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Nachrichten und Beiträge aus dem Rom e. V. Neue Folge, Heft 3/2013 nevipe nevipe•Neue Folge•Heft 3/2013•Rom e.V.•Venloer Wall 17•50672 Köln•0221.242536•[email protected]•www.romev.de Politik hat versagt Prof. KLaus Michael Bogdal über die beiden Seiten des Antiziganismus, S. 16 Box-Kurs für Jugendliche im Rom e. V., S. 9 Neues von Amaro Kher, S. 10 „Elses und andere Geschichten“, Aufführung des Theater TKO, S. 24 Vorgestellt: Nizaqete Bislimi, Rechtanwältin in Essen S. 15 „Open for Everything“ in der Kölner Oper am 6. Juli 2013, Eindrücke von Nedjo Osman, S. 26 Literarischer Abend mit Selam Pató, S. 30 Veranstaltungen + Hinweise, S. 34 Neues zur „Zigeuner“-Frage, S. 36 Irgendwo hört es auf! Norbert Mappes-Niediek über Rolf Bauerdick „Zigeuner“, S. 3 Rechte an die Macht, Linke an die Macht, und immer die gleichen Opfer, S. 19 © nmn Badische Zeitung Norbert Mappes-Niediek Erster und einziger Sinti-Sportler im Deutschen Sport & Olympia Museum, S. 7 Jetzt also doch - Asylrecht für serbische Roma? S. 18 „Die im Dunklen sieht man nicht“. KALZ-Studie zur Situation der Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien in Köln, S. 17 Auschwitz – na und? S. 23 Alphabetisierungskurs für Roma-Frauen im Rom e. V., S. 14 Theater-TKO: Inszenierung plus Workshop, S. 25 Brief vom Kopf der Welt. Reisebericht von Jovan Nikolic S. 28 Neue Bücher in der Bibliothek des Rom e. V., S. 31 International erfolgreiche Sinti- und Roma-Sportler. Ausstellung und Lesung im Studio DuMont, S. 5 Stadtzerstörung: Istanbul Die Roma und der Gezi-Park, Seite 21 Die Istanbuler Roma und der Gezi-Park, S. 21 Erster und einzi- ger Sinti-Sportler im Deutschen Sport & Olympia Museum, Seite 7 Initiative des Rom e. V. KALZ-Studie zur Situation der Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien in Köln, Seite 17 Editorial, S. 2 „Irgendwo hört es auf!“ Norbert Mappes- Niediek rezensiert das Buch von Rolf Bauerdick „Zigeuner. Begegnungen mit ei- nem ungeliebten Volk“

Nachrichten und Beiträge aus dem Rom e. V. · Trollmann, wenn Georg Wieghaus und Bruder Lukas ihnen und den Kindern von der Grundschule Over-beckstraße ihr neues Kinderbuch „Rukeli“

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Nachrichten und Beiträge aus dem Rom e. V. Neue Folge, Heft 3/2013

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nevipe•Neue Folge•Heft 3/2013•Rom e.V.•Venloer Wall 17•50672 Köln•0221.242536•[email protected]•www.romev.de

Politik hat versagt

Prof. KLaus Michael Bogdal über die beiden Seiten des Antiziganismus, S. 16

Box-Kurs für Jugendliche im Rom e. V., S. 9

Neues von Amaro Kher, S. 10

„Elses und andere Geschichten“, Aufführung des Theater TKO, S. 24

Vorgestellt: Nizaqete Bislimi, Rechtanwältin in Essen S. 15

„Open for Everything“ in der Kölner Oper am 6. Juli 2013, Eindrücke von Nedjo Osman, S. 26

Literarischer Abend mit Selam Pató, S. 30

Veranstaltungen + Hinweise, S. 34

Neues zur „Zigeuner“-Frage, S. 36

Irgendwo hört es auf! Norbert Mappes-Niediek über Rolf Bauerdick „Zigeuner“, S. 3

Rechte an die Macht, Linke an die Macht, und immer die gleichen Opfer, S. 19

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Norbert Mappes-Niediek

Erster und einziger Sinti-Sportler im Deutschen Sport & Olympia Museum, S. 7

Jetzt also doch - Asylrecht für serbische Roma? S. 18

„Die im Dunklen sieht man nicht“. KALZ-Studie zur Situation der Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien in Köln, S. 17

Auschwitz – na und? S. 23

Alphabetisierungskurs für Roma-Frauen im Rom e. V., S. 14

Theater-TKO: Inszenierung plus Workshop, S. 25

Brief vom Kopf der Welt. Reisebericht von Jovan Nikolic S. 28

Neue Bücher in der Bibliothek des Rom e. V., S. 31

International erfolgreiche Sinti- und Roma-Sportler. Ausstellung und Lesung im Studio DuMont, S. 5

Stadtzerstörung: Istanbul

Die Roma und der Gezi-Park, Seite 21

Die Istanbuler Roma und der Gezi-Park, S. 21

Erster und einzi-ger Sinti-Sportler im Deutschen Sport & Olympia Museum, Seite 7

Initiative des Rom e. V.

KALZ-Studie zur Situation der Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien in Köln, Seite 17

Editorial, S. 2

„Irgendwo hört es auf!“Norbert Mappes-Niediek rezensiert das Buch von Rolf Bauerdick „Zigeuner. Begegnungen mit ei-nem ungeliebten Volk“

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Wir freuen uns, dass Norbert Mappes-Niediek, Balkan-Korrespondent internationaler Tageszeitungen und Autor des Bestsellers „Arme Roma – Böse Zigeuner“ das Buch von Rolf Bauerdick „Die Zigeuner“ in dieser Ausgabe von Nevipe rezensiert. Er lobt zurecht die hohe Erzählkunst des Autors, anerkennt die scharfe Beobachtungsgabe und zeigt aber auch die Fragwür-digkeit vieler Thesen auf. Wir von Nevipe meinen, dass das Buch auch von einer enttäuschten Liebe zu den Roma zeugt und oft verbittert wirkt, wie wir das von manchen Sozialarbeitern kennen, die nach einem engagierten lebenslangen Einsatz noch immer keine Fortschritte bei den „Zigans“ zu erkennen meinen.

Ganz anders die großartigen Fotoarbeiten Bauerdicks, die den Menschen stets ihre Würde und ihre Hoffnun-gen lassen. Diese Bilder haben viele (auch uns) oft motiviert, weiterzumachen, wenn der gemeinsame Kampf für die Menschenrechte aussichtslos schien. Heute sind es vor allem die Bilder, die Erfolge und die Kooperation mit einer selbstbewussten und euro-paweit vernetzten Bewegung junger Roma, die Mut machen. So die Rechtsanwältin Nizaqete Bislimi, die als Romni in einer Kanzlei in Essen arbeitet.

Mut machen auch die Kinder in Amaro Kher, über die wir hier mehrmals berichten; sie sind völlig begeis-tert vom Zoo-Ausflug, unbefangen in der Begegnung mit den Gymnasiasten der Erich-Kästner-Schule und bezaubernd bei ihrem Auftritt auf dem Mukudi-Fest im großen Saal des Rom e. V. Sie sind stolz auf die Sinti- und Roma-Spitzensportler in unserer Aus-stellung „Vorbilder – Champions – Idole. Sinti- und Roma-Sportler – internationale Erfolgsgeschichten“. Gespannt verfolgen sie auch das Schicksal von Rukeli Trollmann, wenn Georg Wieghaus und Bruder Lukas ihnen und den Kindern von der Grundschule Over-

beckstraße ihr neues Kinderbuch „Rukeli“ vorstellen. Der Dominikanerpater unterstützt selbst aktiv ein Roma-Lager in der Ost-Slowakei, darüber berichten wir in der kommenden Ausgabe von Nevipe.

Seit kurzem bietet der Rom e. V. auch einen Boxkurs für Roma-Jugendliche unter der Leitung des fünffa-chen deutschen Meisters Horst Brinkmeier an. Für Roma-Frauen haben wir seit langem einen Sprachkurs eingerichtet. Aktiv waren in letzter Zeit auch wieder die Roma-Künstler des Vereins. Jovan Nikolic hat nicht nur die Sportler-Ausstellung im Studio DuMont kura-tiert, sondern auch zusammen mit Ruzdija Sejdovic einen literarischen Abend mit der ungarischen Dichte-rin und Malerin Selam Pató organisiert.

Das TKO-Theater hat im Kunsthaus Rhenania sein berührendes Stück „Elses und andere Geschichten“ mit zwei Gedichten von Nedjo Osman aufgeführt. Im Rahmen unseres Jahresprojekts „Wir boxen uns durch“ bereiten Nada Kokotovic und Nedjo Osman ein Stück vor, das den Kampf der Sinti und Roma um Anerken-nung am Beispiel des Boxers Rukeli zeigt. Dazu wird es einen Theaterworkshop mit jungen Roma geben, der hier vorgestellt wird. Nedjo Osman hat für uns auch das Stück „Open for Everything“ in der Kölner Oper besprochen. Jovan Nikolic berichtet schließlich von seiner Reise zum Künstlertreffen nach Dinan in der Bretagne.

Leider ist über unser Nachbarland nicht sehr Positives zu berichten: Unser Freund Michel Payen, ehemali-ger Redakteur der Deutschen Welle, berichtet über die nicht enden wollenden Vertreibungen der Roma, diesmal unter sozialistischer Ägide.

Die Proteste gegen die Zerstörung des Gezi-Parks sind für uns Anlass dran zu erinnern, wie alles anfing, nämlich mit der Zerstörung des uralten Roma-Viertels Sulukule. Unser Blick geht auch nach Serbien, wo die Verstöße gegen die Rechte der Roma so gravierend sind, dass sie bald als Asylgrund ausreichen könnten.

Ein besonderes Highlight war für uns die Aufnahme des Boxers Rukeli in die Dauerausstellung des „Deut-schen Sport und Olympiamuseums“. Wir haben in den letzten Wochen erneut den Kontakt mit anderen Vereinen intensiviert. So beim musikalisch-kulturellen Dialog „Mukudi“ mit der Dersim Gemeinde e. V. und dem Phoenix e. V. Auf Initiative der Christlich-jüdischen Gesellschaft fand bei uns ein spannender Abend mit Prof. Bogdal statt. Wie gewohnt wieder einige Rezensionen von neuen Büchern in unserer Bi-bliothek. Und zum Schluß: Kitsch as Kitsch can: Neues zur „Zigeuner“-Frage.

Kurt Holl

Editorial

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Irgendwo hört es auf!

Norbert Mappes-Niediek über Rolf Bauerdick„Zigeuner“

Rolf Bauerdick zeigt, dass man mit Em-pathie dem Elend nicht beikommt. Leider unfreiwillig.

Lourdes, erzählt, Rolf Bauerdick, „lebte von den Blicken“. Ihm gefallen die „Gesten der Zuwendung, die dort jene erfuhren, die wir gemeinhin nicht sehen. Hier schaute niemand weg, wenn ein Spastiker schrie, ein Debiler vor sich hin brabbelte oder das Gesicht eines Schwerkranken vom Tod gezeichnet war.“ Aber wenn die Pilger von Lourdes auf die vielen rumäni-schen Zigeuner schauen, die dort betteln, erkennt er in ihren Blicken „nur ein stummes, schier grenzen-loses Befremden.“ Bauerdick ist da ganz mit ihnen. Mitleid sei, zitiert der Autor Schopenhauer, „jene Empfindung, die den Menschen ermöglicht, den Ego-ismus und die trennende Mauer zwischen Ich und Du zu überwinden.“ Die rumänischen Bettler von Lourdes aber zerstörten dieses Mitleid, wenn sie „manchmal gewitzt und freundlich, bisweilen unverschämt und giftig“ sich auf das „Nerven“ verlegten.

Die Szene kann man sich vorstellen. Bauerdicks Empathie für die verarmten Roma in – und aus - Südosteuropa ist sicher echt; nicht umsonst treibt die menschenfreundliche Empfindung den Reporter immer wieder in Elendsviertel, die sonst niemand betritt. Aber die Empathie hat da ihre Grenzen, wo sie den Einfühlsamen überfordert. Wir sind ja tolerant, einfühlsam, zum Teilen bereit. Aber irgendwo hört es, bitteschön, auf. Man trifft auf diesen Satz überall in Osteuropa, wo es auch viele gut meinen mit diesen Roma, irgendwann aber nicht mehr können; man trifft sie unter Sozialarbeitern in deutschen Großstädten ebenso wie in den Chaträumen des Internet und nun leider auch bei einem Reporter, von dem man mehr

hätte erwarten dürfen. Wo man sich nicht mehr iden-tifizieren kann, ist auch der empathische Erzähler mit seinem Zugang am Ende. Den Roma von Lourdes zum Beispiel kann Bauerdick nicht raten, wie sie es besser machen sollten. „Das wahre Elend hinter der gespiel-ten, zur Schau gestellten und gewiss auch echten Not der Roma nahm niemand mehr wahr. Das war ihre Tragik.“

Tragik ist, wie wir wissen, unausweichlich; Tipps und Appelle gehen ins Leere. Statt aber über seinen Ansatz hinauszudenken, blickt der Autor am Ende seiner Methode zurück auf deren Errungenschaften und ver-gleicht sie mit den blutleeren Theorien, der politisch korrekten Begriffshuberei und den moralisierenden Sprüchen, die er zielsicher aufspießt und dem Spott der Leserschaft preisgibt. Tatsächlich sind spiele-rischer Dekonstruktivismus und moralische Panik zurzeit wohl noch die häufigsten Antworten auf die Herausforderung, die eine verelendete und verwahr-loste Bettlerszene für unser Welt- und Menschenbild darstellt. Es sind hilflose Antworten; weder in der „Trüffelsuche“ nach immer tieferen, älteren antiziga-nistischen Vorurteilen der Mehrheitsgesellschaft noch in der Erinnerung an den Völkermord der Nazis sind rückstandslose Erklärungen zu finden. Da hat Bauer-dick Recht.

Recht hat Bauerdick auch, wenn er in den Jeremia-den gegen den ewigen Opferstatus der Roma eine Entmenschlichung erblickt. Niemand ist immer nur Opfer, und gerade die Roma grenzen sich ja auch selbst aus, wie der Autor in seiner Reflexion über die Szenen von Lourdes überzeugend darstellt. Das Täter-Opfer-Schema hat dem Massenelend in Ost- und Südosteuropa wenig mehr zu bieten als einen groben politischen Prügel und einen moralischen Dünkel: die Gewissheit des Pharisäers, nicht so schlecht zu sein wie die anderen.

Auch hier allerdings verfolgt Bauerdick seinen produk-tiven Ansatz leider nicht weiter. Wo bei den „politisch Korrekten“ immer die üble Mehrheitsgesellschaft die Täterrolle spielen muss, werden bei ihm, je weiter die Lektüre fortschreitet, immer mehr eben „manche“ Zigeuner die Täter – zum Beispiel wenn sie straffällig werden, Kinder zum Betteln und Frauen in die Pros-titution schicken. Aber Bewohner von Elendsvierteln handeln mitunter nun einmal so, in Rumänien ebenso wie in Brasilien oder Südafrika. Das Täter-Opfer-Schema passt dort nicht gut, gleich wie man die Rollen verteilt. Hier aber moralisiert Bauerdick selbst nicht weniger als die selbstergriffenen Gutmenschen und landet bei hilf- und folgenlosen Appellen, nur eben an die andere Seite.

Da Bauerdick ja auch selbst keinen Rat weiß, bleibt seine Auseinandersetzung mit den „Berufsroma“ und den Minderheitenschützern am Schreibtisch, obwohl oft witzig und in manchen Einzelheiten treffend, unter dem Strich zu billig. Da spießt er den Fall des Darm-

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städter Oberbürgermeisters Günther Metzger auf, der Roma aus dem Südosten zur Ansiedlung einlud, sich und seine Stadt damit überforderte und in der Propa-ganda von Moralisten zu einem rassistischen Monster gemacht wurde. Wie immer das damals war, der Fall liegt wohl nicht zufällig 30 Jahre zurück. Heute wäre ein Bürgermeister nicht mehr so naiv und die Szene der Menschenrechtler nicht mehr so aggressiv. Nicht richtig fair ist auch die Auseinandersetzung mit dem Zentralrat der Sinti und Roma, in dem heute differen-ziertere Zugänge Platz gegriffen haben. Aus einem um Ausgewogenheit bemühten Handbuch der Sinti- und-Roma-Vertreter Daniel Strauß und Michail Krausnick pickt Bauerdick sich Stellen heraus, statt den Ansatz zu würdigen. Dabei hätten nicht nur die Menschen in den Elendsvierteln eine Probe der beträchtlichen Em-pathiefähigkeit des Autors verdient, sondern auch die mehr oder weniger tauglichen Versuche, die auf den Begriff zu bringen und ihnen am Ende beizukommen. Es sind ja nicht die nicht minder hilflosen „Konferenz-Roma“, die die Probleme verursacht haben oder die Lösung verhindern würden. Einfühlungsvermögen ist etwas Schönes, aber zur Überhebung taugt es nicht.

Problematisch wird das Buch da, wo Bauerdick in seinem Furor gegen allzu billige Täter-Opfer- Erklä-

rungen ohne Federlesens nahezu alle Behauptungen übernimmt, die über Slumbewohner und Armuts-zuwanderer in diesen Zeiten kursieren: die von den berühmten „Hintermännern“ ebenso wie von der steigenden Gewaltkriminalität. Dass er keine Zahlen hat, kann man Bauerdick natürlich nicht vorwerfen; die gibt es nicht. Aber er hinterfragt nicht einmal seine anekdotischen Belege auf ihre Stichhaltigkeit; ein regierungstreuer ungarischer Kriminologe, mit dem er gesprochen hat, ist im gegenwärtigen Klima einfach keine seriöse Quelle. Steigt in Ungarn die Kriminali-tät, oder steigt nur deren Wahrnehmung? Und wenn beide steigen, tun sie es im gleichen Tempo? Nicht dass er die Antwort nicht hat, verstört, sondern dass Bauerdick nicht mal die Fragte stellt. Wenn es um die Mafiosi geht, die angeblich in großem Stil europaweite Bettelringe unterhalten, gehen ihm sogar die Anekdo-ten aus. Wo immer er bei Bettlern genauer hinschaut, straft der Autor sich selber Lügen.

Nützen kann das Buch, indem es Einblicke in eine Re-alität gibt, die viele Gut- und Schlechtmeinende ein-fach nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Als glänzen-der Erzähler geht Bauerdick mit seinen Erlebnissen und Erfahrungen sensibel und aufrichtig um. Wenn er reflektiert und analysiert, gewährt er dem kriti-schen Leser freimütig Einblick in seine Widersprüche, was ebenfalls lehrreich sein kann. Schaden wird das Buch nicht, denn es lässt sich keine Folgerung daraus ziehen. Man kann nichts tun, so sind sie eben – das ist das ganze Ergebnis, das nach allem erzählerischen und gedanklichen Aufwand bleibt, und so weit waren wir auch vorher schon. Bauerdicks romantische Emp-fehlung, sich statt des Elends und der Diskriminierung eben die „zigane Unangepasstheit, die Art, gegen den Strich zu denken, die Großherzigkeit, den Humor, die Herzlichkeit den Gleichmut“ und die „Schlitzohrig-keit“ der Zigeuner zum Gegenstand zu machen, scha-det so wenig wie sie nützt. Rolf Bauerdick ist gerade so weit gekommen, wie man eben kommt, wenn man das Geheimnis der Armut bei den Armen sucht. Wenn man weiterkommen will, muss man sich eben doch wohl den Verhältnissen zuwenden und sie zur Not auch verändern wollen. Von einem solchen Wunsch aber findet sich an keiner Stelle des Buches auch nur eine Andeutung.

Norbert Mappes-Niediek

Rolf Bauerdick: Zigeuner. Begegnungen mit einem ungeliebten Volk. Deutsche Verlagsanstalt: Mün-chen 2013. 350 Seiten, 22,99 €

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Es war heiss, die Sonne schien gnadenlos – auch noch am Abend des 7. Juni – als wir die Ausstellung „Inter-national erfolgreiche Sinti- und Roma-Sportler“ im Studio DuMont eröffneten. Und doch kamen reichlich interessierte Besucherinnen und Besucher, um sich über die Präsens der Minderheit im Leistungssport zu informieren. Jovan Nikolić, der Kurator der Aus-stellung, stellte neben den beiden deutschen Sinto-Boxern, Rukeli Trollmann und Jakob Bamberger, die in den 30er Jahren berühmt waren und deren Karriere durch die Nazis brutal abgeschnitten wurde, die im KZ ermordet bzw. anschließend an den Folgen der Folter starben, ein Dutzend Spitzensportler aus anderen Ländern vor. Unter ihnen der legendäre rumänische Tennisspieler aus den 70er Jahren Ilije Nastase, die Fußballer Ricardo Andrade Quaresma aus Portugal und Andrea Pirlo aus Italien.

Nicoliţă spielt nicht nur für sich selbst Als der französische Fußballclub Saint Etienne 2012 den rumänischen Fußballstar Bănel Nicoliţă kaufte, schrieb der englische Guardian. “Saint Etienne kauft einen Zigeuner zu einem Zeitpunkt, wo Frankreich den rumänischen Roma Prämien zahlt, damit sie abhauen.“

Ja, Nicoliţă ist Rom. „Ich schäme mich nicht für meine Herkunft. Ich bin Rom, und ich bin stolz darauf.“ Als er 2005 bis 2011 für Steaua Bukarest spielte und zwar als Kapitän, pfiffen ihn Fans aus und brüllten, wenn er auflief: „ Zigeuner, Zigeuner“. Aber trotzdem er wurde bester Spieler von Steaua Bukarestin der Champions Ligue, sogar Nationalspieler und Botschafter der FIFA gegen Rassismus. Sein Trainer schwärmt von ihm: „Er ist ein Kämpfer mit Siegeswillen und immer fröhlich“. Vor dem letzten Spiel seiner Mannschaft sagte Nicolita „Ich kämpfe für meine Mannschaft, mein Land und für mein Volk, die Roma.“ Jovan Nikolić, Mitarbeiter des Rom eV., stellte diese Ausstellung über Nicoliţă und andere berühmte Sport-ler aus der Minderheit zusammen. Sie wurde bis vor zwei Wochen im Studio DuMont gezeigt. Jetzt geht sie als Wanderausstellung auf Reisen und kann im Rom e. V. ausgeliehen werden: es handelt sich um 19 große Tafeln und eine Bildfahne.

Serafim Todorov - Bulgarien

Ilie Năstase - Rumänien

Rustam Adschi - Ukraine

Jesús Navas González - Spanien

Ricardo Andrade Quaresma – Portugal

Milan Baroš - Tschechien

José Antonio Reyes Calderón - Spanien

José Rodríguez Martínez

Michele di Rocco - Italien

Andrea Pirlo - Italien

Iwajlo Marinow - Bulgarien

Johann „Rukeli“ Trollmann - Deutschland

Dawid Kostecki - Polen

Jakob Bamberger - Deutschland

Silvio Branco - Italien

Bartley Gorman - Ireland

Éric Cantona - Frankreich

Bănel Nicoliță - Rumänien

Bănel Nicoliță – Rumänien

Bănel Nicoliță, geb. 7. Januar 1985 in Faurei, Kreis Braila.Rumänischer Fußballspieler.

Vereine: »Dacia Unirea Braila 2001

»FCU Politeknica Timisoara 2004 .

»Steaua Bukarest 2005

»AS Saint-Etienne 2011

Titel »Rumänischer Meister: 2004/05, 2005/06

»Supercupa României: 2006

»Rumänischer Fußballpokal: 2011

Nationalmannschaft Nicoliță

ist seit 2005 rumänischer Nationalspieler mit bisher 31 Einsätzen. Mit Rumänien nahm er an der Fußball-Europameisterschaft 2008 teil.

Ausstellung „Vorbilder – Champions – Idole. International erfolgreich Sinti- und Roma-Sportler“

Foto © Iris Pinkepank

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International erfolgreiche Sinti- und Roma-Sportler

Ausstellung und Lesung im Studio DuMont

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impressumRedaktion und ViSdP:Kurt Holl, Jovan Nikolić, Iris Pinkepank, Ruzdija Sejdovic, Ali Tekin

[email protected], www.romev.de

Herausgeber:Verein zur Förderung der Roma in Köln e. V.Venloer Wall 17, 50672 Köln, +49(0)221.242536,

Adressaten: 3.000, ISSN 1868-9795

Die Artikel geben jeweils die Meinung der Autorin bzw. des Autoren wieder und nicht unbedingt diejenige der Redaktion.

Nevipe ist Romanes und heißt: Neuheit, Neuigkeit.

Nevipe wird gefördert von  

Die Leistungsträger der Minderheit im internationalen Sportgeschehen sind als Idole für die Mehr- und Min-derheitsgesellschaft besonders geeignet, um endlich einen Diskurs zu beginnen, der sich wegbewegt von Armutszuwanderung und Klaukids. Dies war die erste Ausstellung, die sich nach der Recherche von Jovan Nikolić diesem Thema widmete. Weitere sind geplant, dazu ermutigt uns der große Erfolg der dieser Aktion.

Für den festlichen Rahmen sorgte Beata Burakowska mit ihrem Chor „Bachtale“, der mit Romanes-Liedern für eine ausgezeichnete Stimmung sorgte.

Im Zentrum der Veranstaltung stand die Lesung Roger Repplingers aus seinem Buch „Leg dich Zigeuner“. Wie in einer Live-Reportage schilderte Repplinger die Tage vor und nach dem Meisterschaftskampf von Rukeli Trollmann. Sein Schicksal ist ja der Ausgangs-punkt für die Reihe, in der auch diese Lesung und Ausstellung stattfanden „Wir boxen uns durch! Vor-bilder – Champions – Idole“. Es war faszinierend, wie detailreich Roger Repplinger die Umstände um den Titelkampf Trollmanns recherchiert hatte und vor-trug. Das Auditorium hatte den Eindruck, gemeinsam am Radio zu sitzen und dabei zu sein. Ein spannen-

der Einblick in eine dunkle Zeit. Die anschließende Diskussion ließ erkennen, wie wenig über die Sportler aus der Minderheit bis heute bekannt ist und welches Potenzial dieses Thema birgt.

Der Imbiss, den das Studio DuMont neben den Räu-men der Veranstaltung zur Verfügung stellte, sorgte zum Ausklang für eine angenehme Atmosphäre und angeregte Gespräche, bis sich auch die letzten in die warme Sommernacht verabschiedeten.

Bei Interesse können die Ausleihbedingungen im Rom e. V. erfragt werden.

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Roger Repplinger in der Ausstellung „International erfolgreiche Sinti- und Roma-Sportler“

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Kurator Jovan Nikolic (Mitte) führt Dr. Karola Fings und Hans-Peter Killguss vom ELDE-Haus durch die Ausstellung

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Erster und einziger Sinti-Sportler im Deutschen Sport & Olympia Museum

Auf Initiative des Rom e. V. – Deutsches Sport & Olympiamuseum ehrt Johann Wilhelm Trollmann

Der Rom e. V. Köln freut sich darüber, dass der Deutsche Meister im Halbschwergewicht von 1933 Johann Wilhelm Trollmann (bekannt unter sei-nem Romanes-Namen „Rukeli“), der von den Nazis ermordet wurde, endlich einen festen Platz im Deutsche Sport- und Olympiamuseum erhalten hat. Auf Vorschlag des Rom e. V. hat das Museum den Leistungs- und Sympathieträger Rukeli Trollmann in seine Dauerausstellung über berühmte Sportler in einer Feierstunde am Dienstag, dem 25. Juni 2013, aufgenommen.

Der Rom e. V. Köln hatte dies bereits 2010 gefordert, weil Kurt Holl damals bei einem Museumsbesuch mit Kindern von Amaro Kher feststellen mußte, dass dort kein einziger Sportler aus der Minderheit überhaupt nur erwähnt war. Der Rom e.V. hat seit-dem mit dem ehemaligen Museumsdirektor Dürr über eine Realisierung dieser Idee verhandelt und entsprechende Unterlagen zur Verfügung gestellt. Schließlich war die Leitung des Museums über-zeugt von der Notwendigkeit wenigstens einen erfolgreichen Sportler aus der Minderheit in die Dauerausstellung aufzunehmen.

Rukeli Trollmann gebührt diese Ehrung und Erinnerung besonders, weil er als erfolgreicher Boxer von den Nazis favorisierte Gegner schlug

Manuel Trollmann (r.) übergibt den Meistergürtel seines Großon-kels an Kai Hilger (l.) vom Deutschen Sport & Olympia Museum. Elma,Dlibor, Nebida von Amaro Kher sind stolz auf Rukeli.

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Meistergürtel von Johann Wilhelm „Rukeli“ Trollmann

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und deshalb nach seinen Siegen als „Zigeuner“ ver-folgt wurde. Er habe sich zudem geweigert, seine „undeutsche“ Boxart abzulegen. Trollmann hatte nämlich bereits den Stil gepflegt, der später durch Muhammed Ali berühmt werden sollte. Die Nazis er-kannten ihm nur eine Woche nach seinem siegreichen Meisterschaftskampf den gewonnenen Titel wieder ab. 1943 wurde er als „Zigeuner“ im KZ Neuengamme inhaftiert und kurze Zeit später ermordet.

Zur Feierstunde war Manuel Trollmann, der Großneffe Rukeli Trollmanns, gekommen und überreichte ein Duplikat des Meistergürtels, den Rukeli 1933 gewon-nen hatte. Dieser ist jetzt mit anderen Dokumenten dauerhaft in einem dem Sportler gewidmeten Spind in der Boxsportabteilung des Museums ausgestellt. Der Spind von Rukeli Trollmann steht dort zwischen den Erinnerungsspinden von Muhammed Ali und Max Schmeling.

Mittwoch, 26. Juni 2013 Kölner Stadt-Anzeiger WIR HELFEN 17

FürmehrBildung vonKindern

Köln. Die „Kölner Stadt-Anzei-ger“-Aktion „wir helfen“ dankt al-len Leserinnen und Lesern für ihreSpenden an ihren Schwestervereinin Halle zur Unterstützung derFlutopfer bislang und in Zukunft.Von nun an bittet sie aber auchwieder um Spenden für Kinderund Jugendliche in Not in unsererRegion. „Denn auch vor unsererHaustür gibt es viel Not“, so die„wir helfen“ Vorsitzende beiderStädte, Hedwig Neven DuMont.Mit ihrer Kölner Aktion werdenderzeit Initiativen unterstützt, dieder Bildungsarmut von Kindernund Jugendlichen in der KölnerRegion entgegenwirken. Bislangsind dafür 1 001 600,77 Euro ein-gegangen.AlleVerwaltungskostenträgt der Verlag M. DuMontSchauberg. Die Spendenkontendes gemeinnützigen Vereins „wirhelfen“ in Köln lauten:

Kreissparkasse KölnKonto-Nr. 162155Bankleitzahl 37050299

Sparkasse Köln-BonnKonto-Nr. 22252225Bankleitzahl 37050198

Kontoinhaber ist der Unterstüt-zungsverein „wir helfen“.

AUFRUF „wir helfen“bittet auchwieder umSpenden für Kinder inunserer Region

In einer ReihemitMax SchmelingEHRUNG DerdeutscheSintoJohann„Rukeli“TrollmannhatnuneinenPlatz imKölnerSport-undOlympiamuseumVON ANJA KATZMARZIK

Köln. Es ist ein später Triumph.Und er kommt für Manuel Troll-mann genau 80 Jahre zu spät. Aberer kommt, und der Großneffe desBoxers Johann „Rukeli“ Troll-mann (1907-1944) bereut höchs-tens, sich nicht viel früher für dieGeschichte seines Großonkels in-teressiert und sie öffentlich ge-macht zu haben.

Inzwischen ist in seiner Heimat-stadt Hannover eine Straße nachdem großen Sportler benannt, esgibt ein Kinderbuch mit ihm alsHauptfigur, ein Film erzählt seinLeben, ein Theaterstück namens„Zigeunerboxer“ erleichtertSchulklassen im Geschichtsunter-richt anhand seines Schicksals denEinstieg ist dasThema Nationalso-zialismus. Und nun hält er denBox-Gürtel seines Vorfahren inden Händen, auf den die Familie70 Jahre gewartet hat – und über-gibt ihn in Köln, damit er in einemMuseum Platz findet.

Denn „Rukeli“ war Sinto unddeutscher Meister im Halbschwer-gewicht 1933, weshalb ihm nurdrei Tage nach seinem Sieg der Ti-tel wegen angeblich „undeutschenBoxens“ aberkannt worden war.1944 wurde er in einem KZ totge-prügelt.

Auf Initiative des Kölner Rome.V., der Rukeli derzeit eine ganzeVeranstaltungsreihe widmet, wirddes Sportlers nun im KölnerSport- und Olympiamuseum ge-dacht. Der Gürtel, der ihm post-hum von der „International Fight

Club Organisation“ (IFCO) ange-fertigt wurde, wird in einem Spindin einer Reihe mit Devotionalienvon Max Schmeling aufbewahrtund gezeigt werden. „Da steigenGefühle in mir auf, die sind unbe-schreiblich“, antwortete der 50-jährige Nachfahr auf die Fragenach seinem Gemütszustand ange-sichts dieser späten Ehrung. „Sostolz und so traurig zugleich.“

Seit 1992 kämpft der Großneffedarum, seinem erfolgreichen Vor-fahren einen würdigen Platz in derGeschichte zu verschaffen. „Und

ich werde, so lange ich lebe, allesdafür tun, dass noch mehr Men-schen von ihm erfahren – stellver-tretend für alle Sinti und Roma.“Erst vor zehn Jahren wurde aufsein Drängen „Rukeli“ sein deut-scher Meistertitel vom Bund Deut-scher Berufsboxer (BDB) nach-träglich zuerkannt. „Da hat sichder Verband nicht mit Ruhm be-kleckert“, so Manuel Trollmann.Seit 2010 forderte der Rom e.V. dieWürdigung Trollmanns im Muse-um ebenso wie die des ebenfallserfolgreichen und ins KZ gesperr-

ten Sinto-Boxers Jakob Bamber-ger, von dem ein paar Original-Boxhandschuhe nun ebenfalls alsDauerleihgabe übergeben wurden.Danach wurde über die Realisie-rung verhandelt und entsprechen-de Unterlagen zur Verfügung ge-stellt. Kurt Holl vom Rom e.V. istdankbar „für das große Verständ-nis und das Engagement, das dieMuseumsleitung hier gezeigt hat“.Eine Ausstellung des Vereins übererfolgreiche Sportler beider Grup-pen mit dem Titel „Vorbilder –Champions – Idole“ ist noch bis

diesen Freitag jeweils von 10 bis18 Uhr im studio dumont, BreiteStraße 72, zu sehen. Schirmherrinist die „wir helfen“-VorsitzendeHedwig Neven DuMont.

Ihr Unterstützungsverein finan-ziert im Rahmenprogramm auchBoxtrainings für Kinder. „Damitdie Kinder über die Regeln und dieDisziplin, die dieser Sport erfor-dert, ein gesundes Selbstbewusst-sein aufbauen, darüber Anerken-nung gewinnen und Spaß am Ler-nen bekommen.“www.ksta.de/wirhelfen

„Rukeli“-Großneffe Manuel Trollmann und Museums-Kurator Kai Hilger mit dem Gürtel sowie Elma (hinten, von links), Dalibor und Nedibavon der Roma-Schule Amaro Kher in Trägerschaft des Rom e.V. vor den Spinden berühmter Boxer. BILD: CHRISTOPH HENNES

In der Feierstunde trat auch der Schauspieler Andreas Kunz auf. Er rezitierte eindrucksvoll den Bericht über den Meisterkampf Trollmanns. Drei Kinder aus Amaro Kher waren ebenfalls anwesend und berichteten ihren Klassenkameradinnen und -kameraden danach stolz von der Ehrung Rukelis.

Der Rom e. V. appellierte zum Schluss an die Museumsleitung, an einen weiteren erfolgreichen Sinti-Boxer aus der Olympia-Mannschaft von 1936 zu erinnern: Jakob Bamberger, der von den Nazis in Dachau Menschenversuchen unterworfen wor-den war. Der Verein stellte dafür die Übergabe der Original-Boxhandschuhe von Jakob Bamberger, die vor kurzem bei Verwandten aufgefunden worden wa-ren, in Aussicht.

Kurt Holl

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Box-Kurs für Roma-Jugendliche im Rom e. V.

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Horst Brinkmeier beim Training mit den Roma-Jugendlichen

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Seit Ende Juni findet in der Turnhalle des Rom e. V. ein Boxkurs für Roma-Jugendliche statt, die der fünf-malige Deutsche Meister im Weltergewicht Horst Brinkmeier trainiert. Der Kurs wurde zur Ehrung Jakob Bambergers und Rukeli Trollmanns eingerich-tet. Ermöglicht wird dieses Projekt durch die großzügi-ge Unterstützung von „Wir helfen“. Der Boxkurs ist Teil unserer diesjährigen Veranstaltungsreihe „Wir boxen uns durch! Vorbilder – Champions – Idole“.

Amaro Kher

Ein Kinderbuch über den Sinto-Boxer „Rukeli“ Trollmann

Im Rahmen unseres Projekts „Wir boxen uns durch! Vorbilder – Champions – Idole“ stellten Lukas Rue-genberg und Georg Wieghaus ihr Kinder-Bilderbuch „Rukeli – Die Geschichte des Boxers Johann Troll-mann“ den Kindern von Amaro Kher und den Kinder der Grundschule Overbeckstraße vor. Ivana Illic, die Schulleiterin von Amaro Kher moderierte die Veran-staltung. Dazu hatte Christoph Schulenkorff, Lehrer

der Amaro-Kher-Kinder, die Zeichnungen des Illust-rators Lukas Ruegenberg digitalisiert und an die Wand geworfen, während der Autor Georg Wieghaus die Geschichte erzählte. Besonders interessierte das junge Publikum eine originale Filmszene von Johann „Ru-keli“ Trollmann, die ihn bei einem Boxkampf Anfang der 30er Jahre zeigt. Anschließend beantworteten die beiden Buchmacher die vielen Fragen der Kinder.

Illustrator Lukas Ruegenberg, Autor Geaorg Wieghaus, Schulleiterin von Amaro Kher Ivana Ilic (v.l.n.r.)

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Christoph Schulenkorff, Leher von Amaro Kher

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Kinder der Grundschule Overbeckstraße

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Schulkinder von Amaro Kher

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Amaro Kher

Projekttage mit dem Erich-Kästner-Gymnasiumsvom 9. bis 11. Juli

Unter dem Motto „Was mich bewegt“ haben die Kin-der von Amaro Kher gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern der Klassen 8-11 des Erich-Kästner-Gymna-siums (EKG) im Rom e. V. das Gelände verschönert, gebastelt, gespielt, getafelt. Am zweiten Tag präsen-tierten die Jugendlichen des EGK ihre Eindrücke von Amaro Kher, die sie in Tagebuchform zum Thema „Was uns bewegt“ festgehalten hatten. Dann informierten Lehrer und Kinder von Amaro Kher ihre neuen Freun-de über das Jahresprojekt des Rom e. V. „Wir boxen uns durch! Vorbilder - Champions – Idole“. Wir zeigten den Film „Gibsy – Die Geschichte des Boxers Johann Rukeli Trollmann“ von Eike Besuden über den von den Nazis ermordeten Sinto, der 1933 noch deutscher Meister im Halbschwergewicht geworden war. Und wir informier-ten über die aktuelle Lebenssituation der Minderheit in Deutschland. Am letzten Tag zeigten wir unsere aktuelle Ausstellung „International erfolgreiche Sinti- und Roma-Sportler“.

Anfang der darauffolgenden Woche erreicht uns ein Brief der Projektleiterin des EKG an Christoph Schu-lenkorff, Lehrer in Amaro Kher, der zeigt, dass die Projekttage für beide Schulen ein voller Erfolg waren. „ ... Es gab viele gute Gespräche mit Gästen. Und der Schlüssel waren immer die Mädchen, die dabei standen und von ihren Erlebnissen mit den Kindern von Ama-ro Kehr berichtet haben. Mich persönlich hat das sehr bewegt und begeistert. Einige der Mädchen haben schon gesagt, dass sie in irgendeiner Form „weitermachen“ möchten ... Ich bin mindestens genauso überwältigt von eurer Arbeit und von Euch! Ich finde es toll, wie Ihr den Kindern versucht, ein Stück verlorengegangener Kindheit zu schenken. Ich bin tief beeindruckt von Dir und Deiner Entschlossenheit ... Ich würde mich gern in Euer Projekt mit einbringen ... Ich würde mich freuen,

wenn wir uns weitere Projekte überlegen. Dafür möchte ich Euch gern noch weiter kennenlernen.“ Viele liebe Grüße,Claire

Schülerinnen und Schüler des EKG mit den Kindern von Amaro Kher im Garten des Rom e. V.

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„Der Elefant, der Elefant, der ist uns allen wohl bekannt.“ – Ein Tag im Zoo.

„Guck mal, die Zähne vom Krokodil – sooo scharf.“ „Elefanten sind echt so groß?“ „Boah, der Po vom Nilpferd ist aber dick!“ Mit diesen Worten, strah-lenden Augen und offenen Mündern liefen die Kindergartenkinder von Amaro Kher an einem sonnigen Maitag durch den Kölner Zoo und kamen aus dem Staunen kaum heraus. In Natur sehen die Tiere, die unsere Kinder sonst nur aus Stoff oder von Bilderbüchern kannten, eben doch ganz anders aus. Von Gehege zu Gehege rannten die Mädchen und Jungs und wussten nicht, wo sie lieber stehen bleiben wollten.

Während einer Stärkungspause hielt es sie nur kurz auf den Bänken. Den Höhepunkt der Begeisterung erreichte dann die Fütterung der Affen. Doch auch das Krokodil wusste zu überzeugen. So mancher hätte am liebsten einen Elefanten oder einen Pinguin mit in den Kindergarten genommen. Oskar war sogar bereit, seinen Gruppenraum für ein Elefantenbaby leer zu räumen. Hungrig und erschöpft, aber überglücklich kamen Kinder und Mitarbeiter wieder in Amaro Kher an.

Einig waren sich alle: der Ausflug in den Zoo muss un-bedingt wiederholt werden. Paul brachte das Erlebte folgendermaßen auf den Punkt: „Noch einmal schla-fen und dann noch mal, ok?“

„Alle meine Entchen ...“ – Ein Tag im Tierpark Lindenthal

Unser nächster Ausflug führte uns dann in den Tierpark Lindenthal. Allein der Weg mit der Bahn dort-hin war für die Kinder schon ein kleines Abenteuer, das sie erfolgreich meisterten. Auch wenn es im Tierpark weder Elefanten noch Krokodile zu sehen gab, haben sich die Kleinen von Amaro Kher vor Begeisterung fast überschlagen. Besonders faszinie-rend waren die Tiere,die sie füttern und sogar strei-cheln konnten.

Für Empörung jedoch sorgten die Enten, die sich einfach nicht fangen ließen, sondern schnell davon flogen. Als kleine „Mutprobe“ stellte sich dann noch die Begegnung mit den Eseln heraus. So manche und mancher, die und der zuvor noch „keine Angst“ riefen, ließ sich doch von den Zähnen der Esel einschüchtern. So kam es, dass nicht die großen Elefanten-Kinder (die älteren Kindergartenkinder), sondern unsre kleinen Bären-Kinder (die zwei- bis vierjährigen) den Eseln die mit vegetarischen Leckereien gefüllten Hände hin-streckten.

Und so endete auch dieser Tag mit der schon bekann-ten Aufforderung: „Noch einmal schlafen und dann noch mal, ok?“

Judith HauserKindergärtnerin von Amaro Kher (Unser Haus)

Kinder von Amaro Kher im Tierpark Lindenthal

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Amaro Kher

Von Elefanten, Enten und Eseln

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Amaro Kher,Phoenix e. V. und Dersim Gemeinde e. V. feiern gemeinsam

Im Rahmen der Qualifizierungsreihe für Migranten-Organisationen des Paritätischen Gesamtverbandes veranstaltete der Rom e. V. gemeinsam mit der Dersim Gemeinde e. V. und Phoenix Köln e. V. ein Fest zum gegenseitigen Kennenlernen. Das Motto hieß: Musi-kalisch Kultureller Dialog, kurz MuKuDi. Das Fest fand am 27. Mai im roten Saal des Rom e. V. statt.

Die Kulturen und ihre schönsten Ausprägungen, wie Musik, Tanz und kulinarische Köstlichkeiten schafften schnell eine ausgelassenen Atmosphäre und schlu-gen Bücken in alle Richtungen. Die Vertiefung der Beziehungen untereinander und das Entdecken von Gemeinsamkeiten waren ja auch Sinn und Zweck der Veranstaltung.

Besucherinnen und Besucher waren begeistert von den Darbietungen. Und die Roma-Kinder von Amaro Kher waren besonders überrascht von den Dersim-Tänzen, die viele Überschneidungen in ihrer eige-nen Tanz-Kultur finden. Auch die ruhigen Töne der russischen Sänger vom Phoenix-Verein berührten sie nachdrücklich. Als Romano Trajo, die Band des Rom e. V. unter der Leitung von Beata Burakowska, aufspielte, waren sie natürlich ganz in ihrem Element und rissen das Publikum mit, bis alle gemeinsam tanzten.

Danach wurde das große Buffett im Speisesaal des Rom e. V. eröffnet, reichhaltig bestückt mit allerlei Spezialitäten aus den drei Kulturkreisen. Diese Ver-anstaltung, so sind sich die drei Vereine einig, sollte unbedingt wiederholt werden..

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Kinder von Amaro Kher verfolgen gespannt die Darbietungen von der Dersim Gemeinde und von Phoenix e. V.

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Tanzvorführung der Dersim Gemeinde.

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Das reichhaltige Buffet mit Spezialitäten aus drei Kulturen fand kam sehr gut an.

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Alphabetisierungs-kurs für Roma-Frauen im Rom e. V.

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Mütter unserer Amaro-Kher-Kinder und andere Romafrauen, die sich für eine Arbeitsstelle fit ma-chen wollen, nehmen seit Jahren das Angebot eines Deutsch Grundkurses im Rom e. V. wahr. Zur Zeit sind es 10 Frauen. Die Lehrerin Manuela beschreibt die Zusammenarbeit mit den Frauen so:

„Noch nie einen Stift in der Hand gehabt ?Ein paar Buchstaben aufgeschnappt ?Ein paar Monate die Schule besucht ?Ein paar Worte Deutsch sprechen ?Super Deutsch sprechen, aber nicht schreiben kön-nen?

Allein unterwegs sein, kein Mann dabei?Eine neue Erfahrung...

Nun sind wir alle zusammen, zweimal die Woche zwei Stunden – und wenn wir möchten noch eine Stunde drangehängt – am Computer. Manchen fällt es leicht, andere brauchen länger. Am Ende bleibt ein Schnellhefter voll mit Buchstaben und Sätzen, und die eine oder andere, die ihren Weg alleine findet.“

Manuela Ott (l.) und einige der Roma-Frauen im Deutschkurs

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Rechtsanwältin Nizaqete Bislimi wurde am 11.01.1979 in Lipjan/ Kosovo geboren. Sie ist in Hallaqi i Vogel als Tochter eines Roma und Hashkali Ehepaares aufge-wachsen. Im September 1993 reiste sie über „Wälder und Felder“ mit ihrer Familie in die BRD ein und stellte einen Asylantrag. Nach der Zuweisung nach Oberhausen besuchte sie zunächst eine Internationale Vorbereitungsklasse (IVK) in einer Hauptschule. Im Januar 1994 wechselte sie sodann zu einer IVK in einer Gesamtschule. Ab September 1994 besuchte sie den Regelunterricht der zehnten Klasse und erlang die Fachoberschulreife mit der Berechtigung zum Besuch der gymnasialen Oberstufe. Im Mai 1998 bestand sie das Abitur.

Aufenthaltsrechtlich war sie lediglich im Besitze einer sogenannten Duldung (Aussetzung der Abschiebung), nachdem der Asylantrag negativ beschieden wurde und ein Asylfolgeantrag gestellt werden musste. Im WS 1998/1999 begann sie das Studium der Rechtswissen-schaften an der Ruhr-Universität-Bochum. Zu dieser Zeit waren Inhaber von Duldungen vom Bezug von BAfÖG ausgeschlossen, so dass sie das Studium und ihren Lebensunterhalt durch diverse Beschäftigungen finanzieren musste.

Immer noch nur im Besitze einer Duldung legte sie beim OLG Düsseldorf im November 2005 das 1. Juris-tische Staatsexamen ab. Im April 2006 begann sie das Referendariat beim OLG Hamm. Im Juni 2006 erhielt sie erstmalig eine Aufenthaltserlaubnis aus humani-tären Gründen. Seit November 2006 ist sie im Besitze einer Niederlassungserlaubnis. Im August 2009 legte sie das 2. Juristische Staatsexamen ab und begann im September 2009 ihre Tätigkeit als Rechtsanwältin in einer Kanzlei in Essen, in der sie bereits seit 2001 als juristische Hilfskraft beschäftigt war.

Der Schwerpunkt ihrer anwaltlichen Tätigkeit liegt im Ausländerrecht. Aber auch das Strafrecht zählt zu ihren Beschäftigungsfeldern.

Nizaqete Bislimi

Vorgestellt:

Nizaqete Bislimi,Rechtsanwältin in Essen

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So sind sie halt ...

„Die Wohnwagen standen am Eingang oder, wenn man so will, am Ausgang des Dorfes und meist bei den Haufen von Abfällen oder Schutt, Wort, das an den Fingern und auf den Laken kleben bleibt, Endzustand, Zeugnis für ein großes Glück oder kleinen Tod, Kehricht vom Saubermachen, Durcheinander von leeren, mit Büchsenöffnern geöffneten Dosen, alten Matratzen, zerbrochenen Tellern, wo die barfüßigen Kinder des unbefe-stigten Lagers die Müllkippe durchwühlen. Die Frauen, in ihren losen Kleidern aus falschem Taft, gingen wahrsagen und die Männer flochten Körbe: Kleinigkeit, faulenzende Wendigkeit der braunen, maskulinen Hände. Die Hühnerdiebe stießen sich nie an der Zone der Bauern, Wickelkinder und Weiber fielen in die Dörfer ein, bettelnd, stehlend, lügend, behendes Repertoire aller Verderbten, pa-radiesische Hölle, welche die Gemeinden ankom-men oder abfahren sahen.“

„Wohnwagen, Müll, Wahrsagen und Korbflechten, Betteln, Stehlen, Lügen. Die fragmentarischen Eindrücke fügen sich zu einem Bild, das sich in das kulturelle Gedächtnis tief eingeschrieben hat. Wir ‚se-

hen‘ ein Zigeunerlager.

Doch das ist ein Irrtum.

Klaus Michael Bogdal: „Jean Genet (1910-1986) be-schreibt hier in „Ein verliebter Gefangener“ (1986) ein palästinensisches Flüchtlingslager um 1970.“

Auf Initiative der „Kölnische Gesellschaft für Christ-lich-jüdische Zusammenarbeit“ fand am 20. Juni im roten Saal des Rom e. V. ein multimedialer Abend zum Thema „Faszination und Verachtung“ statt, der die Abgründe des europäischen Zigeunerbildes beleuch-tete: Diese Projektionen grenzen die Minderheit auf doppelte Weise aus. Der Faszination durch angeblich außerordentliche Schönheit, Leidenschaft, Musikgenie und Überlebenskunst entspricht die Verachtung der angeblichen Raffinesse, magischer Praktiken, Krimi-nalität, Schmutz und Aggressivität usw.

Klaus Michael Bogdal hat Lese-Passagen aus seinem Werk ergänzt durch Ausschnitte aus populären Filmen der Vorkriegszeit und sie zu einem beängstigenden Panorama des Antiziganismus kombiniert. Er betont, dass all diese Elemente des Zigeunerbildes in unse-rem kulturellen Gedächtnis eingebrannt sind durch Erzähltraditionen, Bilder, Filme, Lieder, Gedichte und Geschichten auch aus der Weltliteratur.

Er erklärte, dass es naiv sei, zu glauben, man käme gegen solche Prägungen durch einfache Aufklärung oder positive Inszenierungen – wie es die neuerliche Zigeuner-Romantik vorgibt. Denn auch das sogenann-te Positiv-Bild ist ja nur die andere Seite der Ausgren-zung. Die gutbesuchte Veranstaltung, es waren viele Mitglieder der Christlich-jüdischen Gesellschaft zum ersten Mal im Rom e.V., endete mit einer längeren Diskussion und der Beantwortung vieler Publikums-fragen. Ein Vorstandsmitglied der Gesellschaft erin-nerte an die Aktualität des Thema angesichts der Hetze gegen Roma und Juden in Ungarn. Klaus Michael Bogdal, Europa erfindet die Zigeu-ner.Eine Geschichte von Faszination und Verach-tung München 2012, 592 Seiten, 24,90 €

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Prof. Klaus Michael Bogdal

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Prof. Klaus Michael Bogdal über die beiden Seiten des Antiziganismus

Ein multimedialer Abend im Rom e. V.

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„Die im Dunklen sieht man nicht“

KALZ-Studie zur Lage der Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien in Köln

Das Kölner Arbeitslosenzentrum (KALZ) hat in Zu-sammenarbeit mit der Fachhochschule Düsseldorf eine Studie vorgelegt, die am Beispiel Kölns die Le-benssituation von Menschen untersucht, die seit 2007 aus den neuen EU Ländern Bulgarien und Rumänien zu uns kommen.

In den Presseberichten über diese und andere Studien über diese Neubürger wird vor allem von Armuts-zuwanderung gesprochen. In der Regel wird darin mehr oder weniger offen daraufhingewiesen, dass es sich auch um viele Roma handelt. Die Leser haben natürlich die populistische Hetze des Innenministers Friedrich im Ohr, wonach diese Leute die EU-Frei-zügigkeit „ausnutzen“, um in unsere Sozialsysteme einzuwandern. Und die es sich, wie angeblich unsere Hartz IV-Bezieher, in der sozialen Hängematte gemüt-lich machen wollen.

Dass diese Menschen nach dem Willen unserer Regie-rung und der anderen EU-Staaten mit dem EU-Beitritt ihres Landes die vollen und selben Bürgerechte haben wie jeder Deutsche, wird in den Medien meist unter-schlagen. Sie ziehen also mit demselben Recht von Bukarest nach Köln um wie ein Magdeburger oder Stuttgarter. Und sie haben hier bei uns auch dassel-be Recht auf soziale Unterstützung, Wohnraum und Krankenversicherung wie jede und jeder andere und zwar vollumfänglich – spätestens ab 1.1.2014 – durch die dann allen zustehende Arbeitserlaubnis.

Bis dahin ist die Aufnahme von Arbeit für sie illegal, und die Leute müssen sich, obwohl sie sich völlig legal hier aufhalten, mit Betteln, Prostitution, illegalen Jobs oder als Scheinselbständige durchschlagen, ausgelie-fert Sklavenhändlern und Wuchermieten in Abbruch-häusern.

Die Studie des KALZ deckt nun auf, dass Politiker und Behörden der BRD diese Zuwanderung bewusst in Kauf nahmen. Denn sie unterließen es meist, gegen die absehbaren Folgen Vorbereitungen zu treffen. So-mit sind die Obdachlosenhilfen der Wohlfahrtsverbän-de und anderer Initiativen (in Köln 28 Stellen) mit den Überlebensängsten und –bedürfnissen dieser Men-schen konfrontiert und hoffnungslos überfordert.

Deren Mitarbeitende haben weder die Mittel, das Personal noch die Kraft hier wirksam zu helfen. Die Folge: Dauerkonflikte mit Bittstellern, Konkurrenz mit der angestammten Klientel um Schlafplätze, Essen und Kleidung, was mittlerweile auch zu Gewältigkei-ten führt.

Dennoch zeigt die Studie auch, dass die neuen Bür-ger keineswegs nur abgerissene Hungerleider sind, sondern oft über eine Ausbildung verfügen, integrati-onswillig sind (sie wollen Hilfe bei Arbeits- und Woh-nungssuche) und dass sie sogar zu ehrenamtlichem Engagement bereit sind.

Der Rom e. V kann überdies bestätigen, dass bulgari-sche Roma-Eltern und ihre Kinder, die sie in Amaro Kher anmelden, außerordentlich bildungsorientiert und zuverlässig sind. „Die im Dunkeln sieht man nicht“. Die aufschlussreiche Studie leuchtet jedoch den brutalen Alltag dieser Menschen aus. Wir verdanken die Studie der Initiative von Dr. Thomas Münch (Uni-versität Düsseldorf) und Bernd Mombauer (KALZ-Geschäftsführer, Köln). Stadt und Land müssen sich schleunigst diesen unhaltbaren Zuständen stellen und vor allem auch für die Kinder der neuen Bürger um-gehend Schulplätze zur Verfügung stellen, damit sie nicht wie zur Zeit oft monatelang auf den Schulbesuch warten müssen.

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Karin Waringo, eine profunde Kennerin der Situati-on der Roma in Serbien, belegt hier in einer Studie für „Pro Asyl“, dass die Roma in Serbien in fast allen gesellschaftlichen Bereichen diskriminiert und oft regelrecht ausgegrenzt werden.

Der Zugang zu Bildung, Wohnraum, Sozialleistungen, Gesundheitsversorgung, ja selbst zu Personaldoku-menten wird den Roma entweder ganz verweigert oder durch zahlreiche Schikanen faktisch unmög-lich gemacht. Das aber sind massive Verstöße gegen die UN-Menscherechtskonvention. Dazu kommen Einschränkungen der Freizügigkeit und mangelnder Schutz vor rassistischen Übergriffen.

Die Studie ist deswegen so wertvoll, weil Bundestag und Bundesrat soeben ein Gesetz vorlegten, wonach ein Asylanspruch nicht nur bei politischer Verfolgung durch Staatsorgane besteht, sondern auch dann, wenn die Asylbewerber mehrere Menschenrechtsverletzun-gen, wie die oben genannten, nachweisen können. – Hoppla! Ist der heilige Geist über unsere Politiker gekommen? Nein! Es war mal wieder der Druck aus Brüssel. Die Qualifikationsrichtlinie Art. 9 muss bis Dezember 2013 in nationales Recht übernommen werden.

Innenminister Friedrich (der Wüterich und Oberhet-zer gegen asylsuchende Roma), wird wohl hinhalten-den Widerstand geleistet haben. Vermutlich tröstet er sich damit, dass die Ausführungsbestimmungen des Gesetzes so gestaltet werden, dass es den Asylbewer-bern beinahe unmöglich wird, eine kumulierte Verlet-zung ihrer Menschenrechte individuell nachzuweisen. Insbesondere hofft er darauf, dass deutsche Verwal-tungsgerichte verlangen könnten, dass zunächst ser-bische Gerichte solche Menschenrechtsverletzungen

feststellen müssten. Wo nicht, bzw. nach Einspruch, würde dann erstmal der europäische Gerichtshof ein-geschaltet werden müssen.

Aber das Gesetz ist dennoch ein Durchbruch, und es wird die Aufgabe der Solidaritätsbewegung und ihrer Anwälte sein, diese dann bei uns aufgerichteten Hür-den erneut einzureißen.

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Jetzt also doch –

Asylrecht für serbische Roma?

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Als Nicolas Sarkozy Innenminister war, zeigte er sich umbarmherzig zu den Roma in Frankreich. Als Präsident zeigte er sich noch strenger. 2010, nach Ausschreitungen in einem Problemviertel in Grenoble und in Saint-Aignan, wo Sinti und Roma gegen die Gendarmerie kämpften, die bei einer Kontrolle einen jungen Mann erschossen hatte, ließ Sarkozy 300 „ille-gale“ Lager schließen und Hunderte von Roma nach Rumänien zurückschicken. Im Zuge des berühmt-be-rüchtigen „Discours de Grenoble“ hatte der Präsident Straftäter, Ausländer und Roma in den selben Topf geworfen, alles Kriminelle.

Wer eine Änderung der Verfolgung nach dem Sieg der Sozialisten 2012 erwartete, wurde schnell in die Realität zurückversetzt. Der sozialistische Innenminister, Manuel Valls, verfolgte haargenau dieselbe Politik wie seine Vorgänger. Obwohl die EU mehrmals die Haltung der französischen Regierung gegenüber Minderheiten und sozialen Randgruppen kritisierte, ließ der neue Minister ein Roma-Lager räumen. Demonstrativ ließ er dieses Lager ausgerech-

net in der Stadt Evry räumen, wo er noch kurz zuvor Bürgermeister war. Diese Maßnahme sei notwendig wegen der untragbaren sanitären Zustände, verkünde-te er.

Seit fast einem Jahr sind die Sozialisten im Amt. Für die Roma hat sich nichts geändert: Verfolgung, Angst, Rückführung. Im vergangenen Jahr sind in Frankreich fast 12.000 Roma aus „illegalen“ Lagern vertrieben worden. 117 Lager seien geräumt worden, teilte die Europäische Vereinigung für die Verteidigung der Menschenrechte (AEDH) mit.

Vor wenigen Wochen verteidigte Manuel Valls, sel-ber Immigrant, die Politik der harten Hand. Grund: die Lager seien eine Gefährdung der Gesundheit. Vielleicht, weil der Minister doch noch ein bisschen sozialistisch denkt, weil diese Lager oft am Rand von armen Vierteln „illegal“ errichtet sind und somit das Leben von Menschen erschweren, die ohnehin von der Krise, Arbeitslosigkeit und Armut schwer betrof-fen sind. Er hat nicht Unrecht: neuerdings räumten

Rechte an die Macht,Linke an die Macht, und immer die gleichen Opfer

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Französischer Schulterschluss gegen die Roma

Der Sozialist Die Rechtsradikale – Innenminister Manuel Valls, Sozialistische Partei Marine Le Pen, Vorsitzende des Front National

„Die Bewohner der Roma-Camps sind nicht bereit sich zu integrieren Die Bewohner der Lager sind alle krimi-nell. Ich werde die Lager weiter niederreißen lassen.“Manuel Valls, 8. Februar 2013

„Wenn ich an der Regierung bin, werde ich alle Lager niederreißen lassen“

Marine Le Pen, 8. Juli 2013

maghrebinische Einwohner eines Armenviertels in Marseille eigenhändig ein Roma-Lager und setz-ten es in Brand. Daraufhin verlangte die Stadtteil-Bürgermeisterin Samia Ghali, auch Sozialistin, die Hilfe der Armee, um die Ruhe wiederherzustellen.

Wie soll es mit den geschätzten 20.000 Illegalen weiter gehen?

Zur Eindämmung der Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien wurde die Rückkehrhilfe in Höhe von 300 € gestrichen. Integrationsdörfer sind hier und da geschaffen worden, aber das Experiment scheint nicht zu greifen. So stehen die Präfekten vor einem Dilemma. Einerseits müssen sie die Illegalen jagen, auf der anderen Seite müssen sie eine korrekte Bleibe organisieren, die es nicht gibt – oder viel zu selten.

Neulich kündigte Manuel Valls allerdings etwas Positives an. Er will dafür sorgen, dass die Roma-Kinder in die Schulen kommen. Er will auch diejenigen unterstützen, die bereit sind, sich zu integrieren und ihnen leichter Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen geben.

Michel Payen

PS: Am 8. Juli 2013 räumte die Polizei erneut zwei Roma-Camps in Essone und in Val d`Oise. 2013 wurden in Frankreich bereits 8.400 Roma aus ihren Camps vertrieben.

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an dem gewaltigen Wall des Kaisers Theodosius II. niedergelassen hat. Als Musiker und Magier, Pferdehändler und Bärenführer verdienten die Roma ihr Geld.“ (Der Spiegel 2008)

Die Bewohner werden von Erdogans Polizei drangsa-liert und von der Stadtverwaltung unter Druck gesetzt: wer nicht freiwillig auszieht und eine lächerliche Entschädigung akzeptiert bzw. in einen Plattenbau 40 km außerhalb umzieht, dem wird das Haus unter dem Hintern weggebaggert.

Zerstörung von Sulukule

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Sulukule vor der Zerstörung.

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Bagger reißt Haus nieder in Sulukule.

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Die Bewohner versuchen Widerstand zu leisten. „40 Tage und 40 Nächte lang haben sie musiziert und demonstriert. „Wir haben nicht aus Freude gespielt, sondern aus Wut.“ sagte Neze Ozan, die Organisatorin der Proteste dem Spiegel. Trotz Warnungen der UNESCO, gegen Beschlüsse türkischer Gerichte, ja trotz Intervention der EU Brüssel zerstören Erdogans Leute das älteste Roma-Viertel der Welt.

„Bis in die neunziger Jahre fiel der Istanbuler Geldadel nach Mitternacht in Sulukules Kneipen ein . Die Kunden staunten und aßen und tranken und zahl-

Bewohner von Sulukule musizieren als Zeichen ihres Protests.

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Im Jahre 2005 lässt Erdogan das sogenannte Stadterneuerungsgesetz 5366 verabschieden, um die „Sanierung“, dh. den Abriss historischer Stadtteile zu erleichtern. Das Gesetz erlaubt die Zwangsenteignung der Menschen, die sich dem Abriss widersetzen.

Ziel ist die Schaffung von Bauflächen in der Innenstadt. „Die Stadtverwaltung will Platz schaffen für teure Apartments und Boutiquen.“(Der Spiegel 21.1. 2008). Chef des maßgeblichen Baukonsortiums, das sich riesige Gewinne verspricht, ist Erdogans Schwiegersohn. Eines der ersten Viertel, das den Baggern zum Opfern fällt, ist das uralte Roma-Viertel Sulukule, neben anderen Vierteln, in denen ebenfalls ärmere Instanbuler wohnen, wie im Stadteil Tarlabasi.

Schon vorher waren Teile des Viertels dem Bau ei-ner Schnellstrasse geopfert worden. Die Roma leben und arbeiten dort seit über 1000 Jahren, als sie von Kleinasien kommmend ihre erste Siedlung auf euro-päischen Boden in Konstantinopel errichteten – pro-tegiert von den byzantinischen Kaisern, also lange vor der Eroberung durch die Türken. „Sulukule ist älter als Istanbul ... Byzantinische Schreiber berichteten erstmals von dem Volk, das sich in schwarzen Zelten

Die Istanbuler Roma und der Gezi-Park 

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Solidarischer Protest verschiedener Gruppen.

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Protestabend der Roma 2007 – damals noch optimistisch

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ten.“ (Der Spiegel). Die Besucher des Viertels wa-ren als Gäste dort und genossen die authentische Atmosphäre. Mittlerweile haben wohl einige dieser Leute schon die Luxusappartements erworben, die auf den plattgemachten Viertel errichtet wurden.

Und jetzt der Gezi-Park. Ein Erholungsort der Istanbuler Mittelschicht, von Angestellten, Beamten und Studierenden. Jetzt plötzlich erkennen diese, sie hätten früher wach werden sollen, als die Schwächsten Opfer der skrupellosen Politik wurden. Aber damals vertrauten sie dem „Erneuerer“ Erdogan, der sie ja von den korrupten kemalistischen Militärs und deren Parteigänger befreite. Jetzt müssen sie erkennen, dass die Stadterneuerung auch auf Kosten des Bürgertums geht. Es ist jetzt zwar nicht die Bourgeoisie und der Geldadel, der jüngst demonstrierte, wohl aber viele von deren Kindern mit tausenden anderer junger Leute, die keine Lust mehr haben, die autoritäre Politik Erdogans und seiner Profithaie hinzunehmen. Im Gezi-Park treffen sie auch Istanbuler Roma, die schon 2007 aus Sulukule vertrieben worden waren.

Es hat sich viel bewegt. Langsam entsteht in den Kämpfen um ihre Stadt ein breites Solidatitätsbündnis vieler vorher verfeindeter oder sich meidender Gruppen: Türken und Kurden, Hooligans von Fenerbace und Besiktas, Studenten und Arbeiter, muslimischen Frauen und Säkularistinnen und mitten unter ihnen Roma aus Sulukule. „Mein Haus stand in Sulukule“ heisst der Dokumentarfilm ist der ös-terreichischen Filmmacherin Astrid Heubrandtner, die damit dem Viertel ein Denkmal setzte. (Siehe den Trailer auf youtube: www.youtube.com/watch?v=SyV_emHbbcs). Er kann im Rom e. V. ausgeliehen oder besser bei der Regisseurin bestellt werden: www.ast-ridheubrandtner.at

Kurt Holl

(Die Fotos stammen aus dem Film „Mein Haus stand in Sulukule“.)

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Renten für SS-Witwen – kein Problem!Witwen von Auschwitz-Überlebenden gehen leer aus!

Als unverantwortlich gegenüber den Überlebenden des NS-Vernichtungslagers Auschwitz kritisierte heute der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, das Vorgehen der bayerischen Landesfinanzbehörden bei der Verweigerung der Wit-wenrente für die 80-jährige Eva S. aus Fürth. Sie hatte als Angehörige der Minderheit selbst das KZ Ausch-witz überlebt, ebenso wie ihr im April 2011 verstorbe-ner Ehemann Frank S., der kurz vor der Befreiung von den SS-Ärzten im KZ zusätzlich noch zwangssterili-siert wurde. Rose appellierte in seinem heutigen Sch-reiben an den Bayerischen Finanzminister, Dr. Markus Söder, die von seinen Behörden betriebene Aberken-nung von verfolgungsbedingten Gesundheitsschäden bei den Auschwitz-Überlebenden nicht zuzulassen und den wenigen hochbetagten Überlebenden keine jahrelangen Verfahren und Prozesse aufzuzwingen. Das sei 68 Jahre nach dem Holocaust eine unakzepta-ble Behandlung, die andere Bundesländer inzwischen mit Vergleichsabschlüssen geändert hätten, so Rose. Bei Witwen von Soldaten und SS-Angehörigen sei es nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) unüblich, dass die Rentenbehörden über Jahre alles daransetz-ten, ärztlichen Berichten und Attesten – sogar amts-ärztlichen Gutachten – grundsätzlich mit eigenen medizinischen „Expertisen“ zu widersprechen, um damit die Anerkennung zu verhindern. Notfalls müsse das Gesetz für die NS-Verfolgten geändert werden, um die unwürdige Praxis abzustellen, so Rose. Frank S. war seit 1943, ab seinem 11. Lebensjahr, in KZ-Haft in Auschwitz-Birkenau und wurde anschlie-

ßend noch in das KZ Ravensbrück und Sachsenhausen verschleppt. Im KZ Ravensbrück nahm die SS gewalt-sam die Operation zur Zwangsterilisation vor. Er war seit der Befreiung schwer krank (im KZ hatte er Typhus) und litt von Beginn an unter massiven Herzbeschwer-den, die aber später im Rentenbescheid als „leichte Herzmuskelschädigung“ abqualifiziert wurden. Frank S. hatte niemals seine Lebensfreude zurückgewonnen und litt zusätzlich mit seiner Ehefrau, die ein ähnlich schlimmes Schicksal hatte, zeitlebens zusätzlich unter den Folgen des Verlustes seiner Zeugungsfähigkeit. Obwohl im Verlaufe der Jahrzehnte schwere weitere Leiden hinzukamen, einschließlich koronarer Herzer-krankungen mit Operationen, Nierenleiden, Depressi-onen und vieles andere, bestritten ärztliche Gutachter von Behörden und Gerichten den Zusammenhang mit der Verfolgung und bagatellisierten die Krankheiten. In skandalöser Weise wollen sie noch heute für die offen-kundigen Verfolgungsschäden den Betroffenen selbst die Verantwortung zuschieben - wegen „häufigen Rauchens“ und „familiärer Disposition“. „Das ist schon eiskalt und zynisch“, so Rose in seinem Schreiben an Finanzminister Söder. Die Bayerische Landesregierung habe die Möglichkeit und die Verantwortung gegen-über den wenigen noch lebenden Auschwitz-Opfern, hier jetzt eine unbürokratische positive Entscheidung zu treffen, appellierte Rose. Das Verfahren (22 O 25490/11) ist zur mündlichen Verhandlung bei dem Landgericht München I (Justiz-palast am Karlsplatz) für den 18. Juli 2013, um 8.55 Uhr, Sitzungssaal 137/I terminiert. Arnold RoßbergJur. [email protected]

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Auschwitz – na und?

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„Elses und andere Geschichten“

Aufführung des Theater TKO/Choreodrama-Roma-Theater

Else ist heute über neunzig Jahre alt und lebt in Schott-land. Eine Erzählerin, dargestellt von Heidi Roldan, am Bühnenrand gibt Auszüge aus einen Interview wieder, in dem Else über ihr Leben und ihre Kindheit in der NS-Zeit berichtet. Als 8jähriges Sinto-Mädchen wurde sie zwei Mal ins Konzentrationslager ver-schleppt, ohne Eltern, ohne Familie, ganz allein. Bis ihr Pflegevater sie zurückgeholt hatte. Davon und was diese Erfahrungen in ihrem Leben angerichtet haben, handelt das Stück „Elses und andere Geschichten“. Nada Kokotovic ist eine zutiefst eindrückliche und bewegende Inszenierung gelungen, in dem sie formal ästhetisch und dramaturgisch effektvoll montiert: z. B. Filmaufnahmen der NS-Zigeunerforscherin Eva Justin aus dem Kinderheim von Mulfingen, die Aufnahme des jüdischen Gefangenen Rudolf Breslauer von dem 10jährigen Sinti-Mädchen Settela, das am 19. Mai 1944 aus der Luke eines Viehwaggons schaut, der sie nach Auschwitz-Birkenau deportiert, wo sie ermordet wird. Kokotovic spiegelt diese reale Brutalität unmittelbar in den naiven und unverstellten Kinderaugen der kleinen Else, grandios gespielt von der 9jährige Philomena Brinkmann, dem Star des Abends. Eine Brücke zu aktuellen Diskriminierung und Verfolgung der Roma in Europa schlagen zwei Gedichte von Nedjo Osman, von ihm selbst rezitiert. Nedjo Osman fragt, warum er sich hier und heute „Zigeuner“ (!) nennen lassen muss, auch wenn ihn das zutiefst verletzt. Und er beschreibt die tiefsitzende Angst der Minderheit vor Verfolgung nicht nur aufgrund der aktuellen Hetzjagden in man-chen Ländern Osteuropas, sondern auch wegen der Erinnerungen an den Holocaust der NS-Zeit, die in fast alle Sinti- und Roma-Familien eingebrannt ist.

Weitere Aufführungen am 26., 28., 29. September und am 07., 08. Oktober 2013 im Kunsthaus Rhena-nia, Bayenstr. 28, 50678 Köln

Heidi Roldan, Till Brinkmann, Philomena Brinkmann, Katharina Waldau, v.l.n.r.

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Philomena Brinkmann und Nedjo Osman

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Philomena Brinkmann als Else in „Elses und andere Geschichten“

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Theater-Workshop „Medea“ von Nedjo Osman mit serbischen Jugendlichen

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Rom e. V. & Theater TKO/Choredrama-Roma-Theater

Inszenierung plusTheater-WorkshopGefördert vomMinisterium für Familie, Kinder Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen

Die Interessen haben sich zum richtigen Zeitpunkt getroffen: Der Rom e.V. war auf der Suche nach einem anspruchsvollem und ansprechenden Kulturpro-gramm für junge Roma und Nicht-Roma. Da kam Nedjo Osman genau richtig, der gerne eine Roma-Theater-Kompanie mit Jugendlichen initiieren wollte. Gemeinsam habe wir einen Plan geschmiedet und ein ambitioniertes Projekt ausgearbeitet.

Yul-Brunner-Preisträger Nedjo Osma leitet gemeinsam mit der Regisseurin Nada Kokotovic das Theater TKO/Choreodrama-Roma-Theater in Köln. Im Rahmen unserer Veranstaltungsreihe „Wir boxen uns durch! Vorbilder – Champions – Idole“ erarbeitet das TKO-Theater eine Inszenierung zu dem Schicksal von „Ru-keli“ Trollmann, dem Sinto-Boxer, der 1933 Deutscher Meister im Halbschwergewicht wurde und später im KZ ermordet wurde. Die Premiere wird am 25. Novem-ber im Kunsthaus Rhenania sein.

Parallel findet der Workshop „Einer boxt sich durch!“ mit Jugendlichen Roma und Nicht-Roma ab 16 Jahren statt. Sie werden an die Theaterarbeit herangeführt, können sich ausprobieren und selbst ein Stück erarbeiten. Sie haben auch die Chance sich auszu-tauschen, etwas von ihrer eigen Kultur zu vermitteln und von den anderen zu lernen. Im Zentrum steht der erfolgreiche Sinto-Boxer Rukeli Trollmann.

Die Jugendlichen haben parallel dazu die wunderbare Möglichkeit, die Profis Osman und Kokotovic bei der Erarbeitung ihrer eigenen Uraufführung zu begleiten und mit Ihnen in Diskurs darüber zu treten.

Damit der Workshop auch Anbindung an die Orien-tierungsphase zwischen Schule und Beruf findet, wird auf der Eröffnungsveranstaltung von Migovita/Otto

Benecke-Stiftung auch über Theaterberufe, deren Perspektiven und Ausbildungswege informiert.

Es sind noch Plätze frei. Die Teilnahme ist kostenlos.

Einführungsveranstaltung:Datum: Samstag, 21. September 2013Zeit: 10 - 17 Uhr stattOrt: Rom e. V., Venloer Wall 17, 50670 Köln

Proben: September - Dezember am: Dienstag und Mittwochum: 17-19.30 Uhr

Informationen: Iris Pinkepank, Projektleitung, [email protected], 0152 049 24 665

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In dem großen, blauen Zelt der „Oper am Dom“ konn-te das Publikum am 6. Juli 2013 die Tanzvorführung „Open for Everything“ sehen. Interessant war, dass der Eintritt für Roma-Publikum frei war. Eine gute und humane Idee. Dank an die Organisatoren.

Soweit ich mich informiert habe, hat die argentinische Regisseurin und Choreografin Constanza Macras be-absichtigt, die Reise des Roma-Volkes durch Europa darzustellen; dann auch wie die Roma in Ghettos leben; wie sie sich in vielen europäischen Ländern verkaufen. Seit 2010 hat Macras in Ungarn, Tschechei und Slowakei das Leben, die Tänze und die Musik der Roma erforscht. In ihrer Inszenierung versucht sie die Klischees, die Diskriminierung, die Armut der Roma, auf eine „humorvolle Art und Weise“ zu zeigen. So ihr eigener Ankündigungstext. Das Publikum hat sich gut unterhalten und am Ende den Tänzern, den Schauspielern und Musikern einen großen Applaus gegeben.

Als Theater Macher und Roma-Schauspieler habe ich zunächst gezögert, mich dann aber doch dazu durch-gerungen, meinen Eindruck von dieser Vorführung kundzutun. In diesem Fall befinde ich mich auf der anderen Seite, nicht auf oder hinter der Bühne son-dern in der Rolle des Publikums, sogar des Roma-Publikums. Und die Aufführung erzählt von den Roma. Also über mein Volk, meine Kultur, über mich.

Bestimmt können Sie nachvollziehen, dass es für mich etwas ganz anderes ist, als für einen Nicht-Rom. Soweit man nicht involviert ist, kann man vieles mit Humor nehmen und sich amüsieren. Bestimmt fühlen Sie da ähnlich wie ich. Die Reaktion des Publikums war ausgelassen, aber meine nicht. Selbstverständlich nicht.

Auf eine „humorvolle Art und Weise“, Klischees, Diskriminierung und Armut der Roma, dem Publikum in ganz Europa zu zeigen – ist das ein interessanter oder gar neuer Ansatz? Ich frage mich, warum muss-ten es ausgerechnet die Roma sein? Warum nicht die argentinische, die brasilianische oder irgendeine an-dere Kultur? Jedes Volk hat ähnliche Probleme.

Warum kommt eine Nicht-Romni aus Argentinien auf die Idee durch Theater, Tanz, Film oder Medien, die Roma und deren Probleme auf so billig und exotisch verbrämt Art darzustellen? Das ist deshalb nicht in Ordnung, weil die Roma so ebenfalls diskriminiert werden. Ich frage mich, warum erforscht niemand, wie die Roma die Diskrimination wahrnehmen, wie emp-finden sie den Schmerz, wie weinen sie, wie erleben sie die Angst?

Roma sind keine Experten weder für Kriminalität, noch fürs Reisen und auch nicht für das Leben in Ghettos. All das sind die Angebote der Mehrheitsgesellschaften, all das ist den Roma mit Gewalt aufgenötigt worden. Niemand möchte ständig reisen; niemand möchte ein ganzes Leben lang im Ghetto leben.

„Open for Everything“ hat die Roma-Problematik naiv und verharmlosend gezeigt. Mein einziges Kompliment geht an den modernen Tanz, der eine sehr gute Choreografie hatte, nicht aber an den Roma-Tanz. Ich als Roma kann sagen, dass Roma so nur tanzen, wenn sie keine Lust zum Tanzen haben. Es ist schade, dass Macras sich nicht intensiver dramatur-gisch mit der Verarbeitung des Themas beschäftigt hat und sich m. E. nicht hinreichend fachmännischen Rat gesucht hat.

„Open for Everything von Constanz Macras/Dorkypark“

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„Open for Everything“ in der Kölner Oper am 6.7.2013

Eindrücke von Nedjo Osman

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Die Vorstellung hat die Roma so gezeigt, wie die Welt sie seit langem schon sehen möchte. Aber Roma leben nicht so und mögen es nicht, so zu leben. Anderseits ist die Diskriminierung der Roma in den Ländern, in denen Macras geforscht hat, in der letzten zehn Jahren eskaliert. Dort werden sie ausgegrenzt, vergewaltigt und angezündet. Schade das „Open for Everything“ das nicht auf der Bühne verhandelt hat.

Nedjo OsmanSchauspieler und RegisseurTheater TKO/Choreodrama-Roma-Theater

übersetzt von Ismeta Stojković

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Kindergartenkinder von Amaro Kher bei ihrem Sommerfest im Rom e. V.

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Koulizh Kedez, Jovan Nikolić, v.l.n.r.

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Jovan Nikolic, Schriftsteller, (Ein Buch für die Stadt, 2011), war im März zum „15e Printemps des Poè-tes“ nach Treverien in die Bretagne eingeladen. Hier beschreibt er seine Eindrücke:

Ich warte auf den Zug nach Rennes am Bahnhof Paris-Montparnasse, sehe in panische Gesichter von Passagieren, die mit schwerer Bagage laufen wie im Ameisenhaufen und denke: nur verdammt arme Leute reisen in dieser Welt. Die Reichen fliegen mit dem Flugzeug. Ich fahre für zwei Wochen in die Bretag-ne zu dem literarischen Workshop „Printemps des Poètes“ in Treverien. Die Bretagne liegt im Westen des französischen Kaps. Auf bretonisch bedeutet Bretagne „ Kopf der Welt“. „Keine Sorge“ – sagt meine Frau – „dort kommt Luft von zwei Seiten des Atlantik, unglaublich frische Luft. Dort bekommst du Feiertage für deine Lunge, du wirst neu geboren…“

Am ersten Morgen in Treverien sah ich nur Felder in der Umgebung. Felder ohne Ende, kein einziges Haus. Was für ein „Kopf der Welt“? Ich bin hinter Gottes Rücken. Außerdem komme ich gerade zu der Saison, wenn die Bauern ihren Mist auf die Felder streuen. Von einer Seite kommt der Duft von Pferdedreck, von der anderen Seite der von Kuhdreck. Meine Frau hatte Recht. Die Luft war unglaublich frisch. Meine Kolle-gen waren ein bretonischer Poet Koulizh Kedez, mit großem langen Bart bis zum Bauch wie Lew Nikolae-witch Tolstoj. Sehr nett und ein bisschen logoreisch. Der Chefredakteur des literarischen Magazins „Via-tor“ Jean-Marie Bernard aus Lyon. Er ist Schamane.

Und der Grafiker Landry Perosheau. Wir haben ein Apartment in einem uralten renovierten Zwei-Etagen-Bauerhaus mit großem offenen Kamin und rustikalen Holzsims. Alle Häuser dort haben Kamine mit rustika-len Simsen!

Wir unternahmen eine Mini-Tournee nach Dinan, ein altes exklusives Sommerstädtchen aus dem 12. Jahrhundert mit luxuriösen Villen und Smaragd Küste. Zwei-Etagen-Stadt! In der Oberstadt uralte graue Häuser aus Holz und Steinen aus dem 18 Jahrhun-dert mit kleinen schmalen Straßen aus Bruchsteinen, alten Kandelabern und hübschen Läden – wie in den Filmen von Harry Potter, als ob die Zeit still steht. Die Unterstadt, im Tal der Fluss Rank, auf dem viele Schiffe

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Jean-Pierre Siméon, Künstlerischer Direktor, eröffnet den 15e Printemps des Poèts

Brief vom „Kopf der Welt“ –

Reisebericht von Jovan Nikolic

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und Häuser wie Lego Würfel ruhen. Alles war wie auf einem impressionistischen Bild. Kein Dilemma: Dinan ist eine der hübschesten Städte in der mittelalterli-chen Bretagne!

Meine zweite ästhetische Überraschung war im Dörfchen Becherel – Cité du Livre (Stadt der Bücher) mit 35(!) Buchläden und Kunstgalerien. Dann kam die Lesung in Rennes. Dort sah ich ein Literaturmagazin „Au sud de l’ Est“, in dem ich mein, mein übersetztes Lied gefunden habe. Dort haben wir nach der Lesung eine gute Resonanz vom Publikum bekommen und guten Wein in einen Rock-Cafe, wo ich getanzt und illegal eine Zigarette graucht habe (wie im Rom e. V.). Begleitet hat uns die ganze Zeit die Malerin Claude Emery Derlon. Sie malt Motive aus dem Roma-Le-ben. Sie war verheiratet mit Pierre Derlon. Er ist ein bekannter Autor von Büchern über das Leben der Roma-Communities und dem damit einhergehen-den Mystizismus. In der Nähe von Saint Malo hatten wir eine Lesung in einem „Station-Theatre“, mit 80 Plätzen, eine ehemalige Tankstelle! Nachmittags hat es geschneit. Für 15 Minuten lagen 15 cm Schnee auf der Erde. Morgens habe ich eine Schneeinsel gesehen, die von der Erde abhob und hoch in die Luft flog! Halluzi-nation? Zu viel Wein gestern Abend? Nein, es war ein Möwenschwarm. Schönes poetisches Bild, habe ich gedacht.

Die Finissage aller Projekte war eine beinahe nichten-dende Performance mit Lesung, Musik, Theater, Essen und Trinken in einem richtig großen Zirkuszelt. Mein sehr netter Hausherr Louis Dugas hat eine Broschüre mit meinen 30 Liedern und Prosatexten gedruckt; das war ein großes Geschenk für mich. In dieser Nacht wurde die ganze Auflage (50 Stück) verkauft. Beim letzten Ausflug nach Mont Saint Michel, mit 3 Milli-onen Besuchern pro Jahr eine touristische Attraktion an der Grenze von Bretagne und Normandie, sagte ich „ Au revoir Bretagne – bis zum nächstes Mal.“ Und schon kam das nächste Mal: eine Einladung in die Bretagne im August nach Douarnenez zu einem Roma-Filmfestival.

Jovan Nikolic

Weitere Informationen: http://www.printemps-despoetes.com/index.php?url=agenda/fiche_eve.php&cle=37769

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Ruždija Sejdović, Selam Pató, Ismeta Stojković und Jovan Nikolić (v.l.n.r.)

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Am Dienstag, den 28.05.2013, hat in den Räumen des Rom e. V. eine Lesung mit Selam Pató stattgefunden. Die Initiative zur Veranstaltung kam von dem Schrift-steller Ruždija Sejdović, der in Kooperation mit seinem namhaften Kollegen Jovan Nikolić auch Organisator war. Anlass für diesen Abend war das traditionelle „St. Georgs Treffen“, bzw. „Mai Treffen“ im Sinne der Roma-Tradition. Der 6. Mai ist einer der höchsten Fei-ertage aller Roma. Das hat Jovan Nikolić nach der Be-grüßung auch erklärt und verkündet, dass dieses Tref-fen nun zukünftig jährlich organisiert und immer eine Roma-Künstlerin oder ein -Künstler vorgestellt wird.

Diesmal hatten die Besucher des Abends das Ver-gnügen die Roma-Künstlerin Selam Pató aus Ungarn kennenzulernen. Ruždija Sejdović hat sie den Gästen als Schriftstellerin und Redakteurin mehrerer Roma-Zeitschriften vorgestellt. Besonders hervorgehoben hat er, dass Selam Pató auf romanes schreibt – dies ist nicht nur in Ungarn eine Seltenheit. 2001 gründete sie ihr eigenes Journal „Nyveske Arakhadyipe“ (Neue Begegnungen).

Diese sehr engagierte Frau ist Lovara-Romni und hat ihr Leben ihrem Volk gewidmet. Sie schreibt selber, sammelt aber auch Roma-Werke, die bisher nicht veröffentlicht wurden, und so ist sie auch Heraus-geberin von über dreißig Anthologien und Büchern und verfasste an die zweihundert Rezensionen. Ihre Gedichte und Artikeln erscheinen seit über zwanzig Jahren in vielen großen Journalen und beschreiben den Lebensstil der Roma, ihre Religionsphilosophie und Mysterien. Sie übersetzt auch Werke von Schrift-stellern anderer Länder. 2011 verlieh ihr der Premi-erminister Ungarns die höchste Auszeichnung des Staates, das „Diplom für die Minoritäten des Landes“, für ihre Verdienste um die Roma Kultur.

Selam Pató hat sich den Besuchern dieses wunderba-ren Abends auf dem besten Wege vorgestellt – mit ih-rer Poesie, die sie auf Romanes las. Sie wechselte sich mit Jovan Nikolić und Ruždija Sejdović ab, die auch in ihren Herkunftssprachen vortrugen. Die Übersetzung auf Deutsch wurde von Frau Sigrun Reckhaus mit viel Gefühl nähergebracht.

Im Anschluss hat Selam Pató über die Position der Roma in Ungarn berichtet. Die Diskriminierung ist leider immer noch sehr groß und der Kampf gegen Rassismus und Vorurteile noch lange nicht besiegt. Das Publikum hatte auch viele Fragen zu diesem The-ma, die Selam Pató gerne und ausführlich beantworte-te; die Übersetzung hat Ruždija Sejdović geleistet.

An den Wänden des roten Saals, in dem die Veranstal-tung stattfand, hingen Reproduktionen der Malerei von Selam Pató und damit hatten die Gäste einen kompletten Einblick in das künstlerische Schaffen dieser besonderen Frau. Der Abend wurde mit einem Aperitif in einer sehr netten und gemütlichen Atmo-sphäre abgerundet.

Selam Pató ist eine große Bereicherung für das Volk der Roma und eine hervorragende Botschafterin der Roma-Kultur in der Welt.

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Literarischer Abend mit Selam Pató

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Kanyar Becker, Helena (Hrsg.), Jenische, Sinti und Roma in der Schweiz. Mit Fotos von Urs Walder (Basler Beiträge zur Geschichtswissenschaft, Bd. 176), Schwabe & Co., Basel 2003, 185 S., br., € 49,-- 

In der Schweiz leben „zwischen 25.000 und 30.000 Personen“ einer, wie es heißt, „Gemeinschaft der schweizerischen Fahrenden“.1 Jenische bilden „die Hauptgruppe der Fahrenden schweizerischer Nationalität“.2 Sie sind Nachfahren der vor Zeiten aus der Ortsfestigkeit herausgefallenen, der histori-schen Schweizer Armut. Das grimmsche Märchen von den Bremer Stadtmusikanten erzählt von solchen Wechseln in die Migration im eigenen Land, vom sozi-alen Abstieg nicht nur in Bremen.

Neben der „Hauptgruppe“ gibt es demnach eine kleinere Gruppe von Roma, die zumeist den Sinti (Manusch) angehören. Die so definierte Gesamtgruppe ist als nationale Minderheit geschützt. Mitunter werden dieser als „fahrend“ etikettierten Gesamtminderheit, von der nur eine sehr kleine Teilminderheit tatsächlich reist, spekulative 30.000 bis 40.000 Roma hinzugefügt. Das sind dann als Flüchtlinge oder Arbeitskräfte seit den 1950er Jahren bis heute in die Schweiz migrierte und noch migrie-rende meist südost- und südeuropäische Roma und ihre Nachfahren, die inzwischen zum Teil Schweizer Bürger sind.3 Die Jenischen addieren sich dann mit-unter zu einer 70.000 Menschen starken „zigeuneri-schen“ Minderheit „der Schweiz“, wie es im Beitrag des Sprechers eines der jenischen Vereine Venanz Nobel geschieht. Zusammengeführt werden die 70.000 als „Völker“ oder „Volksgruppen“ mit „nomadisch/cyganischem kulturellen Hintergrund“. Als solche

sind sie das gemeinsame Thema der Beiträge zu der vorliegenden Publikation. Sie folgt einer Vortragsreihe des Historischen Seminars und des Seminars für Volkskunde der Universität Basel und enthält ne-ben Geleitwort, Vorwort und Einleitung fünf längere Beiträge, drei Kurzbeiträge, eine Reihe von Dokumenten sowie zehn Fotografien.

Thematisch dominiert die Gruppe der Jenischen. Das entspricht Schweizer Gepflogenheiten und ergibt sich schlicht daraus, dass Jenische anders als Roma seit den 1970er Jahren über aktive Selbstorganisationen verfü-gen und in der öffentlichen Wahrnehmung seither kon-tinuierlich präsent sind.

Das wiederum erklärt sich aus den damals bekannt ge-wordenen Kindsfortnahmen durch das Hilfswerk Kinder der Landstrasse. Auch in der vorliegenden Publikation steht dieser Skandal im Mittelpunkt. Der Historiker Thomas Meier berichtet über das Hilfswerk und des-sen Kampf gegen das Schweizer „Vagantentum“. Dabei verharrt er nicht in der Zeitgeschichte, sondern fragt zugleich nach dem Stand der Aufarbeitung des kollek-tiven Unrechts. Er sieht nach wie vor Defizite. Graziella Wenger spricht zum Hilfswerk aus der Zeitzeugen- und Betroffenenperspektive und stellt ein Fallbeispiel vor. Es ist das Schicksal ihres Bruders Andreas. Dazu legt sie zahlreiche eindrucksvolle Dokumente aus dem Schweizerischen Bundesarchiv vor.

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Neue Bücher in der Bibliothek des Rom e. V.

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In dem impressionistischen, unterhaltsam geschrie-benen, nur ziemlich inkonsistenten Beitrag von Venanz Nobel steht die Gruppe der Jenischen ein weiteres Mal im Mittelpunkt. Der Verfasser fragt nach der Bedeutung des Reisens und kommt Roma miteinschließend zu dem Schluss, dass eine solche Lebensweise ganz überwiegend weder der heuti-gen noch der historischen Lebenswirklichkeit von „Zigeunern“ entspreche. Selbst ein erheblicher Teil der Opfer des Hilfswerks sei nicht aus reisenden, sondern aus ortfest lebenden Familien gekommen.

Die Randgruppenquartiere, in denen jenische alte und nichtjenische neue Armut an der lokalen Peripherie zusammenfand, romantisiert er zum Hort von „Hütern des kulturellen Schatzes“ eines jenischen „Volks“. Es ist aber nicht sinnvoll, das Leben in sozialen Brennpunkten, also Armut, un-zureichende Wohnverhältnisse, Ausbildungs- und Bildungsdefizite, zu ethnisieren und zu romanti-sieren, weil das von den Ursachen fortführt und ein Beitrag zur fortgesetzten Chronifizierung der Problemlagen ist.

Es ist auch nicht sinnvoll, „Jenische, Roma und Sinti“ als „reisende Zigeunerstämme“ oder als „rei-sende Völker“ zusammenzuführen, wie Nobel es macht, denn wo bleibt da die übergroße nichtrei-sende Mehrheit? Die Kollektivierung der Gruppen und Individuen zu einer wesenhaft verbundenen „zigeunerischen“ Gesamtminderheit ist abstrus. Lebenswelten und Selbstwahrnehmung der Angehörigen der angeblichen „Zigeunerstämme“ fallen doch außerordentlich weit auseinander. Es gibt den sesshaften jenischen Marktbeschicker, den Industriearbeiter, den Stützeempfänger oder den viel reisenden Schrottler wie es nichtjenische Marktbeschicker, Industriearbeiter, Stützempfänger und Schrottsammler gibt. Es gibt osteuropä-ische Roma, „Gastarbeiter-Roma“ aus Spanien, Griechenland oder dem früheren Jugoslawien, Kosovo-Vertriebene, Schweizer Sinti, den Schriftsteller oder Arzt aus Bulgarien, der früheren Tschechoslowakei etc. pp.

Auf diese Vielfalt geht mit dem Blick auf Roma der Schweizer Mathematikprofessor, Banker und Direktor der Rroma Foundation Stéphane Laederich in seinem Beitrag ausführlich ein. Laederich steht für die so oft geleugneten und bekämpften Übergänge zwischen den so gerne als so gut abgrenzbar be-schriebenen „Völkern“. Sein Vater ist Elsässer, die Mutter Romni. Der gemeinsam mit dem russischen Linguisten Lev Tcherenkov erarbeitete Beitrag bie-tet dem Leser ausführliche Grundinformation zur Geschichte und zur Sprache der Roma. Das Wort von den „Fahrenden“ ist in beider Sicht eine mehr-heitsgesellschaftliche westeuropäische Konstruktion, die auf einen realitätsfernen Mythos zurückgeht. Vielfalt ist auch das Merkmal der Gruppensprachen innerhalb der Romanes-Sprachgruppe, Hinweis auf

die Unterschiedlichkeit der Gruppengeschichten und jeweiligen Umgebungsgesellschaften. Wo andere mythisieren, klären Laederich/Tcherenkov auf, was angesichts der auch in der Schweiz betriebe-nen antiziganistischen Hetze dringend nottut – siehe nur den bekannten Titel der Weltwoche („Die Roma kommen: Raubzüge in die Schweiz“), der im vergan-genen Jahr viel Aufmerksamkeit fand, publiziert sinni-gerweise ein paar Tage vor Hitlers Geburtstag.

Cristina Kruck ist die Gründerin der Schweizer Rroma-Foundation. Sie wendet sich Rroma-Traditionen zu. Das ist einerseits recht interessant, aber andererseits doch immer wieder auch fragwürdig. Lässt sich denn von einer universalen homogenen Tradition und Kultur „der“ Roma sprechen? Dabei ist es nicht ein-fach so, dass die Autorin über die Differenz hinweg-geht. „In jedem Land“, schreibt sie mit kritischem Blick auf Benennungen wie „polnische Roma“, „ungarische Roma“, leben, „diverse Roma-Gruppen …, die spezifi-sche Traditionen pflegen“. Aber sie kulturalisiert ähn-lich Nobel zugleich zu einer in wesentlichen Aspekten gemeinsamen Roma-Minderheit.

So ist sie der Meinung, dass es sich dabei in toto um eine besonders freiheitsliebende Spezies handle: „Weder administrative Vorschriften noch Gesetze oder Verordnungen“ ließen diese Menschen sich aufzwingen, es zählten für sie allein die traditionel-len Regelungen ihrer Großfamilien. Damit liegt sie ganz nah bei der Idee von der normativ nicht oder nur schwer ansprechbaren ethnisch geschlossenen Gegengesellschaft mit Tendenz zur Delinquenz. In allen ethnischen und sozialen Gruppen aber gab und gibt es Menschen, die auf Abstand zu staatlichen Normvorgaben sind, und manchmal waren/sind es ziemlich viele. Man denke doch nur einmal an den Finanzsektor und die dortigen Dienstleister, nicht nur in der Schweiz. Oder auch an den gesicherten Tatbestand, dass unsere mittel- und westeuropä-ischen mehrheitsgesellschaftlichen Vorfahren bis ins 19. Jahrhundert hinein wenig staatsgläubig in überwiegend großen Familienverbänden („Clans“) und Dorfgemeinschaften lebten. Deren traditionelle Regelungen hatten den klaren Vorrang vor den staat-lichen und grundherrlichen Autoritäten und deren normativen Hervorbringungen. Man schaue sich nur einmal die Zahlen zum Holzdiebstahl oder zum Wildfrevel an.

Auch die Bilder des Fotografen Urs Waldner fol-gen der exotisierenden Perspektive. Es sind Bilder mit Wohnwagen, Musikanten mit Schwyzerörgli (Akkordeon) und Korbflechter. Sie suggerieren nur wieder, Jenische und Roma seien ständig auf der Wanderschaft, „Nomaden“. Zu diesem Zigeunerbild passt die Verwendung altfränkscher Termini wie „Sippe“ oder „Stamm“. Das kommt aus der völkisch-kolonialistischen Begriffekiste der traditionellen Zigeunerforschung.

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nevipe•Neue Folge•Heft 3/2013•Rom e. V.•Venloer Wall 17•50672 Köln•0221.242536•[email protected]•www.romev.de

Insgesamt ist diese Schrift eine gemischte Veranstal-tung: man erfährt einerseits viel, fragt sich unter dem Strich aber doch, was die Herausgeber motiviert hat, die hier abgehandelten Gruppen zwischen zwei Buchdeckel zu stecken, und kommt leider nicht daran vorbei: Es war die Vorstellung von dem wesenhaft alle „Zigeuner“ verbindenden „Zigeunerischen“. Damit reicht das Buch auch das Ressentiment weiter, unver-meidlich.

Ulrich F. Opfermann

1 So der schweizerische Bundesrat 2006 unter Verweis auf eine Zahlenangabe von 1978.2 Siehe: Schweizerische Eidgenossenschaft, Bundesamt für Kultur: Sprachen und kulturelle Minderheiten – Fahrende in der Schweiz, 2006, in: http://www.bak.admin.ch/bak/themen/sprachen_und_kulturelle_minderheiten/00507/00512/index.html?lang=de, Stand: 20.10.2009. Siehe die Verweise bei: Maïté Michon, Minorité: un concept commode, mais ambigu, in: Tangram. Bulletin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus, 1997, Nr. 3, S. 17-21, hier. S. 1; Paul Fink, Leiter der Sektion Kultur und Gesellschaft im Bundesamt für Kultur (zugleich Vizepräsident der Stiftung Zukunft für Schweizer Fahrende), 20.11.2007: „Die Schweiz hat die Fahrenden als nationale Minderheit anerkannt ..., und sie hat das Jenische als territorial nicht gebundene Sprache der Schweiz anerkannt.“ (Hervorh. im Orig.), zit. nach: http://www.sifaz.org/nfp-51vortragvenanznobel10dez2007.html#_ednref4, Stand: 20.10.2009.3 Diese Angaben und das folgende Zitat in: Verein schäft qwant, Die Jenischen im neuen Schweizer Kulturförderungsgesetz, 1.11.2005, in: http://www.openpr.de/news/66348/Die-Jenischen-im-neuen-Schweizer-Kulturfoerderungsgesetz.html; Verein schäft qwant, Haben Jenische, Sinti und Roma keinen Platz in der Schweiz?, 14.11.2005, in: http://www.openpr.de/news/67958.html, Stand: 20.10.2009.

schiedenen Romni. Zur Sprache kommen Themen wie Heiraten, Kinderkriegen, Frauen- und Männerrollen, Fluchterfahrungen und vieles mehr. Daneben finden sich auch inhaltliche Informationen zu Begrifflichkeiten wie Sinti und Roma oder Herkunft. Ziel und Wunsch des Projektes ist es, nicht wissen-schaftliche Meilensteine zu legen, sondern vielmehr ein Verständnis für die Kultur der Roma zu schaffen um klischeehafte Vorstellungen über „Zigeuner“ aus-zuräumen.

Die bewundernswerte Offenheit der Frauen ermög-licht es durch „Bei uns ist es so.“ einen authentischen Einblick in ihre Kultur zu bekommen. Während der Lektüre entdeckt man zwar den einen oder anderen Unterschied zur eigenen Kultur, jedoch lässt sich auch so manche Gemeinsamkeit ausmachen. „Bei uns ist es so.“ will allen, die wenig oder keinen Kontakt zu Roma haben und allen, die falschen Klischees hin-terher hängen, einen Weg zeigen, Verständnis für die Minderheit aufzubauen und auch Möglichkeiten, um vielleicht mit den Roma in Kontakt zu treten– damit das Gefühl des „Nicht-Dazu-Gehörens“ immer mehr verschwindet und einer Willkommenskultur weicht.

Judith Hauser

KAROLA e. V., Stroux, Marily (Hrsg.), „Bei uns ist es so.“ Hamburg, 2012 (Bestellung über: www.karola-hamburg.de)

„Keiner hat sich bis jetzt über uns interessiert. Keiner hat gefragt. Deswegen haben wir nicht darüber gere-det.“ Diese Aussage steht zu Beginn des Buchprojekts „Bei uns ist das so.“ des Internationalen Treffpunkts für Mädchen und Frauen KAROLA e.V. und der Fotojournalistin Marily Stroux.

In „Bei uns ist es so.“ finden sich Gespräche mit Roma-Frauen wieder, in denen diese ganz offen und ehrlich über verschiedene Themen, die ihren Alltag und ihr Leben bewegen, sprechen. Das Buch entstand durch über mehrere Jahre hinweg geführte Gespräche zwi-schen den Mitarbeiterinnen von KAROLA e.V. und ver-

 

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Ausstellung

„Gypsy Warriors“ von Kálmán Várady

Kálmán Várady ist ein mit Lust an der Gefahr sehr weit gereister Rom. Nicht weil ihn sozio-ökonomische Zwänge oder ein Klischee dazu drängten: Hier ist das Nomade-Sein Vergnügen, Horizonterweiterung und Lebenseinstellung. In dieser Ausstellung pendeln seine Arbeiten zwischen Objekt, Skulptur, Installati-on und Fotografie. Die verschiedenen Einzel objekte gehören thematisch zusammen und bilden metapho-risch die Welt eines Roma-Reisenden ab: Krieger-Sta-tuen, vergoldete Köpfe auf geschwärzten Säulen, eine Ahnengalerie von Kämpfern mit Namen wie Rukeli,

Tenderly, Biebela, Django. Dazu kommen vergoldete Schusswaffenkugeln. Sie sind artifizielle Interpretati-onen derer, mit denen in Mexiko auf den Künstler ge-schossen wurde. Vergoldet, verformt und vergrößert, werden sie zu Ikonen, zu mahnenden und vielleicht auch leicht mit Stolz erfüllenden Objekten; denn man war stärker als Tod und Gefahr. Sie stehen auf Sockeln vor einer großformatigen Schwarzweißfotografie mit dem Titel „ Dieveto di caccia“ (ital. Jagd). Diese zeigt in Anlehnung an die bis in die heutige Zeit zu Tode gekommenen Sinti und Roma ein Haufen aus Men-schenknochen. Überhaupt bezieht Varady sich oft auf Vergänglichkeit und Sterben; die Kugeln versinnbildli-chen die Gefahr in der wir uns befinden und mahnen vergoldet an die Kostbarkeit unseres Lebens.

Bedeutsam zum Verständnis von Varadys Arbeiten sind auch sein Humor und seine Ironie, die die ver-innerlichte Schwere seiner Arbeiten in ein anderes Verhältnis setzen. Der WARRIOR ist auch eine selbst-ironische Fiktion, die vergoldeten Kugeln, die seinen Tod hätten bedeuten können, haben eine deutliche humoristische Komponente; denn nur lachend kann man sich vom Tod befreien.

http://kaidikhas.com/de/exhibitions/gypsy_warriors/views

„Gypsy Warriors“ von Kálmán Várady

Datum: 14. Juni bis 09. August 2013Zeit: Di-Sa 12-19 Uhr und nach VereinbarungOrt: Galerie Kai Dikhas Aufbau Haus am Moritzplatz Prinzenstr. 85 D 10969 BerlinInfo: +49 30 343 99 308, [email protected], www.kaidikhas.com

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Veranstaltungen +Hinweise

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Symposion

„Hilfe die ‚Zigeuner‘ kommen?“

Thema: EU-“Armutswanderung“ nach Köln

Impulsreferat: Alexander Wagner, Büro für lokale und internationale Entwicklung

Podiumsgäste: – Winrich Granitzka, CDU-Vorsitzender des Rates

der Stadt Köln und leitender Polizeidirektor a. D. (Chef der Kölner Schutz- und Kriminalpolizei)

– Jovan Nikolic, Rom e. V., Schriftsteller (Buch für die Stadt 2012) und Journalist

– Robert Kilp, Leiter Ordnungsamt und Mitglied des städtischen „AK EU-Osterweiterung“

– Norbert Mappes-Niediek, Autor von „arme Roma, böse Zigeuner“, Wien

Moderation: Babs Mück, Eine-Welt Stadt Köln

Datum: Donnerstag, 12. September 2013Zeit: 19.30 UhrOrt: Forum Volkshochschule im Rautenstrauch- Joest-Museum, Köln

Aus dem Jahresprogramm des Rom e. V. :„Wir boxen uns durch! Vorbilder – Champions – Idole“

Theater-Workshop

„Einer boxt sich durch!“Einführungsveranstaltung:Datum: Samstag, 21. September Zeit: 10 - 17 Uhr stattOrt: Rom e. V., Venloer Wall 17, 50670 Köln

Proben: September - Dezember am: Dienstag und Mittwochum: 17-19.30 Uhr

Es sind noch Plätze frei. Die Teilnahme ist kosten-los.

Informationen: Iris Pinkepank, Projektleitung, 0152.049.24.665

Veranstalter: Europäisches Roma-Theater – TKO, Rom e. V., Migovita

Gefördert vomMinisterium für Familie, Kinder Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen

Theater-Aufführung

„Elses und andere Geschichten“

Datum: Donnerstag, 26. September 2013, Samstag, 28. September 2013, Sonntag, 29. September 2013, Montag, 7. Oktober 2013, Dienstag, 8. Oktober 2013Ort: Kunsthaus Rhenania, Bayenstr. 28, 50678 Köln

Information: Theater TKO/Choredrama-Roma-Theater 0221-240 61 72, [email protected], www.tko-theater.de

Aus dem Jahresprogramm des Rom e. V. :„Wir boxen uns durch! Vorbilder – Champions – Idole“

Tagung im NS-Dokumentationszentrum

„We are Champions, too!“

Thema: Minderheiten, Roma und Sport in Geschichte und Gegewart

Programm: – Impulsreferat: Sport und Minderheiten in

Deutschland, Überlegungen zu einer verdrängten Geschichte. Referent: Prof. Dr. Diethelm Blecking

– 1. Workshop: Sinti und Roma im Sport – vom Ou-ting zum Vorbild. Referent: Andrzej Bojarski

– 2. Workshop: Rechtsextremismus, Rassismus und Antiziganismus in deutschen Stadien. Referent: Ronny Blaschke

– 3. Workshop: Wir boxen uns durch! Neues Selbst-bewusstsein von Sinti- und Roma-Jugendlichen. Praxisberichte. Referenten: Oswald Marschall, Sami Dzemailovski

Datum: Freitag, 27. September 2013Ort: EL–DE–Haus, Appellhofplatz 23-25, 50667 KölnZeit: 10 -16 UhrEintritt: frei, weitere Infos: [email protected], 0221/22126332

Veranstalter: ibs im NS-Dokumentationszentrum, Rom e. V., Melanchthon-Akademie

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Neues zur „Zigeuner“-Frage

Die Musiker von „Zingara ma“ haben sich ganz der Zigeuner-Weltmusik verschrieben.

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„Herzblut, Melancholie und Feuer“

Die Gruppe „Bayerwald Zigeuner“, musizierende Ba-juwaren, die sich jüngst den exotischeren Namen „Zingara ma“ zulegte, spekuliert geschickt auf jene typisch deutsche Zigeuner-Romantik, die ja zur Zeit wieder en vogue ist. Ihr Auftritt sei eine „musikalische Reise voll emotionsgeladener Melodien .. und Stim-mungen von Ekstase bis Gänsehaut.“ Eine Musik „vol-ler Herzblut, Melancholie und Feuer“. Kitsch as Kitsch can. Die „Mittelbayrische“ schwärmt: „Musik, Musik und nur Musik. Vom Fantasma der Zigeunermusik“ So wird wieder einmal ein zigeunernostalgischer Sommerreigen eröffnet, auf dem sich auch die Frei-zeit-Carmen mit Rose in der pechschwarzen Perrücke so wohl fühlt. Verständlich, dass Musiker (auch aus der Minderheit), um Geld zu verdienen, die unheil-volle Rolle ausblenden, die solche Klischees spielen.

Sylvia Löhrmann, Schulmininisterin von NRW sagte auf einer Veranstaltung der Mindener Grünen und des Zentralrats deutscher Sinti und Roma am 1. Juli 2013: Romantisierung und Dämonisierung von Minderhei-ten seien nur zwei Seiten einer Medaille. Die Kehrsei-te der „Zigeunerromantik“ sei letztlich der Hass auf die „Zigeuner“. Beides verortet ja die „Zigeuner“ in der Tat in einem Jenseits von gesellschaftlicher Reali-tät und grenzt sie bereits in den Köpfen aus Alltag und „Normalität“ aus.

Logischerweise geht die Romantisierung einher mit meist völliger Gleichgültigkeit gegenüber der Lage der Flüchtlinge in den Heimen und auch gegenüber der brutalen Realität zugewanderte Roma, ausgebeu-tet auch von Kölner Hausbesitzern und modernen Menschenhändlern auf dem Ehrenfelder „Arbeiter-strich“.

Zigeunernacht mit viel Flair und Theater pur

„Grabfeld-Queienfeld - Der Waldfestplatz ist in Licht-schein gehüllt: Kerzen strahlen, Feuerschalen versprü-hen heimeliche Wärme. An Bäumen aufgehängte Wä-scheleinen, bestückt mit geschichtsträchtigen Klei-dern, geben das Gefühl von abgetrennten Räumen, die die Größe des Festplatzes am Wald durchbrechen.Wohlige Geborgenheit macht sich breit in einer Atmo-sphäre weit ab vom Hier und Jetzt. Zigeunerwagen ver-vollständigen die Kulisse. Auf Decken lagern ringsum Männer, Frauen, Kinder. Nein, hier wird kein Film ge-dreht: Dieses Spektakel findet alle Jahre wieder (dies-mal am 13. Juli 2013) zur Zigeunernacht auf dem Quei-enfelder Waldfestplatz statt, organisiert vom Verein „Queiefeller Zicheuner“. Natürlich brutzeln wieder wilde und zahme Sau am Spieß und steht auch ande-res deftiges Essen nach Zigeunerart im Angebot, wird Zigeunerbowle ausgeschenkt, sorgen Die Grasmücken und andere Spielleut für musikalischen Frohsinn. Lei-denschaftliche Zigeunerlieder, vorgetragen von Peggy al Sand und Gefolge, sowie ein Wahrsager, der in die Zukunft blickt, sollen darüber hinaus das Fest zu einem unvergesslichen Erlebnis gestalten.“ (www.freiepresse.de/lokales/erzgebirge/aue/Operetten-verzuecken-Gaeste-artikel8460018.php)

Betrunkenen „Zigeuner“ gefesselt und unschädlich gemacht.

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Quelle: Rosenberg, Petra und Nowak, Meto (2010): Deutsche Sinti und Roma. Eine Brandenburger Minderheit und ihre Thematisierung im Unterricht. Potsdam. S. 61