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Aus: PSYCHOLOGIE HEUTE. März 2005 Mihaly Csikszentmihalyi (Scanfehler möglich) Annette Schäfer Mr. Flow und die Suche nach dem guten Leben Im Flow sein. Wer die Bücher des Psychologen Mihaly Csikszentmihalyi kennt, weiß, wovon die Rede ist. Das FlowKonzept begeistert inzwischen weltweit eine große Leserschaft, verspricht es doch, das »Geheimnis des Glücks« zu lüften. Hinter dem Erfolg verbirgt sich eine lebenslange Suche nach dem, was wirklich Freude macht. Eine Suche, die im Kopf eines ratlosen Jungen begann. Ganz ruhig erzählt er die Episode. Es ist Oktober 1944. Mit seinen Eltern steht er am Budapester Bahnhof, um die im Krieg versinkende Stadt Richtung Venedig zu verlassen. Auf dem Bahnsteig kann man bereits Kanonendonner hören. Freunde und Verwandte sind gekommen, um Abschied zu nehmen. Der l0-Jährige hört der Unterhaltung der Erwachsenen zu: Warum sie ausgerechnet im Oktober nach Venedig führen? Das sei doch eine ganz schlechte Jahreszeit: feuchtes Klima, Moskitos, kein gutes Kultur- programm. Der Zug, der Mihaly und seine Eltern nach Italien bringt, ist der letzte, der Budapest verlasst. Die kämpfenden Parteien zerstören alle Brücken; Stalins Truppen besetzen die Donaumetropole. »Drei Wochen nach unserer Abreise waren die meisten Menschen, die uns zum Bahnhof brachten, tot. « Rund 180 Menschen lauschen gebannt dem Vortrag des heute 70-jährigen Psychologen, der von seiner kindlichen Verwirrung und Verzweiflung in den

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Aus: PSYCHOLOGIE HEUTE. März 2005

Mihaly Csikszentmihalyi (Scanfehler möglich)

Annette Schäfer

Mr. Flow und die Suche nach dem guten Leben

Im Flow sein. Wer die Bücher des Psychologen Mihaly Csikszentmihalyi

kennt, weiß, wovon die Rede ist. Das FlowKonzept begeistert inzwischen

weltweit eine große Leserschaft, verspricht es doch, das »Geheimnis des

Glücks« zu lüften. Hinter dem Erfolg verbirgt sich eine lebenslange Suche

nach dem, was wirklich Freude macht. Eine Suche, die im Kopf eines

ratlosen Jungen begann.

Ganz ruhig erzählt er die Episode. Es ist Oktober 1944. Mit seinen Eltern

steht er am Budapester Bahnhof, um die im Krieg versinkende Stadt

Richtung Venedig zu verlassen. Auf dem Bahnsteig kann man bereits

Kanonendonner hören. Freunde und Verwandte sind gekommen, um

Abschied zu nehmen. Der l0-Jährige hört der Unterhaltung der Erwachsenen

zu: Warum sie ausgerechnet im Oktober nach Venedig führen? Das sei doch

eine ganz schlechte Jahreszeit: feuchtes Klima, Moskitos, kein gutes Kultur-

programm. Der Zug, der Mihaly und seine Eltern nach Italien bringt, ist der

letzte, der Budapest verlasst. Die kämpfenden Parteien zerstören alle

Brücken; Stalins Truppen besetzen die Donaumetropole. »Drei Wochen nach

unserer Abreise waren die meisten Menschen, die uns zum Bahnhof

brachten, tot. «

Rund 180 Menschen lauschen gebannt dem Vortrag des heute 70-jährigen

Psychologen, der von seiner kindlichen Verwirrung und Verzweiflung in den

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letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges erzählt. Wie die meisten

Erwachsenen, die er sah, einfach ihren Alltagsdingen nachgingen, wahrend

überall Gebäude zusammenfielen, Züge in Flammen standen und Nachbarn

auf Nimmerwiedersehen verschwanden. »Ich konnte einfach nicht verstehen,

wie die hochgebildeten, an sich vernünftigen Menschen um mich herum, die

ich respektierte und liebte nicht verstanden, was geschah, wie blind sie

waren und - trotz Hunger, Unsicherheit, Tod und Leid – einfach so taten, als

wäre alles ganz normal. Da beschloss ich, herauszufinden, was es mit dem

Leben wirklich auf sich hat und wie man besser leben kann.«

Mihaly Csikszentmihalyi sitzt auf einer kleinen Bühne im prächtig-barocken

Kolomanisaal von Stift Melk. Sein rotwangiges Gesicht hebt sich kräftig

gegen die weißen Haare und das schwarzes Outfit aus Jackett, T-Shirt und

bequemer Hose ab. Er spricht mit langsamer, tiefer Stimme; sein

Amerikanisch hat einen osteuropäischen Akzent. Konzentriert wirkt er und

präsent. Auf seinem Stuhlleicht nach vorn gebeugt, geht sein Blick immer

wieder ins Publikum. Nur ab und zu schaut er auf das neben ihm liegende

Blatt Papier.

Extra für dieses Wochenende ist der Psychologieprofessor und »Erfinder«

des Flowkonzepts aus dem kalifornischen Claremont in die österreichische

Wachau gereist. Waldzell Meeting nennt sich die ungewöhnliche Konferenz,

bei der elf Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Wirtschaft, Kunst und

Religion über den Sinn im Leben sprechen.

Als führenden Glücksforscher und amerikanischen Superstar hat

Veranstalter Andreas Salcher den Gast aus Kalifornien angekündigt. In der

Tat wird Mihaly Csikszentmihalyi von vielen Menschen regelrecht verehrt.

Sein Bestseller Flow. Das Geheimnis des Glücks wurde in 19 Sprachen

übersetzt. Die Popularität des Psychologen ist auch beim Waldzell Meeting

unübersehbar. Von den Teilnehmern und Journalisten sind viele nur

angereist, um ihn sprechen zu hören.

Für sein Referat hat Mihaly Csikszentmihalyi neben dem Kriegserlebnis

noch ein zweites Ereignis aus seinem Leben ausgewählt, das er dem

Publikum erzählt. Bei einem Urlaub in der Schweiz besucht er als 15-

Jähriger einen Vortrag an der Universität von Zürich. Es geht um

Archetypen, indische Mandalas und die Notwendigkeit, ein neues Ver-

ständnis vom Leben und der Welt zu entwickeln. Der eloquente Dozent, ein

gewisser Carl Jung, beeindruckt Mihaly sehr. Er beginnt Jungs Bücher zu

lesen - und nimmt sich schließlich vor, ernsthaft Psychologie zu studieren.

»Wir müssen herausfinden, was uns wirklich Freude macht und uns

zutiefst erfüllt«

Wie der Lebensweg verläuft, gibt Csikszentmihalyi den Zuhörern mit auf

den Weg, hänge von vielen Faktoren ab: Die Gene seien wichtig, die Kultur,

in der man lebt, und die Erlebnisse, die man so hat. Entscheidend aber sei,

was man daraus mache, wie man sein Potenzial, seine Erfahrungen und

Möglichkeiten nütze. »Eine der größten Herausforderungen dabei ist,

herauszufinden, was einem wirklich Freude macht und einen zutiefst erfüllt.

Das hat auch einen höheren Sinn, denn es bringt die Gesellschaft und die

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Menschheit als Ganzes weiter. «

Herausfinden, was wirklich Freude macht - wie sehr dieses Ziel das gesamte

Leben von Mihaly Csikszentmihalyi bestimmt, wird in einem persönlichen

Gespräch abseits vom Tagungsrummel klar. Zwei Stunden nimmt er sich da-

für Zeit. Und mit jeder seiner Antworten wird offenbar, wie aus einem

verunsicherten Kind ein weltweit anerkannter Psychologe wurde, dessen

Forschung nicht nur zahlreichen Menschen zu einem besseren Leben

verhilft, sondern ihm selbst auch tiefe Befriedigung bringt.

1934 wird Mihaly als Sohn eines ungarischen Diplomatenpaares in Italien

geboren. Früh erfährt er, was es heißt, fremd zu sein. Wegen seiner roten

Haare und des unaussprechlichen Namens wird er von den Schulkameraden

gehänselt, Freunde hat er kaum. Weder in der italienischen noch ungarischen

Kultur fühlt er sich richtig zu Hause. Die viel beschäftigten Eltern pflegen

einen bourgeoisen Lebensstil, mehrmals die Woche finden Dinnerpartys

statt, für den Nachwuchs sorgt eine Kinderfrau. Nach den unruhigen

Kriegsjahren, die die Familie teils in Ungarn und teils in der Wahlheimat

Italien verbringt, geht es den Csikszentmihalyis wirtschaftlich schlecht. Weil

der Vater seinen Posten als ungarischer Konsul in Italien verliert, eröffnen

die Eltern ein Restaurant in Rom. Mihaly muss die Schule, in die er ohnehin

nur ungern geht, ohne Abschluss verlassen und hilft mit diversen Jobs, das

Familienbudget zu füllen.

Seinen Traum, die menschliche Psyche zu erkunden, um das Leben besser zu

verstehen, hat er nicht vergessen. So macht er sich 1956 in die Vereinigten

Staaten auf, denn hier kann man - anders als in Europa - Psychologie an der

Universität studieren. Er landet in Chicago und schreibt sich an der

University of Illinois ein. Von elf Uhr abends bis morgens um sieben arbeitet

er in einem Großhotel, wo er Rechnungen für abreisende Gäste erstellt.

Tagsüber sitzt er in Vorlesungen und Seminaren. Die fremde und bunte

Studentenschaft fasziniert ihn sehr. Von seinen Kursen allerdings ist er

äußerst enttäuscht. Als mechanistische, langweilige und kleingeistige Sicht

auf die menschliche Psyche empfindet er die Psychologie, die man hier lehrt.

Kurzerhand sattelt er auf Design um. Zwei Jahre lang befasst er sich mit der

Ästhetik von Gegenständen und lernt, wie man formschöne,

funktionstüchtige Objekte konstruiert.«

Nach seinem Examen beginnt er 1962 mit einer Promotionsarbeit. Er

untersucht, wie Künstler Ideen für ihre Werke entwickeln. Dabei beobachtet

er ein merkwürdiges Phänomen: Die Maler an ihren Staffeleien verhalten

sich fast wie in Trance. Sie sind von ihrer Arbeit so gefesselt, dass sie

Hunger, Durst und Müdigkeit vergessen. Dabei scheint es die Tätigkeit an

sich zu sein, die sie treibt, nicht etwa der Wunsch nach Anerkennung, Ruhm

oder Geld. Sich ohne handfeste Belohnung einer Tätigkeit begeistert widmen

- keine der gängigen Motivationstheorien, die Mihaly kennt, kann dieses

Verhalten zufrieden stellend erklären. Auch er selbst hat den Zustand

vollkommenen Eintauchens oft erlebt: beim Bergklettern, Musizieren oder

während einer guten Schachpartie. »Sogar in den Kriegsjahren, als mich

tiefe Ängste quälten und ich dachte, die Welt würde zu Ende gehen, konnte

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ich mich stundenlang völlig in ein Schachspiel vertiefen.« Dem jungen

Wissenschaftler wird klar, dass es hier einen erforschenswerten Bereich

menschlichen Verhaltens gibt, der ihn vielleicht bei seiner Suche nach einem

guten Leben weiterbringt.

Die Idee lässt ihn nicht mehr los. Als er 1970 eine Position als Jungprofessor

an seiner Universität bekommt, wird auch ein ernsthaftes Forschungsprojekt

daraus. Mit Geschick gelingt es ihm, einen Geldgeber für sein Vorhaben zu

finden. Er stellt eine Gruppe begabter Studenten zusammen und legt mit der

Arbeit los. Gemeinsam mit seinen Mitarbeitern interviewt er Tänzer,

Bergsteiger, Basketball- und Schachspieler, um herauszufinden, was diese

Aktivitäten so attraktiv und belohnend macht. »Autotelisch« nennt er

Beschäftigungen, die Menschen um der Sache selbst willen betreiben und

die vollkommenes Vertiefen erlauben. Später wird daraus der eingängige

Begriff Flow. 1972 publiziert Csikszentmihalyi diese Forschung unter dem

Titel Beyond boredom and anxiety (dt.: Jenseits von Angst und Langeweile).

Das Buch ist nicht gerade ein Hit. Die Verkaufszahlen sind gering, ebenso

wie die Resonanz in der wissenschaftlichen Welt. Ein Anthropologe und ein

paar Sportpsychologen interessieren sich dafür, aber niemand aus dem

psychologisch-akademischen Establishment.

Die Lebensqualität hat unter dem Ruhm gelitten. Manche Fans

erwarten persönliche Hilfe

Ohne sich lang über die Ignoranz seiner Umwelt zu grämen, stürzt sich

Csikszentmihalyi in das nächste Projekt: Er will die Methode seiner

Flowforschung verbessern. Denn die Qualität der Daten, die sich mithilfe

von Interviews und Fragebögen erheben lassen, befriedigt ihn nicht. Die

Angaben, die Versuchspersonen in der Rückschau über ihre absorbierenden

Aktivitäten machen, sind ihm zu stereotyp und ungenau. Er kommt auf die

Idee, so genannte Pager für seine Untersuchungen zu nutzen.

Studienteilnehmer werden mit elektronischen Funkempfängern ausgestattet,

über die sie in unregelmäßigen Abständen Signale erhalten. Sobald sie einen

Ton hören, müssen sie in einem Büchlein festhalten, was sie gerade tun und

wie sie sich dabei fühlen. Die Technik, Experience Sampling Method (ESM)

genannt, stellt sich als genial heraus. Die Informationen, die sich damit

erheben lassen, sind detailliert, ergiebig und genau. Mihaly ist so fasziniert,

dass er beginnt, jeden Aspekt des täglichen Lebens damit zu erforschen. Die

nächsten 20 Jahre verwendet er den größten Teil seiner Zeit und Energie

darauf, die neue Methode anzuwenden und zu verbessern. »Was das Thema

Flow angeht, bin ich in dieser Zeit etwas vom Weg abgekommen«, räumt er

ein, »doch die ausführliche Beschäftigung mit der Pagermethode hat sich

allemal gelohnt. Die Technik ist sehr hilfreich, um das Leben von Menschen

wirklich zu verstehen.«

Mihaly Csikszentmihalyi ist schon fast 60, als ihn der große öffentliche

Erfolg ereilt. Nach einem Artikel, der im Magazin Newsweek über seine

Arbeit erscheint, meldet sich 1988 ein Buchagent und fragt, ob er nicht ein

populärwissenschaftliches Buch über Flow schreiben wolle. Zunächst winkt

der Forscher ab. Er sieht seine Aufgabe im wissenschaftlichen Diskurs mit

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Fachkollegen. Doch dann, nach intensiver Oberzeugungsarbeit des Agenten,

willigt er ein. Als das Buch 1990 in die Läden kommt, findet es zunächst nur

schleppend Absatz. Doch von Jahr zu Jahr gewinnt es immer mehr Fans.

Dazu tragen auch Prominente bei. 1993 hält der Trainer der Dallas Cowboys

das Buch in eine Fernsehkamera und erklärt, wie nützlich es für seine Arbeit

sei. Wenig später gewinnt sein Team den Superbowl, das wichtigste

Footballturnier der USA. Ais 1997 in der amerikanischen und englischen

Presse nachzulesen ist, dass Flow zu den Lieblingsbüchern des damaligen

Präsidenten Bill Clinton zählt und auch in Tony Blairs Sozialreformen

eingeflossen ist, hat es sich längst als Bestseller etabliert.

Heute genießt es Csikszentmihalyi, wissenschaftliche Zusammenhänge

allgemein verständlich darzustellen - und hält das sogar für schwieriger, als

für ein Fachpublikum zu schreiben. Was seine enorme Popularität in der

Öffentlichkeit angeht, scheint der Professor allerdings eher gespalten zu sein.

Es sei ein Glück, meint er, dass seine Arbeit kein schneller Erfolg gewesen

sei. Er kenne zahlreiche erfolgreiche Menschen, die am Druck, immer

wieder neue, spektakuläre Ideen zu produzieren, und den damit verbundenen

Zweifeln und Frustrationen regelrecht zerbrochen seien.

Davor war er geschützt. Doch seine Lebensqualität hat unter dem Ruhm

gelitten. Weil sie sich in seinen Büchern so gut wiederfinden, glauben

manche seiner Fans, dass er ihnen auch persönlich helfen könne.

Suizidgefährdete, Vergewaltigungsopfer, Eltern, deren Kinder Drogen neh-

men - das Spektrum Hilfesuchender, die ihn zu allen Tages- und Nachtzeiten

anrufen, ist breit. Oft keine leichte Situation: »Meinen Rat, einen

Psychologen oder Psychiater aufzusuchen, wollen die Anrufer meist nicht

hören. Sie bestehen darauf, dass ich ihnen sage, wie sie ihre Probleme lösen

können.« Auch aus diesem Grund verbringt er mit seiner Frau Isabella viel

Zeit in der Einsamkeit und Anonymität Montanas, wo das Paar ein Haus in

den Bergen besitzt.

Für die Rolle als Star ist Csikszentmihalyi offensichtlich nur bedingt

gemacht. In erster Linie ist er leidenschaftlicher Wissenschaftler. Zahlen,

Daten und Statistik lassen sein Herz höher schlagen: »Ich kann stundenlang

am Computer sitzen und Print-outs analysieren. Ich suche nach Mustern,

versuche herauszufinden, was sich hinter den Zahlenkolonnen verbirgt. Ich

fühle mich dann wie eine Art Kolumbus, der ein neues Land erforscht. « Als

er über die Freuden quantitativer Analyse spricht, sieht sein ansonsten

ernstes, fast melancholisches Gesicht für Momente schelmisch und

jungenhaft aus.

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Flow ist für Csikszentmihalyi mehr als ein abstrakter Forschungsgegenstand,

den er bei anderen Menschen untersucht. Er selbst hat sich bei seiner Arbeit

immer davon leiten lassen, was ihm selbst Erfüllung bringt. Das zeigt sich

nicht nur bei seinen Studien zur Experience Sampling Method, mit der er

Hunderttausende von Einzelinformationen gesammelt und ausgewertet und

so seine Lust an Zahlen und Daten gestillt hat. Weil er sich schon seit der

Kindheit für Kunst und kreatives Schaffen interessiert, stellte er auch

umfassende Untersuchungen über die menschliche Kreativität an. In seiner

bekanntesten Arbeit zu diesem Thema führte er mit rund 90 herausragende

Künstlern und Wissenschaftlern (darunter 14 Nobelpreisträger) ausführliche

Interviews. Fünf Jahre lang hat er dazu gebraucht. »Mihaly macht es

unendlich viel Spaß, seine Studien zu konzipieren und durchzuführen«

bestätigt Howard Gardner, Professor an der Harvard-Universitat, der mit

Csikszentmihalyi seit vielen Jahren zusammenarbeitet. »Sein Leben ist eine

untrennbare Mischung aus Arbeit und Spiel- eben jenes Phänomen, das er in

seinen Büchern so überzeugend beschreibt. Ich kann mir nicht vorstellen,

dass er sich jemals zur Ruhe setzt und einfach Pfeife raucht.

Begeisterungsfähigkeit und Neugier, aber auch sein breites Wissen über

Wissenschaft, Geschichte und Philosophie, die Lust, mit neuen,

ungewöhnlichen Ideen zu spielen, und sein Mut, die großen, wichtigen Fra-

gen zu stellen, bezeichnen jene, die ihn gut kennen, als seine größten

Stärken. »Mihaly ist ein außergewöhnlich origineller Denker, sowohl in

Bezug auf theoretische und methodische Fragen als auch was Ereignisse des

täglichen Lebens angeht«, ergänzt Gardner. »Er sieht Trends und Zu-

sammenhänge, die andere nicht sehen.«

Mit diesen Eigenschaften ist er nicht nur auf Wohlwollen und Anerkennung

gestoßen. In der wissenschaftlichen Gemeinde sei er viele Jahre als

Außenseiter angesehen worden, meint Howard Gardner: »Seine Interessen

sind einfach zu weit gestreut, seine Methoden zu ungewöhnlich, als dass er

bequem in eines der etablierten psychologischen Lager passen würde. «

Ausgerechnet an seiner Heimatuniversität, der University of Chicago,

brachte ihm sein Querdenkertum eine herbe Niederlage ein. Als

Vorsitzender des Psychologischen Instituts, der er von 1985 bis 1988 war,

versuchte er, die einseitig naturwissenschaftliche, kognitive Sicht zugunsten

einer umfassenderen, auch evolutionäre und wertorientierte Fragen

berücksichtigenden Psychologie zu erweitern. Doch damit biss er bei seinen

Kollegen auf Granit. »Die anderen haben das einfach nicht gewollt«, erinnert

sich Csikszentmihalyi, »da habe ich irgendwann aufgegeben.«

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In der Folge fühlte er sich mit seinen Arbeiten und Ideen in Chicago mehr

und mehr isoliert. Vor sechs Jahren schließlich beschloss er, einen neuen

Anfang zu wagen, und zog nach Kalifornien um, wo er seitdem an der Peter

Drucker School of Management das Quality of Life Research Center leitet.

Sein Ziel ist, eine Brücke zwischen Forschung und »wahrem Leben« zu

schlagen. Zusammen mit seinen Mitarbeitern erforscht er beispielsweise,

unter welchen Bedingungen Arbeit effektiv und gleichzeitig erfüllend sein

kann.

Etwa zur gleichen Zeit hat er sich auch an die Spitze einer neuen

psychologischen Bewegung gesetzt. Zusammen mit Martin Seligman,

Psychologieprofessor aus Pennsylvania und ebenfalls Bestsellerautor,

bemüht er sich, die »Positive Psychologie« zu etablieren, einen mittlerweile

boomenden Forschungsbereich, der sich mit allem befasst, was Menschen

zufrieden, stark und glücklich macht. »Er ist der Kopf, ich bin die Stimme«,

beschreibt Seligman die Arbeitsteilung zwischen den beiden. Die

Kooperation liegt Csikszentmihalyi sichtlich am Herzen: »Die ,Positive

Psychologie' kommt meiner Vorstellung näher als irgendetwas sonst, was ich

im Bereich der Psychologie kenne.«

Das neue Ziel: Herausfinden, wann Arbeit sowohl effektiv als auch

erfüllend sein kann

Wie weit also ist er mit seiner Suche nach einem besseren Leben

gekommen? Mihaly Csikszentmihalyi überlegt lange, bevor er eine Antwort

gibt: »Manchmal habe ich das Gefühl, ich hatte gar nichts erreicht. Dann

wieder denke ich, was ich im Laufe meines Lebens gemacht habe, ist gar

nicht so schlecht.« Flow, ESM, Kreativität, Positive Psychologie - auf den

ersten Blick sehe das vielleicht wie ein Zickzackkurs aus. Doch letztlich sei

es bei seinen Projekten immer darum gegangen, herauszufinden, was das

Leben lebenswert macht. Und er selbst habe eine Menge Spaß dabei gehabt.

Ob denn der 10-jährige Junge von einst, der sich vornahm, das Leben besser

zu verstehen, mit seinem bisherigen Lebenswerk zufrieden wäre? »Wenn er

nur das reine Ergebnis sähe, wahrscheinlich nicht«, sagt Csikszentmihalyi

und schmunzelt, »aber wenn er erführe, wie sich das alles ergeben und

zugetragen hat, welche Erfahrungen, Erkenntnisse und Hindernisse damit

verbunden waren, dann, ja dann wäre er wohl zufrieden.«

Mihaly Csikszentmihalyi hat unter anderem folgende Bücher veröffentlicht:

- Das Flow-Erlebnis. Klett-Cotta, Stuttgart 2000

- Dem Sinn des Lebens eine Zukunft geben. Klett-Cotta 2000

- Lebe gut! dtv, Munchen 2001

- Flow. Das Geheimnis des Glücks. Klett-Cotta, Stuttgart 2002 - Kreativität.

Klett-Cotta, Stuttgart 2003

- Flow im Beruf. Klett-Cotta, Stuttgart 2004