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Newsletter Nerventumoren – Diagnostik und Therapie Definition eines Nerventumors Nerventumoren gehen von den Hüllstrukturen eines peripheren Nervs (z.B. Schwannzellen, Fibroblasten, Perineurialzellen, Glomuskörperchen) aus und können alle Nerven am Körper betreffen. Bezirkskrankenhaus Günzburg Klinik für Neurochirurgie Sektion „Periphere Nervenchirurgie“ II/2018 Abbildung 1: Schwannom (A) und Neurofibrom (B) im Längsschnitt nach Eröffnung des Epineuriums und der Tumorkapsel. Beim Schwannom erkennt man einen zu- und abführenden Faszikel, während beim Neurofibrom mehrere funktionstragen- de Faszikel durch den Tumor verlaufen. A B

Nerventumoren – Diagnostik und Therapie · Experimental Dermatology 28 (4), 2003 4. Peer S, Bodner G: „High-Resolution Sonography of the Peripheral Nervous System“. Springer,

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Page 1: Nerventumoren – Diagnostik und Therapie · Experimental Dermatology 28 (4), 2003 4. Peer S, Bodner G: „High-Resolution Sonography of the Peripheral Nervous System“. Springer,

Newsletter

Nerventumoren – Diagnostik und Therapie

Definition eines Nerventumors

Nerventumoren gehen von den Hüllstrukturen eines peripheren Nervs (z.B. Schwannzellen, Fibroblasten, Perineurialzellen, Glomuskörperchen) aus und können alle Nerven am Körper betreffen.

Bezirkskrankenhaus Günzburg

Klinik für Neurochirurgie

Sektion„Periphere Nervenchirurgie“II/

2018

Abbildung 1: Schwannom (A) und Neurofibrom (B) im Längsschnitt nach Eröffnung des Epineuriums und der Tumorkapsel. Beim Schwannom erkennt man einen zu- und abführenden Faszikel, während beim Neurofibrom mehrere funktionstragen-de Faszikel durch den Tumor verlaufen.

A B

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Einteilung der Nerventumoren

Benigne periphere Nervenscheidentumoren (BPNST)

• Schwannome (syn. Neurinom)

Diese werden dem WHO Grad I zugeordnet. Sie gehen von den Schwannzellen eines einzigen Faszikels aus und wachsen verdrängend. Die sporadische Form tritt mit einer Inzidenz von 2:100 000 auf (1). Bei Schwannomatosen finden sich multiple Tumoren (2). Eine seltene Form stellt das plexiforme Schwannom dar, bei dem die Tumormasse zwischen den Faszikeln des Nervs langstreckig wächst (3).

• Neurofibrom

Auch diese werden dem WHO Grad I zugeordnet und sind ähnlich häu-fig wie Schwannome und machen ca. 5% aller Weichteiltumoren aus (6). Bei Patienten mit Neurofibromatose treten meistens Neurofibrome auf. Auch bei dieser Entität gibt es einen plexiformen Typ. Der entscheidende Unterschied zum Schwannom besteht darin, dass mehrere Faszikel tumor- und funktionstragend sind, was die operative Präparation und Entfernung dieser Tumoren erschwert.

• Intraneurales Perineuriom

Bei dieser Entität handelt es sich um eine seltene neoplastische Proliferation perineuraler Zellen, welche vor allem intraneural in Längsrichtung des be-troffenen Perineuriums wachsen. Sie gelten als benigne, bis dato wurde noch keine Malignisierung beschrieben (5).

In den letzten Jahren werden Mischtumoren (Hybridtumoren) in der Lite-ratur beschrieben. Diese Tumoren können Anteile von Schwannomen, Neurofibromen und Perineuriomen enthalten.

Maligne periphere Nervenscheidentumoren (MPNST)

Diese Tumoren werden nach der WHO-Klassifikation abhängig vom Ausmaß der Entdifferenzierung in die Grade II, III und IV eingeteilt. Sie weisen eine mit dem Grad steigende Zelldichte auf. Bereits MPNST vom Grad II wachsen diffus

Dr. med. univ. Markus Schmidhammer, Dr. med. Ute Bäzner, Prof. Dr. med. Gregor Antoniadis

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nach endo- peri- und epineural, sowie in die an den Nerv angrenzenden Strukturen. Metastasen treten zumeist pulmonal, aber auch in Leber, Gehirn und Knochen auf (5). Die Inzidenz der sporadischen Form beträgt 0,001%.

Seltene Nerventumoren

• Lipomatöse Nerventumoren

• Glomustumoren

• Nervenscheidenmyxome

• Neurolymphome

• Intraneurale Hämangiome

• Inflammatorische Pseudotumoren

• Amyloidome

• Ganglioneurome

Tumoren mit Bezug zu peripheren Nerven

• Metastasen

• Neurolymphomatosen

• Aggressive Fibromatosen (syn. Desmoide)

• Hämangioperizytome

• Solitäre fibröse Tumoren (SFT)

Diagnostik

Anamnese

Häufigstes Erstsymptom sind Missempfindungen im Hautversorgungsge-biet des betroffenen Nervs. Ferner kann eine tastbare Schwellung vorlie-gen, die bei oberflächlichen Nerven schmerzempfindlich ist. Oft berichten Patienten von einer Größenprogredienz über Monate bis Jahre. Aufgrund der Vergesellschaftung mit der Neurofibromatose sollte bei der Anamnese auf die entsprechenden Stigmata geachtet werden. Diese sind > 6 Café-au-lait-Flecken, axilläres/inguinales „freckling“ (Sommersprossen), Lisch-Knötchen der Iris, weitere Neurofibrome, sowie eine positive Familienanamnese (2).

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Klinische Untersuchung

Palpable Tumoren sind meist zum Verlauf eines Nervs gut quer-, jedoch schlecht längsverschieblich.

Meist lässt sich ein Hoffmann-Tinel-Zeichen auslösen. Dabei kommt es beim Beklopfen des Tumors zu elektrisierenden Missempfindungen im Versorgungsgebiet des Nervs.

Manifeste Sensibilitätsstörungen, Paresen und Atrophien können bestehen, sind aber selten.

Neurophysiologische Untersuchung

Eine neurophysiologische Abklärung des/der betroffenen Nervs/en ist nur bei sensiblen oder motorischen Defiziten erforderlich.

Bildgebende Untersuchung: MR-Tomographie und Neurosonographie

Bei Verdacht auf PNST ist eine MR-Neurographie obligat. Damit können Ner-ventumoren, sowie mögliche weitere Tumoren dargestellt werden. Eine Abgren-zung von anderen Weichteiltumoren ist möglich, wodurch sich Biopsien und Re-sektionen mit falscher Technik und damit einhergehenden postoperativen Aus-fallserscheinungen vermeiden lassen. Es gibt keine harten bildgebenden Krite-rien für die Unterscheidung zwischen Schwannom und Neurofibrom. Bei einem MPNST zeigt sich eine inhomogene Kontrastmittelaufnahme mit nekrotischen Tu-moranteilen sowie eine unscharfe Begrenzung bzw. Invasion der Umgebung.

Mit der Neurosonographie können Nerventumoren ebenfalls sehr gut detektiert werden. Häufig können beim Neurofibrom Faszikel, die den Tumor durchqueren, erkannt werden. Diese werden beim Schwannom eher an den Rand gedrängt (5).

Abbildung 2: Longitudinalschnitte eines Schwannoms des N. medianus im MRT (links) und in der Neurosonographie (rechts). Man erkennt den proximalen und distalen tumortragenden Nerv (Pfeile)

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Op-Indikation

Die wichtigsten Indikationen für eine Operation sind beeinträchtigende Schmerzen und Missempfindungen, rasche Größenprogredienz, senso-motorische Defizite, zur histopathologischen Diagnosesicherung und aus kosmetischen Gründen.

Operative Techniken

Für die komplette Entfernung sind neben mikrochirurgischen Instrumen-ten ein Operationsmikroskop und eine Nervenstimulation obligat. Die in-traoperative Ableitung von Nervenaktionspotentialen und die intraope-rative Neurosonographie können in einigen Fällen sehr hilfreich sein. Bei der Operation eines Schwannoms wird eine faszikelfreie Zone am Tumor identifiziert. Nach Eröffnung des Epineuriums und der Tumorkapsel wird der Tumor unter Durchtrennung eines funktionslosen Faszikels enukleiert. Die Tumorkapsel wird nicht reseziert, da an ihr die Faszikelstrukturen fest anheften.

Bei Neurofibromen, bei denen funktionstragende Faszikel durch den Tumor verlaufen, kann in einigen Fällen der Tumor nur subtotal entfernt werden.

Offene Tumorbiopsie

Wenn klinisch und bildgebend der Verdacht auf einen MPNST besteht, sollte eine offene Biopsie durchgeführt werden. Diese wird offen in Form einer Keilexzision in einem nicht funktionellen Areal vorgenommen. Aufgrund der Heterogenität der MPNST muss die Biopsie aus mehreren Stellen entnommen werden.

Wir warnen bei benignen Nerventumoren vor perkutanen Nadel- oder Stanzbiopsien, da die Gefahr von Schädigungen nervaler Strukturen sehr hoch ist.

Epineuriotomie und Biopsie eines Faszikels

Bei Perineuriomen, aber auch bei z.B. Amyloidomen und Neurolym-phomen, ist eine Epineuriotomie (Eröffnung des Epineuriums) mit Biopsie eines befallenen und verdickten Faszikels zur Diagnosesicherung indiziert.

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Prognose

Die vollständige nerverhaltende Entfernung ohne Funktionsverlust ist unter Anwendung mikrochirurgischer Verfahren bei Schwannomen sehr gut mög-lich. Neurofibrome bei Patienten ohne neurologische Störungen können in einigen Fällen nur subtotal entfernt werden, um postoperativen motorischen und sensiblen Defiziten vorzubeugen. Diese Entscheidung kann aber der Nervenchirurg nur intraoperativ treffen.

Subkutane, kutane und intramuskuläre Neurofibrome gehen von Haut- oder Muskelästen aus, deren Verlust sich klinisch nicht relevant auswirkt.

Bei bioptisch gesicherten Perineuriomen bei 21 Patienten, die wir seit 2007 in unserer Klinik operiert haben, zeigten die jährlichen neurologischen und kern-spintomographischen Kontrollen keine Verschlechterung des neurologischen Zustandes und keine Progredienz des Tumors. Ähnliche Ergebnisse werden auch in der Literatur beschrieben (8).

Die MPNST stellen eine Herausforderung dar. Auch bei einer kompletten

Abbildung 3: 7cm großes retroperi-toneales Schwannom (MRT links). Der Tumor konnte komplett und ohne postoperative neu-rologische Ausfälle ent-fernt werden (MRT rechts)

Retroperitoneale Nerventumoren

Schwannome und Neurofibrome können auch im Retroperitoneum auftreten. Die-se Tumoren sind zumeist bereits mehrere Zentimeter groß, wenn sie entdeckt wer-den. Die Patienten haben meistens Symptome durch Kompression der retroperito-nealen Organe und selten radikuläre Schmerzen und neurologische Ausfälle. Auch diese Tumoren können funktionsschonend operativ entfernt werden. Die Eingriffe führen wir in unserer Klinik in Zusammenarbeit mit der Abdominalchirurgie durch.

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Tumorentfernung mit einem 5 cm – Sicherheitsabstand, postoperati-ver Radiatio und eventuell Chemotherapie bleibt die Prognose ungüns-tig. Das Risiko des lokalen Rezidivs schwankt zwischen 32-65%. Mit ei-ner Radiatio könnte eine lokale Tumorkontrolle erreicht werden. Die Rolle der Chemotherapie ist noch nicht ganz geklärt. Chemotherapeutika, wie Vincristin, Doxorubicin, Cyclophosphamid, Dactinomycin, Ifosfamid und Etoposid zeigten in einzelnen Fällen eine leichte Ansprechbarkeit (9).

19% der Patienten mit MPNST haben bei der Primäruntersuchung bereits Metastasen und im Laufe der ersten 12 Monaten entwickeln weitere 49% Fernmetastasen (10).

Patienten mit NF1 haben ein Lebensrisiko von 10% für das Auftreten eines MPNST. Die 5-Jahres-Überlebensrate liegt zwischen 39-60%.

Literatur

1. Sandberg AA, Stone JF: „The Genetics and Molecular Biology of Neural Tumors“. Humana Press, 2008.

2. Merker VL, Esparza S, Smith MJ: „Clinical features of schwannomatosis: a ret-rospective analysis of 87 Patients“. The Oncologist, 2012.

3. Tarasaki K, Mera Y, Uchimiya H: „Plexiform schwannoma“. Clinical and Experimental Dermatology 28 (4), 2003

4. Peer S, Bodner G: „High-Resolution Sonography of the Peripheral Nervous System“. Springer, 2008.

5. Kretschmer T, Antoniadis G, Assmus H: „Nervenchirurgie“. Springer Verlag, 2014.

6. Kransdorf MJ: „Benign soft-tissue tumors in a large referral populati-on: distribution of specific diagnosis by age, sex, and location. Am J Roentgenology, 1995.

7. Gruen JP, Mitchell W, Kline DG: „Resection and graft repair for localized hy-pertrophic neuropathy“. Neurosurgery 43 (1): 78-83, 1998

8. Mauermann ML, Amrami KK, Kuntz NL: Longitudinal study of intraneural perineu-rioma – a benign, focal hypertrophic neuropathy of youth“. Brain 132 (8), 2009

9. Bradfort D, Kim A: Current treatment options for malignant peripheral nerve sheath tumors. Curr Treat Options Oncol. Mar; 16 (3):328, 2015

10. Zou C, Smith K. D, Liu J, Lahat G, Myers S, Wang W-L: Clinical, Pathological, and Molecular Variables Predictive of Malignant Peripheral Nerve Sheath Tumor Outcome. Annals of Surgery 249 (6): 1014–1022, 2009

Dr. med. univ. Markus Schmidhammer, Dr. med. Ute Bäzner, Prof. Dr. med. Gregor Antoniadis

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Sektion „Periphere Nervenchirurgie“Leiter : Prof. Dr. Gregor Antoniadis

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Bildrechte: Markus Schönl, Günzburg (Abbildung 1) Prof. Dr. Gregor Antoniadis, Bezirkskliniken Schwaben