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Neues von
binären Phosphorsulfiden und
anderen Phosphorchalkogen-Molekülen
und ihren Derivaten
Dissertation
zur Erlangung des Grades eines
Doktors der Naturwissenschaften
Fachbereich Biologie/Chemie
der Universität Osnabrück
eingereicht von
Dipl.-Chem. Heike Nowottnick
Osnabrück 2000
Die vorliegende Arbeit wurde in der Zeit von September 1996 bis April 2000 im Fachbereich
Biologie/Chemie am Institut für Chemie der Universität Osnabrück unter der Leitung von
Herrn Prof. Dr. R. Blachnik durchgeführt.
Datum der Abgabe: 08.05.2000
Datum der Prüfung: 05.06.2000
Referent: Prof. Dr. R. Blachnik
Korreferent: Prof. Dr. H. Reuter
Danksagung
Allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Arbeitskreises Anorganische Chemie habe ich
für ihre Hilfsbereitschaft zu danken. Besonderer Dank gebührt...
... Herrn Prof. Dr. Roger Blachnik für die vertrauensvolle Unterstützung und wissen-schaftliche Begleitung dieser Arbeit.
... Herrn Prof. Dr. Hans Reuter für die Strukturbestimmungen und die Übernahme desKorreferats.
... Herrn Dr. habil. K. Karaghiosoff für hilfreiche Anregungen und Diskussionen.
... Herrn Prof. Dr. H. Eckert für die Aufnahme der 31P-MAS-NMR-Spektren
... Herrn Prof. Dr. W. Brockner für die Aufnahme der Raman-Spektren
... Jörg, dem ich diese Arbeit widme, für die zahlreichen und interessanten Diskussionenund die Mithilfe bei der Entwicklung und Verfeinerung neuer Ideen.
... meinen Eltern Waltraut und Günther Nowottnick, für ihr Vertrauen und die Unterstüt-zung, die sie allen meinen Unternehmungen immer zukommen lassen.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung ..........................................................................................................................1
2 Apparatives .......................................................................................................................5
2.1 31P-NMR-spektroskopische Messungen.........................................................................5
2.2 Röntgenstrukturanalysen ................................................................................................5
2.3 Versuchsbedingungen.....................................................................................................6
2.4 Verwendete Chemikalien ...............................................................................................6
3 Neue binäre Phosphorsulfide...........................................................................................7
3.1 Allgemeines ....................................................................................................................7
3.2 Zwei neue Phosphorsulfide: δ-P4S6 und ε-P4S6..............................................................9
3.2.1 Einleitung................................................................................................................9
3.2.2 Experimentelles ......................................................................................................9
3.2.3 Ergebnisse und Diskussion...................................................................................10
3.3 Ein neues Phosphorsulfid mit Adamantangerüst: δ-P4S7 .............................................23
3.3.1 Einleitung..............................................................................................................23
3.3.2 Experimentelles ....................................................................................................23
3.3.3 Ergebnisse und Diskussion...................................................................................23
3.3.3.1 Zuordnung der 31P-NMR-Spektren ..................................................................26
3.4 Zusammenfassung ........................................................................................................28
4 Phosphor-Chalkogen Moleküle als Komplexliganden ................................................29
4.1 Einleitung......................................................................................................................29
4.2 Experimentelles ............................................................................................................30
4.3 Die Kristallstruktur von [β-P4S4(NbCl5)2]....................................................................31
4.4 Die Kristallstruktur von [P4Se3(NbCl5)].......................................................................35
4.5 Diskussion und Zusammenfassung ..............................................................................39
5 Aminoderivate von αααα-P4S3I2 und αααα-P4Se3I2..................................................................40
5.1 Einleitung......................................................................................................................40
5.2 Experimentelles ............................................................................................................40
5.3 Ergebnisse und Diskussion...........................................................................................43
5.4 Zusammenfassung ........................................................................................................50
6 Die ββββ-αααα-Umwandlung von Tetraphosphatrichalkogenadihalogeniden .....................51
6.1 Einleitung......................................................................................................................51
6.2 Experimentelles ............................................................................................................52
6.3 Ergebnisse und Diskussion...........................................................................................53
6.3.1 Reaktion von β-P4S3I2 an Licht ............................................................................54
6.3.2 Reaktion von β-P4S3I2 unter Lichtausschluß ........................................................56
6.3.3 Hypothetisches Reaktionsschema der intermolekularen Umwandlung ...............59
6.3.4 Untersuchungen des Reaktionstyps der β-α-Umwandlung..................................61
6.3.5 31P -MAS-NMR und Raman spektroskopische Untersuchungen.........................62
6.4 Zusammenfassung ........................................................................................................63
7 Zusammenfassung ..........................................................................................................65
8 Literatur ..........................................................................................................................67
9 Anhang.............................................................................................................................71
9.1 31P-NMR-Daten der Phosphorsulfide...........................................................................71
9.2 Atomlagen und Auslenkungsparameter von [β-P4S4(NbCl5)2] und [P4Se3(NbCl5)] ....73
1 Einleitung
1
1 Einleitung
Die Geschichte charakterisierter Phosphorsulfide begann 1843 mit dem von Berzelius entdeckten
„P2S5“ [43BER]. Zahl und Zusammensetzung der in den folgenden Jahren berichteten Verbin-
dungen schwankte von da an, so daß Stock 1909 [09STO] diese Chemie als "eine richtige Ko-
mödie der Irrungen" bezeichnete. Es wurde eine Vielzahl neuer Phosphorsulfide beschrieben,
wobei es sich oft nur um Mischungen handelte. Aus heutiger Sicht der Chemie mit ihren effekti-
veren Untersuchungsmethoden, ist das Durcheinander zu Beginn der Phosphorchemie verständ-
lich, bedenkt man die große Anzahl der bis heute tatsächlich nachgewiesenen Phosphorsulfide.
Vor allem die Entwicklung der NMR-Spektroskopie ermöglichte erst den Nachweis einzelner
Phosphorsulfide. 1976 waren mit Ausnahme von β-P4S4 die Kristallstrukturen aller bekannten
Sulfide bestimmt worden [83CHA, 57LEU, 78MIN, 57VAN, 75GRI, 81BUE, 95BLA, 55VOS,
81THA, 70MEI, 98BLA]. Die Charakterisierung neuer Sulfide erfolgte nun fast ausschließlich
mit Hilfe der 31P-NMR-Spektroskopie [95BLA, 97JAS, 91BJO, 82BAR] in Lösung. Im Gegen-
satz zur Vielfalt der Phosphorsulfide (P4Sx mit x = 3-10) sind nur sehr wenige Phosphorselenide
bekannt [91BLA, 91BAL, 92BLA, 94BLA1, 94BLA2].
Zu den seit langem bekannten Phosphorsulfiden zählen P4S10 (1843, Berzelius), P4S3 (1864, Le-
moine), α-P4S7 (1891, Mai) und α-P4S5 (1906, Boulouch). Alle können thermisch aus den Ele-
menten dargestellt werden [91CZE, 93PEU, 95BLA] mit Ausnahme von α-P4S5, das sich aus
stöchiometrischen Mengen von P4S3 und Schwefel unter katalytischer Einwirkung von Iod in
CS2, an Tageslicht innerhalb einiger Tage bildet [79BLA, 93PEU].
α-P4S5 ist thermisch instabil und disproportioniert in der Gasphase zu P4S3 und P4S7 [35TRE].
Meisel und Grunze wiesen 1969 α-P4S9 nach, das entweder thermisch aus den Elementen oder
P4S3 + 2 S α -P4S5in CS2
I2 als Kat.
1 Einleitung
2
durch Entschwefelung von P4S10 mit Triphenylphosphin dargestellt werden kann [70MEI,
93PEU].
1976 wurden von Griffin gleich eine ganze Reihe neuer Phosphorsulfide entdeckt: α-P4S4,
β-P4S4, β-P4S5 und β-P4S6 [76GRI]. Die Darstellung von α-P4S4 und β-P4S4 erfolgt aus α-P4S3I2
bzw. β-P4S3I2 mit Bis-trimethylzinnsulfid [76GRI].
Bei thermischer Belastung erfolgt eine Disproportionierung von α-P4S4 in P4S3 und α-P4S5. In
Lösung disproportioniert β-P4S4 relativ schnell zu P4S3 und α-P4S5 [91CZE]. β-P4S5 und β-P4S6
entstehen durch Entschwefelung von α-P4S7 mit Triphenylphosphin [79BLA, 91BJO].
Barieux und Demarq fanden 1982 α-P4S8. Es bildet sich durch Entschwefelung von α-P4S9 mit
Triphenylphosphin [82BAR].
1991 wiesen Bjorholm und Jacobsen in der Phosphor/Schwefel-Schmelze α-P4S6 und γ-P4S5
nach. Letzteres entstand nur in sehr geringen Konzentrationen [91BJO]. Neto konnte 1992 durch
Umsetzung von α-P4S3I2 mit Cp2TiS5 ein neues Isomer von P4S7 31P-NMR spektroskopisch cha-
rakterisieren [92NET]. Peukert fand 1995 bei der Untersuchung von Phosphor/Schwe-
P4S10 + (C6H5)3P α-P4S9 + (C6H5)3PSin CS2
α-P4S3I2 + (Me3Sn)2Sin CS2 α-P4S4 + 2 Me3SnI
β-P4S3I2 + (Me3Sn)2Sin CS2 β-P4S4 + 2 Me3SnI
T = -30°C
α-P4S7 + (C6H5)3P β-P4S6 + (C6H5)3PSin CS2
α-P4S7 + 2 (C6H5)3P β-P4S5 + 2 (C6H5)3PSin CS2
α-P4S9 + (C6H5)3P α-P4S8 + (C6H5)3PSin CS2
1 Einleitung
3
fel-Schmelzen, β-P4S7, β-P4S8 und β-P4S9 [95PEU]. 1997 fand Jason [97JAS] durch die Sulfu-
rierung von P4Sn (n ≥ 5) mittels Triphenylantimon- oder Triphenylarsensulfid einen neuen Zu-
gang zu Phosphorsulfiden. Die geschichtliche Entwicklung der Phosphorsulfide zeigt Abb. 1.
Die Phosphorsulfide sind luft- und feuchtigkeitsempfindlich und müssen unter Schutzgas aufbe-
wahrt werden. Eine Ausnahme stellt P4S3 dar, das beständig gegenüber Feuchtigkeit und Luft ist.
Ein großer Teil der vorliegenden Arbeit ist den Phosphorsulfiden gewidmet, denn es soll der
Frage nachgegangen werden, ob trotz der schon großen Vielfalt noch weitere Verbindungen31P-NMR spektroskopisch nachgewiesen werden können.
Weiterhin soll geprüft werden, wie sich P4E3-Moleküle (E= S, Se) gegenüber Lewissäuren ver-
halten. Eine Literaturübersicht von Wachter [98WAC] hat gezeigt, daß bei diesen Umsetzungen
das P4S3-Gerüst erhalten bleibt und voluminöse Liganden an das apikale Phosphoratom gebun-
den sind. Es soll nun untersucht werden, welche Positionen am Phosphoratom die Liganden bei
der Reaktion von P4E3 mit NbCl5 einnehmen und ob das Phosphor-Chalkogen-Gerüst erhalten
bleibt oder wesentlich verändert wird.
Ein weiterer Teil dieser Arbeit ist den Reaktionen von α-P4S3I2 und α-P4Se3I2 mit primären
Aminen gewidmet. Mit diesen Versuchen soll die Reihe der Amine und Imine [94HAC] durch
Umsetzung mit primären Aminen, die einen größeren Rest R besitzen, vervollständigt werden.
Im letzten Kapitel wird die Umwandlung von β-P4S3I2 zu α-P4S3I2 näher untersucht. Mit Expe-
rimenten an Licht und unter Lichtausschluß soll mit Hilfe der 31P-NMR-Spektroskopie der Re-
aktionsmechanismus und die Reaktionsordnung aufgeklärt werden.
1 Einleitung
4
Abbildung 1: Chronologie der Phosphorsulfide
1843 Berzelius P4S10
1864 LemoineP4S3
1976 Griffin α-P4S4 β-P4S4 β-P4S5 β-P4S6
1969 Meisel, Grunze
α-P4S9
1906 Boulouch α-P4S5
1995 Blachnik β-P4S7 β-P4S8 β-P4S9
1991 Bjorholm, Jacobsen γ-P4S5 α-P4S6
1982 Barieux, Demarq
α-P4S8
1997 Jason γ-P4S6 γ-P4S8
1999 Blachnik δ-P4S6 γ-P4S7 ε -P4S6
1891 Mai α-P4S7
2 Apparatives
5
2 Apparatives
2.1 31P-NMR-spektroskopische Messungen
Die 31P-NMR-Spektren wurden mit den NMR-Spektrometern Avance 250 DPX und AC-250 mit
Aspect 3000 und Array-Processor aufgenommen. Die Aufnahme der Spektren erfolgte bei einer
Meßfrequenz von 101,3 MHz für 31P und 289 K in 5 mm Probenröhrchen. Die Messungen er-
folgten in über P4O10 getrocknetem CS2. Zur Frequenzstabilisierung wurden abgeschmolzene
Glaskapillaren hinzugefügt, die mit Deuterobenzol gefüllt waren. Die chemischen Verschiebun-
gen beziehen sich auf externe 85 % ige H3PO4-Lösungen.
Die Spektrenauswertung erfolgte mit Hilfe des Spektrensimulations- und Iterationsprogrammes
WinDaisy [96BRU].
2.2 Röntgenstrukturanalysen
Die röntgenographischen Einkristalluntersuchungen wurden mit einem Siemens P4 Vierkreisdif-
fraktometer, ausgerüstet mit einem Graphitmonochromator, bei 293 K mit Mo-Kα-Strahlung
vermessen. Die unter dem Polarisationsmikroskop völlig auslöschenden Einkristalle wurden in je
eine Glaskapillare (0,7 mm) eingebracht und unter Vakuum abgeschmolzen. Die Strukturen
wurden mit direkten Methoden gelöst und gegen F2 mit anisotropen Auslenkungsparametern für
alle Atome verfeinert. Die Strukturlösungen und Verfeinerungen erfolgten jeweils mit dem Sie-
mens-SHELXTL/PC-Paket [94SHE].
2 Apparatives
6
2.3 Versuchsbedingungen
Alle Reaktionen wurden mit der Schlenktechnik bei Zimmertemperatur in CS2-Lösungen durch-
geführt. Das verwendete Argon (99,96 %) wurde über Molekularsieben getrocknet und mittels
BTS-Katalysator von Sauerstoffspuren befreit. Die Handhabung luftempfindlicher Feststoffe
erfolgte in einer Glove-Box der Fa. Braun (MB-20-G).
2.4 Verwendete Chemikalien
Substanz Hersteller Reinheit
Phosphor Knapsack 99,999 %Schwefel Merck 99,95 %
Selen Retorte 99,999 %
Iod Riedel-de Haën 98 %
CS2 Merck >99,9 %
(C6H5)3P Aldrich Chemical Co. 99 %
(C6H5)3As Aldrich Chemical Co. 99 %
(C6H5)3SbS Strem Chemical Co. 98 %
[(CH3)Sn]2S Aldrich Chemical Co. 96 %
NbCl5 H. C. Stark GmbH & Co KG 99,999 %
C25H21N Merck-Schuchardt >96 %
C13H11N Fluka >97 %
C10H18ClN Merck-Schuchardt >99 %
(C2H5)3N Aldrich Chemical Co. >99 %
(C2H5)3N Aldrich Chemical Co. >99 %
Na2S2O3 Bayer keine Angaben
Stärke Merck keine Angaben
3 Neue binäre Phosphorsulfide
7
3 Neue binäre Phosphorsulfide1
3.1 Allgemeines
Alle Phosphorsulfide leiten sich vom P4-Tetraeder ab, in das Schwefelatome entweder als Brük-
ke eingebaut oder exoständig durch eine Doppelbindung an ein Phosphoratom gebunden sind.
Die bekannten und die möglichen Varianten dieses Bauprinzips zeigen die in Abbildung 2 wie-
dergegebenen Molekülstrukturen. Sie entstehen formal durch exocyclische Addition von Schwe-
fel an die Phosphoratome von vier Grundgerüsten, β-P4S42, α-P4S4, β-P4S5 und ein noch unbe-
kanntes P4S6-Gerüst mit Adamantanstruktur. In diesem Schema wurden Strukturen nicht berück-
sichtigt, in denen mehr als drei Phosphoratome direkt aneinander gebunden sind oder Sn-Brücken
(n>1) auftreten. Molekülstrukturen dieser Art wurden bisher nicht beobachtet, sieht man von
P4S10+n ab [87NEE], dessen Existenz nicht gesichert ist. Auch das Auftreten von Isomeren, in
denen alle Phosphoratome einer basalen P3-Gruppe exoständigen Schwefel tragen, ist unwahr-
scheinlich. In der vorliegenden Arbeit sollte die Sulfurierung von α-P4S4 untersucht werden. Zur
Klärung der Reaktionswege wurde außerdem das Verhalten eines Zwischenprodukts, β-P4S5,
überprüft. Daneben wurden einige Sulfurierungen mit Vertretern der β-P4S4-Reihe, β-P4S4 und
α-P4S5, durchgeführt, die sich durch ihre P3-Gruppierung von den anderen drei Phosphorsulfiden
deutlich unterscheiden.
1 Die Ergebnisse dieses Kapitels wurden teilweise in der Zeitschrift für Anorganische und Allgemeine Chemie1999, 625, 1966 und 2000, 626, 1 publiziert [99NOW2, 00 NOW].2 Die Nomenklatur der Phosphorsulfide ist verwirrend, denn die Bezeichnung mit den Symbolen α, β, γ, δ oder εweist nicht auf den Aufbau des Moleküls hin, sondern wurde in der Reihenfolge der Entdeckung gewählt und wirdauch für die Bezeichnung unterschiedlicher Modifikationen desselben Isomers vergeben.
3 Neue binäre Phosphorsulfide
8
Abbildung 2: Überblick über die bisher nachgewiesenen und die noch unbekannten Struktu-
ren von P4Sn-Molekülen
β-P 4
S 4α-
P 4S 5
P 4S 5
(?)P
4S5(
?)α-
P 4S 6
γ-P 4
S 6P 4
S 6(?
)P 4
S 6(?
)P 4
S 7(?
)P 4
S 7(?
)P 4
S 7(?
)P 4
S 8(?
)
α-P
4S4
γ-P 4
S 5ε-
P 4S 6
P 4S 6
(?)
P 4S 7
(?)
P 4S 8
(?)
β-P 4
S 5δ-
P 4S 6
β-P 4
S 6α-
P 4S 7
β-P 4
S 7γ-
P 4S 7
β-P 4
S 8γ-
P 4S 8
β-P 4
S 9
P 4S 6
(?)
δ-P 4
S 7α-
P 4S 8
α-P
4S9
P 4S 1
0
Gru
ndst
rukt
uren
eige
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kann
teSt
rukt
uren
3 Neue binäre Phosphorsulfide
9
3.2 Zwei neue Phosphorsulfide: δδδδ-P4S6 und εεεε-P4S6
3.2.1 Einleitung
α-P4S4 wurde mit Triphenylantimonsulfid und Triphenylarsensulfid in CS2-Lösungen umgesetzt.
Bei der Reaktion entstanden das in Spuren in Phosphor-Schwefel-Schmelzen vermutete γ-P4S5
als Hauptprodukt, und die in geringen Mengen gebildeten neuen Isomere δ-P4S6 und ε-P4S6. Die
neuen Verbindungen konnten erstmals in CS2-Lösung 31P-NMR-spektroskopisch identifiziert
werden. Zur Klärung des Ablaufs der Sulfurierungen wurden auch Versuche mit β-P4S4, β-P4S5
und α-P4S5 durchgeführt. Aus den sich ergebenden Produktverteilungen wird auf Reaktionswege
geschlossen. In allen Fällen ist die Primärreaktion eine Addition von Schwefel an Phosphor, der
sich Insertion und Additionen anschließen können. Durch Lagerung der CS2-Lösungen der ver-
wendeten Sulfide konnte nachgewiesen werden, daß die in den Phosphor-Schwefel-Schmelzen
beobachteten Gleichgewichtsreaktionen (z.B. 2 β-P4S4 � P4S3 + α-P4S5) bei Zimmertemperatur
auch in Lösung ablaufen.
3.2.2 Experimentelles
Triphenylarsensulfid wurde nach Literaturvorschrift dargestellt [90BAE]. Alle Reaktionen wur-
den mit der Schlenktechnik bei Zimmertemperatur in CS2-Lösungen durchgeführt. Die Darstel-
lung von α-P4S4 erfolgte aus α-P4S3I2, das mit Bis-Trimethylzinnsulfid im Verhältnis 1:1 umge-
setzt wurde [76GRI, 79BLA]. α-P4S3I2 wurde durch Aufschmelzen stöchiometrischer Mengen
der Elemente, oder durch Aufschmelzen äquimolarer Mengen von P4S3 mit Iod in evakuierten
Quarzglasampullen bei ca. 450 K präpariert und anschließend aus CS2 umkristallisiert. β-P4S5
wurde durch Entschwefelung von α-P4S7 mittels Triphenylphosphin dargestellt [76GRI].
Die NMR-Spektren wurden mit einem Bruker Avance-250 DPX Spektrometer bei einer Meßfre-
quenz von 101,3 MHz für 31P und 298 K in 5 mm Probenröhrchen aufgenommen. Die Aufnahme
der Spektren erfolgte in über P4O10 getrocknetem CS2. Zur Frequenzstabilisierung wurden abge-
schmolzene Glaskapillaren hinzugefügt, die mit Deuterobenzol gefüllt waren. Die chemischen
Verschiebungen beziehen sich auf externe 85 % H3PO4/H2O Lösungen.
3 Neue binäre Phosphorsulfide
10
Reaktion von Triphenylantimonsulfid mit α-P4S4:
0,2 g (0,8 mmol) α-P4S4 werden in einem 100 mL Schutzgaskolben in 20 mL CS2 gelöst und mit
Hilfe eines Tropftrichters mit Druckausgleich mit einer Lösung von 0,31 g (0,8 mmol)
(C6H5)3SbS in 15 mL CS2 innerhalb von 30 Minuten bei Zimmertemperatur versetzt. Die Reak-
tion mit anderen Phosphorsulfiden erfolgte auf gleiche Art und Weise. Bei Zugabe der
CS2-Lösungen von Triphenylantimonsulfid innerhalb von 30 Minuten zu CS2-Lösungen von
Phosphorsulfid wurde im Gegensatz zu den Befunden von Jason [97JAS] kein Schwefelnieder-
schlag beobachtet.
3.2.3 Ergebnisse und Diskussion
3.2.3.1 Ausgangsverbindungen
Um die Reinheit der Ausgangssubstanzen zu überprüfen, wurden zunächst 31P-NMR-Spektren
der Lösungen dieser Sulfide gemessen. Während α-P4S4 in reiner Form dargestellt werden
konnte, waren die Lösungen von β-P4S4, β-P4S5 und α-P4S5 mit anderen Phosphorsulfiden ver-
unreinigt (Tab. 1). Da in Phosphor-Schwefel-Schmelzen die unterschiedlichen Sulfide über dy-
namische Gleichgewichte miteinander verknüpft sind, stellte sich die Frage, ob auch in den Lö-
sungen Gleichgewichtsreaktionen ablaufen. Deshalb wurden Lösungen von α-P4S5 und β-P4S5
längere Zeit gelagert. β-P4S4 wurde in Benzol auf 80°C erhitzt, um den Einfluß der Temperatur
zu klären. Die Ergebnisse dieser Versuche sind ebenfalls in Tabelle 1 wiedergegeben. Die pro-
zentualen Angaben (Mol%) in dieser und den folgenden Tabellen wurden durch Analyse der
Spektren des in CS2 löslichen Materials gewonnen. Wiederholte Messungen zur Bestimmung der
Fehler zeigten, daß die Größenordnungen der prozentualen Anteile reproduzierbar sind. Wäh-
rend der Lagerung der β-P4S5-Lösung nahm seine Konzentration deutlich ab, die der durch
Schwefel-Abstraktion (P4S3, α-P4S4), Addition (β-P4S6) oder Insertion (γ-P4S5) gebildeten Iso-
mere zu. Ähnlich, aber in wesentlich geringerem Ausmaß, reagierte α-P4S5. Alle Ausgangslö-
sungen der nicht rein darstellbaren Sulfide enthielten α-P4S7, dessen Konzentration sich kaum
veränderte. Die während der Lagerung auftretende Disproportionierung in phosphorärmere und
phosphorreichere Sulfide wird durch Temperaturerhöhung verstärkt, wie die Produktverteilung
nach dem Erhitzen von β-P4S4 in Benzol nachweist. Es wurden im wesentlichen P4S3 und α-P4S5
3 Neue binäre Phosphorsulfide
11
beobachtet. Die in den Ausgangslösungen festgestellten Gleichgewichte laufen auch während der
Reaktion mit Triphenylantimon- bzw. Triphenylarsensulfid und der Aufnahme der Spektren ab,
was das Auftreten unerwarteter Produkte wie P4S3 oder von Isomeren mit basalen P3-Gruppen
aus Edukten ohne diese Baueinheit erklärt.
Jason [97JAS] beobachtete, daß Triphenylarsensulfid reaktiver ist als Triphenylantimonsulfid.
Da die Ausbeute von P4Sn mit n = 5 oder 6 bei der Reaktion mit Triphenylantimonsulfid höher
war, wurde nur diese Umsetzung eingehender untersucht.
Sulfid ββββ-P4S4* ββββ-P4S4 ββββ-P4S5 ββββ-P4S5 (28 d) αααα-P4S5 αααα-P4S5 (14 d)
P4S3 48,5 34,7 --- 0,7 2,7 2,6ββββ-P4S4 9,3 26,1 --- --- --- 0,4αααα-P4S4 2,3 0,5 1,8 4,0 --- 0,4αααα-P4S5 38,0 36,9 --- 5,8 91,8 88,3ββββ-P4S5
3 Neue binäre Phosphorsulfide
12
3.2.3.2 Sulfurierungen
Die relativen Konzentrationen der Produkte aus den Sulfurierungsreaktionen sind in den Tabel-
len 2 und 3 zusammengefaßt. Die Molekülstrukturen der Reaktionsprodukte sind in Abbildung 2
enthalten.
Sulfid αααα-P4S4 αααα-P4S4 αααα-P4S4 αααα-P4S4 αααα-P4S4 αααα-P4S4 αααα-P4S4 (28 d) αααα-P4S4 (70 d)
Ph3MS Ph3SbS Ph3SbS Ph3SbS Ph3SbS Ph3SbS Ph3SbS Ph3SbS Ph3SbSP4Sx/Ph3MS 1:0,3 1:1 1:2 1:2 1:3 1:4 1:1 1:1P4S3 8,2 1,2 --- --- --- --- 1,3 1,8αααα-P4S4 42,9 47,4 13,6 22,4 --- --- 53,9 43,7αααα-P4S5 8,5 2,3 --- --- --- --- 7,4 12,0ββββ-P4S5 1,9 --- --- --- --- --- 1,0 1,1γγγγ-P4S5 25,1 32,9 65,7 62,1 --- --- 12,2 10,9αααα-P4S6 1,7 0,5 --- --- --- ---
3 Neue binäre Phosphorsulfide
13
hohen Konzentrationen an Sulfurierungsmittel beobachtet. Die Annahme von Jason [79JAS],
daß es sich um schwefelreiche Phosphorsulfide handelt, trifft daher wahrscheinlich zu. Daneben
traten weitere, nicht zuzuordnende Signale auf.
Sulfid αααα-P4S4 αααα-P4S4 αααα-P4S4
Ph3MS Ph3AsS Ph3AsS Ph3AsSP4Sx/Ph3MS 1:1 1:2 1:3αααα-P4S4 23,2 2,1 ---γγγγ-P4S5 46,3 14,5 ---αααα-P4S7 23,1 41,9 33,8ββββ-P4S8 5,2 26,8 17,5αααα-P4S9 2,2 8,2 32,3ββββ-P4S9 --- --- 1,9P4S10 --- 6,6 10,1Verbb. F u. H --- --- 1,9unbekannt --- --- 2,6
Tabelle 3: Reaktionsverhältnisse und Produkte der Reaktionen von α-P4S4 mit Triphenyl-
arsensulfid in Mol%
Reaktionen von α-P4S4 mit Triphenylantimonsulfid
Bei dieser Umsetzung (Tab. 2) reagierten bei äquimolaren oder geringeren Anteilen von Triphe-
nylantimonsulfid etwa 50 Mol% α-P4S4 nicht ab. Erst bei Erhöhung der Menge des Sulfu-
rierungsmittels wurde vollständige Umsetzung beobachtet. Bei etwa gleichen molaren Anteilen
der Edukte (1:1, 1:2) war γ-P4S5 Hauptprodukt (Abb.2,5) Bei einem Unterschuß von Tripheny-
lantimonsulfid (1:0,3) wurde β-P4S5 beobachtet. In geringeren Mengen fanden sich
P4S6-Isomere, darunter mit 2,4 Mol% das neue Isomer δ-P4S6 (Abb. 2,6). Bei einer leichten Er-
höhung der Konzentration von Triphenylantimonsulfid (1:2) bildete sich mit ε-P4S6 (1,9 Mol%)
ein weiteres neues Phosphorsulfid (Abb. 2,7). Eine weitere Steigerung der Konzentration von
Ph3SbS (1:3, 1:4) führte ausschließlich zur Bildung schwefelreicherer Sulfide, wie den Isomeren
von P4S7, P4S8 und P4S9 sowie P4S10.
Bei der Sulfurierung von Phosphorsulfiden sind drei Reaktionsschritte denkbar:
1. Addition eines Schwefelatoms an ein dreifach an Schwefel gebundenes Phosphoratom
(PIII-Addition),
3 Neue binäre Phosphorsulfide
14
2. Addition eines Schwefelatoms an ein zweifach an Schwefel gebundenes Phosphoratom
(PII-Addition),
3. Insertion eines exoständigen Schwefelatoms in eine P-P-Brücke.
Nach unserer Meinung nimmt die Reaktionsgeschwindigkeit in dieser Reihenfolge ab. Die be-
vorzugte Addition an PIII wurde schon von Jason [79JAS] beobachtet.
Auf dem Weg von α-P4S4 zu schwefelreicheren Phosphorsulfiden sind als Reaktionsschritte
denkbar (Abb. 3): In der Primärreaktion bildet sich γ-P4S5 durch exocyclische Addition von
Schwefel an α-P4S4. An die erste Addition kann sich eine Insertion oder eine Addition anschlie-
ßen. Eine zweite Addition würde zu dem in Spuren gefundenen ε-P4S6 und zu einem bisher nicht
beobachteten P4S6(?) mit α-P4S4-Grundstruktur führen (Abb. 3). Durch Insertion bildet sich
β-P4S5.
Folgende Befunde, die Aussagen über die ersten Reaktionsschritte erlauben, ergaben sich bei der
Auswertung der 31P-NMR-Spektren der Reaktionslösungen:
1. β-P4S5 hatte sich nur bei geringen Anteilen von Triphenylantimonsulfid (1:0,3)gebildet.
2. ε-P4S6 trat nur in Spuren bei einem Eduktverhältnis von 1:2 auf.
3. β-P4S6 und δ-P4S6, die durch PII-Addition an ein Phosphoratom der P-P-Bindung aus β-P4S5
oder durch Insertion aus ε-P4S6 und P4S6(?) entstehen können, wurden bei Eduktverhältnissen
von 1:0,3 bis 1:2 gefunden.
Wäre eine Addition an γ-P4S5 der zweite Reaktionschritt, ist die Wahrscheinlichkeit der Bildung
von P4S6(?), aus dem durch Insertion δ-P4S6 entstehen kann, doppelt so hoch wie die Bildung
von ε-P4S6 , der Vorstufe von β-P4S6. Es sollten in den Lösungen höhere Anteile von δ-P4S6 auf-
treten. Folgt die Insertion in γ-P4S5 unter Bildung von β-P4S5 als zweiter Reaktionsschritt, ist
zwar die Wahrscheinlichkeit der Bildung der beiden P4S6-Isomere durch anschließende Addition
gleich hoch, es sollten jedoch höhere Anteile an β-P4S6 auftreten, da es über eine Addition an ein
PIII-Atom gebildet wird.
3 Neue binäre Phosphorsulfide
15
Abbildung 3: Mögliche Reaktionswege der Sulfurierung von α-P4S4 bzw. β-P4S5
Die 31P-NMR-Spektren zeigen für die Konzentrationverhältnisse dieser Verbindungen ein unter-
schiedliches Bild. Bei geringen Konzentrationen von Triphenylantimonsulfid war der Anteil an
δ-P4S6 und seiner Folgeprodukte größer als der von β-P4S6 und seiner Folgeprodukte. Bei größe-
ren Mengen des Sulfurierungsmittels war es umgekehrt. Offenbar folgt bei geringen Anteilen
von Triphenylantimonsulfid der ersten Addition eine zweite, während bei größeren Mengen der
zweite Reaktionsschritt hauptsächlich eine Insertion in γ-P4S5 ist.
Der weitere Reaktionsablauf ist einfacher. Eine PIII-Addition an δ- oder β-P4S6 führt zur Bildung
von α- oder β-P4S7, die sowohl durch eine langsame PII-Addition an α-P4S7 als auch durch eine
schnelle PIII-Addition an β-P4S7 in β-P4S8 übergehen. Die letzten Schritte der Reaktion sind In-
sertion zu α-P4S8 und PIII-Additionen zu α-P4S9 und P4S10. Die letzten Stufen dieser Reaktions-
kette wurden nur bei hohen Konzentrationen von Triphenylantimonsulfid gefunden.
Nach vier und zehn Wochen Lagerung der Reaktionslösungen (Eduktverhältnis 1:1) war die Art
der Produkte gleich, dagegen hatten sich ihre Konzentrationen verändert. Die Konzentration von
γ-P4S5 nahm allmählich ab, das Insertionsprodukt β-P4S5 trat auf und die Anteile von Produkten
mit höheren Schwefelgehalten wuchsen an. In den Lösungen wurden nun auch Isomere gefun-
α-P4S4 γ-P4S5
ε-P4S6
β-P4S5
β-P4S6 α-P4S7 β-P4S8
δ-P4S6 β-P4S7
β-P4S9
α-P4S9α-P4S8
P4S6(?)
S-Addition an PIIS-Addition an PIII
Insertion von S
3 Neue binäre Phosphorsulfide
16
den, deren Entstehung nur über die in den Lösungen der reinen Phosphorsulfide nachgewiesenen
Gleichgewichtsreaktionen, die über einen Schwefelaustausch ablaufen, erklärbar ist.
Reaktion von β-P4S5 mit Triphenylantimonsulfid
Da β-P4S5 ein Zwischenprodukt bei der Sulfurierung von α-P4S4 ist, wurde seine Reaktion mit
Triphenylantimonsulfid (Tab. 4) untersucht. Es wurden nur Additionsprodukte gefunden, wobei
die PIII-Addition bevorzugt war (Abb. 3). Die Konzentrationen von β-P4S6 (PIII-Addition) und
seiner Folgeprodukte α-P4S7 und β-P4S8 waren um eine Größenordnung höher als die von δ-P4S6
(PII-Addition) und β-P4S7 (Abb. 3). Die Produktverteilung deutet an, daß die über langsame Re-
aktionen gebildeten Verbindungen δ-P4S6 und β-P4S7 nur in geringen Konzentrationen vorhan-
den sind, weil sie über eine PIII-Addition schnell zu Folgeprodukten reagieren.
Reaktion von β-P4S4 und α-P4S5 mit Triphenylantimonsulfid
Beide Edukte konnten nur als Gemische eingesetzt werden. Die β-P4S4-Lösung enthielt fast glei-
che Anteile von β-P4S4 und α-P4S5, von denen in der Reaktion β-P4S4 vollständig verbraucht
wurde, während sich die Konzentration von α-P4S5 halbierte. Hauptprodukte waren α-P4S6,
γ-P4S6, α-P4S7 und β-P4S8 (Tab. 4). Im Verlauf der Reaktion blieb in fast allen Reaktionsschrit-
ten die P3-Einheit erhalten. Zunächst entstanden durch aufeinander folgende exocyclische Addi-
tionen von Schwefel aus β-P4S4 und α-P4S5 die Isomere α-P4S6 und γ-P4S6. Da zur Addition nur
jeweils ein PII oder PIII-Phosphoratom verfügbar ist, ist die Wahrscheinlichkeit für ihre Bildung
zwar gleich, die PIII-Addition erfolgt aber schneller. Während γ-P4S6 nicht weiter reagierte, in-
vertierte α-P4S6 zu β-P4S6, das durch weitere Addition unter Bildung schwefelreicherer Produkte
verbraucht wurde, so daß die Gesamtmenge der über den PIII-Weg entstehenden Produkte größer
ist (Abb. 4).
3 Neue binäre Phosphorsulfide
17
Abbildung 4: Mögliche Reaktionswege der Sulfurierung von β-P4S4 bzw. α-P4S5
Wie erwartet, ergaben sich bei der Sulfurierung von α-P4S5 ähnliche Produkte, nämlich zunächst
α- und γ-P4S6 in etwa gleichen Anteilen (Tab. 4). Während bei der Reaktion von β-P4S4 keine
der durch Insertion aus diesen beiden Isomeren entstehenden Strukturen gefunden wird, entstand
bei geringeren Konzentrationen des Sulfurierungsreagenz wenig β-P4S6. Diese Beobachtung
bestätigt die Annahme, daß die Addition schneller erfolgt als die Insertion.
Durch eine Verringerung der Konzentration an verfügbarem Schwefel können also die schwefel-
ärmeren Zwischenprodukte besser beobachtet werden.
S-Addition an PIIS-Addition an PIII
Insertion von S
β-P4S4 α-P4S5
α-P4S6
γ-P4S6
β-P4S6
β-P4S7 γ-P4S8
α-P4S7 β-P4S8
α-P4S8 α-P4S9
Addition und Insertion
Addition
3 Neue binäre Phosphorsulfide
18
Sulfid αααα-P4S5 ββββ-P4S4 ββββ-P4S4* ββββ-P4S5 ββββ-P4S5 ββββ-P4S5
Ph3MS Ph3SbS Ph3SbS Ph3SbS Ph3SbS Ph3SbS Ph3SbSPh3MS/P4Sx 1:0,5 1:1 1:1 1:0,5 1:0,5 (7 d) 1:1P4S3 0,6 24,7 51,0 --- --- ---ββββ-P4S4 --- --- --- --- --- ---αααα-P4S4 --- --- --- 1,7 2,3 2,7αααα-P4S5 60,5 19,9 --- --- 0,7 ---ββββ-P4S5 --- --- --- 42,1 38,7 7,8γγγγ-P4S5 --- 0,6 --- 0,9 2,8 ---αααα-P4S6 19,5 17,6 20,9 --- --- ---ββββ-P4S6 0,2 --- --- 27,3 29,2 20,3δδδδ-P4S6 --- --- --- 1,0 2,1 ---γγγγ-P4S6 13,7 22,2
3 Neue binäre Phosphorsulfide
19
3.2.3.3 Zuordnung der 31P-NMR-Spektren
Die Bezeichnung der Spinsysteme mit A, B und C dient zur Benennung der Phosphoratome im
Gerüst und bezieht sich nicht auf den Abstand der chemischen Verschiebungen (Abb. 5,6,7).
Nach dem bisherigen Kenntnisstand bewirkt ein doppelt gebundener Schwefel an einem Phos-
phoratom eine chemische Verschiebung zu höherem Feld. Der Betrag der 1JP-P-Kopplung des
P-P=S Strukturfragmentes ist wesentlich größer als der einer normalen 1JP-P-Kopplung. Dieser
Sachverhalt wurde daher zur Identifizierung von Verbindungen mit diesem Strukturfragment
eingesetzt. In der P-P-P-Kette des β-P4S4-Gerüsts beträgt der Wert der 1JP-P–Kopplung -167 Hz.
Er wandert in Strukturen mit exoständigen Schwefelatomen an der P3-Einheit, wie in α-P4S5,
α-P4S6 oder γ-P4S6, in den Bereich von -240 Hz bis -299 Hz. Bei Verbindungen mit einem
exoständigen Schwefel am P-P-Strukturfragment, wie im α-P4S4- oder β-P4S5-Grundgerüst, er-
strecken sich die Werte der Kopplungskonstanten von -344 Hz bis -445 Hz.
Mit Hilfe dieser Befunde konnten von den unbekannten Signalen in den 31P-NMR-Spektren zwei
Spinsysteme identifiziert werden.
Bjorholm und Jakobsen [91BJO] vermuteten in Phosphor-Schwefel-Schmelzen γ-P4S5. Diese
Verbindung konnte nun in hohen Konzentrationen in CS2-Lösung erhalten werden, da sie ein
direktes Additionsprodukt von α-P4S4 ist. Vergleicht man die publizierten 31P-NMR Daten von
γ-P4S5 mit unserem analogen Spinsystem in CS2-Lösung, so fällt auf, daß die chemischen Ver-
schiebungen von PB und PC im Spektrum der Schmelze bei 8 ppm bzw. 18 ppm tieferem Feld
liegen als bei PB und PC im Spektrum der Lösung [91BJO]. Die Kopplungskonstanten sind dage-
gen annähernd gleich. Es gibt nur ein P4S5-Isomer mit AB2C-Spinsystem, das dieses31P-NMR-Spektrum erzeugen kann: γ-P4S5 (Abb. 5,2). Die 1JAC-Kopplung von –446 Hz ist er-
heblich größer als in den Verbindungen mit β-P4S4-Grundstruktur und beweist das
P-P=S-Strukturfragment. PA besitzt bei 209,78 ppm ein Dublett von Triplett, PB bei 120,78 ppm
ein Dublett von Dublett und PC ein Dublett von Triplett bei 98,14 ppm (Tab. 5).
3 Neue binäre Phosphorsulfide
20
Abbildung 5: Gemessenes (oben) und simuliertes (unten) 31P-NMR-Spektrum der
Verbindung γ-P4S5
Zu den unbekannten Signalen gehörte ein AB2C-Spinsystem mit einer großen 1JAC-Kopplung
von –440 Hz. Aufgrund dieser charakteristischen Kopplung konnten P4S6 und P4S7-Isomere mit
β-P4S4-Grundstruktur und AB2C-Spinsystem ausgeschlossen werden (Abb. 2). Da in der
α-P4S4-Reihe das einzig in Frage kommende AB2C-Spinsystem mit großer Kopplung schon be-
kannt ist (γ-P4S5), muß es sich um das letzte unbekannte AB2C-Spinsystem in der β-P4S5-Reihe
mit dem Namen δ-P4S6 handeln (Abb. 6,2). PA zeigt bei 165,42 ppm ein Dublett von Triplett, PB
bei 131,23 ppm ein Dublett von Dublett und PC ein Dublett von Triplett bei 22,74 ppm (Tab. 5).
(ppm)119120121122123
(ppm)96979899100101
(ppm)208209210211212213
PA PB PC
γ-P4S5
B
B
CA
3 Neue binäre Phosphorsulfide
21
Abbildung 6 : Gemessenes (oben) und simuliertes (unten) 31P-NMR-Spektrum der
Verbindung δ-P4S6.
Verbindung δ-P4S6 ε-P4S6 γ-P4S5
Spinsysstem AB2C B2C2 AB2CP-P A-C B-B/C-C B-B/A-CP=S C C CChemische Verschiebungen [ppm]δA 165,42 209,95δB 131,23 115,19 120,78δC 22,74 27,23 98,14Kopplungskonstanten [Hz]2JAB 30,2 (4) 31,0 (2)1JAC -440,1 (7) -445,6 (4)2JBC 34,4 (4) 8,2 (1) 14,9 (2)R-Wert [%] 11,3 12,8 4,8
Tabelle 5: 31P-NMR-spektroskopische Daten von δ-P4S6, ε-P4S6 und γ-P4S5
(ppm)164.0165.0166.0167.0168.0
(ppm)130.0131.0132.0133.0134.0
(ppm)21.022.023.024.025.0
PB PCPA
δ-P4S6B B
A
C
3 Neue binäre Phosphorsulfide
22
Einige 31P-NMR-Spektren enthielten ein unbekanntes A2B2-Spinsystem, das für PA und PB je-
weils bei 115,19 ppm bzw. bei 27,23 ppm ein Triplett zeigt (Tab. 5). Die 2JBC-Kopplungskon-
stante beträgt 8,2 Hz. Anhand der Produktverteilung und dem 31P-NMR-Spektrum konnte ein
P4S6-Isomer nachgewiesen werden. Das einzige P4S6-Isomer mit A2B2-Spinsystem findet sich in
der α-P4S4-Reihe mit der Bezeichnung ε-P4S6 (Abb. 7,2).
Abbildung 7: Gemessenes (oben) und simuliertes (unten) 31P-NMR-Spektrum der
Verbindung ε-P4S6
Die 31P-NMR-Spektren von δ-P4S6, ε-P4S6 und γ-P4S5 wurden nach den Regeln erster Ordnung
analysiert. Die iterative Anpassung der NMR-Parameter erfolgte mit dem Programm WinDaisy
[96BRU].
(ppm)114.0114.4114.8115.2115.6116.0
(ppm)26.026.426.827.227.628.028.4
CC
B
Bε-P4S6
PB PC
3 Neue binäre Phosphorsulfide
23
3.3 Ein neues Phosphorsulfid mit Adamantangerüst: δδδδ-P4S7
3.3.1 Einleitung
In der Reihe der Phosphorsulfide mit Adamantangerüst gibt es fünf mögliche Verbindungen, von
denen drei bekannt sind: P4S10 [43BER], α-P4S9 [69MEI, 70MEI] und α-P4S8 [82BAR]. Von
P4S10 [98BLA] und α-P4S9 [90DEM] sind Kristallstrukturen bestimmt worden, während die Cha-
rakterisierung von α-P4S8 ausschließlich mit Hilfe der 31P-NMR-Spektroskopie in Lösung er-
folgte. 1969 fanden Meisel und Grunze [69MEI] verschiedene Darstellungsmethoden für P4S9, so
auch die Entschwefelung von P4S10 mit Triphenylphosphin. Mit dieser Methode gelang es ein
neues P4S7-Isomer mit Adamantangerüst in CS2-Lösungen zu identifizieren.
3.3.2 Experimentelles
Alle Experimente wurden mit der Schlenktechnik bei Zimmertemperatur in CS2-Lösungen
durchgeführt. Triphenylphosphin und P4S10 wurden von Aldrich Chemical Co. bezogen. Das
käuflich erworbene P4S10 war stark mit P4S9 verunreinigt. Nach neunmaligem Umkristallisieren
aus CS2 wurde ein Gemisch aus 73,4 % α-P4S9 und 26,5 % P4S10 erhalten, mit dem die Reaktio-
nen durchgeführt wurden.
Reaktion von Triphenylphosphin mit α-P4S9/P4S10:
0,5 g (1,19 mmol) α-P4S9/P4S10 werden in einem 250 mL Schutzgaskolben in 100 mL CS2 gelöst
und mit Hilfe eines Tropftrichters mit Druckausgleich mit einer Lösung der entsprechenden mo-
laren Anteile (1:0,5-1:4) von P(C6H5)3 in 15 mL CS2 innerhalb von 1 Stunde bei Zimmertempe-
ratur versetzt. Es entsteht eine ganz schwach gelb gefärbte Lösung.
3.3.3 Ergebnisse und Diskussion
Ein Gemisch, das zu 73,4 % aus α-P4S9 und zu 26,5 % aus P4S10 bestand, wurde mit Triphenyl-
phosphin in unterschiedlichen Verhältnissen umgesetzt (Tab. 6). Die 31P-NMR-Spektren der
3 Neue binäre Phosphorsulfide
24
Reaktionslösungen wurden in CS2 gemessen. Die prozentualen Angaben (Mol-%) wurden durch
Analyse der Spektren des in CS2 löslichen Materials gewonnen. Messungen zur Bestimmung der
Fehler zeigten, daß die Größenordnung der Anteile reproduzierbar sind.
Bei dieser Reaktion (Tab. 6) reagierte bei geringeren Anteilen von Triphenylphosphin (1:0,5)
etwa ein Drittel von P4S10 ab, während die Konzentration von α-P4S9 noch leicht anstieg. Neben
wenig α-P4S8 fanden sich in geringen Mengen P4S7-Isomere, darunter auch schon das neue Iso-
mer δ-P4S7 (Abb. 8,9) mit 1,1 Mol%. Bei gleichen molaren Anteilen der Edukte (1:1)
war α-P4S9 Hauptprodukt, P4S10 wurde vollständig abgebaut. Die Konzentration von α-P4S8hatte stark zugenommen, während der Anteil der P4S7-Isomere in etwa gleich blieb. Bei weiterer
Erhöhung der Menge des Entschwefelungsreagenz (1:2) war α-P4S8 mit 47,6 Mol-% Hauptpro-
dukt und α-P4S9 vollständig verbraucht. Ein Eduktverhältnis von 1:3 führte zur höchsten Kon-
zentration von δ-P4S7 (7,6 Mol%), Hauptprodukt war β-P4S6. Bei weiterer Steigerung der Kon-
zentration von P(C6H5)3 (1:4) wurde hauptsächlich die Bildung schwefelärmerer Sulfide, wie den
Isomeren von P4S4 und P4S5, beobachtet.
3 Neue binäre Phosphorsulfide
25
Sulfid αααα-P4S9/P4S10 αααα-P4S9,27 αααα-P4S9,27 αααα-P4S9,27 αααα-P4S9,27 αααα-P4S9,27
P4S9,27/TPP --- 1:0,5 1:1 1:2 1:3 1:4P4S3 --- --- --- --- --- 2,0P4S3? --- --- 0,6 12,6 5,4 ---αααα-P4S4 --- --- --- --- 1,5 11,2ββββ-P4S4 --- --- --- ---
3 Neue binäre Phosphorsulfide
26
Bei der Entschwefelung mit Hilfe von Triphenylphosphin könnte man annehmen, daß der Reak-
tionsweg durch mehrmalige Abstraktion exoständiger Schwefelatome von P4S10 über α-P4S9 und
α-P4S8 zu δ-P4S7 führt (Abb. 8).
3.3.3.1 Zuordnung der 31P-NMR-Spektren
Die 31P-NMR-Spektren aller Reaktionslösungen enthielten ein unbekanntes AB3-Spinsystem
höherer Ordnung (Abb. 9). Die iterative Auswertung ergab chemische Verschiebungen von
δA = 57,33 ppm, δB = 47,77 ppm und eine Kopplungskonstante von 2JAB = 107,7 Hz (Tab. 7).
Die Größe der Kopplungskonstanten von 107,75 Hz deutet auf eine 2J-Kopplung, denn eine1J-Kopplung ist betragsmäßig größer (-152 Hz- -445,6 Hz). Wenn ein Phosphorsulfid mit einer2JAB-Kopplung vorliegt, ist das Phosphoratom A mit den Phosphoratomen B über Schwefelato-
me verbrückt. Da die Phosphoratome B im Vergleich zu den Phosphoratomen des P3-Rings in
P4S3 um ca. 72 ppm zu höherem Feld verschoben sind, enthält die neue Verbindung keinen
P3-Ring. Diese Befunde deuten auf ein Phosphorgerüstmolekül mit Adamantanstruktur hin, in
dem das Phosphoratom PA durch ein exoständiges Schwefelatom eine andere chemische Ver-
schiebung aufweist.
Ähnliche chemische Verschiebungen und eine ähnliche Kopplungskonstante besitzt das
A3B-Spinsystem von α-P4S9 (δA = 64,6 ppm, δB = 48,8 ppm, 2JAB = 96,3 Hz) (Abb. 9, Tab. 7).
PA ist in beiden Fällen vierfach koordiniert, während PB dreifach koordiniert ist. Da bei den in
Frage kommenden Phosphorsulfiden nur noch eine einzige Verbindung mit AB3-Spinsystem
denkbar ist, muß es sich um δ-P4S7 handeln (Abb. 9). Die iterative Anpassung der
NMR-Parameter erfolgte mit dem Programm WinDaisy [96BRU].
3 Neue binäre Phosphorsulfide
27
(ppm)47484950515253545556575859606162636465
(ppm)47484950515253545556575859606162636465
PA
PA
PB
∗
+∗
∗∗
∗∗+++
+
+
P4S10
α-P4S9 (∗ ) δ-P4S7 (+)
A
A
A
B
A
B B
B
PB
Abbildung 9: 31P-NMR-Spektren und Strukturen von α-P4S9 und δ-P4S7 und ihre Zuordnung
(das obere Spektrum ist das experimentelle, die beiden unteren sind simuliert)
Verbindung δ-P4S7 α-P4S9
Spinsysstem AB3 A3BP=S A A
Chemische Verschiebungen [ppm]δA 57,33 64,62δB 47,77 58,81
Kopplungskonstanten [Hz]2JAB 107,7 (4) 96,3 (2)
R-Wert [%] 15,6 13,7
Tabelle 7: 31P-NMR-spektroskopische Daten von δ-P4S7 und α-P4S9
3 Neue binäre Phosphorsulfide
28
3.4 Zusammenfassung
Auf der Suche nach neuen Phosphorsulfiden konnten die Verbindungen δ-P4S6, ε-P4S6 und
δ-P4S7 in Lösung dargestellt werden. Alle Phosphorsulfide waren in Lösung über mehrere Wo-
chen stabil. Die Synthese von δ-P4S6 und ε-P4S6 erfolgte durch Sulfurierung von α-P4S4 mit Tri-
phenylantimonsulfid. Außerdem wurden auch β-P4S4- und α-P4S5 sulfuriert. Die Entschwefelung
von P4S10 mit Triphenylphosphin lieferte δ-P4S7. Erstmals gelang es, γ-P4S5 in CS2-Lösung
NMR-spektroskopisch zu charakterisieren.
Aufgrund der Produktverteilungen der Reaktionslösungen konnten Aussagen über mögliche Re-
aktionswege gemacht werden. Dabei konnte festgestellt werden, daß sich bei der Sulfurierung
von Phosphorsulfiden das Schwefelatom bevorzugt an ein dreifach an Schwefel gebundenes
Phosphoratom addiert und daß die Addition eines Schwefelatoms schneller erfolgt als seine In-
sertion in eine P-P-Brücke. Die Existenz des von Bjorholm [91BJO] postulierten γ-P4S5 konnte
bestätigt werden, denn die Produktverteilung hat gezeigt, daß es sich um ein direktes Additions-
produkt von α-P4S4 handelt. An Hand der Produktverteilung konnte bekräftigt werden, daß der
Reaktionsweg zur Bildung von δ-P4S7 über die Entschwefelung von P4S10 über α-P4S9 und
α-P4S8 erfolgt.
4 Phosphor-Chalkogen Moleküle als Komplexliganden
29
4 Phosphor-Chalkogen Moleküle als Komplexliganden3
4.1 Einleitung
Im Verlauf von Untersuchungen der Reaktionen von P4E3 (E = S, Se) sollte das Verhalten ge-
genüber Lewissäuren geprüft werden. Aus der elektronischen Struktur von P4S3 schlossen Head
et al. [77HEA], daß sowohl das apikale P-Atom als auch die drei basalen Phosphoratome ähnlich
wie tertiäre Phosphine als Donor wirken können, wobei sich aus der Theorie keine Präferenz für
eine dieser Möglichkeiten ergibt. In einer zweiten Reaktionsweise reagiert der basale P3-Ring
wie P4. Eine Literaturübersicht von Wachter [98WAC] zeigt, daß Umsetzungen, in denen das
P4S3-Gerüst erhalten bleibt, im wesentlichen diesem Verhalten entsprechen: Sterisch anspruchs-
volle Liganden besetzen die apikale Position, Angriffe an den basalen Dreiring erfolgen unter
Ringöffnung. Eine Koordination von Liganden über basale P-Atome an ein intaktes P4E3-Gerüst
wurde bisher noch nicht gefunden, nur bei Reaktionen von P4(SiMe2)3 fanden Fritz et al. [80FRI,
82FRI] eine basale Anbindung von Liganden.
Die Umsetzung von P4E3 (E = S, Se) mit NbCl5 führte nun zu Produkten mit unerwarteter
Struktur: [β-P4S4(NbCl5)2] und [P4Se3(NbCl5)]. [β-P4S4(NbCl5)2] kristallisiert in der monoklinen
Raumgruppe P21/n mit den Gitterkonstanten a = 6,226(1), b = 12,971(2), c = 26,380(2) Å,
β = 93,7(1)° (Z = 4). In der Verbindung ist ein Schwefelatom in den basalen P3-Ring eingescho-
ben, so daß β-P4S4 zentrale Einheit des Komplexes ist. [P4Se3(NbCl5)] hat den gleichen Raum-
gruppentyp und die Gitterkonstanten a = 11,939(1), b = 18,603(2), c = 12,763(4) Å,
3 Die Ergebnisse dieses Kapitels sind teilweise in der Zeitschrift für Anorganische und Allgemeine Chemie 1999,625, 693 veröffentlicht worden [99NOW1].
4 Phosphor-Chalkogen Moleküle als Komplexliganden
30
β = 90,16(2)° (Z = 8). In beiden Fällen sind erstmals die Liganden über basale P-Atome koordi-
niert. [β-P4S4(NbCl5)2] enthält überraschend nicht mehr P4S3 sondern β-P4S4 als zentrale Einheit.
4.2 Experimentelles
Die Einwaage der Edukte erfolgte in einer Trockenbox unter Stickstoffatmosphäre. Alle Experi-
mente wurden mit der Schlenktechnik durchgeführt. P4S3 und P4Se3 wurden durch Zusammen-
schmelzen von stöchiometrischen Mengen der entsprechenden Elemente in evakuierten Quarz-
glasampullen bei ca. 600 K präpariert und anschließend aus CS2 umkristallisiert. Durch
GC-MS-Messungen konnte nachgewiesen werden, daß P4S3 weder elementaren Schwefel noch
β-P4S4 enthielt.
[β-P4S4(NbCl5)2]: 1,0 g (4,5 mmol) P4S3 und 2,4 g (9 mmol) NbCl5 wurden in einem
Schlenkrohr mit 10 mL CS2 versetzt und mit ca. 7 mL Hexan überschichtet. Nach einem Tag
entstanden, neben einem gelben Niederschlag, nadelförmige orangerote Kristalle, die sich an der
Wandung des Schlenkrohrs befanden. Ausbeute 3 %.
[P4Se3(NbCl5)]: 1,0 g (2,77 mmol) P4Se3 und 1,4 g (5,54 mmol) NbCl5 wurden in einem
Schlenkrohr mit 10 mL CS2 versetzt und mit ca. 7 mL Hexan überschichtet. Nach drei Tagen
entstanden, neben einem orangeroten Niederschlag, plättchenförmige dunkelrote Kristalle, die
sich an der Wandung des Schlenkrohrs befanden. Ausbeute 5 %.
Beide Verbindungen sind extrem luft- und wasserempfindlich und vollständig unlöslich in allen
gängigen organischen Lösemitteln. Deshalb war es nicht möglich, NMR- und IR-Spektren auf-
zunehmen. In der Mutterlauge konnte mittels 31P-NMR-Spektroskopie ausschließlich P4S3 bzw.
P4Se3 nachgewiesen werden.
Neben P4S3 und P4Se3 wurden P4S7, α-P4S5 und α-P4S4 mit NbCl5 in einem Schlenkrohr mit CS2
und mit Hexan überschichtet. Es bildeten sich auch hier ausschließlich Kristalle der Struktur
[β-P4S4(NbCl5)2].
P4S3 wurde mit weiteren Lewissäuren wie TaCl5, GaCl3 und PCl5 auf gleiche Art und Weise um-
gesetzt. Hierbei sind keine neuen Verbindungen entstanden.
4 Phosphor-Chalkogen Moleküle als Komplexliganden
31
4.3 Die Kristallstruktur von [ββββ-P4S4(NbCl5)2]
Bei der Reaktion von P4S3 mit NbCl5 in CS2/Hexan-Lösung entstanden nadelförmige orangerote
Kristalle von [β-P4S4(NbCl5)2]. Die kristallographischen Daten sind in Tabelle 8 zusammenge-
faßt. Atomlagen und isotrope Auslenkungsparameter, ausgewählte Bindungslängen und -winkel
enthalten die Tabellen 14 (siehe Anhang) und 9. Nach der Röntgenstrukturanalyse besitzt
[β-P4S4(NbCl5)2] ein zentrales β-P4S4-Gerüst. Zwei der basalen Phosphoratome haben NbCl5 als
Liganden (Abb. 10).
Abbildung 10: Perspektivische Darstellung der Molekülstruktur von [β-P4S4(NbCl5)2] mit der
Bezeichnung der Atome, die als thermische Schwingungsellipsoide für 30 %
Aufenthaltswahrscheinlichkeit dargestellt sind.
Die Niobatome sind verzerrt oktaedrisch von jeweils fünf Chloratomen und einem Phosphoratom
umgeben. Aus sterischen Gründen sind die äquatorialen Chlorliganden in Richtung der
Nb-P-Bindung geneigt. Die Bindung (2,733 bzw. 2,741 Å) ist etwas länger als in anderen Kom-
plexen mit Nb-P-σ-Bindungen (2,616-2,691 Å) [92GRE, 92CAL]. Die oktaedrische Umgebung
wird in trans-Position zur Nb-P-Bindung durch ein Chloratom mit kurzem Nb-Cl Abstand
4 Phosphor-Chalkogen Moleküle als Komplexliganden
32
(2,251 bzw. 2,253 Å) vervollständigt. Die P-S- und P-P-Bindungslängen im zentralen Gerüst
entsprechen den Abständen in anderen binären Phosphorsulfiden P4S3, α-P4S5, P4S7, β-P4S6 und
P4S10 [57LEU, 83CHA, 57HOU, 55VOS]. Die Bindungswinkel an den vierfach koordinierten
Phosphoratomen (90°-117°) weichen deutlich von einer idealen tetraedrischen Umgebung
(109,5°) ab. Für die beiden dreifach koordinierten Phosphoratome sind wegen des freien Elek-
tronenpaares die Bindungswinkel erwartungsgemäß kleiner (81°-102°). Die lange Nb-P-Bindung
und die symmetrisch angeordneten Liganden lassen erwarten, daß Bindungswinkel und -längen
des P4S4-Käfigs in [β-P4S4(NbCl5)2] durch die Koordination mit NbCl5 kaum beeinflußt werden,
so daß seine Geometrie der von β-P4S4 entsprechen sollte. Auch in anderen Komplexen mit
P4E3-Gerüsten wurden nur geringe Veränderungen durch Koordination mit Liganden beobachtet
[98WAC]. Ein kurzer intermolekularer Abstand von 3,325 Å zwischen S(14) und Cl(13), der um
0,175 Å kleiner ist als der Van der Waals-Abstand (S-Cl = 3,50 Å), führt zur Bildung von Strän-
gen entlang der b-Achse (Abb. 11).
4 Phosphor-Chalkogen Moleküle als Komplexliganden
33
Abbildung 11: Verknüpfung der Moleküle von [β-P4S4(NbCl5)2] zwischen S(14) und Cl(13).
4 Phosphor-Chalkogen Moleküle als Komplexliganden
34
[β-P4S4(NbCl5)2] [P4Se3(NbCl5)]
Formeleinheit Cl10 Nb2 P4 S4 Cl5 Nb P4 Se3Relative Molmasse 792.44 630.92Kristallsystem monoklin monoklinRaumgruppe P2(1)/n P2(1)/nZellabmessungen a = 6.226(1) Å a = 11.939(1) Å
b = 12.971(2) Å b = 18.603(2) Åc = 26.380(2) Å c = 12.763(4) Åβ = 93.70(1)° β = 90.16(2)°
Zellvolumen 2126.1(5) Å3 2835.0(1) Å3
Zahl der Formeleinheiten Z = 4 Z = 8Meßtemperatur 293(2) K 293(2) KKristallabmessungen [mm] 0.85 x 0.23 x 0.23 0.84 x 0.43 x 0.23Berechnete Dichte 2.476 g/cm3 2.957 g/cm3
F(000) 1504 2304Röntgenstrahlung Mo-Kα, 0.71073 Å Mo-Kα, 0.71073 ÅMeßbereich 1.75 to 24.00° θ 1.71 to 22.00° θIndexgrenzen -1 ≤ h ≤ 7
-1 ≤ k ≤ 14-30 ≤ l ≤ 30
-12 ≤ h ≤ 1-19 ≤ k ≤ 1-13 ≤ l ≤ 13
Absorptionskoeffizient 3.012 mm−1 9.902 mm−1
Absorptionskorrektur ψ-Scans ψ-ScansAnzahl der gemessenen Re-flexe
4623 4331
Unabhängige Reflexe 3293 [R(int) = 0.0226] 3483 [R(int) = 0.0368]davon mit I>2σ(I) 2845 2589Tmin, Tmax 0.709, 0.935 0.417, 0.971Restelektronendichte +0.530 e/Å3;
-0.390 e/Å3+0.825 e/Å3;-0.732 e.Å3
Zahl der Parameter 182 236R-Werte R1 = 2.92 %
wR2 = 6.48 %(I>2σ(I))R1 = 3.78 %wR2 = 6.86 %(alle Daten)
R1 = 4.32 %wR2 = 9.60 %(I>2σ(I))R1 = 6.65 %wR2 = 10.92 %(alle Daten)
Tabelle 8: Kristalldaten und Angaben zur Strukturanalyse von [β-P4S4(NbCl5)2] und
[P4Se3(NbCl5)].
4 Phosphor-Chalkogen Moleküle als Komplexliganden
35
a) Bindungen am Phosphoratom
Abstände WinkelP(1)-P(3) 2.241(2) S(14)-P(1)-S(12) 110.17(7)P(1)-S(12) 2.121(2) S(24)-P(4)-S(14) 105.81(7)P(1)-S(14) 2.081(2) S(34)-P(4)-S(14) 99.22(7)P(4)-S(14) 2.130(2) S(12)-P(1)-P(3) 89.50(6)P(3)-S(34) 2.065(2) S(14)-P(1)-P(3) 104.79(6)P(4)-S(34) 2.127(2) S(34)-P(3)-P(1) 101.96(7)P(1)-Nb(1) 2.733(1) S(12)-P(1)-Nb(1) 116.92(5)P(2)-Nb(2) 2.741(1) S(14)-P(1)-Nb(1) 115.26(5)
P(3)-P(1)-Nb(1) 116.96(6)P(2)-P(3)-P(1) 81.43(6)P(1)-S(14)-P(4) 104.09(7)P(2)-S(12)-P(1) 87.24(6)P(3)-S(34)-P(4) 101.32(7)
b) Bindungen des Liganden
Nb(1)-Cl(10) 2.253(1) Cl(10)-Nb(1)-P(1) 171.83(6)Nb(1)-Cl(11-14) 2.312(1)-2.334(1) Cl(11-14)-Nb(1)-P(1) 76.63(4)-85.89(4)Nb(2)-Cl(20) 2.251(2) Cl(20)-Nb(2)-P(2) 175.27(6)Nb(2)-Cl(21-24) 2.295(2)-2.344(1) Cl(21-24)-Nb(2)-P(2) 75.95(4)-82.88(5)
c) kürzester intermolekularer S-Cl-Abstand
S(14)-Cl(13) 3.325
Tabelle 9: Ausgewählte inter- und intramolekulare Abstände (in Å) und Winkel (in °) von
[β-P4S4(NbCl5)2].
4.4 Die Kristallstruktur von [P4Se3(NbCl5)]
Bei der Reaktion von P4Se3 mit NbCl5 in CS2/Hexan-Lösung entstanden plättchenförmige dun-
kelrote Kristalle von [P4Se3(NbCl5)]. Die kristallographischen Daten sind mit weiteren Angaben
zur Strukturbestimmung in Tabelle 8 enthalten. Atomlagen und isotrope Auslenkungsparameter,
sowie ausgewählte Bindungslängen und –winkel, enthalten die Tabellen 15 (siehe Anhang)
und 10.
4 Phosphor-Chalkogen Moleküle als Komplexliganden
36
a) Bindungen am Phosphoratom a)
Abstände WinkelP(1)-P(3) 2.198(2) P(3)-P(1)-Nb(1) 126.6(0)P(1)-P(2) 2.208(4) P(2)-P(1)-Nb(1) 122.7(1)P(3)-P(2) 2.238(8) Se(14)-P(1)-Nb(1) 115.83(3)P(1)-Se(14) 2.222(3) P(1)-P(3)-Se(34) 102.75(5)P(3)-Se(34) 2.235(3) P(3)-P(1)-Se(14) 109.6(0)P(4)-Se(14) 2.248(5) P(2)-P(3)-Se(34) 105.95(5)P(4)-Se(34) 2.253(5) Se(34)-P(4)-Se(14) 99.6(7)Nb(1)-P(1) 2.778(2) Se(24)-P(4)-Se(34) 99.74(3)
P(4)-Se(14)-P(1) 97.3(1)P(4)-Se(34)-P(3) 100.8(6)P(1)-P(3)-P(2) 59.7(2)P(1)-P(2)-P(3) 59.26(0)P(3)-P(1)-P(2) 61.1(2)
b) Bindungen des Liganden
Nb(1)-Cl(10) 2.270(6) Cl(10)-Nb(1)-P(1) 177.98(7)Nb(1)-Cl(11-14) 2.301(3)-2.314(9) Cl(11-14)-Nb(1)-P(1) 80.7(9)-83.0(1)
c) kürzester intermolekularer Se-Cl und P-Cl-Abstand
Se(34)-Cl(11) 3.380P(4)-Cl(14) 3.490
a) [P4Se3(NbCl5)] enthält zwei symmetrisch voneinander unabhängige Moleküle. Die inter- und intramolekularenAbstände [Å] und Winkel [°] sind als Mittelwerte angegeben.
Tabelle 10: Ausgewählte inter- und intramolekulare Abstände (in Å) und Winkel (in °) von
[P4Se3(NbCl5)].
4 Phosphor-Chalkogen Moleküle als Komplexliganden
37
Abbildung 12: Perspektivische Darstellung der Molekülstruktur von [P4Se3(NbCl5)] mit der
Bezeichnung der Atome, die als thermische Schwingungsellipsoide für 30 %
Aufenthaltswahrscheinlichkeit dargestellt sind.
4 Phosphor-Chalkogen Moleküle als Komplexliganden
38
In der Elementarzelle finden sich zwei kristallographisch unterschiedliche Moleküle, in denen
jeweils ein basales Phosphoratom mit NbCl5 verknüpft ist (Abb. 12). Die Nb-P- und
Nb-Cl-Abstände sind etwas länger als in [β-P4S4(NbCl5)2]. Die äquatorialen Cl-Atome sind
ebenfalls in Richtung der Nb-P-Bindung geneigt. Die Kernabstände und Bindungswinkel im
P4Se3-Gerüst sind wiederum mit denen im unkoordinierten Molekül [83DIV2] vergleichbar.
Durch die koordinative Bindung zwischen P(1) und Nb(1) kommt es zu einer Verkürzung der
Bindungslängen von P(1)-P(2) und P(1)-P(3). Diese Verkürzung führt zu einer Vergrößerung der
Kernabstände zwischen P(2)-P(3), P(2)-Se(24) und P(3)-Se(34). Da sich auch die Winkel ent-
sprechend verändern erfolgt keine zusätzliche Verzerrung des P4Se3-Gerüstes.
Kurze intermolekulare Se-Cl-Abstände von 3,384 und 3,375 Å führen zur Bildung von Dimeren,
die ihrerseits über Kontakte von 3,486 und 3,493 Å zwischen P und Cl zu Schichten aus jeweils
kristallographisch gleichen Molekülen verbunden sind, die in der Anordnung ABAB gestapelt
sind (Van der Waals-Abstände: Se-Cl 3,70 Å, P-Cl 3,65 Å) (Abb. 13).
Abbildung 13: Verknüpfung der Moleküle von [P4Se3(NbCl5)] zwischen Se(34) und Cl(11)
bzw. P(4) und Cl(14).
4 Phosphor-Chalkogen Moleküle als Komplexliganden
39
4.5 Diskussion und Zusammenfassung
In den letzten Jahren hat sich gezeigt, daß in der Chemie der Phosphorchalkogenide trotz ihrer
langen Geschichte noch immer überraschende Ergebnisse möglich sind, so werden noch immer
neue binäre Phosphorchalkogenide gefunden [91BJO, 97JAS, 95BLA]. Allerdings fehlen oft
Informationen über ihre Bindungslängen und -winkel, da einige Verbindungen nur in Lösung mit
Hilfe der 31P-NMR-Spektroskopie nachgewiesen wurden, so auch β-P4S4 [76GRI]. Seine Struk-
tur ist zwar vom baugleichen β-As4S4 [72POR] her bekannt, es selbst konnte jedoch weder als
Verbindung noch in Komplexen in fester Form dargestellt werden.
Komplexe mit P4S3 und P4Se3 als Liganden wurden bereits von DiVaira et al. [85DIV, 83DIV1,
83DIV2, 83DIV3] und Cordes et al. [74COR] bei der Umsetzung von d10-Übergangsmetall-
komplexen mit Phosphorchalkogeniden gefunden. In den Fällen, in denen die Bindungen des
P4S3-Gerüsts erhalten bleiben, ist der Ligand immer an das apikale Phosphoratom gebunden.
Eine basale Addition erfolgte stets unter Ringöffnung.
Das Verhalten von P4S3 und P4Se3 in den Reaktionen mit NbCl5 ist aus verschiedenen Gründen
unerwartet. Unabhängig von den Reaktionsbedingungen lagert P4Se3 nur ein NbCl5 an, während
P4S3 unter Aufnahme eines S-Atoms und Bildung von β-P4S4 zwei Liganden koordiniert, so daß
mehrere Reaktionsschritte erforderlich sind. Letztere Reaktion erfolgt sowohl in CS2 als auch in
Toluol, so daß eine Übertragung von Schwefel aus dem Lösemittel ausgeschlossen werden
konnte.
Eine ähnliche Bildung von schwefelreicheren Produkten wurde bei der Umsetzung von As4S3mit [Cp2*Ru2(CO)4] beobachtet, wobei aber Metall-Atome in den molekularen Käfig eingescho-
ben werden [97BRU]. In beiden NbCl5-Verbindungen sind die Liganden erstmals an basale
P-Atome gebunden, ohne daß das zentrale Phosphor-Chalkogen-Gerüst geöffnet oder wesentlich
verändert ist, so daß die Voraussage über die Donor-Eigenschaften der basalen P-Atome von
P4E3 von Head et al. bestätigt werden konnte [77HEA].
5 Aminoderivate von α-P4S3I2 und α-P4Se3I2
40
5 Aminoderivate von αααα-P4S3I2 und αααα-P4Se3I24
5.1 Einleitung
Die Umsetzung des Moleküls α-P4S3I2 mit sekundären Aminen wurde 1991 von Tattershall
[91TAT] durchgeführt, indem er Iod-Liganden durch die Reste NMePh und NEtPh auszu-
tauschte. Hackmann [94HAC] und Blachnik et al. [96BLA] haben daraufhin die α- und
β-Isomere mit verschiedenen primären Aminen wie tert.-Butylamin, Anilin, Methylamin und
Ammoniak umgesetzt und erhielten außer offenen mono- und diaminosubstituierten Isomeren
auch α-P4S3NR-Moleküle, in denen die Aufnahme von NR zum Ringschluß führte. Mit der Re-
aktion von α-P4S3I2 und α-P4Se3I2 mit primären Aminen, die einen größeren Rest R besitzen,
konnte die Reihe der Amine und Imine erweitert werden. Erstmalig konnten Moleküle der Form
α-P4Se3((NHR)exo)2, α-P4Se3IexoNHRexo und α-P4Se3IendoNHRexo mit R = tBu, Ad 31P-NMR
spektroskopisch charakterisiert werden.
5.2 Experimentelles
α-P4S3I2 und α-P4Se3I2 wurden durch Aufschmelzen stöchiometrischer Mengen der Elemente
oder durch Aufschmelzen äquimolarer Mengen von P4S3 bzw. P4Se3 [84BLA] mit Iod in evaku-
ierten und abgeschmolzenen Glasampullen bei ca. 450 K präpariert und anschließend aus CS2umkristallisiert. Das verwendete Triethylamin wurde mit KOH getrocknet und darüber aufbe-
4 Die Ergebnisse dieses Kapitels sind teilweise in der Zeitschrift für Anorganische und Allgemeine Chemie 1999,625, 1019 veröffentlicht worden [99LUT].
5 Aminoderivate von α-P4S3I2 und α-P4Se3I2
41
wahrt. Alle Umsetzungen wurden bei Zimmertemperatur und in CS2 als Lösemittel durchgeführt.
Die 31P-NMR-Spektren wurden protonenentkoppelt aufgenommen.
Reaktion von α-P4S3I2 mit Et3N und primären Aminen in CS2
0,2 g (0,42 mmol) α-P4S3I2 werden in 10 mL CS2 gelöst und in einem 100 mL Schutzgaskolben
vorgelegt. Dann werden 0,84 mmol des entsprechenden Amins und 0,12 mL (0,84 mmol) Et3N
in 30-45 mL CS2 gelöst. Diese Lösung wird innerhalb von 1-2 Stunden zur α-P4S3I2-Lösung
getropft. Es entsteht eine zitronengelbe Lösung. Das entstandene Ammoniumsalz wird mit einer
mit Filterwatte bestückten D4-Schutzgasfritte abfiltriert und die Lösung im Vakuum auf 2 mL
eingeengt.
Reaktion von α-P4Se3I2 mit Et3N und primären Aminen in CS2
0,2 g (0,33 mmol) α-P4Se3I2 werden in 40 mL CS2 gelöst und in einem 100 mL Schutzgaskolben
vorgelegt. Dann werden 0,33 mmol des entsprechenden Amins und 0,09 mL (0,66 mmol) Et3N
in 30-45 mL CS2 gelöst. Diese Lösung wird innerhalb von 1-2 Stunden zur α-P4S3I2-Lösung
getropft. Es entsteht eine zitronengelbe Lösung. Das entstandene Ammoniumsalz wird mit einer
mit Filterwatte bestückten D4-Schutzgasfritte abfiltriert und die Lösung im Vakuum auf 2 mL
eingeengt.
α-P4S3I2 + RNH2 + 2 Et3N α-P4S3(NR) + 2 Et3NHIin CS2
α-P4S3I2 + 2 RNH2 + 2 Et3N α-P4S3((NHR)exo)2 + 2 Et3NHIin CS2
α-P4Se3I2 + 2 RNH2 + 2 Et3N α-P4Se3((NHR)exo)2 + 2 Et3NHIin CS2
5 Aminoderivate von α-P4S3I2 und α-P4Se3I2
42
Reaktion von α-P4S3I2 mit 1-Adamantanammoniumchlorid
0,2 g (0,42 mmol) α-P4S3I2 und 0,16 g (0,84 mmol) 1-Adamantanammoniumchlorid werden in
einem 100 mL Schutzgaskolben in 20 mL CS2 vorgelegt. Dann werden 0,23 mL (1,68 mmol)
Et3N gelöst in 20 mL CS2 innerhalb von 1-2 Stunden zugetropft. Es entsteht eine zitronengelbe
Lösung, die abfiltriert und im Vakuum auf 2 mL eingeengt wird.
Reaktion von α-P4Se3I2 mit 1-Adamantanammoniumchlorid
0,2 g (0,33 mmol) α-P4Se3I2 und 0,06 g (0,33 mmol) 1-Adamantanammoniumchlorid werden in
einem 100 mL Schutzgaskolben in 60 mL CS2 vorgelegt. Dann werden 0,23 mL (1,68 mmol)
Et3N gelöst in 20 mL CS2 innerhalb von 1-2 Stunden zugetropft. Es entsteht eine zitronengelbe
Lösung, die abfiltriert und im Vakuum auf 2 mL eingeengt wird.
Reaktion von α-P4Se3I2 mit tert.-Butylammoniumchlorid:
0,2 g (0,33 mmol) α-P4Se3I2 und 0,036 g (0,33 mmol) tert.-Butylammoniumchlorid werden in
einem 100 mL Schutzgaskolben in 40 mL CS2 vorgelegt. Dann werden 0,14 mL frisch destil-
liertes Et3N (0,99 mmol) innerhalb von einer Stunde zugetropft und acht Stunden unter Rückfluß
gekocht. Die entstandene zitronengelbe Lösung wird abfiltriert und im Vakuum auf 2 mL einge-
engt.
Nach Tattershall [91TAT] lassen sich die Liganden in α-P4S3I2 und α-P4Se3I2 in Gegenwart von
Triethylamin zum Abfangen von HI leicht durch Aminoreste ersetzen. Diese Reaktionen verlie-
fen in CS2-Lösung ohne Bildung von Zersetzungsprodukten.
Die Reaktionen führten zu exo-exo-Isomeren von α-P4S3(NHR)2 und α-P4Se3(NHR)2, und zu
den N-verbrückten Molekülen α-P4S3NR. Der Rest R entspricht tBu, Ad, Ph, Flu und TPMP,
α-P4S3I2 + 2 C10 H18ClN + 4 Et3N α-P4S3(NC10H15) + 2 Et3NHI + 2 Et3NHClin CS2
α-P4S3I2 + 2 C10 H18ClN + 4 Et3N α-P4S3(NC10H15)exo)2 + 2 Et3NHI + 2 Et3NHClin CS2
α-P4Se3I2 + 2 C10 H18ClN + 4 Et3N α-P4Se3(NC10H15)exo)2 + 2 Et3NHI + 2 Et3NHClin CS2
5 Aminoderivate von α-P4S3I2 und α-P4Se3I2
43
wobei Ph = Phenyl, tBu = tertiär-Butyl, Ad = 1-Adamantyl, Flu = 2-Fluorenyl,
TPMP = 4-Triphenylmethylphenyl bedeuten.
5.3 Ergebnisse und Diskussion
Mit den gängigen Trennmethoden war es nicht möglich, die einzelnen Verbindungen aus den
Produktgemischen zu isolieren. Es konnten nur wenige Verbindungen rein dargestellt werden
(α-P4E3(NHR)2, R = TPMP, Flu). Da diese Verbindungen noch nicht kristallin erhalten werden
konnten, sind keine Röntgendaten verfügbar. Deshalb erfolgte die Charakterisierung mittels31P-NMR-Spektroskopie.
Erfolgt der Angriff des primären Amins unter Retention, ergibt der erste Reaktionsschritt
α-P4S3Iexo(NHR)exo mit ABCD-Spinsystem. Durch anschließende Substitution des zweiten Iod-
atoms bildet sich α-P4S3((NHR)exo)2 ([AB]2-Spinsystem). Wenn im ersten Schritt der Angriff
unter Inversion stattfindet, entsteht α-P4S3Iexo(NHR)endo mit ABCD-Spinsystem. Aufgrund der
vermutlich höheren Reaktionsgeschwindigkeit einer intramolekularen Folgereaktion konnten
Verbindungen dieses Typs nicht in den Lösungen nachgewiesen werden. Die intramolekulare
Abspaltung von HI aus α-P4S3Iexo(NHR)endo führt zu N-verbrückten α-P4S3(NR)
([AB]2-Spinsystem) [94HAC, 96BLA].
Verbindungen mit ABCD-Spinsystem wurden nach den Regeln erster Ordnung analysiert. Für
die Spektren höherer Ordnung ([AB]2-Spinsysteme) wurden als Startwerte 31P-NMR-Parameter
ähnlicher Verbindungen verwendet. Die iterative Anpassung der Werte erfolgte mit dem Pro-
gramm WinDaisy [96BRU]. Die 31P-NMR-Daten der in dieser Arbeit synthetisierten Verbindun-
gen sind in den Tabellen 11 und 12 enthalten. Die Signalverbreiterung der an 14N-Kerne gebun-
denen Phosphoratome erleichterte die eindeutige Zuordnung der Signale wesentlich. Die relati-
ven Vorzeichen der meisten Kopplungskonstanten wurden analog zu strukturverwandten Mole-
külen vergeben. Für die 3JBD- bzw. 3JBB‘-Kopplungen sind negative oder positive Vorzeichen
möglich, so daß eine Bestimmung nötig war. Die Spektrenanpassung führte bei den Spektren
höherer Ordnung mit den in den Tabellen 11 und 12 angegebenen Vorzeichen zu signifikant bes-
seren Ergebnissen. Zur Identifizierung von α-P4Se3Iendo(NHR)exo wurde die im Vergleich zu
α-P4Se3Iexo(NHR)exo um ca. 40 ppm bei tieferem Feld liegende chemische Verschiebung des
5 Aminoderivate von α-P4S3I2 und α-P4Se3I2
44
iodtragenden Phosphorkerns und die um ca. 20 Hz kleinere 1JP-PI-Kopplung verwendet. Bei den
in Tabelle 12 angegebenen 3JBD-Kopplungen dieser Verbindungen konnten die Vorzeichen nicht
bestimmt werden, da es sich um Spektren erster Ordnung handelt.
Die 31P-NMR-Parameter der neuen Verbindungen
Verbindung δA δB1JAB 2JAA’/AC 2JAB’/BC 3JBB’ R-Wert [%]
α-P4S3(NHR)2NHFlu 80,38 107,28 -292,53 (4) 44,78 (8) 19,25 (7) -0,20 (8) 2,8NHTPMP 80,27 106,46 -292,50 (3) 45,90 (5) 18,50 (3) -5,40 (6) 2,6NHAd 74,20 110,63 -304,50 (2) 40,60 (4) 17,50 (3) -2,30 (7) 4,7
α-P4S3NRNFlu 202,38 173,42 -258,80 (2) 45,40 (4) 3,30 (2) 1,40 (4) 4,7NTPMP 202,31 172,90 -260,60 (1) 45,10 (4) 3,30 (2) 1,70 (3) 3,2NAd 195,73 165,88 -261,80 (1) 48,50 (2) 1,30 (1) 2,10 (2) 1,5
α-P4Se3(NHR)2NHPh 71,63 119,87 -291,93 (3) 54,08 (6) 21,62 (4) -2,88 (7) 2,6NHFlu 72,07 121,31 -291,37 (4) 53,65 (7) 20,49 (4) 0,99 (10) 6,1NHTPMP 70,74 118,88 -291,40 (4) 54,30 (8) 20,90 (4) -4,50 (9) 3,9NHAd 66,95 124,34 -303,10 (4) 49,80 (6) 19,10 (3) -7,00 (6) 8,7NHtBu 66,66 126,30 -304,95 (1) 47,73 (1) 20,47 (1) -0,40 (1) 3,8
Tabelle 11: 31P-NMR-spektroskopische Daten von α-P4E3(NHR)2 und α-P4S3(NR) mit
E = S oder Se; R = Ph, Flu, TPMP, Ad, tBu
Das Molekülgerüst von α-P4S3(NR) mit R = Flu, TPMP, Ad ist durch die Stickstoffbrücke fi-
xiert. Es fällt auf, daß im Gegensatz zu den unverbrückten Verbindungen eine starke Tieffeldver-
schiebung der Resonanzen der Phosphoratome vorliegt: PA liegt bei ca. 30 ppm tieferem Feld als
B
´
P ´
PA
SR
N S
S
PA
PB
´
´
H
H
E
PA
R
N
PB
E
E
PA
PB
NR
5 Aminoderivate von α-P4S3I2 und α-P4Se3I2
45
PB. Eine ähnliche Verschiebung zu höheren ppm-Werten von PB bei Inversion am Phosphoratom
konnte auch bei den β-Isomeren der Halogenide und Acetate bzw. Benzoate festgestellt werden
[94HAC]. Die Tieffeldverschiebung von PA in den N-verbrückten Verbindungen wird durch
Winkeländerungen im Gerüst bewirkt.
Der Rest R am Stickstoff kann durch seine elektronischen Eigenschaften (induktive Effekte) und
seine Größe Veränderungen im Molekül bewirken. Für die drei aromatischen Reste Ph, TPMP
und Flu sollte wegen ihrer Struktur der induktive Effekt praktisch gleich sein, d.h. Veränderun-
gen der NMR-Parameter könnten nur aus sterischen Gründen erfolgen. Da die NMR-Parameter
bei α-P4S3(NPh), α-P4S3(NTPMP) und α-P4S3(NFlu) fast identisch sind, ist auch die Größe der
Reste nicht von Bedeutung. Mit den aliphatischen Resten tBu und Ad sind alle Phosphoratome
weniger stark entschirmt, da die aliphatischen Aminoliganden einen geringeren –I-Effekt haben
als die aromatischen.
Um Aussagen über die Einflüsse der Substituenten zu erhalten, wurden von einer Reihe von
Aminoderivaten unterschiedlicher Phosphorchalkogenide die 31P-NMR-Daten verglichen. Die
Ergebnisse der statistischen Auswertung sind in [99LUT] veröffentlicht worden und zeigen, wie
unterschiedliche Substituenten die 31P-NMR-Parameter der Gerüststrukturen beeinflussen.
5 Aminoderivate von α-P4S3I2 und α-P4Se3I2
46
Verbindung α-P4Se3IexoNHRexo α-P4Se3IendoNHRexoR = tBu Ad tBu Ad
Chemische Verschiebung [ppm]δA 88,41 88,19 80,67 81,10δB 128,69 128,95 136,02 134,65δC 82,31 82,07 95,37 95,15δD 137,47 136,10 166,28 166,31
Kopplungskonstanten [Hz]1JAB -233,20 (2) -233,92 (3) -308,44 (2) -307,09 (7)2JAC 65,55 (2) 65,45 (3) 62,25 (2) 62,22 (3)1JAD 21,20 (2) 21,57 (3) 18,28 (2) 17,91 (3)2JBC 17,22 (2) 16,79 (4) 19,87 (3) 20,23 (3)3JBD -3,00 (2) -3,38 (4) (±) 2,29 (5) (±) 3,11 (3)2JCD -310,14 (2) -308,95 (6) -256,87 (2) -257,49 (3)
R-Wert [%] 7,8 15,6 11,3 17,5
Tabelle 12: 31P-NMR-spektroskopische Daten von α-P4Se3IexoNHRexo und
α-P4Se3IendoNHRexo, R = Ad, tBu
H
R
NPC
PDSe
Se
Se
PB
IPA
H
R
N
PB
PA
Se
Se
PC
PD
I
Se
5 Aminoderivate von α-P4S3I2 und α-P4Se3I2
47
Die 31P-NMR-Parameter von α-P4Se3Iexo(NHR)exo mit R = tBu, Ad sind mit der von Blach-
nik et. al. [96BLA] synthetisierten Verbindung α-P4S3Iexo(NHtBu)exo vergleichbar (Tab. 12). Die
Signale der Phosphorkerne, die an den Aminoliganden gebunden sind, sind durch die Signalver-
breiterung der 14N-Kerne eindeutig zu identifizieren (Abb. 14).
Abbildung 14: Gemessenes (oben) und simuliertes (unten) 31P-NMR-Spektrum der Verbin-
dung α-P4Se3Iexo(NHtBu)exo
In den 31P-NMR-Spektren der Lösungen dieser Verbindungen sind Signale enthalten, die zu ei-
nem weiteren ABCD-Spinsystem gehören. Da als Liganden nur Iod und Amin in Frage kommen,
und das Signal des zweiten ligandentragenden Phosphorkerns nicht verbreitert ist, kann sein Li-
gand nur ein Iodatom sein. Bei Verbindungen mit exo- und endo-ständigem Iodatom unterschei-
den sich die chemischen Verschiebungen des Phosphors mit Stickstoffliganden und des ihm be-
nachbarten Phosphoratoms nur gering. Auch die 1JP-PN-Kopplungen sind nahezu gleich. Im Ge-
gensatz dazu unterscheiden sich die chemischen Verschiebungen des iodtragenden Phosphors im
exo-exo- und endo-exo-Isomer deutlich (ca. +37 ppm). Ähnliche Differenzen ergeben sich für
weitere NMR-Parameter: Das benachbarte Phosphoratom wird um ca. 7 ppm entschirmt, wäh-
rend der Betrag der 1JP-PI-Kopplung um ca. 23 Hz zunimmt. Die Signale dieses
ABCD-Spinsystems wurden deshalb den neuen Verbindungen α-P4Se3Iendo(NHR)exo mit R = tBu,
Ad zugeordnet (Abb. 15).
(ppm)80859095100105110115120125130135140
5 Aminoderivate von α-P4S3I2 und α-P4Se3I2
48
Abbildung 15: Gemessenes (oben) und simuliertes (unten) 31P-NMR-Spektrum der Verbin-
dung α-P4Se3Iendo(NHtBu)exo
Nachdem sich die Verbindungen α-P4Se3Iexo(NHR)exo und α-P4Se3Iendo(NHR)exo mit R = tBu, Ad
nebeneinander gebildet haben konnte nach ca. acht Stunden Reaktionszeit eine neue Verbindung
beobachtet werden. Im 31P-NMR-Spektrum sind nun keine Isomere mit exo- und en-
do-ständigem Iodatom enthalten (Abb. 16).
Abbildung 16: 31P-NMR-Spektren der neuen Verbindung aus der Umsetzung von α-P4Se3I2mit t-Butylammoniumchlorid (oben) und 1-Adamantanammoniumchlorid
(unten).
(ppm)
80859095100105110115120125130135140145150155160165
7580859095100105110115120125130135
(pp m)
5 Aminoderivate von α-P4S3I2 und α-P4Se3I2
49
Wird die Reaktionslösung bis zur Trockene eingedampft und das entstandene Pulver wieder mit
CS2 aufgenommen sind im NMR-Spektrum abermals α-P4Se3Iexo(NHR)exo und
α-P4Se3Iendo(NHR)exo mit R = tBu, Ad enthalten, während die unbekannte Verbindung nicht mehr
beobachtet werden konnte.
Dieses Reaktionsverhalten spricht für die Entstehung eines dimeren Moleküls mit
[ABCD]2-Spinsystem, das durch ein Stickstoffatom verbrückt ist.
5 Aminoderivate von α-P4S3I2 und α-P4Se3I2
50
5.4 Zusammenfassung
Es ist gelungen, neben den von Hackmann synthetisierten Verbindungen des Typs
α-P4S3((NHR)exo)2 und α-P4S3(NR) mit R = tBu, Ph, Me, H, noch weitere Moleküle dieser Art,
jedoch mit größeren Resten (R = Flu, TPMP, Ad) darzustellen.
Erstmals wurde α-P4Se3I2 mit 1-Adamantanammoniumchlorid und tert.-Butylammoniumchlorid
umgesetzt. Hier konnten neben α-P4Se3((NHR)exo)2 jeweils zwei Isomere des Moleküls
α-P4Se3I(NHR) detektiert werden, in denen die Liganden in exo-exo oder endo-exo Stellung
stehen. Bei dieser Umsetzung ist eine neue Verbindung entstanden, von der vermutet wird, daß
es sich um eine dimeres Molekül handelt, das durch intermolekulare Verbrückung über ein
Stickstoffatom entstanden ist.
6 Die β-α-Umwandlung von Tetraphosphatrichalkogenadihalogeniden
51
6 Die ββββ-αααα-Umwandlung von Tetraphosphatrichalkogena-
dihalogeniden
6.1 Einleitung
Die erste Verbindung dieser Substanzklasse, β-P4Se3I2 wurde 1927 von Mai dargestellt [27MAI].
Die Strukturaufklärung dieses Moleküls erfolgte 1969 durch Penney und Sheldrick [70PEN]
mittels Röntgeneinkristallaufnahmen. Ein Jahr später wurde von Hunt und Cordes [71HUN] als
auch von Penney und Sheldrick [71PEN] fast gleichzeitig das entprechende Schwefelhomologe
isoliert und seine Struktur bestimmt. Es zeigt sich, daß die Verbindungen β-P4S3I2 und β-P4Se3I2
isotyp sind, im orthorhombischen Kristallsystem kristallisieren (Raumgruppe Pnma) und eine
norbornananaloge Struktur besitzen. Die β-Verbindungen sind thermodynamisch instabil und
wandeln sich irreversibel sowohl in Lösung als auch beim Aufschmelzen in die thermodyna-
misch stabilere α-Form um (Abb. 17).
Abbildung 17: Irreversible Umwandlung von β-P4S3I2 zu α-P4S3I2
Ihre Synthese erfolgt in CS2 durch Reaktion von P4Se3 oder P4S3 mit Iod bei tiefen Temperaturen
oder durch schonende Iodierung mit PI3 [80BLA].
A
C
B BA
A'B'
B
∆ oder hυ
6 Die β-α-Umwandlung von Tetraphosphatrichalkogenadihalogeniden
52
Durch Umhalogenierung von β-P4S3I2 mit HgBr2, HgCl2 und BiCl3 gelang es Hackmann 1990
die entsprechenden β-Bromide und Chloride darzustellen [90HAC].
X = Cl, Br
Hackmann [90HAC] fand heraus, daß die β-Bromide und Chloride eine noch größere Instabilität
als die Iodide zeigen, denn sie wandeln sich bereits im festen Zustand bei Lagerung unter
Schutzgas zu den entsprechenden α-Isomeren um. Bei der Reaktion von β-P4S3Cl2 an Licht ent-
stehen die Produkte α-P4S3Cl2, P4S3, PCl3 und α-P4S5. Das β-Bromid ist etwas weniger emp-
findlich, denn es wandelt sich langsamer in das α-Produkt um.
Da β-P4S3I2 stabiler ist als die entsprechenden Chloride und Bromide wurde dieses Molekül zur
eingehenderen Untersuchung herangezogen. Es sollte geklärt werden, nach welchem Reaktions-
mechanimus und welcher Reaktionsordnung die Reaktion zu α-P4S3I2 abläuft. Deshalb wurden
die Licht- und Dunkelreaktionen des β-Isomers mit und ohne Iodzugabe untersucht.
6.2 Experimentelles
Synthese von β-P4S3I2
4,0 g (18,2 mmol) P4S3 werden in 40 mL CS2 und 4,6 g (18,2 mmol) I2 werden in 90 mL CS2gelöst. Die Iodlösung wird über einen Zeitraum von 3 bis 4 Stunden zur P4S3-Lösung getropft.
Dabei ist die Tropfgeschwindigtkeit so zu regulieren, daß sich die Reaktionslösung nach jeder
Iodzugabe wieder aufhellt. Es ist sehr wichtig, daß sich nach ca. 5 bis 10 Minuten ein orangefar-
bener Niederschlag bildet. Wenn sich kein Niederschlag bildet, muß die Rührgeschwindigkeit
erhöht werden, damit durch Reibung an der Glaswandung oder fein verteilte Gasbläschen in der
P4S3 + 2 PI3in CS2 β-P4S3I2- P2I4
P4S3 + I2in CS2 β-P4S3I2
T = -40°C
β-P4S3I2 + HgX2in CS2
T = -20°Cβ-P4S3X2 + HgI2
6 Die β-α-Umwandlung von Tetraphosphatrichalkogenadihalogeniden
53
Reaktionslösung die Kristallisation des β-Diiodids erleichtert wird. Ist danach immer noch kein
Niederschlag entstanden, bildet sich nur die α-Verbindung und der Versuch muß mit erhöhter
Rührgeschwindigkeit wiederholt werden. Da die Umwandlung in die α-Form durch Lichteinwir-
kung beschleunigt wird, ist direkte Sonnenlichteinstrahlung zu vermeiden. Die Reaktionstempe-
ratur sollte –30 bis –40 °C betragen (Methanol-Stickstoff-Bad), denn tiefe Reaktionstemperatu-
ren verbessern die Reinheit und Ausbeute. Nach Zugabe der gesamten Iodlösung wird noch 15
Minuten gerührt. Danach wird der orangefarbene Niederschalg über eine D4-Schutzgasfritte ab-
filtriert, zweimal mit 10 mL CS2 gewaschen und im Vakuum getrocknet. Ausbeute: 2,0 g (4,2
mmol) 23 % d. Th. reines β-P4S3I2.
Die Synthese von β-P4Se3I2 erfolgt nach der gleichen Synthesevorschrift aber bei Zimmertempe-
ratur. Es werden 4,0 g (11 mmol) P4Se3 eingesetzt, und in 150 mL CS2 gelöst und mit einer Lö-
sung von 2,8 g Iod (11 mmol), gelöst in 60 mL CS2, versetzt. Im Gegensatz zur Darstellung von
β-P4S3I2 sollte die Apparatur während der Reaktion vollständig mit Alufolie abgedeckt sein, da
dies die Ausbeute erheblich vergrößert.
Präparation der NMR-Proben für die Reaktion von β-P4S3I2 an Licht und unter Lichtausschluß
Im Dunkeln wird eine gesättigte Lösung von β-P4S3I2 hergestellt. Dann wird die Lösung bei Ta-
geslicht gerührt. Jede Stunde wird 1 mL abgenommen und NMR-spektroskopisch vermessen.
50 mg β-P4S3I2 werden im Dunkeln in 20 mL CS2 gelöst. Dann wird 1 mL abgenommen und in
ein NMR-Röhrchen gefüllt. Jede Stunde erfolgt eine Messung.
Bei der Reaktion von β-P4S3I2 mit Iod im Dunkeln werden zusätzlich 30 mg Iod in 20 mL CS2
gelöst. Es werden drei Meßreihen mit jeweils 1 mL β-P4S3I2-Lösung und 0,1 mL, 0,05 mL und
0,025 mL Iodlösung durchgeführt. Das entspricht 1/10, 1/20 und 1/40 der molaren Menge an
β-P4S3I2. Jede Stunde erfolgt eine Messung.
6.3 Ergebnisse und Diskussion
Der Reaktionsverlauf und die Identifizierung der Reaktionsprodukte erfolgt mit Hilfe der31P-NMR-Spektroskopie. Die bei der Reaktion auftretenden Produkte sind in Tabelle 13 darge-
stellt.
6 Die β-α-Umwandlung von Tetraphosphatrichalkogenadihalogeniden
54
Verbindung β-P4S3I2 α-P4S3I2 P4S3 PI3
Spinsysstem AB2C AA’BB’ AB3 A
Chemische Verschiebungen [ppm]δA 151,34 125,06 68,30 178,00δB 93,77 128,72 -120,10δC 196,00
Kopplungskonstanten [Hz]1JAB -252,0 (2)2JAC 82,1 (1)2JBC 56,1 (1)1JAB -143,7 (3)2JAA’ 74,8 (1)2JAB’ 21,6 (2)3JBB’ 9,3 (2)2JAB 70,6 (2)R-Wert [%] 1,5 2,6 1,3
Tabelle 13: 31P-NMR-spektroskopische Daten der Reaktion von β-P4S3I2
Zur Auswertung wurden die Peakintensitäten der zwei höchsten Signale des Brückenkopfatoms
PC von β-P4S3I2 bei 196 ppm, für α-P4S3I2 die zwei höchsten Signale der gesamten Signalgruppe
und für P4S3 die zwei höchsten Signale der basalen Atome PB herangezogen.
Alle Meßwerte sind auf eine mit Triphenylphosphin gesättigte C6D6-Lösung bezogen.
6.3.1 Reaktion von ββββ-P4S3I2 an Licht
An Licht erfolgt ein schneller Zerfall von β-P4S3I2. Es entstehen die Reaktionsprodukte α-P4S3I2,
P4S3 und PI3. Im Gegensatz zu den Hauptprodukten P4S3 und PI3, wird wenig α-P4S3I2 gebildet.
α-P4S3I2 ist erst nachweisbar, wenn etwa dreiviertel des Eddukts abgebaut wurde (Abb. 18).
6 Die β-α-Umwandlung von Tetraphosphatrichalkogenadihalogeniden
55
Abbildung 18: Reaktion von β-P4S3I2 an Licht
Während der Lichtreaktion des β-Isomers tritt zeitweilig eine violette Färbung der Lösung auf.
Es scheint sich hier um eine Abspaltung von elementarem Iod aus der Verbindung zu handeln.
Da es mit Hilfe der NMR-Spektroskopie nicht möglich ist Iod zu identifizieren, sind folgende
Versuche und Beobachtungen gemacht worden, um dessen Rolle beim Reaktionsverlauf besser
aufzuklären:
• Nach Zugabe des mäßig starken Reduktionsmittels Natriumthiosulfat zur β-P4S3I2-Lösung in
CS2 erfolgt keine Umwandlung zu α-P4S3I2. Natriumthiosulfat dient als Iodfänger. Ein weite-
rer Versuch, bei dem Natriumthiosulfat zu einer α-P4S3I2-Lösung gegeben wurde, ergab, daß
nach ca. einer Woche an Tageslicht die Konzentration an α-P4S3I2 unverändert blieb. Der
Zerfall des β-Käfigs und die Bildung von P4S3 wird, aufgrund des Entzugs von Iod aus dem
Gleichgewicht, bevorzugt. Die PI3-Bildung wird durch die Abwesenheit von freiem Iod ver-
hindert. Der Reaktionsverlauf läßt sich optisch verfolgen, da sich die anfänglich dunkeloran-
ge Lösung entfärbt.
• Gibt man eine 2 % ige Stärkelösung zur β-P4S3I2-Lösung so ist eine Blaufärbung zu erken-
nen. Auch danach erfolgt keine Umwandlung zu α-P4S3I2. Bei der Reaktion mit α-P4S3I2 ist
keine Blaufärbung erkennbar. Nach einer Woche Belichtungszeit war die Konzentration an
α-P4S3I2 gleichbleibend.
0,00
1,00
2,00
3,00
4,00
5,00
6,00
7,00
8,00
0,00 2,00 4,00 6,00 8,00 10,00 12,00
Zeit in Stunden
rela
tive
Inte
nsitä
tb-P4S3I2PI3a-P4S3I2P4S3
β-P4S3I2PI3α-P4S3I2P4S3
6 Die β-α-Umwandlung von Tetraphosphatrichalkogenadihalogeniden
56
• Die Verbindung β-P4S3(CH3)2 wandelt sich selbst nach Monaten in Lösung nicht zu α-P4S3I2um [96KAR]. Für die hohe Stabilität dieses Moleküls spricht die höhere Bindungsenergie des
Phosphors zum Kohlenstoff und die Abwesenheit von Iod.
• Die Zugabe von äquimolaren Mengen Iod zu Reaktionslösungen von β-P4S3I2 und P4S3
brachte nach zwei Tagen Belichtungszeit sehr viel α-P4S3I2 (56 % bzw. 76 %) hervor.
6.3.2 Reaktion von ββββ-P4S3I2 unter Lichtausschluß
Der Zerfall von β-P4S3I2 erfolgt unter Lichtausschluß sehr langsam (Abb. 19). Nach 20 Stunden
ist noch kein α-P4S3I2 entstanden. P4S3 und PI3 nehmen sehr langsam zu, wobei sich PI3 erst
nach zehn Stunden Reaktionszeit bildet. Aus diesem Reaktionsschema läßt sich schließen, daß
zuerst ein gewiß