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manthia diawara neues afrikanisches kino ästhetik und politik betrachtungen von Herausgegeben von Doris Hegner und Bernd M. Scherer pRESTEL MÜNCHEN BERLIN LONDON NEW YORK

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manthia diawara

neues afrikanisches

kinoästhetik und politik

betrachtungen von

Herausgegeben von Doris Hegner und Bernd M. Scherer

pRESTELMÜNCHEN BERLIN LONDON NEW YORK

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In memoriam Samba Félix Ndiaye, Adama Drabo, Désiré Écaré, Ousmane Sembène

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InhaltVorwort Bernd M. Scherer ............................................ 0 1 5

Neues afrikanisches Kino. Ästhetik und Politik

Manthia Diawara

Kapitel 1: Ouagadougou ................................. 0 1 8

Kapitel 2: BerlinDer afrikanische Film: Auslandshilfe als Tarzanismus .... 0 7 1

Die Neue Welle im afrikanischen Film .................... 0 9 0

A. Die Arte-Welle ............................................. 1 0 0

B. La Guilde des Cinéastes: Der unabhängige Geist ................... 1 2 0

des panafrikanischen Films

C. Das neue afrikanische Erzählkino .............................. 1 3 8

Kapitel 3: Nollywood Der populäre Film und das neue Bild der Gesellschaft

Mobilität in Afrika ........................................ 1 6 2

Für einen narratologischen Umgang mit den Nollywood-Videos ................................ 1 7 5

Epilog ................................................................. 1 8 6

Danksagungen ........................................................ 1 9 1

Referenzliteratur ...................................................... 1 9 4

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Perspektiven

Afrikanisches Kino, Postkolonialismus und die ästhetischen Strategien der Repräsentation ................... 1 9 6

Ein Podiumsgespräch mit Manthia Diawara, Jean-Pierre Bekolo, Mama Keïta, Cheick Fantamady Camara und Balufu Bakupa-Kanyinda

„Ich bin nun mal nicht frankophon.“ ................................. 2 4 0

Newton Aduaka über unterschiedliche Produktionsformen in Frankreich und Großbritannien

„Ich könnte nach Hollywood gehen. Dort heißt es: fressen oder gefressen werden. Oder ich könnte in Südafrika bleiben, wo es nichts zu fressen gibt.“ ......................................... 2 4 5

Zola Maseko über die Produktion südafrikanischer Filme

„Nollywood war eine Erfindung von Leuten, die mit Film nichts zu tun hatten.“ .................................... 2 5 0

Jahman Anikulapo über das Phänomen Nollywood

Filmografien

Newton I. Aduaka: Ezra ............................................... 2 5 8

John Akomfrah: Testament ............................................. 2 6 0

Balufu Bakupa-Kanyinda: Juju Factory ................................ 2 6 2

Jean-Pierre Bekolo: Les saignantes ...................................... 2 6 4

Cheick Fantamady Camara: Il va pleuvoir sur Conakry .................. 2 6 6

Souleymane Cissé: Finyé – le vent ...................................... 2 6 8

Issa Serge Coelo: DP 75 – Tartina City .................................. 2 7 0

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Adama Drabo: Taafe Fanga ............................................ 2 7 2

Gahité Fofana: Un matin bonne heure.................................... 2 7 4

Zézé Gamboa: O Herói ................................................ 2 7 6

Haile Gerima: Teza..................................................... 2 7 8

Flora Gomes: Po di sangui ............................................. 2 8 0

Mahamat-Saleh Haroun: Daratt – saison sèche .......................... 2 8 2

Gavin Hood: Tsotsi .................................................... 2 8 4

Mama Keïta: Le fleuve.................................................. 2 8 6

Tunde Kelani: Thunderbolt ............................................. 2 8 8

Wanjiru Kinyanjui: Bahati ............................................. 2 9 0

Zola Maseko: Drum ................................................... 2 9 2

Fanta Régina Nacro: La nuit de la verité ................................. 2 9 4

Cheikh A. Ndiaye: L’appel des arènes ................................... 2 9 6

Katy Lena Ndiaye: En attendant les hommes ............................ 2 9 8

Samba Félix Ndiaye: Lettre à Senghor .................................. 3 0 0

Chris Obi Rapu: Living in Bondage ..................................... 3 0 2

Moussa Sène Absa: Tableau Ferraille .................................... 3 0 4

Abderrahmane Sissako: Bamako........................................ 3 0 6

Mansour Sora Wade: Ndeysaan – le prix du pardon ...................... 3 0 8

Ramadan Suleman: Zulu Love Letter ................................... 3 1 0

Jihan el-Tahri: Cuba – une odyssée africaine .............................. 3 1 2

Jean-Marie Téno: Le malentendu colonial ................................ 3 1 4

Moussa Touré: TGV ................................................... 3 1 6

S. Pierre Yaméogo: Moi et mon blanc .................................... 3 1 8

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Bernd M. Scherer

Im Jahr 2007 hatte ich Manthia Diawara eingeladen, für das Haus der Kulturender Welt eine Filmreihe zum gegenwärtigen afrikanischen Film zu kuratieren.Es sollte eine Bestandsaufnahme sein, wo der afrikanische Film heute steht.Das Ergebnis war ein großes Festival mit dem Titel AFRICAN SCREENS, das imHerbst 2008 präsentiert wurde. An einem Abend sitze ich in dem neuen Film von Salif Traoré Faro – La reine

des eaux, Faro – Göttin des Wassers. Der Film beschreibt die Situation in einemafrikanischen Dorf, dessen Leben und Überleben von dem Fluss abhängt, andem es liegt. Die Bewohner des Dorfes verehren die Flussgöttin Faro. Diesescheint wütend zu werden, als der Protagonist des Films, Zanga, der alsuneheliches Kind aus dem Dorf vertrieben wurde, als Ingenieur nach Jahren indas Dorf zurückkehrt. Der Film ergreift bis zum Ende weder eindeutig Parteifür die rationale, von Wissenschaft und Technologie geprägte Welt, noch fürdie bäuerliche der Dorfbewohner, er hält vielmehr das Zusammenspiel beiderSphären in der Balance. In der Diskussion nach dem Film meldet sich eine deutsche Frau aus dem Pub-likum mit einer vehementen Kritik zu Wort. Der Film Traorés zeichne ein fa-tales Afrikabild, indem er den Kontinent als rückständig und traditionellporträtiere. Es müsse darum gehen, das moderne urbane Afrika vorzustellen.Offensichtlich versteht sich diese Frau als eine Aktivistin für Afrika. Es ist einetypische Szene, die das Verhältnis von Europa zu Afrika bis heute kennzeich-net. An die Stelle kolonialer Beziehungen tritt der Paternalismus. „Wir müssenden Afrikanern helfen, sich selbst zu verstehen und zu repräsentieren“, dasTarzan-Jane-Syndrom sozusagen. Bei so viel gutem Willen wird völligvergessen, dass dabei die alten Asymmetrien fortgeschrieben werden.Der vorliegende Band „Neues afrikanisches Kino – Ästhetik und Politik“ führtim Bereich des Films vor, dass afrikanische Künstler nicht nur diese Hilfe nichtbenötigen, sondern dass es ihnen wesentlich darum geht, eine eigene Sprache

Vorwort

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zu entwickeln, die gerade nicht die westlichen Erwartungshaltungen, Projek-tionen und Schablonen erfüllt. Hinter der wohlmeinenden Haltung der erwähnten Zuschauerin verbirgt sichaber noch ein anderes Dilemma. Die paternalistische Haltung gegenüber demgezeigten Film nimmt der betreffenden Person die Chance, die eigenen Kate-gorien zu hinterfragen. Indem sie die Position des Films nicht ernst nimmt, be-raubt sie sich der Möglichkeit, aus der Begegnung mit dem Film zu lernen. Eswird ihr nicht bewusst, dass sie ein Bild Afrikas retten will, das seine Wurzelnin der europäischen Geistes- und Kulturgeschichte hat. Sie glaubt – wie sicherdie meisten Europäer – an eine klare Trennung zwischen traditioneller undmoderner Welt. Die geistigen Grundlagen dieser modernen Weltauffassung,die sich bewusst gegen Traditionen abgrenzt, wurden in der europäischenAufklärung gelegt. Der Zuschauerin kommt nicht in den Sinn, in der Aus einan-dersetzung mit dem Film dieses Weltbild zu hinterfragen. So verlieren beideSeiten: die westliche Position, die ihre Chance, neu zu sehen und zu verstehen,verpasst, wie auch die afrikanische Position, die von oben herab belehrt wird. Das Projekt AFRICAN SCREENS wie das vorliegende Buch waren und sind dage-gen der Versuch, die afrikanische Seite zur Sprache zu bringen, damit beideSeiten davon profitieren. In erster Linie danke ich dafür Manthia Diawara,dessen Engagement und Kenntnisreichtum dieses Projekt erst möglichmachten. Der Dank geht auch an alle (afrikanischen) Filmemacher, die uns ineiner Reihe von Veranstaltungen im Haus der Kulturen der Welt ihre Positio-nen näher brachten. Danken möchte ich auch Doris Hegner, die das Film- undBuchprojekt von unserer Seite leitete, und Martin Hager, der die Publikationmit begleitete. Dank gebührt auch dem Auswärtigen Amt und dem Verein derFreunde e. V. – Haus der Kulturen der Welt. Für die Unterstützung bei der Realisierung der DVD mit Interviews afrikanischer Filmemacher danke ichdem Prince Claus Fund und der Organisation Internationale de la Francophonie.

Bernd M. Scherer, Indendant des Hauses der Kulturen der WeltBerlin im Dezember 2009

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Kapitel 1: Ouagadougou

Manthia Diawara

Ouagadougou, 28. Februar 2009. Ich wachte früh auf an diesem Morgen, un-beeindruckt von den Frustrationen des vergangenen Tages und der Nachtdavor, als ich unter anderem wegen einer verspäteten Maschine einen gan-zen Tag auf dem Flughafen von Dakar verschwendet hatte. Aus New Yorkkommend, war ich nach siebenstündigem Flug um drei Uhr morgens in Da-kar gelandet. Doch mein Anschlussflug war nicht, wie ich geglaubt hatte,für sechs Uhr morgens, sondern erst für sechs Uhr abends angesetzt. Nunsteckte ich fest auf diesem kleinen Flughafen ohne bequeme Sessel oder ir-gendwelche Einkaufsmöglichkeiten, mit denen ich die Langeweile austrick-sen hätte können. Ich fing an, über das Dilemma von Moderne und Fort-schritt in Afrika nachzudenken.

Vielleicht glauben Sie nun, ich sei nur einer dieser frustrierten Afrikaner aufHeimatbesuch und überdies selbst schuld, wenn ich die Abflugzeiten aufmeinem Ticket nicht genau lese. Dem würde ich zustimmen, wäre mein AirBurkina-Flug nicht auch noch mit fünf Stunden Verspätung gestartet. Dabeihatte ich alles so geplant, dass ich spätestens um zehn oder elf Uhr abendsin Ouagadougou ankommen, mein Hotelzimmer beziehen und dann nochZeit haben würde, meine alten Freundschaften unter den Filmemachern ausganz Afrika aufzufrischen – Zeit auch für das Nachtleben von Ouagadougouwährend des Festivals und dafür, die illustre Meute rund um den Pool imHôtel Indépendance zu beobachten und selbst von allen gesehen zu werden.Mein Flug landete erneut um drei Uhr morgens in Ouagadougou – eben-falls eine afrikanische Hauptstadt. Die Eröffnungsparty des Festivals hatteman mir gründlich verdorben. Aber auch das Hotel erwartete mich mit ei-ner unangenehmen Überraschung. Obwohl ich mein Zimmer schon dreiMonate zuvor gebucht hatte, war meine Reservierung leider unauffindbar

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und das Hotel voll bis auf den letzten Platz. Zum Glück kannte ich das Spiel,das die Rezeptionisten mit mir spielten. Sie hatten mein Zimmer einfachzwei Weißen gegeben, die vor mir angekommen waren und ein Trinkgeldin unbekannter Höhe hinterlassen hatten. Zuerst legte ich meine Kreditkar-te auf den Tisch und erklärte dem leitenden Rezeptionisten in aller Ruhe,dass nicht das Festival meine Rechnung bezahlte, sondern ich selbst, mitmeiner Karte. Der Mann sah mich an, als wollte er sagen: „Na und?“

Ich war zu müde, um laut zu werden, einen Aufstand zu machen oder michüber Korruption und Rassismus auszulassen. Außerdem war ich wegen derZeitverschiebung und dem anhaltenden Schlafmangel schon ziemlich ne-ben mir. Also streckte ich dem Rezeptionisten meine Hand entgegen undließ eine 100 Dollar-Note in die seine wandern. Ohne ein Wort gab er mirein Formular, in das ich die Daten meines Passes eintragen musste, und ei-nen Schlüssel.

Als ich endlich am Pool vorbei zu meinem Zimmer ging, saßen dort nurnoch einige besonders zähe Veteranen bei Whisky und Cognac an einemTisch. Ich grüßte sie, und sie luden mich zu einem Gläschen ein, worauf ichantwortete, dass ich nur schnell meine Sachen im Zimmer abstellen unddann wiederkommen wollte. Ein bloßes Nein, da war ich sicher, hätten sienicht akzeptiert.

Jedem normalen Menschen wäre nach dieser Kette von Missgeschicken undSchikanen die Lust auf ein Filmfestival irgendwo in einem afrikanischenLand namens Burkina Faso wohl gründlich vergangen. Nicht so in meinemFall: Ich konnte höchstens eine Stunde geschlafen haben, als mich das grelleMorgenlicht in meinem Zimmer weckte. Mit einem Satz war ich auf den Bei-nen und wild entschlossen, von jetzt an keinen der Höhepunkte des Festi-val Panafricain du Cinéma et de la Télévision de Ouagadougou, wie das FESPACO mit vollem Namen heißt, zu verpassen.

Wie jedes Jahr hatte ich mich im frostigen, windigen Winter von New Yorkschon auf die warmen und milden Morgen von Ouaga gefreut. Besondersvon Januar bis März fehlen mir diese Tagesanbrüche in Ouagadougou, be-

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vor die glühende Sonne all die großen Schatten der Bäume und Hausmau-ern vertreibt. Das Wetter hätte nicht besser sein können. Eine leichte Briseliebkoste mein Gesicht, das rasch heller werdende Licht erfüllte meine Au-gen, und in den Büschen sangen die Vögel.

Ansonsten war im Innenhof des Hotels kaum ein Laut zu hören. Nur dieAngestellten raschelten mit ihren Besen auf dem Boden, Wassergüsse lan-deten auf Pflanzen, Messer und Gabeln klapperten leise auf den Frühstücks-tischen. Ich sah eine Weiße, die im Pool ihre Bahnen zog. Von einem Mo-ment auf den anderen erfüllte der Duft von ofenfrischen Croissants den gan-zen Innenhof. Allein dieser Augenblick im Hôtel Indépendance, so sagte ichmir, war bestimmt die 100 Dollar wert, die ich bezahlt hatte, nur um meinZimmer zu bekommen.

Ich saß an einem Tisch, der frisch für mich gedeckt und nicht zu weit vomPool entfernt war, schräg gegenüber des Eingangs zum frisch renoviertenRestaurant und mit freier Aussicht auf den Hof und die Eingangshalle desHotels. Von hier aus konnte ich meinen Café Latte mit Croissants und fri-schen Obst genießen, während sich vor mir das Panorama der Kommendenund Gehenden entfaltete.

Ein mehr als zwei Meter hohes, farbiges Porträtfoto hing an der Wand ne-ben den Glastüren des Foyers. Es zeigte Ousmane Sembène (1923–2007), denHalbgott des afrikanischen Films. Er trug einen traditionellen, bunten Um-hang und die Kopfbedeckung der Moré-Häuptlinge. Sein Markenzeichen,die Pfeife, hing zwischen den Lippen des Patriarchen. Wie eine jener Mas-ken, die bei den Igbo die Eingänge von Heiligtümern hüten, sah er hinun-ter auf das Kommen und Gehen der Leute.

Ousmane Sembène und die anderen sogenannten Weisen des afrikanischenFilms hatten früher ihren Tisch am anderen Ende des Pools, unweit des Zim-mers 001, das bei jedem FESPACO für Sembène reserviert war. Gäste undafrikanische Filmemacher jüngerer Generationen durften Sembène und denanderen an diesem besonderen Tisch ihre Aufwartung machen, aber keinUneingeweihter hatte das Recht, sich an ihren Tisch zu setzen und mit ih-

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nen zu trinken. Viele Leute kamen zum Hôtel Indépendance einzig und al-lein, um einen Blick auf Sembène und seine Getreuen beim Pool zu erhei-schen. Einige wenige Glückspilze durften sich für ein Foto neben ihn stellen.

Ich weiß noch, wie Sembène einmal sagte, das FESPACO sei wie ein Zoo, indem die Besucher ein seltenes Tier der Gattung „afrikanischer Filmema-cher“ besichtigten. Wahrscheinlich trug kaum etwas so sehr zur exotischenAnmutung des afrikanischen Films und seiner Regisseure bei wie die Tafel-runde der Filmweisen im Hôtel Indépendance. Sembène selbst vermarktetedieses Klischee sehr bewusst und so unverfroren wie kein anderer.

Bei der Erinnerung an seinen Vergleich mit dem Zoo wurde mir nun klar,wie wichtig es für Sembène gewesen war, darin den Löwen, den von allengefürchteten König des Waldes zu spielen. Er bestrafte unnachgiebig jeden,der seine Autorität infrage stellte. Von seiner Selbstdarstellung eines einfa-chen Mannes, der einfach nur er selbst war, sollte man sich nicht täuschenlassen. Sembène war sehr darauf bedacht, eine einzigartige Erscheinungoder, um mit Pierre Bourdieu zu sprechen, einen unverwechselbaren Habi-tus zu kultivieren.

Schon früh, als er noch Schriftsteller war und von der KommunistischenPartei in Marseille ideologisch geschult wurde, nahm Sembène ein Verhal-ten und Kleidungsgewohnheiten an, die an das „einfache“ Erscheinungs-bild der kollektiven Arbeiter- und Bauernhelden in seinen Romanen undKurzgeschichten erinnern sollten. Wann immer er in den Sechzigerjahrennach Paris kam, konnte man ihn vor dem Buchladen der Présence Africaineschon von weitem an seinen Kopfbedeckungen erkennen. Meist erschien erdort mit einem schwarzen Beret, einer Matrosenmütze oder einer Kapuzeaus Schaffell, wie sie die nordafrikanischen und senegalesischen Arbeiter inFrankreich trugen. Auch die Pfeife, die er fast nie aus dem Mund nahm, warein solcher Totem. Bemerkenswert war auch das Tempo, mit dem Sembènesich auf Menschen zubewegte, wobei er eine Schulter hängen ließ, als trügeer darauf eine schwere Last. Er hatte eine raue Stimme und einen Silberblick,der einen listig fixierte. Man konnte nie ganz sicher sein, ob er einen anlach-te oder auslachte.

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Das Bild von Ousmane Sembène als einem einfachen Mann, der sich mit denafrikanischen Völkern identifizierte und überall dem Mann von der Straßeglich, bedeutete für die Rhetorik der „Wahrhaftigkeit“ im afrikanischen Ki-no sehr viel. Für ihn selbst war es Teil des Versuchs, in Filmen und Bücherndas Ideal eines neuen Menschen zu schaffen. Er legte sich eine ganze Ikono-grafie zurecht, um sich zu „einem von uns“ zu machen, und sparte nicht mitAnleihen bei anderen Volkshelden wie Amílcar Cabral, Kwame Nkrumahund Patrice Lumumba – die bei der Gestaltung ihres öffentlichen Erschei-nungsbildes ebenfalls nichts dem Zufall überließen und sogar eigene Mo-den innerhalb Afrikas und der afrikanischen Diaspora kreierten. Auch ihrStil und Selbstverständnis entsprachen einer Idealvorstellung von Afrikaals modernem, selbstbewusstem und fortschrittlichem Kontinent. Nicht zu-letzt beinhaltete das bäuerliche und revolutionäre Bild Afrikas eine scharfeAbgrenzung von jenem anderen Ideal der afrikanischen Moderne, für dasLéopold Sédar Senghor und andere bürgerlich gesinnte Nacheiferer stan-den. Schon allein durch sein Auftreten und seine Körpersprache artikulierteSembène eine Brandrede gegen Afrikaner, die Anzüge und Krawatten tru-gen, näselten, um einen Pariser Akzent zu imitieren, und in Afrika möglichstalles nach französischer Manier tun wollten.

Unter Filmemachern und Besuchern des Festivals in Ouagadougou warOusmane Sembène gleichermaßen hoch geachtet und gefürchtet. Wer alsjunger Regisseur im Umgang mit ihm seine Grenzen überschritt, wurde öf-fentlich gedemütigt und fallen gelassen – allen anderen zur Warnung, sichdem König der Löwen nicht unbotmäßig zu nähern. Letzten Endes warSembène ein afrikanischer Patriarch und in seinem Verhalten ziemlich bere-chenbar: mal liebevoll und gönnerhaft, dann wieder offensiv und angriffs-lustig. Es war immer ein Fehler, ihn zu unterschätzen. Trotz seiner Arbeiter-klassen-Kostümierung war er stets wachsam und machtbewusst.

Auch mit seinen Filmen arbeitete Sembène an der Schaffung eines mythi-schen Afrikabildes. Von Anfang an konfrontierte er das Publikum mit Figu-ren, die die bestehende Ordnung der Welt infrage stellten, Veränderungeneinforderten und unserer gewohnten Sichtweise auf Afrika als einen Konti-nent außerhalb der Geschichte widersprachen. Die Erzählungen in seinen

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frühen Filmen entfalten Gegensätze zwischen Stadt und Land, zwischenneokolonialen, bourgeoisen Eliten einerseits und Bauern und Lumpenpro-letariern andererseits, sowie zwischen dem Französischen und den afrika-nischen Sprachen.

In Ousmane Sembènes Filmen zählt die Gruppe mehr als der Einzelne. Ki-no war für ihn außerdem ein Ort der distanzierten Betrachtung, denn erwollte nicht, dass sich das Publikum mit den neuen afrikanischen Elitenidentifizierte, die nichts taten, um die Bewusstseinsbildung der Massen zufördern. Nicht zuletzt geht es bei Sembène immer um Gut und Böse. Die Ka-mera richtet sich gegen die kolonialen und neokolonialen Mächte in Afrika.Sein bedeutendster Beitrag zum Kino der Welt liegt darin, dass er das Bildvon Afrika aufgewertet und Afrika eine Stimme gegeben hat – im Gegen-satz zu Hollywood und den anderen kolonialen Filmindustrien, die denAfrikanern eine eigene Filmsprache und einen Platz in der Geschichte ver-wehrten. Als fortschrittlicher Filmemacher glaubte Ousmane Sembène da-ran, dass der fortschrittliche Wandel von jenen ausgehen sollte, die zuvorin den westlichen Spielfilmen und ethnologischen Dokumentationen ge-sichts- und stimmlos geblieben waren.

Ousmane Sembène © coll. MTM

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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Manthia Diawara

Neues afrikanisches KinoÄsthetik und Politik

Paperback, Klappenbroschur, 320 Seiten, 17,0x21,140 farbige Abbildungen, 20 s/w AbbildungenISBN: 978-3-7913-4343-3

Prestel

Erscheinungstermin: April 2010

Die Entwicklung des afrikanischen Kinos der Gegenwart Der Autor Manthia Diawara zeigt, welch aufregende Entwicklung sich seit den 1990erJahren im afrikanischen Kino vollzieht. Im Fokus des essayistisch gehaltenen Textes stehendie neue Filmsprache, die Produktionsweisen, die Filmindustrie und der Trend weg vomNationalismus und sozialen Realismus. Textbeiträge von Filmemachern, Produzenten undFilmwissenschaftlern sowie Porträts der dreißig wichtigsten afrikanischen Regisseure und ihrerFilme spiegeln die aktuellen Trends des afrikanischen Films.