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OAG Notizen Nachruf auf Yoshimoto Takaaki (1924 – 2012) Am 16. März 2012 verstarb einer der bedeutendsten japanischen Intellek- tuellen der Gegenwart, Yoshimoto Takaaki, auch Yoshimoto Ryūmei genannt, im Alter von 87 Jahren an den Folgen einer Lungenentzün- dung. Der Bekanntheitsgrad dieses enfant terrible der intellektuellen Land- schaft Japans, der sein Leben lang ein freischaffender Autor blieb, beruhte unter anderem auf der un- geheuren Produktivität des Autors und auf der Bandbreite seiner Frage- stellungen. Die von ihm behandelten Themengebiete erstrecken sich auf so unterschiedliche Fachgebiete wie die moderne und klassische Literatur Japans, die moderne Literatur des Westens, die Ethnologie, die Medien, die Philosophie, die Politik und die Psychologie. Er kann damit, in Anlehnung an den japanischen Be- griff shisōka, als „Denker“, als Philosoph, als Kritiker und auch als Dichter bezeich- net werden, wobei sich sein lyrisches Werk im Wesentlichen auf die 50er und 60er Jahre beschränkt. Yoshimoto Takaaki, Sohn eines Schiffzimmermanns, Vater der Schriftstellerin Yo- shimoto Banana (*1964) und der Manga-Zeichnerin Haruno Yoiko (*1957), studierte von 1944 bis 1947 Elektrochemie an der Technischen Universität Tokyo. Von 1952 bis 1956 war er in der Tōyō-Tintenfabrik beschäftigt, verlor aber auf Grund von Gewerkschaftsaktivitäten seinen Arbeitsplatz. Yoshimoto erregte zum ersten Mal als Kritiker großes Aufsehen, als er zusammen mit Take’i Teruo (1927–2010) 1956 die Schrift Die Kriegsverantwortung der Literaten veröffentlichte, in der er in die sogenannte tenkōron- (Debatte über die Abkehr vieler Intellektueller vom Marxis- mus während des Krieges) Diskussion eingriff und die marxistische Literaturtheorie heftig kritisierte. Yoshimoto, der sich in der Bewegung gegen den Amerikanisch- Japanischen Sicherheitsvertrag 1959 und 1960 engagierte und während der Studen- tenbewegung 1968 bis 1970 Sympathien für seinen radikalsten Teil äußerte und auf diesen einen großen, teilweise sogar charismatischen Einfluss ausübte, blieb der 28

Nachruf auf Yoshimoto Takaaki (1924 – 2012)Yoshimoto Takaaki, Sohn eines Schiffzimmermanns, Vater der Schriftstellerin Yo shimoto Banana (*1964) und der Manga-Zeichnerin Haruno Yoiko

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OAG Notizen

Nachruf auf Yoshimoto Takaaki (1924 – 2012)

Am 16. März 2012 verstarb einer der bedeutendsten japanischen Intellek-tuellen der Gegenwart, Yoshimoto Takaaki, auch Yoshimoto Ryūmei genannt, im Alter von 87 Jahren an den Folgen einer Lungenentzün-dung.

Der Bekanntheitsgrad dieses enfant terrible der intellektuellen Land-schaft Japans, der sein Leben lang ein freischaffender Autor blieb, beruhte unter anderem auf der un-geheuren Produktivität des Autors und auf der Bandbreite seiner Frage-stellungen. Die von ihm behandelten Themengebiete erstrecken sich auf

so unterschiedliche Fachgebiete wie die moderne und klassische Literatur Japans, die moderne Literatur des Westens, die Ethnologie, die Medien, die Philosophie, die Politik und die Psychologie. Er kann damit, in Anlehnung an den japanischen Be-griff shisōka, als „Denker“, als Philosoph, als Kritiker und auch als Dichter bezeich-net werden, wobei sich sein lyrisches Werk im Wesentlichen auf die 50er und 60er Jahre beschränkt.

Yoshimoto Takaaki, Sohn eines Schiffzimmermanns, Vater der Schriftstellerin Yo-shimoto Banana (*1964) und der Manga-Zeichnerin Haruno Yoiko (*1957), studierte von 1944 bis 1947 Elektrochemie an der Technischen Universität Tokyo. Von 1952 bis 1956 war er in der Tōyō-Tintenfabrik beschäftigt, verlor aber auf Grund von Gewerkschaftsaktivitäten seinen Arbeitsplatz. Yoshimoto erregte zum ersten Mal als Kritiker großes Aufsehen, als er zusammen mit Take’i Teruo (1927–2010) 1956 die Schrift Die Kriegsverantwortung der Literaten veröffentlichte, in der er in die sogenannte tenkōron- (Debatte über die Abkehr vieler Intellektueller vom Marxis-mus während des Krieges) Diskussion eingriff und die marxistische Literaturtheorie heftig kritisierte. Yoshimoto, der sich in der Bewegung gegen den Amerikanisch-Japanischen Sicherheitsvertrag 1959 und 1960 engagierte und während der Studen-tenbewegung 1968 bis 1970 Sympathien für seinen radikalsten Teil äußerte und auf diesen einen großen, teilweise sogar charismatischen Einfluss ausübte, blieb der

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marxistischen Linken, insbesondere der Kommunistischen Partei Japans, sein Leben lang in inniger Feindschaft verbunden. Obwohl er in seinen Schriften und Aufsätzen durchaus politisch Stellung bezog und es an Deutlichkeit nicht fehlen ließ, verzichte-te er seit den frühen 60er Jahren auf ein direktes politisches Engagement.

Das Bild Yoshimotos in der japanischen Öffentlichkeit wurde von zwei, auf den ers-ten Blick widersprüchlichen Aspekten geprägt. Einerseits demonstrierte er immer wieder eine Art Volksverbundenheit, eine Sympathie mit dem japanischen Volk bzw. den normalen Menschen, die er, wie in seiner Abhandlung über Maruyama Masao (1963), gegen die Kritik vieler linker japanischer Intellektueller in Schutz nahm, denen er abgehobenes, realitätsfernes Denken vorwarf. Zum anderen schuf Yoshimoto auch äußerst anspruchsvolle, hoch theoretische, originelle und gedank-lich eigenständige Werke, die sich in den 60er und 70er Jahren an einer Marxismus-kritischen Marx- und Hegel-Rezeption und dessen dialektischen Denken und ab den 80er Jahren u.a. an dem sogenannten Poststrukturalimus französischer Prägung ori-entierten.

Als wenigstens quantitativ bedeutsamste Werke sollen hier die literaturtheoretische Arbeit Was ist das Schöne für die Literatur? (1965), in welcher die Geschichte der japanischen Literatur als steter dialektischer Prozess zwischen der auf die Außen-welt bezogenen „Indikativ-Ausdrückung“ und der ästhetischen „Selbst-Ausdrü-ckung“ gezeichnet wird, die Einleitung in die Welt der physischen Phänomene (1971) und die Abhandlung über die gemeinschaftlichen Vorstellungen (1966–67), in dem mit den Begriffen der drei gensō, der „gemeinschaftlichen“, der „gegenseitigen“ und „individuellen“ „Vorstellungen“, in gewisser Weise eine japanische Form der Diskursanalyse entworfen wird, genannt werden. Unter den vielen Schriften Yoshi-motos in den 80er und 90er Jahren wäre dann vor allem die intensive Beschäftigung mit den verschiedenen Formen von „Bildern“ (imēji) der Kultur und Massenkultur zu nennen, die mit seinen Aufsätzen in den Abhandlungen über die Massenbilder (1982–83) einsetzte. Unter dem Einfluss solcher Denker wie Foucault, Derrida und Baudrillard entwickelte Yoshimoto eine Vorliebe für den Raum bzw. die räumliche Metapher, unter dem Verzicht auf das eher zeitlich orientierte dialektische Denken.

Mit Yoshimoto Takaaki, der als persönlich freundlich und hilfsbereit geschildert wurde, verliert Japan einen der letzten großen Denker der späteren Shōwa-Zeit bzw. der Nachkriegszeit. Auch wenn er unter den jüngeren Generationen in Japan keinen so hohen Bekanntheitsgrad mehr besitzt wie noch in der Generation der Studenten-bewegung, so hat er deutliche Spuren in der japanischen Geistesgeschichte hinter-lassen, und es wird sicherlich eine Zeit kommen, in der seine Werke wiederentdeckt und, auf eine dann andere Art und Weise als bisher, neu gelesen werden.

Prof. Dr. Reinold Ophüls-Kashima

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OAG Notizen

Literatur:

Hosaka, Kazuo: „Gengo-ni-totte-bu-to-wa-nani-ka – über Yoshimoto Takaakis Hauptwerk“. In: Hijiya-Kirschnereit, Irmela und Jürgen Stalph (Hg.): Bruno Lewin zu Ehren. Festschrift aus Anlaß seines 65. Geburtstages – Band 1: Japan – Sprach- und literaturwissenschaftliche Beiträge. Bochum: Brockmeyer, S. 111–147.

Morton, Leith: Modern Japanese Culture – The Insider View. Oxford: Oxford University Press, 2003.

Olson, Lawrence: Ambivalent Moderns – Portraits of Japanese Cultural Identity. Maryland: Rowman and Littlefield, 1992.

Ophüls-Kashima, Reinold: „Yoshimoto Takaaki als 'semantischer Alchemist' – Literaturtheorie und Literaturkritik zwischen Dialektik und Differenz“. In: Asiatische Studien Études Asiatiques. Referate des 9. deutschsprachigen Japanologentages in Zürich (Sondernummer), Bamd. 48: 1, 1994, S. 12-134.

Ders: Yoshimoto Takaaki – ein Kritiker zwischen Dialektik und Differenz. Wiesbaden: Harrassowitz, 1998 (Iaponia Insula — Studien zu Kultur Japans 8).

Ders.: „Yoshimoto Takaaki und die Theorie der drei ‚Vorstellungen‘“. In: Richter, Steffi (Hg.): Japan-Lesebuch III – „Intelli“. Tübingen: konkursbuchverlag Claudia Gehrke, 1998, S. 248-257.

Yoshimoto Takaaki, Michel Foucault: „Gespräch zwischen Yoshimoto Takaaki und Michel Foucault“ (Übers. aus dem Japanischen von Reinold Ophüls). In: kultuRRevolution – Zeitschrift für angewandte Diskurstheorie, 22, 1990, S. 8-17.

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