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FORUM Bau und Immobilie am 18.05.2006 RA Matthias Hennig, JSM Rechtsanwälte, Dresden www.jsmrae.com und Richter am OLG Dresden Frick (10. Zivilsenat) Neue Rechtsprechung des BGH zum Architekten-/Ingenieurrecht Teil I Rechtsprechung des BGH zu den sog. Teilerfolgen Urteil vom 24.06.2004 - VII ZR 259/02 und vom 11.11.2004 - VII ZR 128/03 1. Bedeutung und Anwendungsbereich der HOAI 1.1. Bedeutung der HOAI als zwingendes Preisrecht Die HOAI (Honorarordnung für Architekten und Ingenieure) ist 1977 in Kraft ge- treten und hat die früher geltende GOA (Gebührenordnung für Architekten) ab- gelöst. Nachdem die HOAI zunächst nur für die Leistungen der Architekten und Statiker (Tragwerksplaner) galt, wurde durch die 1. Verordnung zur Änderung der HOAI mit Wirkung vom 01.01.1985 ihr Anwendungsbereich auch auf die Leistungen der Innenarchitekten und der übrigen Bauingenieure erstreckt. Die HOAI ist Rechtsverordnung und findet ihre Ermächtigungsgrundlage in Art. 10 MRVG 1 . Die Vorschriften der HOAI sind damit öffentlich-rechtliche Preisvor- schriften für die Berechnung des Honorars und setzen den Bestand eines nach den Vorschriften des Bürgerlichen Rechts begründeten Anspruchs voraus. Die Preisvorschriften der HOAI dienen also als Grundlage zur Ermittlung der üb- lichen Vergütung i.S.d. § 632 Abs. 2 BGB. 1 Gesetz zur Verbesserung des Mietrechts und zur Begrenzung des Mietanstiegs sowie zur Regelung von Ingenieur- und Architektenleistungen vom 04.11.1971 (BGBl. I S. 1745).

Neue Rechtsprechung des BGH zum Architekten-/Ingenieurrecht · 11.11.2004 · Seite 6 2.1.2. Hiernach bleibt somit folgendes festzuhalten: Nach bisheriger Rechtsprechung des BGH kam

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FORUM Bau und Immobilie

am 18.05.2006

RA Matthias Hennig, JSM Rechtsanwälte, Dresden www.jsmrae.com

und

Richter am OLG Dresden Frick (10. Zivilsenat)

Neue Rechtsprechung des BGH zum Architekten-/Ingenieurrecht

Teil I Rechtsprechung des BGH zu den sog. Teilerfolgen

Urteil vom 24.06.2004 - VII ZR 259/02 und vom 11.11.2004 - VII ZR 128/03

1. Bedeutung und Anwendungsbereich der HOAI 1.1. Bedeutung der HOAI als zwingendes Preisrecht Die HOAI (Honorarordnung für Architekten und Ingenieure) ist 1977 in Kraft ge-treten und hat die früher geltende GOA (Gebührenordnung für Architekten) ab-gelöst. Nachdem die HOAI zunächst nur für die Leistungen der Architekten und Statiker (Tragwerksplaner) galt, wurde durch die 1. Verordnung zur Änderung der HOAI mit Wirkung vom 01.01.1985 ihr Anwendungsbereich auch auf die Leistungen der Innenarchitekten und der übrigen Bauingenieure erstreckt. Die HOAI ist Rechtsverordnung und findet ihre Ermächtigungsgrundlage in Art. 10 MRVG1. Die Vorschriften der HOAI sind damit öffentlich-rechtliche Preisvor-schriften für die Berechnung des Honorars und setzen den Bestand eines nach den Vorschriften des Bürgerlichen Rechts begründeten Anspruchs voraus. Die Preisvorschriften der HOAI dienen also als Grundlage zur Ermittlung der üb-lichen Vergütung i.S.d. § 632 Abs. 2 BGB.

1 Gesetz zur Verbesserung des Mietrechts und zur Begrenzung des Mietanstiegs sowie zur Regelung von Ingenieur- und Architektenleistungen vom 04.11.1971 (BGBl. I S. 1745).

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Die HOAI als Preisrecht mit vorgegebenen Honorarmindestsätzen ist in letzter Zeit zunehmend unter europarechtlichen Gesichtspunkten in die Kritik gera-ten. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Europäische Kommission mit einer Entscheidung vom 24.06.20042 in der inhaltlich vergleichbaren, belgischen Ho-norarordnung für Architekten/Ingenieure einen Wettbewerbsverstoß sah, weil auch dort den Architekten/Ingenieuren untersagt war, mit ihren Honorarforde-rungen bestimmte Mindestsätze zu unterschreiten. In dem eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren kam die Europäische Kom-mission deshalb zu dem Ergebnis, dass eine Beeinträchtigung des freien Han-dels zwischen den Mitgliedsstaaten vorlag, und zwar durch einen zu beanstan-denden Beschluss einer Unternehmensvereinigung i.S.d. Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag. Diese Entscheidung lässt sich zwar nicht unmittelbar auf die HOAI ü-bertragen, weil die belgische Honorarordnung von der dortigen Architekten-kammer erlassen war (als berufsständische Regelung), wohingegen die HOAI als Rechtsverordnung von der Bundesregierung (mit Zustimmung des Bundes-rates) in eigener Verantwortung erlassen wurde. Gleichwohl werden zuneh-mend Bedenken dahingehend geäußert, ob gerade durch die vorgegebenen Mindestsatzhonorare nach HOAI ein Verstoß gegen den freien Dienstleis-tungsverkehr vorliegt oder nicht. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass bei grenzüberschreitenden Architektenleistungen die Anbieter aus anderen europäischen Mitgliedsländern, sofern sie Architektenleistungen für Bauvorhaben in Deutschland erbringen, ebenfalls an die HOAI gebunden sind und auch durch eine Rechtswahl (also die Vereinbarung ausländischen materiellen Rechts) die Mindest- und Höchst-satzregelungen der HOAI nicht abbedungen werden können, weil es sich inso-weit um zwingendes Recht i.S.d. Art. 34 EGBGB handelt3. Hier bleibt also die weitere Entwicklung abzuwarten, auch wenn die Instanzgerichte derzeit noch die von der HOAI verfolgten, ordnungspolitischen Ziele, insbesondere die Ver-meidung eines ruinösen Preiswettbewerbs zwischen den Architekten und Inge-nieuren, in den Vordergrund stellen. So hat beispielsweise erst kürzlich das OLG Stuttgart4 eine Vorlage in Zusammenhang mit der Anwendbarkeit der HOAI an den Europäischen Gerichtshof für nicht erforderlich erachtet, weil die Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit deshalb gerechtfertigt sei, weil die mit der nationalen Regelung verfolgten Ziele schützenswerte Allgemeininteressen im Sinne des EG-Rechts seien und die Beschränkungen der HOAI verhältnis-mäßig, unerlässlich, sachlich geboten und geeignet seien, den erstrebten rui-nösen Preiswettbewerb zu vermeiden5.

2 COMP/38.549 - PO, abgedruckt u.a. in NZBau 2005, 229; vgl. auch IBR 2005, 93. 3 Vgl. BGH, NZBau 2003, 386. 4 Urteil vom 10.02.2005 - 13 U 147/04, IBR 2005, 217. 5 Einen Überblick zur europarechtlichen Diskussion in Zusammenhang mit der HOAI gibt beispielsweise Hettig, in: NZBau 2005, 190 ff.; zur italienischen Gebührenordnung für Architekten und Ingenieure vgl. EuGH, Urteil vom 29.11.2001 - C-221/99 - NZBau 2002, 159.

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1.2. persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich der HOAI Die HOAI ist Honorarermittlungsgrundlage für die dort beschriebenen Leistun-gen, wobei gem. § 103 HOAI die jeweils bei Vertragsschluss geltende Fassung maßgeblich ist. Im Falle der stufenweisen Beauftragung ist dies - für die weite-ren Bearbeitungsstufen - also der bei Abruf der Leistungsstufen maßgebliche Zeitpunkt. Mit der Bezugnahme auf die in der HOAI beschriebenen Leistungen ist im Hinblick auf den persönlichen Anwendungsbereich bereits klargestellt, dass die HOAI ausschließlich tätigkeitsbezogen bzw. leistungsbezogen ist und nicht berufsstandsbezogen. Deshalb kommt es insoweit nach der grundlegen-den Entscheidung des BGH aus 19976 nicht darauf an, ob ein in die Architek-tenliste eingetragener Architekt, der dadurch auch zur Führung der Berufsbe-zeichnung „Architekt“ befugt ist, die Leistungen erbringt oder eine andere Per-son, die nicht Berufsträger ist. Maßgeblich ist vielmehr, ob Tätigkeiten erbracht werden, die vom Anwendungsbereich der HOAI erfasst werden. Deshalb gilt die HOAI beispielsweise auch, wenn Nichtarchitekten die dort beschriebe-nen Leistungen erbringen; das gilt nach OLG Frankfurt/Main7 sogar für die Vertragsverhältnisse freier Mitarbeiter, sofern diese nicht in einem arbeitneh-merähnlichen Dienst- oder Arbeitsverhältnis zum Auftraggeber stehen. Auch Generalunternehmer bzw. Anbieter von Bauleistungen können in den Fäl-len nach der HOAI abrechnen, in denen sie ausschließlich mit Planungsleistun-gen beauftragt wurden (also nicht zusätzlich Bauleistungen erbringen)8. Ausgenommen vom Anwendungsbereich der HOAI sind dagegen Anbieter, die neben oder zusammen mit Bauleistungen auch Architekten- und Ingenieur-leistungen, mithin komplette Bauleistungen einschließlich der Planung erbringen9. Denn in diesen Fällen steht nicht die Planungsleistung im Vorder-grund, sondern die Bauleistung, weshalb insbesondere Bauträger und andere Anbieter kompletter Bauleistungen die mit erbrachten Planungsleistungen nicht nach HOAI abrechnen können. Die HOAI als Preisrecht richtet sich an die Erbringer der dort beschriebenen Leistungen, so dass insbesondere Architekten und Ingenieure eigenverantwort-lich dafür Sorge zu tragen haben, dass sie HOAI-konforme Angebote abgeben. Eine wettbewerbsrechtliche Störerhaftung des Auftraggebers (auch des öffent-lichen Auftraggebers), der Planungsleistungen ohne konkrete Angaben zu den nach der HOAI maßgeblichen Honorarermittlungsgrundlagen ausschreibt, kommt deshalb regelmäßig nicht in Betracht10.

6 BGH, NJW 1997, 2329 = BauR 1997, 677; ebenso schon früher OLG Köln, BauR 1985, 338; OLG Köln, BauR 1986, 467 und OLG Düsseldorf, NJW-RR 1993, 1173 = BauR 1993, 630. 7 BauR 2002, 1874. 8 Vgl. OLG Oldenburg, NZBau 2002, 283 = BauR 2002, 332 und OLG Jena, BauR 2002, 1724. 9 Vgl. BGH, NJW 1997, 2329 und OLG Stuttgart, NJW-RR 1989, 917. 10 BGH, Urteil vom 11.11.2004 - I ZR 156/02; IBR 2005, 92.

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Was den sachlichen Anwendungsbereich der HOAI anbelangt, so gilt diese nur für solche Leistungen, die in der HOAI bzw. in den einzelnen Leistungsbil-dern selbst benannt sind. Auch nur insoweit ist das HOAI-Preisrecht maßgeb-lich. Außerhalb des Anwendungsbereichs der HOAI ist in vergütungsrechtlicher Hinsicht deshalb beispielsweise die Leistung des Projektsteuerers11 oder die Leistung des Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinators nach der Bau-stellenverordnung12 zu betrachten. Gleiches gilt, wenn die anrechenbaren Kosten die Höchstgrenzen der jeweils anzuwendenden Honorartafel überschreiten13 oder sonstige Leistungen vorlie-gen, die mit den Planungsleistungen/Ingenieurleistungen nach HOAI nichts zu tun haben, beispielsweise der Auftrag an einen Designer, einen Zaun mit schmiedeeisernem Gartentor14 zu entwerfen oder die Errichtung eines Mobil-funknetzes15 oder die Ausstattung von Verkehrsanlagen16. 2. Bisherige Sichtweise der Erfolgshaftung und der Definition der

Leistungspflichten, HOAI als Preisrecht 2.1. Welche Bedeutung kommt der HOAI bei der Bestimmung der vom

Architekten geschuldeten Leistungspflicht zu? Das Kernproblem dieser Fragestellung liegt in der Tatsache, dass die HOAI Preisrecht ist, aber eben kein „Vertragsrecht“ und deshalb aus den sog. „Leis-tungsbildern“ nur die im allgemeinen erforderlichen Arbeitsschritte (einschl. der jeweiligen Vergütungssätze) abzulesen sind, die der Architekt/Ingenieur regel-mäßig erbringen wird. Konsequenterweise hat der VII. Zivilsenat des BGH stets - auch in den zuletzt ergangenen Entscheidungen - herausgestellt, dass die HOAI selbst über ihren preisrechtlichen Charakter hinaus keinen weiterge-henden Normativcharakter aufweist. 2.1.1. Bisher wurde deshalb der vertraglich geschuldete Erfolg des Architek-ten/Ingenieurs damit definiert, dass er für die mangelfreie Errichtung des Bauwerks Sorge trägt und - in der Endbetrachtung - diejenigen Teilleistungen und Aufgaben wahrnimmt/erbringt, die zur Erreichung dieses im Vordergrund stehenden Gesamterfolges notwendig sind.

11 BGH, IBR 1997, 245. 12 OLG Celle, IBR 2004, 431 = BauR 2004, 1649. 13 KG Berlin, BauR 2001, 126. 14 OLG Frankfurt, NJW-RR 1993, 1305 und OLG Düsseldorf, NJW-RR 1991, 120 (Grafik-Designer). 15 OLG München, BauR 1996, 750. 16 KG Berlin, IBR 2005, 26.

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Nach ständiger Rechtsprechung des BGH kam der HOAI zur Bestimmung der vom Architekten/Ingenieur geschuldeten Leistungspflichten keine Bedeutung zu. Welche Leistungen der Architekt/Ingenieur schuldete, war vielmehr eine Frage des Vertragsrechts. Geschuldet waren mithin sämtliche Leistungen, die erforderlich waren, den geschuldeten Gesamterfolg zu erreichen. Folge dieser Rechtsprechung ist, dass der Architekt/Ingenieur sich nicht darauf berufen konnte, lediglich die in der HOAI aufgeführten Grundleistungen der ihm beauftragten Leistungsphasen zu schulden. Vielmehr schuldete der Archi-tekt/Ingenieur auch solche Leistungen, die in der HOAI nicht erfasst sind bzw. dort als Besondere Leistungen beschrieben werden, soweit diese zur Errei-chung des vertraglich vorausgesetzten Erfolges (Gesamterfolg) erforderlich werden. Der BGH hat diese Grundsätze in einer Entscheidung vom 24.10.199617 wie folgt zusammengefasst:

„... Was ein Architekt oder Ingenieur vertraglich schuldet, er-gibt sich aus dem geschlossenen Vertrag, in der Regel also aus dem Recht des Werkvertrages. Der Inhalt dieses Architek-ten-/Ingenieurvertrages ist nach den allgemeinen Grundsätzen des bürgerlichen Vertragsrechts zu ermitteln. ...“

„... Die HOAI enthält keine normativen Leitbilder für den Inhalt von Architekten- und Ingenieurverträgen. Die in der HOAI ge-regelten „Leistungsbilder“ sind Gebührentatbestände für die Berechnung des Honorars der Höhe nach. ...“

Hiernach kommt auch der Unterscheidung der HOAI in Grundleistungen und Besondere Leistungen keine entscheidende Bedeutung zu. Das heißt, der Ar-chitekt/Ingenieur kann auch ohne entsprechende ausdrückliche Vereinbarung Besondere Leistungen schulden, soweit diese zur Erfüllung des konkreten Ver-trages erforderlich sind. Beispiel aus der Rechtsprechung: Ein Architekt war mit der Planung an einem Umbauvorhaben beauftragt. Zur mangelfreien Planung war auch eine Bestandsaufnahme erforderlich. Der Ar-chitekt vertrat die Auffassung, diese Leistung nicht zu schulden, da diese in der HOAI als Besondere Leistung beschrieben, jedoch nicht ausdrücklich beauf-tragt worden sei. Dem ist der BGH unter Hinweis auf die vorerwähnten Grund-sätze nicht gefolgt, sondern hat entschieden, dass der Architekt auch ohne ausdrückliche Erwähnung die Leistungen der Bestandsaufnahme schuldete, da diese (natürlich) zur Erreichung des vertraglich geschuldeten Erfolges (Planung eines mangelfreien Vorhabens) erforderlich waren.

17 BGH, BauR 1997, 154.

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2.1.2. Hiernach bleibt somit folgendes festzuhalten: Nach bisheriger Rechtsprechung des BGH kam der HOAI hinsichtlich der vom Architekten/Ingenieur geschuldeten Leistungen keinerlei Bedeutung zu. Insbe-sondere findet durch den „Leistungs“katalog der HOAI keine Begrenzung der geschuldeten Leistungen „nach oben“ statt. Statt dessen können im Einzelfall auch ohne entsprechende ausdrückliche Vereinbarung weitergehende Leistungen nach dem Vertrag geschuldet sein, soweit diese zur Erreichung des Gesamterfolges erforderlich werden. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob es sich um Grundleistungen oder Besondere Leistungen handelt oder aber ob die HOAI solche Leistungen überhaupt nicht vorsieht. Völlig unabhängig hiervon ist die Frage zu beantworten, ob der Archi-tekt/Ingenieur für nach dem Vertrag geschuldete Leistungen auch Vergütung verlangen kann. Die Vergütungsfrage regelt sich wiederum allein auf der Grundlage der HOAI bzw. der vertraglichen Abreden. Hinsichtlich der Honorie-rung von Besonderen Leistungen bedeutet dies, dass gemäß § 5 Abs. 4 HOAI eine schriftliche Vereinbarung hinsichtlich der Vergütung der Besonderen Leis-tungen getroffen worden sein muss. Fehlt es hieran, kann der Archi-tekt/Ingenieur die gleichwohl geschuldeten Leistungen nicht vergütet verlangen. Die Auswirkungen dieser Rechtsprechung sind für den Architekten/Ingenieur erheblich. 2.1.3. Folgerungen für die Praxis? Die zuvor dargestellte Rechtsprechung des BGH bedeutet für den Architek-ten/Ingenieur, dass dieser bereits auf vertraglicher Ebene Vorsorge treffen muss, wenn die Vergütung dem geschuldeten Leistungsumfang entsprechen soll. Hierbei sind folgende Alternativen denkbar: a) Der Architekt/Ingenieur muss bereits bei Auftragserteilung eine Prognose an-stellen, welche Leistungen und insbesondere welche Besonderen Leistungen voraussichtlich zur Erreichung des vertraglich geschuldeten Erfolges erforder-lich sind bzw. werden können. Hinsichtlich dieser Besonderen Leistungen wäre unmittelbar mit Vertragsschluss eine Honorarvereinbarung zu treffen, wobei der Zeitaufwand vorab eingeschätzt werden sollte. b) Die andere Möglichkeit besteht darin, die vertraglich geschuldeten Leistungen im Vertrag dergestalt einzugrenzen, dass klargestellt wird, dass weitergehende Leistungen, als die ausdrücklich vereinbarten, von dem Ingenieur ausdrücklich nicht geschuldet sind, sondern ggfls. zusätzlich beauftragt werden müssen.

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Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die letzte Variante in rechtlicher Hin-sicht nicht unproblematisch ist, da der Architekt/Ingenieur zugleich die umfas-sende Beratung des Auftraggebers auch im Hinblick auf die voraussichtlich er-forderlichen Leistungen schuldet. Zusammenfassend bleibt daher festzuhalten, dass eine genaue Bestimmung der geschuldeten Leistungen auf vertraglicher Ebene unerlässlich ist. 2.2. Minderung des Honorars bei nicht oder nicht vollständig erbrachter

Grundleistungen? Nachdem die HOAI nach der bisherigen Rechtsprechung des BGH und der Obergerichte keine Leistungsverpflichtung begründete und zudem der von dem Architekten geschuldete Gesamterfolg im Vordergrund stand, galt es als gesi-chert, dass der Architekt/Ingenieur sein Honorar grundsätzlich auch dann in voller Höhe verlangen kann, wenn er einzelne Teilleistungen nicht oder nur un-vollständig erbracht hat, der geschuldete Gesamterfolg gleichwohl eingetreten ist. Entscheidend war nach bislang herrschender Meinung, ob das mit der Leis-tungsphase beabsichtigte Arbeitsergebnis auch tatsächlich erzielt worden war. Folge war, dass der Architekt zur Begründung seiner Honorarforderung nicht im einzelnen darzulegen hatte, dass er jede Grundleistung der betreffenden Leis-tungsphase auch tatsächlich erbracht hat. Ein Honorarabzug wurde von der Rechtsprechung ausnahmsweise nur dann vorgenommen, wenn sog. zentrale Grundleistungen, wie Kostenermittlungen etc., nicht erbracht wurden. Nur in diesem Fall erschien der Rechtsprechung eine Kürzung des Honorars gerecht-fertigt. Der Anwendung der sog. Steinfort-Tabelle stand die Rechtsprechung bislang kritisch gegenüber. Nach der bisherigen Rechtsprechung konnte der Architekt sein Honorar, soweit das Bauvorhaben mangelfrei errichtet worden war, somit „relativ einfach“ durchsetzen. Ein „Abhaken“ der einzelnen Grund-leistungen der Leistungsphasen des § 15 HOAI fand im Prozess nicht statt. 3. Neue Sichtweise seit Mitte 2004 3.1. BGH-Rechtsprechung zu den sog. „Teilerfolgen“; Entscheidungen

des VII. Zivilsenats des BGH vom 24.06.2004 und 11.11.2004 In zwei grundlegenden Entscheidungen des VII. Zivilsenats des BGH aus 2004 ist an der Einordnung der HOAI als Preisrecht zwar grundsätzlich fest-gehalten worden, allerdings hat der BGH völlig neue Ansätze bei der Ausle-gung der vertraglichen Vereinbarungen, soweit sie sich an der HOAI orien-tierten, herausgebildet. Die beiden Entscheidungen sind - wenn man sie konsequent anwendet - si-cherlich die einschneidendsten Entscheidungen zum Architektenrecht der ver-gangenen Jahrzehnte und werden erheblichen Einfluß sowohl auf die künftige Vertragsgestaltung als auch auf die Prozessführung haben.

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Es handelt sich um die beiden Urteile

VII ZR 259/02 vom 24.06.2004 NJW 2004, 2588 = NZBau 2004, 509 = BauR 2004, 1640 VII ZR 128/03 vom 11.11.2004 NJW-RR 2005, 318 = NZBau 2005, 158 = BauR 2005, 400.

3.1.1. Im zuerst genannten Fall (Urteil vom 24.06.2004) lag dem Rechtsverhältnis ein Architektenvertrag „über die Leistungsphasen 1 - 9 des § 15 HOAI“ zugrunde, der allerdings vorzeitig beendet wurde. In die Schlussrechnung des Architekten hat dieser u.a. die Leistungsphase 2 (Vorplanung) als vollständig erbracht ein-gestellt und mit 7 v.H. des Gesamthonorars - wie in § 15 HOAI vorgesehen - abgerechnet. Allerdings hatte - unstreitig - der klagende Architekt die in § 15 HOAI Leis-tungsphase 2 beschriebene Einzelleistung „Zusammenstellen aller Vorpla-nungsergebnisse“ nicht erbracht, weshalb der Auftraggeber 0,3 v.H. des Hono-rars allein deswegen in Abzug brachte und die Vergütung „minderte“. Nach den bisherigen Kriterien wäre dies wohl keine „wesentliche Teilleistung“ gewesen, weil die Vorplanungsergebnisse einzeln vorlagen und inhaltlich die Vorplanung insgesamt erbracht war. Der BGH hat nunmehr aber darauf abgestellt, dass der vom Architekten ge-schuldete Gesamterfolg nicht das allein maßgebliche Kriterium mehr dar-stellt, sondern im Einzelfall durch Auslegung zu ermitteln ist, welche Einzel-leistungen

„... als selbständige Teilerfolge vereinbart ...“ wurden. Im konkreten Fall sah er die Einzelleistung „Zusammenstellen aller Vorpla-nungsergebnisse“ schon deshalb als selbständig geschuldeten Teilerfolg an, weil die Parteien ihre vertraglichen Verpflichtungen am Leistungsbild des § 15 HOAI orientiert hatten. Wörtlich heißt es insoweit:

„... Die Zusammenstellung der Vorplanungsergebnisse ha-ben die Vertragsparteien dadurch als werkvertraglich ge-schuldeten Teilerfolg vereinbart, dass sie ihre vertragliche Vereinbarung an den Leistungsphasen des § 15 HOAI orien-tiert haben ...“.

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Auf den ersten Blick würde dies bedeuten, dass allein die Bezugnahme auf das Leistungsbild des § 15 HOAI - obwohl nur Preisrecht - ausreichen würde, um jede der dort beschriebenen Einzelleistung (jedenfalls der sog. Grundleistun-gen) als geschuldeten Teilerfolg zu vereinbaren mit der Folge, dass bei Nicht-erbringung einer einzelnen Teilleistung die Vergütung entsprechend zu mindern wäre. So wird diese Entscheidung teilweise auch interpretiert, und das wohl nicht ganz zu Unrecht. Denn welche der in den Leistungsbildern der HOAI be-schriebenen Einzelleistungen als Teilerfolge vereinbart werden können - und zwar durch bloße Bezugnahme auf die HOAI -, soll sich eben durch Auslegung des Vertrages und konkret danach richten, welche Interessen der Auftragge-ber im Hinblick auf diese Einzelleistungen als Teilerfolge hat. Die vom BGH in der genannten Entscheidung vom 24.06.2004 herausgearbei-teten Kriterien einer interessengerechten Auslegung sind:

- das Interesse des Auftraggebers „... an den Arbeitsschritten, die als Vorgaben aufgrund der Planung des Architekten für die Bauunternehmer erforder-lich sind, damit diese die Planung vertragsgerecht umset-zen können ...“,

- das Interesse des Auftraggebers

„... an den Arbeitsschritten, die es ihm ermöglichen zu überprüfen, ob der Architekt den geschuldeten Erfolg vertragsgemäß bewirkt hat ...“,

- das Interesse des Auftraggebers an den Arbeitsschritten,

„... die ihn in die Lage versetzen, etwaige Gewährleis-tungsansprüche gegen Bauunternehmer durchzusetzen ...“ und

- das Interesse des Auftraggebers an den Arbeitsschritten,

„... die erforderlich sind, die Maßnahmen zur Unterhaltung des Bauwerkes und dessen Bewirtschaftung zu planen ...“.

Wenn man diese „Interessen“ des Auftraggebers als maßgebliche Auslegungs-hilfe zugrunde legt, dürften letztlich sämtliche der in den Leistungsbildern der HOAI beschriebenen Einzelleistungen Teilerfolge im Sinne der genannten Entscheidung sein. Denn ein Interesse des Auftraggebers an der Umsetzung der Planung und an allen Einzelleistungen als „Maßnahmen zur Unterhaltung des Bauwerkes und dessen Bewirtschaftung“ lässt sich sicherlich stets ohne großen Aufwand begründen. Nach der Qualifizierung der Teilleistung „Zusammenstellung der Vorplanungs-ergebnisse“ als selbständiger Teilerfolg, gelangte der BGH zu dem Ergebnis, dass das Honorar wegen des Fehlens der Teilleistung in Höhe von 0,3 % zu mindern ist. Der BGH sah in der Nichterbringung des geschuldeten Teilerfolges die Verwirklichung eines Tatbestandes des allgemeinen Leistungsstörungs-rechts des BGB verwirklicht, der den Auftraggeber ohne weiteres zur Minde-rung des Honorars berechtige.

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Der BGH formulierte wie folgt:

„... Nach diesen Grundsätzen ist die Zusammenstellung der Vorplanungsergebnisse ein von der GbR geschuldeter Teil-erfolg, so dass die Beklagte die Vergütung mindern kann, sofern die Voraussetzungen des § 634 BGB vorliegen. Die Zusammenstellung der Vorplanungsergebnisse haben die Vertragsparteien dadurch als werkvertraglich geschuldeten Erfolg vereinbart, dass sie ihre vertragliche Vereinbarung an die Leistungsphasen des § 15 orientiert haben. ...“

3.1.2. In dem zweitgenannten Fall (Urteil vom 11.11.2004) hat der BGH diese Grund-sätze erneut aufgegriffen und - bei ähnlichem Sachverhalt - die einzelnen Kos-tenermittlungen aus dem Leistungsbild des § 15 HOAI als geschuldete Teilerfolge definiert (und zwar wiederum durch Auslegung des Vertrages, in dem erneut auf die „Leistungsphasen 1 - 9 des § 15 HOAI“ Bezug genommen wurde). Im Hinblick auf die mögliche Minderung der Vergütung ist der BGH dann sogar noch einen Schritt weitergegangen, was aus den insoweit maßgeblichen Leit-sätzen erkennbar wird:

„... Haben die Parteien vereinbart, dass der Architekt Leis-tungen nach § 15 Abs. 2 HOAI, Leistungsphasen 1 - 9, zu erbringen hat, so sind die Kostenermittlungen als Teiler-folge geschuldet, die grundsätzlich in den Leistungs-phasen erbracht werden müssen, denen sie in der HOAI zugeordnet sind ...“; „... Nach Fertigstellung des Bauvorhabens hat der Bestel-ler regelmäßig kein Interesse mehr an einer Kosten-schätzung, einer Kostenberechnung und an einem Kos-tenanschlag, so dass eine Minderung der Vergütung nicht davon abhängt, dass er dem Architekt eine Frist zur Erstellung der Kostenermittlungen gesetzt und die Ablehnung angedroht hat ...“. (Hervorhebungen durch den Verfasser)

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Mit anderen Worten: Da mit der Fortschreibung der Kostenermittlung - zutreffenderweise - eine vom Planungsstand abhängige Information des Bauherrn über die voraussichtlichen Kosten des Bauwerks erreicht werden soll, sind „verspätete“ und zur Begrün-dung des Honoraranspruchs nachgeholte Kostenermittlungen regelmäßig nicht mehr von Interesse. Sie führen nach der genannten Entscheidung des BGH dazu, dass sich das Architektenhonorar unabhängig von sonst ggfls. erforderli-chen Fristsetzungen mindert. 3.1.3. Zusammenfassung Nach den beiden genannten Entscheidungen des VII. Zivilsenats des BGH vom 24.06.2004 und 11.11.2004 wird man - anders als bisher - sehr viel eher zu ei-ner mangelhaften Architektenleistung und damit einhergehend zu einer Minde-rung der Vergütung gelangen, weil einzelne „Arbeitsschritte“ - im Wege der Auslegung - als Teilerfolge vereinbart sein können. Die Vereinbarung dieser Teilerfolge ist nach den genannten Entscheidungen recht leicht nachzuweisen, weil es offenbar ausreichen soll, auf die Leistungs-bilder der HOAI vertraglich Bezug zu nehmen. In Zukunft wird also die Ver-tragsgestaltung und die im Einzelfall vorzunehmende Definition des geschul-deten Erfolgs deutlich mehr Gewichtung einnehmen als bisher. Außerdem ist damit zu rechnen, dass in Honorarprozessen die Darlegungen des Architek-ten/Ingenieurs zu den erbrachten Leistungen mehr als bisher beispielsweise anhand der Steinfort-Tabellen „abgeklopft“ werden, um so zu entsprechenden Honorarminderungen zu gelangen. Im Einzelfall dürfte sich damit die Durchset-zung von Honorarforderungen des Architekten/Ingenieurs erheblich erschwe-ren. Verschiedene Obergerichte haben in jüngsten Entscheidungen die Rechtspre-chung des BGH aufgegriffen und weitergeführt. Das OLG Hamm18 minderte in seinem Urteil vom 15.02.2005 das vereinbarte Pauschalhonorar, weil der Archi-tekt Kostenermittlungen nur unzureichend erstellt hat. Eine Fristsetzung mit Ab-lehnungsandrohung hielt das Gericht für entbehrlich, da es Sache des Architek-ten ist, die jeweils anstehende Kostenermittlung zum maßgeblichen Zeitpunkt vorzulegen. Aus Sicht des OLG Hamm ist dem Bauherrn nicht zuzumuten, den zeitlichen Ablauf der Planung und der Errichtung des Bauwerks in einer Weise zu begleiten, die ihm die Beurteilung ermöglicht, wann der Architekt architek-tentypische Leistungen, z.B. Kostenermittlungen, zu erbringen hat. Ob die Min-derung des Honorars auch dann gerechtfertigt ist, wenn das vereinbarte Hono-rar die Mindestsätze der HOAI unterschreitet, ließ das Gericht offen. Auch das OLG Celle19 hielt in einem Urteil vom 16.06.2005 eine Honorarminderung von 0,5 % für begründet. Der Architekt hatte kein Bautagebuch geführt.

18 OLG Hamm, BauR 2005, 1350. 19 OLG Celle, IBR 2005, 600.

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Aus Sicht des OLG Celle bedurfte es keiner Fristsetzung mit Ablehnungsan-drohung, da das Bautagebuch nicht nachgefertigt werden konnte. Demgegen-über gelangte das OLG Rostock20 in einer Entscheidung vom 20.10.2004 - wiederum waren die Kostenermittlungen unzureichend - zu dem Ergebnis, dass eine Minderung jedenfalls dann ausscheide, wenn die Parteien einen geringe-ren als den in der HOAI vorgesehenen vom-Hundert-Satz vereinbart und damit den Leistungsumfang beschränkt haben. Diese Entscheidung ist indes mit Vor-sicht zu genießen, da aus der Entscheidung nicht hervorgeht, dass die Redu-zierung der vom-Hundert-Sätze gerade die Grundleistung Kostenermittlung be-traf. 3.2. Fazit Im Ergebnis dieser Rechtsprechung des BGH stellt sich die Sach- und Rechts-lage wie folgt dar: Die ursprüngliche Rechtsprechung, wonach der HOAI keine abschließenden Leistungspflichten entnommen werden können, gilt unverändert fort. Das heißt mit anderen Worten, dass den Leistungsbildern der HOAI keine Begrenzung der Leistungspflichten des Architekten/Ingenieurs „nach oben“ entnommen werden kann. Andererseits kann jedoch nach der neuen Rechtsprechung des BGH aus der HOAI entnommen werden, was der Architekt/Ingenieur im Regel-fall mindestens schuldet. Damit hat der BGH die Anforderungen an die Leis-tungspflichten des Architekten/Ingenieurs gegenüber der früheren Rechtspre-chung erheblich verschärft. Nach der neuen Rechtsprechung kommt eine Ho-norarminderung auch dann in Betracht, wenn das Bauvorhaben mangelfrei er-stellt worden ist, einzelne - als Teilerfolge zu qualifizierende - Grundleistungen nicht bzw. nicht vollständig erbracht wurden. Welche Grundleistungen letztlich als Teilerfolg zu qualifizieren sind, ist nicht abschließend geklärt. Nach der Definition des BGH könnten sämtliche Grund-leistungen als separater Teilerfolg qualifiziert werden. Zukünftig werden Archi-tekten/Ingenieure folgendes zu beachten haben:

- Nehmen die Parteien im Vertrag auf die Leistungsbilder der HOAI Bezug, sind die dortigen Grundleistungen zur Auslegung des Vertrages hinsichtlich der geschuldeten Leistungen heranzuziehen.

- Unterbleibt die Bezugnahme auf die HOAI, wird im Er-

gebnis jedoch im Regelfall voraussichtlich nichts anderes gelten, da in § 15 HOAI die Leistungen niedergelegt sind, die regelmäßig bei der Planung und Errichtung eines Gebäudes erforderlich sind.

20 OLG Rostock, BauR 2005, 1370.

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- Sind nach dem Vertrag sämtliche Grundleistungen der

HOAI zu erbringen, hat der Architekt darauf zu achten, dass er die einzelnen Leistungsbilder der HOAI sorgfältig abarbeitet und dokumentiert.

- Sollen nach dem Vertrag nicht alle Grundleistun-

gen/Teilerfolge geschuldet sein, muss dies ausdrücklich im Vertrag fixiert werden. Dies gilt insbesondere, wenn die Parteien für die Leistungen des Architekt/Ingenieurs ein Pauschalhonorar vereinbaren, das - geht man von dem vollen Leistungsbild der HOAI aus - die Mindestsät-ze unterschreiten würde. Gerade in diesem Fall sollte zur Sicherheit eine klare Vereinbarung getroffen werden, welche Leistungen (Teilerfolge) geschuldet sind und wel-che nicht.

Werden hiernach Grundleistungen/Teilerfolge aus der Leistungspflicht heraus-genommen, hat der Architekt/Ingenieur gleichwohl zu beachten, dass er auch den Eintritt des Gesamterfolges (Errichtung des mangelfreien Gebäudes) si-cher zu stellen hat. Diese Leistungspflicht wird nicht dadurch relativiert, dass einzelne Grundleistungen/Teilerfolge im Einzelfall aus dem Leistungsumfang herausgenommen wurden.

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Teil II

Rechtsprechung des BGH zum Anspruch des Architekten/Inge-nieurs auf zusätzliches Honorar bei Bauzeitverlängerung

1. Das Thema „Bauzeit“ ist nicht nur in der bauvertraglichen Praxis von zentraler Bedeutung, sondern gleichermaßen in der Praxis des Architektenrechts. Denn eine wie auch immer begründete verlängerte Bauzeit ist nach wie vor nicht der Ausnahmefall, sondern der Regelfall, so dass sich insbesondere bei einem Ver-trag über das volle Leistungsbild gem. § 15 HOAI die Frage stellt, ob und unter welchen Voraussetzungen der Architekt/Ingenieur für eine „längere“ Objekt-überwachung eine zusätzliche Vergütung oder jedenfalls den Ersatz von Mehr-aufwendungen beanspruchen kann. 1.1. Problemaufriss Anders als im Bereich des Bauvertragsrechts nach VOB/B, wo es immerhin über § 6 detaillierte Regelungen zum Umgang mit Bauablaufstörungen und möglichen Ersatzansprüchen des Werkunternehmers gibt, ist die Problematik im Bereich des Architektenrechts bis heute weitgehend ungeklärt. Zwar befassen sich mit dem Thema „Bauzeit“ in der HOAI folgende Regelun-gen:

- § 4 Abs. 3 Satz 1 („ungewöhnlich lange dauernde Leistungen“) - § 4 a Satz 3 („wesentliche“ Verlängerung der Bauzeit) - § 21 (Ausführung abschnittsweise „in größeren Zeitabständen“).

Allerdings stellen diese Tatbestände eine sehr hohe preisrechtliche Hürde für den Architekten/Ingenieur dar, weil die HOAI in ihrer Systematik auf die Lösung des Zeitfaktors nicht ausgerichtet ist, insbesondere nicht auf eine bestimmte Dauer der Architektentätigkeit und das vereinbarte Honorar zwischen Min-destsätzen und Höchstsätzen grundsätzlich sämtliche Tätigkeiten des Archi-tekten/Ingenieurs abdeckt, die bei der Planung oder der Objektüberwachung zeitunabhängig anfallen.

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Ohnehin wäre ein Anspruch auf Mehrvergütung oder Aufwendungsersatz des Architekten/Ingenieurs nur in den Fällen denkbar, in denen der Archi-tekt/Ingenieur die verlängerte Bauzeit nicht zu vertreten hat. Sofern also beispielsweise bei der Objektüberwachung zunächst nicht erkannte Ausführungsfehler des Unternehmers zu umfangreichen und zeitintensiven Nacherfüllungsarbeiten führen, könnte eine hieraus resultierende Verlängerung der Bauzeit sich ohnehin nicht positiv auf die Vergütung des Architek-ten/Ingenieurs auswirken. Eine ganz andere Frage ist, ob neben den Regelungen der HOAI (reines Preis-recht) Ansprüche aus allgemeinen zivilrechtlichen Überlegungen in Betracht kommen können (z.B. über die Regelungen zum Wegfall der Geschäftsgrund-lage) und ob diese dann gleichwohl durch das Preisrecht der HOAI (Höchst-satzcharakter der Honorartafeln) „gedeckelt“ sind oder nicht. Jedenfalls anzu-deuten scheint diesen Lösungsweg der BGH in einer aktuellen Entscheidung, auf die unter Ziff. 2. noch näher einzugehen ist21. 1.2. Regelung der HOAI Im einzelnen haben die dargelegten Normen der HOAI folgenden Regelungs-gehalt: • § 4 Abs. 3 Satz 1 HOAI Diese Regelung zielt darauf ab, dass im Einzelfall die sich aus der Verordnung ergebenden Höchstsätze überschritten werden dürfen, und zwar dann, wenn

„... ungewöhnlich lange dauernde Leistungen ...“ festgestellt werden. Es geht also um eine Honoraranpassung über die Höchst-sätze hinaus, die nach § 4 Abs. 3 Satz 1 HOAI von der weiteren Vorausset-zung abhängig gemacht wird, dass die Parteien hierüber eine schriftliche Vereinbarung treffen. Hinzu tritt, dass diese schriftliche Honorarvereinbarung zur Überschreitung der Höchstsätze, jedenfalls nach der Ansicht des BGH22, „bei Auftragserteilung“ ge-troffen werden muss, Unter dieser Voraussetzung macht § 4 Abs. 3 HOAI indes wenig Sinn. Denn ob sich die Bauzeit i.S.d. § 4 Abs. 3 Satz 1 HOAI entwickelt, also eine ungewöhnlich lange Leistung vorliegt oder nicht, ergibt sich ja erst im Zuge der Bauausführung und kann deshalb realistischer Weise gar nicht „bei Auftragserteilung“ feststehen. Zudem darf das Honorar in diesem Fall nicht of-fengelassen werden.

21 BGH, NJW-RR 2005, 322 = NZBau 2005, 46 = BauR 2005, 118 = ZfIR 2005, 152 = IBR 2005, 94 u. 95. 22 BGH, NJW-RR 2005, 322 (weitere Fundstellen siehe Fn. 21).

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Als weiteres Problem kommt für den Architekten/Ingenieur hinzu, dass die HO-AI selbst nicht ansatzweise definiert, was „ungewöhnlich“ im Sinne dieser Re-gelung ist. Sicher ist es zweckmäßig, bereits im Architektenvertrag eine Regel-bauzeit zu vereinbaren, um im konkreten Fall deren Überschreitung im Sinne einer „ungewöhnlich lange dauernden Leistung“ feststellen zu können. Wann eine Leistung „ungewöhnlich lange dauert“, ist jedoch nach objektiven Kriterien zu betrachten. Der subjektiven Sichtweise kommt hingegen keine Bedeutung zu. In der Praxis hilft § 4 Abs. 3 Satz 1 HOAI also kaum weiter, zumal sich diese Regelung nur mit der Frage der Zulässigkeit einer ausnahmsweisen Höchst-satzüberschreitung befasst. • § 4 a Satz 3 HOAI Diese Regelung steht unter der Überschrift „abweichende Honorarermittlung“ und erlaubt den Parteien, ein zusätzliches Honorar für die Fälle zu vereinbaren, in denen sich

„... die Planungs- und Bauzeit wesentlich durch Umstände, die der Auftragnehmer nicht zu vertreten hat, ...“

verlängert. Die Vorschrift setzt also dreierlei voraus:

- eine wesentliche Verlängerung der Planungs- und Bauzeit, - durch Umstände, die der Architekt/Ingenieur nicht zu vertreten hat, - sowie eine Vereinbarung über ein zusätzliches Honorar, um die hierdurch verursachten Mehr- aufwendungen des Architekten/Ingenieurs auszugleichen.

Was die erste Voraussetzung der „wesentlichen Verlängerung“ anbelangt, dürfte diese zwar eher vorliegen als die Voraussetzung nach § 4 Abs. 3 Satz 1 HOAI, wo es um „ungewöhnlich lange dauernde Leistungen“ geht. Allerdings besteht auch hier das Grundproblem, dass die HOAI selbst sich nicht dazu äu-ßert, wann eine „wesentliche“ Verlängerung vorliegt. Immerhin ist in der HOAI-Literatur unstreitig, dass eine Verlängerung der Planungszeit oder der Bau-zeit ausreichend ist (insoweit entgegen dem Wortlaut), so dass der Anwen-dungsbereich beispielsweise eröffnet wäre, wenn sich die Planungszeit im Rahmen hält und lediglich die Ausführungszeit wesentlich überschritten wird23.

23 Vgl. Locher/Koeble/Frik, HOAI, § 4 a Rdnr. 18 sowie Korbion/Mantscheff/Vygen, HOAI, § 4 a Rdnr. 27.

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Die zweite Voraussetzung (nicht durch den Architekten/Ingenieur zu vertreten) ist selbstverständlich, die dritte Voraussetzung dagegen wieder ein Praxisprob-lem. Denn selbst wenn § 4 a Satz 3 HOAI keine schriftliche Vereinbarung und auch keine schriftliche Vereinbarung „bei Auftragserteilung“ fordert, setzt der An-spruch auf das zusätzliche Honorar gleichwohl eine (ausdrückliche) Vereinba-rung zwischen den Vertragsparteien voraus, an der es häufig fehlen wird. Im übrigen war hinsichtlich dieser zum 01.01.1996 eingeführten Vorschrift lan-ge Zeit streitig, ob die Regelung über ein zusätzliches Honorar bei verlängerter Bauzeit generell anzuwenden ist oder nur in dem Fall, dass die Parteien auch eine Vereinbarung nach § 4 a Satz 1 HOAI getroffen haben, also eine aus-drückliche Honorarermittlung im übrigen ausschließlich anhand der Kostenbe-rechnung oder des Kostenanschlags (und nicht nach den Kostenermittlungsstu-fen, die sonst nach § 10 Abs. 2 HOAI maßgeblich sind). Diesen Streit hat der BGH mit der unter Ziff. 2. dargestellten Entscheidung wie folgt entschieden24:

„... § 4 a Satz 3 HOAI ist nur anwendbar, wenn die Parteien eine Honorarvereinbarung nach § 4 a Satz 1 HOAI getrof-fen haben ...“.

Der BGH begründet dies mit der Systematik des § 4 a HOAI und knüpft insbe-sondere daran an, dass diese Regelung in den unmittelbaren Kontext des Sat-zes 1 (abweichende Honorarermittlung auf Basis der Kostenberechnung oder des Kostenanschlags) eingebunden ist und kein abweichender Wille des Ver-ordnungsgebers feststellbar ist. Mit anderen Worten: Von der Möglichkeit einer Vereinbarung im genannten Sinne können die Par-teien nur dann Gebrauch machen, wenn sie zuvor - und zwar schriftlich bei Auftragserteilung - die Honorarermittlung des Architekten/Ingenieurs aus-schließlich an die Kostenberechnung oder an den Kostenanschlag geknüpft haben. Es liegt auf der Hand, dass der Anwendungsbereich damit ebenso ein-geschränkt ist wie die vorstehend abgehandelte Regelung des § 4 Abs. 3 Satz 1 HOAI. • § 21 HOAI § 21 HOAI, der die abschnittsweise Ausführung einer Leistung betrifft, setzt ei-nen „größeren Zeitabstand“ bei der abschnittsweisen Bauausführung voraus, also einen Mindestzeitraum (Zwischenzeit) von über 6 Monaten25.

24 BGH, BauR 2005, 118 (weitere Fundstellen in den vorangegangenen Fußnoten). 25 Vgl. Locher/Koeble/Frik, HOAI, § 21 Rdnr. 5 m.w.N..

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Zwischenergebnis: Das Problem „verlängerte Bauzeit“ mit daraus resultierenden Mehraufwendun-gen des Architekten/Ingenieurs (jedenfalls bei der Objektüberwachung) wird von der HOAI nicht wirklich gelöst. Die vorstehend dargelegten Vorschriften geben zwar Ansätze für einen interessengerechten Ausgleich, sind in der Pra-xis aber kaum von Relevanz. 1.3. Behandlung der Thematik in der bisherigen Rechtsprechung Angesichts dieser preisrechtlichen Probleme überrascht es nicht, dass die Thematik „Zusatzhonorar bei Bauzeitverlängerung“ in der bisherigen Recht-sprechung nur einen untergeordneten Raum einnahm. Die HOAI stellt jeden-falls keine Anspruchsgrundlage für ein zusätzliches Honorar im Falle einer Bauzeitverlängerung zur Verfügung. Selbst der in seinem Anwendungsbereich beschränkte § 4 a Satz 3 HOAI verlangt eine zusätzliche Vereinbarung der Par-teien. Solche ausdrücklichen Vereinbarungen wurden nur im Ausnahmefall ab-geschlossen. Wenn überhaupt, fand sich im Idealfall eine Regelung dergestalt, dass die Parteien von einer bestimmten Regelbauzeit ausgehen. Für den Fall, dass sich die Regelbauzeit um einen bestimmten Zeitraum verlängert, waren die Parteien verpflichtet, über eine angemessene Erhöhung des Honorars „zu verhandeln“. Oft scheiterte die Geltendmachung zusätzlicher Honoraransprü-che bereits daran, dass die „Regelbauzeit“ schon nicht vereinbart wurde. Dass bereits bei Vertragsschluss ein konkreter Bauzeitenplan vorlag, der den geplan-ten Baubeginn und das voraussichtliche Bauende beinhaltete, wurde teilweise als nicht ausreichend angesehen. Hinzu trat, dass die Rechtsprechung hohe Anforderungen an den nachzuweisenden Mehraufwand des Architekten stellte. In diesem Zusammenhang ist eine Entscheidung des OLG Celle26 zu erwäh-nen. Das OLG Celle wies die Klage des Architekten mit der Begründung ab, dass dieser die ihm entstandenen Mehrkosten nicht schlüssig dargelegt habe. Der Architekt hatte sich darauf beschränkt, stundenmäßig den Zeitaufwand festzuhalten, den er mit seinen Mitarbeitern in der Bauverzögerungsphase er-bracht hat. Diese Berechnung war zur Ermittlung der „Mehrkosten“ aus Sicht des OLG Celle ungeeignet. Das OLG Celle führt aus:

„... Der tatsächliche Mehraufwand muss in der Weise doku-mentiert werden, dass der Zeitaufwand für das überlange konkrete Bauvorhaben demjenigen im Normalfall gegenüber zu stellen ist. ...“

Auch das Brandenburgische OLG27 stand in seinem Urteil vom 16.12.1999 (Ak-ten-Z.: 12 U 34/99) dem geltend gemachten Anspruch auf zusätzliches Honorar skeptisch gegenüber. Wiederum stellte sich das Problem, dass eine ausdrück-liche Vereinbarung zur Höhe des Zusatzhonorars zwischen den Parteien - wäh-rend der Bauzeit - nicht zustande gekommen ist. Bereits hieran sollte nach An-sicht des Brandenburgischen OLG der Anspruch scheitern!?

26 OLG Celle, BauR 2003, 1248. 27 Brandenburgisches OLG, BauR 2001, 1772.

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Nach der Entscheidung des Brandenburgischen OLG konnte der Architekt nicht mehr nach Abschluss des Bauvorhabens einseitig den Abschluss einer ent-sprechenden Vereinbarung verlangen. Die fehlende Vereinbarung - so das Brandenburgische OLG - könne auch nicht durch eine Entscheidung des Ge-richts ersetzt werden. Die gerichtliche Geltendmachung eines Anspruchs auf Zusatzhonorar wegen einer - vom Architekten nicht zu ertretenden - Bauzeitverlängerung stellte somit für den Architekten/Ingenieur in jeder Hinsicht ein unkalkulierbares „Abenteuer“ dar. 2. Urteil des BGH vom 30.09.2004 - VII ZR 456/01 In seinem Urteil vom 30.09.2004 Akten-Z.: VII ZR 456/01, hat sich der BGH28 der Problematik angenommen und versucht, die bisherige Rechtsprechung zu ordnen und auf eine dogmatische Grundlage zu stellen. In dem vom BGH zu entscheidenden Fall hatten die Vertragsparteien folgende Klausel vereinbart:

„... Dauert die Bauausführung länger als 15 Monate, so sind die Parteien verpflichtet, über eine angemessene Er-höhung des Honorars für die Bauüberwachung (§ 15 Abs. 2 HOAI, Leistungsphase 8) zu verhandeln. Der nachge-wiesene Mehraufwand ist dem Architekten in jedem Fall zu erstatten, es sei denn, dass der Architekt die Bauzeitüber-schreitung zu vertreten hat ...“.

2.1. Der BGH beleuchtete zunächst die preisrechtliche Zulässigkeit einer solchen Klausel. Hierbei gelangte der BGH zu folgendem Ergebnis: Die preisrechtliche Zulässigkeit der Klausel ergibt sich nicht aus § 4 a Satz 3 HOAI, da eine Vereinbarung gem. § 4 a Satz 1 HOAI zwischen den Parteien nicht geschlossen wurde. Eine zulässige Honorarvereinbarung im Sinne von § 4 Abs. 1 HOAI kann in der Regelung unter preisrechtlichen Gesichtspunkten ebensowenig gesehen werden, da die HOAI nach ihrem Sinn und Zweck ver-lange, dass entsprechende Honorarvereinbarung zumindest bestimmbar sein müssen. Aus Sicht des BGH müsste eine preisrechtlich zulässige Vereinbarung die Abrechnungsfaktoren enthalten, die die Höhe des Zuschlags zumindest be-rechenbar machen. Zudem müsste sich eine solche Vereinbarung auch inner-halb des preisrechtlich zulässigen Gestaltungsspielraums der HOAI halten. Zwischenergebnis: Die streitgegenständliche Regelung wäre - preisrechtlich gesehen - unwirksam.

28 BGH, BauR 2005, 118 (weitere Fundstellen s.o.).

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2.2. Hiermit ließ es der BGH jedoch nicht bewenden. Der BGH „rettete“ die Klausel, indem er hierin eine vertragliche Regelung der Folgen eines „Wegfalls der Ge-schäftsgrundlage“ sah. Indem die Parteien von einer Bauzeit von 15 Monaten ausgegangen sind, haben sie mit der Anpassungsklausel die Rechtsfolgen für den Fall eines Wegfalls dieser Geschäftsgrundlage - d.h. längere Bauzeit als 15 Monate - geregelt. Sofern diese - als Geschäftsgrundlage für die Honorar-überschreitung dienende - Bauzeit überschritten wird, ist über eine angemes-sene Erhöhung des Honorars für die Zeit der Bauüberwachung zu verhandeln; dem Kläger soll jedenfalls ein Anspruch auf Ausgleich des nachgewiesenen Mehraufwandes zustehen, wenn er die Bauzeitüberschreitung nicht zu vertre-ten hat. Auch wenn diese Regelung unter preisrechtlichen Gesichtspunkten un-zulässig ist, soll die Vereinbarung - vertragsrechtlich betrachtet - wirksam sein. Der BGH formuliert wie folgt:

„... Unvorhersehbare Ereignisse mit ungewisser Dauer können grundsätzlich bei der Honorarvereinbarung für die Bauzeit nicht berücksichtigt werden; die HOAI sieht dafür keinen Regelungstatbestand vor. Diese können deshalb zu einem Wegfall der Geschäftsgrundlage füh-ren und einen Preisanpassungsanspruch auslösen. ... Bereits bei Vertragsschluss absehbare Überschreitungen durchschnittlicher Bauzeiten können die Parteien diese durch eine angemessene Anhebung des Honorars, er-forderlichenfalls auch über die Höchstsätze hinaus, be-rücksichtigen. Anders liegt es bei Verlängerungen der Bauzeit, die die Vertragsschließenden bei Auftragsertei-lung auch bei Berücksichtigung üblicher Verzögerungen nicht vorhersehen konnten. Den Parteien kann nicht zu-gemutet werden, insoweit eine spekulative Vergütung zu vereinbaren. Vielmehr stellt es eine interessengerechte Lösung dar, eine bestimmte Bauzeit als Geschäftsgrund-lage festzulegen und bei deren Wegfall einen vertragli-chen Preisanpassungsanspruch zu begründen. ... Die HOAI regelt lediglich das Preisrecht, nicht aber die Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage. ...“

Zugleich stellt der BGH jedoch klar, dass die Parteien bei einer solchen - ver-tragsrechtlich zulässigen - Vereinbarung das Preisrecht der HOAI zu berück-sichtigen haben. Die als Geschäftsgrundlage zugrunde gelegte Bauzeit muss demzufolge für das konkrete Bauvorhaben realistisch bemessen sein und übli-che Störungen berücksichtigen.

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2.3. Im Ergebnis dieser Entscheidung gelangt der BGH zu der Erkenntnis, dass der Architekt auf der Grundlage der eingangs erwähnten Klausel einen Preisan-passungsanspruch geltend machen kann. Der Anspruch des Architekten richtet sich zunächst darauf, dass der Bauherr mit ihm auch über eine angemessene Vergütung verhandelt. Nach Ansicht des BGH begründet dieser Anspruch nach der beiderseitigen Interessenlage zudem nicht nur eine Pflicht des Bauherrn, Verhandlungen mit dem Architekten aufzunehmen, sondern auch in eine an-gemessene Vergütung der Leistungen einzuwilligen. Für den Fall, dass der Bauherr nicht einwilligt, tritt an die Stelle des Anspruchs auf Verhandlung und Einwilligung in die Honorarerhöhung der gerichtlich durchsetzbare Anspruch auf Zahlung der angemessenen Vergütung. Offengelassen hat der BGH indes, wie dieser Anspruch der Höhe nach zu ermitteln ist. 3. Fazit Ob die Entscheidung des BGH zu einer deutlichen Verbesserung der Position des Architekten/Ingenieurs führt, bleibt offen. Sieht die vertragliche Vereinba-rung der Parteien lediglich eine Verhandlungslösung vor, kann die fehlende Einwilligung des Bauherrn zwar durch Urteil ersetzt werden. Der Architekt ist jedoch gehalten, die „angemessene“ Vergütung darzulegen und zu beweisen. Hierbei wird es darauf ankommen, welcher „Mehraufwand“ tatsächlich entstan-den ist und nachgewiesen werden kann. Diesbezüglich ist abzusehen, dass die Rechtsprechung auch weiterhin hohe Anforderungen an die Darlegung eines „Mehraufwandes“ stellen wird29. Demzufolge ist den Parteien zu empfehlen:

• Dass diese bereits - soweit möglich - bei Vertrags-schluss eine konkrete Regelung für den Fall aufneh-men, wenn sich die - auf jeden Fall zu vereinbaren-de - Regelbauzeit verlängert.

• Das Zusatzhonorar sollte nach Möglichkeit bereits

konkret vereinbart werden bzw. entsprechende Be-rechnungsfaktoren aufgenommen werden, die die Ermittlung des Zusatzhonorars - ohne dass es weite-rer Verhandlungen bedürfte - bestimmbar machen.

Eine solche konkrete Regelung dürfte - nach diesseitigem Verständnis der Ent-scheidung des BGH - auch unter preisrechtlichen Gesichtspunkten zulässig sein, sofern sich die Vereinbarung innerhalb der Mindest- und Höchstsätze be-wegt.

29 Vgl. OLG Celle, BauR 2003, 1248.

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Letzteres setzt voraus, dass die Regelbauzeit angemessen ist. Voraussetzung des zusätzlichen Vergütungsanspruchs ist jedoch in jedem Fall, dass der Archi-tekt/Ingenieur die Bauzeitverlängerung nicht zu vertreten hat. Lässt sich eine solche konkrete Regelung nicht bei den Vertragsverhandlungen durchsetzen, sollte

• jedenfalls die sog. Verhandlungslösung vorgesehen werden.

Auch in diesem Fall bedarf es jedoch auf jeden Fall der

• Festlegung der angemessenen Regelbauzeit, von der die Parteien als Geschäftsgrundlage ausgehen.

Im übrigen wäre zu regeln,

• ab welcher Bauzeitüberschreitung die Parteien davon ausgehen, dass die bisherige Geschäftsgrundlage in Wegfall gerät und dass in diesem Fall eine Anpas-sung des Honorars zu verhandeln ist.

Schlussendlich ist vorzusehen,

• dass - sollte es zu einer Vereinbarung späterhin nicht kommen - jedenfalls der nachgewiesene Mehrauf-wand zu ersetzen ist.

Hier stellen sich jedoch für den Architekten/Ingenieur, der den entsprechenden Preisanpassungsanspruch gerichtlich durchsetzen will, die bekannten Proble-me, gerade weil ihn die Darlegungs- und Beweislast für den Mehraufwand trifft. Der Architekt/Ingenieur ist demzufolge in jedem Fall gut beraten, dass er be-reits während der Ausführung seinen Aufwand festhält.