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nicolai ZEITUNGSMAGAZIN FÜR KUNST, KULTUR, DESIGN & ARCHITEKTUR N o 7 UNTERWEGS IM RHEINLAND GEHEN SIE MIT UNS AUF ENTDECKUNGSTOUR LICHT UND SCHATTEN ÜBER DIE FASZINATION EINES EWIGEN THEMAS FÜR SIE ENTDECKT! AUSSTELLUNGEN, KÜNSTLER, BÜCHER & DESIGNFAVORITEN BEILAGE DUESSELDORF PHOTO WEEKEND Kostenlos, aber wertvoll.

Nicolai no 07

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Das Zeitungsmagazin für Kunst, Kultur, Design & Architektur

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nicolaiZEITUNGSMAGAZIN FÜR KUNST, KULTUR, DESIGN & ARCHITEKTUR

No 7

UNTERWEGS IM RHEINLANDGEHEN SIE MIT UNS AUF ENTDECKUNGSTOUR

LICHT UND SCHATTENÜBER DIE FASZINATION EINES EWIGEN THEMAS

FÜR SIE ENTDECKT!AUSSTELLUNGEN, KÜNSTLER, BÜCHER & DESIGNFAVORITEN

BEILAGEDUESSELDORF PHOTOWEEKEND

Kostenlos, aber wertvoll.

www.annavonbergmann.de

InhaltEditorial

Eine neue nicolai!

Titelbild: Nike Seifert, Rockstar, 80 cm x 60 cm, Leim, Kreide, Blattaluminium, Floureszenzpigmente, Noir de Mars, Lack auf Leinwand, Foto ©: Nike Seifert.

Für unser Icon zu Augmented Reality haben wir ein Motiv von Flaticon verwendet, © Flaticon.

Sie haben es vielleicht auf Anhieb bemerkt, nicolai - Das Zeitungsmagzin für Kunst, Kultur, Design und Architektur hat sich verändert. Wir haben nicht nur ein neues (Papier)Format gewählt, sondern gehen jetzt auch neue technische Wege, um Ihnen Kunst und Kul-tur in all ihrer Vielfalt zu zeigen.

Wenn Sie das oben abgebildete Icon auf einer der nach-folgenden Seiten sehen, so verweisen wir auf die Mög-lichkeit, via Smartphone weitere Videos, Bilder und Websites zu den jeweiligen Beiträgen anzuschauen. Sie müssen lediglich eine kostenlose App für AUGMENTED REALITY auf Ihrem Smartphone herunterladen, diese App öffnen und die Kamera Ihres Smartphones auf die jeweiligen Abbildungen oder Texte halten. Schon er-scheinen interessante Zusatzinformationen. Wir emp-fehlen hierfür die sich gut bewährte App „junaio“. Doch keine Angst, wir wollen die Realität nicht „erweitern“, sondern Ihnen lediglich die vielen multimedialen An-gebote der Museen, Galerien und Kultureinrichtungen noch näher bringen und Sie begeistern für das Entde-cken von Kunst.

Wo auch immer wir uns befinden, wir haben vermehrt die Chance, Kunst zu erleben und mit anderen zu teilen. Virtuell und ganz real. Dafür steht auch unsere Websi-te, die wir ebenfalls einem Relaunch unterzogen haben. nicolai-mag.de haben wir neu gestaltet und um einige Rubriken erweitert. Schauen Sie also bald wieder ein-mal herein – Sie finden hier viele Artikel, Interviews, Ausstellungsempfehlungen und Literaturtipps. Zudem konnten wir weitere Galeristen und Kunstexperten für unsere Rubrik „Editionen“ gewinnen, mit „Collectors Choice“ und „Art Spot“ bieten wir für Sammler genauso etwas, wie für diejenigen, die noch welche werden wol-len. Und es ist und bleibt uns ein großes Anliegen, die vielen Kunst- und Kulturprogramme für Kinder und Ju-gendliche einer großen Öffentlichkeit vorzustellen. Das alles nach wie vor kostenlos, aber wertvoll!

Fragen Sie uns, teilen Sie uns Ihre Wünsche und An-regungen mit, schreiben Sie eine E-Mail - wir sind für Sie da!

Alexandra Wendorf, Chefredakteurin

nicolai | No 7 Seite 03

Impressum

30 Liquid HybridSchwarze Meere in der Großstadt.

29 nicoKunstvolle Neuigkeiten für Kinder und Jugendliche

28 Man(n) strickt wiederZwei Glossen zu einem Phänomen.

26 AgendaNews, Termine, Veranstaltungen & Service rund um Kunst und Kultur

23 Chromatic FragmentsFarben wie Licht – Die Malerei von Nike Seifert.

21 Mit virtuellem Licht malenThomas Ruff auf der Suche nach dem Wesen des Lichts.

15 Special: Duesseldorf Photo WeekendEntdecken Sie die Fotoszene Düsseldorfs mit der Sonderbeilage.

12 Grand Tour am Fluss entlangVon der Entschleunigung des Reisens.

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Von Licht und DunkelEin Grundmotiv der Lichtkunst.

08Zerstörung und NeuanfangDer Installationskünstler Baptiste Debombourg.

06 Shop differentGib es „interaktive“ Kauferlebnisse?

04 ForumLicht ins Dunkel bringen – High Lights im Jahr des Lichts

24 LesestoffLiteraturempfehlungen

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17 Eine andere Sicht auf die DingeMit dem Blick der Fotokünstler die Welt betrachten.

16 Die Handschrift des FotografenWas hat Fotografie mit Kunst zu tun?

18-20 Duesseldorf Photo WeekendTeilnehmende Galerien, Museen und Institutionen, Termine und Plan

Jede Lampe ein Unikat.Eine schlichte Stehleuchte als Symbiose aus tra-ditioneller chinesischer Handwerkskunst, mo-derner Formsprache und neuester Lichttech-nologie: das ist Moolin. Fuß und Lampenschirm bestehen aus von Hand gebogenen Bambusstä-ben. So verbindet sich der Fuß der Stehleuch-te zu einer Einheit mit dem Leuchtobjekt. Die

Sichtbarkeit der Konstruktion ist wesentlich und die Oberfläche der Bambusstäbe ist nur geölt und

entspricht somit auch noch dem Umweltbewusst-sein nicht nur der Designer. www.lasfera.de

Seite 04

Vintage LookWer den Charme alter Fa-brikhallen und längst aus-geschalteter Lichtreklamen nach Hause holen möchte, wird hier fündig. Das ge-samte Alphabet und Zahlen von 0 bis 9 sind individuell von delightfull wiederaufge-legt bzw. neu gestaltet wor-den. Ob einzelne Buchsta-ben oder ganze Botschaften nun mit LED-Leuchten von Wänden oder Böden strah-len; der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.www.delightfull.eu

Es fing mit Buchseiten an ...

Der Sitz des kleinen Unternehmens limpalux befindet sich in Wuppertal. Hier entwi-ckeln die Designer Anja Eder und Michael Römer ihre Leuchtenmodelle aus Shoji-Ja-pan-Papier. Bei der Formfindung spielt das Prinzip der Reihung von Papierseiten eine wesentliche Rolle, die in vielen formalen Studien variiert wurde. Anfangs bildeten he-rausgelöste Buchseiten den Objektkorpus. Später folgten zahlreiche Modulationen der Lamellenformen und Farben. Auch heute entstehen immer wieder neue Ideen aus diesem Prinzip heraus.www.limpalux.de

Kunst, Fashion, Design und Architektur

Forum

Sie umschwirren wie Motten das Licht. Ursprünglich war Silver Bzzzz eine auf 50 Stück limitierte Edition, die innerhalb nur eines Jahres ausverkauft war. Sie gehört zu den Ricchi Poveri, einer Gruppe kleiner, unprätentiöser Lichtobjekten von Ingo Maurer. Die Seri-enversion der Glühlampe mit der Libelle, genannt Bzzzz, ist noch lieferbar. Die Libellen sind aus eloxiertem Alu-minium, Stahl und Messing und in den Farben grün, rot oder blau erhältlich. Foto ©: Tom Vack, München und Ingo Maurer GmbH. www.ingo-maurer.com

Licht ins Dunkel bringenEin Teelicht?Erinnert ein wenig daran, ist aber keines. Light Drop wur-de für den German Design Award 2014 nominiert und läßt in seiner kleinen Größe sanftes Licht über mundgeblasenes Glas durch ein Lochblech erstrahlen. Pulpo/e_27. www.e27.com

... Diogenes auch.Diese Lampe ist zum Lesen da. Unauffällig steht sie im Hintergrund und vollbringt wahre Dienste; indivi-duell dimm- und ausrichtbar, lenkt sie die Lichtquelle genau dahin, wo man sie benötigt. Fast schon ein echter Klassiker in dieser schlichten Form. Foto ©: belux. www.belux.de

ForumKunst, Fashion, Design und Architektur

nicolai | No 7 Seite 05

Weniger ist mehr ...

... das wissen wir eigentlich; doch selten wird die-ser Satz auch wirklich beherzigt. Bei der von Mattias Stålbohm für muuto designten Hängelampe kann man allerdings eine Reinform des zugrundeliegenden Gedankens finden: Die Glühbirne als unverfälschte

Lichtquelle - nicht mehr und nicht weniger. In vielen Farben erhältlich, ist sie auch im ausgeschalteten

Zustand ein echter Blickfang. Pure and simple ...www.muuto.com

2015 ist das Jahr des Lichts!

Dieses Jahr wurde von der UNO zum „Internationalen Jahr des Lichts und lichtba-sierter Technologien“ ausgerufen. So soll die Bedeutung des Lichts als elementare Lebensvoraussetzung für Menschen, Tiere und Pflanzen und somit als wesentli-cher Bestandteil von Wissenschaft und Kultur hervorgehoben werden. Diverse Ziele wurden formuliert wie beispielsweise die Förderung von Lichttechnologien, die die Lebensqualität in Entwicklungsländern verbessern, Reduzierung von Licht-verschmutzung und Energieverschwendung sowie die Förderung von nachhaltiger Entwicklung.

Dementsprechend bietet sich ein breites Themenspektrum an: „Leben“, „Univer-sum“, „Natur“, „Kommunikation und Navigation“, „optische Geräte“, „kulturelles Erbe“, „Licht und Kunst“ und „Bildung für alle“ sind einige Beispiele. Nicht nur Phy-siker und Astronomen sind damit angesprochen, sich am Internationalen Jahr des Lichts zu beteiligen, sondern etwa auch die Industrie, die Medizin oder Architekten, Städteplaner, Künstler, Philosophen, Soziologen und nicht zuletzt die Museen.Die Stadt Dresden beteiligt sich an diesem „Lichtjahr“ mit vielen Veranstaltungen, Lesungen und Ausstellungen. Einen Überblick kann man auf der Website www.dresdner-lichtjahr.de finden. Alle weiteren Informationen weltweit findet man auf: www.light2015.org

Bücher wirken erhellend.Was benötigt man, um zu lesen? Ein gutes Buch, vielleicht eine Brille und auf jeden Fall Licht. Der in San Francisco lebende Architekt und Designer Max Gunawan hat diese Bedingungen seinem Objekt Lumio zu Grunde gelegt. Es ist kein Buch und sieht dennoch so aus, es funktioniert wie ein Buch und entpuppt sich als Lampe. Öffnet man die hölzernen “Buchdeckel” von Lumio, strömt warmes Licht aus den “Buchseiten”, die umso stärker leuchten, je weiter man das “Buch” öffnet. Diese Idee leuchet nicht nur Design-Liebhabern ein.www.hellolumio.com

High Lights im Jahr des Lichts

Himmels-planeten für den Wohn-raum.Die von Lievore, Altherr, Molina desig-nte Cosmos ist eine skulpturale Lampe. Einzeln oder am Bes-ten in einer Gruppe angeordnet, wirkt sie objekthaft, erinert an Monde und umherkreisende Plane-ten. Ob tiefes Schokoladenbraun, samtiges Calzedon-Grün, warmes Hellgrau oder Weiß, ihr Licht schimmert dezent und sorgt doch für genügend Strahlkraft. www.vibia.com

Der Kleine leuchtet ...Auch wenn er einen Neoprenanzug anhat, man soll-te ihn vorsichtshalber nicht ins Wasser stellen. MiM, der kleine „Man in the Moon“ von Vertigo Bird/ e27_berlin. ww.e27.com

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Shop Different Gibt es „interaktive“ Kauferlebnisse?

Text Olivia Steinweg

Neues Einkaufen oder „schöpferische Community“ in Berlin – ein Erlebnis und das nicht nur wegen des Blicks auf den daneben befindlichen Berliner Zoo, © Supermarket, Berlin

Mein Freund liebt Online-Shopping. „Ist bequem, geht schnell und ist versandkostenfrei.“ Ich hingegen habe noch nie meine Einkäufe vom Sofa aus erledigt. Das ist mir viel zu anonym und spaßfrei. Ich brauche die sinnliche Erfahrung, um am Ende des Tages mein neu erstandenes Lieblingsteil mit einem Prosecco zu feiern. Und dennoch: Der Online-Handel boomt. Höchste Zeit, dass Einzelhändler und Einkaufszentren reagieren und sich neu erfinden.

In Berlin hat kürzlich das Bikini Berlin eröffnet. Nahe des Berliner Zoos in der Budapester Straße gelegen, ist es Deutschlands erste Concept Mall, die mit insgesamt 58 Shops und Pop-up Stores Einzelhändlern sowie aus-gewählten, bereits etablierten Marken eine neue Platt-form bieten möchte. Hier soll mit dem eingestaubten Image des klassischen Einkaufszentrums aufgeräumt werden. So ist Bikini Berlin keine reine Ansammlung von gängigen Anbietern, sondern ein Ort für auserle-sene Fashion-, Lifestyle-, Kunst- und Designprodukte. Hört sich interessant an denke ich mir und vereinbare sofort einen Interviewtermin mit dem Inhaber Srdan Dzombeta und Reinhold Köhler, dem Marketing Ma-nager bei Supermarket, eines der Highlights im Bikini Berlin.

Der Name ist zunächst irreführend. Wenn man eine Fleisch- und Käsetheke, Obst und Gemüse, Milchpro-dukte und Konserven sucht, so sucht man hier ver-gebens. Reinhold Köhler klärt mich auf: Der Name ist an den ersten Supermarket in Belgrad angelehnt, der dort in einem alten Supermarkt angesiedelt wurde. Auf 800 qm finde ich rare Produkte aus den Bereichen Fashion, Interior, Kunst und Musik, unter anderem von Balmain, Holy Ghost, United Nude, Lars Torhoe, Le Velo, Sigurd Larsen, Muuto und Normann Copen-hagen. Gleichzeitig kann ich mir an der Bar einen

Cocktail mixen lassen und die Fusion-Küche des integ-rierten Restaurants genießen.

Aber damit nicht genug. „Wir sehen Supermarket nicht so sehr als branchenüblich ausgerichtetes, komplett auf Abverkauf getrimmtes Einzelhandelsunternehmen, sondern eher als Projektraum. Wir wollen den unter-schiedlichen kreativen Disziplinen Raum geben und ihre Synergien bündeln. Bei uns geht es um mehr: Wir sind ein Ort für Ausstellungen, Performances, Vorträ-ge, Workshops, Modenschauen und andere Events von kultureller Relevanz. Und der Besucher soll Teil einer schöpferischen Community werden. Daher sehen wir den Supermarket eher als Concept Space und nicht als klassischen Concept Store.“ erklärt Srdan Dzombeta. „Supermarket ist für uns ein Modell, wie wir uns einen integrierten Einzelhandel in der Zukunft vorstellen“, ergänzt der Inhaber.

Hört sich spannend an und so schaue ich auch noch-mal kurz bei Supernova rein – einem Concept Store und weiteres Highlight im Bikini-Haus. Im Superno-va werden neue Ideen für die Zukunft inszeniert und getestet. Dabei kooperiert der Concept Store jede Sai-son mit einer neuen Marke aus den Bereichen Fashi-on, Design, Hightech oder Entertainment. Gemeinsam wollen sie ihre neuen Retail-Visionen präsentieren und Kunden zukunftsweisende, multimediale Verkaufskon-zepte hautnah erleben lassen. Die letzte Saison stand ganz im Zeichen der Fußball-WM. Als Partner wurde Nike ins Boot geholt. Das Unternehmen inszeniert das Thema „Future of Football“ mittels digitaler Medien. Der Besucher bekommt hier u.a. die Möglichkeit, sich beim Torwandschießen von 50 Kameras aufzeichnen zu lassen und sich anhand der Bilder in einer realen Stadionatmosphäre auf einem Display zu sehen. Bei Supermarket und Supernova geht es auch um den

Mehrwert des Erlebnisses. Reinhold Köhler, Marke-ting Manager bei Supermarket weiß, dass Interakti-on und Teilhabe sinnliche Erfahrungen sind, die den Unterschied zwischen einem Online-Store und einer Concept Mall ausmachen. „Bei Supermarket geht es um sinnliche Erfahrungen, um ein Erlebnis. So zeigen wir immer eine Ausstellung oder eine Installation von wechselnden Künstlern und bieten dazu frische Fusi-on-Küche von Berlin Cuisine, exotische Drinks, einen einzigartigen Blick auf die Freigehege des Berliner Zoos und ein feines Sortiment ausgesuchter Design-produkte. Dieses Gesamtpaket, in einer solchen Atmo-sphäre, wird ein Online-Store niemals leisten können.“ erklärt der Marketingexperte.

Im Bikini Berlin wird „Neues Kaufen“ schon gelebt. Das hat mich überzeugt. „Wenn sich jedoch klassische Einkaufszentren und Einzelhandelsunternehmen in Zukunft von der Online-Konkurrenz abheben und ge-winnbringend wirtschaften wollen, müssen sie ihr Portfolio schnellstens überarbeiten.“ erklärt Reinhold Köhler abschließend.

Mein Freund ist vom Bikini Berlin übrigens restlos be-geistert. In seiner Mittagspause geht er ins Supernova und testet dort Sportschuhe beim digital inszenierten Fußballspiel. Anschließend geht es in den Supermar-ket. Dort genießt er die exklusive Fusion-Küche, inklu-sive Blick auf den Berliner Zoo. Mein Freund muss zu-geben: „Das ist mehr als Kaufen. Hierfür lohnt es sich offensichtlich doch, vom Sofa aufzustehen.“

Bikini Berlin | Budapester Str. 38-50 | 10787 Berlin www.bikiniberlin.de

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Von Licht und Dunkel Ein Grundmotiv der Lichtkunst

Text Peter Lodermeyer

Margareta Hesse, Laser-Installation „Lichtschneise V“, Wasserreservoir des Museums Mathildenhöhe, Darmstadt 2010. © Foto: Margareta Hesse

„Ich bin ein Teil des Teils, der Anfangs alles war, / Ein Teil der Finsternis, die sich das Licht gebar, / Das stolze Licht, das nun der Mutter Nacht / Den alten Rang, den Raum ihr streitig macht.“ Mit diesen Wor-ten stellt sich Mephistopheles in Goethes „Faust“ vor, nachdem er in Gestalt eines schwarzen Pudels in die Studierstube des Doktor Faust gelangte und sich darauf als „fahrender Scholast“ entpuppte. Die Machenschaften des Teufels müssen uns hier nicht interessieren, wichtiger ist seine Aussage über den inneren Zusammenhang von Licht und Finsternis, den „Streit“ zwischen beiden und die kühne Behaup-tung, dass die Finsternis „sich das Licht gebar“ – eine Vorstellung, die sich auf alte Texte berufen kann, von Hesiod bis zur Genesis. Dass die Welt finster und leer war, bevor das berühmte „Es werde Licht!“ gespro-chen wurde, lehrt die Bibel.

Heute erwartet man Antworten auf die Frage nach dem Ursprung des Lichts eher von den Naturwissen-schaften als von Mythos und Religion – interessan-terweise sagen diese ebenfalls: Das Licht wurde aus dem Dunkel, dem „Chaos“ geboren. Das Universum war nach dem Standardmodell der Urknalltheorie, die heute unter Astrophysikern weitestgehend Zu-stimmung findet, in den ersten 380.000 Jahren eine dichte, undurchdringliche „Plasmasuppe“. Erst als sich dann stabile Atome bildeten, wurde das Univer-sum lichtdurchlässig. Faszinierenderweise ist dieses erste Licht des Universums, dieses Aufstrahlen der Welt viele Milliarden Jahre, bevor es Augen gab, die es hätten wahrnehmen können, noch heute als Nach-

hall, als kosmische Hintergrundstrahlung im Mikro-wellenbereich messbar. Auch begrifflich ist Licht als Helligkeit von der Fin-sternis abhängig – und umgekehrt. Wir hätten gar kei-nen Begriff von „hell“, wenn es „dunkel“ nicht gäbe. Die alltäglichste Kenntnis dieses Faktums beruht auf unserer biologisch und evolutionsgeschichtlich tief verankerten Abhängigkeit vom Tag-und-Nacht-Zyklus.

Es kann nicht verwundern, dass das uralte Thema des Gegensatzes von Licht und Dunkelheit ästhetisch, sym-bolisch und emotional so stark aufgeladen ist. Und so fand auch die Meldung weltweit Beachtung, dass am 30. Oktober 2013 auf einem Berg oberhalb der kleinen norwegischen Ortschaft Rjukan drei große bewegliche Spiegel eingeweiht wurden, die der Sonne folgen und deren Licht auf den Marktplatz des Ortes reflektieren. Rjukan liegt nämlich so tief in einem Tal, dass der Ort andernfalls von September bis März vollständig vom Sonnenlicht abgeschnitten wäre. Ausgeführt wurde

die Installation der auf die Sonne ausgerichteten Spie-gel oder Heliostaten von einem Künstler, dem Norwe-ger Martin Andersen. Mit seiner Idee, Licht ins Dun-kel zu bringen, erfüllt Andersen in gewissem Sinne ein Grundmotiv der Moderne. Es gibt viele plausible Möglichkeiten, den Beginn der Moderne zu bestim-men; eine davon wäre die Erfindung des künstlichen Lichts. Nachdem es schon seit den 1820er-Jahren Vor-läufermodelle gab, patentierten 1878 der Engländer Joseph Wilson Swan und ein Jahr später der Amerika-ner Thomas Alva Edison eine Glühlampe. Beide Erfin-der brachten ihr Modell zur Serienreife.

Mit zunehmender Elektrifizierung trat das künst-liche Licht schon bald seinen Siegeszug um die Welt an – und erzeugte bis dahin unbekannte ästhetische Phänomene, die den Gegensatz von Licht und Dunkel ganz neu inszenierten. Wer jemals eine Großstadt bei Nacht aus dem Flugzeug heraus gesehen hat, mit ih-ren gegenläufig von weißen und roten Lichtpunkten durchpulsten Adern der Autobahnen, den Lichtnetzen und -gittern der Straßenbeleuchtung, den angestrahl-ten Gebäuden und den unzähligen erhellten Fenstern der Wohn- und Bürogebäude, kennt die ganz eigen-tümliche Schönheit urbaner Licht-Strukturen.

Und die Kunst? Es ist erstaunlich, wie spät die Künst-ler das Potential des elektrischen Lichts als „Material“ erkannt haben. Nicht ohne Pathos sagte der Kultur-historiker Aby Warburg im Jahre 1918: „Künstler und Kunstfreund treffen sich ja in der Gemeinschaft der Lichtwendigen“ – doch mit diesem Licht meinte er

„Ich bin ein Teil des Teils, der Anfangs alles war, / Ein Teil der Finsternis, die sich das Licht gebar, / Das stolze Licht, das nun der Mutter Nacht / Den alten Rang, den Raum ihr strei-tig macht.“

Goethe, Faust

www.margareta-hesse.de | www.mathildenhoehe.eu

zum einen das Bildlicht, das sich in der modernen Ma-lerei, u. a. im französischen Impressionismus, zeigte, zum anderen ein geistiges Licht im Sinne fortgesetz-ter Aufklärung. Künstliches Licht aber war noch nicht kunstwürdig. 1928 beschwor der niederländische Künstler und Architekt Theo van Doesburg die „weiße Welt“ der Moderne, welche die alte „braune Welt“ ab-lösen sollte. Weiß, hell, offen, durchlichtet, hygienisch sollte die moderne Architektur sein, im Gegensatz zu den düsteren, überfüllten, engen Wohnräumen des 19. Jahrhunderts. (Mit welcher körperlichen Substanz van Doesburg die „braune Welt“ verglich, kann man sich denken). Elektrisches Licht war ihm als Mittel der In-nenraumgestaltung hoch willkommen, als autonomes künstlerisches Mittel jedoch nicht vorgesehen.

Von einigen Vorläufern wie László Moholy-Nagys „Raum-Licht-Modulator“ aus den 1920er-Jahren abge-sehen, kam die Lichtkunst als eigenständige Richtung erst in den 1960er-Jahren zur Geltung. Die einfachen Raumarrangements mit handelsüblichen Leuchtstoff-röhren, die der amerikanische Minimalist Dan Flavin seit 1963/64 schuf, gelten seither als Ikonen dieser neuen Kunstgattung.

Die ästhetische Attraktivität des elektrischen Lichts war zu diesem Zeitpunkt jedoch schon längst von ganz anderer Seite entdeckt und genutzt worden, und zwar von der Werbung. Bereits 1896 gab es in Ber-lin die erste Lichtwerbung auf deutschem Boden. Die weltweit größte ihrer Art strahlt seit 1958 des Nachts über Leverkusen: 51 Meter Durchmesser weist das

einst durch 1710 Glühbirnen und seit 2009 von en-ergiesparenden Leuchtdioden illuminierte Firmenlo-go, das „Bayer-Kreuz“, über den Bayer-Werken auf. Einen wahren Exzess im Gebrauch von Leuchtre-klame kann man etwa auf dem New Yorker Times Square oder im Tokyoter Stadtteil Shinjuku erleben. Dort wird die ganze Bandbreite an Möglichkeiten unterschiedlichster elektrischer und elektronischer Leuchtmittel vor Augen geführt, die man aufgrund ihrer ebenso aufdringlichen wie faszinierenden Wir-kung ohne weiteres als eine Art nichtkünstlerisches Gesamtkunstwerk wahrnehmen kann.

Da künstliches Licht überall in unserer modernen Lebenswelt bis zum Übermaß vorhanden ist (bis hin zur „Lichtverschmutzung“ mit ihren noch nicht vollständig geklärten ökologischen und gesundheit-lichen Folgen), steht die Lichtkunst von Beginn an in Konkurrenz zu Lichtwerbung und Lichtdesign; oft genug verschwimmen die Grenzen zu diesen Bereichen. Ihre Wahrnehmung als Kunst hängt ent-scheidend vom Kontext ab, in dem sie erscheint. Lichtkunst gelingt am besten, wenn sie auf Inten-sität statt auf Effekte setzt und wenn sie das uralte

Thema von Licht und Dunkel neu zu gestalten ver-mag. Ein gelungenes Beispiel ist die begehbare Laser- installation „Lichtschneise V“, welche die in Berlin lebende Künstlerin Margareta Hesse 2010 im Was-serreservoire unterhalb des Museums Mathildenhö-he in Darmstadt einrichtete. Neun dünne, intensiv rote Lichtbahnen – die Farbe Rot spielt in Hesses Werk, auch in ihrer Malerei auf Polyesterplatten, eine herausragende Rolle – schossen dort in paral-lelen Bahnen knapp über das flache Wasser, spiegel-ten sich darin, durchschnitten die Dunkelheit, ohne jedoch den Raum zu erhellen.

Für die Besucher stellte sich – verstärkt durch einen bedrohlich dumpfen elektronischen Sound – ein am-bivalentes Gefühl ein: Bei aller Schönheit erschie-nen die Laserstrahlen gefährlich, glühend heiß und schneidend. Es bedarf einer gewissen Überwindung, herauszufinden, dass dem keineswegs so ist: indem man nämlich den Strahl mit seinem Körper unter-bricht. So konkret und technisch klar nachvollzieh-bar Hesses Installation auch war, so entfaltete sie doch auf der Grundlage des ewigen Themas von Licht und Dunkel einen assoziationsgeladenen, magischen Erlebnisraum.

Margareta Hesse, Laser-Installation „Lichtschneise V“, Wasserreservoir des Museums Mathildenhöhe, Darmstadt 2010. © Foto: Margareta Hesse

„Licht senden in die Tiefen des menschlichen Herzens ist des Künst-lers Beruf.“

Robert Schuman

nicolai | No 7 Seite 09

Seite 10

Zerstörung und Neuschöpfung

Seine Installationen sind gewaltig – im wahrsten Sinne des Wortes. Sie neh-men den Raum ein, sind monumental und überwältigen ihn geradezu. Baptiste Debombourg (geb. 1978), der an der Ecole National des Beaux Arts in Lyon Bildhauerei studierte und an der Eco-le National Superior des Beaux Arts in Paris post-graduierte, erschafft Werke, die gleichsam Zerstörung und Erneue-rung thematisieren. Er visualisiert die Gegensätzlichkeit von Kraft und Schwä-che, die Ambivalenz von Tradition und Moderne sowie die Widersprüchlichkeit in Gesellschaft und Leben. Dabei ver-wendet Debombourg unterschiedlichste Materialien, die er bis zum Äußersten modifiziert: Verbundglas, das zerschla-gen und zersplittert eine faszinierende Entmaterialisierung erfährt; fließend wie Wasser scheint es Räume zu über-fluten und das Licht wie aufschäumende Wellen einzufangen und kristallklar zu reflektieren. Metallene Heftklammern werden tausendfach auf Wände oder Holztafeln getackert, um schließlich in Anlehnung an historische Radierungen großformatige „Zeichnungen“ entstehen zu lassen. Laminierte Holzplatten wer-den zerschlagen und zu monumentalen Raumskulpturen neu zusammengesetzt.

Debombourgs Werke sind ohne kunst-historische Referenzen bzw. das Wis-sen um ikonographische Bedeutungen nicht denkbar. Er schöpft aus einem großen theoretischen Repertoire, um seine Ideen zu realisieren. In der intel-lektuellen Auseinandersetzung schafft er inhaltliche Bezüge zur Gegenwart – oftmals kritisch, zuweilen auch ironisierend. So versetzt er beispielsweise Dür-er‘sche Szenerien mit heroisierenden Männermotiven des Bodybuildings oder Motorsports, interpretiert reli- giöse und tradierte Motive völlig neu. Einhergehend mit einem Höchstmaß an technischer Präzision und In-novation ruft er gleichermaßen Verstörung und Faszi-nation hervor – und schafft Werke, die in ihrer heftigen Schönheit immer wieder auf die Vergänglichkeit allen Seins verweisen.

Wir trafen Baptiste Debombourg in der Kölner Galerie Krupic und Kersting und sprachen mit ihm über seine Inspirationen und Arbeitsmethoden.

In Ihren Arbeiten herrscht ein starker Gegensatz zwischen Schönheit und Brutalität. Fragiles Glas wird zerbrochen und zerstört; in Ihren Bildthemen verfremden Sie bekann-te Szenen zuweilen mit verstörenden Ergänzungen.Ja, in gewisser Weise ist das ein Merkmal meiner Arbei-ten. Ich bin fasziniert von Interventionen und Innova-tionen. Ich gehe immer an das Limit des Materials, das ich verwende, bewege mich zwischen extremer Kraftan-

strengung und Sensibilität; die Möglichkeit, stark und schwach im selben Moment sein zu können, entspricht doch unserem Leben selbst. Ich liebe die Auseinander-setzung, Materialien und Menschen. Der Zufall, im ex-perimentellem Sinn, ist das Kernstück meiner Arbeit. Das ist die Art, wie ich meine Kunst entwickle und erforsche. Bei dieser Arbeitsweise weiß man nie was zum Schluss passieren wird. Ich glaube an die Kraft der Idee, oder wie Pierre Restany einmal geschrieben hat: „Das Material bleibt als Zeuge der Idee übrig“.

Sie arbeiten vielfach raumbezogen und Ihre Installationen beschäftigen sich inhaltlich mit der jeweiligen Umgebung, der Architektur und Geschichte eines Ortes. Inwieweit ist die Raumbezogenheit wesentlich für Ihre Installationen?Ich betrachte meine Arbeit als Forschung und es inte-ressiert mich, mit dem Alltag und der Gesellschaft zu interagieren. Man gewinnt die Möglichkeit, hinter die Grenzen der Kunst zu gelangen, wenn man aus dem Museum, aus der Galerie hinausgeht … Ich versuche, die formalen Grenzen zu sprengen und will das Kon-zept von ganzheitlicher Kunst entwickeln, um Raum und Leben zu verbinden. Robert Filliou sagte einmal: „Kunst ist, was das Leben interessanter macht als

Kunst.“ So arbeite ich immer kontextu-ell, meine Werke schließen Architektur, die Materialität, das Leben und auch die Menschen mit ein, die in der jeweiligen Umgebung oder in dem jeweiligen Raum leben.

Wie kann man sich diese Arbeitsweise praktisch vorstellen?Meine Arbeitsweise entsteht aus der Umgebung und dem jeweiligen Kontext heraus. Jedes Projekt inspiriert mich, bestimmte Materialen zu wählen und manchmal bringt es mich auch dazu, neue Arbeitsmethoden zu entwickeln und anzuwenden. Dazu arbeite ich häu-fig mit Spezialisten zusammen. Ich teile meine Arbeit in öffentliche und private Projekte, obwohl beide auch komple-mentär sein können. Ich schätze Auf-tragsarbeiten im öffentlichen Raum, weil ich überzeugt bin, dass Kunst viele Antworten auf Themen der Gesellschaft geben kann; Künstler sind Experten der sensiblen Wahrnehmung ...

Sie experimentieren mit den unterschied-lichsten Materialien: Glas, laminiertem Sperrholz, Styropor oder Heftklammern. Inspiriert Sie auch das Material, um die Form für Ihre Kunstwerke zu finden? Zu-weilen zitieren Sie kunsthistorische Werke; sind diese auch eine Inspirationsquelle?Ich betrachte das Objekt als Subjekt. Für mich ist, um mit Roger Martin du Gard zu sprechen, „das Material der Skla-ve des Geistigen“. Seit Jahrhunderten haben Künstler mit historischen Re-

ferenzen gearbeiten und tragen dazu bei, ihren Blick auf Lebenssichten mit anderen zu teilen. Ich entwickle meine Werke in dem Spannungsverhältnis von Traditi-on und Innovation, Geschichte und Gegenwart.

Ihre Glasinstallationen, nicht zuletzt Ihre Lichtinstallation „Tu m‘existe“ während der Agora 2014 - Biennale de Bor-deaux, legt den Verdacht nahe, dass religöse Themen in Ihrem Werk eine Rolle spielen ...Religion ist Teil unserer Gesellschaft und ich betrachte sie so wie andere Dinge auch – vielleicht mehr von einem kunsthistorischen Blickwinkel aus. Ich denke, dass es nötig ist, an das zu glauben, was wir tun, weil alles in unserem Leben einen Sinn hat. Ich selbst glaube an den Menschen – mit seiner Fähigkeit, sowohl schlecht als auch gut sein zu können.

Der Installationskünstler Baptiste Debombourg vermittelt zwischen Innovation und TraditionText und Interview Alexandra Wendorf

Oben: Aggravure IV, Apocalyptic Rider, 2010. Unten: Installationsansicht Aérial, Abtei Brauweiler, Pulheim, 2012, Fotos ©: Baptiste Debombourg

Einzelausstellungen 2015: Fine Arts Galerie of the HEAR, Straßburg | Maison Rouge, Parais | Patricia Dorfmann Galerie, Paris

www.hear.fr | www.patriciadorfmann.com www.lamaisonrouge.org | www.kukgalerie.dewww.baptistedebombourg.com

Seite 12

Grand Tour am Fluß entlang Von der Entschleunigung des Reisens

Text Ulrich J. C. Harz

Die Grand Tour ist ein Phänomen, eine Weltan-schauung, eine Reiseform, welche die Kultur des 17. und 18. Jahrhunderts ganz wesentlich geprägt hat. Zunächst waren es die insularen Engländer, die ihre Weltsicht formen wollten, indem sie die Wiege der mitteleuropäischen Kultur bereisten. Dann folgten Kosmopoliten wie Johann Wolfgang von Goethe, Theodor Fontane, Mark Twain. Und das, was sie hin-terließen, war der Anfang einer neuen Gattung, der Reiseliteratur. Goethes „Italienische Reise“ ist sicher eines der bekanntesten Elaborate, ein faszinierungs-trunkener Dichter bereist und beschreibt das Land, in dem bekanntlich die Zitronen blühen. Während der Dichterfürst moderat in Kutschen und Kaleschen rei-ste, wählte sein Landsmann Johann Gottfried Seume Schusters Rappen, er erwanderte den italienischen Stiefel und sein „Spaziergang nach Syrakus“ ist ein ebenso schönes wie vergessenes Buch, der Bericht eines entschleunigt Reisenden. Die Grand Tour war schon wegen der gewaltigen Distanzen und der lang-samen Reisemittel keine Kurzstrecke. Männer wie Lord Byron waren jahrelang unterwegs, in diesem Fall auch, weil er in England seinen Ruf schon rui-niert hatte. Andere wie Goethe flohen die Provinztri-stesse, auch um fernab neue erotische Erfahrungen zu machen. Gerade mal 40 Jahre alt, verlor der Olym-pier in Rom seine Jungmannschaft.

Mit den weltberühmten Baedekern, 1807 in Koblenz begründet, entstand eine touristische To-do-Liste, die alten roten Bändchen lesen sich noch heute wie pos-sierliche Wegweiser einer Zeit, die alle Zeit der Welt hatte. Ziele der Grand Tour waren zumeist Italien und Griechenland, aber auch in der deutschen Viel-staaterei gab es ein ganz großes Ziel: die Burgenro-mantik an Rhein und Mosel zog Dichter und Denker an, Maler und Architekten, Herren aller Länder und Engländer, vor letzteren musste man Mutter Natur schützen, im rheinischen Siebengebirge entstand der erste Naturschutzpark auf deutschem Boden.

Wir haben versucht, eine solche Grand Romantic Tour in die Neuzeit zu verlegen, ohne ihren Geist zu verleugnen. Die Erlebnis- und Erkenntnishung-rigen können beschaulich wandern oder per Schiff fahren, im schnellsten Fall auch im Cabrio die Land-luft schnuppern und die Atmosphäre genießen. Das Ziel unserer Reise ist die älteste Stadt Deutschlands; Trier mit seiner seit Römerzeiten wechselvollen Ge-schichte. Aber wo sollen wir beginnen? Die meisten Flusskreuzfahrten starten in Köln, doch Kölsch, Klüngel, Karneval sind fern jeder Rhein-Romantik.

Wir starten in der Bundesstadt Bonn, die das Ende des Wein-Rheins darstellt, während ab Köln eher der dumpfe Bier-Rhein beginnt und sich bis nach Amster-dam zieht. So beginnt unsere Tour am Rheinkilome-ter 653, wir wählen als Standort das so private Hotel Esplanade hinter dem Bahnhof gegenüber des Lan-desmuseums. Und lassen die so gigantische Muse-umsmeile mit dem Haus der Geschichte und der Bun-deskunsthalle links liegen, suchen die Wohnhäuser der großen Söhne Bonns, das Beethovenhaus führt uns in die Welt des 18. Jahrhunderts, hat die größte Autografensammlung Ludwig van Beethovens und einen der schönsten Kammermusiksäle der Welt. Der angegliederte Devotionalienladen ist voller Überra-schungen, ihn leitet die Tochter des für seine Haus-konzerte berühmten Professor Kluxen. Das August Macke Haus wird in naher Zukunft einem ganzen Viertel seinen Namen geben, es wird umfangreich ausgebaut und zeigt dann wieder seine wunderbare Sammlung und aktuelle Ausstellungen. Das Abend-essen nehmen wir im Ännchen, dem Traditionslokal der berühmtesten Lindenwirtin Deutschlands. Aenn-chen Schumacher (1860 – 1936) machte das Wein-haus zu einer europäischen Legende, ein Höhepunkt des Tages in Bonn.

Auf dem Rückweg bietet sich der Vergleich zwischen dem alten Beethoven-Denkmal von Ernst Hähnel und

dem neuen von Markus Lüpertz. Über das letztere streiten die Bonner so gerne wie über das polarisie-rende Projekt Beethoven-Festspielhaus. Die Klein-stadt Königswinter erreichen wir mit der Fähre. Der ehemalige Touristenmagnet ist in der Strukturkrise, die Touristen bleiben aus, der Handel weicht, die Kunst soll es richten. Der omnipräsente Kulturver-ein antiform hat alle Leerstände in Kulturzentren verwandelt, im alten Schlecker ist ein neues Kino, mitten im Zentrum wartet die Galerie 1 auf Besu-cher, ein Artist-in Residence malt im Schaufenster. Vereinsvorstand Helmut Reinelt scheinen die Trans-formationsideen nicht auszugehen, Kunst von unten auf dem Weg nach oben.

Für den Weg nach oben nehmen wir die älteste Zahn-radbahn Deutschlands, sie bringt uns in zwanzig Mi-nuten zum Drachenfels, einem herrlichen gerade neu umbauten Hochplateau. Nach der fulminanten Aus-sicht gehen wir zu Fuß herunter bis Schloss Drachen-burg, der zuckerbäckergründerzeitlichen Ikone der Rheinromantik. 1882 – 1884 von Baron von Sarter erbaut, nach dem Krieg von dem Bonner Exzentriker Paul Spinat bewohnt, wird das für 40 Millionen reno-vierte Schloss heute von der NRW-Stiftung betrieben. Ein Geheimtipp sind die Themen-Picknickkörbe, die man sich für den Schlosspark bestellen kann und als purer Luxus steht eine Wohnung im Schloss zur Ver-fügung, die zur Miete steht, Schlossherr auf Zeit ist sicher eines der schönsten Erlebnisse, die man kau-fen kann.

Nächste Station ist das Weindorf Unkel, hier fin-det sich die den Guiness-Rekord haltende kleinste Kneipe „Beim Kleen“ und das so informative Wil-ly-Brandt-Forum. Der Altkanzler lebte von 1979 bis 92 in Unkel, das Museum ist die Vermittlung von Zeitgeschichte in ihrer besten Form, gleiches bietet für die CDU das Konrad Adenauer Haus in Rhöndorf, große Politik am Strom der Zeit.

Rhein bei Bad Honnef und Rolandswerth, Siebengebirge, Luftaufnahme aus Süden; vorne: südlicher Beginn des Godesberger Rheintaltrichters, rechts: Honnefer Talweitung, Foto ©: Creative Commons, Wolkenkratzer

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Schloß Drachenburg, Foto ©: Thoma. Gipfel des Siebengebirges, © Foto: Creative Commons, Hans Weingartz

www.hotel-villa-esplanade.dewww.beethoven-haus-bonn.dewww.august-macke-haus.dewww.aennchen.dewww.antiform.euwww.schloss-drachenburg.dewww.willy-brandt-forum.comwww.triererhof.dewww.ludwigmuseum.orgwww.bellevue-hotel.dewww.graifen.dewww.buddha-museum.dewww.fes.de/karl-marx-haus/

Dem Strom folgen wir über Sayn bis Koblenz, wo wir die Schiffe wechseln, um auf der Mosel bis Trier zu gelangen. In Koblenz, hier mündet die Mosel in den Rhein, hier wurde die Deutsche Wacht gegen die Franzosen gehalten, hier war für Jahrzehnte die größte Garnisonsstadt Europas, steigen wir im Hotel Trierer Hof ab, wo schon Napoleon wohnte. Direkt da-neben die Deinhardt-Kellereien und das Stadtthea-ter, ein klassizistisches Juwel, das den Besuch lohnt. Wir gönnen uns die Fahrt mit der Seilbahn auf die Festung Ehrenbreitstein, denn niemand weiß, wie lange es diese Seilbahn noch gibt, ursprünglich sollte sie nach der Gartenschau 2011 demontiert werden, aber die Koblenzer schätzen sie bis heute. Coblenz, so die alte Schreibweise, bietet historische Attrak-tionen, zahlreiche Plätze und eine intakte Altstadt, hier essen wir im bürgerlichen „Weinhaus Hubertus“ direkt am Florinsmarkt. Im Ludwigmuseum wartet auf uns die Ausstellung von Andy Denzler - Distorted Moments; Schnappschüsse von Begebenheiten in der Spanne von kurzen Momenten. Wie das Reisen selbst eine Aneinanderreihung von Momenten ist. Denn der Weg ist das Ziel. Wenn das kein Zufall ist. Die Stadt hat ein riesiges Einzugsgebiet, schließlich öffnet sie sich ins Mittelrheintal, ins Moseltal und ins Lahntal.

Moselaufwärts geht es an alten Burgen, tausend Jah-re alten Weinbergen entlang zur Wiege der mitteleu-ropäischen Kultur, zur ältesten Stadt Deutschlands. Wir passieren das mittelalterliche Cochem mit sei-ner beeindruckenden Burg, die Stadt Zell mit der be-rühmten Weinlage „Zellers Schwarze Katz“ und sind an der Mittelmosel angekommen, im ehemaligen Weltweinhandelszentrum Traben-Trarbach. Hier hat der Berliner Architekt Bruno Möhring den Mosel-jugendstil begründet, etliche seiner Häuser prägen noch heute die Doppelstadt. So das Hotel Bellevue am Moselufer, wir werden mit einem Oldtimer vom Schiffsanleger abgeholt, beziehen eines der histo-rischen Zimmer und freuen uns auf das Essen im Re-

staurant Clauss-Feist bei Sternekoch Renato Manzi. Wer es ruraler schätzt, ist gegenüber im Graifen goldrichtig. Hildegard Palm und Matthias Decker betreiben hier seit Jahren ein unprätentiöses, aber hochkarätiges Restaurant mit sehr persönlicher At-mosphäre. Ihr Restaurant liegt direkt neben dem Weingut Dr. Melzheimer, dem einzigen Jugendstil-weingut, ebenfalls ein Möhringbau. Es beherbergt heute das größte Buddha-Museum außerhalb Asi-ens. Jeder Besuch kommt einer Reise in die Welt des Zen-Buddhismus gleich; über 2.000 Skulpturen, Filme und ein traumhafter Dachgarten mit Moselb-lick entschädigen für den satten Eintritt von 15 Euro. Günstiger ist das Mittelmoselmuseum, das in der Barockvilla Böcking die Lebenskultur des 18. und 19. Jahrhundert unnachahmlich dokumentiert. Schon Goethe war nach einer Kenterung auf dem Fluss hier eine Nacht zu Gast. Und wer das Glück hat, von Mu-seumsdirektor Uwe Krieger persönlich geführt zu werden, kann sich der Faszination von Geschichte und Geschichten nicht mehr entziehen.

Natürlich darf an der Mosel ein Weinmuseum nicht fehlen. Darum halten wir noch einmal in Bernka-stel-Kues, gedenken des großen Philosophen Nico-laus Cusanus, ziehen mit Hunderten Holländern durch die pittoreske Altstadt und statten dem Wein-museum einen kurzen Besuch ab. Das Essen nehmen wir in Hoffmanns Weinstube am alten Bahnhof ein, zwei extrem entspannte Sachsen zelebrieren eine frische Kräuterküche, Udo Seifert bietet einen exzel-lenten Service, seine Frau Kerstin eine immer wieder überraschende Gaumenanregung.

Das nächste Schiff bringt uns nach Trier, quasi an die Grenze zur Zollfreihandelsregion Luxemburg. Da die Römer seit 2.000 Jahren dort ihre Spuren hinter-lassen haben, nehmen wir diese im Vorbeigehen mit, konzentrieren uns aber auf den Mann, dessen Den-ken und Schreiben die letzten 200 Jahre so nachhal-

tig verändert hat: Karl Marx. Das Geburtshaus des Philosophen ist ein hervorragend gestaltetes Muse-um mit der modernsten Didaktik, kein Wunder, wird das Haus bemerkenswerterweise von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung betrieben, so erklären qua-si Sozialdemokraten die Gedankenwelt des Kommu-nismus. Das Haus in der Brückenstraße findet man leicht, wenn man größeren Gruppen chinesischer Touristen durch die Stadt folgt. Diese reden sehr viel und laut über ihren Säulenheiligen, spucken auch mal auf den Boden, sind aber sonst sehr beeindruckt. Und wenn man vom Kommunismus genug hat, befin-det sich direkt gegenüber eines der besten Weinloka-le mit weit über 100 Moselweinen.

Ach ja, und die wirklich allerletzte Station auch einer Grand Tour ist der Weg ins Großherzogtum Luxem-burg, um tiefste Tabakpreise, Hochprozentiges in je-der Form, Kaffee in jeder Mischung zu genießen, zu verkosten und zu kaufen und den Tank noch mal zu füllen. Das ist profan, aber das ist die Praxis.

Links: Christiane Obermann und Axel Burkhard mit Marianne Fürstin Sayn-Wittgenstein anläßlich der Hommage-Ausstellung „95 Jahre – 95 Fotos“. Mitte: Blick in die Ausstellung „Förg | Erben. Arbeiten auf Papier“. Rechts: Dritte Halle mit Sportcars und Depot. Fotos: © Werkhallen.

Unlängst hat sich zwischen Bonn und Koblenz, in Oberwinter bei Remagen, ein neuer Ort zeitgenössischer Kunst etabliert. 2013 haben Christiane Obermann und Axel Burkhard ein ehemaliges Fabrikgebäude-Ensem-ble aufwendig renovieren und umbauen lassen und nach drei Jahren Rheingalerie in Bonn ihre großzügigen und lichten neuen Galerieräume, die Werkhallen, eröff-net. Wie schon die Museumsarchitektur des in unmit-telbarer Nähe befindlichen Arp-Museums von Richard Meier in Rolandseck setzen auch die beiden Galeristen mit ihren Werkhallen urbane Architektur in einen spannungsvollen Kontrast zur weitläufigen Natur des romantischen Rheintals. Zwei in cremeweiß getauchte Fabrikhallen dienen als Ausstellungsräume, die durch einen fast rural wirkenden Innenhof miteinander ver-bunden sind. Abgeschieden vom Lärm der Straßen und der Geschäftigkeit der Stadt taucht der Besucher hier in eine Welt der Kunst ein, kann sich ganz dem Betrach-ten der Werke – und dem Verweilen hingeben. Während eine Halle stets einer aktuellen Ausstellung gewidmet ist, wird in der anderen Halle eine permanente Schau aller vertretenen Künstler präsentiert. Weitläufige Prä-sentationen mit zeitgleich kabinettartigen Hängungen lassen die Werkgruppen der jeweiligen Künstler auf un-terschiedliche Weise erfahrbar werden, repräsentativ, intim oder zuweilen meditativ.

Doch nicht nur die Architektur und Raumgestaltung zeichnen die Werkhallen aus, sondern die sorgsam ku-ratierten Ausstellungen und Präsentationen. In der im Frühjahr 2014 gezeigten Ausstellung „Erben | Förg. Ar-beiten auf Papier“ setze sich beispielsweise der ältere Künstler Ulrich Erben mit dem Werk des früh verstor-benen jüngeren Künstlers Günther Förg auseinander und schuf eigens dafür neue Werke. Durch die Gegen-überstellung dieser Arbeiten entstand ein Dialog zwei-er konzeptioneller Positionen, deren Unterscheidung und Vergleichbarkeit in ihrer abstrakten Inszenierung von Architektur und Natur liegen. Sowohl Kunstinte-ressierte als auch passionierte Sammler konnten sich in diesem Kontext mit den jeweiligen künstlerischen Arbeitsweisen befassen und die formal schlichten aber inhaltlich komplexen Papierarbeiten neu betrachten.

Mit ihren Schwerpunkten Fotografie, Skulptur und konzeptionelle Malerei bringen Christiane Obermann

und Axel Burkhard neben der zeitgenössischen Kunst auch illustre Events in die Region. So wurde die Gran-de Dame der Gesellschaftsfotografie, Marianne Fürstin Sayn-Wittgenstein im Dezember 2014 mit einer Hom-mage geehrt. Die Ausstellung „95 Jahre – 95 Werke“ zeigt noch bis zum 31. Januar einen dokumentarischen Überblick ihres fotografischen Schaffens und entführt den Besucher in eine Zeitreise in die High Society Euro-pas und des Motorsports. Ein Hauch der glamourösen 60er und 70er des 20. Jahrhunderts scheinen durch diese Fotografien wiederbelebt zu sein und finden ihre reale Entsprechung in der dritten Halle, die tatsäch-lich einer Werkhalle gleicht. Inmitten meterhoher De-pot-Regale, verpackter Skulpturen und an der Wand angelehnten Bildern stehen zwei Rennwagen mit glanz-voller Geschichte. Sie sind Zeugen längst vergangener Autorennen, Trophäen und Stars – motorisierte Skulp-turen von ganz eigener Art und Sinnlichkeit.

Wir besuchten die beiden Galeristen und sprachen mit ihnen über die Wahl des etwas ungewöhnlichen Standortes, ihre Arbeit und zukünftigen Pläne.

Es war kein geringes Wagnis, in einer eher kulturellen Di-aspora wie Oberwinter eine Galerie zu eröffnen. Wie wür-den Sie heute, nach gut anderthalb Jahren entscheiden? Wir würden es genauso wieder machen! Wir sind hoch- zufrieden mit dem Standort, befinden uns in guter Nachbarschaft zum Arp-Museum, den Museen in Bonn und Koblenz. Die Besucher kommen gezielt zu uns – und bringen Zeit und Muße mit. Genau das haben wir uns gewünscht und genau das haben wir erreicht.

Das heißt, das Konzept der Werkhallen ist aufgegangen?Unbedingt. Uns ist es besonders wichtig, Möglichkeiten zu schaffen, sich auf Kunst wirklich einlassen zu kön-nen. Wir wollen den Sammlern und Kunstinteressier-ten die Chance bieten, sich auch auf den zweiten oder gar dritten Blick in ein Kunstwerk verlieben zu können und sich Zeit zu lassen, „ihr“ Werk zu entdecken. Das schafft man nicht immer an einem Vernissage-Abend oder für die begrenzte Dauer einer Ausstellung. Unser „Boutique-Stil“ erlaubt den Sammlern, Entdeckungen zu machen. Manche kommen gar nicht zur Vernissa-ge, sondern bewusst an einem anderen Tag, um sich in Ruhe mit der Kunst zu beschäftigen und sich mit uns

zu beraten. Zudem – davon sind wir überzeugt – hat Kunst immer auch mit Genießen zu tun und genau das bieten wir: Kunstgenuss, an einem schönen Ort in einer schönen Umgebung – fernab der Hektik des Alltags.

Im Herbst 2014 haben Sie sich das erste Mal auf der Cologne Fine Art präsentiert. Mit großformatigen Foto- arbeiten von Vera Mercer und Portraitmalereien von Jo-chen Hein. Was planen Sie für dieses Jahr?Wir wollen unser Programm mit Blick auf Kontinuität und Nachhaltigkeit sorgfältig ausbauen. Und wir wer-den wieder auf der Cologne Fine Art sein, die für uns ein großartiger Messeauftakt war. Unser Konzept lautet: „Masterpieces“ – weniger ist mehr. Uns ist die gleich-bleibend hohe Qualität der Kunstwerke besonders wich-tig. Wir wollen lieber wenige aber dafür umso überzeu-gendere Ausstellungen realisieren, die den Sammlern ästhetischen Genuss und inhaltlichen Gewinn bieten. Daneben sind wir auch als Kunsthändler tätig, vermit-teln Kunstwerke an Sammler oder verkaufen diese in deren Auftrag. Mittlerweile ist unser Netzwerk so groß, dass wir beim Aufbau einer Sammlung genauso beraten wie bei der Vermittlung einzelner Objekte.

Dazu gehört auch das Verstehen der individuellen Rahmenbedingungen und Ansprüche eines jeden ein-zelnen Sammlers. Mancher sucht etwas ganz Bestimm-tes, andere wollen überhaupt erst mit dem Kauf von Kunst beginnen, wollen herausfinden, was zu ihnen passt. Deshalb gehören Probehängungen genauso zu unserem Service wie die obligate Bereitstellung größe-rer Portfolios unserer Künstler. Nur so können wir ei-nen Einblick in die jeweiligen Œvres und letztlich eine große Auswahl an Originalen zeigen. Es geht ja schließ-lich darum, für die Kunst, die wir selbst lieben, andere zu begeistern. Auch wenn wir die Marktentwicklungen genau beobachten und die jeweilige Wertstabilität im Auge behalten, würden wir keinen Künstler vertreten, von dem wir nicht auch persönlich überzeugt wären. Das spüren sowohl die Künstler, zu denen wir intensive Beziehungen pflegen, als auch die Sammler. Und was könnte man jemandem besser empfehlen, als das wofür man selbst leidenschaftlich brennt? Ausstellung „95 Jahre – 95 Werke“ noch bis zum 31.01.2015 www.werkhallen.net

Eine Perle am Rhein Die Werkhallen – ein besonderer Ort für zeitgenössische Kunst.

Text und Interview Alexandra Wendorf

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Duesseldorf Photo Weekend

Nach dem großen Erfolg des Duesseldorf Photo Wee-kends 2014 findet diese Veranstaltung nun zum vierten Mal von Freitag, 30. Januar bis Sonntag, 1. Februar 2015 statt. Zahlreiche Galerien, Museen und Instituti-onen aus der Düsseldorfer Kunst- und Fotografie-Szene öffnen ein Wochenende lang ihre Türen, zeigen Aus-stellungen und organisieren Veranstaltungen zum The-ma Fotografie.

Den Auftakt zum Duesseldorf Photo Weekend 2015 macht die Eröffnung am Donnerstagabend (29. Januar 2015) im NRW-Forum mit einer Ausstellung von Wer-ken aus der Sammlung der Deutsche Börse AG unter dem Titel „Human Nature“.

Gezeigt werden in dieser Ausstellung künstlerische Po-sitionen, die sich mit dem Verhältnis von Mensch und Natur fotografisch auseinandersetzen und es in einer Vielfalt von Landschaften inszenieren. Die Darstellung ursprünglicher Natur fernab der Zivilisation und die von Menschen verursachten Veränderungen von Land-schaft werden ebenso thematisiert wie die Anpassung des Menschen an seine selbstgeschaffene Umgebung. „Human Nature“ präsentiert Werke u.a. von Paul Alma-sy, Mike Brodie, John Davies, Axel Hütte, Vivian Maier, Simon Norfolk, Sebastião Salgado und Gunnar Smo-liansky. Die Ausstellung wird von Anne-Marie Beck-mann kuratiert.

Parallel hierzu eröffnet auch die Ausstellung “Neore-alismo: Die neue Fotografie in Italien 1932-1960” im rechten Flügel des NRW-Forums Düsseldorf. Diese Ausstellung analysiert die bestehende Beziehung zwi-

schen Fotografie und anderen Bereichen der Kunst, des Kinos und der Literatur. Die Ziele und Gründe, die die verschiedenen Autoren angetrieben haben, werden ge-genübergestellt um die Art und Weise ihrer Arbeit zu zeigen. Das Projekt zeigt auch eine neue Interpretation des Phänomens: die Idee, dass die Wurzeln des Neore-alismus in der Zeit des Faschismus zu finden sind. Die Fotografien lösen sich vom Mythos der „Bella Italia“ ab und stellten in eindrucksvollen Dokumentarbildern ein realistisches, karges, manchmal hartes Italien vor, das aber dennoch vor Leben zu strotzen scheint.

Zum Photo Weekend 2015 zeigt das AFORK im Museum Kunstpalast Künstlerporträts der 1941 in München ge-borenen Fotokünstlerin Maren Heyne. Von Düsseldorf aus, wo die Fotografin seit 1963 lebt und in der Künst-lerszene eng vernetzt ist, reiste sie für Reportagen um die Welt. Auf Vermittlung der Galeristin Annely Juda traf sie zahlreiche englische Künstler, darunter Lynn Chadwick und Henry Moore.

In einer zweiten Ausstellung zeigt das Museum Werke der in New York lebenden Künstlerin Vera Lutter. Sie arbeitet bevorzugt mit der Camera Obscura. Ihre schwarz-weißen Architektur- oder Landschaftsaufnah-men sind Unikate. Dadurch, dass die Negative als Er-gebnis gewählt werden, aber auch durch die extrem lange Belichtungszeit, wird der dargestellte Ort ent-fremdet und der optische Prozess beinahe greifbar.

Die Julia Stoschek Collection nimmt mit der aktuellen Ausstellung „Number Nine: Elizabeth Price“ ebenfalls am Düsseldorf Photo Weekend 2015 teil.

Die Ausstellung widmet sich der britischen Künstlerin und Turner-Prize-Trägerin von 2012, Elizabeth Price (1966 geboren in Bradford, Großbritannien, lebt und arbeitet in London, Großbritannien). Elizabeth Price arbeitet seit 2006 vornehmlich mit dem digitalen Be-wegtbild. Zentrales Interesse ihrer konzeptuellen, in-stitutionskritischen Arbeiten ist die Untersuchung der Bedeutung von kulturellen Artefakten, Sammlungen und Archiven. Price erforscht in einer analytischen Erkundung des jeweiligen Ortes alle nur erdenklichen Materialquellen und entwirft dort stattfindende fil-mische Geschichten ohne unmittelbare Handlungsbe-teiligung von Menschen.

Ergänzt wird das Ausstellungsprogramm des Duessel-dorf Photo Weekends, durch eine Reihe von weiteren Veranstaltungen. Auch das Portfolio Review lädt wie-der ein, am Samstag, dem 1. Februar 2014, von 12.00 bis 20.00 Uhr im NRW-Forum. Ab dem kommenden Photo Weekend erscheint hierzu eine Edition mit 15 Fotografen, die von einer internationalen Jury ausge-wählt wurden, in limitierter Auflage.

Die Galerien eröffnen mit ihren Ausstellungen zum Duesseldorf Photo Weekend am Freitag, den 30. Ja-nuar mit internationalen zeitgenössischen Positionen zur Fotografie von 18.00 bis 21.00 Uhr. Düsseldorf will mit diesem Wochenende erneut zeigen, dass diese Stadt eine Metropole der künstlerischen Fotografie ist und damit sowohl für Künstler und Sammler gleicher-maßen immer mehr an Bedeutung gewinnt.

Eine Stadt im Zeichen der Fotografie.

Maren Heyne, Hans-Peter Alvermann, 1965, Silbergelatine auf Barytpapier, 33,1 x 29,1 cm,AFORK (Archiv künstlerischer Fotografie der rheinischen Kunstszene) Museum Kunstpalast, Düsseldorf, Foto: © Maren Heyne.

BEILAGEDÜSSELDORF PHOTOWEEKEND

www.duesseldorfphotoweekend.de

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Die Handschrift des Fotografen Was hat Fotografie mit Kunst zu tun?

Text Christina Leber

Die Fotografie ist ein Material, wie es zeitgemäßer nicht sein könnte. Nicht nur spiegelt sie verschiedeneGeschwindigkeiten und beherbergt in diesen alle Be-griffe von Zeit, sondern sie ist auch das wandlungs-fähigste Material. Die Kombinationsmöglichkeiten im Crossover der Verfahren sind unendlich vielfältig. Von der Suche nach dem Motiv und der Verbindung dessel-ben mit der technischen Machbarkeit, davon soll hier die Rede sein.

Die Entwicklung der Fotografie nachzuzeichnen kann nicht Aufgabe dieses Textes sein. Nur so viel sei gesagt: In ihren Anfängen war die Fotografie bestrebt, eher ab-bildendes Medium zu sein, was ihr zunächst aber nicht gelang, da die Belichtungszeit einige Hindernisse mit sich brachte. So mussten die Personen, die ein Portrait herstellen lassen wollten, nicht wenig Geduld mitbrin-gen, um auf eine Platte gebannt zu werden. Ebenso brachte das Fotografieren der Stadt, wie in dem frühen Straßenbild von Louis Daguerre Boulevard du Temple von 1838, einige Schwierigkeiten mit sich. Bei einer Belichtungszeit von 15 bis 30 Minuten waren zwar die Häuser und Straßen zu erkennen, aber die Wege blieben menschenleer. Nicht etwa weil dies der Reali-tät entsprochen hätte, sondern weil die Bewohner sich zu schnell bewegten, um auf der Platte festgehalten zu werden.

Von Beginn an interessierten sich Maler für das neue Medium und nutzten es vor allem als Skizzenbuch; um in Ruhe ihre Landschaften, Portraits, Stillleben etc. ent-wickeln zu können, verwendeten sie die Fotografie als Vorlage. Man könnte also sagen, dass die Fotografie in ihren Anfängen eher eine dokumentarische Funktion hatte. Im Verlauf der technischen und chemischen Wei-terentwicklung wurden die Belichtungszeiten immer kürzer, die chemischen Prozesse im Nachgang immer sicherer und die Kameras immer kleiner. Damit ge-wann die Fotografie an Flexibilität. Sie wurde schneller. Sie wurde intuitiver.

Die eingangs aufgestellte Behauptung, dass die Foto-grafie in ihren Anfängen eher ein abbildendes Medium gewesen sei, wird im Folgenden bereits widerlegt. Es gab nicht wenige Fotografen, die das Ziel verfolgten, sich nicht mit der Abbildung der Realität zufriedenzu-geben. Sie erzeugten Bilder einer Wirklichkeit, die es so nie gegeben hat. Der berühmteste unter ihnen ist Hippolyte Bayard, den man neben Louis Daguerre als einen Erfinder der Fotografie nennen sollte. Er entwi-ckelte das Direktpositiv-Verfahren, indem er nicht, wie Daguerre, eine Metallplatte verwendete, sondern seine Fotografien direkt auf normales Schreibpapier belichte-te, das er mit Silberchlorid überzog. Der Nachteil dieses Verfahrens war, dass es kein Negativ gab, so dass das Motiv nicht vervielfältigt werden konnte. Ein Verfah-ren, das Edwin Herbert Land weiterentwickelte und das er sich 1933 als Polaroidverfahren patentieren ließ.

Aber zurück zu Hippolyte Bayard. Er veröffentlichte 1840 eine Aufnahme, der er den Titel Autoportrait en noye gab. Sie stellt ihn selbst als Ertrunkenen dar und gilt als die erste fotografische Fälschung. Man kann sie aber auch als erste inszenierte Fotografie bezeichnen, lange bevor die inszenierte Fotografie in den 70er Jah-ren des 20. Jahrhunderts Einzug in den kunsttheore-tischen Diskurs hielt. In einem dem Foto beiliegenden Brief begründete er seinen fingierten Selbstmord mit der mangelnden Anerkennung für sein Verfahren.

Heute gibt es so zahlreiche Techniken in der Fotogra-fie, dass sie in der Vielseitigkeit ihrer Ausdrucksmittel der Malerei in nichts nachsteht. Dabei spielen immer zwei Prozesse eine Rolle, in die der Fotograf eingreifen kann: zum einen die Belichtung eines Films, der Dia-film, Schwarz-Weiß- oder Farbfilm sein kann, aber auch digital hergestellte Bilder, die auf einem Datenträger gespeichert werden. Zum anderen sind die Methoden des Drucks entscheidend, die mit unterschiedlichen Mitteln das Bild auf einen Träger bannen, der aus Pa-pier, Baumwolle oder Polyethylen besteht. Die Verfah-ren, aus denen hier gewählt werden kann, reichen von Druckverfahren bis hin zur Belichtung auf den unter-schiedlichsten Fotopapieren. Spezialpapiere seien hier nur zwei erwähnt: das Polaroid und das llfochrome, die als Bildträger andere Belichtungstechniken verfolgen als die herkömmlichen Fotopapiere. Die Heliogravur beispielsweise, die ihrem Verfahren

nach eine Radierung ist und seit 1880 bereits von Wil-liam Henry Fox Talbot, einem weiteren Begründer der Fotografie, verwendet wurde, zählt wie auch der Tin-tenstrahldruck mit pigmentierter Tusche, der seit 2002 bei der Farbreproduktion zur Anwendung kommt, eher zu den Grafiken als zu fotografischen Techniken. Das Einzige, was diese Erzeugungsmittel noch mit Fotogra-fie zu tun haben, ist die Tatsache, dass die Bilder, ob im Fotoapparat oder aus dem Internet, noch von einer

vermeintlich realen Wirklichkeit herrühren. In diese Verfahren wird so mannigfaltig eingegriffen, die Tech-niken werden so vielseitig miteinander verwoben, dass man in der Fotografie, spätestens nach der Digitalisie-rung, von einer sich potenzierenden Auswahl von Aus-drucksmitteln sprechen kann.

Wenn wir uns also der Fotografie als Kunst widmen, dann scheint es nicht mehr um technische Machbarkeit zu gehen, sondern um eine Lesbarkeit der Bilder. Die Technik ist also höchstens noch eine Unterstützung der bildnerischen Inhalte und kein Hinderungsgrund mehr, eine Bildsprache zu entwickeln. „Das Prinzip der Ka-mera hat sich verändert. [... Es] ist nicht mehr das Me-chanische, sondern das des Denkens“, so Karl Pawek in seinem Buch „Die neue Dimension der Fotografie“. Hier sind wir auch schon mitten im Diskurs angekommen, der spätestens seit Roland Barthes in der Mitte des 20. Jahrhunderts, aber im Grunde auch schon früher Inhalt der Kunsttheorie gewesen ist. Nämlich dass die Foto-grafiekritik weniger in der Fotografie als vielmehr in einer Wahrnehmungskritik begründet liegt. „Das Bild ist Re-Präsentation, d.h. letztlich Wiederbelebung“, und an anderer Stelle schreibt Barthes: „Den Signifikanten auszumachen ist nicht unmöglich [„], aber es erfordert einen sekundären Akt des Wissens oder der Reflexion.“ Diese, die Reflexion nämlich, bezieht den Betrachter ge-nauso in die Rezeption von Kunst ein wie den Autor und verbindet das Wissen des einzelnen Menschen und der Vielzahl der Menschen miteinander, die mit Kunst jeglicher Art, ja mit der Welt in Beziehung stehen. In-teressant daran ist, dass Bilder auf diese Weise immer neue Informationen und Inhalte bereithalten, die von unterschiedlichen Menschen, zu unterschiedlichen Zeiten, in unterschiedlichen Kulturen gemacht und von verschiedenen Kontexten aus anders gelesen werden. In der Aneignung möglichst vieler dieser Sichtweisen erlangt ein jeder sein Wissen.

Kunst sei, so Wulf Herzogenrath bei einer Diskussion mit dem Hirnforscher Ernst Pöppel am Hanse-Wis-senschaftskolleg in Delmenhorst am 08.03.2012, ein Aha-Erlebnis. Oder anders gesagt, das Bewusstsein für eine andere, eine neue Perspektive, wie man sie noch nicht eingenommen hat oder einnehmen konnte.

Insofern erscheint eine Differenzierung der Begrifflich-keit Fotografie dringend erforderlich, um die Vielfalt der Materialitäten und Herangehensweisen der Künst-ler verständlich zu machen. Man sollte auch nicht von Fotografen sprechen, sondern von Künstlern. Durch die Konfrontation der Künste untereinander, egal ob Male-rei, Bildhauerei, Fotografie und all die anderen, erhält der Betrachter neue Bildzusammenhänge, die ihn be-fähigen, eigenmächtig Verbindungen herzustellen und Rückschlüsse zu ziehen, an die er zuvor noch nicht ge-dacht hat.

Dass Kunst sich immer wieder auf sich selbst bezieht und Künstler einander zitieren, haben wir immer schon gewusst. Es ist aber offensichtlich, dass die Verbindung der Gattungen untereinander eine Offenbarung der Sichtweisen von Kunstwerken erkennen lässt. Und da wir auch wissen, dass jeder von uns andere Erfahrungen macht, geht es uns im Austausch miteinander am Ende wie der Fotografie und ihrer Technikvielfalt. Es könnte uns gelingen, potenzartig mehr über Kunst zu lernen als bisher, so dass beim Sehen und Entdecken unserem of-fen stehenden Mund zu guter Letzt ein „Aha!“ entfährt.

Oben: Hippolyte Bayard, Selbstportrait als Ertrunkener, 1840. Unten: Die älteste erhaltene Daguerreotypie von

Louis Daguerre aus dem Jahr 1837.

„Die Fotografie ist das, was ein Künst-ler aus ihr macht.“

Im Rahmen des Duesseldorf Photo Weekends 2015 zeigt das NRW-Forum Düsseldorf: „Human Nature“, Art Collecti-on Deutsche Börse. 30.01.2015 – 19.04.2015

www.nrw-forum.de | deutsche-boerse.com

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Im Jahr 1999 hat das die Deutsche Börse mit dem Auf-bau der Art Collection Deutsche Börse begonnen, die sich der zeitgenössischen Fotografie widmet. Heute um-fasst die Sammlung circa 1.000 überwiegend großfor-matige Arbeiten von rund 100 internationalen Künst-lern. Die Fotografien der Art Collection Deutsche Börse sind an den Standorten der Gruppe Deutsche Börse in Eschborn bei Frankfurt, Luxemburg, Prag, London und Zürich zu sehen. Sie geben den Gebäuden ein individu-elles Gesicht und inspirieren Mitarbeiter und Besucher.

Die Art Collection ist thematisch nicht begrenzt und ihre Motive reichen von Landschaften und Architektur über Innenräume und Großstadtszenerien bis zu Por-träts. Um die Besonderheit der jeweils individuellen Bildsprache erkennbar werden zulassen, werden in der Sammlung immer mehrere Arbeiten eines Künstlers gezeigt. Zudem wird der Sammlungsbestand kontinu-ierlich erweitert; mit Neuerwerbungen und Umhän-gungen der vorhandenen Werke werden neue, Konstel-lationen – und damit eine lebendige Präsentation der Sammlung. In der Unternehmenszentrale, The Cube, in Eschborn werden regelmäßig thematische Sonder-ausstellungen präsentiert. Ab dem 30. Januar bis zum 19. April 2015 wird im Rahmen des Duesseldorf Photo Weekends das NRW-Forum Düsseldorf mit der Ausstel-lung „Human Nature“ Werke aus der Sammlung prä-sentieren.

„Human Nature“ zeigt künstlerische Positionen, die sich mit dem Verhältnis von Mensch und Natur foto-grafisch auseinandersetzen und es in einer Vielfalt von Landschaften inszenieren. Sie erzählen uns somit nicht nur von der Naturwahrnehmung des Menschen, son-dern vor allem auch von der menschlichen Natur. Die Darstellung ursprünglicher Natur fernab der Zivilisa-tion und die von Menschen verursachten Veränderun-gen von Landschaft werden ebenso thematisiert wie die Anpassung des Menschen an seine selbstgeschaffene Umgebung. „Human Nature“ präsentiert Werke u.a. von Paul Almasy, Mike Brodie, John Davies, Axel Hüt-te, Vivian Maier, Simon Norfolk, Sebastião Salgado und Gunnar Smoliansky.

Anlässlich des 15-jährigen Jubiläums der Sammlung sprachen wir mit der Kuratorin der Ausstellung „Human

Nature“, Dr. Anne-Marie Beckmann, die seit 15 Jahren auch verantwortliche Kuratorin der Art Collection Deut-sche Börse ist.

nicolai: Die deutsche Börse kann in diesem Jahr 15-jäh-riges Jubiläum ihrer Kunstsammlung feiern. Wie kam es zur Entscheidung, sich auf Fotografie zu spezialisieren? Anne-Marie Beckmann: Anlass war der Umzug in einen größeren Unternehmenssitz 1999. Doch sollte nicht eine Sammlung zu Dekorationszwecken aufgebaut wer-den, sondern eine Kollektion von musealer Qualität mit eigenem Profil. Fotografie deshalb, weil zu dieser Zeit in diesem Bereich sehr viel passierte, auch unter tech-nischen Aspekten.

Es sollte auch der Arbeitswelt etwas entgegen gesetzt werden: Die Mitarbeiter hier sind von Zahlen und Gra-fiken umgeben, Fotografie offeriert ihnen die Möglich-keit einer anderen Sichtweise auf die Welt - und zwar der des Künstlers. Im Dialog mit Mitarbeitern merkt man, dass in der Tat der Blick geschärft wird, sie sich ein differenziertes Bild von der Gesellschaft machen. Zudem bieten die Räumlichkeiten die Möglichkeiten, auch große Formate und Serien zu präsentieren, auch in konservatorischer Hinsicht. 90 Prozent unserer Be-stände werden gezeigt.

Inzwischen ist die Sammlung auf etwa 1000 Arbeiten von 90 internationalen Künstlern angewachsen. Geht die Sammlungstätigkeit weiter und wenn eher in die Breite oder in die Tiefe - liegt der Schwerpunkt auf Vielfalt oder auf der Verstärkung einzelner künstlerischer Positionen? Es geht um beides, die Sammlungstätigkeit ist ein dyna-mischer Prozess, sie ist nicht abgeschlossen. Jedes Jahr kommt ein Konvolut hinzu, es gibt auch thematisch kei-ne Bindung an das Geschäft der deutschen Börse. Wir wollen ergründen und dokumentieren: was passiert Neues? Das müssen nicht immer junge Positionen sein, auch bereits hier vertretene Künstler werden weiter be-obachtet.

Wer entscheidet über die Auswahl und wie wird sie ge-troffen? Ich habe das große Glück, dass ich als Kuratorin ei-genverantwortlich agieren darf, doch der Austausch mit einem Partner wie Jean-Christophe Amman ist mir

Eine andere Sicht auf die Dinge Mit dem Blick des Fotokünstlers die Welt betrachten.

Text und Interview Dorothee Achenbach

sehr wichtig. Nach so vielen Jahren ist man auch gut vernetzt, und ich besuche natürlich Messen und Aus-stellungen, studiere Kataloge und bin Jury-Mitglied bei verschiedenen Auslobungen, da wir als Unternehmen auch Stipendien und Förderungen vergeben. Ich treffe jeden Künstler persönlich, auch nach dem Kauf: er soll z. B. wissen, in welchem Umfeld seine Werke hängen.

Wie darf man sich den Entscheidungsprozess vorstellen? Der braucht Zeit, und die nehme ich mir. Die Werke werden mehrfach betrachtet, ich recherchiere und es werden Serien erworben, nicht Einzelwerke.

Inwieweit identifizieren sich die Mitarbeiter mit der Sammlung? Die Mitarbeiter sind unser Hauptpublikum! Sie werden pro-aktiv eingebunden, die Vermittlungsarbeit ist uns sehr wichtig, wir möchten ja, dass die Kunst inspiriert. Wie bieten u.a. Führungen an und Vernissagen; und es gibt einen Mitarbeiter-Fotowettbewerb, über dessen Gewinner die Mitarbeiter abstimmen.

Das Thema der aktuellen Schau „Human nature“ - wie kam es zu dem Konzept? Es ist ein spannendes, gerade sehr aktuelles Thema in der Fotografie und wenn man sich die Positionen an-schaut, stellt man trotz unterschiedlicher Bildsprachen Überschneidungen fest. Es geht um Ideen von unbe-rührter Landschaft, von Stadtlandschaft, um das Zu-sammenspiel von Mensch und Natur.

Was würden sie Menschen empfehlen, die eine Samm-lung aufbauen möchten - auch mit kleinerem Budget? Man sollte sich die Zeit nehmen, vieles anzuschauen und sich zu informieren. Und dann seiner Intuition folgen, nicht dem Markt. So gibt es im Bereich der Re-portage - und Dokumentarfotografie wahre Schätze zu entdecken!

Links: Geert Goiris, Futuro, 2002, Foto: © Geert Goiris. Rechts: Vivian Maier, N.Y. 11, 1954, Foto: © Vivian Maier/John Maloof Collection

Duesseldorf Photo Weekend

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Teilnehmende Galerien, Museen und Institutionen

Ehrenhof

1. NRW-Forum DüsseldorfEhrenhof 2www.nrw-forum.de

2. IKS MEDIENARCHIVInstitut für Kunstdokumentation und SzenografieEhrenhof 2www.iks-medienarchiv.de

3. IMAI- inter media art instituteEhrenhof 2www.imaionline.de

4. Stiftung Museum KunstpalastEhrenhof 4-5www.smkp.de

Altstadt

5. Galerie VossMühlengasse 3www.galerievoss.de

6. Buchhandlung Walter KönigGrabbeplatz 4www.buchhandlung-walther-koenig.de

7. Schmela Haus, Kunstsammlung Nordrhein-WestfalenMutter-Ey-Straße 3www.kunstsammlung.de

8. Galerie Cora & Daniela HölzlMutter-Ey-Str. 5www.galerie-cora-hoelzl.de

Innenstadt

9. Setareh GalleryKönigsallee 27-31www.setareh-gallery.com

10. Haus der UniversitätSchadowplatz 14www.hdu.hhu.de

11. Galerie Bernd A. LausbergHohenzollernstr. 30www.galerie-lausberg.com

12. Kunstraum49Galerie Shia BenderGraf-Adolf-Straße 49www.kunstraum49.com

13. v. Fraunberg art galleryLuisenstraße 53www.vonfraunbergart.com

14. Galerie Petra Nostheide-EÿckeKirchfeldstraße 84www.galerie-nostheide-eycke.de

Patric Colling, Resplendence II, 100 x 100 cm, Lightjet-Print auf Alu-Dibond, Auflage 6, Foto © Patric Colling

Martin Streit, Figur in Gelb, London, 2014, Camera Obscura, Pigmentdruck auf Alu Dibond, 150 x 100 cm, Foto ©: Martin Streit.

Kanjo Také, INVISION, 2007, 180 cm x 120 cm, Fine Art Print Aludibond Diasec, Foto ©: Kanjo Také.

Carlstadt

15. Conzen am CarlsplatzBenrather Straße 8www.conzen.de

16. Villa GriesebachBilker Str. 4www.villa-griesebach.de

17. Galerie Peter TeddenBilker Str. 6www.galerie-tedden.de

18. JANZEN Galerie DüsseldorfBastionstaße 13www.janzen-galerie.com

19. Beck & EggelingBilkerstraße 5 + 4-6www.beck-eggeling.de

20. Sies + Höke GaleriePoststraße 2+3www.sieshoeke.com

Katharina Kiebacher, Eighties Room, C-Print, 64 x 70 cm, 2014, Foto ©: Katha-rina Kiebacher.

21. Galerie Clara Maria SelsPoststr. 3www.galerie-claramariasels.de

22. TZR Galerie Kai BrücknerPoststraße 3www.tzrgalerie.de

23. Galerie des PolnischenInstituts DüsseldorfCitadellenstr. 7www.polnisches-institut.de

24. Christian Marx GalerieCitadellenstr. 10www.cm-galerie.de

25. DIRECT ART GALLERYCitadellenstraße 15www.directartgallery.de

26. Galerie Fischer-ZöllerCitadellstr. 25www.fischer-zoeller.de

Flingern

27. galerie.tHermannstraße 24www.galerie-t.de

28. Galerie Ruth LeuchterHermannstr. 36/ Ecke Lindenstraßewww.ruthleuchter.de

Katharina Kiebacher, Eighties Room, C-Print, 64 x 70 cm, 2014, Foto ©: Katha-rina Kiebacher.

Shinichi Tsuchiya, Recorder 1978, 2013, Inkjetprint, 130 x 50 cm, Foto ©: Shinichi Tsuchiya.

Maleonn (Ma Liang), Last Tango in Shang-hai, 60 x 90 cm, Auflage 8, 2009, Foto ©: Galerie Philine Cremer.

38. Raum e.V.Sonderburgstr. 2www.raumfuerkunst.org

39. Burkhard Eikelmann GalerieDominikanerstraße 11www.burkhardeikelmann.com

40. Galerie Kiki Maier-HahnLuegallee 130/ Belsenplatzwww.maier-hahn.de

41. RaumsechsTemporärer Ausstellungsraum Hansaallee 159, Hinterhof,

www.raumsechs.de

Ratingen

44. Museum RatingenPeter-Brüning-Platz 1Grabenstraße 21www.stadt-ratingen.de

Duesseldorf Photo Weekend

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Teilnehmende Galerien, Museen und Institutionen

29. Galerie ConradsWalter Conrads/Helga Weckop-ConradsLindenstraße 167www.galerieconrads.de

30. WeltkunstzimmerRonsdorfer Str. 77awww.weltkunstzimmer.de

31. Galerie Philine Cremer GmbHAckerstraße 23www.philinecremer.com

32. Filmwerkstatt Düsseldorf e.V.Birkenstraße 47www.filmwerkstatt-duesseldorf.de

Bilk

33. Kunstraum e.V. Himmelgeisterstraße 107www.kunstraum-duesseldorf.de

34. Atelier am EckHimmelgeister Straße 107e40225 Düsseldorf

Reisholz

35. Walzwerk NullWalzwerkstraße 14

www.walzwerknull.de

Oberkassel

36. Julia Stoschek CollectionSchanzenstraße 54www.julia-stoschek-collection.net

37. Galerie KellermannCheruskerstraße 105www.galerie-kellermann.de

nicolai-BEILAGE DUESSELDORF PHOTO WEEKEND

VERLEGERnicolai-ZeitungsmagazinAndreas v. Stedman BeratungMeckenheimer Str. 4753919 Weilerswistwww.nicolai-mag.de

CHEFREDAKTEURINAlexandra Wendorf [email protected].: +49-228-390 74 58Mobil: 0163-704 94 94

REDAKTIONSLEITUNG DIESER BEILAGEDr. Dorothee Achenbach, Düsseldorf

TEXTBEITRÄGEDr. Christina Leber, Leitung Kunstsammlung DZ-Bank; Dr. Anne-Marie Beckmann, Kuratorin Art Collection Deutsche Börse

KARTE UND GALERIENLISTEClara Sels & TeamPoststr. 340213 DüsseldorfTel: +49(0)211-328020E-Mail:[email protected]

DRUCKBechtle Druck & Service GmbH & Co. KGZeppelinstraße 116

73730 Esslingen

© Abbildungen liegen bei den jeweiligen Künst-lern sowie bei den angegebenen Fotografen und Institutionen.

Vervielfältigungen jeglicher Art, auch aus-zugsweise, sind verboten. Nachdruck nur mit Genehmigung des Verlages sowie stets nur mit Quellenangabe statthaft. Für unverlangt ein-gesandte Manuskripte, Bild- oder Fotomaterial übernehmen wir keine Gewähr. Namentlich ge-kennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Copyright © 2015, nicolai-Zeitungsmagazin

Hans Christian Schink, Sakamoto, Kitayamakami, Miyagi Prefecture, Foto: © Hans-Christian Schink, Courtesy Kicken Berlin und Galerie Rothamel Frankfurt.

Maleonn (Ma Liang), Last Tango in Shang-hai, 60 x 90 cm, Auflage 8, 2009, Foto ©: Galerie Philine Cremer.

Anne Poehlmann, PURPLE_0103, 2014, Foto ©: Anne Poehlmann.

Julian Faulhaber, location III, 2010, Pig-ment Print, 57 x 38 cm, © Julian Faulha-ber/VG Bildkunst Bonn.

Luca Kohlmetz, Antwerpen I, 2014, Foto: © Luca Kohlmetz.

Honkong-24.11.2014, Foto ©: Dieter Nuhr.

Duesseldorf Photo Weekend

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Teilnehmende Galerien, Museen und Institutionen, Plan und Termine

Termine & AusstellungenLaufzeit des Duesseldorf Photo Weekends: 30. Januar – 01. Februar 2015

Eröffnung der Ausstellungen im NRW-Forum: 29. Januar 2015, 19.00 Uhr

Human Nature, Art Collection Deutsche Börse: 30. Januar – 19. April 2015

NeoRealismo, Die neue Fotografie in Italien 1932 – 1960: 30. Januar – 19. April 2015

Portfolio Review 2015: 31. Januar 2015, 12.00 – 19.30 Uhr

Öffnungszeiten der Galerien: 30. Januar, 18.00 – 21.00 Uhr31. Januar, 12.00 – 20.00 Uhr1. Februar, 12.00 – 18.00 Uhr

Die einzelnen Nummern auf der Karte verweisen auf die Galerien, Museen und Kulturinstitutionen, die an dem Duesseldorf Photo Weekend beteiligt sind und auf den Seiten 18-20 aufgelistet sind.

Pietro Donzelli, Costiera Amalfitana, 1954, Foto ©: Estate Pietro Donzelli, Re-nate Siebenhaar, Frankfurt a.M.

Kaiserswerth

42. Galerie Ute ParduhnKaiserswerther Markt 6awww.galerie-parduhn.de

43. Kunstarchiv KaiserswerthSuitbertus-Stiftsplatz 1www.smkp.de

Felsenszene, 1994, Fotografie, Foto ©: Cécile Bauer.

Mit virtuellem Licht malen Thomas Ruff auf der Suche nach dem Wesen des Lichts.

Text Marianne Hofmann

Thomas Ruff, rechts u. links: Phg., r.phg.s.02 und 05, 2012, aus der Serie: Photogramme, C-prints. Mitte: Neg. india_01, 2014, aus der Serie: Negative, Chromogenic print © VG Bild-Kunst, Bonn 2014

Das Wort Fotografie ist ein Kunstwort griechischen Ursprungs und bedeutet “mit Licht malen”. So ist zum Beispiel der Begriff Lichtbild nicht von ungefähr ent-standen. So ist es dennoch ein wenig ungewöhnlich, dass die zuvor in Gent und nun in Düsseldorf gezeigte Ausstellung mit Werken von Thomas Ruff „Lichten“ heißt. Sowohl im Niederländischen, als auch im Deut-schen wird dieser Begriff unterschiedlich gebraucht. Erhellen, Helligkeit und enthüllen sind nur einige As-soziationen. Spektakulär ist, dass Thomas Ruff für sei-ne dort erstmals gezeigten Photogramme das Super-computing Center in Jülich mit ins Boot holte. Denn, so stellte er sich bald die Frage: Was macht man, wenn die 6 Pc’s und 3 Mac’s zu Hause nicht ausreichen, um die jüngsten Ideen umzusetzen?

Für seine Neuinterpretationen alter Künstlerversuche aus den 20er Jahren von Man Ray und Moholy Nagy: die Photogramme. Man Ray und Moholy-Nagy ver-suchten Bilder ohne Kamera in der Dunkelkammer entstehen zu lassen, indem sie Gegenstände auf licht-empfindlichem Papier arrangierten und belichteten. Die Abbildungen, die zum Vorschein kamen, waren schwach erkennbar, dafür umso geheimnisvoller. Thomas Ruff wollte diese Technik ins 21. Jahrhundert überführen. Mit seinem hauseigenen Computing-Cen-ter hätte er für ein Bild mindestens ein halbes Jahr gebraucht. Und das Ergebnis wäre keine hundertpro-zentige Auflösung geworden, schon gar nicht in Farbe, so wie Ruff es geplant hatte.

Durch ein Gespräch mit Norbert Fleck, dem ehema-ligen Intendanten der Bundeskunsthalle Bonn, wur-de er auf die Idee gebracht, sich um Rechenzeit im Forschungszentrum Jülich zu bewerben. Dort stehen Deutschlands Supergehirne, seit 2013 auch der Su-percomputer „Jucqueen“, der so schnell ist wie etwa 100.000 PCs. Aber dieser Computer sollte es für Tho-mas Ruff nicht sein.“ Juropa“ (Jülich Research on

Petaflop Architectures) so die Abkürzung für einen Computer, der über 52 Terabytes verfügt, war für dieses Experiment geeignet. In Jülich steht er in einer gigan-tischen Halle mit den anderen Computerriesen. Und alle die dort stehen, erzeugen immensen Lärm, da sie ständig heruntergekühlt werden müssen. Wenn man diese Halle betritt, sieht man keinen Monitor, keine Ta-statur, keinen Menschen. Höchstens einmal einen Tech-niker, der irgendwelche Platten wechselt. Normalerwei-se nutzen Physiker, Chemiker oder Biologen die Anlage und lassen dort komplizierte Formeln errechnen. Zum ersten Mal in der Geschichte des Computerzentrums hat ein Künstler sich an Jülich gewandt. Und da für „Ju-ropa“ eine gründliche Aufrüstung und Überprüfung an-stand, sah man in der Bildberechnung für Ruff eine un-gewöhnliche - zumal künstlerische - Herausforderung.

Bei Ruffs neuartigen und abstrakten Photogrammen, die nichts gemein haben sollten mit dem Schwarz-weiß auf Fotopapier in der Dunkelkammer, fielen große Da-tenmengen an. Der Künstler verwendete im Schnitt drei virtuelle Lichtquellen pro Photogramm. Bei einer Bildgröße von 2,20 Meter mal 1,80 Meter entsteht so ein Datenvolumen von 18 Terabyte. Im Computer wird virtuelles Licht auf virtuelle Gegenstände, die auf virtu-ellem Papier liegen, projiziert. „Diese virtuelle Dunkel-kammer,“ so Thomas Ruff, „hat für mich drei Vorteile: die Bilder sind nicht auf die Größe des Fotopapiers be-schränkt, am Computer kann ich schnell und einfach Gegenstände sowie Lichtquellen verändern, und es entstehen im Gegensatz zur analogen Welt farbige Pho-togramme.“ 20 Bilder mit einer Auflösung von bis zu 23.500 x 17.600 Pixeln sind in Jülich errechnet worden und das Ergebnis sah man zum ersten Mal im S.M.A.K in Gent und daraufhin in der Düsseldorfer Kunsthalle.

Neben den Photogrammen hat Ruff eine Serie von “Negativen” entwickelt, indem er sepiafarbene alte Po-sitivabzüge von Künstlerateliers, Akten, prunkvollen

Maharadscha-Portraits der Kolonialzeit in Negative umgewandelt hat. So entstand am Computer in kaltem blauen Licht eine besondere Wirkung: was hell war, wurde dunkel, was dunkel war, wurde hell.

Ruff der eigentlich Astronom werden wollte, kam in den Besitz von Archivfotos des European Southern Observatory in Chile. Er vergrößerte Bildausschnitte und erschuf Sternenwelten, vor dunklem Hintergrund. Manche der abgebildeten Sterne sind mittlerweile ver-schwunden. Es war das erste Mal, das Ruff nicht selbst zur Kamera gegriffen hatte, sondern aus der Bearbei-tung heraus neue Kunstwelten schuf. Und immer wie-der war er ein getriebener in Sachen Technik.

Und nun “Phg”; der Computer macht farbige Photo-gramme möglich. Seit 2012 arbeitet Ruff an diesem Pro-jekt. Bildwelten, die aussehen als hätte man abstrakte Kaleidoskope abgebildet oder Ausschnitte aus Kathe-dralenfenster; mithilfe 40 Millionen Euro teurer Rech-ner aus Jülich und der Kooperation mit PC-Fachleuten, die selbst nicht wussten, wie das Ergebnis aussehen würde. In gewisser Weise sind bei diesem Projekt tech-nische Portraits des Lichts entstanden. Momentaufnah-men, die nicht nur den Blick des Künstlers, sondern auch den des Forschers offenbaren. So steht die Ko ope-ra ti on zwi schen Künst ler und For schungs institut auch für ein zeitgemäßes Mo dell des Zu sam men wir kens von Kunst und Wis sen schaft und Technik. Doch, was ist Ruff nun eigentlich? Fotograf, Maler oder Forscher? Fragt man ihn selbst, so hat er eine einfache Antwort: “Ich bin Künstler.“

Zur Ausstellung ist in Zusammenarbeit mit ROMA, Amster-dam, ein Katalog mit Beiträgen von Philippe Van Cauteren, Robert Fleck, Gregor Jansen, Thomas Ruff, Wenzel S. Sping-ler, Valeria Liebermann und Martin Germann erschienen.www.kunsthalle-duesseldorf.de

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Chromatic Fragments Farben wie Licht – Die Malerei von Nike Seifert

Text Alexandra Wendorf

Nike Seifert, Interacting, Leim, Kreide, Blattaluminium, Pigmente, Lack, 120 x 160 x 9 cm, 2014

Künstlerische Ideen gleichen oftmals Geistesblitzen. Sie entwickeln sich spontan und situativ, brechen aus dem Künstler heraus und drängen zur Umsetzung. Künstlerische Ideen basieren aber auch auf detail-lierten Planungen und langfristigen Überlegungen, sind Ergebnis prozesshafter Arbeit. Nike Seifert ver-bindet beide Vorgehensweisen und erschafft Bilder, die sich durch Spontaneität und Ratio gleichermaßen auszeichnen. Ihre Werke vereinen die dem Moment verhaftete Abstraktion und können doch auch eine dem Kalkül entsprungene Farbkomposition sein.

Ihre künstlerische Arbeitsweise erinnert an den franzö- sischen Tachismus der 1940er bis 60er Jahre, bei dem der spontane Malakt die dem Künstler innewohnende kreative Kraft sichtbar machen sollte. Unbewußt und aus dem Moment geboren. Ähnlich wie im deut-schen Informel der 1950er Jahre entstanden Bilder, die Ausdruck eines dynamischen, spontanen Mal- vorganges waren, ungegenständlich und abstrakt. Auch wenn Nike Seifert sich auf diese Kunst nicht ausdrück-lich bezieht, scheinen dennoch ihre schon frühen Be-rührungen mit Werken des Informel und ganz beson-ders die Auseinandersetzung mit Kunstwerken von und die persönliche Begegnung mit Peter Herkenrath in dessen Atelier eine prägende Rolle für ihr eigenes Werk zu spielen.

Ebenso wie Künstler des Informel schöpft Nike Seifert ihre künstlerische Motivation aus der Kraft der reinen Malerei. Es gibt keine bestimmte Motivwahl, sondern ein geradezu eruptives Herausarbeiten aus der Farbe und dem Arbeitsvorgang des Malens selbst. Pinsel, Ra-kel oder Spachtel kommen zum Einsatz und lassen so Werke mit Strukturen und unregelmäßigen Farb- und Oberflächen entstehen. Zufall und Experiment sind das Ziel. Die Möglichkeit, jederzeit zu ändern, zu er-

gänzen oder zu übermalen sind wesentliche Merkmale dieser künstlerischen Arbeitsweise. Zuweilen ergeben sich Konturen, ist gar Gegenständliches zu erkennen, doch sind diese „Motive“ nie gewollt oder gar im Ent-stehungsprozess angelegt und beabsichtigt. Sie werden vielmehr später, nach Fertigstellung des Bildes von Nike Seifert entdeckt und inspirieren sie dann für die Wahl der assoziationsreichen Bildtitel.

In ihren oftmals großformatigen Bildern wird einmal mehr deutlich, wie die intensive Verwendung von Far-be sowohl kontrastreiche Spannung als auch harmo-nischen Gleichklang hervorzurufen vermag. Nike Sei-ferts Bilder sind das Ergebnis eines leidenschaftlichen Malprozesses, in dem sich kraftvoll aufgetragene, un-zählig übereinandergeschichtete und wieder abgetra-gene Mineralien und Pigmente miteinander verbinden. Die Verwendung von Feinmetallen wie Gold und Silber lassen intensive Farbflächen entstehen, die strahlend- grell oder monochrom-erdig sein können.

Mittels reiner Naturmaterialien wie Kalk, Leim, Harz und einer schier unendlichen Palette von zum Teil hi-storischen Farbpigmenten, Öl- und Lackmixturen wer-den variationsreiche Kompositionen geschaffen. Da-bei spielt das Experiment ein wesentliche Rolle. Trotz des Wissens um die Wirkung der verschiedenen Ma-terialien spielt Nike Seifert auch hier mit dem Zufall und dem nicht vollends absehbaren Ergebnis. Aufbre-

chende Farbflächen, Risse und Abblätterungen kön-nen genauso entstehen wie gebundene Lackflächen oder körnige Schraffuren. Ähnlich verhält es sich auch mit der Farbgebung generell. Aus einem spontanen Reflex heraus, kann ein eben noch neon-gelbes Bild im nächsten Arbeitsschritt tiefrot und dunkel werden.

Nike Seiferts Werken kann man sich wohl am ehesten mit der Vorstellung nähern, Landschaften zu betrach-ten. Ob schneebedeckte Berge oder satte Graslandschaf-ten, das Meer oder wüstenartige Regionen, deren san-dige Töne in der Sonnenhitze zu flimmern beginnen. Es sind geistige Momentaufnahmen, die sich in den Struk-turen und Farbgebungen erkennen lassen und Frag-mente der Erinnerung, die sich in den Stimmungen der Bilder widerspiegeln. Auffallend sind auch die zahlreichen Anspielungen in den Bildtiteln zum Weltraum, der für Nike Seifert als Metapher des Unvorstellbaren gilt. So ist das nicht Erklärbare eine weitere wichtige Inspiration. Ebenso bezieht sie sich immer wieder auf das Licht und sei-ne vielfältigen Eigenschaften und Wirkungsweisen, verbindet explizit das Phänomen von Lichtreflexion und -absorbtion. Samtige Farbflächen kontrastie-ren mit stark reflektierenden Oberflächen. Subtil rufen die verwendeten Pigmente und Metalle stets sich ändernde Wirkungen hervor.

Mit ihrer Malerei eröffnet Nike Seifert dem Betrachter die Möglichkeit, je nach Standpunkt und Art der Licht-quelle, Farben und Formen immer wieder neu zu er-fahren, wobei die jeweilige Veränderung von Licht und Schatten weitere imaginäre Räume entstehen läßt.

www.nikeseifert.de

„Ihre Werke vereinen die dem Mo-ment verhaftete Abstraktion und können doch auch eine dem Kalkül entsprungene Farbkomposition sein.“

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Lesestoff

WIEDER MAL BERLIN

Berlin What? Das Buch krönt die bisherige Galeriearbeit der Herausgeber Oliver Thoben und Uwe Neu – unter dem Namen „Neonchocolate“ hatten sie zwischen 2010 und 2013 über hundert Ausstellungen in ihrem Galerie-raum in Berlin Prenzlauer Berg veranstaltet, oft mehrere in einer Woche.

Den Turbo werfen sie auch im Buch an: 500 Werke, über 100 Künstler, Bilder, die für sich sprechen, kein Aufhal-ten mit staubigen Erklärungen. Neu und Thoben folgen den Spielregeln des aktuellen Berlin. Sie haben sich über die regelmäßigen Veranstaltungen eine eigene Sze-ne geschaffen. Die Finanzierung des Buch-Projekts lief über Crowdfounding. Die kuratorische Behauptung ist selbstbewusst: Alle Werke entsprechen dem Geschmack der Galeristen und Buch-Macher, es ist ein „Herzblutpro-jekt“.

Bekannte Namen fungieren als Zugpferde: Tim Dinter, Danielle de Picciotto, Olaf Hajek, Jim Avignon. Darum gruppiert sich ein loser Verbund junger, aufstrebender Künstler: Bei jedem Einzelnen ist zu verstehen, warum sie die Aufmerksamkeit der Kuratoren auf sich gezogen haben. Jeder vertretene Künstler bietet eine ästheti-schen Eigenart, die er beherrscht, und die ihn erkennbar macht. Das Buch wartet durchaus mit Entdeckungen auf. Unnötig dabei übrigens die vorgenommene Aufteilung in „Gemälde“, „Illustration“, „Street Art“ „Skulptur“, „Colla-ge“: Die innere Verbindung der gewählten Arbeiten lässt sich nur schwer in dieses Schubladendenken pressen.

Jenseits der jeweils eigenen Handschrift werfen die meisten Positionen selten zukunftsweisende Behauptun-gen auf. Thoben und Neu setzen sich bewusst von dem, was als Kunstmarktgeschehen auftritt, ab. Sie interessie-ren sich augenscheinlich eher nicht für Kunstdiskurse, die sich mit einem drehenden Plattenteller und einem Flaschengetränk beißen würden. Das ist nicht schlimm, gerade das ist auch ein Stück Berlin. Die Szene, die für sich in Anspruch nimmt, das Schlagwort „Kreativität“ im Berliner Image zu bedienen, die Stadt mit ihren noch vorhandenen, erschwinglichen Arbeitmöglichkeiten als Sehnsuchtsort zu begreifen, kann sich in diesem Buch wieder finden. Und dann ist mit diesem Band tatsächlich auch der Dokumentation von Zeitgeschichte gedient. Im-merhin rühmt sich Berlin seiner ungezählten Künstler, deren Arbeiten vorübergehend in Off- und Projekträu-men zu finden sind, und die meisten von Ihnen bleiben dauerhaft unsichtbar. „Berlin What?“ zeigt viele von Ih-nen.

Thoben und Neu spannen ein breites visuelles Spektrum auf und zeigen das, was in den letzten beiden Dekaden als „jung“ gilt. Street Art, Graffiti, Illustratives, coole Fo-tos, figurative Malerei, digitale Einflüsse, alles ein biss-chen rough, ein bisschen hübsch. Schon ziemlich Berlin.

Neue Sachlichkeit, 272 Seiten, 36,95 Euro

NOCH MAL BERLIN

Eine außergewöhnliche Hommage an die Berliner Kul-turszene: Jacques Sehy hat für „Kulturhumus - 100 Ber-liner Köpfe“ 100 bekannte Persönlichkeiten porträtiert, die für die Kreativität und künstlerische Dynamik Berlins stehen. Und er hat sie auf eine besondere Weise fotogra-fiert: im Dunkeln, mit einem Lichtstrahl, der während der Aufnahme über das Gesicht wandert. Diese „Lichtzeich-nungen“ sind abstrakt und sinnlich konkret zugleich, aus-schnitthaft legen sie Konturen der Gesichter u nd verbor-gene Facetten der Persönlichkeit frei. Der Porträtfotografie eröffnet dieses Verfahren eine ganz neue Dimension. Zu den abgebildeten Persönlichkeiten gehören unter vielen anderen David Chipperfield, Catherine von Fürstenberg- Dussmann, Rainer F etting, Monika Grütters, Thomas Os-termeier, Annette Humpe, Klaus Staeck, Christina Weiss, Hanns Zischler.

„Während der Foto-Session hatte ich das Gefühl, ganz stillim All zu sitzen. Die absolute Dunkelheit und die gleißen-den kleinen Lichtstrahlen, die wie Kometen an mir vor-beihuschten, haben mir ein etwas außerirdisches Gefühl gegeben.“ Pamela Rosenberg

Das Buch erscheint zu zwei Ausstellungen:

Berliner Köpfe – 100 Lichtzeichnungen 30.01. - 01.03.2015 | Haus am Lützowplatz, BerlinLichtzeichnungen31.01 - 14.03.2015 | Galerie Tammen & Partner, Berlin

Nicolai Verlag, 224 Seiten, 34,95 Euro

DESIGN UND MUSIK

Klasiiker der Designgeschichte und Jazz von Miles Davis bis John Coltrane treffen sich in diesem Buch. Auf jeder Seite findet man Altvertrautes von Cars & Bikes, Fashion & Accessoires, Boats & Airplanes, Design & Furniture, Gadgets & Electronics und kann dabei der im Vinyl-Look gestaltete CD zuhören. Eine schöne Geschenkidee.

Earbooks, 239 Seiten, 49,95 Euro

Literaturempfehlungen

JETZT ISTANBUL

Er ist einer der ganz Großen seines Fachs und selbst schon Legende: der wohl berühmteste türkische Foto-graf Ara Güler. Mit seiner Leica bereiste er die ganze Welt. Aber seine große Leidenschaft galt immer seiner Heimatstadt Istanbul. Wie kein anderer hat er seit den 1950er-Jahren das Straßenleben, den Trubel der Groß-stadt und das Alltagsleben der Bewohner festgehalten.

Dieses Buch präsentiert seine faszinierenden Bilder des alten Istanbul, aber auch eine Auswahl von Farbfotogra-fien internationaler Schauplätze sowie Porträts von Pro-minenten, darunter Maria Callas, Indira Gandhi, Winston Churchill, Alfred Hitchcock und Pablo Picasso.

Nicolai Verlag, 224 Seiten, 34,95 Euro

EXPRESSIONISTISCHE ARCHITEKTUR

Die Architektur des Expressionismus ist der Aufbruch der Baukunst in die Goldenen Zwanziger. Der Band dokumen-tiert erstmals alle noch existierenden Bauten in Berlin, dem wohl wichtigsten Zentrum der Bewegung. Großfor-matig wiedergegeben zeigen die Farbaufnahmen die ex-pressive Formsprache der Stadt. Karten weisen den Weg zu den einzelnen Gebäuden.

Der schön gestaltete Band feiert die Geburt der Metropo-lis Berlin: Die realisierten Bauten der expressionistischen Utopie faszinieren durch unbedingten Formwillen und einen gekonnten Umgang mit Material, Farbe und Licht. Anders als die zeitgenössische Bauhaus-Architektur ist das architektonische und urbane Verständnis geprägt von Komplexität, Vertikalität und Theatralik – erschaffen wurde die moderne Metropolis. Fragments of Metropolis dokumentiert in zeitgenössischen Fotografien und Zeich-nungen 120 Bauten in Berlin und Umgebung. Ein detail-lierter Index und übersichtliche Karten vervollständigen das Nachschlagewerk.

Hirmer Verlag, 180 Seiten, ab März 2015

OSKAR SCHLEMMER – EINE RETROSPEKTIVE

Oskar Schlemmer (1888–1943) war eines der vielseitigs-ten Multitalente des letzten Jahrhunderts und als Maler ebenso außergewöhnlich wie als Bildhauer, Zeichner, Gra-fiker, Bühnenbildner, Wandgestalter, Entwerfer epochaler Tanzprojekte und Autor. Seine Vision war der »neue«, in funktionaler Architektur lebende, klar denkende und klar handelnde Mensch einer Moderne, die niemals wieder in kriegerischem Chaos versinken sollte.

Das Katalogbuch zur ersten umfassenden Schlemmer-Re-trospektive in der Staatsgalerie Stuttgart seit fast vierzig Jahren präsentiert über 250 hochrangige Werke, insbeson-dere die sieben Originalkostüme des Triadischen Balletts sowie rare Zeitdokumente. Der Zusammenhang mit den ganzheitlichen Reformbestrebungen des Bauhauses wird ebenso diskutiert wie Schlemmers vergebliche Versuche, seine »unpolitische« Kunst mit den staatskünstlerischen Vorstellungen der NS-Diktatur zu verein baren. In den Blick genommen wird Schlemmers hoher ethischer An-spruch, der den als »Kunstfigur« typisierten Menschen im-mer als »Maß aller Dinge« betrachtet hat. Die Ausstellung wird bis zum 6. April 2015 in der Staatsgalerie Stuttgart gezeigt.

Hirmer Verlag, 300 Seiten, 49,90 Euro

LesestoffLiteraturempfehlungen

nicolai | No 7 Seite 25

Ara Güler begann als Autodidakt, wurde aber bald zum international gefragten Fotografen. Ab Mitte der 1950er-Jahre war er Mitglied der Agentur Magnum, als Nahost-Korrespondent arbeitete er für internationale Ma-gazine wie Time Life, Paris Match und Stern. Er hat im Laufe eines halben Jahrhunderts zahlreiche Preise und Ehrungen erhalten. Eine Ausstellung mit seinen Werken wird anlässlich des 25. Jubiläums der Städte-Partner-schaft zwischen Istanbul und Berlin im Willy-Brandt-Haus noch bis zum 15. Januar 2015 gezeigt.

Prestel Verlag, ca. 300 Seiten, März 2015

MONET UND DIE GEBURT DES IMPRESSIONISMUS

Vom 11. März bis 21. Juni 2015 zeigt das Städel in Frank-furt eine große Impressionistenausstellung mit rund 100 Meisterwerken von Claude Monet, darunter weltberühmte Leihgaben aus Paris oder New York. Inhaltlich widmet sich die Schau gesellschaftlichen und soziokulturellen Ent-wicklungen des 19. Jahrhunderts und ihren Auswirkun-gen auf die Kunstproduktion der Impressionisten. Neben dem Katalog wird eigens für die Ausstellung ein „Digitori-al“ entwickelt: Auf einer responsiven Website werden ab Februar 2015 wissenswerte Hintergründe, kunst- und kul-turhistorische Kontexte sowie wesentliche Ausstellungs-inhalte für Besucher leicht zugänglich und in neuartiger Visualität aufbereitet.

Seite 26

Agenda

UECKER07. FEBRUAR BIS 10.MAI 2015

K20 GRABBEPLATZ DÜSSELDORF

„Wo die Sprache versagt, da beginnt das Bild.“ Dieser Satz Ueckers zieht sich durch die Jahrzehnte seiner Kunstproduktion. Mit immer wiederkehrenden Mo-tiven wie Spiralen und Reihungen oder Materialien wie Stein, Sand, Erde, Asche schafft es Uecker, mini-malistische Vokabeln als universal lesbare Sprache in die Köpfe seiner Betrachter zu pflanzen. Hier sucht ein Künstler den Dialog mit dem Betrachter - und finden ihn überall auf der Welt.

Mit der Präsentation wird die komplexe künstlerische Haltung dieses außergewöhnlichen Künstlers ver-anschaulicht. Eine konzentrierte Auswahl einzelner Werkblöcke soll die Fülle der Arbeiten bändigen helfen. Dennoch ist ein tieferer Einblick in die Lebendigkeit, die Verwandlung von Sprache in Bilder, die globale Ausrichtung und die unerschöpfliche Energie Ueckers möglich.

In der Grabbe Halle werden zentrale Werkkomplexe wie das Terrororchester, der Brief an Peking, die Ver-letzungsworte, eine Sandmühle sowie geschriebene Bilder gezeigt. In der Klee Halle begegnet der Besu-cher Ueckers Nagelreliefs aus vielen Jahrzenten, die eine Biografie in Bildern, eine Momentaufnahme ei-ner künstlerischen und physischen Befindlichkeit dar-

stellen.

www.kunstsammlung.de

Günther Uecker im Portrait. Foto ©: Ingrid von Kruse, Hamburg, © Kunstsammlung NRW

DER GÖTTLICHEHOMMAGE AN MICHELANGELO

6. FEBRUAR BIS 25. MAI 2015BUNDESKUNSTHALLE BONN

Die Ausstellung erzählt von der immensen Wirkung Michelangelo Buonarrotis (1475–1564) auf die europä-ische Kunst seit der Renaissance bis heute. Im Mittel-punkt stehen Arbeiten bedeutender Künstler aus fünf Jahrhunderten, die in einen schöpferischen Dialog mit den malerischen und bildhauerischen Werken, den künstlerischen Prinzipien des Florentiners getreten sind. In der Rezeption Michelangelos durch so wich-tige Künstler wie Raffael, Pontormo, Allori, Tintoret-to, Annibale Carracci, Giambologna, Rubens, Füssli, Delacroix, Rodin, Cézanne bis zu Mapplethorpe oder Hrdlicka werden das Potenzial seiner Kunst und ihre Aktualität greifbar.

Die thematisch gegliederte Ausstellung stellt die gro-ßen Aufgabenfelder Michelangelos und deren beispiel-gebende Wirkung in den Mittelpunkt: die Aktstatue mit dem David, den Sklaven oder dem auferstandenen Christus etwa oder die großen, vielfigurigen Werke von der Kentaurenschlacht zum Jüngsten Gericht; be-deutende Werkkomplexe wie die Sixtinische Decke, der Moses oder die Figuren der Medicikapelle sind ebenso repräsentiert wie bildhauerische Verkörpe-rungen von Kampf und Sieg oder Bilder der Andacht und virtuose Sammlerwerke. Dabei zeigt die Ausstel-lung zugleich die Medien, in denen das Studium der Werke Michelangelos sich vollzog und ihre Kenntnis festgehalten wurde: Abgüsse und Gemälde, kleinplas-tische Kopien, Nachzeichnungen, Drucke und Fotos.

www.bundeskunsthalle.de

Giambologna, Florenz triumphiert über Pisa, 1565, Terrakotta, London, The Victoria and Albert Museum

© Victoria and Albert Museum, London

VIDEONALE.1527.02. - 19.04.2015

KUNSTMUSEUM BONN

Erstmals stand die Wettbewerbsausschreibung zur VIDEONALE.15 unter einem Thema. Mit „The Call of the Wild“ fragte die Videon ale, welches Potential der Begriff des „Wilden“ heute für die Beschreibung von und Aus einandersetzung mit dem Fremden, im Sin-ne von unbekannten oder auch bislang unerkannten Handlungs-, Bild- und Denkräumen birgt. Aus den mehr als 1.200 Einsendungen aus 76 Ländern wurden 38 Positionen aus insgesamt 19 Ländern ausge wählt.

„Es geht uns mit ‚The Call of the Wild’ um die Erfor-schung der labilen Räume, in denen über den Umgang mit neuen gesellschaftlichen, politischen, kulturellen und ästhetischen Konstellationen verhandelt wird, für deren Beschreibung uns aktuell noch kein zufrieden-stellendes Vokabular zur Verfügung steht. In der Aus-stellung der VIDEONALE.15 finden 38 internationale Künstlerpositionen ihren jeweils sehr eigenen Weg, Fragen zu diesen Themen zu stellen und Anstöße zur Reflektion zu liefern.

Das Spektrum ist weit gefasst und reicht von der Be-trachtung innergesellschaftlicher Verschiebungen und Neuordnungen bis hin zur Frage, welche Aus-wirkungen das Aufflammen weltweiter Krisenherde im kleinen persönlichen wie im großen politischen Zusammenhang haben kann; die Frage nach einem möglichen Umgang mit der immer offensichtlicher zu Tage trete nden umfassenden Überwachung unserer Daten- und Kommunikationsströmeund deren Auswirkungen wird ebenso verhandelt, wie auch neue ästhetische und künstlerische Umgangs-formen mit den Oberflächen einer digital generierten Welt“, sagt Tasja Langenbach, Künstlerische Leitung der VIDEONALE.15, die zum zweiten Mal auch den VIDEONALE.PARCOURS veranstalten wird.

v15.videonale.orgwww.kunstmuseum-bonn.de

Marianna Milhorat, UTF 2, © Marianna Milhorat

News, Termine, Veranstaltungen & Service rund um Kunst und Kultur

nicolai | No 7 Seite 27

Agenda

HIMMELSTÜRMEND – HOCHHAUSSTADT FRANKFURT

BIS 19.04.2015DEUTSCHES ARCHITEKTURMUSEUM BERLIN

Frankfurt am Main ist die Hochhausstadt Deutschlands– mehr als 500 Gebäude sind höher als sechzig Meter und dreißig Hochhäuser sind sogar höher als hundert Meter. Der Hochhauspulk im Bankenviertel bildet heute mit dem 259 Meter hohen Commerzbank Tower eine ein-zigartige Stadtkrone.

Wie und warum wuchs Frankfurt in den Himmel? Dieser Frage stellt sich die Ausstellung und bietet einen Über-blick zur Hochhausgeschichte der Stadt: Vom Wiederauf-bau nach 1945 über den Häuserkampf im Westend bis in die heutige Zeit der globalen Finanzmärkte. Ausgewählte Bauten werden dabei in ihren historischen, ökonomi-schen und kulturellen Kontext gestellt. Das Klassische historische Bauwerke stehen neben herausragenden Türmen der Skyline – dem Silberturm, dem Messeturm, dem Commerzbank Tower und dem Main Tower. Das ungebaute Frankfurt wird in der Ausstellung erfahrbar anhand visionärer Projekte – wie dem Campanile, dem Millennium-Tower oder verschiedenen Überbauungsplä-nen für den Hauptbahnhof.

www.dam-online.de

Blick vom Dom auf das BankenviertelInstitut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main, Foto: ©

Klaus Meier-Ude, 1996

Henri Manguin (1874-1949), Le Thé à la Flora,1912, Öl auf Leinwand, 116 x 89 cm, Hahnloser/Jaeg-gli Stiftung, Winterthur, © VG Bild-Kunst, Bonn 2014/15, Foto: Reto Pedrini, Zürich

News, Termine, Veranstaltungen & Service rund um Kunst und Kultur

VERZAUBERTE ZEIT – CÉZANNE, VAN GOGH, BONNARD, MANGUIN – MEISTERWERKE AUS

DER SLG ARTHUR U. HEDY HAHNLOSER-BÜHLER20. FEBRUAR BIS 16. AUGUST 2015

HAMBURGER KUNSTHALLE

Die Ausstellung präsentiert die historische Sammlung des Schweizer Ehepaares Arthur und Hedy Hahnlo-ser-Bühler, die zwischen 1906 und 1936 in der Villa Flora in Winterthur eine beeindruckende Anzahl an Meister-werken der Kunst des Postimpressionismus zusammen-führen konnten. Der Schweizer Maler Félix Vallotton (1865-1925) hatte das Ehepaar zu Beginn des 20. Jahr-hunderts in Paris in die Kreise der führenden Künstler eingeführt, wo sie schnell Freundschaft mit Pierre Bonn-ard, Édouard Vuillard, Henri Manguin und später Henri Matisse schlossen. Ausgestattet mit einem untrüglichen Spürsinn gelang es ihnen, wichtige Spitzenwerke der großen Vorreiter der künstlerischen Moderne zu erwer-ben, darunter Gemälde von Paul Cézanne, Vincent van Gogh, Auguste Renoir und Édouard Manet. Die Ausstel-lung zeigt über 200 ausgewählte Werke von 20 Künst-lern aus der weltberühmten Sammlung, die nun erstmals in Deutschland zu sehen ist.

www.hamburger-kunsthalle.de

GUTE AUSSICHTEN2014/2015 − JUNGE DEUTSCHE FOTOGRAFIE

23. JANUAR BIS 8. MÄRZ 2015 HAUS DER PHOTOGRAPHIE

Im 11. Jahr von »gute aussichten« beschäftigt sich die jun-ge Generation von Fotografen mit existenziellen Fragen unseres Lebens: der Alltäglichkeit des Sterbens und dem, was bleibt oder mit den Toten spurlos verschwindet. Der Verwurzelung der Menschen in ihrer Tradition bzw. Her-kunft und wie sie, diese Menschen, doch längst die Gad-gets und Alltagsgegenstände der westlichen (Überfluss-) Gesellschaft in ihr Leben integriert haben − moderne Migration. Eine gezielte Spurensuche auf ganz alltägli-chen Wegen, die zeigt, wie aus dem, was wir in unserer täglichen Routine längst übersehen, durch Aufmerksam-keit und Perspektivwechsel etwas Sichtbares, Spürbares wird. Die acht für »gute aussichten 2014/2015« ausge-wählten Preisträger spüren mit ihren Arbeiten Themen nach wie Tod, Migration, Diskriminierung, Einsamkeit, Isolation, Verzweiflung und stellen dem Freude, Erkennt-nis, Vielfalt und schöpferische Kraft gegenüber.

www.deichtorhallen.de

Dicke Wollfäden spinnen

Es ist wohl doch eine Bin-senweisheit, dass bis zu 70 Prozent der Körperwärme über den Kopf entweicht. Aber kalt wird es trotzdem besonders an den Oh-ren, wenn es stürmt und schneit. Kein Wunder: Überall sonst ist man ja sowieso dick angezogen.

Und darüber, wie man seine Lauscherchen sowie das Haupt am Besten schützt, gibt es in diesem Winter wenig Diskussion: Wollig muss es sein, am Besten gehäkelt. Die Mützen der Stunde sind schlicht, bunt, geringelt, und innerhalb dieser Vorgaben: Individuell. Gerne selbst gemacht, es reicht aber auch: Selbst be-stellt.

Aus dickem Wollfaden häkelt sich so ein „Boshi“ oder „Beanie“ während eines TV-Krimis fast von selbst, mit 16 Reihen „halber Stäbchen“ kann es schon ge-tan sein. Und so klappern bundesweit die Häkel- und Stricknadeln. Ein Akt der Entschleunigung im Inter-netzeitalter.

Dabei hat das Internet mit dem Erfolg der Wollmützen eine Menge zu tun: Dank Ihres „Mützenkonfigurators“ gelang es den Erfindern von „Myboshi“, damals noch Studenten, vor vier Jahren, aus einem zufälligen Anfall von Häkelwut auf einer Japanreise ein international er-folgreiches Unternehmen aufzuziehen. Das Ringelmüt-zenfieber verbreitete sich im Netz rasant. Der Kunde wählt auf der Webseite Mützenmodell und individuelle Farbgebung, Seniorinnen aus der Region Hof setzen diese Wünsche in die Tat um. Ein paar Wochen später liegt das Mützenunikat im Briefkasten. Zwischen 40 und 50 Euro muss man dafür allerdings ausgeben.

Günstiger und schneller geht es, wenn man selbst häkelt. Von Myboshi gibt es dafür das komplette Zu-behör in fast allen Handarbeitsläden und auch in den Spielzeugabteilungen. Wolle, Nadeln, Anleitung – so-gar der Aufnäher mit dem Label ist dabei.

Wer statt „Boshi“ „Beanie“ sagt, oder gar „Wollmütze“, der kommt auch

günstiger an seine Kopfbe-deckung. Per Mützenge-neratoren bekommt man

die Handarbeit aus dem Inter-

net an unter-schied-

Man(n) strickt wieder

lichsten Adressen, zum Beispiel bei „Edelschwarz“ im Allgäu, „My Beanie“ in Sachsen, „Quchu“ in Dresden.

Das Seniorenprojekt „MyOma“ häkelt und strickt ebenfalls in-

ternetgestützt, und auch auf Da-Wanda wird man fündig. Und wer es

doch lieber selbst machen möchte, findet sich in guter Gesellschaft: Smarte junge Damen erklären in unzäh-ligen Youtube-Clips, wie das geht mit der Wolle, den Nadeln, dem Maschenzählen, dem Zu- und Abneh-men, dem Reihenwechsel und den Mustern. Es soll ja noch eine Weile kalt bleiben.

Julia Brodauf

Boshi my Boshi

Wenn ich Freizeit habe, erblüht in mir die Sehnsucht nach handwerklichem Tun. So wie man es beim Cam-pen im Wald toll findet, Stöckchen übers Feuer zu hal-ten – oder im Meer auf Wellen reitet, möchte ich auch etwas Verwegenes schaffen, bevor das Wochenende vorbei ist.

Das eindeutig Gewagteste, das ich mir vornehmen konnte war etwas Handarbeitliches. Schon in der Grundschule war ich im Fach Handarbeit und Werken nur zu 50% tauglich. Während ich mit Wonne in den Schraubstock Gedrehtes abschliff und kleine Holzka-tamarane baute, sahen meine Topflappen und Schals aus wie zauselige Putzlappen. Mehrfach ribbelte Frau Rosenfeld (die Handarbeitshexe) mein Gehäkeltes oder Gestricktes wieder auf, weil ich statt Maschen Knoten und Ösen gezogen und gewoben hatte. Der Frust von damals lebt seither wieder auf, sobald ich in die Nähe von Stoffen, Garnen oder Wolle gerate.

Aber My Boshi klang einfach so niedlich. So zutraulich. My Boshi ist ein bisschen Tamagotchi und irgendwie zu meistern. Dachte ich, als ich durch mein liebstes Wa-renhaus schlenderte und nach zeitvertreibender, kre-ativer Beschäftigung suchte. Dem japanischen Wort „boushi“ für Mütze angelehnt, verspricht der längst vergangene Häkelmützenhype auch heute noch das kinderleichte erstellen von Mützen aus Maschen. Wenn ich also wieder in den Häkelmarkt ein-steige, dann auf bequemstem Niveau. Zu Hause schaffe ich erst einmal Wohlfühlatmosphäre. Musik in Dur, ein Schälchen voll Knab-berzeug (welches binnen Kürze an allem anderen

klebte)und zwei Katzen als Ellbogenstütze. Außerdem bin ich allein, ein Scheitern würde zunächst ohne Zeugen und folgenlos, wenn auch mützenlos, bleiben. Doch schon der Einstieg ist ein Fiasko. Halbe Stäbchen, feste Maschen, jede Masche doppeln, Kettmaschen als Abschluss. Ich verstehe nichts. Sehr bald pfeffere ich das Boshiheftchen mit der windigen Anleitung in die Ecke und bemühe Youtube. Dort tummeln sich selt-samerweise diverse männliche Boshigurus, die ihre Kunst in ganzen Erklärvideoserien zelebrieren. Die Mützen auf dem Bildschirm sehen irritierend makel-los aus. Mein Anfangs-Luftmaschen-Schläufchen ist dagegen mehr ein filziger Knoten.

Was mir an Fingerfertigkeit fehlt, mache ich seit je-her durch Beharrlichkeit wett. Wütend piekse ich in das Gewirr – für mich so etwas wie ein Boshimützen Urknallchaos – und ziehe ein paar Maschen durch das Nest. Es entsteht ein welliger Bierfilz, der seinem Na-men alle Ehre macht. Ich kämpfe die aufbrandende Frustration mit einer Handvoll Nüsse nieder. Ein schlechter Anfang muss ja nicht zu ebensolchem Ende kommen, denke ich mir.

Aber beim Häkeln ist es wie beim Backen – meine andere Achillesferse. Genauigkeit zählt, sonst wird es nix. Mit verzweifelter Sturheit häkele ich immer schneller. Das Zählen der Maschen macht mich derart Müde als wären es Schäfchen. Ich häkele einfache in doppelte, doppelte in dreifache Maschen und will mei-nen Boshimützen-Untergang doch nicht wahrhaben. Selbst wenn ich noch tausend Runden weiter machte, es gäbe kein gutes Ende. Bei Garn- und Wollarbeit scheine ich irgendwie stets das Maß zu verlieren. Was mir beim Heimwerken wohl entgegen kommt ist die Härte des Materials: Wände, Böden, Decken, Holz … Da habe ich einen würdigen Gegner, einen der nicht nachgibt oder Knötchen macht.

Spät in der Nacht ribbele ich schließlich meinen missglückten dritten Boshi-Versuch auf. Die Nüsse sind alle, die Katzen schlafen schon lange und mein Häkelfuror ist vorüber gegangen. Es war eine heiße und kurze Leidenschaft, und es blieb der bittere Nach-geschmack, denselben Fehler zweimal – was sag ich – zig mal gemacht zu haben.

Tage später entdecke ich den Boshi-Konfigurator. Dort kann man seine eigene Mütze online

gestalten und fertig gehäkelt zugesandt bekommen. Was hätte ich damals in der vierten Klasse für eine solche Möglich-keit getan. Mit Wehmut bedauere ich das Pech der frühen Geburt. Allein aus thera-peutischen Gründen werde ich mir eine

bestellen.

Johanna von Stülpnagel

Seite 28

Zwei Glossen zu einem Phänomen.Texte Julia Brodauf und Johanna von Stülpnagel

nicolai | No 7 Seite 25

nicoKunstvolle Neuigkeiten für Kinder und Jugendliche

Zusammengestellt von Alexandra Wendorf

WER FINDET DIE SCHWARZEN PUNKTE?

David A. Carter, geb. 1957 in Salt Lake City (USA), ist einer der berühmtesten Pop-up-Künstler der Welt und wurde 2005 mit der Hans-Christian-Andersen-Medaille für das beste künstlerische Bilderbuch ausgezeichnet so-wie für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2008 nom-miniert. Wenn man „600 schwarze Punkte“ durchblät-tert, etwas klappt oder bewegt, sieht man verblüffende Effekte. Wilde Wesen wachsen empor, weiße Gräser wogen wankend – es blüht und sprießt, Ein farben- und formenfrohes Buch, inspiriert von großen abstrakten Künstlern wie Piet Mondrian.

Boje Verlag, 19,95 Euro, ab 3 Jahren

KINDER KÜNSTLER KRITZELBUCH

Anmalen, Weitermalen, Selbermalen – Kritzelbücher sind angesagt. Die Frankfurter Ateliergemeinschaft Labor hat ein Malbuch für kleine Künstler von großen Künstlern gestaltet, zum Mitmachen, Ausmalen – und Kritzeln! Ach-tung: »Stinkfußindianer in voller Kriegsbemalung!« Super-dringend: »Superhelden brauchen Superkostüme!« Und: »Wie sieht eigentlich ein Pups aus?« Mit viel Bildwitz la-den 176 Seiten auf Künstlerpapier zum Weitermalen, Wei-terspinnen und Erfinden eigener Geschichten ein. Frankf-urter Künstler haben sich dafür zusammengefunden und nun auch schon einen zweiten Band herausgebracht, in dem 39 Freunde auf je einer Doppelseite witzige und ernst gemeinte Fragen beantworten können.

Belz & Gelberg Verlag, 176 Seiten, 9,95 Euro, ab 5 Jahren

WENN KUNST SPRECHEN KÖNNTE ...

... und Gemälde und Skulpturen anfingen würden, zu sprechen. Was wäre dann? Witzige, hintergründige, infor-mative Soundtracks machen Kindern – und Erwachsenen – Lust auf mehr Kunst, indem sie Kunstwerke sprechen lassen.

Pablo Picassos „Büste einer Frau und Selbstbildnis“ schreibt: „Seht mich an!“, Diego Velázquez‘ „Las Menin-as“ machen sich so ihre entlarvenden Gedanken über-einander, während Franz Marcs gelbe Kuh vor Freude durch den Raum singt und springt. Im Museum der Ge-räusche, Töne und Gedanken sprechen die Kunstwerke. Kunst soundtracken - das heißt, sichtbar machen, was Kunstwerke einem so alles zu sagen haben. So kann man u.a. Kunstwerke von Pablo Picasso, M. C. Escher, Max Ernst,, Franz Marc, Andy Warhol, Hieronymus Bosch, Paul Klee, Diego Velázquez, Niki de Saint Phalle, Katha-rina Fritsch, René Magritte, Joan Miró zuhören und eine Menge erfahren.

Belz & Gelberg Verlag, 68 Seiten, 16,95 Euro, ab 10 Jahren

NEUER KUNSTPARCOURS FÜR KINDER

Einen spannenden Raum nach dem anderen gibt es zu entdecken – und eine ganze Welt der Farben, Formen und Strukturen. Die Minischirn in der Schirn Kunsthalle Frankfurt regt Kinder an zum eigenen Entdecken ästheti-scher Phänomene, zum Gestalten und Experimentieren. Alles ganz spielerisch, versteht sich. Farbphänomene, Kompositionsprinzipien, physikalische Gesetzmäßig-keiten und andere ästhetische Grundsätze. Anfassen, Zusammenbauen und Auseinandernehmen ist genauso erlaubt wie Gucken, Nachdenken und Lesen. So lernen die Kinder in sicherer Umgebung ganz eigenständig das kleine Einmaleins von Kreativität und Kunst.

www.schirn.de

FASZINATION ILLUSTRATION!

Die akribisch detaillierten Illustrationen auf höchstem Niveau machen „Das Museum der Tiere“ zu einem ganz besonderen Buch. Die Kunst der Illustration trifft auf die Schönheit der Tierwelt und zusammen ist ein außerge-wöhnlicher Bilderbogen in der Tradition von Maria Sibylla Merian und Ernst Haeckel entstanden. Auf großformati-gen Tableaus mit liebevoll, sorgfältig gezeichneten Abbil-dungen werden – wie in einem naturkundlichen Museum – mehr als 200 Tiere gezeigt und in kurzen Begleittexten erklärt. Jedes Kapitel befasst sich mit einer anderen Gat-tung: wirbellose Tiere, Reptilien, Vögel, Fische, Säugetiere.

Die Farbtafeln beeindrucken durch ihre Natürlichkeit, die präzisen Details und die jugendstilanmutende Ästhetik. Ein wunderschönes Bilderbuch für jedes Alter!Prestel Verlag, 112 Seiten, 24,99 Euro, ab 8 Jahren

Das Atelier von Valentina Torrado hat ein Fenster, und unter diesem Fenster fließt behäbig und dunkel die Spree. Der Fluss stellt für die Berliner Künstlerin mit uruguayi-schen Wurzeln eine visuelle und emotionale Verbindung in das wasserreiche Land ihrer Herkunft dar. Nicht nur in Torrados täglichem Leben soll das schimmernde Nass präsent sein, auch durch ihre Arbeiten fließt es immer wieder (wenn auch nicht immer). Oft ist die Bildfläche quasi Wasseroberfläche, monochrom gehalten in Neon-farben. Die Malerei ist das vorherrschende Medium der 33jährigen, dicht wie ihr Lieblingselement nimmt ihre Arbeit dabei die unterschiedlichsten Aggregatzustände an: Collagen, Installationen, Foto- und Videoarbeiten, auch mit einem Tanztheater hat sie bereits zusammenge-arbeitet. In ihren Arbeiten schafft Torrado stets trefflich eine Verbindung zwischen Raum und Wahrnehmung, gleichzeitig schafft sie es, eine Melange aus melancholi-schen und absurden Klängen entstehen zu lassen.

So war es auch in einer großformatigen Videoinstalla-tion im Berliner Projektraum Lehrter 17 zu sehen, den Torrado im November 2014 gemeinsam mit der Freun-din und Künstlerkollegin Irina Raffo bespielte. In zwölf bewegten Stilleben setzten die beiden Künstlerinnen das lichtdurchflutete, ländliche Uruguay dem urbanen, nächtlichen Berliner Stadtpanorama hinter den großen Fenstern entgegen.

Neben diesen installativen und multimedialen Medien wählte Torrado ein ungewöhnlich stilles und doch nicht minder beredtes zweites Medium: Sie hat an der Bauhaus Universität Weimar promoviert zum Thema des Abjekten in der Kunst.

Doch was ist es, das Abjekte? Das Unangenehme, Ekli-ge, Fiese und Widerliche, das seine schleimigen Spuren durch die Entwicklung der zeitgenössischen Kunst zieht. Mit analytischer Leichtigkeit zählt Torrado auf 85 Seiten die wichtigsten Nutzer dieser Handlungsform auf und setzt ihnen in der zweiten Hälfte des Buches ein eige-nes Kunstprojekt entgegen, dass das Abjekte wiederum in der Gesellschaft auffängt und abmildert. Anhand der

Liquid HybridSchwarze Meere in der Großstadt

Text Julia Brodauf

Valentina Torrado: Mares Negros, Galerie Volker Diehl, Niebuhrstrasse 2, 10629 Berlin.

Valentina Torrado: Die Präsenz des Abjekten in der zeit-genössischen Kunstproduktion, Velbrück Wissenschaft Verlag, 29,90 Euro

widerborstigen und der fürsorglichen Kunst navigiert sie durch die Fluten der hyper- und postmodernen Kunst-begriffe und markiert damit das gesamte künstlerische Weltmeer als mögliches Handlungsfeld. So resümiert sie, dass das Abjekte als Ausdrucksmittel zum Konsum-produkt wird. Der zeitgenössische Künstler präsentiert sich als Produkt dieser Gesellschaft als Glamourkünstler: individualistisch, eigensinnig, hedonistisch und hyper- bewusst. Durch die Arbeit mit dem Abjekten in der Kunst lässt sich somit nicht nur ein signifikanter Wandel der Rolle des Künstlers in der Gesellschaft beobachten, son-dern auch eine Negierung des Provokationspotentials in der Kunst selbst. Wenn Valentina Torrado Ende Januar in der Galerie Volker Diehl in Berlin ihr kürzlich im Velbrück Verlag erschie-nenes Buch präsentiert, dann wird es aber zunächst ein-mal wieder ganz visuell das Meer sein, das den Raum bestimmt: Ihre jüngste Serie, die „Mares Negros“, sind großformatige, monochrome Malereien in Schwarztönen.

Valentina Torrado, Mares Negros, 200 x 150 cm, 2013/14

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