautlappen zutreffen. Wie Ms erster O. FOE~STEe festgestellt hat, fgllt die erste SehweiBbildung mit dem Wiederauftreten der Sehmerzempfindung zusammen.

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Gew6hnlieh stellt sich in dem Ausbreitungsareal der peril~isionellen Hyperpathie auch eine mehr oder minder ausgesprochene Hyperhidrosis ein, die yon 0. FOERSTER und L. GUTTMA~ der periliisionellen Hyper- pathie als perilit~ionelle Hyperhidrosi8 an die Seite gestellt wird. Da diese Hyperhidrosis nicht so selten auch in einem dem anhidrotischen I-Iaut- bezirk entspreehenden kontrMateralen Hautareal nachweisbar ist, war es naheliegend, diese kontralaterale peril~isionelle Hyperhidrosis als KompensationsphSmomen aufzufassen, zumal auch bei ausgesproehener Hyperhidrosis in einem bestimmten Hautareal in der dieses umgebenden Haut und in dem symmetrisehen gegenseitigen Hautareal Hypohidrosis festzustellen ist (O. FO~STEn und L. GUTTM~). Wie sp~iter noeh ein- gehender dargelegt wird, kommt das Ph~nomen der peril~sionellen Hyperhidrosis nicht allein naeh Aussehaltung der peripheren Schweig- fasern zur Beobaehtung, sondern es tritt in gleicher Weise aueh bei L~sionen des Sympathicus und des Zentralnervensystems in Erschei- nung. Wie sieh die vegetativen l~eizerseheinungen ganz Mlgemein viel deutlicher als die vegetativen Ausfallssymptome manifestieren, so maeht sieh aueh die bei an peripheren Nerven sich abspielenden irritativen Prozessen einsetzende Hyperhidrosis viel deutlicher und unangenehmer bemerkbar a]s die nach Ausscha]tung von gemischten peripheren Nerven auftretende Anhidrosis, die im Gegensatz zu der erstgenannten im allgemeinen keine besondere Behand]ung erforderlieh macht. Erstreckt sich die bei Irritation eines gemischten peripheren Nerven einsetzende Hyperhidrosis ungef~hr auf das Schmerzareal des betreffenden Nerven, so ist sic auf direkte geizung der in dem betreffenden peripheren Nerven verlaufenden efferenten Schweil3fasern zuriiekzufiihren. Dehnt sich jedoeh das hyperhidrotische Hautgebiet weit iiber das Ausbreitungs- areal des gereizten peripheren Nerven, z. B. auf die gesamte zugehSrige Extremititt aus, so greift die irritative Noxe an den in dem betreffenden peripheren Nerven verlaufenden afferenten vegetativen Fasern an, die dann auf dem Wege spinaler und supraspinaler Reflexe die Hyper- hidrosis herbeifiihren. Am einfaehsten 1/tgt sieh diese geflexhyperhidrosis durch Druck auf ein Amputationsneurom erzielen.

Nach isolierter Entfernung yon Grenzstrangganglien oder Durch- sehneidung yon Rami eommunicantes grisei, d.h. nach isolierter sym- pathischer Dee//erentierung der Schwei[3dritsen, kommt es zwar auch zn einem v611igen Ausfall der hypothalamogenen, im Dienste der Thermo- regulation des Gesamtorganismus stehenden Schwei[3selcretion, die auf subcutane In]e]ction yon 0,015 g Pilocarpin einsetzende Schwei[3selcretion, bleibt jedoeh nicht nut erhalten, sondern setzt sogar /riiher ein als in den ihrer sympathischen Innervation nicht beraubten K6rperabsehnitten, bleibt dann aber sparer auf der HShe der Piloearpinwirkung in ihrer Intensit/~t hinter der SehweiBsekretion in den Hautgebieten mit v611ig erhaltener

Arch. Ohr- usw. Hei lk . u. Z. l ta ls- usw. Hei lk . Bd . 163 (Kongrel~berich~ 1953). 3

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Innervat ion zuriick. Die 8ympathisch dee/]erentierten Schweifidriisen zeichnen sich ~uBer durch erh6hte Ansprechbarkeit gegeni~ber Piloearpin noch dutch Au/treteu yon Geschmacksschwitzen (gustatory sweating) aus. Gew6hnlich li~Bt sich zwischen der Grenzstrangresektion und dem Ein- setzen der ersten SchweiBsekretionsst6rungen eine Latenzzeit yon einigen Wochen bis zu einigen Jahren feststellen.

Naeh HAXTO~r soll auch der dem Geschmacksschwitzen zugrunde lie- gende Reflexbogen in keiner Weise ver~ndert sein, sondern !ediglich das

Abb. 9. Ai~hidrosis im Bereiche yon Kopf, Oesicht, Schulter sowie des oberen Thoraxabschnittes handbreit unterhalb der Schliisselbeine und der Arme, ausgenommen ein zungenf6rmiger ~au t - bezirk an der Iunenseite beider Oberarme, nach Verabreichung yon 2 Aspirintabletten, Linden-

blfitentee und Anwendung des Lichtbogens, nach beiderseitiger Halsgrenzstrangresektion. (Nach O. FOERSTER.)

an den Endigungen der Schweigfasern frei werdende Aeetyleholin die augergewShnliehe Wirkung an den sensibilisierten eholinergischen Erfolgs- organen, den SchweiBdriisen, verursachen. 0. FO~RSTER ffihrt als ein fiir das Vorkommen yon parasympathischen SchweiBfasern in den vorderen Rfiekenmarkswurzeln sprechendes Argument die Beobaehtung an, daft er naeh Resektion der hinteren und vorderen Cervicalwurzeln CI--C 4 im Pilocarpinversuch eine deutliche VerzSgerung und Vermin- derung der Sehweigsekretion in den Dermatomen C1--C a feststellen konnte, w~hrend er im Gegensatz dazu nach Verabreichung yon zwei Aspirintabletten und Fliedertee im Gliihlichtkasten keine Verminderung der Sehweigsekretion in den genannten Cervicaldermatomen beobaehten

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konnte. Wie er jedoch selbst betont, konnte der Nachweis, dab bei Reizung cervicaler und sacraler vorderer Spinalwurzeln in den zugeh5- rigen Dermatomen tatsgchlich Schweigsekretion einsetzt, bisher fiir den Mensehen noch nicht erbraeht werden. Die Ausschaltung des Ganglion cervicale craniale hat Anhidrosis im Gesicht nnd am Kopf zur Folge, die des Ganglion stellatum auflerdem noch am oberen Thorax bis ungefiihr handbreit unterhalb der Ctavicula, an der Schulter sowie am gesamten Arme, ausgenommen ein zungen/6rmiger Hautstrei/en an der Innenseite des Oberarmes (s. Abb. 9). Die Resektion des Grenzstranges distal vom 2, Lumbalganglion bedingt Anhidrosis an den unteren Extremitiiten.

Die FunktionsstSrung der Schweil3drfisen nach Ausschaltung des prggangliongren Seitenhorn-Vorderwurzelabsehnittes yon der StSrung der Schweigsekretion nach Exstirpation von Grenzstranggang]ien oder Durchschneidung yon gami communicantes grisei abzugrenzen, ist bis zum heutigen Tag noch nicht gelungen.

In der Frage naeh eigenen afferenten vegetativen Schmerzfasern herrscht ebenso wie in der nach eigenen vasodilatatorischen, sehweifL und piloarektionshemmenden Fasern noch Unklarheit. Die Annahme yon eigenen dureh die hintere Wurzel das Riickenmark verlassenden efferenten vasodilatatorisehen Fasern stiitzt sich im wesentliehen auf die Beobaehtung O. FOE~STEXS, der auf faradisehe Reizung des distalen Ab- Schnittes einer durehsehnittenen hinteren Rfickenmarkswurzel beim Mensehen eine g6tung in einem umsehriebenen Hautareal auftreten sah,

Das Hautgebiet, in dem dureh faradisehe Reizung der 5. hinteren ThorakMwurzel Vasodilatation erzielt wird, entsprieht zwar ungef/ihr dem 5. ThorakMdermatom, erweist sieh jedoeh als etwas kleiner und gleieht mehr dem Ausbreitungsgebiet der Blgsehen bei Herpes zoster des 5. Thorakalganglions und dem Sehmerzdermatom (siehe Abb. 10). Die Frage nach der Ursaehe dieses vasodilatatorisehen Effektes naeh faradiseher I~eizung einer durchsehnittenen Hinterwurzel blieb lange Zeit unbeantwortet. W~hrend O. FO~RSTER in der auf die faradisehe Reizung einer Hinterwurzel folgenden Vasodilatation einen Reizeffekt yon im t{iiekenmarksgrau entspringenden und dureh die hinteren Spinal- wurzeln austretenden vegetativen Fasern sah, nahm BAYLISS fiir die Er- kls dieses vasodflatatorisehen Effektes nach Hinterwurzelreizung eine antidrome Leitung in den afferenten ttinterwurzelfasern und peripheren Nervenfasern in Anspruch. Der von mir mit Hilfe der Markseheiden- methode erbrachte Naehweis yon diinnmyelinisierten Fasern in dem zen- tralen, mit dem Rtiekenmark in Verbindung stehenden Absehnitt einer durchschnittenen Hinterwurzel des Menschen sprieht fiir die Existenz yon efferenten Hinterwurzelfasern aueh beim Mensehen. Aber aueh gegen diese morphologisehen Resultate erhob die Gegenseite den Einwand, dag es sieh bei den yon mir gefundenen diinnen Markfasern nieht um erhalten-

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gebliebene efferente Wurzelfasern, sondern um regenerierte Fasern han- dele, was jedoeh so gut wie keine Wahrscheinliehkeit besitzt. Trotzdem erg~nzte ich meine Resultate dureh Untersuehungen yon frisehen F~llen, bei welehen die Zeitspanne zwischen Durehsehneidung und Tod nur Wochen betrug. Auch die gesul ta te dieser naeh der MARCHI- und Sehar- laehrotmethode durehgeftihrten Untersuehungen spraehen fiir das Vor- kommen efferenter Hinterwurzelfasern. Bei der Bewertung der gesamten l~esultate erseheint mir die Annahme yon efferenten Hinterwurzelfasern naheliegend, die Annahme einer antidromen Leitung in afferenten Hinterwurzelfasern dagegen gesueht. SehlieBlich erwies sieh am vaso- dilatatorischen Effekt naeh faradiseher Hinterwurzelreizung noeh das Verhalten auffallend, dag sieh die g6 tung des zugeordneten Haut- areals nur langsam durehsetzte und erst naeh ungef/~hr 3 min ihren HShepunkt erreichte. Dieses VerhMten legt naeh Meinung maneher Autoren nieht einen rein nerv6sen Prozeg nahe, sondern sprieht viel eher daffir, dag der nerv6se Reiz primer zun~ehst die Bildung einer Zwisehen- substanz, m6gliehweise Histamin, bedingt, die dann erst sekund~r die Gef/~l~erweiterung hervorruft. Die Annahme eines neurohumoralen Pro- zesses an Stelle eines rein nervSsen wird meiner Ansehauung naeh den vorliegenden Tatsaehen aueh eher gereeht. Zu bertieksiehtigen ist jedoeh~ dag die faradisehe l~eizung nieht einem ad~quaten, sondern einem un- physiologisehen I~eiz entsprieht, w/~hrend umgekehrt das j/~he Anf- sehiel]en der vasodilatatorisehen Welle beim Erythema pudoris mehr einen rein nervSsen Vorgang nahe legt. So seheint beim Auftreten der Vasodilatation sowohl ein nerv6ser wie humorMer Vorgang in Betraeht zu kommen. Ebenso wie das vasodilatatorisehe tIautareal erweist sieh der anhidrotisehe I-Iautbezirk naeh Reizung einer I-Iinterwurzel im Ge- gensatz zu dem Hautgebiet der Sehweigsekretion naeh Reizung einer vorderen SpinMwurzel als umsehrieben und entsprieht ungef/~hr dem vasodilatatorisehen Dermatom. So hat O. FOERSTEZ naeh der Dureh- sehneidung einer Vorder- und zugehSrigen I-Iinterwurzel beim l~Iensehen zungehst den distMen Absehnitt der durchsehnittenen Hinterwurzel und darauf das distMe Ende der durehsehnittenen Vorderwurzel faradiseh gereizt und in dem gegebenen ]?alle, bei dem es sieh um die 5. Thorakal- wurzel handelt, wie die Abb, i0 zeigt, eine Sehweigsekre$ion innerhalb des 3., 4., 6., 7., 8. u. 9. Thorakaldermatoms erhalten, wghrend das 5. ThorakMdermatom ~usgespart blieb. Hieraus ist ersiehtlich, dag die faradisehe l~eizung einer vorderen Thorakal- oder oberen Lumbalwurzel (L1 - - L 3) nieht Sehweil3sekretion in einem umsehriebenen, dem Wurzel- dermatom entspreehenden I-Iautareal, sondern in einem viel ausgedehn- teren Gebiet, das sieh auf 5--7 Dermatome erstreeken kann, zur Folge hat, wghrend im Gegensatz dazu die I~eizung der Hinterwurzel Anhi- drose nur in dem seharf abgegrenzten Itautgebiet, das ungefi~hr dem

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5. Thorakaldermatom entspricht, bedingt (siehe Abb. 10). Dieses Ver- halten, dem wir noch hi~ufiger begegnen werden, kommt ganz allgemein dem Sympathicus bzw. Parasmypathicus zu, d. h. der Sympathicus neigt zur Kollektiv- oder Gemeinschaftsreaktion, w~hrend dagegen fiir den Parasympathicus eine mehr umschriebene Reaktion charakteristisch ist. Die Zuordnung der vasodflatatorischen, der schwei6- und piloarektions- hemmenden Fasern zum parasympathischen System ist jedoch eine rein willkiirliche und beruht nur auf dem dem Sympathieus kontriiren Reiz- effekt. Setzt man Parasympathieus und cho]inergisches System gleich, so bestehen schon gegen die Zuordnung der vasodilatatorischen Fasern zum cholinergisehen System Bedenken, denn die Reizung der efferenten

Abb. 10. Schwei[~sekretion nach faradischer Reizung des peripheren Endes der durchschnittenen vorderen 5. Thorakalwurzel bei vorangegangener faradischer Reizung des !aeripheren Endes der durchschnittenen hinteren 5. Thorakalwurzel. Die SchweiBsekretion erstreck~ sich auf Th 8 bis Th 9, wiihrend sie ira 5. Thorakaldermatom vSllig fehlt, (MI~Ol~sche 3~ethode zur Darstellung der

Schweiitsekretion.)

Hinterwurzelfasern ffihrt am Nervenendorgan nicht zur Bildung yon Aeetyleholin, sondern zu Histamin, was zur Aufstellung eines hista- minergischen Nervensystems neben dem adrenergischen und cholinergi- schen Nervensystem An]aB gab. AuBerdem sei noch darauf hingewiesen, dab das Vorkommen efferenter vasodflatatoriseher Fasern in den hin- teren Wurzeln des Mensehen noch keineswegs allgemein anerkannt wird, sondern yon maneher Seite nut in den vorderen Saeralwurzeln S 2 bis S 4 und im N. pelvieus vasodilatatorische Fasern angenommen werden. Aus dem l~ahmen t'5~llt auch das Verhalten der SchweiBdriisen, die zwar sympathisch innerviert werden (Vorderwurzel-Grenzstrang), abet nicht auf Adrenalin ansprechen, w~hrend die angeblich parasympathischen sehwei6hemmenden efferenten Hinterwurzelfasern auf Pilokarpim injektionen nicht mit SchweiBhemmung, sondern ganz im Gegen. teil auf dessen Zufiihrung mit starker SchweiBsekretion reagieren. Die Annahme, dab auf Aspirin, Fliedertee und Lichtbogen einsetzender SchweiB sympathiseher Natur sei, ist nicht bewiesen. In der Peripherie entsprieht das anhidrotische Areal ungef~hr dem betreffenden Schmerz- areal, was O. FOERSTE~ zun~ehst bei einer Axillarisl~hmung mit der

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MI~oRschen Methode dargestellt hat. Als Beispiel einer rein sympathi- schen SchweiBst6rung sei das anhidrotisehe Hautgebiet naeh doppel- seitiger Halsgrenzstrangresektion gezeigt, das sieh auf Gesieht, tIals, beide Sehultern, auf zwei querver]~ufende h~ndbreite Hautstreifen unter- halb des Schliisselbeines und auf die Augenseite beider Arme erstreckt (siehe Abb. 9).

Von Wichtigkeit ist in diesem Zusammenhang noch die ErSrterung der trophisehen StSrungen, zumal yon mancher Seite jeglieher neuro- trophiseher Einflug geleugnet wird. Zwar wird derjenige, der ein aus- gedehntes nervSses Terminalreticulum, das jede K6rperzelle einbezieht, anerkennt, kaum das Vorkommen yon trophisehen Nervenfasern in Ab- rede stellen. Man gewinnt sogar den Eindruek, dab das Pendel sogar zur Zeit nach der Gegenseite aussehl~gt und man neurodystrophisehen Prozessen eine grebe, zum Teil sogar zu grebe Rolle bei der Entstehung der verschiedenartigsten ~ e h niehtneurologischen Erkrankungen bei- migt. Mit Recht wird jedoeh jeder unvoreingenommene Beobaehter, der die feine zigarettenpapierdfinne Haut, die Hypertriehosis und -hidrosis, das gesteigerte Nagelwachstum bei geizzustgnden im Gebiete des Ner- vus medianus mit der rissigen verdiekten Hornhaut, der Anhidrosis, den kurzen miBfarbigen, rilligen und brtiehigen N~geln naeh Unterbreehung des Nervus medianus vergleieht und sieh das rasehe Zuriiekgehen der Hyperhidrosis und Hypertrichosis naeh Entfernnng der Causa peeeans; z.B. eines im Nervenstamm gelegenen Glas- oder Metallsplitters, vor Augen halt, neurotrophisehe Einfliisse fordern. Im gleiehen Sinne spreehen die sehweren, trotz intensiver passiver Bewegungen sieh weiter ver- sehleehternden Gelenkversteifungen, die manehmal naeh sehweren Lasi- onen des Plexus braehialis beobaehtet werden und jeder Therapie trotzen sowie die SuD~cKsehe Knoehenatrophie und trophischen Uleera, deren Therapie an die arztliehe Kunst die hSehsten Anforderungen stellt. Die Sensibflit/itsstSrungen, die gew5hnlieh die peripheren Nervenl~sionen begleiten, k6nnen in den wenigsten Fallen irgendwie die sehweren trophisehen StSrungen unserem Verst~ndnis n~her bringen. StSrungen der Gef~Binnervation dtirften zwar beim Zustandekommen yon sehweren trophisehen StSrungen eine Rolle spielen, doch lassen sieh die sehweren trophisehen Zustandsbilder zuweilen keinesfalls allein auf vasale Fak- toren zuriiekfiihren. Auf das raseh einsetzende Zuriiekgehen, ja sogar v611ige Sehwinden yon trophisehen Uleera, welches dutch eine erfolgreieh durehgeffihrte Nervennaht zu erzielen ist, kann nut hingewiesen werdeni

Kurz mug jedoeh an dieser Stelle darauf eingegangen werden, dab sieh bei zahlreiehen Lgsionen yon gemisehten peripheren Nerven, die zum Teil mit ausgedehnten vegetativen Ausfalls-, zum Teil aueh mit vegetativen Reizerscheinungen einhergingen, dureh HShensonnen- bestrahlung keinerlei StSrung in der Pigmentbildung der Haut auL

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zeigen liel3, woraus zu folgern ist, dab die Pigmentbfldung der Haut im allgemeinen keiner besonderen zentrM-nervSsen Steuerung unterliegt. Im Gegensatz dazu sind Pigmentierungen, die sich an das Ausbreitungs- gebiet eines Nerven oder einer hinteren t~fiekenmarkswurzel halten, anf- fMlend. Das Auftreten von trophischen StSrungen bei Erkrankungen der hinteren Wurzeln gegenfiber dem Fehlen bei Erkrankungen der vor- deren Wurzeln sowie die dem aniisthetischen Areal entspreehende Ausbrei- tung der Hyperkeratose sprechen daffir, dab die mit der Leitung yon tro- phisehen Einflfissen betrauten Nervenfasern mit den sensiblen Fasern dutch die hintere Wurzel verlaufen, jedoch naturgem~tB in entgegengesetzter Riehtung. Augerdem k6nnte die Entstehung yon trophischen StSrungen uuf die Ausbildung besonderer, vielleieht vasaler t~eflexbSgen zurfick- zuffihren sein, die fiber spinale, bnlb~re, ja sogar dieneephale vegetative Zentren verlaufen k6nnen. Auf spinale und bulbiire I~eflexe weisen vor allem symmetriseh gelegene trophische Uleera hin, deren Ausbildung wie Fortbestand durch diese Reflexe begfinstigt wird, was daraus hervor- geht, dab unter anderem die Unterbrechung dieser t~eflexb5gen an irgendeiner Stelle znr Ausheilung der trophischen StSrungen ffihren kann. Wenn aueh gegenw//rtig die Bedeutung dieser neurodystrophischen Einflfisse fiberseh~tzt wird, so hat diese Theorie doch manchen neuen und wertvollen Gedanken in die in den letzten Jahren etw~s stagnierende pathogenetische Forschung gebracht.

Die prim~ren vegetativen Zentren sind auf Grund des positiven Aus- fMles der retrograden Reaktion naeh Exstirpation eines Grenzstrang- abschnittes, yon Kopfganglien und naeh Durehschneidung der Nerven pelviei in den Seitenhornze]len des Rfickenmarks vom 8. Hals- bis zum 3. Lendensegment (Nucleus intermedio-lateralis superior oder thora- kolumbaler vegetativer Anteil), in den Zellen einer dieht gelagerten, in der Intermedi~trzone des 2.--5. Sacralsegmentes gelegenen Zellmasse, die dem lateraten Hinterhornrand entlang dorsal ausstrahlt (Nucleus intermedio-lateralis inferior oder saeraler vegetativer Anteil), in d em klein- zelligen zentrMen Anteil des Oculomotoriuskernes PERLIAS, im dorsalen oder vegetativen Vaguskern, im Nucleus salivatorius superior, im Nucleus sMivatorius inferior und Nucleus laerimalis (orMer oder eranialer vege- tativer Antei]) zu suchen. Der Nachweis der zu den efferenten Hinter- wurzelfasern geh6rigen Ganglienze]len steht dagegen zur Zeit noeh aus, denn die retrograde geaktion an den Intermedi~rzellen naeh der Hinter- wurzeldurehschneidung ist wegen der MSgliehkeit einer transneurMen geaktion nieht beweisend. ?r sind aber doch, wie K ~ K~rR~ und seine Mitarbeiter annehmen, die Intermedi/irzellen als die spinalen Zentren der dutch die hinteren Wurzeln das Riickenmark ver- lassenden Vasodilatatoren, der schweiB- und piloreaktionshemmenden Fasern anzusprechen. Die prim~ren saerMen vegetativen R/iekenmarks-

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zentren sind auf Grund des Ausfalles der retrograden Reaktion nach Durchschneidung der Nervi pelvici in den Intermedi~rzellen des 2.--5. Sacralsegmentes zu suchen. Diesen experimentellen Befund konn- ten ~vir durch einen bei einem Manne mit ausgesprochener Detrusor- l~hmung erhobenen Rfickenmarksbefund stfitzen, der eine deutliche prim~re Reizung an den Zellen des Nucleus intermedio-lateralis inferior $2--$4 zeigte. Ob es sich bei den in den vorderen Cervicalwurzeln yon C1--C7 vorkommenden diinnmyelinisierten Fasern tats~chlich um SchweiBfasern handelt, ist noch keineswegs bewiesen. Da durch DAL~ gezeigt wurde, dab die im thorakolumbalen Anteil dureh die vorderen Wurzeln und Rami communicantes albi in den Grenzstrang einstrahlen- den SchweiBfasern cholinergischer und nicht adrenergischer Natur sind, kann man nicht mehr yon sympathischen in den Vorderwurzeln ver- laufenden SchweiBfasern sprechen, denen diese dfinnmyelinisierten Vorderwurzelfasern in C2--C7 als parasympathische SchweiBfasern der vorderen Wurzeln gegeniibergeste]lt werden kSnnten. Vielleich kommt aber diesen dfinnmyelinisierten Vorderwurzelfasern wie K ~ K H ~ an- nimmt, ein EinfluB auf den Tonus der quergestreiften Muskeln zu, indem sie als direkte cerebrospinale accessorisehe Fasern die Fortsetzung des Tractus rubrospinalis bilden und mit den sympathischen und para- sympathisehen accessorischen Fasern den Tonus der quergestreiften Muskeln bestimmen.

Die Morphologie und die Leistungen der spinalen supranucle~ren vegetativen Bahnen, welche auf die prim~ren vegetativen Regulations- areale ffir Blase, Magen-Darm, Vasokonstriktoren, Temperaturregula- tion, das Zentrum ciliospinale usw. ihren EinfluB ausiiben, dfirften, da sie wahrscheinlich bereits allgemeines Wissensgut geworden sind, keine be- sondere Darstellung erfordern. Kurz soll nur un Hand einer Beobaehtung auf die Frage der spinalen trophischen Fasern hingewiesen werden.

Bei einer jungen Frau mit nicht vSlliger totaler Querschnittsunter- breehung in ttShe des 8. Brustsegmentes wuehsen in dem gesamten infral~sionellen KSrperhautabschnitt 3--4 cm lunge, rotblonde Haare, die nach einigen Monaten wieder ausfielen. Diese Beobachtung l~Bt daran denken, dab ein das Haarwaehstum hemmender EinfluB dutch die Quersehnittsunterbrechung ausgeschMtet wurde, was ffir einen hemmenden trophischen EinfluB yon seiten supranucle~trer F~sern sprechen wfirde, deren Ursprungsst~tten im Hypo~halamus gelegen sein dfirften.

Die primi~ren cranialen vegetativen Zentren, die in Oblongata, Pons und Mesencepha]on gelegen sind, lassen sich mit Hilfe der retrograden l~eaktion festlegen und sind, wie bereits eingangs erw~hnt, in den dor- salen Vagnskern, den Nucleus s~livatorius inferior oblongatae, den Nu- cleus sa]ivatorius superior pontis, den Nucleus lacrimalis und den klein-

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zelligen Medialkern des N. 0culomotorius yon PEI~LIA ZU verlegen. Ein n/~heres Eingehen auf Morphologie und Physiologic dieser KGrnareale eriibrigt sich, da sic ebenfalls bereits allgemeines Wissensgut darstellen. Die Gegeniiberstellung eines sympathischen und parasympathischen Abschnittes im Bereiche des dorsalen Vaguskernes, welehe von BRUGSC~, LEvY und D~ESELigefordert wurde, hat sich durch weitere Nachunter- suchungen nicht best/~tigt und mug aufgegeben werden, Die Hyper- glyk/~mie und Glykosurie, die schon CLAUDE BERNARD nach Einstich in den Boden des 4. Ventrikels beobachten konnte, sind, wie digs besondGrs HILLER hervorhob, night durch Reizung eines Regulationsareals ffir den Kohlenhydrathaushalt, sondern vielmehr durch eine solche yon ent- sprechenden durchziehenden Fasern bedingt. W/~hrend wir selbst bei keinem unserer relativ zahlreichen Kranken mit Tumor des 4. Ven- trikels oder yon 0blongata-Pons, Glykosurie oder Hyperglyk/~mie naeh- weisen konnten, haben BOGAERT und MARTI~ bei Ob]ongatatumoren gelegentlich Glykosurie gesehen. Dagegen z~hlt das Erbrechen zu den Frfihsymptomen unserer Tumoren des 4. Ventrikels und yon Pons-0b- longata und hat sogar in einigen F~llen zu Fehldiagnosen in Richtung einer Magen-Darmkrankheit geffihrt. Anfallsweise auftretende Brady- kardie abwechselnd mit AnfKllen yon Tachykardie, Tachypnoe, Brady- pnoe sowie echte ADAM- STOCKEsche Anf/s und Apnoe sind zu den Lokalsymptomen yon Oblongata, Pons und Mesencephalon zu rechnen.

Wenn auch ein oblongato-pontines Regulationsgebiet ffir Atmung und Blutdruck auf Grund pathologisch-anatomischer Befunde gefordert werden muG, so hat sich doch dieses Areal innerhalb der angegebenen Ge- hirnabschnitte noch nicht mit Sicherheit genauer festlegen lassen, da es sich dabei nicht um primare Zentren handelt, die sich mit Hilfe der retrograden Reaktion bestimmen lassen. Das Gleiche trifft ffir die saint- lichen vegetativen Regulationsareale des Hypothalamus zu, da nur die yore Hypothalamus zum Hypophysenhinterlappen ziehenden Fasern mit einiger Sicherheit nachgewiesen sind. Ebensowenig wie sich auf Querschnittsbildern eine ffir die vegetative Zelle typische Zellform und NIssn-Struktur haben aufstellen lassen, kSnnen die Markarmut, dichte Lagerung der Zellen und gute Vascularisation einer Zellgruppe als Be- weis fiir deren vegetative Natur gelten. Studiert man aber die Struktur und Form der Zellen des Seitenhornes und dorsalen VaguskGrnes nicht wig fiblich auf einem Querschnittsbild, sondern auf einem Horizontalbild, so li~i3t sich doch eine gewisse Ubereinstimmung in Zellform und NISSL- Struktur zwischen diesen sicher vegetativen Zellen und den Zellelemen- ten der Nuclei supraopticus, paraventrieularis und tuberomamillaris feststellen. Dieser, wenn auch nicht sehr hoeh einzuschatzende mor- phologische Faktor spricht doch wenigstens etwas zugunsten der vege- tativen Natur der sogenannten vegetativen Hypothalamuskerne, deren

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Nachweis, wie bereits angedeutet, sich mit Hilfe der retrograden Re- aktion naeh Durchsehneidung des Hypophysenstieles oder der Ex- stirpation der Hypophyse nieht erbringen liei~. Doeh l~ssen die vor- liegenden Resultate der am Tiere und zum Teil aueh am ~r aus- geffihrten Reiz- und Ausschaltungsoperationen sowie die yon der Humanpathologie erhobenen Befunde keinen Zweifel daran, dab in dem l(leinen Hypothalamusgebiet wichtige vegetative Regulationsareale ver- ankert sind.

Die ~bergeordneten vegetativen Regulationsareale. Aus der bisherigen Darstellung geht hervor, dal~ eine Zusammen-

fassung der in den einzelnen Funktionselementen autonom entstehenden Impulse zu einer erfolgreichen Gemeinschaftsleistung schon allein auf Grund enger unmittelbarer Nachbarschaftsbeziehungen zwischen den einzelnen Funktionselementen mSglich ist. So stellen die engen un- mittelbaren Nachbarsehaftsbeziehungen zwisehen den einzelnen Funk- tionselementen die einfachste periphere Assoziation bzw. direkte Koor- dination, z. B. beim spontan pulsierenden Arterienstreffen, bei der peri- staltischen Welle eines herausgeschnittenen, isolierten Darmstfickes und bei dem geordneten Erregungsablauf innerhalb des Reizleitungssystems des Herzens dar. Reizt man eine Arteriole oder Capillare durch Be- rfihrung mit einer feinen Nadel, so reagiert nicht allein die direkt vom t~eiz getroffene S~elle und ihre allern~chste Umgebung mit Dilatation, sondern es ascendiert auch der P~eizimpuls weiter oral bis er zur n~chsten Verzweigungsstelle des Gefi~es gelangt. Dort zweigt dann ein Teil- impuls v o n d e r weiter ascendierenden Erregung ab und folgt dem koL lateralen Gefal~zweig peripherw~rts, Je gr5~er dabei die In tens i t~ des Prim~rreizes ist, desto ausgedehnter erweist sich auch das Gebiet, an dessen Gefi~Bkollateralen noch der Reizeffekt in Erscheinung tri t t . Die Erfahrungstatsache, da~ nach der Durchsehneidung und abgeschlosse- nen sekund~ren Degeneration des entsprechenden zuffihrenden Nerven- stammes die sich weit fiber die direkte Reizstelle und ihre allern~chste Umgebung hinaus ausbreitende KoUektivreaktion vSllig in Wegfall kommt, beweist, dal~ das eben geschilderte Kollektivgeschehen des Axonreflexes indirekter Natur ist oder mit anderen Worten durch einen besonders speziell der Erregungsleitung dienenden Apparat ermSglicht wird. R. W. HEss schli~gt in diesem Falle vor, yon einem sensomoto- risehen Mechanismus zu sprechen, womit zum Ausdruck gebracht wer- den so]l, dal~ die Kollateralen ein und desselben Neuriten sowohl im afferenten wie efferenten Sinne an der Erregungsleitung Antefl haben.

Die im Gegensatz zum Parasympathieus stehende Neigung des Sym- pathieus zu Kollektivreaktionen ilndet in der bei faradiseher Reizung einer vorderen Thorakalwurzel in 6 Dermatomen auftretenden SchweiB-

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sekretion beredten Ausdruek, w~hrend im Gegensatz dazu bei faradischer Reizung des distalen Anteiles einer durchschnittenen hinteren Wurzel Vasodilatation nur in dem der betreffenden hinteren Wurzel ungef/~hr entsprechenden Sehmerzdermatom erfolgt.

Ganz Mlgemein 1/iBt sich fiber den Wirkungsbereich der Koordina- tionsmechanismen sagen, dab j e weiter sich ein Koordinationsmechanismus aus dem Bereiche seiner Effectoren entfernt und gegen das ZentraL nervensystem verlagert ist, desto ausgedehnter sich auch sein Wirkungs- bereich erweist. Dutch die zentrMe Verlagerung der Koordinationsmecha- nismen wird somit erzielt, dag aueh topographisch welter auseinander- liegende Effectoren einander funktionell gen~hert werden. Gelangen schlieBlich die Koordinationsmechanismen auf dem Wege ihrer zentralen Verlagerung in das nerv6se Zentralorgan selbst, wie dieses fiir die pri- m~ren, segmentalen Koordinationsmechanismen des I~tickenmarkes und verl~ngerten Markes zutrifft, so unterscheiden sich diese prim~ren zen- tralen vegetativen t~epri~sentanten in ihrem funktionellen Verhalten wenigstens unter normalen Bedingungen in nichts yon dem der periphe- ren. Ganz anders verh~lt sich jedoch das t~fickenmarksgrau unter den pathologischen Bedingungen der totalen hohen Querschnittsunterbre- chung des t~fickenmarks, unter denen es sich in seinem funktionellen Verhalten mehr den fibergeordneten Koordinationsmechanismen n~hert. Hieraus ist gleichfalls wieder ersichtlich wie nach Ausschaltung des auf einer hSheren Ebene erfolgenden Koordinationsmechanismus der auf der n/~chst tieferen Stufe ablaufende ffir diesen funktionell eintritt. Durch die Projektion der segment~ren Repr~sentanten auf einer suprasegmen- t~ren Ebene, die vermutlich mit einem wesentlichen zahlenm/~13igen giickgang der nervSsen Elemente einhergehen dtirfte, wird zwar die morphologische Anordnung der Erfolgsorgane vollsti/ndig verlassen und in eine physiologische Ordnung umgestellt, doeh wird dadurch eine gr6- 13ere Anzahl versehiedenartiger Funktionskombinationen in vereinfaeh- ter Art und Weise und auf kleinem Raum erm6glicht. H~lt man sich die eben angeffihrte Aufgabe der suprasegment~ren nervSsen Organisatoren, die suprasegment~ren Vertreter der segment/~ren I~epr/~sentanten zu neuen auf Leistung ausgerichteten Funktionseinheiten zu mobflisieren, genauer vor Augen, so erkennt man ohne Schwierigkeit, dag dieser Aufgabe unm6glich eine oder auch mehrere Ganglienzellgruppen ge- recht werden kSnnen, sondern dag vielmehr als morphologisches Sub- strat eines derartigen nervSsen Organisators am ehesten noch ein Nerven- /asernetz, in das Ganglienzellnester eingestreut liegen, in Frage kommen dfirfte. Im Bereiche des RhombencephMons, in dem das einfachste Atmungskoordinationsgebiet vertreten ist, findet sich auch tats/ichlich ein derartig gebautes GewebsareM, die Substantia reticularis, die als eine ungef~hr rechteckige, im Zentrum des Rhombencephalonquerschnittes

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gelegene Gewebsfl/~che durch das gesamte I~hombencephalon hindurch zu verfolgen ist. Demnach erfiillt die Substantia reticularis rhomben- cephMi sowohl ihrem histologisehen Aufbau wie ihrer Topik naeh strut. liehe Forderungen, die an das caudalste Atmungsregulationsgebiet zu stellen sind, und es ist daher naheliegend, in der Substantia reticularis rhombencephali das unterste lebenswichtige Koordinationsgebiet fiir die an der Atemt/itigkeit beteiligten Erfolgsorgane zu sehen. Da die Sub-

stantia retieularis des Nach- hirns ein mehr oder minder dichtes Netzwerk yon ver- schiedenwertigen Nerven- fasern darstellt, in dessen Maschen Ganglienzellnester

Sulcus eingestrent liegen, kann infundibuli selbst ein eng umschriebe-

net Reiz nut einen Misch- effekt hervorbringen. Das Gleiche grit yon der Sub- stantia reticularis mesence- phali, in der auf- und ab- steigende vegetative Lei- tungsbahnen eng beisam- men liegen, um sich dann erst wieder im Zwisehenhirn fiteherartig auszubreiten. Als letztes suprasegmenti~- res Koordinationsareal, yon dem aus die Impulse der ein-

Abb. 11. Die Ze ichnung ae r I I i r n b a s i s soil d ie i m Verha l tn i s zu se iner g r o g e n funk t ione l len B e d e u t u n g zelnen Ganglienzellen syn- n u t ge r inge orocaudale und B r e i t e n a u s d e h n u n g des chronisiert an die segmen- t t y p o t b a l a m u s v o r A u g e n f i ihren, der s ich zwlschen d e m caudalen l~and des Ch iasma fasc icu lorum opti- t~ren spinalen und hulhi~-

co rum und den Corpora, m a m i l l a r i a ausdehnt , r eD- Atemmuskelkerne des

Zwerchfelles, der Intercostal- und Bauchmuskeln, der Bronchial- und Kehlkopfmuskulatur und nicht so selten sogar auch der Nasenflfigel- 5finer fibertragen werden k6nnen, kommt nach K. Buc~E~ der im Obex der Oblongata verankerte Noeud-vitM yon FLOV~F,~S in Frage. N immt man ein oblongatares Atemzentrum an, dessen Ganglienzellen sowohl als Chemoreceptoren wie Erregungsleiter fungieren, indem ihr cellu- lipetal leitender Dendrit auf Kohlesaurestauung und Sauerstoffdefizit in Erregung versetzt wird, warend der Zelleib die Impulse an eelluli- fugalleitenden Neuriten weitergibt, dem dann die weitere Erregungs- iibertragung an den suprasegmenti~ren l~eprasentanten der segmen- t/~ren Atemmuskelkerne obliegt, so wtirden unter den angefiihrten

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Verh/~ltnissen die Chemoreceptoren des bulbi~ren Atemzentrums gleich- zeitig auch als bulb~re Kreislaufregulatoren zu fungieren vermSgen und eine Differenzierung der Regulation in Atmung und Kreislauf wiirde ers~ an dem Punkt einsetzen, an dem die Erregung auf die supraseg- ment~ren Repri~sentanten der beiden Effeetorsysteme /ibergreift. Im Gegensatz zu den Chemoreceptoren herrscht in bezug auf die Barorecep- toren des Kreislaufsystems und die Spannungsreceptoren der Lunge keine lJbereinstimmung, da es sieh um organspezifisehe Apparate fiir 2 verschiedenartige Organe handelt, yon denen das eine dem Zirkulie- renden VorwiirtsstrSmen von Flfissigkeit, das andere dagegen dem perio- disehen Einsaugen und Auspressen yon Luf~ dient.

Aus dem Angeftihrten geht demnach, kurzgesagt, hervor, dab in Ob~ longata-Pons wichtige Regulationsmeehanismen fiir Atmung und Kreis- lauf verankert sind und auf Grund morphologiseh-physiologischer t3ber- legungen hSchstwahrseheinlich in der Substantia reticularis zu suchen sein d/irften. Ihre Aufgabe besteht darin, die prim~ren segmentalen Re- pr~sentanten der Erfolgsorgane, die in der Oblongata kollektiv naeh Funktionssystemen zusammengefaBt sind, zu leistungsausgerichtetem Einsatz zu bringen.

Hypothalamus. Unter Hypo~halamus versteht man, kurz gesagt, den ventralen

Zwischenhirnabschnitt, der an der Hirnbasis oral yon der quergestellten viereckigen Platte des Chiasma faseiculorum op~ieorum orolateral von dan Tractus optici und caudolateral yon den medialen Rgndern der Hirnschenkel begrenzt wird, die gegen den vorderen Rand der Brficke zu konvergieren (s. Abb. ll). Caudal endet die basale Hypothalamusfl/~che mit dem eaudalen Rand der Corpora mamfllaria, so dab diese basale Hypo- thalamusfl/~ehe ungef/~hr die Form eines sechseckigen Schildes besitzt. Die dorsale Grenze des Hypothalamus wird yon den Suleus hypothalamicus gebildet. Die Konfiguration seiner basalen Flgehe 1/~gt zwanglos eine Unterteilung in eine Regio supraoptica oder chiasmatis, tuberis mit Neurohypophyse und mamillaris zu. Wegen ihrer engen Beziehung zur Hypophyse geniegt unter diesen 3 Abschnitten des Hypothalamus die Regio tuberis eine gewisse Sonderstellung. Durch die Ansatzstelle des Infundibu]ums (Radix infundibuli) wird das Tuber einereum in eine Regio pr/~infundibu]aris oder oralis tuberis und postinfundibularis oder eaudalis tuberis zerlegt, wghrend zu beiden Seiten der l%adix infundibuli die Regio parainfundibularis zu liegen kommt. Die l~egio supraoptiea wird durch den vorderen und hinteren Rand des Chiasma fasciculorum optieorum yon den sie umgebenden Hirnbasisabschnitten abgegrenzt. Die Regio pr~infundibularis beginnt am caudalen Rand des Chiasma opticum und erstreekt sich bis zum Sulcus infundibuli oder tubero- infundibularis, w~hrend sich die l~egio postinfundibularis zwisehen dem

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Sulcus infundibuli (hinterer Absehnitt) und dem oraten Rand der Cor- pora mamillaria ausdehnt. Innerhalb der Regio tuberis springt un- gef~hr in der Medianen die Eminentia medialis, Eminentia saccularis RnTZIVS 1894), eminence yon TILNEu (1915) etwas vor. Zuweilen lassen

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Abb. 12. Zeichnung eines Paramedi~nschnittes dutch den menschlichen Hi rns t amm soil die Ver- bindm~gswege zwischen den verschiedenen ] typothaiamus- u. Hypophysenabschnit ten zeige~.

sich auch Eminentiae laterales abgrenzen, die den Vorw61bungen der 3 lateralen Tuberkerne entsprechen. Das Infundibulum bzw. die Radix infundibuli setzt sich durch den Sulcus infundibuli oder tuberoinfundi- bularis mehr oder weniger deutlieh vom Tuber einereum ab und stellt seinem histologischen Aufbau nach nicht einen Abschnitt des Tuber cinereum, sondern vielmehr einen vorgeschobenen Anteil der Neuro-

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hypophyse dar, deren Stiel, der ttypophysenstiel, die direkte Fortset- zung des Infundibulums bildet.

Zu der grol~zelligen Ganglienzellgruppe z~hlen in der l~egio supra- optica 1. der ventral des Chiasma fascieulorum opticorum und den Anfangsteil der Tractus optici zwerchsackartig umgreifende Nucleus supraopticus, der sich auf Frontalschnitten gut in 3 Zellanh~ufungen, den Nucleus ventromedialis, intermedius und dorsolateralis unter- teilen l~Bt (siehe Abb. 13), und 2. der mehr dorsal nahe der Wandung des 3. Ventrikels gelegene und dieser parallel verl~ufende l~ngliche Nu- cleus paraventriculis, dessert Zellstreifen in seinem ventralen Abschnitt

Nucleus parave tricularis ~ ~ ' . , . , ~ ] ,

Nucleus p r a e ~ ~ - g u c l e u s ~pothalami posterior

"~- Nuclei corporis mamtllarls

~ ' ~ Nucleus hypothMami dorsomedialis '~- Nucleus hypothalami ventromedialis

Nucleus supraopticus

Abb. 13. Schematische Darstellung eines Paramedianschnittes durch den menschlichen Hirn- stature um Lage und Ausdehnung der sog. vegetativen Ganglienzellkerne des Hypothalamus ira

weiteren Sinne zu zeigen. (Nach ]bE GI~os-C:hARK gezeichnet.)

keulenfSrmig anschwfllt (siehe Abb. 13). Als dritter groBzelliger Gang- lienzellkern des Hypothalamus ist noch der sich sowohl auf die Regio tuberalis wie mamillaris erstreekende Nucleus tuberomamillaris zu nen- nen, der yon der l~adix infundibularis im Boden des 3, Ventrikels zu- n/ichst zu der Regio tuberalis und anschlieBend zu der Regio mamillaris bis zum Corpus mamillare reicht, wobei er durch feine Zellstreifen die 3 Tuberkerne voneinander abgrenzen hilft. Die symme~rischen Nuclei tuberomamillares umgreifen an ihrem eaudalen Ende yon lateralw/irts die beiden Corpora mamillaria sehalenfSrmig, wodurch sie als zu den Corpora mamillaria gehSrige Zellkerne imponieren und daher aueh fi~lschlieherweise als grol3zellige Lateralkerne aufgefaBt wurden.

Die kleinzellige Kerngruppe des Hypothalamus umfagt den klein- zelligen Anteil und den Nucleus einereus des Corpus mamillare sowie das zentrale HShlengrau. Letzteres wurde auf Grund yon Zelldiehte und ZellgrSl]e im letzten Jahrzehnt in eine grSBere Anzahl yon Ganglien- zellkerne unterteilt.

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Die groBe Wichtigkeit des scinem Umfang nach unscheinbaren Hypo- thalamus dokumentiert sich auch in den so zahlreichen afferenten, zu ibm hinziehenden Faserbfindeln, die aus dem Fascieulus optieus, dem Traetus olfaetorius, dem Corpus geniculatum laterale und mediale, den] Vierhfigelgebiet, dem hinteren L~ingsbfindel, dem Striatum und Palli- dum, aus der GroBhirnrinde usw. stammen.

Die/einere Morphologie des Hypothalamus. Seinem feineren Aufbau nach erweist sich der Hypothalamus nicht

als ein homogenes Grau, sondern es lassen sich in ihm vielmehr eine grSi~ere Anzahl yon Ganglienzel]kernen abgrenzen, die sich weniger auf Grund von Zelldichte und Zellgr5•e mehr oder minder scharf vonein- ~nder abheben. Die auf Grund der GrSl~e, NissL-Struktur und An- ordnung ihrer Zellen die Bezeichnung Zellkerne verdienenden Gewebs- strukturen lassen sich in grol~zellige, kleinzellige und mittelgrol~zellige Gruppen unterteilen. Aul~erdem l~[~t sich ein ganglienzellreicher, nerven- faserarmer Abschnitt des Hypothalamus, der sich medial vom Fornix in der Seitenwandung des 3. Ventrikels ausdehnt, yon einem nervenfaser- reichen, ganglienzellarmen Abschnitt des Hypothalamus abgrenzen der sich lateral an den Fornix anschlieBt.

Von den aus mittelgroBen Zellelementen bestehenden sogenannten vegetativen t lypothalamuskernen verdienen innerhalb der Regio para- infundibularis die 3 Nuclei tuberis proprii und innerhalb der l~egio mamfllaris der Nucleus paramedianus und reuniens, der mediale Mamfl- larkern und der Nucleus interealatus Erw~hnung, zu denen noch die beiden weniger scharf abgrenzbaren Nuclei paUido-infundibularis und interfornic~tus von 1~. G~]~vI~c hinzukommen. Diese sogenannten vege- tat iven Kernareale des Hypothalamus zeiehnen sich ebenso wie die in der Medulla spinalis, oblongata und im Mesencepha]on gelegenen vege- tat iven Ganglienzellkerne durch sehr dichte Zellagerung, sehr gute Vascularisation und Markarmut (H. SrATZ, PACHE und SCI~IEIB:E) arts.

Bahnen des H ypothalamus. Fiir die vegetative Natnr des Nucleus supraopticus und paraventri-

cularis sprechen dagegen faseranatomische Untersuehungsbefunde yon l ~ o N Y CAJAn, 1~. GREVINO, PINES und STENOEn sowie F. H. LEW~ und K ~ . 1~. G~EVING beschreibt 2 aus den Nuclei supraoptici hervor- gehende Faserziige als Tractus supraopticus superior et inferior (siehe Abb. 12). Letzteres zieht zun~chst an der Innenseite des Tractus opticus entlang zum Tuber cinereum und yon dort aus durch den vorderen Hypophysenstiel, und zwar durch dessen beide Seiten in die Neuro- hypophyse, wi~hrend Verbindungen zum Zwischenlappen und zur Adenohypophyse nicht nachgewiesen werden konnten. Wegen seiner

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Beziehung zur Neurohypophyse hat der Autor sp/~ter den Tractus supraopticus superior als Tractus supr~optico-hyphophyseus bezeichnet. Vom Nucleus paraventricularis gehen ventrolateral verlaufende Faser- ziige in die Nghe des Tractus supraoptico-hypophyseus, und zwar waren diese Faserzfige auf Frontalschnitten nur bis in das Tuber cinereum zu verfolgen. Es besteht nach Gg~wsG die MSglichkeit, dab diese Fase- rung entweder im Nucleus supraopticus endet oder sich, was ihm wahr- scheinlicher erscheint, dem Tractus supraoptico-hypophyseus anschlieBt, um mit diesem zusammen die Neurohypophyse durch den genannten vorderen Abschnitt des Hypophysenstiels zu erreichen. Dieses Faser- b/indel fiihrt auch die Bezeichnung Tractus hypothalamo-hypophyseus anterrior. Der weniger gesicherte Tractus hypothalamo-hypophyseus posterior soll sich dagegen aus den Fortsgtzen yon Ganglienzellen der Tuberkerne und des zentralen tt6hlengraues aufbauen und gleichzeitig eine direkte Verbindung zwischen Hypothalamus und der Neurohypo- physe herstellen. RAS~USSE~ sch~tzt die Zahl der Nervenfasern, die dutch den Hypophysenstiel die Neurohypophyse erreichen, auf die stattliche Summe yon 50000. Wie bereits dargelegt, stiitzt sich dis An- nahme dieser beiden hypothalamo-hypophys/iren Faserbfindel im wesentlichen auf faseranatomische Studien, w~hrend die Ergebnisse der retrograden Zellreaktion nach Durchschneidnng des Hypophysenstiels keineswegs eindeutig sind und nieht die Existenz der genannten Faser- verbindungen nghelegen. Dagegen sprechen auch die yon W. BARGMA~ mit Hilfe der Go~oaIschen F~rbung an den Ganglienzellen der Nuclei supraoptici und paraventriculares sowie an deren Fortsgtze erzielten Befunde flit die Annahme einer zwischen den genannten hypothala- mischen Ganglienzellkernen und der Neurohypophyse verl~ufenden sekretorischen Bahn. Aus der Gegend des Nucleus paraventricularis wollen BSAX'WIE, Bgows und LoNG bei Katzen mit der MAgcgI- und ALzgsIM~sg-MA~ze-Methode ein deutliches Bfindel diinnmyelinisierter Fasern naehgewiesen haben, das auf der L~sionsseite im zentralen HShlengrau und im Fasciculus longitudinalis dorsalis caudalw~rts ver- fief. Die Fasern dieses Biindels kreuzen zum Tell in H6he des vorderen Abschnittes der FoREnschen Kreuzung. Die Pasern, welche nicht in der Oblongata enden, verlaufen in den Vorderstr~ngen des 1%fickenmarks, um dann mit den Ganglienzellen der Seitenhornzells~ule des 1. und 2. Brust- segmentes Synapsen einzugehen. Damit wollen diese Autoren den mor- phologischen Nachweis einer nervSsen Verbindung zwischen dam cauda- ]en Hypothalamus und der thorakolumbalen Seitenhornzellsgule erbracht haben, doch sind leider die beigegebenen Mikrophotos wenig fiberzeugend.

Ansgedehntere Faserverbindnngen bestehen noah zwisehen den sogenannten vegetativen Kernarealen des oralen und eaudalen gypo- thalamusabschnittes nnd den visceromotorischen Anteilen yon bulb~tren

Arch. Ohr- usw. Heflk. n. Z. t ta ls - usw. ]:Ieilk. Bd.163 (XongreSber icht]953) . 4

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Hirnnervenkernen. Aus den oralen t typothalamuskernen verlaufen dfinne Markfasern eaudalw~rts, yon denen ein Teil im zentrMen Htihlen- grau des Aqu~duktes endigt, w~hrend ein anderer im Faseieulus longi- tudinalis dorsalis oder Sc~;-TzENsehem L~ngsbiindel die viscero-moto- risehen Anteile yon oblongat~ren It irnnervenkernen erreieht. Im peri- ventrikulgren Grau des Hypothalamus, in der Substantia grisea des Aqu~duktes und am Boden des 4. Ventrikels ziehen naeh LAaUELLE feine marklose Nervenfasern bis in das l~iiekenmark. Wenn aueh zur Zeit die funk~ionelle Bedeutung dieses periventrikulgren Fasersystems noeh kei- neswegs erforseh~ ist, so steht doeh gegenw~rtig sehon soviel lest, dab es Ms eine wiehtige Komponent.e im zentralen Absehnitt des vegetativen Nervensystems zu gelten hat. Neben absteigenden Fasern diirften in dieser periventrikul~ren Faserung aueh aufsteigende Nervenfasern verlaufen.

Von den Nuclei tuberis werden tefls zum Thalamus, tells zum gesen- eephalon ziehende Fasern Ms Traetus tuberis besehrieben, doeh ist ihre Existenz noeh nieht entspreehend gesiehert. Von den eflerenten Faser- bfindeln des Corpus mamillare ist vor Mlem der im medialen Kern des Cor- pus mamfllare entspringende ]?aseieulus mamillaris princeps zu nennen, der sieh in den Traetus mamillothMamieus und mamillotegmentMis teilt.

Von den afferenten zu den sogenannten vegetativen Ganglienzell- kernen des I-Iypothalamus ziehenden Faserbiindeln diirfte der Tractus ol[aetomesencephalicus oder das W~L~.~BERGsehe basale i~ieehbfindel, das vom Traetus olfaetorius und der Area olfaetoria zu den sogenannten vegetativen Kerngebieten der Regio tuberalis verlguft, dem Umfang naeh an erster Stelle stehen. Ein Teil der olfaetomeseneephalen Fasern dringt welter eaudalw~rts bis in das Corpus mamillare, den Nneleus interpeduneularis und die Formatio retieularis meseneephali et pontis vor, yon wo aus dann die Weiterleitung in das Rfiekenmark dureh kurze Sehaltneurone der periventrikul~tren Faserung erfolgen diirfte.

An zweiter Stelle diirfte das Fasersystem der Habenulae zu erw~hnen sein, das dutch die Traetus eortieo-, olfaeto-, thalamo- und hypothalamo- habenularis den Hypothalamus, Thalamus, die Area olfaetoria, das Septum. pellueidum nnd die Ammonshornformation miteinander ver- binder. AuGerdem entsendet der Nucleus habenularis ~zentrM- u n d eaudMw~rts den Traetus habenulointererurMis oder Faseieulus retro- flexus M ~ u der naeh Kreuzung mit dem gegenseitigen Faserbtindel innerhalb der M~u Haubenkreuzung im Nucleus interpedun- eularis endigt. Da in diesem Bfinde] aueh in entgegengesetzter l~iehtung verlaufende Fasern enthalten sein sollen, ist fiir diesen Traetus aueh die Bezeiehnung Faseieulus intererurohabenularis in Gebraueh.

Auf Grund dieser rein anatomisehen Darstellung der hypothalamo- hypophys~ren und rhineneephMo-hypothalamisehen Verbindungen k6nn- te man mindestens mit dem gleiehen, wenn nieht noeh mit gr6Berem

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gecht wie von einem Hypophysen-Hypothalamussystem yon einem ol/acto-hypothatamischen oder noeh besser yon einem ol]aeto-hypothalamo- hypophysgren System sprechen. Welehe bedeutende t~olle dieses l~ieeh- zwischenhirnhypophysensystem bei der Aufrechterhaltung des normalen Ablaufes der Lebensvorg~nge spielt, dokumentiert sich schon in der so weitgehenden Sieherung der Verbindung zwischen den corticalen und subcorticalen giechzentren einerseits und dem ttypothalamus-Hypo- physensystem anderersei~s sowie in der Bedeutung des ttypothalamus- Hypophysensystems ffir die t~egulation einer ganzen Reihe yon Stoff- wechselvorg~ngen. Im Gegensatz zur K5rperffihlsphs sowie zu den optisehen und akustischen Zentren treten die corticalen und subeorti- calen giechzentren in allererster Linie mit den sogenannten vegetativen Ganglienzellgruppen des Hypothalamus in Verbindung, w/~hrend dem- gegeniiber der Konnex mit motorischen Hirnnervenkernen und dem spinalen Vorderhorngrau zurficktritt.

In die Adenohypophyse ziehende direkte infundibul/ire Nerven- fasern spielen, wenn auch solche ganz vereinzelt beschrieben wurden, nach der allgemeinen Meinung keine Rolle. Die nerv6se Versorgung der Adenohypophyse und des Mittellappens wird vielmehr yon sympathi- schen Fasern bestritten, deren trophisehes Zentrum im Ganglion eervieale craniale gelegen ist und die fiber den Plexus caroticus internus, eavernosus und den Plexus der Arteria hypophysea superior, mSg]icher- weise auch inferior, den Vorder-, Mittel- und Hinterlappen der ttypo- physe erreichen. Da naeh Exstirpation des Ganglion cervicale eraniale jedoeh noch Nervenfasern in der Adenohypophyse angetroffen werden, dfirften aueh noeh parasympathische Fasern mit dem N. glossopalatinus in den Hypophysenvorderlappen gelangen.

Humorale Verbindungswege zwischen Hypothalamus und Hypophyse. Der direkte Sekretweg durch den Hypophysenstiel wird zwar auch

gegenw~rtig immer wieder diskutiert, doch spricht wenig ffir diese Art des Sekretaustausches. Desgleichen wird die Theorie yon Co~LI~ (1924), der in den perivaseul/s Lymphr/~umen zwischen Zellen und Capillaren, die vom Itypophysenvorderlappen bis in das Infundibulum hinein- reichen sollen, Kolloidtropfen beobachtet haben will, die auf dem Wege fiber das Infundibulum in pr/~formierten Gewebsspalten und peri- vascul/~ren Lymphr/~umen sowie entlang der Interstitien zwischen Nervenfasern und Glia bis in den Hypothalamus gelangen sollen, nur noeh yon wenigen Autoren ver~reten. Diese Art yon Sekn-ettransport, die yon CoLr,I~ als Neurokrinie bezeichnet wurde, wird besonders yon morphologischer Seite aus abgelehnt, da sieh keinerlei interstitielle Spaltriiume auffinden liel~en, die mit dem Hypothalamus in Verbindung stehen. Aul3erdem wurde noeh die Abgabe yon Sekretionsprodukten

4*

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der Adenobypophyse in die Interstit ien und in den geeessus infundibuli und damit in den Liquor und sekund~r in den HypothMamus erwogen (Hydrencephalokrinie). W~hrend dem Ependym des 3. Ventrikels inner- halb des funktionellen Geschehens der Hydreneephalokrinie eine rein passive Rolle zuf~llt, indem einfaeh die Kolloidtropfen nach Ausein- anderdr~ngen der sich rein passiv verhaltenden Ependymzellen durch die so entstandenen Spaltr~tume in das Innere des 3. Ventrikels gelangen, nimmt dagegen nach Auffassung fl'anz6sischer Auforen das Ependym an der endokrinen Leistung des Diencephalons selbst aktiven Anteil. Naeh LEOAIT sind es 3 ependym~re Organe, nach Roussu und MOSlNGEI~ 3 neurokrine Drfisen des Gehirns, n~mlich das sub/ornikale und para- ventrikuliire sowie das subcommissurale Organ, yon denen jedem eine be- sondere Funktionsweise eigen ist, die als eine der wichtigsten Kom- ponenten de s diencephalen endokrinen Apparates anzusprechen sind.

Das subeommissurale Organ, dem der Ependymbelag an der Unter- fls der eaudalen Commissur entsprieht, vermag in den Ventrikel- liquor abgegebene Stoffe zu absorbieren, das paraventrikul~re Organ, der fiber den Nucleus paraventrieularis ge]egene Ependymbelag, wirkt als gelais der beiden anderen ependym~ren Organe, yon denen einzig und allein das subeorticale Organ, ein fiber den Foramina Monroi ge- ]egenes Ependymareal, mit I~echt als echtes neurokrines Organ anzu- sprechen ist, da es sowohl Kolloidsubstanz bildet wie aueh abgibt und somit die yon einem neurokrinen Organ zu fordernden Voraussetzungen erffillt. Gelangen diese Stoffe in den Ventrikelliquor, so sprieht man yon Rydrencephalokrinie, gelangen sie in das Gef/~gnetz, yon Hgmokrinie. Besonders betont wird yon den betreffenden Autoren,. dag diese ependy- mgren Organe gerade am Eingang in den 3. Ventrikel, n~mlieh nahe den Foramina MONROI bzw. an dessen Ausgang, d. h. am l~bergang des 3. Ventrikels in den Aqu/~ductus SYLVIX zu liegen kommen.

Eine direkte ,,Pfortaderverbindung" z wisehen Hypophyse und Hypo- thalamuskernen, wie sie Po~PA und FIELDING sowie BAsn~ aufgestellt haben, wurde von anderer Seite nieht bests Nach den Untersuehun- gen yon ScKA~Eg und GAVP~ sollen die Zellen des Nucleus supra- opticus und mSglicherweise auch die des Paraventricularis Sekretions- produkte liefern, die als Neurohormone anzusprechen sind. Zun/ichst waren die beiden Autoren der Auffassung, dag diese Neurohormone direkt in die Umgebung der genannfen Ganglienzellkerne abgegeben wfirden (Neurokrinie). Spiiter jedoch kam vor allem GAuI"P yon dieser Meinung ab und nimmt jetzt an, daft ebenso wie die sonstigen vege- tat iven Neurone sogenannte l~bertrigerstoffe an den Neuritenendigun- gen abgeben, derartige Neurohormone, denen die Aufgabe obliegt, die nervSsen Erregungen auf das betreffende Erfolgsorgan zu fibertragen, ebenso an den Endigungen der Supraoptieus-, m6glicherweise auch

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Paraventricularisneuriten frei werden, um dementsprechend Erregungen dieser hypothalamischen Ganglienzel.lkerne auf den Hypophysenhinter- lappen zu iibermitteln. Eine weitere Frage ist es, ob in den zugeh6rigen Ganglienzellen des Nucleus supraopticus bzw. paraventricularis bereits die Neurohormone selbst oder nur Vorstufen derselben produziert wer- den, die dann erst nach ihrem Freiwerden m6glieherweise unter Mithflfe der Pituicyten in die eigentlichen Neurohormone umgewandelt werden. Dabei ist es naheliegend an die gleichen Stoffe, ngmlich an Aeetylcholin und Adrenalin bzw. Arterenol zu denken. Tatsgehlieh kommen Neuro- hormone auch als Zwischenprodukte bei der Bfldung und Ausscheidung der gonadotropen Hypophysenvorderlappenhormone sehr wohl in Be- tracht. Wenn auch die Produktion von Acetylcholin durch Hypo- thalamusneurone sehr wohl m6glich ist, so trifft dieses nicht fiir Adre- nalin zu.

Diese zwar keineswegs ersch6pfende Darstellung der wahrseheinlich zwisehen den sogenannten vegetativen Kerngruppen des Hypothalamus und der Neurohypophyse bestehenden neuralen und lokalhumorMen Verbindungen dfirfte wenigstens eine gewisse Vorstellung v0n der weit- gehend sowohl neural wie humoraI gesieherten Zusammenarbeit yon HypothMamus und Neuro-, aber auch Adenohypophyse vermi~telt haben. Wenn aueh zur Zeit eine direkte dureh den Hypophysens~iel ver- laufende neurale Verbindung zwisehen Hypo{halamus und Adenohypo- physe mit vollem Reehte yon der iiberwiegenden Mehrzahl der Au~oren abgelehnt wird, so erm6gliehen doeh im eandalen Absehnitt des Hypo- thalamus entspringende Nervenfasern, die zungehst dureh die Sub- stantia retieularis des Mittelhirns, der Briieke und des verlgngerten Markes und dann im dorsalen Absehnitt des Vorderseitenstranges zu den Seitenhornzellen des obersten Brustmarkes ziehen und mit diesen Synapsen eingehen, eine zwar auf grogem Umwege erfolgende Ver- bindung zwisehen I-Iypo{halamus und der Adenohypophyse (s. Abb. 12). Als Ursprungszellen der zweiten Neurone dieser Verbindungsbahn fun- gieren die angefiihrten Seitenhornzellen des obers~en Brus~markes, deren Neuriten dureh die vorderen Wurzeln der obersten Brusgsegmente das l~iiekenmark verlassen, um dann im HMsgrenzstrang his zum Ganglion eervieale eraniale emporzuziehen. Dort entspringen naeh Synapsen- bildung an den Ganglienzellen dieses Ganglions die 3. und letzten Neu- rone, die fiber den Plexus earotieus, eavernosus und hypophyseus in die Adenohypophyse gelangen. Obwohl sieh die faseranagomiseh naeh- gewiesenen direkten dureh den Hypophysenstie ! zur Neurohypophyse verlaufenden hypothalamo-neurohypophys~ren Biindel bis dato nieht dutch die retrograde Reaktion der zugeh6rigen sogenannten vegetativen Hypothalamusganglienzellen erh/~rten liegen, spreehen doeh die in vielen Punk~en gleiehartigen tIypothMamus- und ttypophysensyndrome

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ein sehr gewichtiges Wort zugunsten enger funktioneller Verbindungen zwischen diesen beiden fiir den harmonischen Ablauf der Lebensvorggnge und die Sicherung des inneren Milieus des Organismus, die Homeostase, so wichtigen Organe.

Dazu kommt noch, daB I~a~so~ und sein Mitarbeiterkreis, die bei Katzen mit der HORSLEY-CLARKEschen Nadel am Tractus supraoptico- hypophyseus Lgsionen setzten, eine deutliche Abnahme der Zellzahl sowie eine Verkleinerung der Kernareale beider Nuclei supraoptici fest- stellen konnten. Leider sind jedoch sowohl diese soeben angeftihrten wie die von GAuP~ jr. an Meersehweinehen fortgesetzten tierexperimen- tellen Untersuehungen in ihren Endergebnissen nicht ganz iiberzeugend.

Auch die mensehliche Pathologic hat einige fiir die Frage des Hypo- physenzwischenhirnsystems wichtige Tatsachen zu erbringen vermocht. So konnte tI~cgsT bei einem Fall yon eosinophilem Adenom ,bei welchem der Itypophysenhinteriappen vSllig zerst6rt worden, der Tumor aber nieht in den Hypothalamus selbst vorgedrungen war, Ver~nderungen an den Ganglienzellen der Nuclei supraoptici und Corpora mamillaria nachweisen, und zwar ersehienen diese geschrumpft und hyperehroma- tiseh. Ihre Zellkerne waren zum Tell pyknotisch und intensiv angef~rbt und schlieglich nur noch als dunkle homogene Seheiben erkennbar. In den lateralen Abschnitten der Corpora mamillaria fanden sieh die gleichen Ganglienzellveriinderungen, doch kam es dort zu einer aus- gesprocheneren Gliareaktion. HECHST selbst betont eigens, dab er an keinem der sogenannten vegetativen Hypothalamuskerne eine typische retrograde geaktion feststellen konnte. Er erwog deshMb ebenso, wie wit dies sehon friiher taten, die MSglichkeit, daft vielleicht die Ganglien- zellen der Nuclei supraoptici, paraventrieulares usw. auf die Abtrennung ihrer Neuriten nicht mit der retrograden Zellveri~nderung Nissr,s re- agieren. Wie bereits an anderer Stelle hervorgehoben, sind wir jedoch yon dieser Anschauung wieder abgekommen, da selbst die CLA~x~schen Zellen nach Abtrennung ihrer Neuriten das Bild der retrograden lge- aktion boten.

Kurz zusammengefaftt ergibt sieh, dab die faseranatomischen Unter- suehungen zwar die Existenz eines Tractus supraoptico-hypophyseus nahelegen, dag aber sowohl die tierexperimentellen wie die klinisch- pathologisch-anatomisehen Untersuchungsergebnisse den sicheren Be- weis fiir die Existenz eines solchen Faserbiindels noch sehuldig blieben, da sich eine sichere retrograde Reaktion an den Ganglienzellen der Nuclei supraoptici naeh Unterbrechung des Hypophysenstiels weder beim Mensehen noch beim Tier nachweisen lie ft. Damit soll aber keines- wegs geleugnet werden, dag die I-Iypophyse dem Einfluft des vegetativen Nervensystems untersteht, und zwar via Sympathieus und Parasympa- thicus.

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Wenn so aueh gegenw~rtig der Naehweis ftir die vegetative Natur der hypothMamisehen Kerngruppen noeh aussteht, so legen doeh die bereits vorliegenden Untersuehungsergebnisse der tierexperimentellen For- sehung und der mensehliehen Pathologie einen groBen Einflu8 des Hypo- thalamus auf die vegetative n t~egulationen nahe. Wie auch sonst in Lokalisationsfragen ist man leider aueh bei der LokMisation der vege- tat iven Funktionen im Gebiet des HypothMamus zun~ehst viel zu weir gegangen und hat versucht, die Steuerung der Fliissigkeitsaufnahmen nnd -Abgabela in die Nuclei supraoptiei; die des Kohlenhydratstoff- weehsels in die Nuclei paraventrieulares, die Temperaturregulation in die Tuberkerne, die I~egulation der Sexualfunktionen in die Corpora mamfllaria usw. zu verlegen. Sehematische Abbildungen yore Hirnstamm, auf welehen diese versehiedenen ,,Stoffweehselzentren, kritiklos in die entspreehenden Kerngebiete des Hypothalamus eingezeiehnet waren, haben nieht nut unsere Kenntnis yon den Funktionen des I-IypothMa- mus wenig gefSrdert, sondern vielfaeh sogar ganz im Gegenteil ein Zerr- bild yon de r funktionellen Gliederung des Hypothalamus entworfen. Wenn aueh diese weir fiber das Ziel hinaussehiegende Lokalisation der Stoffweehselregulationen in bestimmte hypothMamisehe Ganglien- zellareMe gleiehen Zelltyps, die man geradezu Ms hypothal~misehe Stoff- weehselzentren bezeiehnete, relativ bald wieder als falseh verlassen wurde, so hielt man sieh wenigstens zu einer Unterteflung des t iypo- thalamus in einen sympathisehen und parasympathisehen Anteil be- reehtigt.

Physiologie des Hypothalamu.s. Die Existenz eines hypothalamischen parasympathischen Abschnittez

forderte' mit ~ls erster der bekannte amerikanisehe Neuroehirurg CT:- sgI~G, der auf Injektion yon 1 em a Pituitrin oder Piloearpin in einen Seitenventrikel, offene Foramina M o ~ o I vorausgesetzt, eine profuse SehweiBsekretion, Zunahme der Magen-Darmperistaltik, Bradyk~rdie, Blutdrueksenkung, Abfall der ReetMtemperatur und des Grundumsatzes, zuweflen auch Erbreehen, Stuhl- und Urinabgang auftreten sah. Da alle diese Reaktionen als parasympathisehe Reizsymptome anzusprechen sind, zog C~rs~IxG den SehluS, da8 in den Wandungen oder im Bodeu des 3. Ventrikels ein parasympathisehes SteuerungsareM verankert sein mfiBte. Dieses parasympathische Ventrikelsyndrom CvsgI~Gs t r i t t jedoeh nieht in Erseheinung, wenn vor der Injektion yon Pituitrin bzw. Pilocarpin in den Seitenventrikel das den Parasymphathieus ]/~hmende Atropin gleiehfMls intraventrikul~r verabreicht worden war oder in- folge Verlegung des Foramen MOSrROI ein Absehlug des betreffenden Seitenventrike]s vorlag. Die Tatsache, dab naeh vorangehender intra- ventrikuls Verabreichung yon den Parasympathieus 1/ihmendem Atro- pin auf die intraventrikulgre Pituitrin- oder Pitoearpininjektion kein

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parasympathisches Ventrikelsyndrom auftritt, sttitzt die parasympathi- sche Natur der dureh die genannten Pharmaka in Erregung versetzten vegetativen gegulationsmeehanismen. Das Ausbleiben des Cus~I~Gschen Ventrikelsyndroms naeh intraventrikul~rer Injektion yon Pituitrin oder Pilocarpin bei AbschluB des betreffenden Seitenventrikels lgftt aber einzig und allein nur den Sehluft zu, dab diese beiden Pharmaka nicht auf dem Blur-, sondern vielmehr auf dem Liquorweg ihre Wirkung auf die betreffenden parasympathischen vegetativen Steuerungsareale ent- falten. Jedoch lgftt sieh hierans keinesfMls die Schlugfolgerung ziehen, daft die parasympathisehen Steuerungsareale, auf welche diese Phar- maka erregend wirken, in den Wandungen und dem Boden des 3. Ven- trikels verankert sein mtissen, denn. bei offenem Aqugdukt kann das an- gefiihrte parasympathisehe Reizsyndrom ebensogut dureh Einwirkung der beiden Pharmaka auf das im Boden des 4. Ventrikels lokalisierte parasympathische Ganglienzellareal des dorsalen Vaguskernes und andere dort gelegene vegetative gegulationsareale zustande kommen.

Zur Erggnzung dieser CvsmNoschen Beobaehtungen wgren die gleiehen Untersuchungen noeh an Kranken mit Verschluft des Aquae- duetus SYLWI durehzuffihren, um festzustellen, ob dann auch bei diesen

- - ein offenes Foramen MoN~o, vorausgesetzt - - nooh das parasympa- thische t~eizsyndrom in Erscheinung tritt. Sollte dies zutreffen, so wgre dann der Sehluft bereehtigt, daft, wie bereits ohne entsprechende Be- reehtigung angenommen, die betreffenden parasympathischen Steue- rungsareale in den Wandungen. und im Boden des 3. Ventrikels gelegen sein mfissen.

Setzt man jedoch voraus, daft dieser Nachweis gelungen sei, so er- hebt sieh naturgemgft die weitere Frage naeh der genaueren Lokalisation dieses parasympathisehen l~egulationsareals innerhalb der Wandungen des 3. Ventrikela. Dabei legt die Tatsache, daft auf Grund faserana- tomiseher Untersuehungsergebnisse eine Faserverbindung zwisehen den Nuclei supraoptici und paraventrieulares einerseits und der Neuro- hypophyse andererseits zu fordern ist und gerade das gesuehte para- symlohathisehe l~egulationsareal auf den in der Neurohypophyse vor- kommenden Wirkstoff, Pitiutrin, ansprieht, die SehluBfolgerung nahe, daft die Nuclei supraoptiei, mSglieherweise aueh paraventrieulares, dem gesuehten, im ttypothalamus verankerten parasympathisehen Regula- tionsareal angehSren.

Die Annahme, daft im oralen Absehnitt des Hypothalamus ein parasympathisehes i~egulationsgebiet gelegen ist, dem ein sympathisehes Regulationsareal in dessen eaudalem Absehnitt gegeniibersteht, konnte der Amerikaner BArZD auf Grund der yon ihm naeh Abtragung der I-Iirn- rinde, der Streifenhiigel und der rostrMen Hglfte des Dieneephalons bei Katzen beobaehteten psychisehen Vergndernngen stii~zen, die sieh in

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dem bekannten Wutzustand (Sham rage) dokumentierten. Die Sham rage tr i t t in ihrer eharakteristisehen Art und Weise aueh noeh auf, wenn der t t i rnstamm etwas welter caudal abgetragen wurde. Am ausgesproehen- sten and x*ollkommensten manifestierte sieh das Zus~andsbild der Sham rage, wenn nut noeh ein sehmales eaudales Segment des Dieneephalons oral vor der Mittelhirngrenze erhalten war. Die gestriehelte Linie yon Abb. 14, die dorsal vom oralen Beginn der vorderen Vierhtigel ventro-oral- wi~rts gegen die eaudale Grenze der Corpora mamillaria verl~tuf~, grenzt den Anteil des Hirnstammes und GroBhirns ab, dessen Aussehaltung das Bild yon Sham rage am voll- kommensten erzeugt. Wird aber das sehmale punktierte drei- eekige Segment des Dieneepha- lons caudal ~-on der gestriehelten Linie mit entfernt, so komm~ es nieht mehr zum Zustandsbild der Sham rage, weshalb man das sympathisehe hypothalami- sehe Regulationsareal in diesem sehmalen dreieekigen Zwisehen- hirnsegment zu suehenhat, w/ih- rend das parasympathisehe l~e-

Abb. 1~. Schematisehe Darstellung der verschie- denen Kirnabsehnitte, wobei das ergotrope hypo- thalamische l~egub~tionsareal dutch eine gestrichelte Linie oral abgegrenzt 1st und ein spitzwinkeliges

Dreieck mit dorsal gerichte~er Spitze darstellt. (B~r

gulationsareal den sich oral anschliegenden Hypothalamusanteil umfaBt. Eine ganz wesentliehe Stiitze erhielten die angeffihrten Beobach-

tungen dureh die tierexperimentellen Untersuehungsergebnisse yon BEAT~IE 1932, der bei Reizung des oralen Hypothalamusanteils mit bipolaren Elek~roden AktionsstrSme in den Nn. vagi, Verliingerung der Vorhofkammer-l~rberleitungszeit, Verlangsamung der I-Ierzschlagfolge, Erweiterung der Ohrgef/~l]e, Blasenkontraktionen, gesteigerte Magen- Darmperistaltik, Hyper/~mie der Magensehleimhaut und vermehrte Pepsinsalzs~uresekretion feststellen konnte, demnaeh einen Symptomen- komplex, der weitgehend mit dem Ventrikelsyndrom CusmsGs /iber- einsLimmt. Interessanterweise konnten diese I~eizsymptome yon Seiten des Magen-Darmkanals dureh die Unterbreehung der Nn. vagi auL gehoben werden.

Wenn aueh natiirlieh diese nut skizzenhafte Darstellung, der eine Unterteilung des Hypothalamus in ein orales, parasympathisches and caudales sympathisches Regulationsareal beweisenden Untersuehungen keinerlei Ansprueh auf Vollsti~ndigkeit erheben kann, so dtirfte sie aber doeh zur Geniige dartun, dag eine solehe Unterteilung auch sehon gegenw~rtig zu Recht besteht und den beiden vegetativen hypothala- misehen Regulationsarealen ein geradezu entgegengesetzter Innervati- onserfolg zukommt. Von den P~eizeffekten der spinalen, oblongat~ren und

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mesencephalen vegetativen Regulationsareale unterscheiden sich die t{eiz- effekte dieser beiden hypothalamischen vegetativen Regulationsareale ganz wesentlich dadurch, dag sie eine ganze Reihe von l~eizsymptomen umfassen, weshalb man am zutreffendsten von einem sympathisehen und parasympaghisehen I-Iypothalamussyndrom spricht. Naeh W. R. H~ss unterseheiden sich die im Hypothalamu, verankerten vegetativen Organisatoren yon den im 2Vachhirn lokalisierten /unktionell dadurch, dag die im Hypothalamus gelegenen im Gegensatz zu den im Nachhirn die verschiedenen Erfolgsorgane nicht nach Funktionssystemen, sondern nach System,aggregaten zusammenfassen, die das Gesamtverhalten des betreffenden Organismus bestimmen. Von diesen beiden Hypothalamus- syndromen umfaBt das sympathisehe psychisehe Ver/s in Richtung erhShter psychiseher Erregbarkeit und i=~eizbarkeit, gesteiger- ter Angriffslust und Bewegungsdrang, Erweiterung der Pupillen und Lidspaiten, Beeinflussung des Herzens hinsichtlich seiner Erregbarkeit und Reizleitung sowie Tempo und Kraft seiner Aktion im positiven Sinne, Vasokonstriktion, Blutdrucksteigerung, Piloarektion, Ansteigen des Blutzuekerspiegels, m6glicherweise verbunden mit Glykosurie und Ersehlaffung der glatten Muskeln des Magen-Darmkana]s, ausgenommen dessert Sphincteren.

Da sich das sympathisehe und parasympathisehe Hypothalamus- syndrom zueinander wie Positiv und Negativ verhalten, manifestieren sich dementspreehend bei letzterem die psychisehen Ver/~nderungen in einer tterabsetzung bzw. D~mpfung der psychischen Ak~ivit/~t, in Apathie und TrKgheit, Bewegungsunlust und Antriebssehw~ehe, sowie die vegetativen St5rungen in einer Verengung der Lidspalten und Pu- pillen, einer Herabsetzung der Erregbarkeit und Reizleitung des Her- zens sowie des Tempos und der Kraft seiner Aktion, in Hyper~mie der Haut und Schleimhaut yon Magen und Darm, im Absinken des Blut- druckes, Blasenkontraktionen, gesteigerter Magen-Darmperistaltik, ver- mehrter Pepsinsalzs~i.uresekretion des Magens, in SchweiB-, Speichel- und Tr/inensekretion.

Wie schon frfiher ausgeftihrt, konnte CA~o~ aufzeigen, dab sich das gleiche Laboratoriumstier, das in der sicheren Obhut und Pflege des Laboratoriums auch ohne Sympathieus selbst jahre]ang am Leben er- halteri werden kann, in der Freiheit dem Daseinskampf nicht gewaehsen erweist und daher bald umkommt. Hieraus ist zu folgern, dag gerade im Kampf gegen die i~uBeren und inneren Feinde des betreffenden Organismus der sympathische Antefl des vegetativen Nervensystems eine wesentliehe und nieht ersetzbare Rolle spielS, dessen oberstes Re- gulationsareal im cauda]en Hypothalamus verankert ist.

Unterwirft man die einzelnen Symptome des sympathisehen Hypo- thalamussyndroms einer noehmaligen genanen Betrachtung im Hinb]ick

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auf ihre Bedeutung im Daseinskampf, so zeigt sich,, dal3 tatsachlich sowohl die Psyche wie die verschiedenen 0rganfunktionen in Richtung des Kampfes und der Abwehr gegen iiuftere und innere Feinde des Organismus eingeste]l~ sind. DaB die erh6hte psychische Aktivitat, die sich in Sham rage, einer Steigerung der psychisehen und nervSsen Er- regbarkeit, des Bewegungsdranges und Antriebes manifestiert, dem be- treffenden Tier im Kampf gegen seine /~ufteren Feinde zum Vorteil ge- reicht, braucht nicht erst niiher ausgeffihrt werden. DaB aber auch die Erweiterung der Lidspalten und Pupillen, die Piloarektion, die Vaso- konstriktion im Splanchnieusgebiet, das Ansteigen des Blutzucker- spiegels und Blutdruckes, die Erh6hung des Grundumsatzes und der K6rpertemperatur, die Erschlaffung der glatten Muskeln yon Magen und Darm mit Ausnahme der Sphincteren gleichfalls wesentliche Faktoren im Daseinskampfe darstellen, dfirfte ebenfalls jedem Mar sein. Wghrend die Erweiterung der Lidspalten und Pupillen, die Piloarektion, die Steigerung des Blutdruekes, die das Blur aus dem grogen Reservoir des Splanchnicusgebietes den t/itigen Muskeln zufiihrt, direkt dem Daseins- kampfe dienen, maehen das Ansteigen des Blutzuekerspiegels als Folge der gesteigerten Glykogenolyse in der Leber und die Erh6hung des Grundumsatzes die ffir den Daseinskampf n6tige Energie frei. Im Gegen- satz zu den dem K6rperaufbau dienenden K6rperfunktionen, deren D/impfung angezeigt erscheint, erm6gliehen die Bronchodilatation und die Besehleunigung der Atmung und Iterzaktion die Abgabe der stark vermehrten Kohlens~ure. In einer grogen Reihe yon Untersuehungen, die sieh fiber 2 Jahrzehnte erstreckten, konnte sehlieglich CA~No~ mit seinen Mitarbeitern noch den Naehweis erbringen, dab das caudal ge- legene sympathische I%egulationsareal des I-IypothMamus nur in eng- ster Zusammenarbeit mit der Nebenniere, die ihrerseits dutch Abgabe yon positivem Sympathin die an und ffir sich sehon weir gespannte Lei- stung dieses Areals noch wesentlieh f6rdert, die Aufreehterhaltnng des inneren Milieus, die Home0stase, aueh unter ungfinstigen Umwelt- bedingungen, wie sic der Kampf gegen die inneren und ~uBeren Feinde des Organismus sehafft, zu meistern vermag. Um in der Bezeiehnung zum Ausdruek zu bringen, daft gerade unter ffir den betreffenden Or- ganismus ungiinstigen Umweltbedingungen, d. h. in den Zeiten der Not und Gefahr~ wie z. B. bei starken psyehischen Erregungen, bei sehr inten- sivem Schmerz, bei Itypoglyk~tmie, bei Asphyxie, Acidose, Dehydrierung und bei starkem Wgrmeverlust dieses im caudMen I-Iypothalamus ver- ankerte sympathische Regulationsareal die ~'iihrung der lebenswichtigen Organfunktionen tibernimmt, spricht C.4~o~ yon einer Notfallsreak- tion oder emergency reaction dieses hypothalamisehen vegetativen Re- gulationsareals, Daft sieh dabei der gleichzeitig hemmende Einfluft dieses Areals auf die glatten Muskeln und Driisen des Magen-Darmkanals

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sowie auf den Detrusor vesicae Ms vorteilhaft ftir den im Daseinskampf stehenden Gesamtorganismus erweist, wobei es ganz gleiehgfiltig ist, ob dieser augenblieklich im Angriff oder in der Flueht sein Heil sucht, ver- steht sich yon selbst und soll nut der liickenlosen Darstellung wegen angefiihrt werden.

Im Gegensatz zu der Leistung dieses im caudalen Hypothalamus ge- legenen sympath?schen Regulationsareals ist der im oralen Hypothalamus ver~nkerte parasympathische Regulationsapparat in seiner Gesamtleistung auf den Kiirperau/bau sowie auf die Erhaltung des betre//enden Organismus und seiner Art ~usgerichtet. Dementsprechend l~Gt sich auch der lcata- bolischen Leistung des sympathischen hypothalamischen Regulations- apparate.~ die Leistung des parasympathischen hypothalamischen Re- gulationsapparates als anabolisch gegenfiberstellen. Als das fiihrende Symptom dieses orMen Hypothalamussyndroms muB die Herabsetzung bzw. D~mpfung der den Gesamtorganismus zu kSrperlicher wie geistiger H6chstleistung bef~higenden Eigensch~ft angesprochen werden, parallel mit der verminderten Erregbarkeit des zu k6rperlichen HSchstleistung notwendigen Inncrvationsmechanismus nimmt auch die Funktion des Atmungs- und Kreislaufmechanismus ab. DaB eine Verengung der Pupillen, wie sie sich als l~eizsymptom des parasympathischen hypo- thM~mischen t~egulationsapp~rates doknmentiert, als SchutzmaGnahme der Retina vor zu starker Belichtung fungiert, bedarf keiner weiteren Erkl~trung. Ebenso lassen sich auch die Verlangsamung der Herzschlug- folge, die Abnahme der Herzschlagamplitude und der Zahl und Tiefe der Atemzfige ohne weiteres als im Dienste der Entspannung und Ent- lastung des Gesamtorganismus stehende Regulationsleistungen ver- stehen. Zu einer der HauptsparmaBnahmen des oralen parasympathi- schen Regulationsapparates des HypothMamus dfirfte die Herabsetzung des gesamten Stoffwechsels z~hlen, die mit einer Senkung des Blut- druckes und der K6rpertemperatur sowie mit Erh6hung der motorischen und sensiblen Chronaxie einhergeht. Die Zunahme der Peristaltik und Sekretion des Magen-Darmk~nals sowie die Erh6hung des Detrusor vesicae-Tonus dienen dem Aufbau des Org~nismus, bzw. der Ausschei- dung der bei dem AufbauprozeG freiwerdenden AbfMlstoffe.

Der Bronchoconstrictorenspasmus stellt die efferente Komponente eines Schutzreflexes dar, der das Eindringen yon die Lungenalveolen sch~digenden gasfSrmigen und festen Stoffen verhindert. In gleicher Weise erm5glicht die gesteigerte PeristMtik des Magens bei gleich- zeitiger Kontraktion des Pylorus, d.h. bei Abschlul~ des Magenaus- ganges und Ersch]affung der Kardia, d. h. (~ffnung des Mageneinganges als efferente Komponente des Brechreflexes die Elimination yon den Organismus sch~digenden Stoffen. Auf den Defi~kations- und Miktions- reflex, die gleichfalls im orMen I-Iypothalamus geschlossen werden, soil

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erst spgter im Zusammenhang mit der Sehilderung der wiehtigen tier- experimentellen Hesultate, die H. W. HESS bei Katzen im Gebiet des Hypothalamus durehfiihrte, eingegangen werden. Dagegen soll an dieser Stelle noehmals auf die I iemmung des Gedankenablaufes und Antriebes sowie der Affektiv- und geaktivbewegungen hingewiesen werden, wes- halb sowohl der Menseh wie das Tier bei Reizung des oralen IIypothala- mus eine gewisse Tr~gheit und Bewegungsunlust erkennen l~tBt. DaB dieses der Sham rage kontr~re Verhalten des Organismus eine Einsparung yon Energie erm6glieht, dtirfte keine weitere Ausffihrung erfordern. Parallel m~t der Einsparung von K6rperkraft erfolgt im Gegensatz zur Reizung des eaudalen Hypothalamus ein Absinken des Blutzueker- spiegels. Wenn aueh das sympathisehe Hypothalamussyndrom dem parasympathischen mit einem gewissen Heeht wie ein Positiv sei- nem Negativ gegentibergestellt werden kann, so nnterseheidet sich doeh bei einem genaueren Vergleieh die Reaktionsweise des sympathi- sehen hypothalamischen Begulationsapparates yon der des parasym- pathischen nieht unwesentlieh.

Das groge Verdienst des bekannten Sehweizer Physiologen W. H. HESS ist es, in 25j~hriger Zusammenarbeit m i t einem Kreis yon Mit- arbeitern an Hand einer sehr grol3en Anzahl yon im Bereiche des Itypo- thalamus gesetzten punktf6rmigen geizen gewonnen Ergebnissen naeh- gewiesen zu haben, da6 in einem Gebiet, das yore mittleren Hypothala- mus naeh caudal nnd oben bis zum zentralen It6hlengrau nm den 4. Ventrikel reicht, eine Kollektivrepr~sentation yon Leistungen ergo- troper Funktionsrichtung verankert ist, als deren peripherer Erregungs- iibertrager der Sympathicus anzusprechen ist. Im Nachhirn finden sieh die verschiedenen vegetativen Effeetoren, die im Bereiche des Hiicken- markes in benachbarten Segmenten vertreten sind, naeh Funktions- systemen zusammengefal~t, wghrend sehlieBlich im Hypothalamus diese Funktionssysteme zu Systemaggregaten vereinigt werden, die das Gesamtverhalt.en des betreffenden Organismus best~tigen. Diesem stufenf6rmigen Aufbau im zentralen Anteil des vegetativen Nerven- systems kommen jedoeh, was gleiehfalls W. H. t-I~ss mit Heeht betont hat, keine seharfen anatomischen Grenzen zu, sondern es weist der Organisierungsprozel~ vielmehr, wie Zahlreiche Beispiele dartun, fiber die Stufen hinweg eine gewisse ,,L~ngsstreuung" (W. 1~. It~sss) auf. So setzt dieser schon auf einer tieferen Ebene ein, um auf h6herer Ebene ein gewisses Maximum nnd schlieBlich noch weiter oral seine Vollendung zu erreichen. Diese Organisation erkl~rt die Gefahr, da6 nach Ausschal- ~ung eines iibergeordneten Repr~sentanten die nunmehr unabhangig gewordenen untergeordneten Glieder des Gesamtapparates ihre vorher zum Tel l gehemmten Potenzen v611ig frei entfalten k6nnen. Diese Funktionsiibernahme bildet das far die Pathophysiologie so wichtige

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Prinzip des Vikariierens bzw. der automatisehen Kompensation, das wenigstens zum Tell die aus den Ergebnissen der Aussehaltungs- und Durehsehneidungsexperimente gezogenen Fehlsehliisse erkl~rt. So weisen die Ergebnisse der Reizexperimente im Bereiehe des Hypothalamus im Gegensatz zu den der entspreehenden AussehMtungsexperimente darauf hin, dab aueh der Hypothalamus an der Regulation yon Atmung und Blutkreislauf weitgehend beteiligt ist, wenn aueh die Oblongata Ms die eaudalste Station zu gelten hat, welehe noeh die versehiedenen an der Regulation yon Atmung und Blutkreislauf betefligten Effeetoren zu geordneter Leistung zusammenzufassen vermag und deren Aussehaltung das Zusammenbreehen der gesamten Funktionsregulation yon Kreislauf und Atmung zur Folge haben muB. Andererseits konnte W. g. HEss dureh punktf6rmige t~eizungen im Bereiehe des Hypothalamus Blut- druekabfall, Abnahme der Atmungsfrequenz und Atmungsamplitude, Darmgurren, Kotabgang, Urinentleerung sowie Speiehelflugs Niesen, Wfirgen, Erbreehen, Leekautomatismen erzielen, und die auf Tafeln eingetragenen t%eizstellen ergaben, dag die s~tmtliehen korrespondieren- den l%eizstellen in einem Gebiet gelegen waren, das oralwiirts vom mittleren Hypothalamus liegt und die Area supra- und pr~optiea sowie den basalen Absehnitt des Septum pellueidum umfagt. Betraehtet man die einzelnen erzielten Effekte vom Standpunkt der Leistung aus, so handelt es sieh stets um Entlastungsmeehanismen, die isoliert oder h6ehstens in besonderer Kombination (Verengung der LidspMten und Pupillen) auftreten, wiihrend yon einer Kollektivreaktion wie im ergo- tropen Absehnitt des Hypothalamus nieht gesproehen werden kann, woraus eine versehiedene nielat nut antagonistisehe Funktionsriehtung zu ersehen ist.

Kurz zusammengefal3t werden dureh die orale endophylaktiseh- trophotrope tIypothalamuszone I~efiexe ausgel6st, die dent Sehutze der Sehleimh~ute, des Verdauungs- und Respirationstraktes und des Kreis- laufes dienen sowie eine koordinierte Kot- und Harnentleerung er- mSgliehen, wobei es sieh ebenso wie beim Erbreehen stets um Ent- lastungsfunktionen handelt. Ebenso wird aueh die Sekretion yon Speiehel- und Verdauungssekret ~on dieser Zone aus angeregt, w~hrend die den mittleren unteren Thalamus eirmehmende hypnogene Zone im Zell- milieu und in den Zellen sieh abspielende gestitutionsprozesse beein- fluBt. Extrazentral werden die Erregungen dureh den Parasympathieus iibertragen. Ein wesentlieh umfangreieheres Gebiet, das den eaudalen Absehnitt des Itypothalamus mit dem perifornikalen Areal, das Gebiet der Commissura posterior und das zentrale H6hlengrau des Aqu~duktes umfagt, mobilisiert diejenigen vegetativen Effeetoren, welehe die Energieentfaltung naeh augen sowie die a&ktivitat yon Atmung und Kreislauf steigern. Parallel mit der direkten Aktivierung vegetativer

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Organe geh~ eine ErhShung der Funktionsbereitsehaft im animalen Nervensystem einher, die sieh in seiner gr613eren Anspreehbarkeit dokumentiert. Als extrazentraler Erregungsiibertrgger fungiert der Sympathieus. AuBerdem obliegt dem tIypothalamus die koordinatorisehe Eingliederung gewisser Funktionen der Skeletmuskelmotorik, die als Hilfsmeehanismen vegetativer Leistungen eine Rolle spielen (koordi- nierte K6rperhMtung der Katze bei Entleerung yon H a m und Stuhl). Versehiedene triebhafte Verhaltungsweisen im Dienste der Abwehr (Flueht- und Aggressionstrieb) mid der Nahrungsgewinnung (Fregtrieb) werden ebenso wie die Stimmnng des Wohlbehagens und der Zutraulieh- keit vom ttypothalamus induziert. Aueh daran, dab der Hypothatamus enge Beziehungen zur Sexualfunktion unterh/~lt, diirfte nieht mehr zu zweifeln sein, wenn aueh die entspreehenden tierexperimentellen Er- gebnisse noeh ausstehen.

Bei der Mobilisierung des ergotropen Systems spielen afferente Nervenfasern, die aus exteroeeptorisehen Sinnesorganen stammen, die wesentliehe I{olle. So fiihren z. 13. Geh6rreize den sehlafenden Organis- mus aus seiner Passivit~t in den aktiven Zustand des Wachseins tibet'. Desgleichen spielen Liehtreize und epikritiseher Sehmerz bei der i]ber- fiihrung yon Sehlaf in das Waehsein eine wesentliehe l%olle, was sich morphologiseh darin dokumentiert, dab zu beiden Seiten der Commissura posterior in die dort gelegenen Areale der dynamogenen Zone besonders zahlreiehe Kollaterale der medialen Sehleife einmtinden, zu denen sieh noeh aus dem Corpus genieulatum mediMe et laterale in das Teetum /ibertretende Faserziige hinzugesellen, zu denen bei hSheren Wirbeltieren aueh noeh Einfltisse eortieMer Herkunft hinzukommen. Neben diesen exogenen Reizen und Einfliissen spielen jedoeh bei der Mobilisierung des ergotropen Systems aueh noeh Afferenzen endogener Genese, z. B. der Sauerstoffgehalt, die H-Ionenkonzentr~tion des Blutes usw.' eine wiehtige, oft sogar die Hauptrolle.

Im Bereiehe des endophylaktiseh-trophotropen Systems 1/~Bt sieh ftir den von Fall zu Fall weehselnden-Effekt die vegetative Proprioeep- tivit/~t verantwortlieh maehen, so ftihrt die Reizung, wenn augenblieklieh das Rectum gefiillt ist, zu DefS, kation, w/~hrend umgekehrt bei Fiillung der Blase Miktion eintritt. Kurz gesagt, z~thlt zu den wesentliehsten Leistungen, der hypothalamisehen vegetativen t~epri~sentation die Fi~higkeit, die auf tieferen Niveaus weitgehend isoliert vertretenen, rein vegetativen 3/Ieehanismen mit hSher organisierten Vorg/~ngen des ani- malen Systems zu einer physiologiseh erfolgreichen Leistung zu asso- ziieren, an der sowohl die Viseero- wie aueh die Skeletmuskelmotorik beteiligt ist.

Im Gegensatz zu den i%eizexperimenten haben die Ergebnisse der Aussehaltungsexperimente bis dato noeh etwas entt/~useht, was ohne

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weiteres dadureh verst~ndlich ist, dab ein vegetativer Ausfall relativ rasch von funktionell ~tquivalenten auf tieferem Niveau verankerten Substraten ausgeglichen wird, weshalb ein Ausschaltungseffekt im all- gemeinen nur dann feststellbar ist, wenn ein grSgeres vegetatives Areal des Hypothalamus ausgesehaltet wurde.

Von den vegetativen hypotha]amischen Ausfallserscheinungen stehen auf Grund der Ergebnisse der yon R. W. H~ss an Katzen ausgefiihrten Ausschaltungsexperimente psychisehe St6rungen in Form eines mehr oder minder stark ausgepr~gten Ausfalles an Initiative im Vordergrund der Hypotha]amussymptome. Tiere mit ZerstSrung des caudalen Hypothalamusabsehnittes liegen gewShnlich tr~ge herum und weisen dabei nicht selten eine Temperaturregulationsst5rung auf. Bei 3 Tieren wurde eine ausgesproehene Kachexie, bei einem Fettsucht, einem anderen Polyglobulie und bei wieder einem anderen multiple h~morrha- gische Erosionen der Magenschleimhaut naeh Ausschaltung von um- schriebenen Hypothalamusarealen festgeste]lt. Stets fiel bei den Tieren nach Zerst6rung yon Hypothalamusarealen ein besonders ffir das engere Fachgebiet des Ha]s-Nasen-Ohrenarztes wiehtiges VerhMten auf, n~mlieh eine starke Anf~l]igkeit katharralisehen Infektionen gegeniiber; die auf NebenhShlen und Konjunktiven fibergriffen und so gut wie regelmgBig zum Tode fiihrten. Ausgedehnte Koagul~tionen im Bereiehe der dyn~mo- genen Zone bedingten den AbfM1 der Erythrocytenzahl, w~hrend solehe im mittleren Abschnitt des Hypothalamus in der Gegend zwischen den Columnae fornicis und den Traetus mamillothalamici auffallende Schwankungen tier Blutdruekwerte zur Folge haben. Eine Beeinflussung des weigen Blutbildes dutch hypothalamische Regulationsgebiete l~l~t sich auf Grund der Reiz- und Ausschaltungsexperimente weder sicher- stellen, noch mit Bestimmtheit ausschliegen. Ebensowenig konnten die tierexperimente]len Untersuchungen den Beweis ffir einen hypothalami- schen Einflug auf die Blutbfldung erbringen.

Uberbliekt man die Ergebnisse der bei Katzen im Bereiche des Hypotha]amus durchgeftihrten Reizexperimente, so fgllt auf, dab StS- rungen yon seiten des Stoffweehsels so gut wie nieht vermerkt sind. Eine gewisse Erklgrung hierffir dfirfte die enge Zusammenarbeit yon Hypothalamus und Hypophyse geben. Da die sonstigen tierexperimen- tellen Untersuchungen eine wertvolle Stfitze der klinisch-morphologischen Befunde bilden, sollen sie im Zusammenhang mit diesen berficksichtigt

werden.

Pathologische Prozesse im Bereiche des Hypothalamus. Der H/~ufigkeit des Vorkommens nach diirfte unter den im Hypo-

thalamus sich abspielenden Krankheitsprozessen mit an erster Stelle die Encephalitis epidemica und die Arachnopathia chiasmatis zu stellen

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sein, in deren Verlauf die verschiedensten Hypothalamussymptome wenigstens vorfibergehend einmal vorkommen, an zweiter Stelle das direkte Trauma und an die dritte die Geschw~ilste. Von den Geschwfilsten kommen fiir eine funktionelle Untergliederung des Hypothalamus vor allem kleine umschriebene metastatische Geschwfilste in Frage, doch k6nnen such kleine Embolieu und H/~morrhagien die gleiche Bedeutung besitzen. Sonst haben h~ufiger die Craniopharyngeome und Gliome des Chiasma opticum die Tendenz, gegen die Vorderwand und den Boden des 3. Ventrikels vorzudringcn und mit entsprechenden Hypothalamus- symptomen einherzugehen, abet such die Meningeome des Tuberculum sellae, das parasellKre Epidermoid, die Foramen-Mo~-RoI-Cysten, die Ependymome, die Plexuspapillome, die Astrocytome der Medianlinie und Oligodendrogliome des 3. Ventrikels verlaufen ebenso wie Ge- schwtilste der Ganglienzellreihe, die such in dieser Gegend h~ufiger beobachtet werden, mit vegetativen Symptomen von seiten des Hypo- thalamus. Dazu k6nnen noch Epiphysen- sowie Mittelhirntumoren und sogar subtentorielle Geschwfilste auf dem Umwege fiber einen Hydro- cephalus internus occlusus ebenso wie tier Hydrocephalus hypersecre- torius und aresorptivus durch ballonf6rmige Vortreibung und Kom- pression des Bodens des 3. Ventrikels bis zu Papierdtinne vegetative Hypothalamussymptome bedingen. Bekanntlich bevorzugt aber vor allem die Polioencephalitis h/~morrhagica superior W ~ I C K E die so- genannten vegetativen Ganglienzellkerne des Hypothalamus, doch bleiben gar nicht so selten die Ganglienzellen setbst von dem patho- logischen Geschehen verschont, weshalb vegetative Symptome nicht so sehr im Mittelpunkt des Krankheitsgeschehens stehen, wie man eigentlich erwarten k6nnte. Dagegen werden im Krankheitsverlauf tier Meningitis basalis tuberculosa und tuetica und such der Lues cerebrospi- nails vegetative Symptome nur selteu vSllig vermiSt, ebensowenig wie die Encephalomyelitis die multiple und diffuse Sklerose bei genauer Beobachtung kaum ohne vegetative St6rungen verlaufen.

Besonders wertvoll ffir die symptomatische Aufteilung der einzelnen vegetativen hypothalamischen Steuerungsareale scheinen hyper- und hypoplastische MiBbildungen zu sein, die im Bereiche des Hypothalamus gar nicht so selten vorkommen. So beschrieb GxcPP jr. einen erblichen Diabetes insipidus, bei dem er eine Unterentwicklung tier Nuclei supra- optici, paraventriculares und tier Tuberkerne sov~ie der von diesen Zell- gruppen innervierten Neurohypophyse nachweisen konnte. Das Gegen- stfick einer hyperplastischen Mil~bildung des Tubergebietes wurde von H. SrATZ bei einem kleinen Knaben mit Pubertas praecox mitgeteilt. Macht man nun mit GAUPP jr. ffir den erblichen Diabetes insipidus ein Unterangebot an Wirkstoff und im besonderen Fall an Adiuretin ver- antwortlich, so hatte man umgekehrt bei einer hyperplastischen Bildung

Arch. 0hr- usw. Hcilk. u. Z. Hals- usw. Heilk. ]~d.163 (KongreBbericht 1958). 5

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der gleichen Gegend Bin IJberangebot yon Adiuretin und als dessen FoIge eine Oligurie und nicht eine Pubertas praecox erwarten sollen. Macht man sich aber umgekehrt die pathologische Auslegung yon H. S]~ATZ zu eigen, so h/~tte man bei der Hypoplasie yon GAUPP keinen Diabetes insipidus, sondern vielmehr eine sexuelle Unterentwicklung erw~rten sollen.

Die vegetative Symptomatologie bei pathologischen Prozessen im Bereiche des H ypothalamus.

Unter den verschiedenen im Bereiche des Hypothalamus vorkommen- den vegetativen Symptomen stehen die StSrungen yon seiten der Psyche mit an erster Stel]e und dfirften im Verlaufe eines jeden im ttypothala- mus sich abspielenden Krankheitsprozesses kaum jemals vSllig vermi•t werden. Diese psychischen St6rungen k6nnen sich sowohl in Antriebs- schw~che, Apathie, Sopor und in dcr kurz andauernden Dysrhythmie der petit-real Anfglle wie auch in geradezu gegensgtzlichem psychischen Verhalten, in gesteigerter psychischer Aktivitgt, in maniakalischen Zu- standsbildern mit ausgesprochenem Rededrang, Witzelsucht, Ideen- flucht und einem auffallenden Beschfi~ftigungsdrange dokumentieren. Maniakalische Zustandsbilder mit ausgesprochener Ideenflucht und einem kaum zu tiberbietenden Rededrang konnte O. Fo~sTE~ beim Mensehen dureh geringgradige Kompression des eaudalen Hypothalamus- abschnittes geradezu schlagartig wie in einem Experiment auslSsen, wghrend bei starkem Druek auf die gleiehe Stelle das gegenteilige psyehisehe Verhalten, ngmlieh Herabsetzung der psychisehen Aktivitgt yon leichter Antriebssehw~che fiber Apathie und Benommenheit bis zur Bewul3tlosigkeit, hervorgerufen wurde. Eine siehere operative Beob- achtung, dal~ umgekehrt leiehter Druck auf den oralen Abschnitt des Ventrikelbodens eine Herabsetzung der psyehisehen Aktivit~t und ein starker Druek umgekehrt eine entspreehende Steigerung zur Folge hatte, sind mir aus eigenen Beobaehtungen nieht bekannt. Doeh dfirfte an diesem umgekehrten Verhalten der oralen endophylaktisch-trophotropen Zone nach den tiberzeugenden Tierexperimenten yon BARD kaum mehr zu zweifeln sein.

Somit lggt sich gegenw~rtig ffir den Mensehen der allgemein ge- haltene Satz aufstellen, daft yon der oralen H~lfte des Hypothalamus, welehe die Regio supraoptica und das orale Tubergebiet sowie vielleicht aueh noeh die Area praeoptica umfaftt, ein hemmender, yon der cau- dalen, die bis an das Mittelhirn heranreieht, dagegen umgekehrt ein fSrdernder Einfluft auf die psyehisehe Aktivit~t ausgeiibt wird. Beim Mensehen l~tftt sich jedoeh bei der mechanisehen Reizung des eaudalen IIypothalamusanteiles gewShnlieh nieht nur ein rein maniakalischer Aus- brueh feststellen, sondern es tritt gleichzeitig eine zeitliche und 5rtliehe

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Orientierungsst6rung auf. Es mug jedoch betont werden, dab wir auger dieser Kombination yon Manie mit 6rtlieher und zeitlieher Orientierungs- st6rung, wenn aueh bedeutend seltener, rein manisehe Zustandsbilder bei den versehiedenartigsten Hypothalamusseh~digungen feststellen konnten, und zwar handelte es sieh dabei um Individuen, die vor Aus- brueh ihrer Psyehose keinerlei Symptome eines maniseh depressiven Zustandsbildes boten, w~hrend abet das Gegenstiiek der reinen Manie, die reine Melaneholie, niemals anzutreffen war. Ver~nderungen des Trieb- lebens qualitativer Art, St6rungen des Sexualtriebes, aggressive Wut- zust~nde, Durst, Hunger und Ekelgefiihl, Bewegungs- und l~ededrang, hypomanieartige Enthemmungen, Apulie, Apathie usw. weisen, wie KRETSCH~iEa 1949 ausfiihrte, auf eine traumatisehe Sehgdigung des Hypothalamus bin.

Bei dieser so weir gehenden Beeinflussung der Psyche dutch im ttypothalamus verankerte Steuernngsmeehanismen diirften wenigstens passagere StSrungen des Sehlaf-Wachzyklus im Verlaufe yon im Hypo- thalamus sieh abspielenden Krankheitsprozessen keineswegs wunder- nehmen. In der Tat zSohlen sowohl pathologische Schtaf- und Waeh- zust~nde wie aueh Sehlafumkehr zu den konstanten Symptomen der Ilypothalamuserkrankungen. Die gegenw~rtig vorliegenden Unter- suehungsergebnisse spreehen im wesentliehen nur fiir die Existenz einer hypnogenen Zone in Gegend der Corpora mamillaria.

Die grofte Bedeutung des Hypothalamus fiir den reibungslosen Ablauf der gesamten Stoffweehselvorg~nge kommt sehon darin zum Ausdruek, dag bei L~sionen im Bereiehe des HypothMamus eine ganze Reihe der versehiedenartigsten Stoffweehselst6rungen sowie aueh Kombinationen derselben zur Beobaehtung gelangen. Naeh den Ergebnissen der Aus- sehaltungsexperimente von W. R. HESS diirfte mit der Regulation des Stoffweehsels vor allem das um das Infundibulum gelegene Hypothala- musgebiet betraut sein. Mit Reeht weist HEss darauf hin, dab eine Ab- grenzung yon Zueker-, Fett- und Eiweigstoffweehsel regulierenden Meehanismen im Bereiehe des Hypothalamus nieht gereehtfertigt er- seheint, da doeh jeder der genannten Stoffe in versehiedenartiger Kom- bination eine l~olle spiele. Dazu kommt noeh, dal~ die enge Naehbarsehaft ~ron Hypothalamus und Hypophyse sowie vor allem aber die innigen faseranatomisehen und humoralen Beziehungen zwisehen den beiden Organen, vor allem zwisehen Hypothalamus und Neurohypophyse, die Feststellung, ob und inwieweit eine Stoffweehselst6rung hypothala- miseher oder hypophysgrer Genese ist, vSllig unm6glieh maehen kSnnen, Demnaeh kann man folgeriehtig nut yon einer St6rung des Hypothala- mus-Hypophysensystems spreehen.

Die au6erordentliehe Sehwierigkeit der Abgrenzung yon hypothala- misehen und hypophys/~ren Symptomen manifestiert sieh besonders

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augenf~llig in dem Meinungsstreit, der um die hypo~halamische bzw. hypophys~re Genese des Diabetes insipidus geffihrt wurde.

Der Diabetes insipidus wurde zun~chst Ms Ausdruck einer ~Tber- funktion der Neurohypophyse gewertet, und erst 191.3 hat GOLDZIEg~R und ein Jahr spater SIMMO~DS geradezu umgekehrt eine Unterfunktion des gleichen Organes fi~r das Auftreten des Diabetes insipidus angeschul- digt, womit auch die antidiuretische Leistung der Neurohypophyse anerkannt war. Als aber bereits nocb im Jahre 1913 CAius und l~ouss~: beim Tier dutch eine isolierte L~sion im Bereiche des Hypothalamus, bei der jegliche Mitsch~digung der Hypophyse auszuschlie[3en war, einen Diabetes insipidus zu erzeugen vermocbte, entbrannte ein heftiger wissenschaftlicher Meinungsstreit zwisehen den Anh~ngern der hypo- thalamischen Genese des Diabetes insipidus auf der einen Seite und den Vertretern der hypophyss auf der anderen, der erst mit dem Nachweis eines hypothalamo-hypophys~ren Verbindungsbfindels zwischen den Nuclei supraoptici, des Hypothalamus und der Neurohypophyse dutch R. GR~VI~C u. PI~ES bis zu einem gewissen Grad gekl~rt wurde. Dieser Tractus supraoptico-hypophyseus machte es verst~ndlich, dal~ sowoM eine L~sion des Hypothalamusganglienzellkernes wie seines Verbindungs- biindels und schlie~lich aueh der Neurohypophyse den gleichen Effekt, n~mlich Polyurie und Polydipsie zur Folge haben kann. Sowohl klinischc wie tierexperimentelle Befunde sprechen dafiir, dal~ das Anftreten eines Diabetes insipidus an die ZerstSrung der gesamten Neurohypophyse, die Pars tuberalis und Eminentia medialis eingerechnet, gebunden ist. Eine derartig ausgedehnte neurohypophys~re L~sion kann aber auch auf einer sekund~ren Atrophic als eine Folge der ZerstSrung der Haupt- masse des Tractus supraoptico-hypophyseus beruhen.

Auf die bereits frfiher erw~hnte Beob~chtung yon GAuPr jr., der bei einem erblichen Diabetes insipidus nicht nur einen Schwund der Ganglien- zellelemente der Nuclei supraoptici und paraventriculares, sondern aueh, wie er in einer sp~teren VerSffentlichung mitteilte, der Hauptfasermasse des Tractus supraoptico-hypophyseus und der Neurohypophyse nach- weisen konnte, spricht fiir die enge funktionelle ZusammengehSrigkeit dieser drei morphologischen Gebilde. Schliel]lich geben auch die neueren morphologischen und tierexperimentellen Untersuchungsergebnisse yon W. B ~ G M A ~ und seinen Mitarbeitern, die mit der Go~o~ischen Chromh~matoxylin-Phloxin-F~rbung in den Randpartien der Ganglien- zellen der Ncl. supraoptici und paraventriculares tiefblau gef~rbte, ver- schieden gro[~e Sekretgranula, die auf Kosten der NIssL-Granula ent- stehen sollen, nachweisen und somit die bereits vor Jahren yon SC~A~RER u. GAU~' jr. bei FrSschen, abet auch beim Menschen erhobenen Befunde best~itigen konnten; eine wesentliche Stfitze fiir die angeffihrte Auf- fassung ab, znmal W. BA~GM ~ noch darfiber hinausgehend die

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gleichen Go~oaI-positiven Sekretgranula in den Randpartien der den Tractus supraoptieo-hypophyseus aufbauenden Neuriten der Supra- opticus-und Paraventrieulariszellen und anderen Endigungen sowie in unmittelbarer Nachbarschaft yon Blutgefiigen im Bereiehe der Neuro- hypophyse aufzeigen konnte, die schon l~ngere Zeit als HER~I~Gsche K6rperehen bekannt waren. Nach neueren, der Zusammenarbeit yon W. BA~OMA~ u. ZETLE~ zu verdankenden Untersuchungsergebnissen sollen sieh nur in den Fundstellen des naeh GOMOl~I elektiv darstellbaren Nenroscln'ets, niimlieh in den Ganglienzellen der Nuclei supraoptici und paraventriculares, im Tuber cinereum und in der Neurohypophyse die drei Wirkstoffe Adiuretin, Vasopressin und Oxytocin haben naehweisen lassen, w~ihrend sich dagegen Extrakte schon aus der unmittelbaren Nachbarschaft der genannten HypothMamus-Hypophysenabsehnitte als hormonal vSllig wirkungslos erwiesen haben sollen. Dazu will 1951 HInD an FrSschen, die 1/ingere Zeit der Austrocknung ausgesetzt waren, eine deutliche Verminderung des Neurosekretes im Hypophysenhinterlappen und innerhalb der neurosekretorisehen Bahn festgesteltt hubert, die um so ausgesprochener war, je lgnger die Tiere im trockenen Milieu zu leben gezwungen waren. Wurden Fr6sche in einer 2,5~ Koehsalz- 16sung gehMten, so sollen eine Degeneration der Nuclei supraoptici nnd paraventriculares sowie eine Steigerung der Sekretabgabe seitens der Neurohypophyse und eine Neigung der Pituieyten zu Mitosenbildung die Folgen gewesen scin. STUTINSKY hat nach Erzeugung eirtes experi- mentellen Diabetes insipidus eine Abnahme des Neurosekretgehaltes in der Neurohypophyse des Hundes festgestellt. Sehon 1947 will VE~a-EA durch Injektion einer hypertonischen KochsalzlSsung in die Carotis eine Diuresehemmung beim Hund erzielt haben. Aul3erdem ergaben quantitative Hormonbestimmungen, dag sich die Neurohypophyse im Einklang mit dem histologischen Bilde durch einen viel hSheren Wirk- stoffgehalt als die iibrigen neurosekretorischen Fundsti~tten auszeichnet. Intraven6se Injektionen yon Acetylcholin sollen beim Hund eine Diurese verhindern, was aber nach Entfernung der Neurohypophyse nicht mehr zu erzielen sei. Auf Injektion yon 2--4 g Acetylcholin in die Gegend der Nuclei supraoptici yon tIunden lieg sich dort ein Freiwerden~von anti- diuretischem Wirkstoff nachweisen, woraus hervorgeht, dag die Ganglien- zellelemente der Nuclei supraoptici und nicht die Zellen, an welchen der Tractus supraoptico-hypophyseus endigt, gegentiber Acetylcholin emp- findlieh sind. DUKE, PICKFOnDE u. WATT sollen bei Hunden !950 einen

'reversiblen Diabetes insipidus dutch Injektion yon Diisopropylfluoro- phosphat, einen Inhibitor der Cholinesterase, direkt in die Nuclei supra- optici erzeugt hubert, was die Annahme rechtfertigt, dab afferente eholi- nergische Fasern an den Ganglienzellen der Nuclei supraoptici enden. Demnach fungieren die Ganglienzellelemente der Nuclei supraoptiei

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and paraventriculares als Bildungsst~tten des Wirkstoffes Adiuretin, vielleieht auch yon Vasopressin und Oxytocin. Von diesen Zellelemen- ten gelangen die Wirkstoffe zungehst in die I~andpartien der Neuriten der genannten Ganglienzellen, die den Traetus supraopticohypophyseus bilden and von W. BAI~GMANN als echte neurosekretorische Faserli an- gesprochen werden um in diesen in die Neurohypophyse zu gelangen, die sich im Einklang mit dem histologischen Bild dutch einen weir hShe- ren WirkstoffgehMt Ms die beiden anderen Glieder der neurosekretori- schen Bahn auszeichnet. Die Neurohypophyse, in deren Bereieh die Neurosekretgranula in nnmittelbarer Nachbarschaft von Blutgef~gen anzutreffen sind, stellt demnach nicht die Produktionsst~tte der neuro- hypophys~ren Inkrete, sondern lediglich deren Stapel- und Abgabeort dar, also gewissermagen nut ein Ausscheidungsorgan des Hypothalamus, weshalb man in Zukunft nieht mehr yon ttypophysenhinterlappen-, son- dern vielmehr folgeriehtig von Ilypothalamushormonen sprechen sollte.

Beim Menschen z~hlen StSrungen der Osmo- und Flfissigkeits- regulation im Sinne einer Hyposthenurie, Polyurie und Polydipsie zu den h/~ufigeren Symptomen yon seiten des ttypothMamus, wghrend demgegenfiber das gegens/~tzliche Verhalten, n~mlieh Oligurie mit 0dembildung, weitgehend zurficktritt.

Beim Tier lassen sieh nach einer L/~sion innerhalb der Regio supra- optica drei versehiedene zeitlich aufeinanderfolgende Phasen yon Hypo- sthenurie und Polyurie naehweisen. Die 1. Phase, die dureh ihre Un- beeinfluBbarkeit Pituglandol gegenfiber gekennzeichnet ist und nur einige Tage andauert, wird yon einer zweiten ungef~hr 8 Tage wghrenden Phase geordneter Steuerung yon Flfissigkeitsaufnahme and Ausgabe abgel6st, auf die schlieglich die 3. Phase permanenter, aber dureh Pituglandol giinstig beeinflugbarer Hyposthenurie, Polyurie und Poly- dipsie folgt. Nach langem Suehen gelang es mir, diese drei Phasen auch bei einem Kranken mit I-Iyposthenurie, Polyurie und Polydipsie trau- matischer Genese aufzuzeigen. Die 1. Phase der hypothalamisehen Hypo- sthenurie, Polyurie and Polydipsie, die aueh dutch Pituglandol nicht zu beeinflussen war, l/~ftt sich auch mit Hilfe der neuen yon GAgPP n. BARGMA~r162 vertretenen Theorie, die letzten Endes die Hyposthenurie und Polyurie gleichfalls auf den Mangel eines in den Nuclei supraoptici gebildeten Wirkstoffes, der fiber eine neurosekretorische Bahn, den Tractus supraoptico-hypophyseus, in die Neurohypophysc gelangt, wo er nut gestapelt und ausgeschieden wird, zurfiekffihrt, ebenfalls nieht erkliiren. Auch die tierexperimentellen und morphologisehen sowie" klinisch-anatomischen Befunde stfitzen weitgehend die Auffassung, dab der die Fliissigkeitsabgabe hemmende Wirkstoff von den Ganglienzellen der Nuclei supraoptici vielleieht auch paraventrieulares gebildet wird und dutch die neurosekretorisehe Bahn, den eben erw~thnten Tractus

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supraoptico-hypophyseus, in die Neurohypophyse, und zwar in die n/~ehste Naehbarsehaft yon Blutgef/~Ben kommt, wo er ausgesehieden wird, um dann yon den Blutgef/~Ben aufgenommen in den allgemeinen Kreislauf zu gelangen. Mit diesem wird der Wirkstoff an sein Erfolgs- organ, die Niere, herangebraeht, wo er die giiekresorption des yon den Glomeruli in groBen Mengen ausgesehiedenen Vorharns bei seinem Durehtrit t dureh die angesehlossenen Harnkan/~lehen aktiviert und auf diese Weise die normale Harnmenge gewiihrleistet. Kommt aber dieser in den Ganglienzellen der Nuclei supraoptiei gebildete und in der Neuro- hypophyse ausgesehiedene Wirkstoff in Wegfall, so ist die n/~ehste Folge davon ein Sistieren der giiekresorption des Vorharns in den Harnkan/~l- ehen und sekundgr das Einsetzen yon Hyposthenurie und Polyurie. Diese Rfiekresorption ist nieht an die Innervation der Niere gebunden, sondern es liegt, wie die Tatsache, dab die Harnflut naeh ZerstSrung der Nuclei supraoptiei oder naeh der Durehtrennung des Traetus supra- optieo-hypophyseus zentral yon der Eminentia mediana aueh noeh naeh vSlliger Denervierung der Niere auftritt, beweist, dieser Hyposthenurie und Polyurie eine rein hormonale StSrung zugrunde. Es kann also die erste Phase der gegenfiber Pituglandol sieh refrakt/~r verhaltenden Hyposthenurie und Polyurie nieht auf der Kombination einer hormo- nalen und nerv6sen parasympathisehen StSrung beruhen, denn hSehst- wahrseheinlieh w~re aueh dann noeh eine Besserung auf Pituglandol zu erwarten gewesen. Eine Sehoekwirkung diirfte zwar ein vor/ibergehendes Sistieren der Inkretbildung verst/~ndlieh maehen, jedoeh nieht die Resistenz gegeniiber Pituglandol, die mehr einen Reizzustand des Gegenspielers, ns des ergotropen Systems, dem in der Peripherie der Sympathieus entspricht, nahelegt. Ein solehes [~berwiegen des ergo-

t ropen Systems wtirde aueh die Beobaehtung erkl~tren, dab nieht so selten die Polyurie mit einer StSrung des Zuekerhaushaltes in Riehtung der Glykosurie einhergeht.

Ebenso wie eine Injektion yon Aeetyleholin setzt auch eine solehe yon Eserin in die Gegend der Nuclei supraoptiei die Harnmenge herab, da dieses Pharmakon den fermentativen Zerfall yon Aeetyleholin bloekiert, das normalerweise bei Erregung von afferenten an den Zellen der Nuclei supraoptiei endigenden, den Wasserhaushalt regulierenden Nervenfasern entstehen diirfte. Das enge hormonale Zusammenspiel yon Hypothalamus und Hypophyse offenbart sieh aueh darin, dal] naeh Exstirpation der Hypophyse in dem aus Tuber einereum-Gewebe ge- wonnenen Extrakt eine st/~rkere antidiuretisehe Wirkung als in dem aus dem Tuber einereum eines nieht hypophysektomierten Tieres her- gestellten Extrakt nachweisbar ist (TRENDELENBU:RG).

Wenn man auch naeh den eben geschilderten morphologisehen, tier- experimentellen und kliniseh-morphologischen Befunden zuns den

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Eindruek gewinnen kann, (tag der hypothalamo-hypophysi~re Steuerungs- meehanismus des Wasserhaushaltes weitgehend gekl~rt sei, so mahnt doeh sehon der Hinweis zur Vorsieht, dal3 sieh die erste pituglandol- refraktS~re Phase, die bei Li~sionen innerhalb des hypothalamo-hypo- physi~ren Systems beobaehtet und im allgemeinen als AusfMlssymptom des betreffenden zerst6rten Organes gewertet wird, sieh bis date nieht erkl~ren l~gt. Viel sehwieriger wiegen jedoeh in dieser Hinsieht noeh kliniseh-anatomisehe Beobaehtungen yon Diabetes insipidus-Kranken, bei denen autoptiseh nieht die fibliehen Ganglienzellausf/ille innerhalb der Nuclei supraoptiei oder Nervenfaserausfi~lle innerhalb des Traetus supraoptieo-hypophyseus oder aueh nur eine deutliehe Atrophie der Neurohypophyse aufzudeeken waren, sondern vielmehr selbst eine genaue histologisehe Untersuehung der in Frage kommenden Zwisehen- hirnhypophysenabsehnitte keinerlei siehere pathologisehe Ver~nderungen zeitigte. Auf derartige F/ille, die sieh im allgemeinen zwar sehr selten, doeh bei genauerem Naehforsehen h~tufiger finden als man glauben sollte, hat in neuerer Zeit Baouw~R hingewiesen.

Umgekehrt fanden sieh unter dem Sektionsgut yon Hypothalamus- Hypophysengeschwfilsten der FOERSTERsehen Klinik mehrere Fi/lle, bei denen die Nuclei supraoptiei und aueh das Infundibulargebiet mit Eminentia mediana v611ig zerst6rt und doeh zu Lebzeiten aueh bei genauer Untersuehung dutch Vornahme des Konzentrationsversuehes und genauer Kontrolle yon Flfissigkeitsaufnahmen und -abgaben keinerlei StSrungen naehweisbar waren. W~hrend sieh die zuletzt angefiihrten eigenen Beobaehtungen noeh damit erkl~ren liefien, dab bei langsam ehroniseh progressiver Aussehaltung des iibergeordneten hypothalamo-hypophys~ren Steuerungsmeehanismus die auf tieferen Ebenen lokalisierten Meehanismen deren Funktion iibernehmen k6nnen und vielleieht aueh, sogar ganz peripher in der Bauehh6hle gelegene Nervenfasergefleehte, in die Ganglienzellknoten eingelagert sind, unter bestimmten Voraussetzungen zu einer entspreehenden Regulation des Wasserhaushaltes bef~higt sind, so trifft dies sieherlieh fiir die F~lle yon Diabetes insipidus nieht zu, bei denen sieh die Nuclei supraoptiei, der Traetus supraoptieo-hypophyseus und die Neurohypophyse als un- ver~ndert erwiesen. Sieher ist es nur sehr sehwer zu erkl~ren, warum die Zerst6rung der Nuclei supraoptiei in den meisten F/~llen Hyposthenurie und Polyurie sowie Polydipsie zur Folge hat, in einzelnen jedoeh nieht. Die Annahme yon W. g . HEss, daft die Neurohypophyse naeh Aus- seheiden ihrer hypothalamisehen Fiihrung zur autonomen Funktion sehreitet, ist mit den neueren morphologisehen und tierexperimentellen Befunden yon W. BARGMA~ und seinem Mitarbeiterkreis nieht mehr vereinbar. Auf das nieht so selten kombinierte Vorkommen von Poly- urie und Polydipsie mit Glykosurie hat sehon frfiher W. I~. HEss

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hingewiesen und hieraus gefolgert, dab die L~sion eines ausgedehn- teren, innerhMb der endophylaktiseh-trophotropen Zone gelegenen Hypo- thMamusgebietes, in das die Nuclei supraoptiei eingebettet liegen, diesen Regnlationsst6rungen des Wasser- und ZuekerhaushMts zugrunde liegen diirfte. In der Tat entspreehen den s~mtliehen AusfMlserseheinungen als physiologisehe, gegensgtzliehe Verhaltungsweisen Funktionen, die auf Einsparung, sei es yon Fliissigkeit, sei es yon Zueker oder der gesamten Nahrungsmenge, ausgeriehtet sind und deren Organe demnaeh dem endophylaktiseh-trophotropen System angeh6ren dtirften. Diese Organe mtil3ten ihrer endophylaktiseh-einsparenden Funktionsriehtung gemgl3 in die orale Hypothalamush~lfte, die bekanntlieh auch die Regio supraoptiea umfal3t, zu liegen kommen, was ja aueh tats/~ehlieh der Fall ist, womit sieh die Bereehtigung der HypothMamusunterteilung in eine orale endophylaktisch-trophotrope und eine eaudale dynamogene oder ergotrope Zone, die wir gleiehfalls W. R. HEss zn verdanken haben, dessen grol~e Verdienste um eine auf physiologisehe Leistnng ausgerieh- tete UnterLeilung des Hypothalamus allgemein bekannt sein diirften, in gl~nzender Weise dokumentiert. Aueh in dem Punkt ist W. R. HESS v611ig beizupfliehten, dab es viel riehtiger ist, nieht von hypothMamisehen Stoffweehselzentren oder auch allgemeiner yon vegetativen Hypothala- muszentren, sondern vielmehr yon hypothalamisehen, auf bestimmte physiologisehe Leistungen ausgeriehteten OrganisationsareMen zu spre- ehen, die aus einem Nervenfasernetz bestehen, in dessen Masehen Ganglienzellanh~ufungen eingelagert liegen. Da bei L~sionen im Bereiehe des Hypothalamus stets mit latenten St6rungen des WasserhaushMtes zu reehnen ist, d/irfte es angezeigt erseheinen, in solehen F~llen ent- spreehende Belastungen in Form des Konzentrations- und vielleieht aueh Verdiinnungsversuehes durehzufiihren. Bei Verdaeht auf einen raumfordernden ProzeB im Seh/idelinnern hat jedoeh der Verdtinnungs- versueh wegen der Gefahr des Hirn6dems und der damit verbundenen zu starken Erh6hnng des intraeraniellen Druekes besser zu unter- bleiben. Das Gegenteil der Hyposthenurie und Polyurie, die Oligurie mit Neigung zu 0demen, beobaehtet man nut sehr selten, nieht so selten sind jedoeh St6rungen der Art, dab Phasen yon Hyposthenurie und Polyurie rhythmiseh von solehen gegens~tzliehen VerhMtens, n~mlieh yon Oligurie mit hohem spezifisehen Gewieht des Harns und Oligodipsie, abgelSst werden.

Auf eine Phasenverschiebung des Ausseheidungsrhythmus der Art, dab die normalerweise wghrend der Naeht auftretende Diuresehemmung wghrend des Tages in Erseheinung tritt und umgekehrt die normMer- weise auf den Tag entfMlende Harnflut w~hrend der Naeht einsetzt, hat in neuerer Zeit bei Sehufiverletzungen in Gegend des Zwisehenhirns PICHLE~ hingewiesen und diese St6rung auf eine Versehiebung der

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phasisehen Erregbarkeits/inderung der hypothalamischen Areale ffir die Osmo- und Fliissigkeitsregulation zuriiekgeftihrt, mit denen eine ent- sprechend st~trkere Ausscheidung yon Adiuretin in der Neurohypophyse parallel gehen diirfte. Die Oligurie bei gleichzeitig bestehender Nykturie wird als kompensierte der dekompensierten mit mehr oder minder permanentem Versagen der hypothalamisehen Pliissigkeitsregulation einhergehenden Oligurie gegen/ibergestellt. Da m6glicherweise die Nykturie das einzige Hypothalamussymptom darstellen kann, so sind zum INTachweis der unter diesen Umstis so wichtigen Wasserhaushalts- stSrung die Erfassung der Harnmengen in 4~ Std-Perioden, eventuell auch sin w/~hrend der Nacht durchgeftihrter Konzentrationsversueh, angezeigt. Oligurie mit 0demen findet sieh unter unseren im Hypo- thalamus sieh abspielenden Erkrankungen nur sehr selten, nut bei drei Kranken.

Auf eine Darstellung der die Zuckerregulation betreffenden tier- experimentellen und klinisch-morphologischen Untersuehungsbefunde muff leider wegen des sonst zu grogen Umfanges des Gesamtmanuskriptes verziehtet werden. Kurz sei aber wenigstens darauf hingewiesen, dab auf dem Sektor der Zuekerregulation weder der Hypophyse noch dem Hypothalamus sine Vormaehtstellung zukommt, sondern daB vielmehr beide Organe dutch eine innige nerv6s und hormonal ausgerichtete Arbeitsgemeinsehaft, die fiir den harmonisehen Ablauf der Lebens- vorgiinge so wiehtige Regulation des Zuckerhaushaltes gew~hrleisten. "

Die groBe Bedeutung des Hypothalamus ftir die Thermoregulation und Aufreehterhaltung einer ganz bestimmten K6rpertemperatur ist zwar siehergestellt, jedoch w/~re es irrig anzunehmen, dab die ungestSrte Thermoregulation einzig und allein vom Hypothalamus abh~ngt und mit dessen Integrit~t steht und f~llt. Wie die Erfahrung lehrt, kann doeh aueh beim Menschen trotz sicher totaler ZerstSrung des Itypothalamus die Thermoregulation weitgehend, ja sogar vSllig ungestSrt bleiben, sofern nur dessen Ausschaltung langsam genug erfolgt und so den zahl- reiehen, sonst noeh im Dienste der Thermoregulation stehenden, in tieferen Ebenen des Zentralorgans lokalisierten Meehanismen geniigend Zeit gelassen wird, sich dem Ausseheiden des iibergeordneten hypo- thalamisehen Regulationsareals anzupassen.

Es ist jedoch zu erwarten, daft sich bei entsprechender Anwendung von Belastungstests noch manch eine ThermoregulationsstSrung er- fassen l~ftt, die bei der Beobaehtung unter giinstigen Verhgltnissen, n/imlich bei Bettruhe und gleichm~f~iger Bettemperatur, der Erkennung entgehen konnte.

StSrungen im L~ngenwachstum rein hypothalamischer Genese kom- men im Gegensatz zu hypophys~rer Genese in Riehtung des Zwerg- wuehses nut selten und in Riehtnng des Riesenwuchses und der Akro-

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megalie ~u~erst selten zur Beobaehtung. Partieller Riesenwuchs in Form der Makrogenitosomie ist dagegen bei L~tsionen im Bereiche des Hypothalamus etwas h~tufiger anzutreffen.

Auf die sieher sehr interessanten tierexperimentellen und patho- logiseh-anatomischen, die Sexualsphgre betreffenden Untersuchungs- ergebnisse yon H. SPATZ und seinen Mitarbeitern ka~n leider nicht n~her eingegangen werden, da jede selbst nut skizzenhafte Darstellnng den Umfang des Manuskriptes wesentlich vergrSBern wfirde.

Naeh den neueren Untersuehungsergebnissen diirfte die epiphys~tre Pubertas praecox doch eher hypothalamogener Natur sein, hervor- gerufen durch einen I-Iydrocephalus internus occlusus, der wiederum auf die Kompression des Aqu~tduktes dutch den Epiphysentumor zurfiek- zuffihren ist.

Addisoniihnliche Zustandsbilder mit dunklem, stellenweise bronze- farbenem Hautkolorit, ausgesprochener Adynamie nnd Hypotonie boten lediglich zwei yon unseren Kranken mit Hypothalamustnmor, und zwar handelte es sich um langsam wachsende Geschwfilste im Boden des 3. Ven~rikels bei Kindern.

Sowohl die Herza/~tion wie die Respiration werden relativ h~ufig dureh hypothalamische Krankheitsprozesse in Mitleidensehaft gezogen, wobei sich die HerzaktionsstSrungen sowohl in Brady- wie Tachykardie, in Extr~systolie und Pr~cordialangst au~ern kSnnen, wghrend sieh die RespirationsstSrungen in Tachypnoe, einem Geffihl der Atemnot und im CH~Y~E-STocK~sschen Atemtypus dokumentieren kSnnen. Von unseren ffinf Ependymomen des 3. Ventrikels sind vier an Atem- l~hmung gestorben, und zwei boten schwere AtemregulationsstSrungen. Auch DANDY hebt in seinen sieben Fgllen yon Ependymomen des 3. Ventrikels Pulsanomalien hervor, ffinf Kranke listen an Tachy-, ein Kranker an Bradykardie.

F fir eine Beeinftussung der Vasomotoren yon seiten des Hypothalamus spreehen klinisehe und pathologisch-anatomisehe Beobaehtungen. So kommt es beim Manipulieren am Hypothalamus bei oper~tiven Ein- griffen am Menschen g~r nicht so selten zu wsomotorischen Wellen, die fiber den gesamten KSrper hinwegziehen. Auch Geschwfilste wie anders- artige krankhafte Prozesse k6nnen sowohl Vasodilatation mit passagerer Hypotonie wie Vaso/constri/~tion mit vorfibergehender Hypertonie her- vorrufen. Besonders erw~thnenswert erscheint mir in diesem Zusammen- hang eine unserer Kranken mit einem ausgedehnten suprasellaren eystisehen Craniopharyngeom, das den Boden des 3. Ventrikels weit- gehend zerstSrt hatte, diesen selbst vSllig ausffillte und caudal bis in den erweiterten Aqugdukt reichte. Diese Kranke litt unter sehr aus- gesprochenen vasodilatatorischen Anfallen, die gegen 5 Uhr nach- mit, tags einsetzten und fiber die gesamte KSrperoberfl~ehe hinwegzogen,

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wobei die Kranke krebsrot wurde. Ffir die Abgrenzung eines in der oralen Hypothalamushalfte lokalisierten Vasodilatations-Zentrums und eines in der caudalen Hypothalamushalfte gelegenen Vasokonstriktoren- zentrums, wie sie die Tierexperimente yon B~ATTIs,-Lo~G und BROW nahelegen, sind unsere Falle nicht beweisend, da sie bereits zu einer aus- gedehnteren Sehadigung des Hypothalamus gefiihrt batten. Ebenso- wenig fand sieh unter unserem Beobaehtungsgut ein Anhalt, der die Aufstellung eines hypothalamischen Hochdruckes gerechtfertigt haste.

Inwieweit der I typothalamus bei der Regulation der Blutzusammen- setzung (Leukocytose, Linksverschiebung sympathische Phase, und Lymphocytose parasympathische Phase, Polyglobnlie) eine Rolle spielt, mfissen noch weitere Beobachtungen klaren. Nach den ausgedehnten Untersuchungen yon BODECHTEL unc[ SACK sowie yon unserer Seite gestatten die vorliegenden Befunde nicht eine Lokalisation der Links- verschiebung in den Hypothalamus. Starken Speichelflufi wie Tri~nen- sekretion bekommt man beim Manipulieren im Gebiet des Hypothalamus nicht so selten zu sehen; bei in der Regio hypothalamica sieh abspielenden und langsam fortsehreitenden Prozessen k6nnen abet auch sowohl der Speichel- wie TranenfluB fehlen. Dagegen beobachtet man in seltenen Fallen, bei I-[ypothalamustumoren besonders, wenn die Geschwulst auf den caudalen hinter dem Hypophysenansatz gelegenen Hypothalamus- anteil fibergreift, Mydriasis. Interessanterweise gingen die vasodilata- torischen Anfalle der erwahnten Kranken mit einer Erweiterung der Pupille einher. Die extreme Pupillenerweiterung bildete sich nach dem Sistieren der Anfalle ebenfalls sofort zuriick. Beim Manipulieren in dem vorderen Hypothalamusanteil erhalt man, wenn auch selten, das Gegenteil, namlich Miosis.

StSrungen der Schweiflsekretion, und zwar sowohl in t~ichtung der Hypo- wie Hyperhidroais, werden yon Hypothalamuskranken gar nicht so selten geklagt. So ]itt die Kranke mit den vasodilatatorischen Anfallen auch an starken SchweiBausbriichen, die der Vasodilatation auf dem Fufte folgten. Eine gewisse somatotopische Gliederung innerhalb der hypothalamisehen SchweiBregulationsareale ist mSglieh, denn einmaI schwitzte der gesamte K6rper ohne den Kopf, ein anderes Mal gerade der Kopf ohne den K6rper. Ein Kranker mit suprasellarem Craniopharyn- geom, das den gesamten Hypothalamus weitgehend zerstSrt hatte, zeigte mit der MI~oRschen Methode eine vSllige Anhidrosis der gesamten K6rperoberflache. Bei derartigen Kranken mit vSlliger Anhidrosis hat man bei der Thermoregulationspriifung stets an eine Oberhitzung und Kollaps zu denken, die auch bei unserem Kranken auftraten.

St6rungen der Blasen- und Mastdarm/unlction, die sieh in Blasen- kontraktionen und Auftreten yon Peristaltik im Enddarm dokumen- tieren, ja sogar zu unfreiwilligem Harm und Stuhlabgang fiihren kSnnen;

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beobachtet man zuweilen beim Manipulieren in der Regio hypothalamiea. Ob sich die bei Hypothalamuslgsionen besehriebenen Obstipationen, Durchfglle nnd das Erbreehen mit Bereehtigung auf die ttypothalamus- schgdigung zuriiekfiihren lassen, haben noeh weitere ausgedehnte Unter- suehungen sieherzustellen.

Ftir die Polyphagie dfirfte die hypothalamische Genese gesichert sein. Hi~morrhagische Erosionen und eehte Schleimhautulcera im Magen und Darm werden bei im caudalen Hypothalamusanteil sich abspielenden pathologisehen Prozessen wiederholt vermerkt. Wir fanden jedoeh in unserem relativ grogen Sektionsgnt yon Hypothalamuslgsionen, obwohl wit unser Augenmerk eigens darauf richteten, keinen einzigen Kranken mit hgmorrhagiseher Erosion oder mit einem Schleimhautulcus des Magen-Darmkanals. Vielleieht ist zum Manifest werden des Ulcus yen- triculi noeh ein anderer Faktor, z. B. eine gewisse Vasolabilitgt erforder- rich. Andererseits toni3 man sieh vor Augen halten, daft gerade das Magengesehwfir eine relativ hgufige Erkrankung darstellt, so da6 man mit einem zufglligen Zusammentreffen beider Erkrankungen zu reehnen hat. Daffir, dab die Ulcuskrankheit yon Magen und Darm auf eine Sehgdigung des Hypothalamus zuriiekzuffihren ist, besteht kein sicherer Anhalt.

Hyperpigmentationen ebenso wie ihr Gegenteil, mangelnde Pigment- bildung der Haut, werden bei Hypothalamusschgdigung des 6fteren beschrieben, teils mit lgecht, teils ohne entsprechende Kritik.

Am SehluB sei noch auf eigenartige vegetative epileptische An[~ille hingewi~sen, die wir bei einem vierjghrigen Knaben mit ausgedehntem Gangliogliom am Boden des 3. Ventrikels beobacbten konnten, das den gesamten Hypothalamus, die aufsteigenden Fornixsehenkel und den rechten Thalamus in Mitleidenschaft gezogen hatte. Diese Anfglle, die wghrend des gesamten 21~ Jahre dauernden Krankheitsverlaufes ohne Unterbrechung bestanden, gu6erten sich in einer pl5tzlich unvermittelt einsetzenden Prgkordialangst mit starker Beklemmung auf der Brust, sowie Atemnot und heft igem Herzklopfen begleitet bzw. gefolgt yon starkem Kgltegefiihl am gesamten KSrper mit ausgesprochenem Sehiittel- frost und einer fiber den gesamten KSrper hinwegziehenden Pfloarek- tionswelle. Diese erste sympathische Phase des Anfalles wird abgelSst yon einem starken Hil,zegeffihl an der gesamten KSrperoberflgche, wobei Gesicht, Hals und Itgnde stark gerStet sind, einem excessiven SchweiBausbruch am gesamten KSrper, auf den ,Nausea, unfreiwilliger Urinabgang und hochgradige Bradykardie folgen. Diese Anfglle, wghre,id welcher es auf der H5he des Anfalles zuweilen auch zu Bewu6tlosigkeit kommt, lassen sich mit. Bromprgparaten nieht beeinflussen. Im Anschlu6 an den Schfittelfi'ost erfolgte wie bei sept ischen Erkrankungen eine Einstellung auf ein h6heres Temperaturniveau, doch waren die beiden

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Phasen ffir eine gleichzeitige Bestimmung der Haut- und Rectal- temperatur zu kurz. Im AnschluB an die Anf/~lle kommt es zu einem postparoxysmalen Schlaf yon Stunden und 1/~nger, wenn der Kranke nieht geweckt wird,

Unabh~ngig von diesen vegetativen Anti, lien, die sich aus einer sympathisehen und parasympathischen Phase zusammensetzen, werden bei Hypothalamusl~sionen des 5fteren aueh narkoleptisehe Anfi~lle beobachtet sowie Anf~lle yon plStzlichem Auftreten yon Zwangsweinen und Zwangslachen, die nut 1--2 min andauern und denen sich ein narkoleptischer AnfaI1 anschlieBen kann. Auf die autonomic epilepsy~ wie sie PENFIELD bei einem Ependymom des 3. Ventrikels beschreibt, sei nur kurz hingewiesen.

Aus diesen wean auch etwas gedr~ngten Ausffihrungen dfirfte zur Geniige hervorgehen, dab eine ganze Reihe wichtiger vegetativer Regulationen ira Hypothalamus des Menschen verankert ist, die jedoeh als fibergeordnete l~egulationen unter entspreehenden Bedingungen yon untergeordnetem infrahypothalamischen im Mittelhirn, Pons und 0blongata sowie auch im l~fickenmark gelegenen vegetativen Regu- ]ationsarealen sowie yon endokrinen und ionalen I~egulationssystemen weitgehend funktionell fibernommen werden k6nnen.

Die Existenz eines im oralen Abschnitt des Hypothalamus gelegenen endophylaktisch-trophotropen und eines im caudalen Abschnitt des Hypothalamus verankerten dynamogenen Regu]ationssystems wird durch unsere eben vorgetragenen Beobaehtungen weitgehend gestfitzt. Dem vegetativen hypothalamischen Regulationssystem kommt demnach im Gegensatz zu den prim/s vegetativen Regulationsarealen des l~fickenmarks und Hirnstammes keine Gliederung in Funktionsfelder zu, sondern seine nut ihm eigene, fundamentale Leistung besteht in einer planvol]en Zusammenfassung der einzelnen untergeordneten prim~ren vegetativen l~egu]ationszentren zur Erreiehung eines ganz bestimmten Zieles, n~mlieh den geordneten Ablauf der Lebensvorg~nge und damit den Fortbestand des Lebens unter allen, wenn auch noch so ungfinstigen Bedingungen zu siehern. Demnach wird sich die eigentliche vegetative Leistung des Hypothatamus erst in dem Augenblick dokumentieren, in welehem ffir den betreffenden Organismus ungfinstige Bedingungen seiner Urn- und Innenwelt den geordneten Ablauf seiner Lebensvorg/s und damit den Fortbestand seines Lebens bedrohen. Daher wird eine Untersuchung, welche sich das Ziel setzt, StSrungen der vegetativen l~egulation des Hypothalamus aufzudecken, folgerichtig diese ungfin- stigen Bedingungen zu schaffen haben, d. h. sie hat sich stets der bereits zum Tell angeffihrten Belastungsproben zu bedienen.

Das Heranziehen entspreehender neuroendokriner Belastungsproben, die bereits allgemeines Wissensgut sein diirften, hat sich, wie die Ver-

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5ffenglichungen yon MI]~t~LKE aus den letzten Jahren zeigen, auch fiir pathogenetische Studien gewisser Ozaenafglle gl/~nzend bew/ihrt, und es besteht die berechtigte Aussieht, dab weitere in die gleiehe Riehtung gehende kliniseh-pathologische Untersuchungen aueh bei der Erfor- sehung der Pathogenese der ihr engeres Fachgebiet, die HMs-Nasen- Ohrenerkrankungen, betreffenden Krankheiten noeh manehen weft- vollen pathogenetisehen Beitrag liefern wird. Wenn auch in diesem Kreise die Arbeiten MIEI~LI~ES MS bekannt vorausgesetzt werden dtirften, so mSehte ich doch wenigstens in Ktirze die zahlreichen und verschieden- ~r~igen neuroendokrinen l~egulationsst6rungen anftihren, die der Autor bei schweren Ozaenaf/~llen nachweisen konnte und die sieh in Amenorrhoe mit ausgepr~gter Genitalhypoplasie, Ausfall der Seham- und Aehsel- behaarung, Glatzenbildung, Verlust der Libido, Galaktorrhoe, Sehlaf- WachstSrungen, Stammfettsueht, schweren StSrungen der zentralen Regulationen des Wasserhaushaltes und Kohlenhydratstoffweehsels, hypothalamischen TemperaturregulationsstSrungen im Sinne der Hyper- thermie, typischen Abweichungen in der Muskelaktionsstromkurve bei stark herabgesetztem Grundumsatz, Hypotonie, hypodynamer Re- aktion beim SC~IELLOXc-Test und in Erythroeyanosis eruris puellarum dokumentierten. Aus der groBen Anzahl der neuroendokrinen Regu- l~tionsstSrungen, die zu den verschiedenartigsten Syndromen kombiniert zur Beobachtung kommen, ist aufgrund der vorangehenden allgemeinen morphologisehen, physiologisehen und pathologischen Untersuehungen, zu sehliel]en, da~ die beobaehteten neuroendokrinen Ozaenasyndrome mit pathologischen Prozessen im Bereiche des hypothalamo-hypo- phys/~ren Systems in urs/~chliehen Zusammenhang zu bringen sind.

Vor Mlem ergibt sich aber aus dem Nachweis der so zahlreichen neuroendokrinen RegulationsstSrungen, die im Verlaufe v0n schweren Ozaenaerkrankungen naehgewiesen werden konnten, die berechtigte Forderung MIXHL~ES, ktinftighin bei Oz~ena, aber aueh bei anderen mit Schleimhautatrophie und StSrungen des Geruchsverm6gens einher- gehenden Nasen-Hals-Erkrankungen in mSgliehst grol3er Anzahl die tiblichen neuroendokrinen Belastungsproben heranzuziehen, denn wie bereits frtiher ausffihrlich dargestellt wurde, zghlt zu den wesentlichsten den neurovegetativen l~egulationsmechanismen eigenen Besonderheiten ihrer Funktionsweise, erst im Momente einer dem Organismus drohenden Gefahr regulierend in den Ablauf der Lebensvorg/~nge einzugreifen.

Auf der anderen Seite stellen die yon MIE~LKE bei Ozaena erhobenen neuroendokrinen RegulationsstSrungen die ebenso wichtige Forderung, bei Erkrankungen und L/~sionen im Bereiehe des hypothalamo-hypo- phys~ren Systems genauer als bisher naeh StSrungen des Geruehs- vermSgens und Sclaleimhautatrophie zu fahnden. Auf diese Weise diirften nieht allein eine Erweiterung und Vertiefung der Pathogenese

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mancher Ozaenaformen und sonstigen Nasenschleimhauterkrankungen zu erzielen sein, sondern es werden sieh aueh auf diese Weise unsere Kenntnisse vom Aufbau des Hypothalamus und seinen Leistungen vertie- fen und erweitern lassen. Bei entspreehender Anwendung einer mSgliehst grogen Anzahl der bek-annten neuroendokrinen Belastungsproben dfirften vor allem bei den versehiedenartigsten GeruehsstSrungen neuro- endokrine bzw. h ypothalamo-hypophys~re I~egulationsstSrungen nur selten vSllig vermigt werden, denn sehon die frfiher genauer dargestellten engen faseranatomisehen Verbindungen zwisehen Olfaetorius und Hypo- thalamus legen eine so enge funktionelle Zusammenarbeit beider Organe nahe, dab man mit vollem l~eeht yon einem olfaeto-hypothalanio- hypophys/~ren System spreehen kann. Bekanntlieh steht die faser: anatomisehe Verbindung zwisehen dem Traetus olfaetorius und der Area olfaetoria einerseits und den sogenannten vegetativen in der gegio tuberalis gelegenen Kerngebieten andererseits dem Umfang naeh unter den afferenten zu den sogenannten vegetativen Ganglienzellkernen des Hypothalamus ziehenden Fasermassen an erster Stelle. Sehlieg- lieh wird die enge Arbeitsgemeinsehaft zwisehen den olfaetorisehen und dem hypothMamo-hypophys~ren System nieht nut dureh Ver- bindungsfasern, sondern aueh humoral auf dem Wege fiber die Adeno- hypophyse gewahrleistet. Fiir eine humorale Verbindung des Olfae- toriussystems mit der Adenohypophyse sprieht aueh der im Jahre 1940 yon A~BATE mitgeteilte Fall yon Ozaena mit hypophys~rem Infantflismus, bei dem der Autor selbst eine angeborene Labilit~t des vegetativen und endokrinen Systems mit weehselseitigen Wirkungen z wischen Ozaena und Hypophyse angenommen hat. Der Einflug des olfaetorisehen Systems auf die SexuMsph~re, die naeh neueren Unter- suehungen yon H. S~ATZ und seinen Mitarbeitern einer in den medi- Men Absehnitten der l~egio tuberMis hypothalami verankerten Steue- rung unterliegt und sieh gleichfalls in der direkten Faserverbindung des Traetus olfaetorius und den sogenannten vegetativen Ganglien- zellkernen, die in den medialen Absehnitten der I~egio tuberalis loka- lisiert sind, dokumentiert, t r i t t zwar nieht so sehr beim Mensehen, dessen olfaetorisehes System schon weitgehend verkiimmerter ist als beim Tiere, z. B. beim I-Iund, in Erscheinung, doeh wi~re es andererseits ebenso verfehlt, wollte man beim Mensehen jegliehen Einflul3 des olfaetorisehen Systems auf die Sexualsphare in Abrede stellen, denn sehon die groge Anzahl der im Handel befindliehen Rieehstoffe sprieht doeh wenigstens ffir einen gewissen Einflug des Olfaetorius auf die Sexualsph~.re des Mannes. Eine gegenseitige Beeinflussung yon olfae- torisehem System und Genitalsphare offenbart sieh aueh in den ver- sehiedenartigen Ozaenasyndromen, in deren Brennpunkt , wie aus den Arbeiten ~IIEHL~ES hervorgeht, neben GeruehsstSrungen und Sehleim-

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hautatrophie stets StSrungen von seiten der Sexualsph/~re wie Amenor- rhoe mit Genitalhypoplasie, Verlust der Libido, Ausfall der Seham- und Achselbehaarung usw. stehen. Ebenso geht mit zunehmendem Alter ein Naehlassen des GeruchsvermSgens dem Sehwinden der Libido parallel. Auf Grund der Erfahrung, dab h~ufiger die StSrungen des GeruehsvermSgens mit St6rungen der SexuMfunktion in Riehtung einer Unterfunktion kombiniert sind, wurden gegen diese St6rungen Sexual- hormone verabreieht, und zwar anseheinend mit gutem Erfolg, vor allem werden abet gu~e therapeutisehe Erfolge mit Folikelhormonbehandlung beriehtet, denen aber aueh Migerfolge (JA~uL~e 1940 und HUETTEaOT~ 1943) gegenfiberstehen. In neuerer Zeit wurde die Ozaena aueh als vasale InnervationsstSrung betraehtet, deren pathologisches Substrat sowohl in der i~ugersten Peripherie, im Terminalreticulum, wie in den diesem vorgelagerten pr~vertebrMen Ganglien saint Nervenp]exus und sehlieg- lieh sogar noeh in den auf hSchstem Niveau gelegenen neurovegetativen 1%egulationsarealen des Hypothalamus lokalisiert sein kann (Hu~E~ 1950).

Von der Nasensehleimhaut ausgehende Einflfisse auf die Genital- sphere werden dureh die tierexperimentellen Untersuchungsergebnisse yon KOBLA~CK und ROEDEg (1912) nahegelegt, die bei infantilen Kaninchen durch Resektion der unteren Nasenmuscheln ein Infantil- bleiben der Keimdrfisen erzielen konnten. Diese auffallenden Unter- suchungsergebnisse konnten jedoch dureh entsprechende Nachunter- suchungen yon einem Teil der Autoren nicht best/itigt werden~ wiihrend yon anderer Seite zun~tchst eine Besti~tigung mitgeteilt worden war. Da bei jungen Kaninehen das Operationsgebiet doch der Adenohypo- physe sehr benachbart liegt, mug sehon mit einer direkten oder aueh indirekten fiber die Gef/~Be gehenden operativen Schi~digung gereehnet werden. Da fiir diese gewig auffallenden, ~ber etwas unsieheren Unter- suchungsergebnisse niemals eine entspreehende Erkl/~rung gefunden werden konnte, gerieten sie in Vergessenheit, bis 1940 dureh amerika- nisehe Autoren, die naeh doppelseitiger Exstirpation des Ggl. spheno- palatinum bei der Ratte eine Pseudogravidit~t feststellen konnten, das Interesse wieder geweekt wurde. Die gleiehe Pseudogravidit~t wie naeh doppelseitiger Exstirpation des Ggl. sphenopalatinum konnte dureh die Durehtrennung des N. eanalis pterygoidei (N. VImA~us) erzielt werden. Die auf Grund dieses auffallenden tierexperimentellen Befundes durehgefiihrte genaue anatomisehe Revision der Innervations- verh~ltnisse des in Frage kommenden Gebietes ergab yon dem an der Verbindungsstelle des N. petrosus superfieialis major et profundus gelegenen Ggl. Vidianum ausgehende feine Nervenfaserzfige, yon denen der eine bis in die Kapsel der Adenohypophyse zu verfolgen war und msglieherweise sogar in das Driisengewebe eindrang. Demnaeh l~gt

Arch. Ohr- usw. ]~eilk. u. Z. Hals- usw. t Iei lk. 33d. 163 (]s 1953). 6

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sich eine ununterbrochene nerv6se Verbindung yon der Nasensehleim- hant bis zur Adenohypophyse naehweisen, die naeh Meinung einiger Autoren das Zustandekommen der Pseudogmviditgt bei den oben angefiihr~en Experimenten erkl/~ren kann. Pseudogravidit~tserseheinun- gen sollen sieh aber auch bei S~ugern dnreh Reizung und Aussehaltung des I-Ialssympathieus hervorrufen lassen. Diese Ausschaltungs- und zum Teil aueh I~eizsyndrome yon seiten des sympathisehen und parasympa- thisehen Nervensystems zeigen groBe Xhnliehkeit mi~ dem Verhalten der Magenschleimhaut nach Aussehaltnng des N. Vagus bzw. Sympatht eus, wo das gest6rte vegetative Gleiehgewieht das Auftreten yon Sehleim- hautuleera bedingt. Ebenso kann die AussehMtung des sympathisehen und parasympathisehen Innervators der Adenohypophyse Pseudo- graviditgtserseheinungen verursaehen, was sich nut fiber eine S~Srung des neurovegetativen Gleiehgewichts erkl/iren ]gBt. Interessant ist in diesem Zusammenhang umgekehrt das VerhMten der GenitMsphgre bei Aplasien des zentralen olfaetorisehen Apparates, das sieh in Eunu- ehoidismus ~uBern kann. So konnte der Anatom W E I D ~ I C g auf Grund yon aus dem Sehrifttum wie aus eigener Beobaehtung zusammen- gestellten F/~llen yon angeborenem Olfaetoriusdefekt in 30% der Fglle Eunuehoidismus feststellen. Diese Zahl diirfte hoeh genug sein, um einen urs~ehliehen Zusammenhang zwisehen den beiden St6rungen zu reehtfertigen.

Von Bedeutung fiir das gleiehzeitige Vorkommen yon I~ieehst6rung und Eunuehoidismus dtirften aueh die engnaehbar]iehen Beziehungen sein, die zwisehen dem Anteil des Nasenraehenepithels, bus dem sieh die I~ieehplatte entwiekelt, und dem, der sieh im weiteren Entwieklungs- verlauf dorsalwgrts gegen die Seh~delbasis ausstiilpt und die Adeno- hypophyse bildet, bestehen. Wahrseheinlieh dtirfte die StSrung in der Entwieklung der Adenohypophyse gerade das Aufbaumaterial der Pars infundibularis betreffen, die wiedernm Einflug auf die ventrMwi~rts sieh aussttilpende Infundibularanlage gewinnt. Na~urgem~B mug sieh dann die sehlieglieh resultierende Entwicklungsst6rung auf die Pars infundibularis der Adenohypophyse und das Infundibulum mit Tuber einereum erstreeken, die aber nach den neueren Untersuehungs- ergebnissen yon H. SPaTz und seinen Mitarbeitern s~mtlieh einen an- regenden EinfluB auf die Genitalsph~re ausiiben, weshMb bei Wegfall dieser Faktoren eine Unterentwieklung der GenitMsph~re die Folge sein mug. Aus diesen Zusammbnh~ngen diirfte sieh aueh das gleichzeitige Vorkommen yon Geruehsst/3rung und Eunuehoidismus zwanglos ab- leiten ]assen. Sehlieglieh unterstreiehen diese Zusammenhiinge wiederum die berechtigte Forderung ~I~I~L~s, bei Geruehst6rungen und mit GeruehstSrungen einhergehenden Erkrankungen der Nasensehleimhaut mehr als bisher nach neuroendokrinen Regulationsst6rungen zu forsehen,

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was aber bekanntlieh die Anwendung einer mSgliehst grol~en Anzahl von neurovegetativen Belastungsproben notwendig maeht.

Bekanntlich wird jede Auseinandersetzung eines Organismus mit einer ihn angreifenden Noxe bestimmt, einerseits dutch die Abwehrkraft des angegriffenen Organismus, andererseits dutch die Toxizitgt der angreifenden Noxe.

Wie sehon kurz angedeutet, ist es die fundamentaleAufgabe des vegeta- tiven Systems, den harmonischen Ablauf der Lebensvorg~tnge durch Her- stellung der j eweils entspreehenden Gleiehgewiehtslage yon tropho- und er- gotroper Spannung vet allem unter ungfinstigen Umweltsbedingungen, wie sie gerade jede Krankheit mit sieh bringt, zu garantieren. So stellt jede In- fektionskrankheit einen Kampf zwisehen dem angreifenden Krankheitser- reger und dem abwehrenden Organismus dar, wobei die Steuerung dieses Abwehrkampfes, der im allgemeinen in Phasen verl/~uft, in It~nden des vegetativen Systems liegt. In der ersten Phase, der Kampfphase naeh HEILM~u (emergency state CANNONS, A-Phase von F. HOFF), steigt die K6rpertemperatur unter Schtittelfrost steil an, die tIerzaktion, Pulsfrequenz und Atmung nehmen zu, w~ihrend fiber Troekenheit im Munde, Appetitlosigkeit und atonisehe Obstipation geklagt wird. Das Blutbild zeigt Leukoeytose mit Linksversehiebung und Abnahme der eosinophilen Zellen. Dazu kommen noeh Ansteigen des Blutzuekers und des Gesamtstoffweehsels sowie Aeidose, w~thrend umgekehrt das Blutfett und Bluteholesterin abfallen. Psyehiseh erweisen sieh die Kranken erregt, empfindlieh gegen Sinneseindrtieke, Jhr Gedankenablauf kann bis zur Ideenflueht beschleunigt sein. Demnaeh manifestiert sich das der ersten Phase entspreehende Syndrom als typisehes Reizsyndrom des sympathi- sehen Systems. Im Gegensatz zu dem sympathisehen Reizsyndrom der Kampfphase fiillt in der zweiten oder Abwehrphase die erhShte K6rper- temperatur unter starkem SehweiBausbrueh zur Norm, zuweilen sogar etwas unter die Norm ab, gleiehzeitig gehen auch der Blut~druek, die Pulszahl und der Blutzueker zuriiek. Ebenso sinkt die erh6hte absolute Leukoeytenzahl, wobei sieh eine lymphatisehe Tendenz und ein An- steigen der eosinophilen Elemente bemerkbar machen. Desgleiehen stehen innerhalb des psyehisehen Bereiehes dem besehleunigten Gedan- kenablauf w/~hrend der Kampfphase verlangsamtes Denken, Ruhe- bediirthis und ~iidigkeit, also eine ruhige psyehisehe Gesamtstimmung in der Reparationsphase gegeniiber, wodureh sieh das Vorherrsehen der trophotropen Reaktionslage wghrend der 2. Phase dokumentiert. Im a]lgemeinen fiberdauert die parasympathisehe Erholungsphase die sympathisehe Kampfphase nieht unwesentlieh, dabei liegen jedoeh keinerlei Ms krankhaft anzuspreehende vegetative Regulationen, sondern ganz im Gegenteil, sogar funktionelle H6ehstleistungen des vegetativen Regulationsmeehanismus vor. Andererseits ist jedoeh eine einmalige

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derartige Erh6hung des sympathisehen oder parasympathisehen Span- nungszustandes wohl in der Lage, auch eine l~ngere Zeitspanne anhal- tende, krankhaft ver/tnderte vegetative l~eaktionslage zu sehaffen, die dann naeh 1/s Zeit dauernde Beschwerden in I~iehtung des erhShten Sympathieo- bzw. Parasympathieotonus hervorrufen kann.

Im allgemeinen ergibt sich die j eweilige vegetative Regulationsst6rung als Resultante, die einerseits dureh die Toxizit/~t der angreifenden Erreger und andererseits dureh die Abwehrkraft des angegriffenen Organismus bestimmt wird. So kommt es, wenn sieh die sympathisehe Abwehrkraft des Organismus der toxisehen Sehgdigung nieht gewaehsen erweist, zum Exitus. Bei geringerer Toxizitgt des Angreifers endet dieser Kampf zwar nieht mit der Verniehtung des angegriffenen Organismus, aber doeh mit einer 1/s Zeit anhaltenden I-Ierabsetzung der neurovegetativen l~eizsehwelle, weshalb der betreffende Organismus sehon auf im all- gemeinen untersehwellige Reize und Betastungen mit Schweigausbrneh, Taehykardie, Sehwindel und sogar mit Kollaps reagierf.

Nieht selten wird jedoeh dieser Kampf zwisehen Toxizit~t des Er- regers und Abwehrkraft des Organismus nieht gleich im ersten Treffen entsehieden, sondern kann sieh fiber Monate, ja sogar Jahre erstreeken. Es wird dann in der ersten Kampfphase lediglieh nut. ein gewisser Tell der angreifenden Erreger ausgeschaltet, wi~hrend die tibriggebliebenen naeh einer mehr oder minder langen Zeitspanne erneut zum Angriff auf den Organismus iibergehen. Naturgem~B stellen diese sieh 5fters wiederholenden Auseinandersetzungen zwangsl~ufig aueh erh6hte An- forderungen an das Vegetativum. Da jede eine gewisse Grenze fiber- sehreitende Zunahme der Toxine die vegetative Abwehrkraft des Organismus beansprueht, st6[~t ein neuerlieher Angriff der Erreger nieht mehr auf das gleiehe, sondern vielmehr auf ein gesehw~tehtes vegetatives System, woraus sieh wiederum ergibt, dab aueh die neuerliche Aus- einandersetzung yon der frfiheren abweieht. Das Verdienst, auf diese ]~nderung der vegetativen Abwehrreaktion als erster hingewiesen zu haben, kommt PI~QU~T zu, auf den aueh die Bezeiehnung Allergie fiir diese vergnderte vegetative Abwehrreaktion zuriiekgeht. Abet als erster gezeigt zu haben, dab bei dem Zustandekommen dieser ver/~nderten vegetativen Abwehrreaktion, der Allergie, den zentralen vegetativen l~egulationsmeehanismen keineswegs eine nebens/iehliche untergeordnete t~olle zukommt, gebiihrt VOLKMANX, der erst in neuerer Zeit an einer sehr groBen Anzahl yon Kranken aufzeigen konnte, dab diese ver/inderte vegetative Abwehrreakti0n selbst naeh wiederholten Injektionen nieht mehr in Erseheinung tritt, vorausgesetzt, da$ diese in Narkose vor- genommen wird. H/~lt man sieh abet die frfihere Definition der jeweiligen neurovegetativen l~eaktionsweise vor Augen, so war naeh dieser eigent- lieh eine vergmderte Abwehrreaktion ohne weiteres zu erwarten. Da

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dureh die friihere toxische Reizung eine Anderung der Abwehrreaktion in Richtung der ergotropen geaktionslage bereits geschaffen war, konnte der zweite lgeiz ein Umkippen in die trophotrope oder parasympathisehe Reaktionslage bedingen.

Die gleichen beiden Phasen, die man bei manchen infektiesen Prozessen zu sehen gewohnt is~, h~t sehon vor fiber zwei Jahrzehnten F. HoF~" nach Injektion des Bakterienstoffes, Pyri/er, bei Mensehen beobachtet und als zentral-nervese Gesamtreaktion gedeutet. In den folgenden Jahren konnte er die gleiche l~eaktionsweise naeh Encephalo- graphie und Zwisehenhirnblutungen feststellen, was ihn naturgem~B in seiner Auffassung best/irkte. F. HOFF hat den gesamten Vorgang, der sehr oft einen typisehen zweiphasigen Verlauf erkennen l~l~t, als vegetative Gesamtumsehaltung bezeichnet.

Das yon dem gleichen Autor stammende Schema, auf dem die ein- zelnen Symptome des Phase 1-Syndroms den entsprechenden, jedoeh mehr oder minder gegens~tzlich verlaufenden t~eaktionen des Phase 2- Syndroms gegenfibergestellt sind, bringt Mar und deutlieh zum Ausdruek, dab die 1. Phase einer Verschiebung des neurovege~ativen Gleiehgewiehts in Riehtung der ergotropen Reaktionslage oder der sympathisehen Hypertonie, die zweite jedoeh einer solehen in Richtung der trophotropen I~eaktionslage oder der parasympathischen Hyper~onie entspricht.

Schema der vegetativen Gesamtumschaltung nach F. HOFF.

1. Phase Fieberanstieg, Fieberhehe Leukoeytenanstieg ~[yeloisehe Tendenz Abfall der Eosinophilen Retikuloeytenanstieg Abfall der Alkalireserve (Acidose) Anstieg des Gesamtstoffweehsels Ans~ieg des SerumeiweiBes

Albumin AbfM1 des Globulin Quotienten Anstieg des Blutzuekers Abfall des Blutfettes AbfM1 des Blutcholesterins Anstieg der Blutketonkerper Anstieg des Blutkreatins Anderung des K/Ca-Quotienten ~bergewicht des Sympathicus

2. Phase Fieberabfall Leukobytenabfall Lymphatische Tendenz Anstieg der Eosinophilen Retikuloeytenabfall Anstieg der Alkalireserve Abfall des Gesamtstoffweehsels Abfall des Serumeiweil~es

Albumin Anstieg des ~ n Quotient~n

Abfall des Blutzuekers Anstieg des Blutfettes Anstieg des Blutcholesterins Abfall der Blutketonk6rper Abfall des Blutkreatins ~nderung des K/Ca-Quotienten b~be~yewicht des Parasympathicus

Von einem anderen Standpunkt aus betraehtet dokumentiert sich die 2. Phase als neurovegetative Gegem, egula%ion, die das in Riehtung der sympathisehen Hypert.onie gesterte neurovegetative Gleiehgewicht wiederherzustellen sucht, dabei abet tiber das Ziel hinaussehieBt. Aus

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der Tatsaehe, daft die beiden Phasensyndrome, die sowohl bei manehen infekti6sen Prozessen wie naeh Injektion yon k6rperfremdem Eiweig in Erseheinung treten und dutch eine ergotrope I~eaktionslage oder sympathisehe Hypertonie mit darauffolgender trophotroper oder para- sympathiseher Hypertonie gekennzeiehnet sind, dfirfte zur Geniige hervorgehen, dal3 die Steuerung dieser beiden Phasen dutch im Hypo- thalamus verankerte Regulationsmeehanismen gew~hrleistet ist, woraus sieh abet wiederum ergibt, dag bei den genannten Vorg~ngen neuro- pathologisehen Faktoren eine nieht nebens/iehliehe Rolle zukommt.

In diesem Zusammenhang mug wenigstens in Mler Kfirze noeh auf die sieh fiber Viele Jahre erstreekenden Stress-Studien yon S~LYE ein- gegangen werden, deren umfassende Ergebnisse der Autor 1950 in seiner groBangelegten )/Ionographie ,,Stress" niedergelegt hat. Unter Stress hat man bekanntlich die auf eine sehr grol3e Anzahl der verschiedensten Belastungen, Schgdigungen und Reize erfolgenden Reaktionen des yon diesen getroffenen Organismus zu verstehen. Die eingehenden Unter- suchungen, die sich, wie schon erwghnt, fiber ein Dezennium hinzogen, ergaben die auffallende Tatsache, dab der Organismus die sehr ver- sehiedenartigen StSrungen in vSllig unspezifiseher Weise mit einer immer gleichartigen geaktion beantwortete, die der Autor als Adaptations- Syndrom bezeichnete. Hierbei seien zahlreiche Einzelreaktionen zu einer Gesamtreaktion ,,General manifestation" zusammengefaBt, wobei der Gesamtvorgang eine Widerstandssteigerung des Organismus bezweekt. Hgufige und lang anhMtende Belastungen des Organismus sollen eine pathologische :~_nderung dieses Adaptationssyndroms bedingen und StSrungen hervorrufen, die SELYE als Adaptationskrankheiten be- zeichnete. Im allgemeinen grenzt er innerhalb seines Adaptations- Syndroms noch drei Stadien ab:

1. Stadium, die Alarmreaktion, die vor allem bei sehr intensiven Reizen auftritt und sieh in einem Schoek mit primgrem Leukocyten- sturz manifestiert.

2. Stadium, das Stadium des Widerstandes, umfaBt eine grol3e Anzahl von Symptomen wie Fieber, Leukocytose mit Lymphopenie und Abfall der Eosinophilen, Hyperglykgmie, relative Zunahme der Globuline und AntikSrper.

Im 3. Stadium, dem Stadium der ErschSpfung, das durch zu intensive und langanhaltende Stress hervorgerufen wird, sollen sich Anpassungs- krankheiten einstellen, zu denen SELYE I~heuma, Hypertonie, Myoear- ditis, Nephrosklerose usw. zghlt. Kit zu den wichtigsten Ergebnissen der Stress-Studien yon S~Lu dfirfte die Erkenntnis zu rechnen sein, dag bei diesem allgemeinen Adaptations-Syndrom stets eine hormonale geaktion des Hypophysen- und Nebennierensystems zustande kommt, die naeh Auffassung des Autors aussehlaggebende Bedeutung an dem

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Gesamtgesehehen besitzt. Bekanntlieh wird die Nebenniere dureh ein adrenoeortieotropes Hormon des Hypophysenvorderlappens, ACTH bezeiehnet, aktiviert und zur Aussehtittung yon Rindenhormonen vor allem vom Typ der Glukosteroide veranlagt, deren wiehtigster Vertreter das Cortison darstellt, dessen iiberrasehende therapeutisehe Wirkung bei Gelenkrheumatismus allgemein bekannt sein diirfte. Naeh SBLYE beruht das gesamte Adaptations-Syndrom auf einer Abgabe dieser Wirkstoffe, des ACTH und des Cortisons, denn es kam auf die ver- sehiedensten l~eize des Stress das allgemeine Adaptations-Syndrom nieht mehr zustande, wenn er vorher seinen Versuehstieren die Hypophyse exstirPierte oder die Nebenniere entfernte. Beim gesunden Tiere lieg sieh dagegen dutch Stress eine Aktivierung der Hypophyse und der Neben- nieren unter vermehrter Aussehiittung yon Nebennierenhormonen naehweisen. Dazu vermoehte SELYE noeh dutch Injektion yon ACTI-t und Cortison Reaktionen auszul6sen, die weitgehend mit dem Adap- tations-Syndrom iibereinstimmten. Dabei wurde als Test ffir die Wirk- samkeit yon ACTH und Cortison besonders der Einflug auf das Blutbild herangezogen. So vermoehten DOUGI~ERTY und W~ITE, FO~SgAM, TgOR~ u.a . naehzuweisen, dab naeh Einspritzung der angeftihrten Hormone ein tiefer Sturz der eosinophilen Zellen und Lymphoeyten einsetzt, wobei gleiehzeitig eine Verkleinerung des Thymus und der Lymphdrfisen dutch AufsehlieBung ihrer lymphatisehen Zellen einsetzt. Die Auffassung S~LYES, dag seinem Adaptations-Syndrom eine der- artige t~eaktion des Hypophysen-Nebennierensystems zugrunde liegt, hat zwar viele zustimmende, in einzelnen Punkten aber aueh wider - spreehende Stimmen ausgel6st. Wenn aueh die versehiedenartigsten unspezifisehen l~eize zu einer Aktivierung der Nebenniere ffihren k6nnen, so ist hiermit noeh nieht gesagt, dab die Hypophysen-Nebennieren- reaktion Mlein ffir diese gesamte vegetative l~eaktion aussehlaggebend ist. Sie k6nnte eine vielleieht wiehtige, abet bis zu einem gewissen Grad entbehrliehe Begleiterseheinung darstellen, ohne die der gesamte Ab- wehrvorgang vielleieht wenigstens in einem gewissen Ausmag zustande kommen kSnnte. Um diese Frage zu 16sen, mug zungehst auf die Angabe yon S~LYE eingegangen werden, dab sein Adap~ati0ns-Syndrom naeh der Exstirpation der tIypophyse oder der Nebenniere nieht mehr zustande kommen k6nne.

Da abet die Entfernung der Nebennieren oder der Hypophyse einen sehr sehweren Eingriff fiir das Tier darstellt, der bei den operierten Tieren ffir einige Zeit einen sehoekartigen Zustand hinterl/~13t, w/~re es sehr wohl denkbar, dal3 in der Herabsetzung der allgemeinen VitMitgt die Ursaehe fiir das Fehlen des unspezifisehen Abwehrvorganges zu suehen war. Damit war jedoeh noeh keineswegs bewiesen, dab aueh normMerweise die pl6tzliehe Ausschiittung yon I-Iypophysen- oder

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Nebenniereninkret die Ursache des Abwehrvorganges darstellen und gerade der Verlust dieser F~higkeit nach Exstirpation der betreffenden innersekretorischen Organe den unspezifischen Abwehrvorgang ver- hindern wiirde. Nach F. HOFF und vo?r LI•HARDT ist die Fghigkeit, mit neurotrophiler Leukocytose zu reagieren, an ein intaktes Rficken- mark gebunden, da die genannte Reaktionsf/~higkeit nach Durch- schneidung des Halsmarkes verlorenging. Es ist aber zu bedenken, dab die Durchschneidung des Halsmarkes such eine Durchtrennung der spinalen Vasomotorenbahn zur Fo]ge hat und es daher zu einem starken B]utdruckabfall kommt, der beim Menschen unter Umst~nden sogar den Tod zur Folge haben kann. Man wird daher auch mit dem SchluB, dag bei der F/ihigkeit, mit neurotrophiler Leukocytose zu reagieren, einer intakten nervSsen tdbertragung die entscheidende Rolle zukommt, etwas vorsichtig sein mtissen. Immerhin mug man F. ttOFF beipflichten, dab der unspezifische Abwehrvorgang wahrscheinlich yon einem kom- plizierten Regulationssystem gesteuert wird, an dem hSchstwahrschein- lich sowohl nervSse als auch hormona]e und sonstige humorale Faktoren be- teiligt sein dfirften. Aber aus der Tatsache, dag zah]reiche neurovegetative Reaktionen vom Hypothalamus aus gesteuert werden, wurde vielfach der vorschne]le Schlug gezogen, dab die Ursache zahlreicher krankhafter StSrungen in irgendwelchen Zwischenhirnschs zu suchen ist. Dazu kam noch, dag unter der Leitung yon SP~RA~SKY im Bereiche des Zwischenhirns gelinde gesagt, etwas energische Eingriffe durchgefiihrt wurden, wie es z. B. das Einsetzen eines Glasringes im Zwischenhirn- bereich darstellt, die dann fiir die krankhaftenVer~nderungen in den ver- schiedensten Organen verantwortlich gemacht wurden, die in ihrer Gesamtheit unter der Bezeichnung neurodystrophisches Standardsyn- drom zusammengefal~t wurden. 0bwohl sich gegen diese Art yon Experimenten und die angenommene Genese der verschiedensten krankhaften Ver~nderungen schwerwiegende Einwi~nde erhoben, hatte die Ver6ffentlichung des Buches yon SrERA~SKr zur Folge, dab die verschiedenartigsten pathogenetisch ungekl~rten Erkrankungen auf primer vom Zwischenhirn ausgehende Einfltisse zurfickgefiihrt und als Diencephalosen bezeichnet wurden.

Aber auch zugegeben, dab dem Hypothalamus bei der Steuerung von Kollektivleistungen groge Bedeutung zukommt, so diirften doch ~uf der anderen Seite die schon fr/iher betonten Einfliisse, die yon der neuro- vegetativen Peripherie und yore Cortex cerebri dem Itypothalamus zu- fliegen und seinen Funktionsablauf wesentlich zu beeinflussen vermSgen, nicht einfach auger acht gelassen oder a]s v61]ig unbedeutend ein- gesch/~tzt werden. Wie schon einmal betont, steuert ebenso wie das iibergeordnete neurovegetative Reflexorgan des Hypothalamus die neurovegetative Peripherie steuert, umgekehrt auch die neurovegetative

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Peripherie das iibergeordnete neurovegetative Reflexorgan des Hypo- thalamus.

So vermag aueh der im Verh~ltnis zum neurovegetativen Reflex- organ des tIypothalamus doeh als peripher anzuspreehende Vestibularis- apparat einen deutliehen EinfluB auf die im I-Iypothalamus verankerten neurovegetativen Regulationsmeehanismen auszutiben, der auf Grund eigener und im Sehrifttum niedergelegter Beobaehtungen in einer Ver- sehiebung der neurovegetativen Gleiehgewiehtslage in giehtung sowohl der ergotropen wie trophotropen Reaktionslage bestehen kann. So fiel mir bei einigen Patientinnen, die bei einem Verkehrsunfall ein mit Con- tusio bzw. Commotio eerebri einhergehendes Seh/ideltrauma erlitten hatten und ungef/~hr 5--7 Monate naeh dem Unfall zwecks Begut- aehtung meine Spreehstunde aufsuchten, eine starke Bl~sse des Ge- sichtes auf, die wie sparer das Blutbild ergab, nieht auf einer Herabset- zung des H/~moglobingehaltes oder der Erythroeytenzahl, sondern auf einer sehlechten Hautdurchblutung beruhen mul~te. Da die Patientin nach ihren Angaben friiher eine frische rote Gesichtsfarbe besa6 und erst seit ihrem mit Contusio cerebri einhergegangenen Unfall diese auffallende Bl~sse des Gesichtshaut zeigte, kann diese nicht auf ein schleeht angelegtes Blutgef~6system der Hang zurtickzufiihren sein, sondern dtirfte vielmehr auf Angiospasmen beruhen. Diese Auffas- sung wurde noch gestiitzt dutch ihre schon bei H~ndedruck auf- fallend kiihlen Finger. Dureh Befiihlen war aber nicht nur eine auf- fallend niedrige Haut temperatur an Fingern und Zehen feststellbar, sondern es lieg sich auch eine Differenz in der Hauttemperatur der reeh- ten und linken Hand derart naehweisen, dal~ sieh die linke Hand deutlich ktihler als die reehte anfiihlte; dieser verschiedenen Hauttemperatur der rechten und linken Hand entspraeh der Oseillotonometeraussehlag, der am linken Handgelenk bei 120 mm Hg 2 ram, am rechten dagegen 8 mm betrug. Die Pupille und Lidspalte des rechten Auges erwiesen sieh dem- entsprechend enger als links; doch war an linker Oberlippe und linker Hohlhand eine deutliehe verst~Lrkte Sehweil3sekretion nachweisbar. Kurz gesagt war bei der Kranker~, deren klinisches Syndrom fiir eine herdf6rmige Lgsion in der linken Parietalgegend sprach, eine Sympathico- t.onia sinistra bei einer allgemeinen Amphotonie nachzuweisen. Besonderes Interesse beansprucht in diesem Znsammenhang aber das Ergebnis der Kaltspiilung beider Ohren mit 50 cm s Leitungswasser. Diese ftihrte rechts zu einer weiteren Zunahme der GesiehtsblSsse und Pulszahl, zu einer Erh6hung des Blutdruckes yon 135/85 auf 145/90 und einer Ab- nahme des OscillotonomeLeraussehlages yon 8 mm auf 5 ram. Anf die gMche Spiilung links setzte zunachst an der linken Gesiehtsh~lfte eine leiehte R6tung ein, die an Intensit/~t gewann und sich auf die reehte Gesiehgsh~lfte ausdehnte. Beim Befiihlen der Finger der linken Hand

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fiel eher eine Erwgrmung als eine Abkiihlung auf, und beim Vergleieh der Hauttemperatur der reehten nnd linken Hand erwies sieh jetzt die linke Hand als wgrmer. Der Blutdruek betrng 130/85, was demnaeh nut einen Abfall des systolisehen Wertes um 5 mm zeigt. Der Oscillotonometer- aussehlug belief sieh jetzt links auf 7 mm, war also um 5 mm hSher als vet der Spiilung, dagegen lieB sieh an der Herzaktion keine Anderung naehweisen. Leider war es nieht m6glieh das Blutbild, den Blutzueker, das Ca und K zu berfieksiehtigen, doeh glaube ieh annehmen zu kSnnen, wenn sie eine Anderung zeigten, dann waren sie links im Sinne einer trophotropen und reehts in t~iehtung der ergotropen Reaktionslage ver- sehoben. Aus diesem Verhalten ergibt sieh, daS 1. der Vestibularapparat in der Lage ist, die Reaktionsweise der iibergeordneten im Hypothalamus verankerten neurovegetativen Regulationsmeehanismen wesentlieh zu beeinflussen, wodureh aueh der Naehweis geliefert ist, dag die iibergeord- neten im I-IypothMamus verankerten neurovegetativen Regulationsme- ehanismen dutch die neurovegetative Peripherie gesteuert werden kSnnen, 2. zeigt die links in Riehtung der trophotropen, reehts in l~iehtung der ergotropen Reaktionslage erfolgende Versehiebung des neurovegetativen Gleiehgewiehtes, dab die neurovegetative I~eaktion weitgehend dutch den Ausgangswert bestimmt wird (Ausgangs/eertgesetz yon WILDEr). Bei der links stgrker als reehts in I~iehtung der ergotropen Reaktionslage versehobenen neurovegetativen Gleiehgewiehtslage hatte eine l~eizung des Vestibularisapparates eine Kippreal~tion zu Folge, wghrend reehts bei der etwas geringeren Versehiebung des neurovegetativen Gleieh- gewiehts in giehtung der ergotropen Reaktionslage noeh eine weitere Versehiebung in der gleichen t~iehtung bei t~eizung des Vestibularis- apparates mSglieh war. Hieraus ist verstgndlieh, dag bei ealoriseher Vestibularisreizung sowohl eine Versehiebung der neurovegetativen Gleiehgewiehtslage in l~iehtung der tropho- wie ergotropen I~eaktions- lage erfolgen kann. Aussehlaggebend ffir die Riehtung der Versehiebung des neurovegetativen Gleiehgewiehtes ist das Ausgangswertgesetz yon WILDEr. So kann der gleiehe Vestibularisreiz bei der einen Versuehs- person Sehwindelgefiihl, Erbreehen, RStung des Gesiehtes, vermehrte Speiehelsekretion usw. hervorrufen, wghrend bei einer anderen die in jeder Hinsieht gleiehe ealorisehe Reizung troekenen Mund, erhShte, nerv6se Erregbarkeit, Herzklopfen, Frostgeftihl usw. zur Folge haben kann.

Des weiteren kann naturgemgS aueh eine wenig intensive, aber daftir lange Zeit andauernde t~eizung des Vestibularapparates eine dauernde Versehiebung der neurovegetativen Regulationslage sowohl in I{iehtung der ergotropen Reaktionslage, d. h. eine sympathisehe Hypertonie, wie aueh eine gleiehzeitige Zunahme des Sympathieo- und Parasympathieo- tonus, also eine neurovegetative Amphotonie und sehlieBlieh eine neuro-

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vegetative Ataxie verursaehen. Wahrseheinlieh hat der Faeharzt fiir Hals- Nasen- und Ohrenkrankheiten mehr als der Internist und Neurologe Gele- genheit Kranke zu sehen, deren Vorgesehiehte eine Contusio eerebri, eine Totalaufmeil3elung, eine ehronisehe Mittelohrentziindung usw. enth~lt nnd die an einer sympathisehen Itypertonie, Amphotonie oder neurovege- tat iven Ataxie leiden, die auf einen l~eizzustand des Vestibularapparates als Folgeerseheinung der angefiihrten Erkrankungen leiden, die eine sympathisehe Hypertonie, vegetative Ataxie usw. unterhalten. Primer ist aber in diesem Krankheitsgesehehen naturgem~l~ der periphere t~eiz (Vestibularapparat), der eine Fehlsteuerung iiber das hypothalamisehe l~eflexorgan in I~iehtung der sympathisehen Hypertonie, Amphotonie usw. bedingt. Aufgabe einer jeden eausalen Therapie mug natiirlieh sein, diesen peripheren Reiz auszusehMten, doeh soll auf das Wie erst sparer eingegangen werden. (S. Abb. 1 a u. b). In diesem Zusammenhang soll noehmals darauf hingewiesen werden, dal3 bei Kranken mit einer Contusio, chronisehen Mittelohrentzfindung, ?r Syndrom usw. zur KI~- rung der Vorgesehiehte die Anwendung yon mSgliehst zahlreiehen neurovegetativen Belastungsproben indiziert ist. Wie sehon genauer an- geftihrt, lassen sieh mit der Annahme eines in sieh gesehlossenen drei- dimensionalen Nervengitters, wie es STSgR jr. auf Grund seiner histolo- gisehen Untersuehungsergebnisse fordert, die meisten zur Zeit vor- liegenden physiologisehen Tatsaehen nur sehwer in Einklang bringen, so da[~ vielleieht doeh noeh eine gewisse XnSer~g-des zur Zeit yon ST6HR geforderten histologisehen Aufbaues zu erwarten ist. Aber selbst wenn man sieh v611ig auf den Boden ST6Ha jr.'s stellt und ein feinstes in sieh gesehlossenes Nervenendnetz, das s~mtliehe Zellen, vielleieht sogar Zellteile, in sein Innervationsbereieh einbezieht, als gesiehert annimmt und sieh dabei noeh zu der These yon SPERA-~SKu bekennt, dal3 v o n d e r Peripherie aus selbst in den entferntesten KSrperabsehnitten neuro- dystrophisehe Ver~nderungen zu erzielen sind, so lassen sieh damit noeh lange nieht alle nut m6gliehen Krankheiten des gesamten Organis- mus mit t~eizen irgendwo in der Peripherie des gesamten Nervensystems in urs/~ehliehen Zusammenhang bringen.

Nur bei entspreehender Beriieksiehtigung der yon den iibergeord- neten neurovegetativen l~egulationsarealen ausgehenden efferenten l~eize einerseits und umgekehrt der yon der neuroveget~tiven Peripherie diesen iibergeordneten neurovegetativen im Hypothalsmus lokMisierten Regulationsarealen zugehenden afferenten Reize andererseits werden dutch das engste Zusammenspiel afferenter und efferenter t~eize, die zwisehen der neurovegetativen Peripherie und den versehiedenen fiber- geordneten sogar zentral an h6ehster Stelle gelegenen neurovegetativen Regulationsmeehanismen abweehselnd stgndig hin und her sehwingen, sehliel31ieh kaum noeh vorstellbare Funktionskreise gesehaffen, die den

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geordneten Ablaut der Lebensvorggnge gewghrleisten und die harmo- nische Eutonie, die Empfindung w ahrer Lebensfreude, erzeugen.

Nieht so selten lggt sich bei Erkrankungen innerer Organe innerhalb der den Neuromeren des betreffenden 0rganes entspreehenden Derma- tomen eine Uberempfindliehkeit gegenfiber Sehmerzreizen naehweisen (Hyperalgesie). Lage und Umfang dieses hyperalgetisehen Gebietes lassen abet umgekehrt aueh Rfieksehlfisse auf das erkrankte Organ zu. Am bekanntesten dtirfte in dieser It insieht die hyperMgetisehe Zone bei Herzerkrankungen sein, die links den I )ermatomen C3--C4 sowie D2- -D8 entsprieht. I m Bereiehe dieser Dermatome lassen sieh zwar nur in ganz seltenen Fgllen naeh dem Anfall Herpeseruptionen naehweisen. Aul~er- dem kann bei einer einseitigen Nierensteinkolik aueh die kontralaterale gesunde Niere in Mitleidensehaft gezogen werden, was sieh in einer reflektorisehen Anurie manifestiert (viseero-viseeraler Reflex).

Da die einem best immten Organ zugeh6rigen afferenten sympathi- sehen Fasern mit den aus dem fiber dem betreffenden Organ gelegenen Hautgebiet s tammenden afferenten Fasern gemeinsam dutch die gleiehen hinteren Spinalwurzeln in das Rfiekenmark gelangen, kSnnen im Be- reiche der dem betreffenden Organe entspreehenden Dermatome an- greifende Reize aueh zu einer St6rung im Bereiehe des Organes ffihren. Umgekehrt erseheint es natiirlieh aueh mSglieh, eine Organerkrankung dutch best immte innerhalb der zugehSrigen Dermatome angreifende Reize zu bessern, ja sogar zu heilen.

Dieser als Segmenttherapie bekannten Bek/impfung yon Organ- sehmerzen dureh mehr oder minder intensive im Bereiehe der zu dem betreffenden Organ gehSrigen Dermatome gesetzten Sehmerzreize be- dient sieh sehon seit vielen Jahren die Volksmedizin, die dutch Senf61- und Kantharidenapplikation, dutch Analgiteinreibungen in das fiber dem sehmerzenden Organ gelegene Hautgebiet sehon lange, z. B. kolik- artige Sehmerzen mit Erfolg behandelt. Doeh sind dieser Behandlungs- methode Grenzen gesetzt und sie versagt, z. B. bei der Bekgmpfung yon Entzfindungssehmerzen.

Die viseero-sensiblen Reflexe haben der von HV~EI~E und seinen Anhgngern propagierten Heilangsthesie den Behandlungsweg gewiesen, indem sie an den sogenannten Schmerzpunkten, das sind die Stellen, an denen der Kranke den stgrksten Sehmerz verspiirt, subeutane aber aueh intraeutane Injektionen yon 2% iger NovoeainlSsung oder yon dem so viel gebrauehten Impletol, einen yon der I. G. Farben-Industr ie her- gestellten Novoeain-Coffein-Prgparat, setzten. Dabei kommt es gar nieht so sehr auf die Menge des Anaesthetieums als vielmehr auf die riehtig gewghlte Stelle an, an der die Injekt ion vorgenommen wird. So konnte ieh schon dutch 2- -3 Impletolquaddeln yon je 2 mm a, an den riehtig gewghlten Sehmerzstellen verabreieht, fast momentan einsetzende

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Schmerzlinderung, ja sogar Schmerzfreiheit vor allem bei Gelenk- und Muskelsehmerzen, abet aueh bei Migrgne, unklaren Sehmerzen in der Nierengegend usw., erzielen. Einen wesentliehen Anteil an dem therapeutisehen Erfolg kommt aber dem Kranken selbst zu, der die riehtige Wahl der Stelle, an der die Injektion zu erfolgen hat, angeben muB. Im allgemeinen waren die Erfolge mit Impletolquaddeln an den Sehmerzpunkten gesetzt meist sehr gut, doeh blieben naturgemi~g aueh die Versager nieht aus. Diese waren vor allem bei Kranken festzustellen, die schon liingere Zeit in ~rztlieher Behandlung standen und st~rkere Sehmerzmittel wie Irgapyrin oder Nareotiea wie Polamidon, Cliradon usw. erhalten hatten. Sieher 1/~gt sieh bei diesen Kranken eine gewisse GewShnung an das betreffende Medikament nie v611ig aussehlieften, doeh blieben aueh F/$11e fibrig, bei denen sieh irgendein Grund daffir, warum bei dem einen Kranken der gleiehe Eingriff, der bei dem anderen gleiehgelagerten prompte Schmerzlinderung, ja sogar Sehmerzfreiheit bringt, versagt, nieht auffinden lieg. Uber die yon andrer Seite anstelle yon Implet01 empfohlene subeutane Luftinjektion habe ich keine eigene Erfahrung, ebensowenig gelang es mir, mit Novocain oder Impletol, das auf die versehiedenste Weise injiziert wurde, die starken Sehmerzen des Herpes zoster gfinstig zu beeinflussen oder gar zu beheben. Dagegen konnte ieh bei 2 Kranken mit Glomustumor (reehtes Kniegelenk, Zehen- gelenk) mit subeutanen lokalen Impletolinjektionen Sehmerzfreiheit erzielen. Interessant ist in diesem Zusammenhang das Verhalten, des Glomussehmerzes gegenfiber der periduralen und subeutanen lokalen Anwendungsweise yon Impletol. W/~hrend der Kranke mit dem Glomus- tumor in Gegend des reehten Kniegelenkes auf 8 em 3 Impletol dutch den Hiatus saeralis an die Cauda equina gebraeht, eine nahezu vSllige An- ~sthesie an seinen beiden Beinen feststellte, waren seine Glomussehmer- zen am reehten Knie in keiner Weise durch die Injektion beeinflul~t. Diese sistierten dagegen nahezu sehlagartig auf eine subeutane Injektion yon 1 em 3 Impletol in die Tumorgegend. Hieraus ergibt sieh, dab der Glomussehmerz nieht fiber die hinteren Wurzeln in das Rfiekenmark gelangt, sondern seinen Weg entlang den Gef~gen und dana paramedull~r fiber den Grenzstrang nimmt, um erst im oberen Brustmark in das Rfieken- mark einzumfinden. Die therapeutisehen Erfolge der Heilan~sthesie lassen sieh meiner Auffassung naeh nur zum Tell mit nervSsen Vorg~ngen er- kl~ren, sieher sind an den mit ihr erzielten therapeutisehen Erfolgen, was aueh sehon F. HOFF betont hat, physikaliseh-ehemisehe Vorg~nge beteiligt, die fiber eine -~nderung der Permeabilit~tsverh~ltnisse einen gfinstigen EinfluB auf den Verlauf der Organerkrankung ausfiben.

Geradezu an ein Wunder grenzt abet die Wirkung des in den letzten Jahren so vie] diskutierten Sekundenphi~nomens, dessen Zustande~ kommen bis zum heutigen Tag noeh so gut wie VSllig ungekl/~rt ist.

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Leider konnte ich selbst noch nicht den so schlagenden Erfolg einer Impletolinjektion im Bereieh eines wirks~men FoeMinfektes erleben, doeh haben mieh schon die so treffenden und ansehaulichen Berichte Yon F. HOFF, NONNENBI~U(JI-t, RATSCl~OW, STtrl~ u. a~. entsprechend beeindruckt. Man stelle sich nur vor, dab die subcutane Injekt ion yon 1--2 cm ~ Impletol in einen wirksamen Focus, z. B. an dem oberen Pol einer beherdeten Tonsille, den intensiven SchInerz auch in einem weir abgelegenen Ge]enk schlagartig beseitigt and zugleich die Beweglich- keit in diesem wiederherstellt, die sehon Wochen, vic]leicht sogar einige Monate v61lig aufgehoben und durch die verschiedenartigsten thera- peutischen Versuehe in keiner Weise wieder zu erzielen war. Zugegeben, dab die Annahme eines nervSsen Terminalretieulums im Sinne yon STSH~ vielleicht das Wunder des Sekundenphgnomens unserem Ver- standnis etwas ngher bringt, so kann doch weder mit der Auffassung yon SPERA•SKY noch mit der yon ST6Ha letzten Endes die Wirkungs- weise dieses so wunderbaren Sekundenph~nomens erkl~rt werden. Sicher wird die Erkl/~rung des Sekundenphgnomens noch lgngere Zeit zu den wichtigsten, aber auch schwierigsten Problemen zghlen, die derPathologie gestellt sind. Meiner Auffassung nach werden wir abet nut dann dem Verstandnis dieses an ein Wunder grenzenden Ph/~nomens n~her kom- men, wenn wir nicht allein wie zur Zeit neurale, sondern auch hor- monale und humorale Faktoren, vor allem aber auch den EinfluB des Cortex cerebri als besonders wichtige Komponente in unseren Er- klarungsversuch einbeziehen, der einen ganz wesentlichen EinfluB auf die im Hypothalamus-Hypolohysensystem verankerten t~egulations- mecbanismen auszufiben und fiber die fibergeordneten neurovegetativen I~egulatoren such regulierend auf die Gesamtheit des Neurovegetat ivum einzuwirken vermag. So wird die Erforsehung des bis dato noch vSllig ungekl~rten Sekundenphgnomens bei entspreehend kritischer Ein- stellung nicht nut die Neuralpathologie, sondera auch die HumorM- und Cellularpathologie und nicht zuletzt auch die psyehosomatische For- schungsrichtung entsprechend befruchten und ihr den ihr gebfihrenden Platz einr~umen.

So haben die vielfachen, zuweilen etwas sehr heftig geffihrten Dis- kussionen fiber das vegetative Nervensystem und die Neuralpathologie im wesentlichen doeh nut die eine Weisheit, wenn auch in einer geradezu sehlagenden Form, gezeigt, dag n/~mlich jeder Organismus eine Ganzheit darstellt, die sieh erst im Ablauf yon Jahrtausenden aus einer Urzelle zu den jetzigen aus zahllosen Zellen, zahlreichen Organen und Geweben bestehenden Zellstaat entwickelt bat. In Augenblicken der dem Or- ganismus drohenden h6chsten Gefahr erinnern sich aber anseheinend die zahllosen aus einer Urzelle hervorgegangenen nnd sieh in den ver- schiedensten l~ichtungen entwiekelten Organ- und Gewebszellen ihrer

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u r sp r i i ng l i chen Fgh igke i t , n i ch t n u r die i h n e n gegenw~r t i g z u k o m m e n d e

spezie l le L e i s t u n g zu erffi l len, s o n d e r n t i b e r n e h m e n a u c h die L e i t u n g y o n

Schmerz re i zen . So e r sche in t es mi r n i ch t nStig, zu r E r k l ~ r u n g m a n c h e r

b e i m S e k u n d e n p h ~ n o m e n au f t~ l l ende r T a t s a c h e n n a c h e i n e m ent -

s p r e c h e n d e n m o r p h o l o g i s c h e n S u b s t r a t zu suchen , d e n n ihre A n p a s s u n g s -

f~h igke i t u n d W a n d e l b a r k e i t h a b e n die so v e r s c h i e d e n a r t i g e n den Or-

g a n i s m u s a u f b a u e n d e n Ze l len doch schon d u t c h ih re Spez ia l i s i e rung in

die v e r s c h i e d e n a r t i g s t e n Gewebe- u n d Organze l l en bewiesen .

L i t e r a t u r .

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