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Kurz vor seinem 90. Geburtstag ist Hans Pfaffenberger gestorben. Die deutschen und die internationalen Foren Sozialer Arbeit haben damit eine ihrer großen Gal- lionsfiguren verloren. Hans Pfaffenberger wurde zu Beginn der Weimarer Republik in einer aufstreben- den Arbeiterfamilie in Franken geboren. Die Mutter machte sich als Näherin selb- ständig, der Vater wurde nach einem Un- fall Beamter bei der Reichsbahn. Der Sohn Hans – das einzige überlebende Kind der Familie – wurde auf ein Gymnasium ge- schickt und legte 1941 als bester Schüler seiner Klasse ein Notabitur ab. Die Eltern waren ‚Linke‘, der Beitritt des Sohnes zur HJ wurde so lange es ging ver- mieden. Trotzdem führte auf die Dauer kein Weg an der Hitlerjugend vorbei und auch nicht an der Einberufung zum Mi- litär: Grundausbildung ‚Panzerabwehr‘, Transport nach Afrika, U-Boot-Einsätze. Und – zum Glück – bereits 1942 britische Kriegsgefangenschaft mit Transport in ein Lager in Kanada. Wiederum ein Glücks- fall, da das Lager nicht nur über eine deut- sche Lageruniversität mit einer beachtli- chen Bibliothek verfügte, sondern auch die Möglichkeit bot, ein Fernstudium an der Universität in Saskatchewan zu absol- vieren. Pfaffenberger lernte auf diesem Wege die Konzepte der aktuellen amerikani- schen Psychologie kennen und schuf sich damit ein ebenso modernes wie tragfä- higes Fundament, um den alten Wehr- machtpsychologen zu widerstehen, bei denen er studieren und sein Examen ma- chen musste, als er 1946 nach Deutsch- land zurückkam. 1948 absolvierte er an der Universität Münster die Prüfung zum Diplompsycho- logen und suchte nach Möglichkeiten, mit seinen Qualifikationen Geld zu verdienen. Er verfasste für Zeitschriften psychologi- sche Artikel über Berufs- und Partner- wahl – war also eine Art „Briefkastenon- kel“. Gleichzeitig baute er zusammen mit einer Kollegin und mit Unterstützung der Amerikaner ehrenamtlich die erste Erzieh- Sozial Extra 3|4 ’12: 36-37 DOI 10.1007/s12054-012-0040-8 36 Nachruf: Hans Pfaffenberger ist tot HANS PFAFFENBERGER FOTO: MANFRED BAIERL

Nachruf: Hans Pfaffenberger ist tot

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Page 1: Nachruf: Hans Pfaffenberger ist tot

Kurz vor seinem 90. Geburtstag ist Hans Pfaffenberger gestorben. Die deutschen und die internationalen Foren Sozialer Arbeit haben damit eine ihrer großen Gal-lionsfiguren verloren. Hans Pfaffenberger wurde zu Beginn der

Weimarer Republik in einer aufstreben-den Arbeiterfamilie in Franken geboren. Die Mutter machte sich als Näherin selb-ständig, der Vater wurde nach einem Un-fall Beamter bei der Reichsbahn. Der Sohn Hans – das einzige überlebende Kind der Familie – wurde auf ein Gymnasium ge-schickt und legte 1941 als bester Schüler seiner Klasse ein Notabitur ab. Die Eltern waren ‚Linke‘, der Beitritt des

Sohnes zur HJ wurde so lange es ging ver-mieden. Trotzdem führte auf die Dauer kein Weg an der Hitlerjugend vorbei und auch nicht an der Einberufung zum Mi-litär: Grundausbildung ‚Panzerabwehr‘, Transport nach Afrika, U-Boot-Einsätze. Und – zum Glück – bereits 1942 britische Kriegsgefangenschaft mit Transport in ein Lager in Kanada. Wiederum ein Glücks-fall, da das Lager nicht nur über eine deut-sche Lageruniversität mit einer beachtli-chen Bibliothek verfügte, sondern auch die Möglichkeit bot, ein Fernstudium an der Universität in Saskatchewan zu absol-vieren. Pfaffenberger lernte auf diesem Wege

die Konzepte der aktuellen amerikani-schen Psychologie kennen und schuf sich damit ein ebenso modernes wie tragfä-higes Fundament, um den alten Wehr-machtpsychologen zu widerstehen, bei denen er studieren und sein Examen ma-chen musste, als er 1946 nach Deutsch-land zurückkam. 1948 absolvierte er an der Universität

Münster die Prüfung zum Diplompsycho-logen und suchte nach Möglichkeiten, mit seinen Qualifikationen Geld zu verdienen. Er verfasste für Zeitschriften psychologi-sche Artikel über Berufs- und Partner-wahl – war also eine Art „Briefkastenon-kel“. Gleichzeitig baute er zusammen mit einer Kollegin und mit Unterstützung der Amerikaner ehrenamtlich die erste Erzieh-

Sozial Extra 3|4 ’12: 36-37 DOI 10.1007/s12054-012-0040-8

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Nachruf: Hans Pfaffenberger ist tot

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ungsberatungsstelle nach dem Krieg in Nürnberg auf. Die Arbeit gefiel den Amerikanern so

gut, dass sie Pfaffenberger zu einer Stu-dienreise in die USA einluden, um seine Kenntnisse in Erziehungsberatung und Counseling zu erweitern. 1950/51 reis-te er mit einer Gruppe von Kollegen quer durch die USA, um entsprechende Ein-richtungen näher kennen zu lernen. In Chicago traf er Carl Rogers und bekam erstmals engeren Kontakt zur Sozialar-beit. In Minnesota begegnete er Gisela Konopka und Heinrich Schiller – Eindrü-cke, welche Pfaffenbergers Entscheidung für ein zukünftiges Engagement in der Sozialen Arbeit bestärkten und ihr eine nachhaltige inhaltliche Ausrichtung ga-ben.Nach Deutschland zurückgekehrt, be-

kam Pfaffenberger das Angebot, eine Stelle in der Heimerziehung zu überneh-men, eine Aufgabe, die er mit viel Enga-gement und Einfühlungsvermögen über-nahm. Besonders intensiv kümmerte er sich um eine gründliche Anamnesen der Fälle, um die Probleme der Kinder zu er-gründen und sich dem Jugendamt gegen-über für die richtigen Hilfen einsetzen zu können. Durch diese Tätigkeit und seine Kon-

takte zur Arbeiterwohlfahrt hat sich Pfaf-fenberger frühzeitig so viel Renommee erworben, dass er bereits 1954 – mit 32 Jahren – als Dozent der Wohlfahrtsschu-le der AWO in Mannheim angestellt und 1958 Direktor der Einrichtung wurde. Kurz darauf siedelten er nach Düsseldorf über, wo er Direktor des Marie-Juchacz-Hauses wurde, das aus zwei Schulen be-stand: einer Wohlfahrtsschule und einem Kindergärtnerinnenseminar. Etwas spä-ter kam noch der von ihm initiierte Mo-dellversuch einer grundständigen Ausbil-dung zur Sozialpädagogik hinzu.Eine der Besonderheiten dieser Einrich-

tung war ihre Vorreiterrolle bei der Um-wandlung von der Höheren Fachschu-le zur Fachhochschule, eine Entwick-lung, die selbst von den Befürwortern

des Fachhochschulkonzepts zunächst nur für die Bereiche „Technik“, „Design“ und „Betriebswirtschaft“ vorgesehen war. In Bezug auf das Sozialwesen war man der Auffassung, dass es nicht das notwendige Niveau für eine Fachhochschulausbildung aufzuweisen habe.Es gehört zu Pfaffenbergers großen Ver-

diensten, dass er federführend dazu bei-getragen hat durchzusetzen, dass die Aus-bildung zur Sozialen Arbeit in die damals einsetzenden Umwandlungsprozesse ein-bezogen wurde. Er setzte sich auch mit Nachdruck für die Verstaatlichung der Ausbildungsinstitutionen sozialer Berufe ein – ein Vorstoß, der bei den Schulen der AWO gelang, bei den konfessionellen Ein-richtungen aber nicht. Seine konstruktive ‚Liaison‘ mit der Arbeiterwohlfahrt war aber nicht von langer Dauer. Aufgrund seiner kritischen Haltung ge-

genüber den Unvereinbarkeitsbeschlüs-sen und Berufsverboten der SPD-Regie-rung kam es zu heftigen Konflikten mit der Leitung der Arbeiterwohlfahrt. Die damit verbundenen Auseinandersetz- ungen machten es Pfaffenberger leicht, ei-nem Ruf nach Konstanz auf eine Profes-sur für Sozialarbeit zu folgen – auf die ers-te und einzige Professur dieser Art nach dem Krieg.Wie in Düsseldorf gab es allerdings auch

in Konstanz heftige Konflikte um die Re-form der Universität. Der Gründungsrek-tor trat aus Protest zurück, und die Uni-versität bekam einen staatlichen Kommis-sar eingesetzt, der die reformfeindliche Position des Kultusministeriums vertrat. Pfaffenberger bewarb sich deshalb auf eine Stelle an der Uni in Trier, wo er bis zu seiner Emeritierung blieb.Zu den richtungsweisenden Vorstellun-

gen, die er vertrat, gehörte die Einsicht, dass Sozialarbeit und Sozialpädagogik keine zwei verschiedenen Berufe sind, auch keine zwei verschiedenen Fächer. Seiner Auffassung nach, die er in seinen zahlreichen Publikationen vertreten hat, überschneiden sich beide Richtun-gen so weit, dass sie – entsprechend der von ihm entworfenen Konvergenztheo-rie – nur als Einheit zu verstehen sind. Dass diese Einheit inzwischen durch den Begriff „Soziale Arbeit“ hergestellt ist, konnte Pfaffenberger in seinen letz-ten Lebensjahren mit Befriedigung zur Kenntnis nehmen. Trotzdem hat er vie-le der aktuellen Entwicklungen sorgen-voll zur Kenntnis genommen: in erster Linie den allgemeinen Sozialabbau, ver-bunden mit dem spezifischen Abbau von Sozialstaatlichkeit.Leitbilder oder Vorbilder hat er keine

gehabt: In der Zeit, in der er dafür em-pfänglich gewesen wäre, d.h. in den Jah-ren nach dem Zweiten Weltkrieg, hat es seiner Auffassung nach an den richtigen Bezugspersonen für ihn gefehlt. Später hat er sich seine eigenen Maßstäbe ge-setzt und diese mit großer Vehemenz vertreten und aufrechterhalten. Sicherlich war Hans Pfaffenberger

auch ein ‚fränkischer Dickkopf‘. Vor allem aber war er ein vollkommen auf-rechter Mensch, der mit Scharfsinn und analytischer Präzision den Din-gen auf den Grund gegangen ist – und der als Humanist, Pazifist und De-mokrat der Profession Sozialer Arbeit nicht nur ein wissenschaftliches Fun-dament, sondern auch ein Ethos hin-terlassen hat, für das wir ihm zu gro-ßem Dank verpflichtet sein können. Sabine Hering

SOZIALARBEIT UND SOZIALPÄDAGOGIK SIND

KEINE ZWEI VERSCHIEDENEN BERUFE UND AUCH

KEINE ZWEI VERSCHIEDENEN FÄCHER.

BEIDES IST NUR ALS EINHEIT ZU VERSTEHEN.

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