16
Mythos und Aberglaube rund um einheimische Heilpflanzen Raffael Gmünder Botanischer Garten St.Gallen 6. August 2017

Mythos und Aberglaube rund um einheimische … · Bauernregeln, Sprüche Bezug auf Mondphasen, Wachsen und Vergehen, Aufbauen und Faulen, Naturbeobachtungen, nähere Zukunft deuten

Embed Size (px)

Citation preview

Mythos und Aberglaube rund um einheimische Heilpflanzen

Raffael Gmünder

Botanischer Garten St.Gallen

6. August 2017

Unsere Volksheilkunde, generationenweise

weitergereichtes Wissen

Krankheit aus der Sicht unserer Vorfahren, den Kelten und Germanen

• Krankheit ist Auswirkung von bösem Zauber, Verhexung

• Heilerin durchschaut die Krankheit, entzaubert, entwurmt

• Für die Indianer ist Medizin nicht ein Medikament sondern eine immaterielle spirituelle Kraft

• Heilkräuter und Zauberworte- oder Gesang = Heilritual

Heilkundige Grossmütter und Hebammen

Bei der Volksheilkunde lag die Heilkunst, beim einfachen ländlichen Volk, vor allem in der Hand der Frauen (Chrüterfraueli)

• In der ländlichen Volkskultur, vielfach Analphabeten, wurde Wissen mündlich von Generation zu Generation weitergegeben, die Frauen lehrten das Heilen

wie das Kochen von ihren Grossmüttern und Müttern

• In traditionellen bäuerlichen Kulturen werden der Frau seit der Jungsteinzeit Arbeiten zugeteilt die direkt mit dem Heilen in Verbindung stehen:

Mutter sein, Speis und Trank, Kleidung, Feuer hüten, Kräuterkunde

Ursprung der MythenNicht die Gelehrtenmedizin, sondern das Heilwissen der

altsteinzeitlichen Jäger und Sammler, der Hirtennomaden und die ersten sesshaften Bauern bilden den Ursprung der vorchristlichen

Volksheilkunde mit all ihren sagenhaften Geschichten.

• Mythen sind Ausdruck und Rechtfertigung des Bildes, die sich eine Gesellschaft von Welt und Wirklichkeit macht (Storl).

• Mythen gaben und geben Sinn und Ordnung

• Sie haben eine bildhafte Sprache, eine symbolische Darstellung

• Heilpflanzen-Namen entstammen häufig Mythen aus dem antiken Griechenland, z.B. Achillea, Adonisröschen, Heracleum giganteum,

Hyperion (Johanniskraut), Artemisia etc.

Ursprung des AberglaubensDer Glauben eines Volkes an übernatürliche Kräfte, der “Volksglaube“ ist eng mit der

Volksheilkunde verbunden. In vorchristlicher Zeit war die Natur beseelt und man sprach gewissen Dingen Zauberkraft zu.

• Heilpflanzen wie z.B. Holunder, der alles hinab zieht ins Totenreich, denn Stall mit den Tieren vor Unheil schützt...

• magische Brunnen/Quellen in den Grimm Märchen, in die man nicht zu tief blicken sollte...

• Mit der Haselrute ins Wasser schlagen bringt Gewitter, weckt die Wassergeister auf!

• Unter weit ausladende Buchen stehen bei Gewitter (Eichen weichen, Buchen suchen!)

• Brotschüssel bei Gewitter vor das Haus, hält den Hagel ab

• Häuser nie auf Wasseradern bauen, Wassergeister!

• Freitag ist ein Unglückstag... vor allem bei abnehmendem Mond

Bauernregeln, Sprüche

Bezug auf Mondphasen, Wachsen und Vergehen, Aufbauen und Faulen, Naturbeobachtungen, nähere Zukunft deuten.

• „Bienenschwarm im Mai ist Wert ein Fuder Heu, aber ein Schwarm im Juli der lohnt sich kaum der Mühi.“

• „Frühe Saat hat nie gelogen, allzu spät hat oft betrogen.“

• „Sieht der Dachs an Lichtmess die Sonne geht er für längere Zeit zurück in den Bau.“

• Wetter am „Siebenschläfer“ bestimmt den Sommer.

Sagenumwogene Heilpflanzen seit der Altsteinzeit

Schulmedizinische Wirkung

und

überlieferte volksheilkundliche, mythische und abergläubische Aspekte

Schafgarbe - Engelwurz –

Beifuss - Ackerschachtelhalm

Wachholder - Holunder - Brennessel

Schafgarbe (Achillea millefolium) Mythen, Aberglauben, Volksheilkunde

- blutstillend, wundheilend als Umschlag oder Bad

- Tee bei Magen-Darmverstimmungen, Frauenleiden (Blutungen)

- Heilt alte und frische Wunden (Dioskurides, 1. Jhtd. bis heute)

- Bauchwehkraut (Oberösterreichischer Volksmund)

- Ausspuken 3mal durch den Schafgarbenring mit Spruch

- Blätter als Bestandteil der „Gründonnerstagsuppe“, zusammen mit Gundermann, Brennessel, Gänseblüemli u.a.

- Isst man die erste Blüte die man im Frühjahr sieht, das ganze Jahr gegen Krankheit gefeit (Schleswig)

- Schafgarbenbündel im Haus vertreibt die Pest (17. Jhtd.)

- Wer die Wurzel 8 Tage vor oder nach Margareta (13. Juli) gräbt, rote Würmer erblickt und diese bei sich trägt, hat Glück

- Früher Kinderspiel sich Blätter in die Nase zu stecken und damit Nasenbluten zu kriegen, oder in England als Liebesorakel...

Schulmedizinische Standartzulassung, Herba:- Leichte krampfartige Magen-Darm-

Gallestörungen, Magenkatarrh, Appetitanregung

Gegenanzeigen:- Korbblütler-Allergie - Schafgarbendermatitis

Engelwurz (Angelica archangelica) Mythen, Aberglauben, Volksheilkunde

- Der gute Geist im Wald, hält das Böse fern, Glücksbringer

- „Schutzengeltee“ mit Melisse, Anis, Ringelblumme und Kornblume

- Gegengift oder Antidot (Theriak)

- Bestandteil Theriak-Latwerge im Schwedenbitter, Amara-Aromatica

- Beliebtes Wildgemüse (junge Dolden zerhackt in Milch gekocht), Wurzel riecht nach Sellerie und Ananas

- Benediktinerpater schreibt im 18.Jht, bei der Behandlung der Pestkranken ein Schnitt im Mund zu haben schütze vor „böser Luft“

- Der Legende nach ist der Erzengel Rafael einem frommen Waldbruder erschienen und hat ihn auf die heilbringenden Eigenschaften von

Engelwurz aufmerksam gemacht

- „Verbindet den Kopf mit dem Bauch“

- Bestandteil vieler Liköre, z.B. Appenzeller und Chartreuse...

Schulmedizinische Standartzulassung, Radix:- Völlegefühl, Blähungen, leichte

krampfartige Magen-Darm-Störungen- Verdauungsschwäche durch Hypoacidität

Gegenanzeigen:- Magen- oder Darmgeschwüre- Bei längerer Anwendung Gefahr einer

Photodermatose (Furanocumarin)

Beifuss (Artemisiae vulgaris) Mythen, Aberglauben, Volksheilkunde

- Macht müde Beine munter, Wanderer binde bei Müdigkeit Kraut um seine Füsse (Beifuss)

- Beifuss-Gürtel oder „Sonnwendgürtel“ gegen Lendenschmerz

- Frauenmittel (Artemis, u.a. die Hüterin der Frauen und Kinder)

- Magische Kräfte, schützt vor Blitz und bösen Hexen (Beifusskranz zu St. Johanni an Stall und Haus) sowie im Kräuterstrauss an Maria

Himmelfahrt zur Segnung der Kirche

- Moxa bei den Chinesen, gepresst zu Zigarren (Beifuss-Zunder) für Tiefenwärme/Entspannung am Akupunkturpunkt

- „Schosswurz“, da früher die Nachgeburt mit Beifuss getrieben wurde, oder abgetrieben wurde

- Beifuss-Kissen gegen das Schlafwandeln und allgemein besser zu schlafen...

Schulmedizinische Standartzulassung, Herba:- menstruationsfördernd-regulierend- schmerz- und krampfstillend- Wurmtreibend- tonisierend

Gegenanzeigen:- Nicht während Schwangerschaft, abortiv

Schachtelhalm (Equisetum arvense) Mythen, Aberglauben, Volksheilkunde

- Fördert die innere Stabilität und Resistenz gegenüber entkräftenden Einflüssen (Silizium)

- Signatur des Ausdauernden und Beständigen

- Bei den Indianern Nordamerikas trinkt es die Frau während der Geburt, und

- der Absud äusserlich zur Waschung von Schürfwunden

- Pfarrer Kneipp hat sich u.a. mit Schachtelhalm-Abkochung von der Lungenschwindsucht geheilt (Triebe mit 90% Kiesel in der Asche!)

- Kneipp nennt Schachtelhalm als das „einzig-unersetzbare-unschätzbar“ wertvoll bei inneren Blutungen

- In der Pfalz heute noch gekochte Stengel äusserlich bei Umläufen

- In Graubünden z.T. noch als Abortivum im Gebrauch

- Am Niederrhein und in Braunschweig sagt man, “ganz unten an der Wurzel hängen Goldklümpchen“ sind jedoch kaum zu finden...

Schulmedizinische Standartzulassung, Herba:- Posttraumatisches und statisches Ödem- Bakterielle-entzündliche Erkrankungen der

ableitenden Harnwege, zur Durchspülung- NierengriessGegenanzeigen:- Kein Durchspülen bei eingeschränkter Herz-

und Nierentätigkeit

Wachholder (Juniperus communis) Mythen, Aberglauben, Volksheilkunde

- Während der Pestzeit soll eine Vogelstimme einem einsamen Wanderer zugerufen haben: „Esst Kranawitt und Bibernell, dann

sterbet ihr nit so schnell“ (Salzburg)

- „Vor etla Heilkräuter muass ma den Huat abnehma, aber vor Kranawitten und ana Hollastaudn muess ma sie no dazua bucka“

(Steiermark)

- Beeren kauen und mit ganzen ganzen Zweigen räuchern gilt bis heute als Schutz vor Unheil aller Art, während der Grippe 1918

wurden die Beeren gekaut (Sigrist Alfred, Teufen)

- Unter dem Wachholder wohnen die Zwerge (Obersimmenthal)

- „Eichenlaub und Kranawitt, dös mag der Teufel nit“ (Oberbayern)

- Das dunkle Grimmsche Märchen vom Machandelbaum

- Appenzeller nennen ihn auch „Reckholder“, von “räuchern“, sie räuchern in den „Raunächten“ zur Wintersonnwende Haus und Stall

- Wenn die Milch sich nicht zu Butter verrühren lässt, haben in vielen ländlichen Gegenden die Hexen Ihre Hand im Spiel, dann hilft ein

Rührstecken aus Wachholderholz...

Schulmedizinische Standartzulassung, Beeren:- Dyspeptische Beschwerden wie Aufstossen,

Sodbrennen und Völlegefühl- Holz ist diuretisch bei Rheuma und Gicht

Gegenanzeigen:- Schwangerschaft- Entzündliche Nierenerkrankungen

Holunder (Sambucus nigra) Mythen, Aberglauben, Volksheilkunde

- Der Hofholunder ist ein Schwellenbaum, Tor zum unterirdischen Reich, Grenze zwischen Unterwelt und Mittelwelt (Strassmann)

- Wer unter Holler meditiert, spürt heruntergezogen zu werden, im Schlaf spürt man das ständige Kommen und Gehen von Gnomen,

Zwergen und Kobolden...(Storl)

- Landfrauen opfern dem Holunder (Bier, Milch, Wolle, Brot) wenn kranke Familienmitglieder im Haus, es möge den Siech runterziehen

- Kleider kranker Kinder (durch Zauber krank gewordene) vergrub man unter dem Holler, dann ist der Dämon bedient...

- Holunder darf nicht gestutzt oder geschnitten werden, wenn es unbedingt sein muss bei Vollmond mit Opfergaben und Spruch: „Frau Holle, gib mir etwas von deinem Holz und ich gebe dir von

meinem wenn ich gestorben bin.“

- Die Sage vom „Judasohr“, dem Holunderschwamm...

- Holunder ist heilend und giftig, Frau Holle bei den Heiden Göttin des Lebens und des Todes...

Schulmedizinische Standartzulassung, Flos:- Schweisstreibend bei fieberhaften

Erkältungskrankheiten

Gegenanzeigen:- Keine bekannt- Beeren roh gegessen kann zu Übelkeit und

Erbrechen führen

Brennessel (Urtica dioica) Mythen, Aberglauben, Volksheilkunde

- Bei den Indianer wie bei den Russen wurde Wurzel und Blätter getrocknet und verrieben auf frische Wunden gestreut

- Bei Rheuma wird mit frisch gebrochenen Trieben gepeitscht

- Kräftigendes Spinatgemüse, „Three nettles in May keep diseases away“ (England)

- Hühner, die Nesselsamen essen haben kräftige dunkelgelbe Eidotter

- Dem „Klauenseuche-Vieh“ mit 3 Nesseln durch die Klauen fahren, „die eine für den Ochs, die andere für den Fuss und die dritte ist die

heilen muss“

- Bei den Alten auch Donnernessel genannt, denn sie wächst dort wo der Blitz in die Fläche schlägt (Erdstrahlung erhöht)

- Das Bier und Milch bei Donner nicht sauer wird (umschlot), ein Strauss Brennessel um den Kessel spannen

- Zigeuner glaubten das sich unter den Nesseln ganze Städte und Dörfer von mit Gold befänden, von Zwergen bewohnt...

Schulmedizinische Standartzulassung, Herba:- Zur Durchspülung bei entzündlichen

Erkrankungen der ableitenden Harnwege und Nierengriess

Gegenanzeigen:- Keine Durchspülungstherapie bei Ödemen

infolge eingeschränkter Herz- und Nierentätigkeit

Führung im Garten, Mystik der7 magischen Heilpflanzen erleben

Quellenverzeichnis:Marzell, Heinrich (2002): Geschichte und Volkskunde der deutschen Heilpflanzen, Reichl.

Vonarburg, Bruno (2010): Energetisierte Heilpflanzen, AT.

Sigrist, Alfred (1997): Appenzeller Kräuterapotheke, Appenzeller Verlag.

Storl, Wolf Dieter (2015): Ur-Medizin, AT.

Kalbermatten, Roger und Hildegard (2005): Pflanzliche Urtinkturen, AT.

Wichtl, Max (1989): Teedrogen, WVG Stuttgart.

Züst, Walter (1998): Die Dornesslerin, Appenzeller Verlag.