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NH 82 - nuernberg.de · Auch der berühmteste Käse Italiens, aus der Stadt Parma, fehlt nicht: Groß wie Wagenräder stapeln sich die Parmesan-Laibe. ... Kichererbsenmus in der Dose

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Frühe Prägungen, sagt man, seien entscheidend. Vater, Mutter, Landschaft.In Franken – Saure Zipfel, Baggers, Schweinebraten. In den 70er Jahren ka-men Pasta und Pizza dazu. Dreißig Jahre später finden sich die kulinarischenImpressionen der Po-Ebene und der Abruzzen in jedem Haushalt imKochbuchregal, die Pizza liefert ein Bote aus Indien und die derzeit so tren-digen Sushis werden in den Nürnberger Japan-Lokalen von Köchen ausKambodscha gerollt.

Fast schon einen neuen Trend macht Uwe Werner, Geschäftsführer desNürnberger Einzelhandelsverbands aus. Nürnberger Bürger, die aus ande-ren Ländern und Kulturkreisen in die Noris zogen, besetzen mit ihrenLebensmittelgeschäften die Lücke, die durch den Verlust der einstigenTante-Emma-Läden entstanden ist. „Die Läden bereichern unser Angebot“,freut sich Uwe Werner – eine Konkurrenz zum traditionellen Einzelhandelsieht er nicht. Im Gegenteil: Ihn freut es, wenn berufene Hobbyköche inSupermärkten mit internationalem Angebot einkaufen – und die Kund-schaft auch neue Erfahrungen sammelt. Stellvertretend für viele dieser klei-nen Läden und Supermärkte stellen wir hier einige vor.

Auch der Großhandel setzt auf Multi-Kulti. Der Großverbraucher-Service-Markt (GVS) in der Lehrberger Straße hat sich auf italienische und asiati-sche Lebensmittel spezialisiert. Ein Kunde aus Vietnam stapelt geradePizzakartonagen in seinen Einkaufswagen. „Die Asiaten – egal ob ausThailand, China oder Vietnam – sind für alles offen, an ihren Imbiss-Ständen gibt es Schnitzel, Pizza und Chop Suey“, weiß Verkäuferin RenateStirner. Sie arbeitet seit dreieinhalb Jahren im GVS-Markt. Es sind vor allemRestaurant-Besitzer und Imbissbuden-Betreiber, die hier einkaufen. In letz-ter Zeit kommen immer mehr Deutsche in den Großmarkt. Die Auswahl istgroß, die Preise sind günstig – der Markt gilt als Geheimtipp.

Eine Radiostimme posaunt die Angebote in die Gänge – und wechselt im-mer wieder die Sprache – zuletzt dröhnt es holländisch aus den Boxen. DieWelt zu Gast im Supermarkt – hier herrscht schon fast WM-Stimmung.

Text Ulrike LöwFotos Michael Matejka

Lebensmittelmärkte mitinternationalem Angebot

So schmeckt die weite Welt

Wer sich mit derkyrillischen Schriftauskennt, kann imMix-Markt russischeSoljanka (im Vorder-grund) als Fertig-gericht erstehen.

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AppetitanregendeAuslagen (linke Seite):würziger Käse undSchinken aus Italien(oben),süßes Obst ausder Türkei (Mitte links)und frisches Thai-Gemüseaus Asien (Mitte rechts),eingelegte Oliven undLammfleisch aus derhauseigenen Metzgerei(unten).

Urlaubs- wie Heimat-gefühle weckt derWerbeslogan desSupermarkts Can amPferdemarkt (rechts).

Chinesische Schriftzeichen preisen Tintenfisch an, auf Italienisch undDeutsch werden Trockenfisch, Thunfisch-Steaks, Schweinsfüße und Lotus-Wurzeln beworben. Verkäuferin Stirner kredenzt den Kunden kleineSchälchen mit Putenfleisch in Kokosmilch – kostenlos – und freut sich überihren Arbeitsplatz. „Ich esse gern, koche gern – und seit ich hier arbeite,gibt es ständig Tipps von den Kunden!“

Frische Nudeln und gefüllte Ravioli mit Walnuss, Räucherlachs oder Ricottasind ab 7,76 Euro pro Kilo zu haben, Meeresfrüchte warten im 1-Kilo-Eimerim Kühlregal und auf Holzborden liegt, schön anzuschauen, die Zutat, dieArm und Reich, Nord und Süd in Italien vereint: Käse. Grana, Gorgonzola,Pecorino und Taleggio. Auch der berühmteste Käse Italiens, aus der StadtParma, fehlt nicht: Groß wie Wagenräder stapeln sich die Parmesan-Laibe.

Und natürlich fehlt auch die andere, reife Leistung aus Parma nicht – diesaftigen Schweinebacken, die ihre Karriere als Parmaschinken angetretenhaben und in der Auslage von Metzger Markus Geißdörfer liegen. Er selbstist von Schweinsfüßen angetan. Denn Kollegin Stirner hat ein Rezept.Schweinsfüße, so beschrieb ihr ein chinesischer Koch, werden mit vielenGewürzen in selbst gemachter Gemüsebrühe gekocht – „einfach köstlich“,schwärmt Stirner.

„Wir sind schon fast ein Kulturtreff“

„Türkei ganz in Ihrer Nähe“ prangt auf dem Rücken der blauen Liefer-mäntel der Verkäufer im Supermarkt Can am Pferdemarkt und an denKassen ist es zu hören: Inspiriert vom letzten Türkeiurlaub grüßen deutscheKunden mit „Merhaba“ und bedanken sich mit „Mersi“ oder „Tesekkürederim“ – doch das Personal muss deutsch sprechen. Der Supermarkt Can,der 1992 von Abdulla Can gegründet wurde, ist längst international be-sucht. „Wir sind schon fast ein Kulturtreff“, meint Sohn Hakan lächelnd,

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der mit seinem Bruder Volkan die Geschäfte führt.„Frische, die man fühlen und schmecken kann“,schreibt die Familie Can auf ihre Prospekte, die in denBriefkästen rund um den Pferdemarkt landen und derAnblick bestätigt die Werbung. Appetitlich stapelnsich Mangold, Rettich, Staudensellerie, Fenchel,Spinat, Bohnen und Auberginen in den Regalen, stetszweisprachig angepriesen. In der Kühltheke findetsich Kaymak, der türkische Brotaufstrich aus Milch,und an der Theke des Imbiss-Standes am Eingangschlürfen Männer Tee und Kuttelsuppe. Die hausei-gene Bäckerei lockt – ebenso wie die Metzgerei.Lammfleisch ist hier der Verkaufsschlager und auchder Geschmack des Fladenbrots hat sich herumge-sprochen. Ein Kunde aus dem oberfränkischenCoburg lässt sich gleich fünf Fladen einpacken. ZumEinfrieren, betont er. Die weite Anreise muss sich loh-nen.

Zehn Meter Verkaufsregal für unterschiedliche SortenOlivenöl, tiefgekühltes, bereits fix und fertig gefülltesBörek, Kichererbsenmus in der Dose – die Lebens-mittelindustrie ist in ihrem Profitstreben kreativ. Auchdie türkische Hausfrau lässt sich gern entlasten. Undwie viel Industrie wirklich in der Lebensmittelbranchesteckt, macht der zweite Blick auf den „original ara-bischen“ Fetakäse deutlich: Die arabischen Schrift-zeichen sind Folklore – tatsächlich stammt der Käseaus Dänemark. Und die scharfe, trockene Rinder-wurst „Krajiska Ljuta“ ist schwedische Importware.Heimische Nahrungsmittel – Liebe zur Heimat, die

durch den Magen geht: Die Industrie befriedigt jedenregionalen Wunsch in unserer globalisierten Welt. Anjedem Ort, überall.

Der Mix-Markt – einer von dreien in Nürnberg – liegtin Nürnberg nahe am Fernsehturm, also in einemWohngebiet, wo an den Briefkästen viele Namen ausOsteuropa zu lesen sind. Auch die Kassiererinnen imMix-Markt in der Schweinauer Hauptstraße müssendie Kundschaft erst in der deutschen Sprache an-sprechen, dann dürfen sie russisch weiterreden. NurVerkäuferin Anja ist Polin. „Extra angestellt“, erklärtGeschäftsführer Magomed Mirgoew, viele Kundensind doch auf ihre Muttersprache angewiesen. Gold-ketten, russische Literatur und russische Sexfilmchen,vom Suppenpulver „Soljanka nach georgischer Art“bis zu kitschig-bunten, tiefgekühlten Torten – lautAufkleber von einer „Bäckerei Ukraine“ zu verant-worten – , ihre Ware importiert die Supermarkt-KetteMix-Markt aus Litauen, Polen, Rumänien und Kroa-tien.

„Wie in der UdSSR vor dreißig Jahren“

„Viele Kunden verlangen die Lebensmittel, mit denensie aufgewachsen sind“, erklärt Mirgoew und ist auchstolz darauf, dass an guten Tagen schon mal einein-halb Tonnen Schuppenkarpfen über die Theke wan-dern. „Unsere Fleischtheke sieht aus wie in der UdSSRvor dreißig Jahren“, sagt der Geschäftsführer undgrinst. „Unsere Kunden wollen große Fleischstückeim Ganzen, keine vorgeschnittenen Koteletts, keineSchnitzel.“ Das Emblem der Wodka-Flaschen bezeugtMirgoews Worte: In Kommunismus-Ästhetik mar-schieren Heerscharen tapferer Rote-Armee-Soldatenüber Wodka-Flaschen, die Weine aus Moldawien sindmit Bildern von fleißigen Weinbäuerinnen beklebt.Dazwischen reihen sich bunte Alkopops auf Wodka-Basis ein. Weil sie wohl für die Jugend im Viertel ge-dacht sind, fehlt hier vom Retro-Look jede Spur. Dabeihat auch die Schnaps-Industrie Phantasie – Liebhaberbesonderer Stücke finden hier eine Glas-Kalaschni-kow, gefüllt mit Hochprozentigem. Damit sich gleichmehr Personen wegschießen können, sind zehnGläschen mit im – genau – Waffenkoffer.

Achtung:Diese gläserneKalaschnikow ist mithochprozentigemWodka geladen.

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Für den gastro-nomischen Bedarfgibt es die Zutateninternationaler Küchein Großpackungen.

Inzwischen, so hat Mirgoew beobachtet, lockt der Mix-Markt auch dieDeutschen verstärkt in den Supermarkt. Lust am Experimentieren?Mirgoew zuckt die Achseln. Es sind wohl die günstigen Preise, die anzie-hen. „Und viele der neuen, deutschen Kunden haben Verwandte in Polenoder Russland.“ Weil der Opa Russe ist, stopfen heute die Enkel Dosen mitkyrillischer Aufschrift in die Einkaufstüten, versuchen sich an Stör und be-streichen ihre Butterbrote mit Kaviarersatz.

Eine gewachsene Kochkultur lässt sich nicht so einfach kopieren – das istdie Botschaft von Dong Shiow Zhang, die im Familienbetrieb „Asia Kauf-Center“ berät. Wer sich selbst an asiatischer Küche versuchen will, findetim Geschäft der chinesischen Familie Zhang so gut wie alles, was er dazubenötigt. Thai-Frischgemüse, Meeresprodukte von Algen bis zu Seeigeln,getrocknete Garnelen bis hin zu speziellen Würzpasten. Eine Unterteilungdes Asiatischen, wie wir sie bei den diversen Asien-Restaurants kennen,vom „Chinesen“ bis zum „Inder“, findet dort nicht statt. Die Zhangs ha-ben sich „beste Beratung“ auf die Visitenkarte geschrieben und spüren denverschiedenen Regionalküchen Asiens nach, aber eben nicht nach Ländern,sondern nach Produktgruppen geordnet. So trägt der Hobbykoch aus demKauf-Center neben vielen kleinen Päckchen vor allem Tipps über das „wie“und „womit“ nach Hause. Verständigung ist auch in dem Geschäft imKirchenweg alles. Die Tochter der Familie Zhang, Dong Shiow, lässt sich vonihren Kunden „Jenny“ nennen – weil der englische Name leichter von denLippen kommt und schließlich sollen sich die Deutschen schon so vieleVokabeln merken: „Thai-scharf“ meint Chilischoten von solcher Schärfe,dass Mitteleuropäer eher von „höllisch“ sprechen würden, während „hot“nur einen kleinen Flächenbrand auf der Zunge beschreibt. Wer es erträg-lich scharf will, bestellt: Fruchtig! Also auch hier gilt wieder: Frühe Prägun-gen sind alles. ■

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