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SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Musikstunde
Meeresrauschen und
Vogelgezwitscher (5) Naturlaute in der Musik – Katzen und
Hunde, Insekten und anderes Getier
Von Silke Leopold
Sendung: Freitag, 21. August 2015 9.05 – 10.00 Uhr
Redaktion: Bettina Winkler
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
Mitschnitte auf CD
von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Musik sind beim SWR Mitschnittdienst
in Baden-Baden für € 12,50 erhältlich. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030
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Meeresrauschen und Vogelgezwitscher:
Naturlaute in der Musik
Freitag: Katzen und Hunde, Insekten und anderes Getier
Signet 0'05
Kein Meeresrauschen und Vogelgezwitscher, sondern Katzen und
Hunde, Insekten und anderes Getier bevölkern die Musikstunde
über Naturlaute heute. Im Studio begrüßt Sie Silke Leopold.
Indikativ
Haben Sie, meine Hörerinnen und Hörer, schon einmal eine Libelle
gehört? Nicht gesehen, sondern gehört? Wenn nicht, dann haben
Sie hier Gelegenheit dazu. In der Ouvertüre zu Leos Janáčeks Oper
Das Schlaue Füchslein tanzen die blaue Libelle und die Fliegen ein
Ballett, und der Dachs steckt den Kopf aus seinem Bau und schaut
zu. Das alles spielen jetzt die Wiener Philharmoniker unter Leitung
von Charles Mackerras.
Decca 475 8670 CD 1 track 1 3‘19
Leos Janáček
Das Schlaue Füchslein: Prelude
Wiener Philharmoniker
Sir Charles Mackerras
Unsere Musikstundenwoche über Naturlaute geht zu Ende, und
heute soll es noch einmal um Tierstimmen gehen, nicht um Vögel,
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sondern um Katzen, Hunde, Insekten und anderes Getier. Der liebe
Gott hatte sie ja alle erschaffen, den stolzen Adler, die Walfische,
Löwen und Tiger, Insekten und Schlangen und so fort. Joseph
Haydn hat ihnen in seinem Oratorium Die Schöpfung eine Stimme
zu geben versucht: Da brüllt der Löwe, das Rind grast auf grüner
Weide, und das Gewürm kriecht sozusagen in Schlangenlinien auf
dem tiefen Boden herum. Von seinen Zeitgenossen wurde Haydn
für diese vermeintlich naive Tonmalerei auch kritisiert. Dabei ahmt
er keineswegs nur die Tierstimmen nach, sondern etwa auch ihren
Bewegungsgestus oder die ländliche Idylle, in der sie zu finden
sind, wie etwa das Rind, das Haydn nicht muhen lässt, sondern mit
dem pastoralen Gestus des Siciliano umgibt.
Accent ACC 58228/29 CD 2 track 2 3:30
Joseph Haydn
Die Schöpfung: Gleich öffnet sich der Erde Schoß
Philipp Huttenlocher, Bass
La petite bande
Sigiswald Kuijken
Philippe Huttenlocher sangt das Rezitativ des Raphael „Gleich
öffnet sich der Erde Schoß“ aus Joseph Haydns Schöpfung,
begleitet von La petite bande; die Leitung hatte Sigiswald Kuijken.
Kehren wir noch einmal zu den Insekten zurück. Fliegen haben wir
ja schon in Janáčeks Schlauem Füchslein gehört. Sie spielen auch
in der Bibel eine wichtige Rolle, genauer gesagt unter den Plagen,
die der Gott Israels den Ägyptern schickt. In seinem Oratorium Irael
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in Egypt hat Georg Friedrich Händel den Fliegen, den Läusen und
den Heuschrecken ein musikalisches Denkmal von großer
Eindrücklichkeit gesetzt. Die Worte der Bibel, vom Chor
vorgetragen, werden von Zweiunddreißigstelfigurationen in den
Streichern umspielt, die das Flirren der Fliegenflügel so recht hörbar
machen.
Cpo 777 222-2 CD 1 track 8 2:31
Georg Friedrich Händel/ arr. Felix Mendelssohn Bartholdy
Israel in Ägypten: Er sprach das Wort
Rheinische Kantorei
Das Kleine Konzert
Hermann Max
Sie hörten den Chor „Er sprach das Wort aus Händels Israel in
Ägypten in der Bearbeitung von Felix Mendelssohn Bartholdy.
Hermann Max dirigierte die Rheinische Kantorei und das Kleine
Konzert.
Das berühmteste Insekt der Musikgeschichte ist aber wohl ohne
Zweifel die Hummel. In seiner Oper Das Märchen vom Zaren Saltan
hat Nikolai Rimsky-Korsakov eine Orchesterzwischenspiel
komponiert, zu dessen Klängen eine Hummel umherfliegen kann.
Diese Hummel ist niemand anderes als der Fürst Gwidon, der von
der Schwanenfee auf eigenen Wunsch verwandelt wird, damit er
unerkannt übers Meer fliegen kann. In der deutschen Übersetzung
liest sich das so: „Nur der Körper wird verkleinert und zur Hummel
du verfeinert.“ Was also ursprünglich die Begleitmusik zu einer
Bühnenhandlung war, hat sich seit der Uraufführung 1900 zu einem
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virtuosen Zugabenstück verwandelt, in ungezählten
Bearbeitungen für nicht minder zahllose Instrumente, und es
werden immer neue Geschwindigkeitsrekorde aufgestellt. Hier
hören Sie jetzt eine vokale Bearbeitung für die King’s Singers.
M0 075694 1:10
Nikolai Rimsky Korsakov (Bearb. Daryl Runswick)
Hummelflug
The King’s Singers
Überlassen wir nun die Insekten ihrem Schicksal und wenden uns
den Hunden zu. Da gibt es erstaunliche Ideen, auf die die
Komponisten so im Laufe der Jahrhunderte gekommen sind. Zum
Beispiel Leopold Mozart. Seine Sinfonia da caccia, seine
Jagdsinfonie, enthält zwar kein komponiertes Hundegebell, aber in
einem Stimmensatz zu dieser Sinfonie findet man folgende
Spielanweisung: „Erstlich müssen die Hörner ganz rau geblasen
werden wie es nämlich bei der Jagd gewöhnlich ist. Dann soll man
etliche Hunde haben, die bellen, die übrigen aber schreien Hoho
etc. Aber nur fünf Takte lang.“ Wie man Hunde dazu bringt, bei
der Aufführung einer Sinfonie auf Kommando zu bellen und wieder
still zu sein, bleibt Leopold Mozarts Geheimnis.
CPO 999 942-2 CD track 1 4‘59
Leopold Mozart
Sinfonia da caccia: 1. Satz Vivace
L’Orfeo-Barockorchester – Michi Gaigg
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Das war der erste Satz aus Leopold Mozarts Jagdsinfonie, hier
ohne Hundegebell, gespielt vom L’Orfeo-Barockorchester unter
Leitung von Michi Gaigg.
Mozart wollte seine Sinfonie von echtem Hundegebell begleiten
lassen. Komponiertes Hundegebell findet sich dagegen schon
erstaunlich früh in der Musikgeschichte. Im 14. Jahrhundert erfreute
sich in Italien eine musikalische Form großer Beliebtheit, die sich
„Caccia“, also Jagd, nannte. Sie hieß aus zwei Gründen so:
Satztechnisch waren diese Cacce Kanons, d.h. eine Stimme jagte
die andere. Zum anderen aber erzählten diese Cacce Jagd- oder
Marktszenen mit viel Durcheinander. In der Caccia „Segugi a
corda“ bellen denn auch die Hunde – auf italienisch baff, ba-uf,
baba-uf – und werden dann zur Ordnung gerufen. Das alles kann
man deutlich hören, und es ist wohl das erste Hundegebell in der
europäischen Kompositionsgeschichte.
Arcana A 29 CD track 5 3:04
Magister Pietro
Segugi a corda
Ensemble La Reverdie
Jagdlärm mit Hundegebell interpretiert vom Ensemble La
Reverdie.
Ein Hund spielt auch in Adriano Banchieris Contrapunto bestiale
alla mente eine tragende Rolle. Außerdem treten auf: Eine Katze,
ein Kuckuck und eine Eule. Das Ganze war als musikalischer Spaß
für die Unterhaltung am Faschingsdonnerstag gedacht und
erschien 1608 in der Sammlung Festino nella sera del Giovedì
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grasso im Druck. Banchieri war Benediktinermönch und
Musiklehrer, und zu seinen Aufgaben gehörte sicherlich auch der
sogenannte Contrapunto alla mente, also die Fähigkeit, einen
polyphonen Satz über einem gegebenen Cantus firmus zu
improvisieren. In dem Contrapunto bestiale alla mente nahm
Banchieri sich und alle, die diese Fertigkeit lernen und beherrschen
mussten, auf die Schippe.
Opus 111 OPS 30-137 CD track 18 1:43
Adriano Banchieri
Contrapunto bestiale alla mente
Concerto italiano
Rinaldo Alessandrini
Das Ensemble Concerto italiano bellte und miaute in Banchieris
Contrapunto bestiale alla mente, und diese Hunde waren
sicherlich die komischsten von allen in der Musikgeschichte.
Ansonsten konnten Hunde auch etwas eher Bedrohliches haben;
in Franz Schuberts Winterreise sind sie in mehreren Liedern präsent
und niemals auch nur ansatzweise komisch – zu Beginn, wenn die
irren Hunde heulen, und am Schluss, wenn die Hunde um den
Leiermann herum knurren. In dem 17. Lied des Zyklus, Im Dorfe, hat
Schubert den Hunden gar ein musikalisches Denkmal gesetzt. Die
ersten Zeilen des Gedichts, Es bellen die Hunde, es rasseln die
Ketten, liefern den Stoff für die Klavierbegleitung des Liedes, in
dem es um den einsamen Wanderer im nächtlichen Dorf geht, wo
alle schlafen und träumen.
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Die dumpfen Akkorde und die raschen Wechselnoten im Bass
stehen für die Hunde, die dem Wanderer das Eintauchen in
eigene Träume verwehren. Diese Hunde sind alles andere als lustig.
M0 352289 2:53
Franz Schubert
Die Winterreise: Im Dorfe
Christoph Prégardien, Tenor
Michael Gees, Klavier
Das war Im Dorfe aus Schuberts Winterreise mit Christoph
Prégardien und Michael Gees. Nach den Hunden dürfen nun die
Katzen nicht fehlen. Eine hatten wir ja schon in Banchieris
Contrapunto bestiale gehört, und wenn Sie sich an Heinrich Ignaz
Franz Bibers Sonata representativa vom Dienstag erinnern: Da
kamen ja auch nicht nur viele Vögel vor, sondern auch eine Katze.
Katzen sind in der Musikgeschichte fast immer komisch, und die
bekanntesten dürften wohl das Gioacchino Rossini
zugeschriebene Katzenduett bilden. Das ist allerdings nicht von
Rossini selbst, aber es benutzt Material aus Rossinis Oper Otello.
Dieses Katzenduett ist ein überaus beliebtes Zugaben- und
Präsentationsstück, und die witzigste Version ist für mich immer
noch die mit Elisabeth Schwarzkopf und Victoria de los Angeles,
die das Duett in einem ihrem Begleiter Gerald Moore gewidmeten
Konzert gesungen haben – viel sängerischer und lässiger als alle
Interpretationen, die danach kamen, und man kann nur an dem
Gelächter des Publikums hören, dass es da offensichtlich auch
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noch etwas zu sehen gab. Hier nun also der legendäre Mitschnitt
des Konzerts aus dem Jahr 1969.
0131744 3:05
Gioacchino Rossini
Katzenduett
Elisabeth Schwarzkopf, Victoria De los Angeles
Gerald Moore, Klavier
Katzen gehören auch zum Personal des Märchens und der
wundersamen Kindergeschichten, wie etwa der Gestiefelte Kater
bei den Brüdern Grimm oder die Grinsekatze aus Alice im
Wunderland, und auch in Colettes L’enfant et les sortilèges zu
Deutsch: Das Kind und der Zauberspuk gibt es zwei Katzen, eine
drinnen bei dem Kind, eine andere im Garten, und ihr Duo miaulé
gehörte von Anfang an zu den bekanntesten Stücken dieses
Werks, das irgendwo zwischen Oper und Ballett angesiedelt ist.
Colette schrieb den Text als „Ballett für meine Tochter“ im Jahre
1916, und Ravel vertonte ihn später. 1925 wurde das Werk dann
uraufgeführt.
EMI 9 48209 2 CD 1 track 5 (ab 1:50) 2:57
Maurice Ravel
L’enfant et les sortilèges: Duo miaulé
Susan Dwenny Wyner, Sopran
Linda Finnie, Sopran / Philippe Huttenlocher, Bass
London Symphony Orchestra
André Previn
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Das Duo miaulé aus Ravels L’enfant et les sortilèges sangen Susan
Dwenny Wyner als Kind, Linda Finnie und Philippe Huttenlocher als
Katzen. Außerdem hören Sie das London Symphony Orchestra. Es
dirigierte André Previn.
Naturlaute sind das Thema der Musikstunde in dieser Woche,
Tierstimmen stehen heute auf unserem Programm, und von den
Katzen begeben wir uns nun zu Tieren, die auch nicht unbedingt
für ihre Musikalität bekannt sind. Trotzdem haben sie in der
Musikgeschichte eine nicht unwesentliche Rolle gespielt – die
Frösche nämlich. Georg Philipp Telemann mixte sie gleich noch mit
anderen ebenfalls eher unmusikalischen Tieren, den Krähen
nämlich.
Chandos CHAN 0547 CD track 19 3:00
Georg Philipp Telemann
Alster Ouvertüre:
Die concertierenden Frösche und Krähen
Collegium Musicum 90
Simon Standage
Das Collegium Musicum 90 unter Leitung von Simon Standage
spielte „Die concertierenden Frösche und Krähen“ aus Telemanns
Alster-Ouvertüre.
Die Frösche betraten die musikalische Bühne erstmals wohl im
Jahre 1625, oder genauer: Nicht die Frösche selbst, sondern die
Nymphen des Froschteichs. In dem großen Manuskript mit
Ballettmusik für den französischen Hof, das der Hofmusiker und
Bibliothekar André Danican Philidor Anfang des 18. Jahrhunderts
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anlegte, findet sich ein Ballet du Roy mit einem Tanz der Nymphen
der Grenouillère, und man fragt sich, was es mit dieser
Grenouillère, also dem Froschteich wohl auf sich haben könnte.
Vielleicht ist es ja nicht irgendein Froschteich, sondern die Stelle
östlich von Paris, die später Claude Monet in einem Gemälde
verewigt hat, eine flache, nur träge dahinfließende Stelle der
Seine, in der sich sicherlich die Frösche getummelt haben. Dieses
Ballett spielt jetzt die Capella de la Torre unter Leitung von
Katharina Bäuml.
Sony 88875062002 CD track 17 4:08
Anonym
Le nymphes de la Grenouillère
Capella de la Torre
Katharina Bäuml
Die Frösche sollen auch in unserer letzten Musik noch einmal zu
Wort kommen, allerdings si es besondere Frösche. In seinen
Metamorphosen hatte Ovid die Geschichte von der Verwandlung
der lykischen Bauern in Frösche erzählt. Die Göttin Leto war mit
ihren neugeborenen Zwillingen Apollo und Artemis, Kinder des
Zeus, auf der Flucht vor Hera, der eifersüchtigen Gemahlin des
Zeus, nach Lykien gelangt. Dort wollte sie aus einem See trinken,
doch die Bauern verwehrten es ihr und wirbelten sogar den Grund
des Sees auf, so dass das Wasser untrinkbar wurde. Leto flehte Zeus
um Hilfe an, der die Bauern daraufhin in Frösche verwandelte und
ihnen damit ein Leben in dem Sumpf verordnete, den sie der
durstigen Leto bereitet hatten. In den 1780er Jahren komponierte
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Carl Ditters von Dittersdorf in Wien eine Reihe von Sinfonien nach
Ovids Metamorphosen und ließ sie auch drucken. Unter ihnen
befindet sich eine mit der Verwandlung der lykischen Bauern in
Frösche, und das kann man am Ende des letzten Satzes sehr
deutlich hören. Auch Dittersdorf wurde wie später Joseph Haydn
für diese musikalische Malerei von Zeitgenossen kritisiert, die eher
auf die nicht programmatische, die absolute Musik setzten. Der
Göttinger Bach-Biograph Nikolaus Forkel bezeichnete das
Froschgequake am Ende der Sinfonie grämlich als „Kindereyen“.
Urteilen Sie selbst, liebe Hörerinnen und Hörer.
CAL 50 885/86 CD 2 track 8 6:01
Karl Ditters von Dittersdorf
Metamorphosen-Symphonien:
Die Verwandlung der lykischen Bauern in Frösche:
4. Satz Finale
Wiener Sinfonietta
Kurt Rapf
Unsere Sendung ging zu Ende mit der Verwandlung der lykischen
Bauern in Frösche aus Dittersdorfs Metamorphosen-Symphonien.
Kurt Rapf dirigiert die Wiener Sinfonietta. Naturlaute aus der
belebten und der unbelebten Natur haben uns eine Woche lang
begleitet. Aus dem Studio verabschiedet sich Silke Leopold.