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898 C. Grundmann, R. K. Bansal und P. S. Osmanski 1973 Liebigs Ann. Chem. 1973, 898-909 Nitriloxide, XVII 1) Untersuchungen zum Mechanismus der Bildung von Fulminur- saure aus Knallsaure * *) Christoph Grundmann *), Raj Kumar Bansal und Paul S. Osmanski Mellon Institute of Science der Carnegie-Mellon University, Pittsburgh, Pennsylvania, 15213 USA Eingegangen am 25. November 1972 Die Bildung der Fulminursaure (2, 2-Nitromalonamidnitril) aus Quecksilberfulminat durch- Iauft folgende Stufen: 1. Hydrolyse zu Knallsaure (1); 2. Dimerisation von 1 zu (Hydroxy- imino)acetonitriloxid (23) ; 3. Anlagerung von 1 an 23 zu 3-(HydroxyiminomethyI)furazan-2- oxid (12, Furoxanaldoxim) ; 4. Umlagerung von 12 zu 4-Nitro-A4-isoxazolin-5-imin (13, Priifulminursaure); 5. Ringoffnung von 13 zu 2. Ein seit langem bekanntes Nebenprodukt der spontanen Polymerisation von 1 ebenso wie die als ,,2-Nitromalonaldoximnitril" (9) beschriebene Verbindung wurden als 12 erkannt. Die in der Literatur als 13 formulierte Ver- bindung (,,y-Fulminursaure") ist in Wirklichkeit 3-Carbamoyl-~~-l,2,4-oxadiazolin-5-on (18), was durch eine neue eindeutige Synthese bestatigt wurde. Die isolierbaren Verbindungen 12 und 13 wandeln sich unter den Reaktionsbedingungen glatt in 2 urn. Nitrile Oxides, XVII') - Investigation of the Mechanism of the Formation of Fulminuric Acid from Fulminic Acid* *) The formation of fulminuric acid (2, 2-nitromalonamidenitrile) from mercuric fulminate proceeds via the following steps: 1. hydrolysis to fulminic acid (1); 2. dimerization of 1 to (hydroxyimino)acetonitrile oxide (23) ; 3. addition of 1 and 23 to 3-(hydroxyiminomethyI)- furazan 2-oxide (12) ; 4. rearrangement of 12 to 4-nitro-A4-isoxazolin-5-imine (13) ; 5. ring open- ing of 13 to 2. A long known by-product of the spontaneous polymerization of 1 as well as the so-called "2-nitromalonaldoximenitrile" have been identified as 12. The compound recorded in literature as "y-fulminuric acid" (13) is really 3-carbamoyl-A~-l,2,4-oxadiazolin- 5-one (18), as confirmed by an independent and unambiguous synthesis. The isolable inter- mediates 12 and 13 are easily transformed into 2 under the existing reaction conditions. Einleitung Vor mehr als hundert Jahren hat Liebig2) in dieser Zeitschrift die Bildung eines Trimeren der Knallsaure beschrieben, das in Form des Kaliumsalzes beim Kochen von Knallquecksilber mit waDriger Kaliumchloridlosung entsteht. In Analogie zur Cyanursaure nannte er die neue Verbindung, die fast gleichzeitig auch von Schisch- *) Korrespondenz bitte an diesen Autor richten. **)Zum Gedenken an den 100. Todestag von Justus von Liebig (18.4. 1873). 1) XVI. Mitteilung: C. Grundmann und C. F. Kite, Synthesis 1973, 156. 2) J. Liebig, Ann. Chem. Pharm. 95, 282 (1856).

Nitriloxide, XVII1) Untersuchungen zum Mechanismus der Bildung von Fulminursäure aus Knallsäure

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Page 1: Nitriloxide, XVII1) Untersuchungen zum Mechanismus der Bildung von Fulminursäure aus Knallsäure

898 C. Grundmann, R . K. Bansal und P . S. Osmanski 1973

Liebigs Ann. Chem. 1973, 898-909

Nitriloxide, XVII 1)

Untersuchungen zum Mechanismus der Bildung von Fulminur- saure aus Knallsaure * *) Christoph Grundmann *), Raj Kumar Bansal und Paul S. Osmanski

Mellon Institute of Science der Carnegie-Mellon University, Pittsburgh, Pennsylvania, 15213 USA

Eingegangen am 25. November 1972

Die Bildung der Fulminursaure (2, 2-Nitromalonamidnitril) aus Quecksilberfulminat durch- Iauft folgende Stufen: 1. Hydrolyse zu Knallsaure (1); 2. Dimerisation von 1 zu (Hydroxy- imino)acetonitriloxid (23) ; 3. Anlagerung von 1 an 23 zu 3-(HydroxyiminomethyI)furazan-2- oxid (12, Furoxanaldoxim) ; 4. Umlagerung von 12 zu 4-Nitro-A4-isoxazolin-5-imin (13, Priifulminursaure); 5. Ringoffnung von 13 zu 2. Ein seit langem bekanntes Nebenprodukt der spontanen Polymerisation von 1 ebenso wie die als ,,2-Nitromalonaldoximnitril" (9) beschriebene Verbindung wurden als 12 erkannt. Die in der Literatur als 13 formulierte Ver- bindung (,,y-Fulminursaure") ist in Wirklichkeit 3-Carbamoyl-~~-l,2,4-oxadiazolin-5-on (18), was durch eine neue eindeutige Synthese bestatigt wurde. Die isolierbaren Verbindungen 12 und 13 wandeln sich unter den Reaktionsbedingungen glatt in 2 urn.

Nitrile Oxides, XVII') - Investigation of the Mechanism of the Formation of Fulminuric Acid from Fulminic Acid* *) The formation of fulminuric acid (2, 2-nitromalonamidenitrile) from mercuric fulminate proceeds via the following steps: 1. hydrolysis to fulminic acid (1); 2. dimerization of 1 to (hydroxyimino)acetonitrile oxide (23) ; 3. addition of 1 and 23 to 3-(hydroxyiminomethyI)- furazan 2-oxide (12) ; 4. rearrangement of 12 to 4-nitro-A4-isoxazolin-5-imine (13) ; 5. ring open- ing of 13 to 2. A long known by-product of the spontaneous polymerization of 1 as well as the so-called "2-nitromalonaldoximenitrile" have been identified as 12. The compound recorded in literature as "y-fulminuric acid" (13) is really 3-carbamoyl-A~-l,2,4-oxadiazolin- 5-one (18), as confirmed by an independent and unambiguous synthesis. The isolable inter- mediates 12 and 13 are easily transformed into 2 under the existing reaction conditions.

Einleitung Vor mehr als hundert Jahren hat Liebig2) in dieser Zeitschrift die Bildung eines

Trimeren der Knallsaure beschrieben, das in Form des Kaliumsalzes beim Kochen von Knallquecksilber mit waDriger Kaliumchloridlosung entsteht. In Analogie zur Cyanursaure nannte er die neue Verbindung, die fast gleichzeitig auch von Schisch-

*) Korrespondenz bitte an diesen Autor richten. **)Zum Gedenken an den 100. Todestag von Justus von Liebig (18.4. 1873). 1) XVI. Mitteilung: C. Grundmann und C . F. Kite, Synthesis 1973, 156. 2) J. Liebig, Ann. Chem. Pharm. 95, 282 (1856).

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1973 Nitriloxide, XVII 899

kof3) entdeckt wurde, Fulminursaure. Liebig hat bereits die Stochiometrie der Reak- tion richtig ermittelt, in heutiger Schreibweise:

3 Hg(CN0)z + 2 KCI + 2 HzO ~ +- 2 KC3HzN303 + 2 HgO + HgC12 Spater wurde gefunden, daB Fulminursaure oder ihre Salze aus Quecksilberfulmi-

nat auch durch Erhitzen mit Ammoniumrhodanid-Losungen, oder mit Wasser allein, oder auch mit alkoholischen Ammoniak-Losungen anscheinend recht glatt entstehen. Die Struktur der Fulminursaure wurde lange vor der des Monomeren durch sicher deutbare Abbaureaktionen und eine eindeutige Synthese als 2-Nitromalonamidnitril (2) bestimmt4).

Das bisher ungeloste Problem ist eine plausible Erklarung des Reaktionsweges, der von der Knallsaure (1) zur Fulminursaure (2) fiihrts). Gleichviel, ob man von der alten Nefschen Carbonyloximstruktur (1 a) oder von der von Becks) sichergestellten Formonitriloxidstruktur (1 b) ausgeht, mu13 man offensichtlich eine Reihe von Zwi- schenstufen annehmen, vor allem um den Ubergang des Stickstoffs von der Hydroxyl- aminstufe in 1 in die Oxidationsstufen des Ammoniaks (zu 2/3) und der Salpetersaure (zu 1/3) zu verstehen.

HO-NZC oder H-C=N-O

l a l b

I r20, 0 Y: I 1 1 2 0 , 60% I

9 HOHN-C-C (NOH)-C-N

4

2 5

H. Wieland ist - falschlicherweise') - die Behauptung zugeschrieben worden, daI3 eine der Zwischenstufen der Fulminursaurebildung die Metafulminursaure (3) sei, die das Haupt- 3) L. Schischkofl, Ann. Chem. Pharm. 97, 53 (1856). 4) Zusammenfassungen der alteren Literatur : 4a) H. Wieland, Die Knallsaure, Sammlung

chemischer und chemisch-technischer Vortrage 14, 385 (1909). - 4b) C. Grundmann und P. Grunanger, The Nitrile Oxides, Springer, Berlin-Heidelberg-New York 1971.

5 ) Spekulative Versuche in dieser Richtung, die aber rnit unseren heutigen Kenntnissen von der Reaktionsweise der Knallsaure nicht zu vereinbaren sind, finden sich in der alteren Literatur4a).

6 ) W. Beck, E. Schuierer und K. Feldl, Angew. Chem. 77, 722 (1965). 7) Wir haben die gesamten, umfangreichen Arbeiten von H. Wieland uber Knallsaure und

Furoxane zwischen 1903 und 1933 genau durchgesehen, ohne einen Hinweis auf eine solche Annahme zu finden.

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900 C. Grundmann, R. K. Bansal und P. S. Osmanski 1973

produkt der spontanen Polymerisation freier Knallsaure in waBriger oder atherischer Losung darstellts). Wenn diese Annahme richtig ware, miiRte das nlchste Glied der Reaktionskette die 2-(Hydroxyimino)malonitrilhydroxamsi'.ure (4) sein, in das bekanntlich 3 beim Kochen rnit Wasser fast momentan ubergeht.

Wir haben die Hydroxamsaure 4 unter den Bedingungen der Fulminursaurebildung so- wohl rnit Wasser allein als auch in Gegenwart von Quecksilberoxid und Kaliumchlorid bis zum volligen Verschwinden der [Eisen(I1I)-chlorid]-Reaktion behandelt, ohne im Reaktions- produkt auch nur eine Spur Fulminursaure nachweisen zu konnen. Als Hauptprodukt ent- steht dabei vielmehr, wie schon Nef 9) gezeigt hat, das 4-Hydroxyfurazan-3-carbonsaureamid (5, Isofulminursaure).

Wir hielten zunachst das Studium der Bildung von Fulminursaure (2) aus dem Dioxim des 2-Nitromalondialdehyds einer naheren Untersuchung wert, da hier ein Ausgangsmaterial vorlag, das in einer Dreikohlenstoff kette zwei Stickstoffgruppie- rungen enthielt, die noch in der Oxidationsstufe des Hydroxylamins vorlagen. Hierbei sind wir in ganz unerwarteter Weise der Losung des oben aufgezeigten Prob- lems naher gekommen.

Entstehung von Fulminursaure (2) aus 2-Nitromalondialdoxim

Hilllo) zeigte, daI3 der von ihm entdeckte 2-Nitromalondialdehyd in Form seines Natriumsalzes mit Hydroxylamin glatt in Natriummalondialdoximnitronat (6) iiber- ging. Das freie Dioxim war aul3erst unbestandig und ergab spontan unter Hydroxyl- amin-Abspaltung 4-Nitroisoxazol. (Uber ein dabei auftretendes Nebenprodukt und seine Beziehungen zur Fulminursaure, siehe unten.) Das Nitronat 6 lieR sich jedoch leicht diacetylieren, wobei das Diacetylnitromalondialdoxim ebenfalls zunachst als stabiles Natriumsalz 7 anfiel. Erwarmte man eine waI3rige Losung von 7 auf 60 bis 70°C, so spaltete sich ein mol Natriumacetat ab, und es entstand eine Verbindung, die als 0-Acetyl-2-nitromalonaldoximnitril (8) angesehen wurde. Mit heil3em Wasser oder schneller mit sehr verdunnter Salzsaure wurde sie zum freien Oxim, als 2-Nitro- malonaldoximnitril (9) formuliert, verseift. Behandelte man dieses Oxim rnit uber- schiissigem Alkali, so ging es glatt in Fulminursaure (2) iiber. Unter milden Bedingun- gen konnte jedoch ein Zwischenprodukt dieser Urnwandlung isoliert werden : Loste man 9 in nicht mehr als 2 mol Alkali in der Kalte und neutralisierte unmittelbar dar- auf mit verdiinnter Salzsaure, so entstand eine rnit Fulminursaure (2) isomere Ver- bindung C3H3N303, die sich von dieser durch ihre Schwerloslichkeit in Wasser unter- schied und vor allem durch ihren aul3erst leichten, quantitativen Ubergang in Fulmi- nursaure (2) charakterisiert war, der momentan durch die schwachsten Basen und in wenigen Minuten durch Wasser von 60°C ausgelost wurde. Diese Verbindung, die Hilllo) infolgedessen nicht vollig reinigen konnte und fur die er die unwahrscheinliche Struktur 10 vorschlug, sol1 im folgenden der Kiirze wegen zunachst als ,,Prafulminur- saure" bezeichnet werden.

8) F. Kluges, Naturwissenschaften 30, 351 (1942). 9) U. NeJ Liebigs Ann. Chem. 280, 324 (1894).

10) 10a) H. B. Hill und J. Torrey, Amer. Chem. J. 22, 89 (1899). - l o b ) H. B. Hill und W. Hall ebenda 29,253 (1903).

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1973 Nitriloxide, XVII 901

Unsere Nacharbeit bestatigte die Richtigkeit der experimentellen Angaben, fiihrte jedoch zu einer total anderen Auffassung der chemischen Struktur der Verbindungen 8, 9 und 10, die durch 11,12 und 13 zu ersetzen sind.

NO,' I1

?Ja@ HO-N=CH-C-CH=N-OH

6 i

FI NOzD Y I1 lva@ H,c-co-N=cH-C-CH=N-OC-CH,

7

I

,OH

I HC-C-CH=N-OH

II 11 '3,0",,o

12

1

Weder 8 noch 9 zeigen im IR- oder Raman-Spektrum die fur eine C=N-Gruppe zu erwartende Absorption11) im Bereich von 2100-2300 cm-1. GleichermaRen fehlen die der Nitrogruppe zuzuordnenden Frequenzen. Das Massenspektrum des Oxims 9, das die Elementarzusammensetzung C3H3N303 (MoLMasse 129) bestatigt, ist domi- niert durch ein Fragment der Massenzahl99 entsprechend einem Verlust von NO, ein Zerfall, der fur aliphatisch substituierte Furoxane charakteristisch ist 12). Die mit 9 strukturell eng verwandte Fulminursaure (2) zeigt dagegen im IR-Spektrum deutlich die Frequenzen sowohl der Nitril- als auch der Nitrogruppe; im Massenspektrum ist

11) Es ist bekannt, daB die C -N-Bande haufig durch eine benachbarte Sauerstoff-Funktion (C=O oder C-OH) geschwacht oder vollig unterdriickt wird. Wir haben an zahlreichen Beispielen aus verschiedenen Verbindungsklassen zeigen konnen, daB in diesem Sinne noch starker eine a-standige C=N-Bindung wirken kann [z. B. in Iminen, Oximen, auch als Bestandteile eines heterocyclischen Ringes, aber interessanterweise nicht in einer C=N02H (1sonitro)-Gruppe]. In keinem dieser Falle wird jedoch die Absorption der Nitrilgruppe im Raman-Spektrum unterdruckt. Im einzelnen wird hieruber an anderer Stelle berichtet werden.

12) C. Grundmann und J. R. Bod unveroffentlicht; der Zerfall der Diarylfuroxane im Massen- spektrographen folgt anderen GesetzmaBigkeiten, vgl. C. Grundmann, H . D . Frommeld, K . Flory und S. K . Datta, J. Org. Chem. 33, 1464 (1968).

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das Auftreten der Bruchstiickmasse mit der Massenzahl 83 entsprechend einer Ab- spaltung von NO2 ein besondas charakteristischer Unterschied. Auf Grund dieser Befunde miissen wir dem ,,2-Nitromalonaldoximnitril~~ (9) von Hilllo) die Struktur eines 3-(Hydroxyiminomethyl)furazan-2-oxids (12, Furoxanaldoxim) zuordnen. Da 12 wieder zu derselben Acetylverbindung 11 acetylierbar ist, aus der es gebildet wurde, ist die Struktur 8 durch 11 zu ersetzen. Die (Furazan-2-oxid)-Bildung erfolgt somit schon im vorangehenden Reaktionsschritt und ist als eine 1,5-Eliminierung eines Acetations aus 7 leicht verstandlich, zumal es lange bekannt ist, daI3 x-Nitro-ket- oxime durch Losen in Laugen und darauffolgendes Ansauern in Furazan-oxide iiber- gehen konnen13)

An dieser Stelle muB erwahnt werden, daB Ruskel4) zuerst auf die Uneinheitlichkeit des nach Literaturangaben gewonnenen, rohen ,,2-Nitromalonaldoximnitrils" (9) aufmerksam wurde, als er versuchte, daraus durch Wasserabspaltung 2-Nitromalondinitril(l4) zu bereiten. Durch fraktionierende Kristallisation konnte er die Hauptmenge (als ,,cr-Oxim" bezeichnet; identisch rnit dem Reinprodukt von Hilllo)) von einem niedriger schmelzenden Isomeren, dem ,,p-Oxim", abtrennen.

Da das ,,a-Oxim" nunmehr als 3-(HydroxyiminomethyI)furazan-2-oxid (12) erkannt wor- den ist, verwundert es nicht, daB es unter keinen Umstanden gelingen wollte, daraus durch Wasserabspaltung 14 herzustellen. Aus dem ,,p-Oxim" hingegen konnte 14 rnit Thionylchlorid in sehr guter Ausbeute erhalten werden. Da die IR- und Raman-Spektren des ,,P-Oxims" keine C -N-Gruppe erkennen lassen, ist es wahrscheinlich, daB auch dieser Verbindung ein (1,2,5- Oxadiazol-2-oxid)-Ring zugrunde liegt. Sofern das daraus bereitete Nitril tatsachlich die ihm zugeschriebene Struktur 14 hatls), miiBte man annehmen, daB in dem ,,p-Oxim" ein Stereo- isomeres von 12 (vermutlich die anti-Verbindung) vorliegt, die im Gegensatz zu 12 leicht zum 3-Cyanfurazan-2-oxid (15) dehydratisiert, das unter den Reaktionsbedingungen durch Ring- offnung in 14 iibergeht. In analogen Fallen wird eine solche Isomerisierung jedoch nicht durch saure sondern nur durch basische Reagenzien ausgelost. Der (Furazan-2-oxid)-Ring scheint insbesondere gegen Thionylchlorid - das von Ruske 14) angewandte Reagenz - recht bestandig zu sein16).

13) H. Wieland, Liebigs Ann. Chem. 329, 242 (1903); V. Bruckner und E. Vinkler, J. prakt. Chem. [2] 142, 277 (1935).

14) W. Ruske und E. Ruske, Chem. Ber. 91, 2505 (1958). 15) Das in Lit.14) wiedergegebene und ausfiihrlich diskutierte IR-Spektrum konnen die Autoren

selbst nur mit Schwierigkeit rnit der Struktur 14 vereinbaren, insbesondere liegen die der Nitrogruppe zugeschriebenen Frequenzen zugegebenermaoen in einem ganz ungewohn- lichen Bereich. Das IR-Spektrum ware rnit der Struktur 15 weit besser vereinbar. Nur scheinbar im Widerspruch damit steht die Bildung eines Ammoniumsalzes (14a), dem zweifellos die offenkettige Struktur H4N@. e0,N = C(CN)2 zugeschrieben werden muB. Wie noch in dieser Arbeit gezeigt wird, ist unter den angewandten Bedingungen der glatte Ubergang von 15 in 14a zu erwarten. Bedauerlicherweise haben die Autoren anscheinend nicht versucht, das Nitril aus 14a zu regenerieren. Falls dies moglich ist, wiirde in Analogie zu den in Lit.22) zitierten Beispielen ein authentisches 2-Nitromalondinitril zu erwarten sein

16) H. Wieland und Mitarbeiter, Liebigs Ann. Chem. 444, 7 (1925).

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1973 Nitriloxide, XVII 903

,,Prafulminursaure" (13) Das nach Hilllo) erhaltene und als 10 formulierte Rohprodukt konnte aus wasser-

freien Losungsmitteln leicht - ohne Zersetzung oder Umlagerung in Fulminursaure (2) - umkristallisiert werden und schmolz dann genau bei 138.5"C (Zers.). Die spek- troskopische Untersuchung des Reinproduktes ergab die Unhaltbarkeit der Struktur 10; im IR- und Raman-Spektrum fehlte die fur eine C-N-Gruppe zu erwartende Absorption, dagegen waren Banden, die einer Imino- oder Aminogruppe und der Nitrogruppe zuzuordnen sind, deutlich ausgepragt. Das Massenspektrum war durch das Vorherrschen eines Fragments der Massenzahl M - 61 (N =C-C=N+O) charakterisiert, das mit sukzessiver Abspaltung von HCNO (Massenzahl43) und H20 (Massenzahl 18) zu deuten ist. Wir sehen deshalb die ,,Prafulminursaure" als 4-Nitro- d4-isoxazolin-5-imin (13) oder als eines der moglichen Tautomeren an.

Die Bildung von 13 aus 12 ist als eine typische, durch Basen verursachte Ringoff- nung (1,3-Protonenverschiebung) eines 3-substituierten Furazan-2-oxids anzusehen, wobei die durch N -0-Spaltung aus 12 entstehende Nitrilgruppe die Hydroxyimino- gruppe unter Bildung von 13 anlagert. Weitere Baseneinwirkung fuhrt von 13 direkt unter nochmaliger 1,3-Wasserstoffverschiebung zur Fulminursaure (2). Die extrem leichte Ringoffnung von 13 zur Fulminursaure (2) findet eine Parallele in dem beinahe momentanen Ubergang des A4-Isoxazolin-4,5-dion-dioxims (3, Metafulminursaure) in 2-(Hydroxyimino)malonitrilhydroxamsaure (4) unter den genau gleichen Bedin- gungen 17).

Die einzige noch bekannte Bildungsweise von 13 ist die als Nebenprodukt bei der spontanen Zersetzung des Nitromalondialdoxims in neutraler Losung (in der Hauptsache entstehen 2 und 4-Nitroisoxazol lob)).

, , y-Fulminursaure" (18) Der einzige ernsthafte Einwand gegen die Struktur 13 fur die ,,Prafulminursaure"

schien die Tatsache zu sein, daB von Ulpiani unter der Bezeichnung ,,y-Fulminur- saure" eine Verbindung von total anderen Eigenschaften beschrieben worden ist, fur die die Struktur 13 (oder die des Tautomeren 13a, 5-Amino-4-nitro-isoxazol) in An- spruch genommen wird. Unter anderem entsteht diese Verbindung durch kurzes Erhitzen von 2-(Hydroxyimino)malonitrilhydroxamsaure (4) auf etwa 80°C und Umkristallisation des Reaktionsproduktes aus siedendem Wasser 18).

Der fur die angebliche Bildung von 13a aus 4 vorgeschlagene Reaktionsablauf ist unglaubwurdig, jedoch bestatigte eine Nacharbeit die Richtigkeit der experimentellen Angaben. Die spektroskopischen Daten (Massen- und Infrarotspektrum 19)) fiihren jedoch zwangslaufig zu der Erkenntnis: ,,y-Fulminursaure" ist 5-0xo-A4-1,2,4-oxadia-

17) Im Gegensatz zu fruheren Autoren4a) hat wohl zuerst C. Ulgianils) auf die ungewohn- liche Labilitat von 3 hingewiesen.

18) C. UZpiuni, Gazz. Chim. Ital. 46, I, 1 (1916). Auf die dort beschriebene gleichermal3en undurchsichtige Bildungsweise dieses Korpers aus 3,4-Dicarbamoylfurazan-2-oxid23) sowie auf den angeblichen Beweis fur die Struktur 13 braucht hier nicht naher einge- gangen zu werden.

19) Einzelheiten siehe Experimenteller Teil.

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zolin-3-carbonsauveamid (18). Diese Verbindung 18 entsteht aus der Hydroxamsaure 4 durch Lossen-Umlagerung, wobei das gebildete Isocyanat 16 nach bekannten Vor- bildern sofort den 1,2,4-0xadiazol-Ring zu 17 schlieI3t 20), wahrend irgendwann unter den Reaktionsbedingungen Hydratisierung der Nitrilfunktion zur Amidogruppe ein- tritt.

C 1-C-C ONHz 11

HOyN 22 Z i N 0 2

8 H2N-F = HOHN-C-C (NOH)-CmN -++

0."'' 4 13a

1) 8 0 T 2) H 2 0 , 100°C J KNCO

G HN-C-C~V

o=C, 0' N [O=C=N-C(NOH)-C=N] --f

16 17 18 I N %

HzN-C-COZC~H, ClCO~C,€I, HzN-$-COzCzH, A Hy-$-CoZCzH,

19 0 20 21

11 ___, ___, W Y N C z H 5 W ; - O ~ ~ -C2HZOII O=Clo,N

Die Struktur 18 fur die ,,y-Fulminursaure" wurde durch zwei unabhangige Syn- thesen bestatigt :

1) Ausgehend von dem bekannten Oxalsaureiithylester-hydroximamid 21) (19) wurde durch Umsetzung mit Chlorkohlensaureester der Diester 20 erhalten. Beim Erhitzen spaltet 20 Athanol ab und liefert - allerdings in sehr schlechter Ausbeute - das 1,2,4-0xadiazolin 21, das dann wieder glatt durch konzentriertes Ammoniak in das Amid 18 iibergefiihrt wird.

2) Eine ergiebigere und kiirzere Synthese wurde in der Reaktion des aus Nitro- methan leicht zuganglichen Oxalamidhydroximsaurechlorids 22) (22) mit Kalium- cyanat gefunden, die in einer Stufe glatt zu 18 fiihrt.

Die von Ulpiani23) durch Behandlung der ,,y-Fulminursaure" mit Bariumhydroxid unter Ammoniakabspaltung erhaltene saure Verbindung C3H2N204 vom Schmp. 125°C (Zers.), die er als 5-Hydroxy-4-nitro-isoxazol auffaDt, ist in Wirklichkeit wohl die dem Amid ent- sprechende Carbonsaure (21, H anstelle von C2H5).

Mechanismus der Bildung von Fulminursaure (2) aus Quecksilberfulminat Als erster Schritt der Reaktionsfolge, die von Quecksilberfulminat zu 2 fiihrt, kann

man wohl eine - vermutlich geringfugige - Hydrolyse des Knallquecksilbers unter den Reaktionsbedingungen zu Quecksilberoxid (nachgewiesen) und freier Knallsaure (1) ansehen (Reaktion I). Die Knallsaure (1) wird laufend durch den nachsten Reak- tionsschritt, die bekannte4b) Dimerisierung zu (Hydroxyimino)acetonitriloxid (23),

20) C. Musante, Gazz. Chim. Ital. 68, 331 (1938). 21) J. Houben und E. Schmidt, Ber. Deut. Chem. Ges. 46, 3623 (1913); J. Houben, ebenda 69,

22) W. Steinkopf, J. Prakt. Chem. [2] 81, 193 (1910); W. Steinkopf und B. Jurgens, ebenda [2]

23) C. Ulpiani, Gazz. Chim. Ital. 42, I, 375 (1912).

2354 (1936), dort Anmerkung 8.

84, 710 (1911).

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1973 Nitriloxide, XVII 905

entfernt (Reaktion II), wodurch sich das Gleichgewicht der ersten Stufe laufend nach rechts verschiebt. Das Nitriloxid 23 reagiert nun selbst mit freier Knallsaure (1) unter Bildung des 3-(Hydroxyiminomethyl)furazan-2-oxids (12) (Reaktion 111).

I Hg(CN0)z - HzO * HgO + 2 HCNO

1

I1 2 HCNO - HON=CH-CcN-O

1 23

I l l I HCNO (1)

0 NO2 G

F-ZH II I Y OzN-CH- H I V HON=CH- HzN-C-CH-CtN c I s -

HN=C,O,N of1- o 2 k o . N

2 13 12 Dieser Schritt, der zunachst reine Spekulation war, hat eine unerwartete Stutze in

der Feststellung gefunden, daB ein von Ulpiani24) bei der spontanen Polymerisation von 1 bereits vor geraumer Zeit beobachtetes Nebenprodukt vom Schmp. 152°C - neben Metafulminursaure (3) als Hauptprodukt und geringen Mengen des Tetrameren 24 (Isocyanilsaure) - identisch mit 12 ist.

HON=CH- $-$-CH=NOH O&N.o,N

24 Trotzdem mu13 darauf hingewiesen werden, daR die spontane Polymerisation der freien

Knallsaure, die in atherischer oder waRriger, schwach saurer Losung zu iiber 90% zu 3 fiihrt, offensichtlich anderen GesetzmaRigkeiten folgt. Moglicherweise hat in diesem Falle das kine- tisch nachgewiesene Dimere25) zunachst eine von 23 verschiedene Struktur, die durch eine extrem hohe Reaktionsfahigkeit gegeniiber Knallsaure (1) ausgezeichnet ist und zu 3 fuhrt. Man konnte dabei z. B. an Furazan-2-oxid (Furoxan) oder 1,2-Dinitrosoathylen denken. Das Nitriloxid 23 bildet sich relativ langsam aus diesem primar gebildeten Dimeren und reagiert dann entweder rnit sich selbst zu 24 oder rnit Knallsaure (1) zu 12. Aus den relativen Mengen an 24 und 12, die neben 3 isolierbar sind, kann man in erster Naherung schlieBen, daB 23 gegeniiber beiden Partnern etwa gleich reaktiv sein muR.

DaB im Falle der Fulminursaure-Bildung 12 und nicht 3 zum Hauptprodukt wird, mag ver- schiedene Ursachen haben : Entweder beschleunigen Quecksilberionen die Umwandlung des primar gebildeten Dimeren in 23 und katalysieren vorzugsweise seine Reaktion rnit 1, oder die Reaktionen I1 und I11 erfolgen iiber die Stufe von salzartigen (komplexen) Quecksilberverbin- dungen26), oder aber die fast ausschlieRliche Bildung von 12 hangt lediglich vom pH-Wert ab. Fulminursaure (2) entsteht glatt in schwach alkalischer Losung (HgO), jedoch noch besser in deutlich basischem Reaktionsmilieu (alkoholisches Ammoniak)27). Die vorherrschenden Reaktionsbedingungen schlieBen jedenfalls die in stark saurer Losung begiinstigte Dimeri- sierung von 23 zu 24 aus16). 24) Lit.ls), dort S. 18-19. Ulpiani hatte daselbst eine nahere Untersuchung der fraglichen

2 5 ) L. Birckenbach und K. Sennewald, Liebigs Ann. Chem. 512, 45 (1934); K . Sennewald und

26) Eine Moglichkeit, die schon H . WieZand4a) erwogen hat. 27) A. Steiner, Ber. Deut. Chem. Ges. 9, 781 (1876).

Verbindung angekiindigt, woriiber jedoch nichts in der Literatur zu finden ist.

L. Birckenbach, ebenda 520, 201 (1935).

Page 9: Nitriloxide, XVII1) Untersuchungen zum Mechanismus der Bildung von Fulminursäure aus Knallsäure

906 C. Grundmann, R . K . Bansal und P . S. Osmanski 1973

Fur die anschlieljend postulierten Schritte IV und V der Umwandlung von 3-(Hy- droxyiminomethyl)furazan-2-oxid (12) in 4-Nitro-A4-isoxazolin-5-imin (13, Praful- minursaure) und dessen Umlagerung zu 2-Nitromalonamidnitril (2, Fulminursaure) ist in dieser Untersuchung nachgewiesen worden, daR sie unter den entsprechenden Bedingungen glatt und eindeutig ablaufen.

Die vorliegende Arbeit wurde teilweise unterstiitzt durch den U. S. Public Health Service (Research Grant CA 10747 des National Cancer Institute, BethesdalMaryland), wofiir wir unseren Dank aussprecben mochten. Wir danken ferner den Herren W. G . Fateley, F. R . Dollish und D . F. Pensenstadler fur die Aufnahme einiger IR- und der Raman-Spektren sowie Herrn J . R . Boa1 fur die Aufnahme der Massenspektren.

Experimenteller Teil Die Schmelzpunkte wurden - soweit nicht anders angegeben - rnit dem Mikroschmelz-

punktsapparat von Fisher-Johns bestimmt und sind korrigiert. - Die Mikroanalysen wurden von den Galbraitb Laboratories, Knoxville, ausgefiihrt. - Die Massenspektren wurden mit dem AEI-Spektrographen MS 9 bei 70 eV/100 A aufgenommen. Alle Proben wurden kalt und direkt eingefiihrt; die Temperatur der Ionenquelle ist bei den einzelnen Spektren jeweils in Klammern angegeben. Die IR-Spektren wurden von KBr-PreRlingen rnit dem Spektrogra- phen Beckmann IR 9 gemessen; es wurde ein hochempfindliches Gerat verwandt, da es sich gezeigt hattell), da8 bei analogen Verbindungen die speziell interessierende C = N-Bande oft so schwach ist, daR sie rnit konventionellen Laboratoriumsinstrumenten nicht erfaRt wird. Die Raman-Spektren wurden von Festsubstanzen rnit dem Gerat Carey, Modell 81, modifi- ziert fur Laseranregung (Argonionen-Laser, 4880 A, Spectrophysics Modell 165) aufgenom- men. A4-Zsoxazolin-4,5-dion-dioxim (3, Metafulminursaure). - Freie Knallsaure (1) wurde aus

Formhydroximsaurejodid bereitetzg). Das aus 10 g Quecksilber schlieRlich erhaltene Form- hydroximsaurejodid (ca. 7.5 g) wird unmittelbar nach der Isolierung genau gewogen, sofort in 10 ml Eis/Wasser suspendiert und unter Eiskiihlung und lebhaftem Umschutteln tropfen- weise aus einer Burette rnit 95 % der berechneten Menge an 0.1 N NaOH versetzt, so da13 die eventuell auftretende Gelbfarbung niemals mehr als einige Sekunden bestehen bleibt. Die immer noch schwach saure Losung [neutralisiert man weiter, so besteht die Gefahr einer teil- weisen Umlagerung von 3 in 2-(Hydroxyimino)malonitrilhydroxamsaure (4)] liefert nach Ste- hen iiber Nacht bei 0°C in 64-68proz. Ausbeute 3, das rnit wenig Eis/Wasser gewaschen, vollig frei von 4 ist. Der Rest an 3 kann nach Einstellen der Mutterlauge auf pH = 5-6 mit Ather extrahiert werden, ist aber mit etwas 4 verunreinigt. Der Schmp. der Hauptfraktion von 3 lag nach einmaligem Umkristallisieren aus Ather/Petrolather bei 118°C (Zers., Lit.18) 106°C). Die Reaktion rnit FeCI3 zeigt bereits im Rohprodukt die vollige Abwesenheit von 4 an. Unser umkristallisiertes und i. Vak. iiber P2O5 getrocknetes Praparat war monatelang bei -10°C haltbar. 2-(Hydroxyimino)malonitrilhydroxamsaure (4). - 1.29 g (10 mmol) 3 werden in kleinen

Anteilen unter lebhaftem Umschiitteln in 100 mlO.1 N NaOH eingetragen, wobei die zunachst zitronengelbe, griin fluoreszierende Losung in 1-2 min schmutzig orangegelb wird *). Zu

*) Vorsicht! Als zu 1.96 g fein gepulvertem in einem 50-ml-Erlenmeyerkolben befindlichem 3 auf einmal und ohne Kiihlung 15.2 ml 1 N NaOH (1.0 mol) zugegeben werden sollten, trat eine heftige Explosion ein, noch bevor alle Lauge zugefiigt worden war.

2 8 ) R. Huisgen und M . Christl, Angew. Chem. 79, 471 (1967); C. Grundmann, Synthesis 1970 344.

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1973 Nitriloxide, XVII 907

diesem Zeitpunkt wird die Losung rnit konz. HCI auf pH = 1 gestellt. Der angesauerten waB- rigen Losung wird 4 rnit Athylacetat entzogen (8 Extraktionen rnit je 50 ml ergeben eine Aus- beute von 85-90%). Das so gewonnene 4 schmilzt (einheitlich aus allen Extrakten) bei 126-128"C, also etwa 10°C hoher als angegeben29).

Versuche zur Umwandlung von 4 in 2-NitromalonumidnitriI (2, Fulminursaure): 230 mg 4 wurden in 10 ml Wasser unter RuckfluR erhitzt, bis nach 8 h die FeC13-Reaktion auf 4 negativ war. In Abstanden von je 1 h wurden der Reaktionslosung aliquote Proben entnommen und rnit ammoniakalischer [Kupfer(II)-acetat]-Losung auf 2 gepruft. Die Reaktion war in allen Fallen negativ; unter den gegebenen Bedingungen ware eine nur 3prOZ. Umwandlung von 4 in 2 nachweisbar gewesen, wie durch Blindversuche rnit authentischem 2 festgestellt wurde. - Analoge Versuche in Gegenwart molarer Mengen Quecksilberoxid und Kaliumchlorid fiihr- ten bereits nach 90 min zum volligen Verschwinden von 4, ohne daR nach Entfernung der Quecksilberionen durch H2S die Gegenwart von 2 durch die oben beschriebene Reaktion nachgewiesen werden konnte.

3- (Hydroxyiminomethyl) furazan-2-oxid (12, Furoxanaldoxim) 1) Natrium-malondialdehyd-2-nitronat30) wurde nach Literaturangaben 10) in S-fAcetyZ-

iminornethyl) furazan-boxid (11) ubergefuhrt. Es wurden 50-60% 11 rnit Schmp. 87-88°C erhalten. Aus der Mutterlauge lassen sich rnit Ather noch weitere 10% eines Gemisches aus 11 und 12 isolieren.

2) 6.40 g 11 werden rnit 50 mlO.1 N HC1 auf dem Dampfbad unter haufigem Umschutteln 40 min erwarmt. Die klare Losung laRt man uber Nacht auf hochstens 25°C abkiihlen, wobei 2.27 g (47 %) 12 in derben Prismen auskristallisieren, die - rnit wenig Wasser gewaschen - bei genau 149°C schmelzen. Dieses Praparat ist rnit dem ,,cc-Oxim" von Ruske14) identisch. Nach Umkristallisation aus Toluol schmilzt 12 bei 152°C. - IR: v = 3230 (ss, OH), 1610 (ss, C=N), 1530 (s), 1520 (s), 1350 (s), 1030 (ss), 840 (s), 760 cm-1 (ss, Furoxan)31). - Raman: v = 3115 (w, CH), 3020 (w, CH), 1625 (s, C=N), 1600 (ss), 1500 (m), 1300 (s), 1035 (m), 940 (s, Furoxan). - MS (200°C): m/e = 129 (Me), 99 (M - NO), 69 (M - N202), 68 (NC-CNO), 52 (NC-CN), 44 (HCNOH), 43 (CHNO). Das fur ein 2-Nitromalonaldoxim- nitril (9) zu erwartende Bruchstuck m/e = 83 (M - NO*) entsteht kaum spurenweise (vgl. dam das Massenspektrum von 2).

Wird die waRrige Mutterlauge von 12 einige Stunden bei 0°C aufbewahrt, so verfestigt sie sich zu einem Brei verfilzter Nadeln, die nach dem Waschen mit wenig eiskaltem Wasser bei etwa 102-110°C schmelzen. Das Produkt besteht aus einem Gemisch von 12 rnit dem nie- driger schmelzenden Isomeren, dem ,,p-Oxim" von Ruske14) (1.36 g; 28%). Die nun ver- bliebene Mutterlauge enthalt weitere Mengen dieses Gemisches, aber keine Fulminursaure (2). Zahlreiche Versuche durch Umkristallisation oder Chromatographie aus verschiedenen Lo- sungsmitteln dieses Gemisch weiter aufzutrennen, fuhrten stets zur Isolierung von reinem 12, aber nie zu ,,p-Oxim"-Praparaten rnit dem angegebenen Schmp. 76 -77°C. Die anscheinend einheitlichen, leichtest loslichen Fraktionen schmelzen schlieRlich konstant bei 99 - 100°C. IR: v = 3210 (OH), 1590 (ss), 1500 (9, 1335 (s), 975 (s), 765 cm-1 (s). - Raman: v = 3150 (w), 3120 (w, OH), 3030 (w, CH), 1645 (ss, C=N), 1598 (ss), 1505 (s), 1420 (s), 1395 (m), 1225 (m), 975 (m), 795 cm-1 (m). Sowohl im IR- wie im Raman-Spektrum zwischen 1700 und 3000 cm-1 keine Absorption.

C3H3N303 (129.1) Ber. C 27.91 H 2.34 N 32.56 Gef. C 27.93 H 2.35 N 32.67

29) H. Wielund und H. Hess, Ber. Deut. Chem. Ges. 42, 1346 (1909). 30) P. E. Fanta, Org. Synth. 32, 95 (1952). 31) E. Borelli und M. Colombo, Ann. Chim. (Rome) 47, 649 (1957).

Liebigs Ann. Chem. 1973, Heff5/6 60

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908 C. Grundmann, R. K. Bansal und P . S. Osmanski 1973

4-Nirro-A4-isoxazolin-5-imin (13). - 1.291 g 12 (0.101 mol) lost man in 10.0 ml 1 N NaOH bei Raumtemperatur innerhalb von 5 min auf. Die gelbe Losung wird mit genau 10.0ml 1 N HCI versetzt und uber Nacht bei 0°C aufbewahrt. Das auskristallisierte 13 (1.076 g; 83 %) wird mit wenig eiskaltem Wasser gewaschen und aus Athylacetat/Petrolather (2:l) umkristalli- siert, wobei keine Umlagerung in Fulminursaure (2) eintritt. Man erhalt farblose Prismen vom Schmp. 138.5-139°C (Zers.). - IR: v = 3380 (s, NH), 3200 (s, NH3, 3140 (w, CH), 1700 (ss, C=N), 1455 (ss), 1320cm-1 (s, N02). - Raman: v = 2950 (w, CH), 1650 (w, C=N), 1440 (ss), 1330 cm-1 (s, N02). In beiden Spektren sind keine C =N-Banden zwischen 2100 und 2300cm-1. - MS (240°C): m/e = 129 (Me), 113 (M - 0), 102 (M - HCN), 99

43 (HCNO). (M - NO), 86 (M - HNCO), 83 (M - NO2) 68 (NC-CNO), 52 (NC-CN), 44 (HzNCO),

C ~ H ~ N ~ O J (129.1) Ber. C27.91 H 2.34 N 32.56 Gef. C27.91 H2.27 N 32.51

Die Mutterlaugen von 13 enthalten neben etwas Fulminursaure (2) eine mit 13 isomere Ver- bindung, die durch Extraktion mit Ather (Trennung von 2) und Umkristallisation aus Benzol/ Ligroin als schwach gelbliche Nadeln vom Schmp. 118°C (Zers.) erhalten wurde. - IR: keine C -N-Bande, aber Banden, die fur die H2NCO-Gruppe und den Furoxanring typisch sind.

C3H3N303 (129.1) Ber. C 27.91 H 2.34 N 32.56 Gef. C 27.52 H 2.53 N 31.81

Moglicherweise liegt in dieser nicht naher untersuchten Verbindung das 3-Carbamoylfurazan- 2-oxid oder das isomere 5-Oxid vor. Im Gegensatz zu 13 wird diese Verbindung nicht schon durch heiOes Wasser, sondern erst durch Alkalihydroxid in der Warme in Fulminursaure (2) umgelagert.

2-Nitromalonamidnifril (Fulminursaure) (2). - a) Durch Umlagerung von 13 in warmem Wasser wie in Lit.10 b) beschrieben. b) Aus Quecksilberfulminat 2.3). c) Totalsynthetisch aus 2-(Hydroxyimino)malonsaurenitril-athylester 32). In den beiden letzten Fallen erhalt man 2 als Kaliumsalz, aus dem das freie 2 durch Fallung mit ammoniakalischer Kupfer(I1)-Salz- losung als fast wasserunlosliches Kupfer(I1)-ammonium-Salz abgeschieden wird. 1 .OO g dieses Salzes werden mit 5 ml konz. HCI verrieben und der entstandene Brei i. Vak. uber KOH vollig getrocknet. Der fein gepulverte Ruckstand wird dreimal mit je 15 ml Athylacetat aus- gekocht und die vereinigten Extrakte i. Vak. eingedampft. Das so erhaltene schwach gelb- liche 2 (0.46 g; 70 %) fallt nach einmaligem Umkristallisieren aus Athylacetat/Petrolather vollig rein mit Schmp. 143.5"C (Zers.) an. - IR: v = 3340 (s, NH;?), 3170 (s, OH), 2240 (m, C =N), 1640 (ss, CONHz), 1390 (m), 1350 (ss, NOz), 1150 (ss), 1050 cm-1 (s, =N02H). - Raman: v = 2900 (ss, Multiplett), 2230 (s, C =N), 1665 (s, CONHz), 1330 (s, NOz), 1150 cm-1 (ss, =N02H). - MS (220°C): m/e = 129 (Me), 113 (M - 0), 86 (M - HCNO), 83 (M - N02, dominierend), 69 (NC-CHNO), 68 (NC-CNO), 52 (NC-CN).

3-Carbamoyl-A~-1,2,4-oxadiazolin-5-on (18) a) Aus 2-(Hydroxyimino)malonitrilhydroxamsaure (4) : 250 mg 4 werden auf einem Uhr-

glas auf 100°C erhitzt, bis nach 110 min eine Probe eine negative FeCIyReaktion auf 4 zeigt. Der Ruckstand wird wiederholt aus ca. 2 ml Wasser umkristallisiert, wobei schlieOlich 42 mg 18 als schwach gelbliche Prismen vom Schmp. 261 -263°C (Zers.) erhalten werden. Nicht vollig gereinigte Praparate zeigen den in Lit.18) angegebenen Schmp. 247°C (Zers.). - IR:

1410 (s), 945 (s), 755 (s), 700 cm-1 (s). - MS (220°C): m/e = 129 (Me), 99 (M - NO), 71 3350 ( s , NHz), 3210 (s) , 3175 (s, NH), 1790 ( S S , C=O), 1705 (SS, CONHz), 1585 ( s , C=N),

(M - NOCO), 43 (HNCO). C3H3N303 (129.1) Ber. C 27.91 H 2.34 N 32.56 Gef. C 27.80 H 2.26 N 32.42

32) M. Conrad und A . Schulze, Ber. Deut. Chem. Ges. 42, 735 (1909).

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1973 Nitriloxide, XVII 909

b) Aus Oxalsaureathylester-hydroximamid (19)

1) 3.0 g 19 und 1.4 g Chlorkohlensaure-athylester (Molverhaltnis 2:l) werden in 30 ml Benzol 3 h unter RuckfluR gekocht. Nach Verdampfen des Losungsmittels wird dem Riick- stand das gebildete Hydrochlorid von 0-(Athoxycarbonyl) oxalsaureathylester-hydroximamid (20) durch Extraktion mit 15 ml heiRem Wasser entzogen und der Rest aus Benzol/Petrol- ather umkristallisiert. Ausbeute 1.3 g (56%) 20 mit Schmp. 131--131.5"C (Lit.33) 130.5 bis 1 3 1 "C).

2) 1.7 g 20 werden 2 h im Olbad in einem offenen Kolben auf 130-140°C erhitzt. Die dunkle Schmelze wird in 35 ml Ather aufgenommen. Es wird von braunen amorphen Neben- produkten abfiltriert und das Filtrat nach Verdampfen des Athers i. Vak. destilliert, wobei eine geringe Menge von 5-0xo-A~-I,2,4-oxadiazolin-3-carbonsaure-athylester (21) als farb- loses 0 1 vom Sdp. I58-l6l0C/1.8 Torr erhalten wird.

CsHsNz04 (158.1) Ber. C 37.98 H 3.83 N 17.72 Gef. C 37.89 H 3.94 N 17.89

3) 25 mg 21 werden in 2 ml konz. Ammoniak gelost und man laRt die Losung auf einem Uhrglas bei 25°C langsam verdampfen. Der Riickstand wird in 1 ml heiRem Wasser gelost und 2 ml konz. HCl zugegeben. Nach Stehenlassen bei 0°C kristallisieren 12 mg 18 aus, die nach einmaligem Umkristallisieren aus Wasser bei 261 -261.5'C schmelzen.

c) Aus Oxalamidhydroximsaurechlorid (22): Eine Losung von 2.5 g (0.02 mol) 22 in 10 ml Methanol werden innerhalb von 15 min unter Riihren in eine Losung von 3.5 g (0.04 mol) Kaliumcyanat in 20 ml Wasser eingetropft, wobei die Temperatur des Reaktionsgemisches durch gelegentliches Kuhlen zwischen 25 und 35°C gehalten wird. Man erhitzt dann noch fur 10 min auf dem Dampfbad und bewahrt den gebildeten dicken Kristallbrei iiber Nacht bei 0°C auf. Die rnit kaltem Wasser gewaschenen Kristalle werden aus 20 ml 75proz. Essig- saure umkristallisiert. Ausbeute 2.0 g (77 %) 18 vom Schmp. 250"C, nach einmaligem Um- kristallisieren aus 30 ml siedendem Wasser Schmp. 263°C (Zers., Meltemp-Block).

IR-Spektrum und Misch.-Schmp. erweisen die Identitat der nach b) und c) synthetisierten Praparate mit der authentischen nach a) dargestellten Verbindung 18.

33) R. U n und H . Feuer, Istanbul Univ. Fen. Fak., Mecm. Seri C 32, 25 (1967) [C. A. 72, 55 352 h (1971)l. Erst nach AbschluR dieser Arbeit konnten wir in die Originalmitteilung Einblick nehmen. Dort (nicht im Referat von Chemical Abstracts) ist bereits die Umwand- lung von 20 in 18 auf einem von dem unseren verschiedenen Weg beschrieben.

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