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DOI: 10.1002/stab.201320113 868 Stahlbau 82 (2013), Heft 11 Berichte Neue Überdachungen für die Eingangstore der Messe Frankfurt – adaptive Geometrie und ortspezifische Tragwerke Ingo Schrader Agnes Weilandt Die Messe Frankfurt lobte im Jahr 2008 einen Architekturwettbe- werb für den Entwurf der Neugestaltung der Eingangssituation zum Messegelände aus. Für die Tore Süd und Nord sollten jeweils ein Wachgebäude und eine Überdachung als Ersatz für die bisherigen provisorischen Wachcontainer entworfen werden. Ziel war es, zum einen das Wachpersonal besser vor Wind und Wetter zu schützen und zum anderen die neuen Zufahrten als ein weithin sichtbares Zeichen zu akzentuieren. Der Siegerentwurf des Architekten Ingo Schrader, Berlin, der in enger Zusammenarbeit mit den Tragwerksplanern Bollinger + Groh- mann entstand, sah für die beiden Standorte jeweils ein kreisför- miges Dach von ca. 25 m Durchmesser vor, das auf pyramidenför- migen Stützen ruhte (s. Bild 3). Ein Kreis bietet eine maßstabs- lose, signifikante Form. Innerhalb der Rechteckbauten der Messe hebt sie sich ab und harmoniert mit der Vielzahl von unregelmäßi- gen geometrischen Formen der Verkehrsbauwerke und den unter- schiedlichen Richtungen, die an den Standorten der Messetore zusammenlaufen. So bildet die Dachform Orientierung und ein Zeichen für das Mes- segelände, das sowohl auf dem Lageplan als auch räumlich funk- tioniert. Daher wurde für beide Standorte die gleiche Dachform gewählt, die sich jedoch in ihrem Tragwerk sichtbar individuell an die jeweilige Situation anpasst. Die Tragstruktur des Daches wurde mithilfe eines Rechenmodells generiert, das die Anordnung und Bauhöhe der Träger ausgehend von den möglichen Stützenstand- orten und dem sich daraus ergebenden Kräfteverlauf ermittelte. Der Entwurf für ein weiteres Dach mit einem rechteckigen Grund- riss für das Tor West folgte unmittelbar im Anschluss an den Wett- bewerbsgewinn. Im weiteren Verlauf wurde die Realisierung der Dächer der Tore West und Süd zurückgestellt und zunächst nur der Entwurf für Tor Nord weiterentwickelt. 1 Entwurf Die Kreisform der Dächer ermöglicht die freie Anordnung von Stützen, da sie keinem festen Raster unterworfen ist. Dies bietet entscheidende Vorteile in Hinblick auf die sehr stark eingeschränkten Möglichkeiten der Gründung an den beiden Standorten. So konnten die Stützenpositionen entsprechend den örtlichen Gegebenheiten frei gewählt werden. Das Tragwerk des Daches bildete, ausgehend von der Dachkontur und den definierten Auflagerpunkten, eine unregelmäßige Struktur aus sich kreuzenden Trägern. Schlanke Tragprofile aus Flachstahl mit variabler Höhe sind zu einer leistungsfähigen Tragstruktur arrangiert. Die gestalterischen Vorgaben waren eine maximale La- mellenhöhe von 60 cm, die minimale Bauhöhe von 15 cm, gleiche Höhe an den Schnittpunkten und ein linearer Ver- lauf der Trägerkontur zwischen den Kreuzungspunkten. Ohne die statische Berechnung im Einzelnen nachvollzie- hen zu können, erschließt sich dem Betrachter dennoch die strukturelle Logik, da das Ergebnis natürlichen Strukturen ähnelt. Im Zuge der weiteren Planung wurde die ursprüngliche Kreisform des Daches am Tor Nord zu einem Oval gestreckt (Bild 2), um es der Örtlichkeit und zu überdachenden Funk- tionen besser anzupassen. Bild 1. Tor Nord nach seiner Fertigstellung im August 2013, im Hintergrund das neue Wachgebäude (Bild: Messe Frankfurt/Bach) Bild 2. Vorhandene Straßenbrücke mit Darstellung der mög- lichen Stützenpositionen für das Norddach (Bild: Bollinger + Grohmann)

Neue Überdachungen für die Eingangstore der Messe Frankfurt - adaptive Geometrie und ortspezifische Tragwerke

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Page 1: Neue Überdachungen für die Eingangstore der Messe Frankfurt - adaptive Geometrie und ortspezifische Tragwerke

DOI: 10.1002/stab.201320113

868 Stahlbau 82 (2013), Heft 11

Berichte

Neue Überdachungen für die Eingangstore der Messe Frankfurt – adaptive Geometrie und ortspezifische TragwerkeIngo SchraderAgnes Weilandt

Die Messe Frankfurt lobte im Jahr 2008 einen Architekturwettbe-werb für den Entwurf der Neugestaltung der Eingangssituation zum Messegelände aus. Für die Tore Süd und Nord sollten jeweils ein Wachgebäude und eine Überdachung als Ersatz für die bisherigen provisorischen Wachcontainer entworfen werden. Ziel war es, zum einen das Wachpersonal besser vor Wind und Wetter zu schützen und zum anderen die neuen Zufahrten als ein weithin sichtbares Zeichen zu akzentuieren. Der Siegerentwurf des Architekten Ingo Schrader, Berlin, der in enger Zusammenarbeit mit den Tragwerksplanern Bollinger + Groh-mann entstand, sah für die beiden Standorte jeweils ein kreisför-miges Dach von ca. 25 m Durchmesser vor, das auf pyramidenför-migen Stützen ruhte (s. Bild 3). Ein Kreis bietet eine maßstabs-lose, signifikante Form. Innerhalb der Rechteckbauten der Messe hebt sie sich ab und harmoniert mit der Vielzahl von unregelmäßi-gen geometrischen Formen der Verkehrsbauwerke und den unter-schiedlichen Richtungen, die an den Standorten der Messetore zusammenlaufen. So bildet die Dachform Orientierung und ein Zeichen für das Mes-segelände, das sowohl auf dem Lageplan als auch räumlich funk-tioniert. Daher wurde für beide Standorte die gleiche Dachform gewählt, die sich jedoch in ihrem Tragwerk sichtbar individuell an die jeweilige Situation anpasst. Die Tragstruktur des Daches wurde mithilfe eines Rechenmodells generiert, das die Anordnung und Bauhöhe der Träger ausgehend von den möglichen Stützenstand-orten und dem sich daraus ergebenden Kräfteverlauf ermittelte.Der Entwurf für ein weiteres Dach mit einem rechteckigen Grund-riss für das Tor West folgte unmittelbar im Anschluss an den Wett-bewerbsgewinn. Im weiteren Verlauf wurde die Realisierung der Dächer der Tore West und Süd zurückgestellt und zunächst nur der Entwurf für Tor Nord weiterentwickelt.

1 Entwurf

Die Kreisform der Dächer ermöglicht die freie Anordnung von Stützen, da sie keinem festen Raster unterworfen ist. Dies bietet entscheidende Vorteile in Hinblick auf die sehr stark eingeschränkten Möglichkeiten der Gründung an den beiden Standorten. So konnten die Stützenpositionen entsprechend den örtlichen Gegebenheiten frei gewählt werden. Das Tragwerk des Daches bildete, ausgehend von der Dachkontur und den definierten Auflagerpunkten, eine unregelmäßige Struktur aus sich kreuzenden Trägern. Schlanke Tragprofile aus Flachstahl mit variabler Höhe sind zu einer leistungsfähigen Tragstruktur arrangiert.

Die gestalterischen Vorgaben waren eine maximale La-mellenhöhe von 60 cm, die minimale Bauhöhe von 15 cm, gleiche Höhe an den Schnittpunkten und ein linearer Ver-

lauf der Trägerkontur zwischen den Kreuzungspunkten. Ohne die statische Berechnung im Einzelnen nachvollzie-hen zu können, erschließt sich dem Betrachter dennoch die strukturelle Logik, da das Ergebnis natürlichen Strukturen ähnelt.

Im Zuge der weiteren Planung wurde die ursprüngliche Kreisform des Daches am Tor Nord zu einem Oval gestreckt (Bild 2), um es der Örtlichkeit und zu überdachenden Funk-tionen besser anzupassen.

Bild 1. Tor Nord nach seiner Fertigstellung im August 2013, im Hintergrund das neue Wachgebäude(Bild: Messe Frankfurt/Bach)

Bild 2. Vorhandene Straßenbrücke mit Darstellung der mög-lichen Stützenpositionen für das Norddach(Bild: Bollinger + Grohmann)

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Das Ovaldach am Tor Nord misst 42 m × 18 m (Bild 1), bei einer maximalen Bauhöhe der Lamellen von 60 cm und einer Auskragung von bis zu 10 m. Am Rand ist das Tragwerk nur 15 cm hoch. Die vier pyramidenförmigen Stützen bilden den Kräfteverlauf ab und wirken durch die ihre Dreiecksform besonders schlank. Das Dach scheint zu schweben (Bild 4).

Die Dachfläche ist mit großflächigen Sperrholzplatten eingedeckt, die eine Polyurethanbeschichtung als Dachab-dichtung aufweisen. Einzelne Felder zwischen den Trägern sind als offene oder verglaste Oberlichter ausgespart. So dringt Tageslicht unter die große Dachfläche und streift ver-einzelt die Dachstruktur, setzt Akzente. Unregelmäßige Lichtflecken ergeben sich je nach Tageszeit und Wetterlage und erinnern an die Stimmung unter dem Blätterdach eines Baumes.

Das gesamte Dach ist weiß lackiert. Die Materialität tritt gegenüber der Geometrie in den Hintergrund. 75 t Stahl und 600 m² Dachfläche wirken leicht und immateriell. Die

signifikante Form einer schwebenden großen weißen Scheibe mit der charakteristischen Untersicht wirkt als weithin sichtbares Zeichen sowohl von der Theodor-Heuss-Allee und den Zufahrtsstraßen als auch von den umliegenden Hochhäusern aus. Auch bei Dunkelheit wird durch die flä-chige, indirekte Beleuchtung der Dachuntersicht ein un-verwechselbarer Akzent an dieser städtebaulich bedeutsa-men Stelle gesetzt.

2 Paprametrisches Design der Trägerlage

Die größte Herausforderung für die Tragwerksplaner be-stand in den ersten Planungsphasen darin, die Lage der Stüt-zen mit der Dachgeometrie in Einklang zu bringen. Auf-grund der asymmetrischen Position der Stützen schied ein hierarchisches Tragwerk mit Haupt- und Nebenträgern aus. Die Konstruktion sollte in der Detaillierung minimalistisch sein. Ein Ansatz, der sich auch in der Wahl der Querschnitte als Flachstahllamellen zeigt.

Die Lage der Lamellen und ihre Querschnittsgeometrie wurden in einem zweistufigen Optimierungsprozess ermit-telt. Mit Hilfe eines parametrischen Entwurfsskriptes, das direkt mit einem Berechnungstool verbunden war, konnte man in einem ersten Schritt die optimale Lage der Lamellen definieren. In einem zweiten Schritt wurde die Höhe und Dicke der Lamellen in Abhängigkeit von den aufnehmba-ren Spannungen des Materials und unter Begrenzung der maximalen Verformungen optimiert. Die optimierte Vou-tung der Lamellen ergibt somit gleichzeitig ein strukturel-les Ornament mit hohem Wiedererkennungswert.

Die erste Gruppe der Lamellen ergab sich aus der Posi-tion und Ausrichtung der Stützen, die aufgrund der örtlichen Gegebenheiten bzw. aus architektonischen Gesichtspunk-ten festgelegt wurden. Darauf aufbauend wurde ein nicht hierarchisches Tragwerk entwickelt, das auf einer schein-bar zufälligen Anordnung von Trägerachsen basiert. Das so entwickelte Gitterrost, das auf den ersten Blick irrational

Bild 3. Lage der Lamellen und Stützen für die unterschiedlichen Geometrien des Nord-, Süd- und Westdachs. Während der Bau der Dächer am Tor Süd und West zurückgestellt wurde, konnte das Norddach im Sommer 2013 realisiert werden (Bild: Bollinger + Grohmann)

Bild 4. Trägerrost des Norddaches – deutlich sichtbar bei Anfahrt des Tores von unten (Bild: Bollinger + Grohmann)

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870 Stahlbau 82 (2013), Heft 11

erscheint, ist das Ergebnis eines computerbasierten Entwurfs-prozesses, der strukturelle, formelle und herstellungsbe-dingte Randbedingungen in Einklang bringt (Bild 5).

Die Ausrichtung der vier Stützen bestimmt die Lage des ersten Trägersatzes (s. Bild 5). Die Lamellen verlaufen entlang der Stützenkontur und sind bis zum Dachrand ver-längert. Diese erste Gruppe von Trägern mit den sich erge-benden Verschneidungen formt ein fragiles Gittertragwerk, welches weitere Tragelemente benötigt, um das Dach mit der geplanten Auskragung tragen zu können.

Mit Hilfe eines in Rhino Script implementierten gene-rativen Algorithmus wurden weitere Trägerachsen in der Dachfläche platziert. Zwei zufällig gewählte Punkte entlang des Dachrandes stellen die Endpunkte dieser Trägerachsen dar. Durch das Einfügen dieser weiteren Träger entsteht so-mit nach und nach eine verwobene Struktur, die in der Lage ist, die Auskragungen und Spannweiten zwischen den Stüt-zen zu überspannen. Nach der Generierung mehrerer mög-licher Trägerkonfigurationen wurden die Strukturen analy-siert und ausgewertet (Bild 6).

Das erste Bewertungskriterium ergab sich aus dem Ausführungsprozess. In vorherigen Projekten mit ähnlichen Stahlstrukturen erwiesen sich Knoten mit Verschneidungs-winkeln zwischen den Lamellen unter 30° als schwierig zu verschweißen (vgl. Bild 7). Entsprechend wurden alle ge-nerierten Lösungen analysiert und nach der Anzahl der pro-blematischen Verbindungspunkte gewertet. Nur solche mit einer minimalen Anzahl von problematischen Verbindungs-punkten wurden Objekt einer automatischen strukturellen Analyse, bei der die Verformung einzelner Träger und der gesamten Dachscheibe bewertet wurden. Für die vielver-sprechendsten Lösungen wurden anschließend mit einer Strukturoptimierung die erforderlichen Querschnittsab-messungen ermittelt (s. Bild 8).

2 Strukturoptimierung

Anschließend wurde der Querschnitt der Lamellen in ihrer Höhe und Breite optimiert. Ein individuell erstelltes VBA-Skript in MS Excel verbindet hierzu die in Rhinoceros ge-nerierte Geometrie mit Rstab, einer Finite-Element-Soft-ware von Dlubal. Jede Lamelle, die von einem Dachrand zum anderen spannt, wird an den Verbindungsknoten der Lamellen unterteilt. Der Optimierungsalgorithmus, der mit einer homogenen Querschnittshöhe und -dicke startet, un-terscheidet zwischen Höhe und Dicke jedes Elementes und schrägt diese nach statischer Erfordernis ab.

Das Ziel der diskreten Optimierung ist eine Minimie-rung des Konstruktionsgewichtes unter Berücksichtigung der lokalen Spannungsrandbedingungen und der globalen Verformungsrandbedingungen. Zur Lösung dieses Optimie-rungsproblems wählten die Tragwerksplaner Bollinger + Grohmann einen Algorithmus, der auf dem von Matthek und Burkhardt [1] vorgestellten CAO-Algorithmus basiert. CAO optimiert Strukturen durch Nachbildung von Wachs-tumsprozessen biologischer Tragstrukturen. Hierbei wer-den Bereiche mit hohen Spannungskonzentrationen ver-

Bild 5. Stützenpositionen als Ausgangslage für die ersten Trägerachsen (Bild: Bollinger + Grohmann)

Bild 6. Einfügen weiterer Trägerachsen mittels eines genera-tiven Algorithmus (Bild: Bollinger + Grohmann)

Bild 8. Strukturoptimierung (Bild: Bollinger + Grohmann)

Bild 7. Die punktuelle Konzentration von Lamellen führt zu komplexen Knoten (Die Sphäre, Deutsche Bank Frank-furt, Mario Bellini Architects, 2011 (links), enge Verschnei-dungswinkel komplizieren die Schweißverbindung (rechts)) (Bild: Bollinger + Grohmann)

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gestoßen. Im ersten Fall ist eine Lamelle durchlaufend und die querende Lamelle auf der gesamten Höhe gestoßen. Im zweiten Fall sind beide Lamellen jeweils bis auf die halbe Trägerhöhe ausgeklinkt und so miteinander verzahnt. Die Detailstatik (Ingenieurbüro Haumann und Fuchs) ermittelte automatisch die erforderlichen Dicken der Schweißnähte auf Grundlage der Finiten-Elemente-Berechnung in MS Excel unter Berücksichtigung der Dicken der Mindestnähte.

Das Dach wurde als Ganzes in der Werkstatt vorgefer-tigt, anschließend in sieben transportfähige Segmente zerteilt und schließlich auf einem Parkplatz unmittelbar neben dem

stärkt und solche mit geringen Beanspruchungen zurück-gebildet.

Der Algorithmus reduziert die Querschnittsdimension der Flachstahllamellen iterativ auf Grundlage der auftreten-den Vergleichsspannungen. Das Vouten der Elemente führt zu einem wellenförmig verlaufenden unteren Rand der La-mellen. Um diesen Verlaufseffekt sicherzustellen, ist eine identische Lamellenhöhe an jedem Verbindungsknoten er-forderlich. Daher wird in jedem Iterationsschritt die maxi-male Ausnutzung aller an einem Punkt angreifenden La-mellen analysiert. Die Lamelle mit der höchsten Ausnutzung definiert die Querschnittshöhe aller an diesem Knoten an-schließenden Lamellen.

Zur Rationalisierung der Struktur wurden die Quer-schnittsabmessungen diskretisiert. Insgesamt zehn ver-schiedene Querschnittsabmessungen mit Lamellendicke zwischen 20 und 40 mm und Höhen zwischen 150 und 600 mm wurden zugelassen. Jede Veränderung der Quer-schnittsabmessungen führt zu einer Umverteilung der Stei-figkeiten, welche in dem hochgradig statisch unbestimmten System zu einer Verschiebung der Lastpfade führt. Deswe-gen war es erforderlich, in jedem Iterationsschritt die Ver-gleichsspannungen der gesamten Struktur neu zu berech-nen, um die Lastpfadverschiebung ausreichend erfassen zu können. Das Abbruchkriterium für die Iteration wurde als ein festgelegter Anteil der Träger, deren Abmessung sich zwi-schen Iterationsschritt n und n+1 verändert, gewählt. Somit konnte eine Lastpfadverschiebung aufgrund der veränder-ten Steifigkeitsverteilung im Tragwerk als vernachlässigbar angesehen werden. In einem nachfolgenden Schritt wurde die Dicke der Lamellen in jedem Verbindungspunkt geprüft. Wenn die Dicke zwischen Lamellenanfang und -ende vari-abel war, wurde die höhere Materialdicke über die gesamte Länge der Lamelle festgelegt.

Die globale Verschiebungsrandbedingung wurde in den Algorithmus mit einer reduzierten Spannungsgrenze für die Lamellen implementiert. Es wurde entschieden, die maxima-len Verformungen des Dachrandes unter variablen Lasten an der Stelle mit der größten Auskragung auf 50 mm zu be-grenzen. Dies entspricht l/200 bei der gegebenen Auskra-gung von 10 m. Diese Verformungsrandbedingung wurde erreicht, indem die Vergleichsspannungen unter Volllast in der Iteration auf 85 % der aufnehmbaren Vergleichsspan-nungen begrenzt wurden.

Dieser intuitive Ansatz bewährte sich, weil die hier un-tersuchte Struktur eine direkte und nahezu lineare Korrela-tion der maximalen Verformungen und der Beanspruchun-gen der hochbeanspruchten Träger nahe der Stützen zeigt. Auf diese Weise konnte das optimale Trägerlayout mit da-zugehörigen Querschnittsdimensionen gefunden werden.

3 Ausführung

Das Dach wurde im August 2013 von der Firma Prebeck GmbH (Bogen) erstellt (Bild 9). Da das eigentlich rund um die Uhr geöffnete Zufahrtstor der Messe nur während einer kurzen Phase geschlossen werden konnte und parallel zur Messezufahrt eine öffentliche Straße verläuft, war eine mög-lichst hohe Vormontage erforderlich, zumal sich aufgrund der erheblichen Schweißarbeiten für die Vielzahl der Ver-bindungsknoten eine Montage am Boden anbot. Die Lamel-len wurden an den Knoten auf zwei verschiedene Weisen

Bild 9. Vormontage des Daches in der Werkstatt Fa. Prebeck (Bild: Ingo Schrader)

Bild 10. Zusammenbau der vorgefertigten Elemente auf dem Gelände der Messe Frankfurt (Bild: Bollinger + Grohmann)

Bild 11. Hub des Daches (Bild: Messe Frankfurt/Bach)

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endgültigen Standort zusammengebaut (s. Bild 10). Die Un-terteilung der Elemente für den Transport erfolgte so, dass der Schweißaufwand vor Ort auf ein Minimum reduziert werden konnte.

Nach der Eindeckung mit Furnierschichtholz und dem Aufbringen der Dachabdichtung erfolgte der Hub des Da-ches auf die Stützen mit zwei 500-t-Autokränen (Bild 11). Durch den hohen Grad der Vormontage konnten die Sper-rungen der Brücke und die Schließzeiten des Messetors minimal gehalten werden.

4 Zusammenfassung

Die entwickelte Struktur für das Dach ermöglicht zum ei-nen eine Anpassung an unterschiedliche und unregelmä-ßige Stützenpositionen und Dachgeometrien. Zum ande-ren erfüllt sie mit ihrem großen Wiedererkennungswert den Wunsch des Bauherrn nach Signifikanz. Das Tragsys-tem stellt gerade vor dem Hintergrund der komplexen An-forderungen der Standorte einen alternativen Ansatz zu konventionellen – hierarchisch organisierten Strukturen dar.

Die angestrebte Einheit von Struktur und Gestaltung, von Architektur und Konstruktion – ohne weitere Verklei-dungen oder Applikationen – spiegelt auch die integrative Zusammenarbeit zwischen Architekt und Tragwerkspla-nern wider.

Wenn zukünftig noch weitere Tore der Messe Frankfurt neue Dächer erhalten, wird sich auch hier die Anpassungs-fähigkeit des strukturellen Prinzips an unterschiedliche Situationen zeigen, so wie auch die Zeichenhaftigkeit ihrer Ästhetik.

Am Bau Beteiligte:Auftraggeber:Messe Frankfurt Venue GmbHEntwurf: Ingo Schrader, Architekt BDA BerlinDigitale Planung und Tragwerksplanung: Bollinger + Grohmann Ingenieure, Frankfurt am MainLichtplanung:Licht Kunst Licht AG, BerlinAusführung: Prebeck GmbH, Bogen

Technische Daten: Fläche Überdachung: ca. 593 m² lichte Höhe: ca. 4,55 m Gesamtgewicht: ca. 110 t

Literatur

[1] Matthek, C. Burkhardt, S.: A new method of structural shape optimization based on biological growth. International Jour-nal of Fatigue 12 (1990), Issue 3, pp. 185–190.

Autoren dieses Beitrages:Ingo Schrader, [email protected], Rheinstraße 45, 12161 Berlin,

Prof. Dr.-Ing. Agnes Weilandt, [email protected] und Grohmann GmbH,Westhafenplatz 1, 60327 Frankfurt am Main,