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Schwarzer einmal bezeichnete, passt dies kaum, obschon das braune Engagement der beiden Brüder keine Ausnahme darstellt. Neuere Studien belegen, dass mehr als die Hälfte der erwachsenen männlichen Mit- glieder der deutschen Adelsfamilien sich Hitlers Partei zugesellten. Dabei ist es Ma- rion Gräfin Dönhoff, manchem der Ver- schwörer freundschaftlich verbunden, die nach Kriegsende den ersten Beitrag über den Widerstand schreibt und den ignoran- ten (und weitaus größeren) Teil der Deut- schen davon überzeugen will, dass es die besten ihrer Landsleute waren, die dem braunen Spuk ein Ende zu machen suchten. So unermüdlich und wirksam trat sie in der Zeit immer wieder für die Kreisauer und die Attentäter des 20. Juli ein, dass viele dies als Versuch einer Ehrenrettung des ganzen preußischen Adels missverstanden und sie schließlich selbst als Widerstandskämpfe- rin sahen – was sie gewiss nicht war, auch wenn sie dieser Illusion mit dieser oder je- ner Äußerung Vorschub geleistet haben mag. Harpprecht geht mit der »widerstän- digen« Gräfin sicher zu gnädig um. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass die- se Biografie der Grande Dame des deut- schen Journalismus glänzend erzählt ist und sie, weil er seine Heldin immer wieder in den zeitgeschichtlichen Kontext stellt, viel zum Verständnis der Entwicklung der Bundesrepublik beitragen kann. Klaus Harpprecht: Die Gräfin. Marion Dönhoff. Eine Biographie. Rowohlt, Reinbek 2008, 416 S., € 24,90. KULTUR UND KRITIK 70 NG|FH 11|2008 Die britischen Journalisten David Ed- monds und John Eidinow sind Meister ihres Genres. Das Genre ist die mit tro- ckenem britischen Humor zugespitzte philosophisch-historische Anekdote. Ihr Rezept: Man nehme zwei berühmte Phi- losophen, vom Temperament her unver- träglich, philosophisch inkompatibel, und führe unverzüglich eine Konfrontation herbei. An dramatischer Pointierung darf es dabei nicht fehlen. Ebenso wenig an ei- nem historisch belegten Requisit, das die Eskalation gestattet. Dann muss es zu ei- nem Showdown kommen, wenn auch die fundamentale Prätention der Philosophie auf der Strecke bleibt: die vernünftige Aus- einandersetzung vernünftiger Subjekte mit vernünftigen Mitteln um die Wahr- heit. In ihrer Reinszenierung der Begeg- nung von Ludwig Wittgenstein und Karl Raimund Popper im Moral Science Club des King’s College in Cambridge am 25. Oktober 1946 ist Edmonds und Eidinow die philosophisch-historische Anekdote glänzend geglückt. Jetzt sind mit Jean- Jaques Rousseau und David Hume wieder zwei Große der Philosophie die Kontra- henten einer fast anderthalb Jahre, von Herbst 1765 bis Frühjahr 1767 dauernden Affäre. Die Rolle des Requisits übernimmt Rousseaus Hund mit dem sprechenden Namen »Sultan«. Es geht um die Restbe- Ludger Lütkehaus Das Ende aller Vernunft? Wie Rousseau und Hume die Fassung und den Humor verloren Ludger Lütkehaus (*1943) ist Hochschullehrer für Neuere Germanistik an der Universität Freiburg i.Br.

NGFH Nov 08 Arvhiv - Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte · 2018. 3. 1. · Das freilich ist eine allzu preiswerte Konklusion aus unterschiedlichen Prä-missen. Dass Philosophen gelegentlich

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  • Schwarzer einmal bezeichnete, passt dieskaum,obschon das braune Engagement derbeiden Brüder keine Ausnahme darstellt.Neuere Studien belegen, dass mehr als dieHälfte der erwachsenen männlichen Mit-glieder der deutschen Adelsfamilien sichHitlers Partei zugesellten. Dabei ist es Ma-rion Gräfin Dönhoff, manchem der Ver-schwörer freundschaftlich verbunden, dienach Kriegsende den ersten Beitrag überden Widerstand schreibt und den ignoran-ten (und weitaus größeren) Teil der Deut-schen davon überzeugen will, dass es diebesten ihrer Landsleute waren, die dembraunen Spuk ein Ende zu machen suchten.So unermüdlich und wirksam trat sie in derZeit immer wieder für die Kreisauer unddie Attentäter des 20. Juli ein, dass viele dies

    als Versuch einer Ehrenrettung des ganzenpreußischen Adels missverstanden und sieschließlich selbst als Widerstandskämpfe-rin sahen – was sie gewiss nicht war, auchwenn sie dieser Illusion mit dieser oder je-ner Äußerung Vorschub geleistet habenmag. Harpprecht geht mit der »widerstän-digen« Gräfin sicher zu gnädig um. Aberdas ändert nichts an der Tatsache, dass die-se Biografie der Grande Dame des deut-schen Journalismus glänzend erzählt istund sie, weil er seine Heldin immer wiederin den zeitgeschichtlichen Kontext stellt,viel zum Verständnis der Entwicklung derBundesrepublik beitragen kann.

    Klaus Harpprecht: Die Gräfin. MarionDönhoff. Eine Biographie. Rowohlt, Reinbek2008, 416 S., € 24,90.

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    Die britischen Journalisten David Ed-monds und John Eidinow sind Meisterihres Genres. Das Genre ist die mit tro-ckenem britischen Humor zugespitztephilosophisch-historische Anekdote. IhrRezept: Man nehme zwei berühmte Phi-losophen, vom Temperament her unver-träglich, philosophisch inkompatibel, undführe unverzüglich eine Konfrontationherbei. An dramatischer Pointierung darfes dabei nicht fehlen. Ebenso wenig an ei-nem historisch belegten Requisit, das die

    Eskalation gestattet. Dann muss es zu ei-nem Showdown kommen, wenn auch diefundamentale Prätention der Philosophieauf der Strecke bleibt: die vernünftige Aus-einandersetzung vernünftiger Subjektemit vernünftigen Mitteln um die Wahr-heit.

    In ihrer Reinszenierung der Begeg-nung von Ludwig Wittgenstein und KarlRaimund Popper im Moral Science Clubdes King’s College in Cambridge am 25.Oktober 1946 ist Edmonds und Eidinowdie philosophisch-historische Anekdoteglänzend geglückt. Jetzt sind mit Jean-Jaques Rousseau und David Hume wiederzwei Große der Philosophie die Kontra-henten einer fast anderthalb Jahre, vonHerbst 1765 bis Frühjahr 1767 dauerndenAffäre. Die Rolle des Requisits übernimmtRousseaus Hund mit dem sprechendenNamen »Sultan«. Es geht um die Restbe-

    Ludger Lütkehaus

    Das Ende aller Vernunft?Wie Rousseau und Hume die Fassung und den Humor verloren

    Ludger Lütkehaus

    (*1943) ist Hochschullehrer fürNeuere Germanistik an

    der Universität Freiburg i.Br.

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  • stände von Herrschaft im Zeitalter derRevolution und der Egalité.

    Dabei hatte eigentlich alles so gut be-gonnen: mit einer generösen, von der ge-meinsamen Freundin Comtesse de Bouff-lers inspirierten Hilfsaktion des für seineGutmütigkeit berühmten Schotten Hume(»Le bon David«) für seinen verfolgtenKollegen. Rousseau war in Frankreichwegen seiner revolutionären politischenIdeen mit einem parlamentarischen Ver-haftungsbefehl belegt worden. Dann hat-ten seine Schweizer Landsleute ihm auf-grund seiner Religions- und Kirchenkritikan Leib und Leben gewollt. Ein Exil imkonstitutionell gemäßigten, in Glaubens-fragen toleranteren Britannien schien un-ter diesen Umständen eine gute Lösung.

    Hume arrangierte und begleitete Rous-seaus Asyl in hilfreicher Weise. Doch derschwierige Gast fühlte sich erst in London,dann in der britischen Provinz, wenigerdenn je zu Hause. Sein hitzköpfiges Tem-perament war ganz anders als britischeIronie und Distanz es wünschenswert er-scheinen ließen. Fatalerweise lebte er ganzaus dem Gefühl, dem er als Organon derunverstellten Natur den Vorzug vor der kal-ten berechnenden Vernunft gab. Von demskeptizistischen Empirismus und religiö-sen Kritizismus Humes wollte er schon garnichts wissen. Hume wiederum und et-liche seiner Zeitgenossen fanden den ganzaus den Tiefen seines Gemüts lebendenNaturapostel bestenfalls kurios: Gegen-stand ihres stets wachen Spottes.

    Noch in Paris hatte Horace Walpole,derBegründer des Schauerromans, in Gegen-wart Humes, der einem veritablen Scherznicht widerstehen konnte, einen fingiertenBrief König Friedrich II. von Preußen aus-geheckt, in dem dieser anbot,Rousseaus be-kanntes Bedürfnis, verfolgt zu werden, zubefriedigen. Rousseau fühlte sich von demalsbald publizierten Brief, der in Paris undLondon zum Stadtgespräch avancierte, lä-cherlich gemacht und verdächtigte Humeder geistigen Mittäterschaft – nicht ohne

    Grund: Man war es gewohnt, einen Freundfür eine Pointe zu opfern.

    Rousseau tat daraufhin das Falscheste,was er tun konnte, indem er alles bitterernst nahm: im Mutterland des Witzes eineTodsünde wider den Geist philosophischguter Gesellschaft. Er verdächtigte seinenhilfsbereiten Gönner einer auf seine Ver-nichtung zielenden Konspiration. Überdieswollte er, stets auf seine Unabhängigkeit be-dacht, sich die Freiheit von der Pflicht derDankbarkeit erhalten: das reichte von derAblehnung einer Gratis-Postkutschenfahrtbis zur Ablehnung einer von Hume lancier-ten königlichen Pension. Hume fühlte sichdesavouiert, und Rousseau, der schon wäh-rend der Kanal-Überfahrt Hume im Traumhatte murmeln hören (auf Französisch!), erhabe Rousseau nun in der Hand, bekräftig-te seine Verschwörungstheorie, die sich auseinem jederzeit aktivierbaren psychotisch-neurotischen Verfolgungswahn nährte.

    Der emotionale Höhepunkt war er-reicht, als er sich Hume unter Tränen anden Hals warf, ihn einem Vertrauenstestunterwerfend – das war seine Art von Dia-lektik der Aufklärung –, und Hume, an ei-nen weinenden Philosophen auf seinemSchoß nicht gewöhnt, verlor seine Fas-sung. Eine ungute Mélange von Vorwürfenund Gegenvorwürfen, vermeintlichen undwirklichen Intrigen, Exzessen der Para-noia und wütender Enttäuschung be-stimmten das unerquickliche Bild.

    Edmonds und Eidinow malen es mitHingabe aus. Wie üblich genau recherchie-rend und begabt mit Sinn für das signifi-kante Detail, sehen sie »die Moral diesertraurigen Geschichte« darin, »dass jemand,der bei Verstand ist, einen Verrückten nichtheilen kann, ein Verrückter aber jemanden,der bei Verstand ist, verrückt machenkann«. Adornos sarkastische Vermutung,die Philosophie ziehe die Geisteskrankenunwiderstehlich an, scheint sich hier zu be-wahrheiten. Edmonds und Eidinow sehensogar das »Ende aller Vernunft« gekom-men, und zwar auf beiden Seiten.

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  • Das freilich ist eine allzu preiswerteKonklusion aus unterschiedlichen Prä-missen. Dass Philosophen gelegentlichden Verstand verlieren, ist ihr Menschen-recht, unter bestimmten Umständen –nach Lessings Wort – sogar Menschen-pflicht. In Wahrheit gab es einen ganz an-deren Verlierer: den sense of humour, demRousseau seit je fernstand und der auchdem Ironiker Hume abhanden kam.

    Bleibt die Frage, was all das mit Rous-seaus Hund, seiner tierischen Exzellenz»Sultan«, zu tun hat. Zwar mokiert Humesich hier und da einmal über RousseausHundeliebe und Sultans Alleinherrschaft,seine volonté spéciale, aber sonst ist von

    dem guten Tier nur am Rande die Rede. Esstellt eher eine allegorische Anspielung aufRousseaus anderen sultanesk herrschen-den »Gefährten« dar: seine Paranoia. Hieraber stimmt weder die Allegorie noch dieAnalogie. »Sultan« hat seinen philosophi-schen Maitre erfreut und geschützt, wasman von seiner Paranoia kaum sagenkann. Rousseaus Hund ist in sofern an denHaaren herbeigezogen.

    David Edmonds/John Eidinow: Rous-seaus Hund. Zwei Philosophen, ein Streitund das Ende aller Vernunft (Aus dem Englischen von Sonja Finck). DeutscheVerlagsanstalt, München 2008, 368 S.,€ 21,95.

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    »Ich suche nach einem besonderen Platz inder Wohnung, nach einem Geheimfach,denn ich gehe mit einem kleinen Bündel inden Händen auf und ab. Es müßte ein Fachim Sekretär geben, das nachher nie mehraufspringt, sich von niemand öffnen läßt« –

    Susanna Brogi

    »Herzzeit«Der Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan

    Unter dem Titel »Herzzeit« ist in diesem Herbst der Briefwechsel zwischen Inge-borg Bachmann und Paul Celan erschienen. Die Wahl des Titels gibt werbewirk-sam eine Lesart vor, die auf das Liebesverhältnis der beiden Dichter anspielt.Dieser Briefwechsel ist jedoch weit mehr als die Dokumentation einer tragischverlaufenden Liebe, lenkt er doch zugleich den Blick auf gesellschaftliche Konstel-lationen, die Ausgrenzungen, bis hin zu antisemitischen Kampagnen in der Bun-desrepublik begünstigten.

    Susanna Brogi

    (*1971) ist Literaturwissenschaftlerin.U.a. Mitarbeit im DFG-Projekt

    »Kommentierung von Paul CelansGedichtband Sprachgitter«

    [email protected]

    heißt es am Ende von Ingeborg BachmannsRoman Malina. Für die nun publiziertenBriefe hat sich kein Geheimfach gefunden,die »Spagatschleife« (Malina) ist geöffnetworden,und wir nehmen, trotz einer gewis-sen Befangenheit, Einblick in dieses edito-risch sorgfältig auseinander dividierteBündel. Was uns in den Briefen und Kom-mentaren vor Augen tritt, ist zunächst dasindividuelle Schicksal zweier Menschen,die sich 1948 in Wien begegnen, derenWege sich mit Celans Abreise nach Paristrennen, die sich – gefördert durch denbundesdeutschen Literaturbetrieb – erneutbegegnen und trotz größter Anziehung kei-

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