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KORREKTUR ZU CHIUZ 4/2013, S. 257 | TREFFPUNKT FORSCHUNG Chem. Unserer Zeit, 2013, 47, 338 – 342 www.chiuz.de © 2013 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim 341 FÜNFFACH KOORDINIERTER KOHLENSTOFF Nichtklassisches Carbokation bewiesen Ein Streitfall in der Chemie wurde aufgeklärt: Es gibt nichtklassische Carbokationen mit einem fünffach koordinierten Kohlenstoffatom. Die Existenz dieser Carbonium-Ionen wurde seit Langem vermutet und zugleich heftig angezweifelt. Eine Röntgenstruktur-Analyse bestätigt nun ihr Vorkommen. zwei klassischen Enantiomeren wäre noch immer sehr schnell, ihre Akti- vierungsenergie folglich sehr niedrig. Den Durchbruch brachten schwach basische Bromoaluminat-An- ionen, die das Carbokation im festen Zustand stabilisieren. Das Salz [(C 7 H 11 )] + [Al 2 Br 7 ] · CH 2 Br 2 kristalli- sierte innerhalb einiger Tage bei 245 K aus Dibrommethan als leicht bräunliche, fast farblose Nadeln aus. Röntgenstruktur-Aufnahmen zeig- ten oberhalb von 86 K gut geordnete Anionen, aber völlig ungeordnete Kationen. Die Struktur der Carboka- tionen ist nahezu kugelförmig, sie können daher leicht rotieren. Bei ei- ner Kühlung unter 86 K kommt es zu einem Phasenübergang, der nach mehrfacher Temperatur-Oszillation auf etwa 40 K komplett abgeschlos- sen ist. Mit dem Abkühlen wird dem Kristall Energie entzogen, was zum einen der freien Rotation des Carbo- kations Einhalt gebietet und zum an- deren den intramolekularen Umlage- rungen. Die Atomabstände in der Zwei- elektronen-Dreizentren-Bindung sind deutlich größer als in einer normalen C–C-Einfachbindung. Das fünffach ko- ordinierte Carbokation kann man durchaus als intramolekularen Alken- Komplex eines primären Carbenium- Ions ansehen. Die Röntgenstrukturanalyse ge- lang bei früheren Messungen nicht, weil die Zeitskalen nicht passten. Wird nach der Eyring-Theorie aus der berechneten freien Aktivierungsent- halpie die Geschwindigkeit der [6,1,2]-Umlagerung berechnet, ergibt sich eine Halbwertszeit des nichklas- sischen Carbokations von 19 Millise- kunden bei 115 K und 93 Sekunden bei 85 K. Die Röntgenstrukturanalyse konnte also erst bei der niedrigeren Temperatur erfolgreich sein und das nichtklassische Carbokation als Inter- mediat experimentell bestätigen. [1] F. Scholz, D. Himmel, F. W. Heinemann, P. v. R. Schleyer, K. Meyer, I. Krossing, Science 2013, 341, 62–64. Sylvia Feil, Burgdorf Chemiker der Universitäten Erlangen- Nürnberg und Freiburg bewiesen die nichtklassische Struktur des 2-Nor- bornyl-Kations mit ihren Messungen [1]. Für dieses schlug Saul Winstein 1949 eine Strukturformel mit einem fünffach koordinierten Kohlenstoff- atom vor, welche die Reaktivität des Norbornyl-Kations erklärte. Bei die- sem Carbonium-Ion ist die positive Ladung über mehrere C-Atome als Zweielektronen-Dreizentren-Bindung verteilt. Der Nobelpreisträger Herbert Charles Brown sträubte sich gegen eine delokalisierte kovalente Bin- dung. Sein Vorschlag war eine schnel- le Umlagerung zweier klassischer Carbokationen, womit er eine jahr- zehntelange Debatte eröffnete. Er for- derte den nun erbrachten experi- mentellen Beweis für die vorgeschla- gene Symmetrie des nichtklassischen Norbornyl-Kations. Das Kation, formal aus dem über- brückten bicyclischen Ringsystems des Norbornans (Bicyclo[2.2.1]hep- tan) abgeleitet, bildet sich intermedi- är zum Beispiel bei Reaktionen aus Norbornylhalogeniden. Dabei kommt es zu [3,2]- und [6,1,2]-Hydrid-Ver- schiebungen, die zur Klasse der Wag- ner-Meerwein-Umlagerungen zählen. Da diese Reaktionen sehr leicht ab- laufen, zeigt das 1 H-NMR-Spektrum des Kations bei Raumtemperatur nur ein einziges Signal. Die [3,2]-Wasser- stoff-Umlagerung wird bei 173 K so langsam, dass sich dieses Signal in mehrere aufspaltet. Als Ursache für eine weitere Signalaufspaltung bei 115 K wurden zwei Alternativen dis- kutiert: Entweder wäre das 2-Norbor- nyl-Kation nichtklassisch und spiegel- symmetrisch oder aber die Wagner- Meerwein-Umlagerung zwischen Abb. 1 Das 2-Norbornyl-Kation ist nach den aktuellen Forschungsergeb- nissen ein nichtklassisches Carbokation mit fünffach koordiniertem C-Atom und delokalisierter Ladung. Die nun wider- legte klassische Betrachtungsweise geht von einem dreibindigem C-Atom und mit sich schnell equilibrierenden Carbokationen aus. Abb. 2 Ein Modell des 2-Norbornyl- kations, Grafik: Ingo Krossing. In Abbildung 15 muss es im Kopf der rechten Spalte µg statt mg heißen. Wir danken unseren aufmerksamen Lesern für diesen Hinweis.

Nichtklassisches Carbokation bewiesen

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KORREKTUR ZU CHIUZ 4/2013,S. 257 |

T R E F F P U N K T FO R SC H U N G

Chem. Unserer Zeit, 2013, 47, 338 – 342 www.chiuz.de © 2013 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim 341

F Ü N F FAC H KO O R D I N I E R T E R KO H L E N S TO F F

Nichtklassisches Carbokation bewiesenEin Streitfall in der Chemie wurde aufgeklärt: Es gibt nichtklassischeCarbokationen mit einem fünffach koordinierten Kohlenstoffatom. Die Existenz dieser Carbonium-Ionen wurde seit Langem vermutet undzugleich heftig angezweifelt. Eine Röntgenstruktur-Analyse bestätigtnun ihr Vorkommen.

zwei klassischen Enantiomeren wärenoch immer sehr schnell, ihre Akti-vierungsenergie folglich sehr niedrig.

Den Durchbruch brachtenschwach basische Bromoaluminat-An-ionen, die das Carbokation im festenZustand stabilisieren. Das Salz[(C7H11)]+[Al2Br7]– · CH2Br2 kristalli-sierte innerhalb einiger Tage bei245 K aus Dibrommethan als leichtbräunliche, fast farblose Nadeln aus.

Röntgenstruktur-Aufnahmen zeig-ten oberhalb von 86 K gut geordneteAnionen, aber völlig ungeordneteKationen. Die Struktur der Carboka-tionen ist nahezu kugelförmig, siekönnen daher leicht rotieren. Bei ei-ner Kühlung unter 86 K kommt es zueinem Phasenübergang, der nachmehrfacher Temperatur-Oszillationauf etwa 40 K komplett abgeschlos-sen ist. Mit dem Abkühlen wird demKristall Energie entzogen, was zumeinen der freien Rotation des Carbo-

kations Einhalt gebietet und zum an-deren den intramolekularen Umlage-rungen.

Die Atomabstände in der Zwei-elektronen-Dreizentren-Bindung sinddeutlich größer als in einer normalenC–C-Einfachbindung. Das fünffach ko-ordinierte Carbokation kann mandurchaus als intramolekularen Alken-Komplex eines primären Carbenium-Ions ansehen.

Die Röntgenstrukturanalyse ge-lang bei früheren Messungen nicht,weil die Zeitskalen nicht passten.Wird nach der Eyring-Theorie aus derberechneten freien Aktivierungsent-halpie die Geschwindigkeit der[6,1,2]-Umlagerung berechnet, ergibtsich eine Halbwertszeit des nichklas-sischen Carbokations von 19 Millise-kunden bei 115 K und 93 Sekundenbei 85 K. Die Röntgenstrukturanalysekonnte also erst bei der niedrigerenTemperatur erfolgreich sein und dasnichtklassische Carbokation als Inter-mediat experimentell bestätigen.

[1] F. Scholz, D. Himmel, F. W. Heinemann, P. v.R. Schleyer, K. Meyer, I. Krossing, Science2013, 341, 62–64.

Sylvia Feil, Burgdorf

Chemiker der Universitäten Erlangen-Nürnberg und Freiburg bewiesen dienichtklassische Struktur des 2-Nor-bornyl-Kations mit ihren Messungen[1]. Für dieses schlug Saul Winstein1949 eine Strukturformel mit einemfünffach koordinierten Kohlenstoff-atom vor, welche die Reaktivität desNorbornyl-Kations erklärte. Bei die-sem Carbonium-Ion ist die positiveLadung über mehrere C-Atome alsZweielektronen-Dreizentren-Bindungverteilt.

Der Nobelpreisträger HerbertCharles Brown sträubte sich gegeneine delokalisierte kovalente Bin-dung. Sein Vorschlag war eine schnel-le Umlagerung zweier klassischerCarbokationen, womit er eine jahr-zehntelange Debatte eröffnete. Er for-derte den nun erbrachten experi-mentellen Beweis für die vorgeschla-gene Symmetrie des nichtklassischenNorbornyl-Kations.

Das Kation, formal aus dem über-brückten bicyclischen Ringsystemsdes Norbornans (Bicyclo[2.2.1]hep-tan) abgeleitet, bildet sich intermedi-är zum Beispiel bei Reaktionen ausNorbornylhalogeniden. Dabei kommtes zu [3,2]- und [6,1,2]-Hydrid-Ver-schiebungen, die zur Klasse der Wag-ner-Meerwein-Umlagerungen zählen.Da diese Reaktionen sehr leicht ab-laufen, zeigt das 1H-NMR-Spektrumdes Kations bei Raumtemperatur nurein einziges Signal. Die [3,2]-Wasser-stoff-Umlagerung wird bei 173 K solangsam, dass sich dieses Signal inmehrere aufspaltet. Als Ursache füreine weitere Signalaufspaltung bei115 K wurden zwei Alternativen dis-kutiert: Entweder wäre das 2-Norbor-nyl-Kation nichtklassisch und spiegel-symmetrisch oder aber die Wagner-Meerwein-Umlagerung zwischen

Abb. 1 Das 2-Norbornyl-Kation istnach den aktuellen Forschungsergeb-nissen ein nichtklassisches Carbokationmit fünffach koordiniertem C-Atom unddelokalisierter Ladung. Die nun wider-legte klassische Betrachtungsweisegeht von einem dreibindigem C-Atomund mit sich schnell equilibrierendenCarbokationen aus.

Abb. 2 Ein Modell des 2-Norbornyl -kations, Grafik: Ingo Krossing.

In Abbildung 15 muss es im Kopf derrechten Spalte µg statt mg heißen.Wir danken unseren aufmerksamenLesern für diesen Hinweis.