Neuwal Piratenpartei Oesterreich Interview

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  • 7/31/2019 Neuwal Piratenpartei Oesterreich Interview

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    neuwal im Gesprch mit der Piratenpartei sterreich

    Rodrigo Jorquera Bundesvorstand Piratenpartei sterreichChristian Marin Landesvorstand Piratenpartei Wien

    Moderation Dieter Zirnig (neuwal.com)Kamera/Schnitt Georg Schtz (ichmachpolitik.at)

    Vollstndige OriginalversionDieter Zirnig (neuwal.com), Donnerstag, April 2012

    Artikel mit Podcast auf neuwal.com in Bearbeitung

    Vielen Dank, Christian Marin und Rodrigo Jorquera von der Piratenpartei sterreich,dass ihr euch die Zeit fr unser neuwal-Interview genommen habt. Danke anichmachpolitik.at, die das Interview mit Video aufzeichnen. Gleich mal vorweg: Wer seidihr?Christian Marin: Wer sind wir genau. Ich bin Landesvorstand von Wien und kmmeremich um die Technik und dem Spezialthema Urheberrecht und ACTA.

    Rodrigo Jorquera: Ich bin Bundesvorstand der Piratenpartei sterreich und bin dafr

    zustndig, dass die Strukturen und die Organisation passt. Ich gebe keine Themen,sondern die Rahmenbedingungen vor, damit die Leute arbeiten knnen.

    neuwal: Bleiben wir bei der Struktur. Wie ist eine Piratenpartei organisiert undstrukturiert?

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    Rodrigo Jorquera: Es gibt so wenig wie mglich Hierarchie und jeder kannpartizipieren. Schon vom ersten Moment an, beim Stammtisch, kann jeder seineStandpunkte dem Landes- oder Bundesvorstand vorlegen. Jeder Gedanke wird ernstgenommen. Das ist auch relativ anstrengend - gestern ging es wieder bis um 1 Uhr inder Frh. Und dann wir sind auch glcklich, weil wir etwas erledigt haben.

    neuwal: Welche Themen werden bei so einem Stammtisch diskutiert?

    Rodrigo Jorquera: Beim Stammtisch kann alles passieren. Es kann sein, dass wirdabei andere Stammtische planen. Das Themen angesprochen werden, die Menschenbewegen und die sie tagsber erlebt haben, was nicht in Ordnung war. Ein heftigdiskutiertes Thema ist derzeit das Bedingungslose Grundeinkommen. Hier haben wirmehrere Variationen.

    Wir Piraten setzen uns dafr ein, dass die Menschen wieder mehr Zeit haben und nichtdie ganze Zeit im Hamsterrad laufen mssen. Erst wenn Du die ganze Zeit lufst, hastdu im Endeffekt keine Wahl. Du hast nicht die Ruhe, einen Schritt zurckzugehen, dirdas ganze anzuschauen und dann richtig zu entscheiden.

    Christian Marin: In Wien wird derzeit der fahrscheinlose ffentliche Nahverkehrdiskutiert. Glcklicherweise haben wir seit zwei Jahren durchgehend fast zweiStammtische pro Woche. Die Stammtische nehmen von der Besucherzahl eine

    derartige Gre ein, dass wir weiter aufteilen mssen. An ein effektives Arbeiten ist bei50 bis 60 Teilnehmern derzeit nicht mehr zu denken. Es wre schn, wenn das dannnicht nur ein geselliges beisammen sein ist, sondern wenn sich die eine oder andereGruppe auch wieder thematisch zu einander finden kann.

    neuwal: Habt ihr Prozesse im Hintergrund, die Kritik zu Forderungen wachsen lassenknnen?

    Christian Marin: Unsere Kommunikationskanle sind mehrschichtig. Sehr beliebt istunser Voice-Chat Mumble in Kombinatio mit Etherpad. Damit knnen wir gemeinsaman Dokumenten arbeiten. Es gibt ein Forum, es gibt ein Wiki. Im Forum finden lineareDiskussionen statt, im Wiki werden Zwischen- oder Teilergebnisse festgehalten. DiePiraten sind grundstzlich in Taskforces organisiert. Das sind Arbeitsgruppen, diesich einem bestimmten Thema widmen und sich regelmig treffen, sei es physischoder virtuell. Im besten Fall werden Programmantrge ausformuliert und mit anderen

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    Mitgliedern diskutiert.

    neuwal: Was sind eure Aufgabenbereiche und zu welchem Themen setzt ihr euch genau

    zusammen?

    Christian Marin: Das ist davon abhngig, welche Leute und Piraten sich finden, diegewillt sind, gemeinsam an einem Thema zu arbeiten. Das kann im Bereich Wirtschaftliegen. Unlngst hat sich das Thema Terrorismus und der Paragraph 275 ergeben.Und so bilden sich einzelne Gruppen, die an einem bestimmten Thema Interesse habenund das dann an die Basis und den Bundesvorstand herantragen mit der Bitte, dasauch nach Auen zu tragen.

    neuwal: Ich habe gehrt, die Piratenpartei ist ziemlich flach organisiert. Landesvorstand,Bundesvorstand - wie sieht das genau strukturiert aus.

    Rodrigo Jorquera: Wir haben eine Bundesgeschftsfhrung, die sich fr dieadministrativen Sachen beschftigt. Dann haben wir den Bundesvorstand, der perDefinition fr die Auendarstellung verantwortlich ist. Derzeit arbeiten wir noch Hand-in-Hand, da es an Ressourcen mangelt. Das heit, dass ich Tag und Nacht mit einerGruppe an Freiwilligen an den Servern sitze. Dadurch, dass wir nun in den medialenFokus gekommen sind und dem Rckenwind aus Deutschland, ist es derzeit sehr viel

    geworden: Wir mssen sehr viel in sehr kurzer Zeit schaffen. Wir mssen da aber auchein bisschen mehr Struktur hineinbekommen - das ist jetzt meine persnliche Meinungals Bundesvorstand. Bis jetzt war es so, dass wir Taskforces gehabt haben,

    Christian Marin: Das mag nun so aussehen, dass sich hier eine Hierarchie aufbauenmag. Allerdings sind wir nach dem Parteiengesetz verpflichtet, einen Bundesvorstandzu haben. Das heit, wir erfllen hier gesetzliche Rahmenbedingungen und fnfLeute alleine knnen sterreichweit eine Partei auch nicht strukturieren. Daher habenwir beschlossen, dass in die verschiedenen Bundeslnder aufzuteilen, wo es einen

    Landesvorstand gibt, der auch fr landesspezifische Themen nach auen hin auftritt.Dann kommen noch die Taskforces dazu und das wars dann mit der Hierarchie.

    neuwal: Was ist denn genau eine Piratenpartei. Wir grenzt sie sich von bestehendenetablierten Parteien ab?

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    Rodrigo Jorquera: Hier wrde ich unseren Werkzeuggkasten ansprechen. Durch dasMedium haben wir eine Interaktivitt und eine Mglichkeit der Partizipation, die extremschnell ist. Wichtig ist eine Firewall gegen Opportunismus und Populismus. Und dasist eben dieser Diskurs, der nach auen hin wie eine Chaospartie ausschaut. Aber dassind einfach Leute, denen wirklich etwas daran liegt zu verndern.

    Christian Marin: Wir haben relativ gute Feedback-Schleifen eingebaut. Wirunterscheiden uns wesentlich von den herkmmlichen Parteien, dass wir keineTop-Down, sondern eine Bottom-to-Top-Struktur implementiert haben. Einesunserer wichtigsten Tools dabei ist Liquid Democracy in der Ausprgungvon Liquid Feedback. Das heit, dass sich die Basis und sich alle Piraten an einemEntscheidungsfindungsprozess wirklich unmittelbar beteiligen, ihre Meinung, ihr Pro undContra als auch Alternativen einbringen knnen. Es wird nicht von Oben ein Themavorgegeben, dass dann durch die Instanzen abgenickt wird und die Basis in Wirklichkeit

    alle vier oder fnf Jahre irgendwo einmal ihr Kreuzerl macht. Sondern, dass das einliquider, ein flssiger Prozess ist, der diesen Kontakt zwischen Piraten, Whlern undMenschen zu den Entscheidungstrger nicht unterbricht, sondern aufrecht erhlt.Rodrigo Jorquera: In der extremsten Ausformung ist das dann so, dass wirein interaktives Pad erstellen, in dem jedes Mitglied einen Agendapunkt in derBundesvorstandssitzung machen. Bundesvorstandssitzungen machen wir im Voice-Chat. Jeder kann dabei teilnehmen. Mitglieder knnen Standpunkte vertreten underklren, was das fr die Gesellschaft bringt, etc. Wir als Bundesvorstand sindverpflichtet uns das anzuhren und abzustimmen.

    neuwal: Das heit, ich hre, es passiert sehr viel im Online-Bereich, im Hintergrundwird sehr viel diskutiert. Wie gelingt es Euch, diese Themen transparent und sichtbarzu machen und an die ffentlichkeit zu bringen? Wie kann sich jemand ber dieverschiedenen Arbeitsgruppen informieren?

    Christian Marin: Unsere Wiki und Foren sind frei zugnglich. In das Pad kann jederhineinschauen. Es steht jedem frei, die Prozesse in ihrem positiven Ergebnis, aber auch

    in ihrem chaotischen Entstehungsprozess zu beobachten.

    Rodrigo Jorquera: Es ist geplant, dass wir diese kleine Nerd-Hrde mit einem User-Interface erstellen. Wir mchten eine Oberflche gestalten, wo alle Tools dargestelltsind, die man fr den Informationsflu bentigt. Das heit, Hausfrau oder Tischlerknnen dann einfach ber das Interface in Dialog treten. Das ist unser Ziel: Dialog sozu vereinfachen. Denn das ist auch Teil der Demokratie, dass man kein Technologie-Genie

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    sein muss, um mitmachen zu knnen.

    neuwal: In den letzten Wochen ist ziemlich viel ber Piraten in sterreich und

    Deutschland diskutiert worden. Ein Blog-Artikel von Michel Reimon.. This party is notavailable in your country... -

    Rodrigo Jorquera: Ich sehe es so, dass fr viele mnnliche Whler die grne Partyhier nicht available ist. In Wien gibt es viele Leute, die ein bisschen enttuschtsind und uns jetzt als Junior-Partner sehen, aber diesen revolutionren undevolutionren Gedanken vermissen, etwas zu verndern. Dadurch, dass alle von unsdiese Bottom-Up-Idee verfolgen, mssen wir uns bei jeder Entscheidung - sei es einePresseaussendung, etc. - vor allen Leuten rechtfertigen, im Forum, im Mail, das gehtrelativ schnell.

    Christian Marin: Weil du das ansprichst... Ich halte das fr die Meinung einesEinzelnen. Wir haben keine Berhrungsngste mit anderen politischen Parteien. Esgeht um Themen und es geht nicht um politische Dogmen. Da finden wir teilweisebei den Grnen durchaus die selbe Einstellung. Warum hier eine Grenze oder eineKonfrontation aufgezogen oder provoziert wird, ist mir ein bisschen unerklrlich.

    Ja, es ist richtig, dass die sterreichische Piratenpartei bis vor einem Jahr so gutwie nicht an der Oberflche zu sehen. Wir haben massenweise Medienmitteilungenausgeschickt, die niemanden interessiert haben und sind immer in der Rundablagegelandet. Mit dem Rckenwind aus Berlin und dem Saarland wird es fr die Medienpltzlich interessant. Fein, dass nun auch in den Print- und Videomedien nun fr unsein wenig Zeit eingerumt wird, unseren Standpunkt darzulegen. Dieser Standpunkt istaber nichts neues. Den gibt es seit 2006.

    neuwal: Es ist der Begriff Vernderung gefallen. Was sind die groen Vernderungenfr sterreich, die ihr in den nchsten Jahren vorhabt?

    Christian Marin: Es wird uns oft vorgeworfen, dass wir kein Programm haben. Dasist nicht richtig. Denn jeder, der lesen kann, findet es. Weiters wird uns auch oftangekreidet, dass unser Programm zu wenig breit ist. Ein zentraler Punkt von unsist der transparente Staat und nicht der glserne Brger. Und das ist das Um und

    Auf in jedem anderen einzelnen Bereich: Wenn ich keinen freien Zugang zu denInformationen habe, dann kann ich auch keine qualifizierte Meinung haben, was in

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    einem bestimmten Themenbereich falsch luft und wie es verbesserbar ist. Dieserzentrale Programmpunkt Transparenz ist nicht etwas einschrnkendes, sondern erbildet eine Voraussetzung, um demokratisch arbeiten zu knnen.

    Rodrigo Jorquera: Es gibt auch einen Schritt davor. Das ist die Diskussion ber das

    bedingungslose Grundeinkommen - egal wie wir es nennen. Es ist so, dass wir zuerstvon Existenzngsten befreit werden sollen. Dann hat man Zeit, dann die Transparenz,um sich informieren zu knnen und dann braucht man die Mglichkeit der Partizipation.Das ist ein Drei-Punkte-Schritt.

    Und in dem Moment, wo das der Fall ist, wird auch die Politikverdrossenheitverschwinden. Das ist meine Hoffnung und ich glaube fest daran, dass dies der Fallsein wird. Die Vernderung, die wir machen wollen: Das technische Know-How, das diePiratenpartei zweifellos hat, mchten wir auch anderen Organisationen, die partizipieren

    und mitgestalten wollen, zur Verfgung stellen. Das soll nicht dogmatisch sein. Wichtigbei uns ist, dass wir keine ideologischen Werte haben. Wir knnen mit jeder Person, diemit den Grundwerten der Piratenpartei nicht entgegentritt arbeiten.

    Deswegen werden wir diese Plattform und die liquide Demokratie auch anderenMenschen zur Verfgung stellen, damit sie auch eine Stimme und eine Plattform haben.Ich glaube, dass wir eine Eigendynamik entwickeln, wo die etablierten Parteien unterDruck kommen und sich vielleicht in unsere Richtung entwickeln mssen.

    neuwal: Was, wenn etablierten Parteien ber kurz oder lang das gleiche Systembernehmen?

    Christian Marin: Sie versuchen es bis zu einem gewissen Grad auch jetzt schon.Wenn man diverse Initiativen der Groparteien sich momentan anhrt, wie sie berdie Medien kommuniziert werden:: Brgerbeteiligung ist ja momentan in aller Munde.Es sieht allerdings so aus, dass es nur Worthlsen an der Oberflche sind und sichdahinter Unkenntnis und keine Struktur verbergen.

    neuwal: Die Schweiz wird oft als Vorbild fr Direkte Demokratie und Brgerbeteiligunggenannt. Ist das etwas, dass die Piratenpartei mittrgt oder habt ihr da andereVorstellungen?

    Rodrigo Jorquera: Mit Sorge habe ich die Entwicklung in der Schweiz beobachtet,

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    wo eben Populismus, gepaart mit Direkter Demokratie passiert. Das kann man nichtwirklich vergleichen. In der Schweiz gibt es einen Herrn Blocher, der manipulativePlakate auf die Strae setzt, die nicht mehr bersehen werden knnen und ngsteschrt. Das ist kein Diskurs. Das ist vorne stehen, folgt mir.

    Das ist es: Es gibt Plakate vom Blocher, irgenwelche Leute laufen ihm hinterher undwhlen dementsprechend. Bei uns ist es anders: Wir wollen den Diskurs haben. Duhast eine Vision, eine These, die dargelegt und disktuiert gelassen werden muss. DasErgebnis daraus und der Konsens ist das, woraus das Programm der Piratenparteientsteht. Wir sind eine konsensorientierte Partei.

    neuwal: Bedeutet konsens auch in Dialog mit anderen Parteien und Gruppierungen zutreten. Wie kann ich mir das vorstellen: Wie kann eine Kooperation mit Grn, einer FP,

    VP aussehen. Wie kann man das greifbar machen.

    Rodrigo Jorquera: Ich sehe es relativ unwahrscheinlich, da sie sich unsererTransparenz und unseren Werten unterwerfen, wenn sie mit uns zusammen arbeitenwrden. Weil, als Bundes- oder Landesvorstand knnen wir die piratischen Wertenicht ber Bord werfen. Das sind so etwas wie die 10-Gebote der Piraten. Regel 1:Partizpiation. Es wird nichts hinter verschlossenen Tren verhandelt.

    Was, wenn sich etablierte Parteien unserem System anpassen? Es gibt nichtsbesseres, wenn das passiert und wenn eine SP transparent wird. Wenn sie es wird,wenn sie zulsst, dass der Mensch und der Brger wirklich mitmacht, dann wird es einewunderschne Welt werden.

    neuwal: Berlin wird bei der Piratenpartei sehr oft als Best-Practise-Beispiel genannt. Wasmacht die Piratenpartei in Berlin so einzigartig?

    Christian Marin: Ich sehe das gar nicht so einzigartig. Sie hatten einfach zuallererst die Chance, zur richtigen Zeit bei einer Wahl vom Whler die Mglichkeitzu bekommen, etwas zu verndern. Und zwar in dem Sinne, wofr sie stehen: DasZurckbringen der Direkten Demokratie, des Willens des Whlers in die reprsentativenStrukturen in einen Stadtsenat, Gemeinderat oder Landtag. Wir streben in sterreichden Nationalrat an.Rodrigo Jorquera: Ich sehe das hnlich. Es war so eine kritische Masse. In Berlin

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    lagen viele Sachen im Argen. Und dann waren eben zur richtigen Zeit, am richtigenOrt die richtigen Leute, die richtige Sachen getan haben. Und dann ist das Ventilaufgegangen, wo sowieso schon gute Energie fr die Piraten da war. Und das istaufgegangen und fliet einfach. Dann ist Saarland, dann Tirol gekommen. Aber, effektivist es so, dass diese potentielle Dynamik aufgegangen ist.

    neuwal: Heit das, dass in Tirol auch zur richtigen Zeit die richtigen Personen amrichtigen Ort waren?

    Christian Marin: Ich sage, man war zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Zu denPersonen kann ich wenig sagen, weil ich sie persnlich nur sehr am Rande kenne.

    Aber, nachdem es sich hier um die Piratenpartei Tirol handelt, will ich denen auchgar nicht vorschreiben, was sie tun und lassen sollen. Das ist wirklich deren interne

    Angelegenheit.

    Rodrigo Jorquera: Ich glaube, es gibt sehr viele Basispiraten, die extrem viel guteArbeit geleistet haben. Ich bin auch sehr dankbar, dass sie es gemacht haben, weil eswre nichts schlechteres gewesen, wenn die Dynamik, die aus Deutschland kommt,pltzlich abrupt abgebrochen htte. Ich kenne den Herrn, der in den Gemeinderatgewhlt worden ist, seit zwei Jahren persnlich. Gewisse Aussagen von ihm habenmich verwundert. Ich glaube, es ist eine Einzelmeinung. Organisationen und Strukturensollen uns nicht trennen, solang die piratischen Werte hochgehalten werden.

    neuwal: Ich habe gelesen, dass die Piratenpartei Tirol kein Bestandteil der Piratenparteiin sterreich ist.

    Christian Marin: Naja, weil sie beschlossen haben, eine eigene Partei zu grnden.Und damit ist das nach Gesetzeslage so. FP und BZ sind auch zwei Parteien.

    neuwal: Es gibt in sterreich viele neue demokratische Bewegungen, eine davon istbeispielsweise die Online Partei sterreich (OP). Teilt ihr mit ihnen gleiche Werte undZiele?

    Rodrigo Jorquera: Ich wei nicht. Die OP hat das gleiche Toolset wie wir. WelcheWerte sie haben, wei ich nicht. Den Diskurs und den Verdauungsprozess, der beiuns da ist, sehe ich nicht. Der mittlere Prozess, diese Firewall, die Opportunismus und

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    Populismus vor Todesstrafe...

    Es gibt Beisreflexe. Es gibt Kinderschnder und dann kastrieren wir alleKinderschnder. Diese nicht durchdachten und nicht reflektierten Geschichten, davonmssen wir uns als Gesellschaft schtzen. Und da sehe ich unsere Struktur, auch wenn

    sie extrem anstrengend ist, extrem positiv. Weil sonst wren wir meiner Meinung nachin Teufels Kche. Bis dato habe ich nichts negatives gesehen oder gehrt. Wir kennenuns persnlich, haben uns getroffen.Christian Marin: Von ihrer Zielsetzung her trennt uns nichts. Von der Methodik werdenwir das eine oder andere noch hinterfragen mssen. Sie sind nicht die einzigen und esgibt noch eine Reihe anderer Bewegungen, die genau das selbe Ziel verfolgen. Nmlichdie Meinung des Brgers wieder direkter, schneller in die existierenden politischenEntscheidungsstrukturen zurck zu bringen. Insofern schwimmen wir auf einer Welle.

    Wie sie es machen und wie wir es machen wird sich vermutlich etwas unterscheiden.

    neuwal: Zum Thema Netzpolitik. Wie macht ihr dabei auf euch aufmerksam und wie stehtihr zu Themen wie ACTA oder AK-Vorrat?

    Christian Marin: Die Piratenparteien hat die beiden ACTA-Demos und dieGegen-VDS-Demos aktiv untersttzt. Wir spielen uns dabei nicht besondersin den Vordergrund. Wir sagen aber auch deutlich, dass wir gegen die

    Vorratsdatenspeicherung und gegen von multinationalen Konzernen gemachtenAbkommen sind. Dafr gehen wir auch auf die Strae.

    Eines unserer zentralen Themen ist ja die Reform des Urheberrechts. Die gesetzlichenRahmenbedinungen sind in den vergangenen Jahren immer restriktiver geworden. Wirmchten eine Reform dahingehend, dass die Schutzfristen reduziert werden, Zugngeerleichtert werden. Wir sehen das hnlich wie zur Zeit des Buchdrucks: Das wichtigsteZiel ist, die Information frei flieen zu lassen. Jede Barriere, die hier eingezogen wird,schadet der Gesamtheit und dem Gemeinwohl.

    neuwal: Abseits der Netzpolitik und andere Themen bei der Piratenpartei fehlen. WelcheThemen habt ihr und habt ihr sonstOder seht ihr euch rein als Spartenpartei?

    Rodrigo Jorquera: Meine Biographie zwingt mich dazu, dass ich soziale Themen

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    ansprechen will. Das werden wir in einer Form machen, in dem wir zustzlichzum Thema Liquid Democracy, das wir selber intern verwenden, auch externenBrgerinitiativen zur Verfgung stellen. Dort knnen lokale Themen erarbeitet werden.In Saarland haben 40 % der Whler wegen sozialen Themen die Piratenpartei gewhlt.

    Aus den Bundeslndern hren wir, dass viele Brger zu den Stammtischen wegen

    lokaler Themen gehen, Umweltzonen in Graz, Wasserpolitik der Mur, Wohnbau in Tirol.Da kann und will ich als Wiener nicht viel sagen und etwas reinreden, da gibt es Leute,die viel lnger aktiv dabei sind.Ich sehe es so, dass zustzlich zu unseren Taskforces, diese externen Experten,die etwas in ihrem Lebensraum verndern wollen, dass wir die auch zu Wortkommen lassen. Und dass wir ihnen auch in der Piratenpartei Raum geben und unsdahingehend verbreitern. Alle Leute, die aktiv sind, sind potentielle Piraten. Auch wennsie sich nicht Piraten nennen.

    neuwal: Wie seht ihr die politische Landschaft generell in den nchsten 5-10 Jahren.Wohin wird sich das ganze verndern und wie wird das eurer Meinung aussehen?

    Christian Marin: Ich denke, die Entwicklung, wie wir sie momentan beobachten,ist nicht aufzuhalten. Man braucht nicht den arabischen Frhling heranziehen. Einevielleicht hnliche Tendenz ist durchaus auch in Europa zu beobachten. Man nimmtEntscheidungen, die von oben kommen nicht mehr kommentarlos hin. Man lehntsich dagegen auf. Es werden Diskussionen gefhrt und gefordert. Das wird in dieseRichtung weitergehen.

    Wie schnell dieser Prozess vor sich geht und wohin er schlussendlich fhrt, ob es zueiner Erweiterung der reprsentativen Demokratie in den Bereich Direkte Demokratiegeht und wie schnell das funktionieren kann, das wird man sehen. Ich bin sehrhoffnungsfroh, dass dieser jetzt angestoene Prozess vielleicht schneller gehen wird,als so mancher aus den Analog-Parteien lieb ist.

    Rodrigo Jorquera: Wenn man Politik macht, ist es meiner Meinung nach, die

    Grundfrage ist zu stellen, ob man den Menschen als faul und als schlecht siehst,oder ob der Mensch intrinsische Motivation entwickeln kann, der gut ist, der positivin seinen gesellschaftlichen Bereich einwirken kann. Wenn ich nicht glauben wrde,dass der Mensch in Wirklichkeit ein Guter ist und, dass nur die Rahmenbedinungen diederzeitige Situation bringt, dann wre ich nicht Pirat.

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    neuwal: Wo seht ihr die groen Chancen im Vergleich zu den neuen aufkommendendemokratischen Bewegungen wie sterreich spricht, der viel-gesagten Stronach-Partei, etc.

    Christian Marin: Das sind alles Top-Down-Hierarchien.

    Rodrigo Jorquera: Und das sind alles konservative Spin-Offs. Das sind allesSchwarze. Ich hab gesagt Bist du Schwarzer und er hat mich so angeschaut.Stronach, da kannst gleich in den Supermarkt gehen und eine Partei kaufen. Ichgebe 20 Millionen her und kaufe mir dafr eine Partei. Die ganzen zuknftigenLeistungstrger, die sich dann einkaufen lassen, das kann man nicht ernst nehmen.Wenn man es ernst nimmt, dann hat man echt ein Problem.

    Christian Marin:Arbeit ohne Geld ist nicht mglich. Aber mit Geld basisdemokratische

    Arbeit zu kaufen ist auch nicht mglich.

    Rodrigo Jorquera: Mit den Menschen von sterreich spricht habe ich gesprochen.Die sind sehr gescheid und ich habe Respekt vor ihnen. Aber ich glaube, dass es sehr,sehr konservative Werte sind.Der Obmann von den Mutbrgern kommt manchmal zu uns - tiefschwarz eigentlich -ist aber so frustriert, weil selbst auf die Werte, die in ihrem Parteiprogramm entstehen,nicht im geringsten eingegangen wird.

    Wir haben gestern eine Politikstudentin bei uns gehabt. Sie hat uns auch gesagt,dass sie bei den Sozialisten ist: Ich habe ja die Hoffnung, das irgendwann doch dasParteiprogramm umgesetzt wird. OK, gut, du hast die Hoffnung, aber wie und wannkannst Du... wenn du Rudas oder Cap anschaust. Das einzige was passieren und dieSP retten kann, ist, dass die so krftig bei der nchsten Wahl abgewatscht wird, damitsie endlich merken, dass NLP nicht mehr das ist. Vranitzky war schon ein bisserl einkonservativer Sozialist. Aber an (Anm.: Viktor) Klima und Rudas ist nur mehr NLP amLaufen, da kann man gleich die Anzge alleine auf die Sessel hngen. Das ist ja nichtmehr menschlich.

    Christian Marin: Konservativ als neutral gewerteter Begriff ist ja grundstzlich nichtsschlechtes. Bewahren heit aber nicht zwingen, dass man mit aller Gewalt einbestehendes und offensichtlich nicht funktionierendes System aufrecht erhalten muss.Da kann sich auch etwas bewegen und damit bewahrt man auch vielleicht Dinge vielbesser.

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    Christian Marin: Ich wrde noch wahnsinnig gerne etwas loswerden. Was michschockiert hat, war der Vorsto im deutschen Bundestag, Maulkorberlass, wo diedemokratische gewhlten Reprsentanten der Deutschen sich selbst in ihrer Freiheit

    sich zu uern beschrnken wollten. Ich war schockiert. Weil das hat fr mich etwaswie die Selbstausschaltung des Parlaments und des Parlamentarismus.

    Rodrigo Jorquera: Man hat vorher sowieso den Clubzwang, aber da haben sie gesagtund notariell beglaubigt und unterschrieben...Christian Marin: Ich finde, da sollten bei uns allen die Alarmglocken schrillen, wennsich dieser Rest an kontrollierender Demokratie jetzt selbst nocheinmal so weitbeschrnkte, dass eine Einzelmeinung nicht mehr gehrt werden darf, nur weil sievielleicht abweichend ist. Das finde ich sehr gefhrlich und ich hoffe, dass diese Ideennicht in sterreich aufkommen. Und wenn, wrden wir uns massiv dagegen einsetzen.

    neuwal: Was motiviert dich jetzt fr die Piratenpartei aktiv zu sein und was musspassieren, damit du an Motivation gewinnst.

    Rodrigo Jorquera: Mich motiviert meine Mama an der Billa-Kasse, die fr einenHungerlohn den ganzen Tag dort sitzt und fr mich und meine Schwester alles an

    Luxus abgegeben hat, nur damit wir Bildung bekommen, mit der wir weiter kommen.Ich komme aus einer Arbeiterklasse-Familie und sehe in meiner Umgebung Leute,die struggeln auch wenn sie fleiig sind und sehr viel geben. Ich bin der Meinung,dass es nicht sein kann, wenn man im Schweie deines Angesichts arbeitest, dassdu nicht davon leben kannst oder dass du jeden Euro umdrehst, damit du dir etwaszu Essen kaufst. Oder, so wie es vielen Familien jetzt geht, die panische Angst vorder Stromrechnung haben. Whrend andere Menschen Diamantenhalsbnder haben.Und das kann nicht sein. Das ist eine Verarschung. Das ist Perversion. Und diesePerversion werde ich bekmpfen bis zum Letzen.

    neuwal: Was muss passieren, damit euch die Motivation davon geht?

    Rodrigo Jorquera: Kann nicht passieren.Christian Marin: Da kann ziemlich wenig passieren. Mich motivieren meine Kinder.

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    Denn ich mchte mir, solange ich noch lebe, in die Augen schauen knnen und sagen,dass ich einen kleinen Beitrag geleistet habe, damit meine Kinder in einer besserenWelt leben. Unsere Aufgabe ist es heute nicht mehr, dass alle zu Essen oder eineGesundheitsversorgung haben und, dass alle in ein soziales Netz eingebunden sind,sondern, unsere Aufgabe heute ist es, fr die Erhaltung der persnlichen Freiheiten

    einzustehen und diese zu gewhrleisten.

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