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Ändert die Digitalisierung die Aufklärung?

Hermann MaurerTechnische Universität Graz

Vortrag für die Tagung: Aufklärung - Sapere aude! Habe Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen!Internationaler Kongress für Kinderphilosophie19. - 22. 10. 2017 Graz, Meerscheinschlössl

Vortrag bei Austria-Forum.org mit Suche GrazNovember2017 als PDF abrufbar

Aufklärung: Die schon ab ca. 1700 einsetzende Bewegung zu versuchen, durch rationales Denken auf der Basis des eigene Verstandes gegen behindernde Strukturen vorzugehen, wie es auch im Motto dieser Tagung "Sapere aude!“ (Wage zu denken!) heißt.

Durch Wissen und Denken soll man Antworten auf Fragen finden und Zweifel, Vorurteile oder falsche Annahmen ausräumen, auch gegen den Widerstand von Tradition und Gewohnheitsrecht.

Es wird also die menschliche Vernunft als Basis für jedes Handelns erklärt, was philosophisch auch als Rationalismus von „Ratio“ für Vernunft gesehen werden kann.

Damit richtet man sich gegen übertriebene Religion, Mystik, jedes Feudal- oder Kastensystem, gegen die oft untergeordnete Stellung der Frauen, gegen Gehirnwäsche durch Werbung, gegen Modeströmungen, usw.

Ich bin überzeugt, dass unser Verstand unsere Handlungen leiten soll, aber den Fortschrittsglauben (der auch oft mit der traditionellen Aufklärung verbunden war) kann man sehr wohl kritisieren.

Schon das Wort „Fortschritt“ ist verdächtig: Wovon schreiten wir fort? Ist neue Technologie ein Fortschritt oder eine von der Wirtschaft diktierte Bewegung, die nur Bedürfnisse weckt, die man gar nicht hatte?

Erlauben Sie mir, Sie an dieser Stelle mit für mich sehr prägenden Erlebnissen zu belästigen.

(a) Nepal war Anfang der 1960 er Jahre ein glückliches Land. Der Fortschritt hat das zerstört. (Nämlich vor allem die Elektrifizierung und die Medien, womit viele Bedürfnisse erst geweckt wurden.)

(b) Entfernte Regionen in Sibirien hatten/ haben keine Ahnung von modernen Errungenschaften. Gut so. (Sie haben keine Zugang zu Medien, wissen daher vieles nicht: Es geht ihnen daher nichts ab)

(c) Auf der Insel A1 in Vanuatu kannte man die Begriffe Arbeit, Geld, Kleidung bis vor 20 Jahren nicht, dann ist der Krebs der westlichen Zivilisation auch dort ausgebrochen. (Heute gibt es dort Ressorts, wo die Einheimischen die „Segnungen“ der westlichen Welt und extremen Luxus sehen und das nun auch alles haben wollen.)

Pandora konnte ihre „Pandora‘s Box“ nicht mehr schließen, bis alles bis auf die „Hoffnung“ entflohen war.

Auch Wissen kann- wenn einmal bekannt- nicht mehr zurückgenommen werden.

Nebenstehendes Bild stammt von John William Waterhouse (1849- 1917) und ist daher weltweit in Public Domain.

Nicht umsonst heißt ein SF Roman von mir „Im Banne des Wissens“: Wissen ist gefährlich.

Ich möchte Sie gerne davon überzeugen, dass wir den Fortschritt sehr vorsichtig betrachten müssen:--- Machen uns technische Gags wirklich glücklicher?--- Wir hatten 1940 2,3 Milliarden Menschen auf der Welt, heute sind es 7,5

Milliarden, 2050 werden es mehr als 10 Milliarden sein--- Politiker reden von 2% Wachstum als Voraussetzung für Rückgang der

Arbeitslosigkeit: erstens ist eine dauernde 2% Erhöhung mathematisch unmöglich; zweitens: heute ist die Jahresdurchschnittsarbeitszeit 1600 h,mein Großvater arbeitete 3200 h pro Jahr; die Zahlen werden durch Automatisierung weiter schrumpfen

-- Was wir brauchen ist eine Neuverteilung von Arbeit und Wohlstand

Ich möchte Sie aber auch überzeugen, dass wir die Aufklärung im Sinne von „setzen wir unser Hirn ein“ genau so dringend brauchen wie im Zeitalter der Aufklärung, denn:

--- Kennen Sie nicht radikale Religionen und Sekten die jenseits jeder Vernunft agieren?

--- Kennen Sie nicht persönlich Menschen, die auf WunderheilerInnenvertrauen?

--- Kennen Sie nicht persönlich Menschen, die einer Wunderdiät vertrauen?--- Kennen Sie nicht persönlich Menschen, die an Telepathie, Telekinese,

Horoskope und Wünschelrutengehen glauben?--- Kennen Sie nicht persönlich Menschen, die wirklich an das glauben, was

in ihrer Zeitung steht?--- Kennen Sie nicht persönlich Menschen, die an das Vorwahlverspechen

eines Politikers glauben?--- ….

Brauchen diese Menschen nicht dringend die Aufklärung, einen Anstoß, selbst zu denken und Fragen zu stellen? Die Aufklärung ist so aktuell wie immer, nur haben sich die Möglichkeiten sehr geändert. Das ist der wirkliche Kern meines Vortrags.

Aufklärung vor der Zeit der neuen Medien (Radio, Fernsehen, WWW):

--- Über Bücher aus angesehenen Verlagen und angesehener Feder--- Über Lehrveranstaltungen an Bildungsinstitutionen

(Unis, Urania, Volkshochschulen, …) --- Über persönliche freie Diskussionen mit Personen, die man schätzte--- Über hochwertige Lexika (Brockhaus, Meyer, Britannica, Larousse, …)--- Über anerkannte Zeitungen/Zeitschriften--- Über Vereinigungen, denen man einigermaßen vertrauen konnte

(Große Museen, Ausstellungen, National Geographics, …)--- …

Gefahren: Zensur durch Staat (Diktaturen), Gruppeninteressen, Vorgesetzte, Lehrkräfte, religiöse Institutionen, vorgefasste Meinungen (zu Frauen, Ethnien, …), Einfluss der Werbung

Aufklärung in der Zeit der neuen Medien Radio und Fernsehen:

Wie vorher, ergänzt durch diese neue Medien, deren Fragwürdigkeit aber oft durch Zensur, politische Einflussnahmen und Werbung zunahm.

In wie vielen Ländern gibt es nach Gesetz von der Politik einen unabhängigen Rundfunk / ein solches Fernsehen. Aber: wo gibt es das wirklich, auch wenn man von grässlichen Ausnahmen wie die Propagandamaschinen der Nazis oder der Sowjetunion absieht?

Verstärkt wurde die Unglaubwürdigkeit von Medien, wie Tageszeitungen, durch das manchmal offen zugegebene Credo: „Uns interessiert die Wahrheit unserer Nachrichten nicht, sondern nur, ob unsere Leser dadurch unser Produkt kaufen.“

Und dann kam das WWW und verstärkte das noch!

Aufklärung in der Zeit des WWW:

Das Wissen kommt nicht mehr vorwiegend aus einigermaßen verlässlichen Buchquellen , sondern über die Medien (Zeitschriften, Radio, Fernsehen), Kommunikation über Smartphones und das Internet mit seinen über eine Milliarde Websites und zahlreichen „social networks“. Damit ist die Verbreitung von Wissen leichter und schneller geworden. Stichwort: „Demokratisierung des Wissens“.Das führt zu großen Gefahren: Das Internet erlaubt es allen Menschen ihreMeinung zu sagen, egal wie obskur oder falsch. „Social networks“ (vor allem Facebook) führen zur Wissensweitergabe nicht von erfahrenen zu weniger erfahrenen Menschen, sondern zum Wissensaustausch in bestimmten Gruppen.Dazu gehört die Dominanz einer potentiell gefährlichen „Schwarmintelligenz“, wie das Ferdinand von Schirach in seiner Rede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele 2017 formulierte:

„Das Internet hat das Gefüge der Demokratie verändert“, sagte von Schirach (…). Nie zuvor hätten die Menschen so deutlich ihre Stimme erheben können; aus früheren Empfängern sind durch Soziale Medien nun auch Sender geworden. „Die Wähler sollen unmittelbar an den Entscheidungen beteiligt werden, die Bürger wüssten am besten, „was ihr Staat“ braucht, (...) keine Mittler sollen mehr zwischen den Bürgern und der politischen Entscheidung stehen (...) und Volksentscheide in großem Umfang möglich werden“, skizzierte von Schirach die von der „Schwarmintelligenz“ geprägte Gehirnwäsche.

Eine ungefährliche Entwicklung?

Wie ist das entstanden? Professor Britta Schinzel fasst es (hier sehr verkürzt) so zusammen:

„In Vorgängersystemen des WWW“ (sie meint damit BTX (1) „gab es die Möglichkeit, Seiten mit minimalen Gebühren zu belegen. Z.B. wurde das gesamte Meyer Lexikon angeboten, pro Seite mit ½ Euro Cent. Der Betrag war einerseits so gering, dass er keine Benutzer abhielt, die Seite anzusehen, umgekehrt konnte sich so das Redaktionsteam Meyer finanzieren.“

Und hochwertige Zeitschriften kämpfen verzweifelt um das Überleben im WWW, siehe dazu etwa den Beitrag über IoT von Schinzel (2).

Berners-Lee verstand von Vergebührungsmöglichkeiten in BTX zu wenig (denn WWW war zunächst nur auf die Verbreitung von Physikberichten ausgelegt). Er fügte damit dem WWW leider einen bleibenden Schaden zu, weil sich dadurch alle kommerziell finanzierten hochwertigen Informationsanbieter aus dem WWW zurückziehen mussten, von Meyer zu Brockhaus, von der Britannicazu Larousse, usw.

DatenkapitalismusIch glaube dieser Begriff stammt von Britta Schinzel. Weil es außer Werbung und Verwendung persönlicher Daten keine Möglichkeit gibt, aus einem Web-Angebot Gewinn zu erzielen gibt es zwar über eine Milliarde Websites, aber nur wenige verlässliche.

(Hier wäre vielleicht ein internationales Projekt, das Websites nach ihrer Verlässlichkeit einstuft, sinnvoll).

Ein Versuch, hier eine Liste zu erstellen kann nur scheitern.

Aber einige grundlegenden Kriterien mögen doch interessant sein.

Einige Kriterien für verlässliche WWW Sites--- Sites von anerkannten gemeinnützigen Organisationen, wie von der Nobelpreisstiftung oder ähnliche Stiftungen, von bekannten Akademien, von der UNESCO, der WHO, der Worldbank, große nationale Statistikserver, die Sites großer Museen oder übergreifend die Europeana, das Factbook der CIA, u.v.m. fallen in diese Kategorie.

--- Natürlich gehört die Wikipedia dazu, vor allem die englische Version. Kritischan der Wikipedia kann angemerkt werden: Die Beiträge sind weitgehend anonym (der Grund ist, dass sich nachweisbar Autorenteams hinter der Anonymität verstecken können); weniger als 25% der Beiträge stammen von Frauen; liberal/demokratische Einträge überwiegen; auf die Integration von Büchern wird (für mich unverständlich verzichtet).--- Die angeführten Schwachstellen der Wikipedia haben mich veranlasst, ein System aufzubauen, dass einige dieser Schwachstellen beseitigt: das im Folgendem kurz vorgestellte Austria-Forum.org.

Die Grundphilosophie des Austria-Forums als verlässliche Wissensquelle und einige Beispiele.

Ziel des Austria-Forums: (1) Allgemein verständliches, interessantes , qualitätsgeprüftes Wissen ohne Tagesaktualität, das vorwiegend für die deutschsprachige Welt von Interesse ist (2) Dialog mit Benutzern, schon bevor man eine Suche beginnt(3) Interaktives Arbeiten in „Labors“, zurzeit vorwiegend im

geographischen Bereich(4) Im geographischen Bereich Betonung auf gut erklärten Bildern,

landestypischen Berichten, Betonung von Kultur (Preisträgern, UNESCO Heritage Sites, Nationalparks, usw.)

Es folgt nun eine kurze Behandlung obiger Punkte.

Dialog mit Benutzern, schon bevor man eine Suche beginnt

Wenn man die Blume Enzian sucht, dann will man nicht den Schnaps Enzian, oder die Flieger Abwehrrakete Enzian, oder Hotels mit Enzian im Namen finden. Also klickt man „Natur“.

Auf dieser Seite Natur wählt man Flora. Dann sucht man Enzian und erhält:

Wie erreicht das Austria-Forum qualitätsgeprüftes Wissens?

--- Über 160 ehrenamtliche Mitherausgeber schreiben Beiträge unter ihrem Namen und können kontaktiert werden

--- Beiträge kommen von bekannten Journalisten, wenn das Zeitungen und Verlage gestatten

--- Die kostenlos lesbare Bibliothek von Büchern und Journalen wird durch neue Bücher / Journale andauernd erweitert, wobei es möglich ist, von jeder Web-Seite auf jede Buch-Seite zu verlinken und umgekehrt

Wichtig: Man kann auf „Diem“ klicken und bekommt damit sein CV

usw.

Bekannter österreichischer Journalist

Wenn man nach Mozart sucht bekommt man den„üblichen“ Beitrag, aber dann viel mehr:Musikproben, Videos, Sachbuch, Konzerte

Dieser Link in einem Buch führt zu einem WWW Beitrag über das Hochtor

Typischer Beitrag unter „Geography“ bei denPhilippinen

Küstenstrichin Taiwan

Eine typische Geschichte über Armenien

Die Fläche des kontinentalen Frankreichs variiert stark von Datenbank zu Datenbank !!!

Man wählt beliebige Länder und Eigenschaften und manerhält einen Bericht!

Bericht zeigt Nobelpreisträgerdichte, d.h. Anzahl der Nobelpreisträger pro 1 Million EW in einem Land (links) und dieAnzahl der Nobelpreisträger rechts.

Oben steht, wie Nobelpreisträger einemLand zugeordnet werden: Nach Ort derGeburt, wenn dieser heute noch in diesem Land liegt.

Bevölkerungsentwicklung mit Knick 1990 (Lösung von Sowjetunion)

Israel hat seit 1990 4 Millionen Flüchtlinge(vorwiegend aus Ex-Sowjetrepubliken)aufgenommen und damit seineBevölkerungsdichte verdoppelt.Heute: Stelle 13 weltweit beiBevölkerungsdichte!

ZusammenfassendDas Ziel der Aufklärung: Mythen, Gerüchten, Gewohnheiten, Ungleichheiten mit der Kraft unserer Hirne und des Wissens entgegen zu wirken ist durch die umfassende Verfügbarkeit von Informationen im WWW überraschender Weise nicht einfacher geworden, weil die Informationen oft falsch und widersprüchlich sind.

Es gibt aber Versuche, Server aufzubauen, die verlässlichere Informationen anbieten. Ich freue mich und bedanke mich, dass ich einen solchen Versuch, das austra-forum.org, vorstellen durfte.

Bitte einmal bei https://austria-forum.org/af/Highlights vorbeischauen!Danke! Ihr Hermann Maurer, hmaurer@iicm.edu

Literatur: (1) https://austria-forum.org/af/AEIOU/BTX_und_MUPID(2) https://austria-forum.org/af/AEIOU/IoT

Die Folien des Vortrags als PDF liegen unter https://austria-forum.org/af/live/Internationaler_Kongress/Programm/Hermann_MaurerOder im austria-forum.org mit Suche GrazNovember2017 als PDF abrufbar!