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106 Dr. Carl Bolle: Im Sommer 1829 wurde mir zum ersten Mal das Vergniigen zu Theft, in meinem Gaxten 2 iunge V~gelehen an einem K:r- essen- beet zu sehen und ihrer habhaft zu werden. Sie mussten wohl in der Niche ausgebriitet worden sein~ dean in den folgenden Jah- ren liessen sich hin und wieder um das D0rf her Standv6gel h6- ren, ohne dass ich jedoeh ihre Nester ausfindig maehen konnte. Seit 1835 ist Hanau mein Wohnm% wo ieh schon friiher yon 1813 bis 1818 reich aufgehalten habe. Wahrend jener Zeit ist miz- hie ein Girlitz hier vorgekommen,- nach meinem 2. Einzuge abet gewahrte ich bald, dass mittlerwefle rings um unsere Stadt, also 4 MeiIen gstlich yon Frankfurt, eine ziemliche Ansiedlung stattgefunden hatte, und seit einigen Sommern zeigte sich regel- massig auch in meinem kleinen Hausgaxten ein Piirchen, das, da sich in der ni~ehsten Nachbarschaft die giinstigste Brutgelegenheit darbietet, sich ans~tssig gemacht haben muss. ikuf Nadelholz soll der Girlitz am liebsten nisten. Hieraus erkllh't sich wohl, warum es ihm zu Frankfurt, dessen Garten mit allerlei Nadelholzarten yon jeher geziert waxen, so vorzugsweise behagt hat." Glogau, den 24. Februar 1862. Noch etwas fiber den Giflitz. Von Dr. Carl Bolle. Im Anschluss an den vorstehenden ±u£satz meines Freundes, des Lieutenant A. yon Homeyer, bemerke ich noch Folgeades : Der Girlitz ist bei Frankfurt so lunge einheimisch, als wir tiberhaupt eine ornithologische Litteratur haben, d. h. seit wenig- stens drei Jahrhunderten. Konrad Gessner, dem Aldrovandi fast w0rtlieh naehsehreibt, kennt ihn bereits daselbst unter der noch jetzt yon uns gebrauchten Benennung. Er fiigt hinzu, der eigent- liehe deutsche Name sei Fademle, in der Schweiz Schwadefle, im Etsass Gyrle. Aueh des Ausdruckes I~rngryi1 geschieht bei jenen i~lteren Autoren bereits Erwi~hnung. ,,Zu derselben Ar~ geh(iren nicht minder die Scartzerini genannten Vogelchen, die bei Trient (in Welsehtyrol) gcfangen, und nach Deutschland gebracht werden. Dort heissen sie ,,HirngTyllen", ihres besti~ndigen Singens wegen, welches sie, gleieh den Grillen auf sonnigen ieckern oder den Heimchen um warme B~der und BackOfen herum, unaufh6rlich

Noch etwas über den Girlitz

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106 Dr. Carl Bolle:

Im Sommer 1829 wurde mir zum ersten Mal das Vergniigen zu Theft, in meinem Gaxten 2 iunge V~gelehen an einem K:r- essen- beet zu sehen und ihrer habhaft zu werden. Sie mussten wohl in der Niche ausgebriitet worden sein~ dean in den folgenden Jah- ren liessen sich hin und wieder um das D0rf her Standv6gel h6- ren, ohne dass ich jedoeh ihre Nester ausfindig maehen konnte. Seit 1835 ist Hanau mein Wohnm% wo ieh schon friiher yon 1813 bis 1818 reich aufgehalten habe. Wahrend jener Zeit ist miz- hie ein Girlitz hier v o r g e k o m m e n , - nach meinem 2. Einzuge abet gewahrte ich bald, dass mittlerwefle rings um unsere Stadt, also 4 MeiIen gstlich yon Frankfurt, eine ziemliche Ansiedlung stattgefunden hatte, und seit einigen Sommern zeigte sich regel- massig auch in meinem kleinen Hausgaxten ein Piirchen, das, da sich in der ni~ehsten Nachbarschaft die giinstigste Brutgelegenheit darbietet, sich ans~tssig gemacht haben muss. ikuf Nadelholz soll der Girlitz am liebsten nisten. Hieraus erkllh't sich wohl, warum es ihm zu Frankfurt, dessen Garten mit allerlei Nadelholzarten yon jeher geziert waxen, so vorzugsweise behagt hat."

Glogau, den 24. Februar 1862.

Noch etwas fiber den Giflitz. Von

Dr. Carl Bolle.

Im Anschluss an den vorstehenden ±u£satz meines Freundes, des Lieutenant A. yon Homeyer, bemerke ich noch Folgeades :

Der Girlitz ist bei Frankfurt so lunge einheimisch, als wir tiberhaupt eine ornithologische Litteratur haben, d. h. seit wenig- stens drei Jahrhunderten. Konrad Gessner, dem Aldrovandi fast w0rtlieh naehsehreibt, kennt ihn bereits daselbst unter der noch jetzt yon uns gebrauchten Benennung. Er fiigt hinzu, der eigent- liehe deutsche Name sei Fademle, in der Schweiz Schwadefle, im Etsass Gyrle. Aueh des Ausdruckes I~rngryi1 geschieht bei jenen i~lteren Autoren bereits Erwi~hnung. ,,Zu derselben Ar~ geh(iren nicht minder die Scartzerini genannten Vogelchen, die bei Trient (in Welsehtyrol) gcfangen, und nach Deutschland gebracht werden. Dort heissen sie ,,HirngTyllen", ihres besti~ndigen Singens wegen, welches sie, gleieh den Grillen auf sonnigen i e c k e r n oder den Heimchen um warme B~der und BackOfen herum, unaufh6rlich

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vernehmen lassen. Aueh in Karnthen f~ngt man sie und in Augs- burg werden sie hiiufig verkauft, wobei man die Bemerkung ge- macht haben will, das Weibchen singe ebenfalls. Man hat in Italien in den Vogelh~iusern yore Girlitz Junge aufgebracht. MJt dem Zeisig gepaarte Sieen haben nur Eier gelegt, aus denen nichts auskam. ~

Der Girlitz erscheint, allerdings h~ehst selten, yon Zeit zu Zeit im n~)rd]iehen Deutschland und dehnt seine Fltige wahrscheinlich bis zu beiden ~eeren aus. Er ist, soviel ich weiss, auf Helgo- land erlegt worden. Ausserdem kenne ich zwei Falle seines Vor- kommens in der Mark Brandenburg. Sie betreffen Beide in der Jungfernhaide bei Berlin gefangene, vereinzelte, abet unstreitig wirldieh wilde Individuen. Der Erste derselben ereignete sich vor lttnger als zwanzig Jahren, wo der Vater eines hiesigen Vo- gelh~indlers and Vogelstellers, des Herrn Gustav Bless, fiir den ich mich als h~Jchst zuverl~ssigen Gew~ihrsmann verbfirgen kann, einen Girlitz dicht bei der M~ckernitz, einem verwaehsenen Wald- sumpf am rechten Spreeufer, zwisehen Berlin und Spandau, unter Zeisigen ring.

Damals war der Girlitz den Berliner Vogelh~ndlern so gut wie unbekannt. Das ist seitdem anders geworden. Die dureh die Eisenbahn so sehr erleichterte Kommunikation fiihrt ihn uns nun aber nicht yon Frankfurt her, sondern aus dem Sfidosten, aus Ungarn und Oesterreich, in ziemlicher Menge lebend als Stuben- vogel zu. Dies geschieht erst seit zwei bis drei Jahren. Jetzt fehlt es einem Vogelstande unseres so reich versehenen Marktes nieht leicht an einigen Paaren dieses niedlichen Finken, den man seines Gesanges halber weniger als seines h~ibschen Gefieders und sei- her Kleinheit wegen schatzt und yon dem die alten H~hnehen re_it fast ganz goldgelbem Kopfe am beliebtesten sind. Besonders Sch~ne gelten alas Stfick etwa einen Gulden. Anfangs versttim- melten nicht selten die Verkauferinnen den wahren Namen des Vogels naeh der Analogie des provinziellen ,,Zeising" in ,,Girling" jetzt haben sie ihn riehtig ausspreehen gelernt. Das Thierchen ist schon eine so allt~tgliche Erscheinung geworden, dass Alfred Hansmann, wenn er fortf~ihrt nnseren durch seine e]egante Feder verherrlichten Vogelmarkt zu besuchen, jetzt die Schulknaben mit demselben Gleichmuth auf einen K~ifig hindeutend ,,Das ist ein Girlitz," sagen h~ren kann~ wie sie sonst wohl in ihren ornitho- logischen Erkl~irungen: ,,Das ist ein Stieglitz, das ist ein Hanfer- ling," etc. zu dociren piiegen.

108 Dr. Carl Bolle:

Die Fortpflaazung des Girlitzes in der Gefangenschaft geht mit grosser Leiehtigkeit voustatten. ~) Es unterliegt keinem Zweifel, dass derselbe mit geringer Miihe, gleich dem Canarienvogel, zum vollendeten Hausvtigelchen gemaeht werden k~nnte.

Ieh will hier ein Beispiel einer derartigen Vellnehrung, de- ren Zeuge und Veranlasser ich ganz neuerdings gewesen bin, er- z~hlen, weil sie Nebenumst•nde zu meiner Kenntniss brachte, die fiir die Beurtheilung des Girlitznatm'ells nicht ohne Bedeutung sein diirften. Dieselbe kann zugleich als Beweis der Zutraulich- keit und der verhi~ltnissmassigen Klugheit dieses Thierehens dienen.

Ich unterhielt im Friihling 1861 ein Girlitzp~rchen in einer ger~umigen Voli~re, unter Canarienv~gelu und aaderen Fringillen. Sie waren spat hineingesetzt worden,, daher mochten sie wohl Zeit brauehen, sich mit ihrem neuen Aufenthalt zu befreunden. Trotzdem, dass das H~hnchen mit gewohntem Eifer sein Lied er- t0nen liess und aueh die eigenthiimliehen flatternden Schwenkun- gen in der Luft ausftflu'te, ring es doch erst in der zweiten H~lfte des Juni an, Paarungsversuche zu machen, welehe anfangs vom Weibchen eigensinnig zuriickgewiesen wurden, doch bald mit el- nero, zu meiner Freude, keineswegs platonisehen Ehebiindniss en- detem Naeh langerem Ztigern entschlossen sich die VOgel pl0tz- lieh zum Nestbau. Binnen drei Tagen ward er begonnen und voUendet. Das Nest stand in einem jener bekannten Harzer Holz: bauer, war hoch aufgethfirmt, enthielt oben aber nur eine ganz flache Vertiefung, gerade ger~tumig genug um die drei Eier, wel- che hineingelegt wurden, aufzunehmen. Vom Legen des zweiten Eies an, verliess die Mutter das Nest fast gar nicht meln-; sie liess sich auf demselben yon iln'em darin sehr eifrigen Gatten aus dem Kropfe atzen. Das Merkwiirdigste war, dass sie, hierin den gew0hnlieh sehiichternen und bei jeder Annaherung abstrei- chenden, oft die Eier mit sich hinausreissenden Canariensieen ganz ungleich, fast wie eine Glucke auf den Eiern und spater auf den kleinen Jungen sass. Man konnte den Bauer sammt dem Nest herunternehmen und das brfitende Thierchen mit der

~) Der trefltiche Beobachter Tristram bemerkt fiber den Girlitz in Algerien, derselbe werde daselbst oft zahm gehalten, und pflanze sich mit Leichtigkeit in der Gefaagenschaft fort Er fand den-VogeI in dem haupts~clflich aus witden Oelb~umen bestehenden Walde yon Koteah, am S/idrande des Sa- helgebirges, im ~ai 1856 brfitend und das Nest dem des Stieglitzes sehr £hnlichj aber weniger fief und w~rmer ausgefiittert.

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Hand berfihren und streicheln, ohne (lass es yon seinem Platze gewichen wiixe. Dabei muss bemerkt werden, dass bier yon keinem etwa aufgeffitterten Vogel die Rede ist. Gegen Ende der Brut- zeit nahm die Emsigkeit im Briiten noch zu. Nur dureh vorsich- tiges Beiseiteschieben des ¥(igelchens konnte man zur Ansieht der Eier gelangen. Ein Ei war klar. Die zwei ausgekommenen Jungen gediehen unter der Pflege ihrer Eltern anfangs vortreffllich. Das Hahnchen ftitterte noch fleissiger ats die Sie. Immer noch bedeekte sie Letztere, als ieh eines Tages bemerkte, wie eia Kleines, schon mit Stoppeln bedeckt, gestorben war ~md bereits in Vemvesung iiberzugehen begann. Die Alte hatte es weder zu entfernen gewusst, noch sich in ihrer Mutterpflicht durch den fiblen Geruch beirren zu lassen. Sie hatte ihren Sitz auf dem Nest nieht aufgegeben.

Das iiberlebende Junge wuchs heran und war vollsti~ndig befiedert, als es nach mehrmaligen, verfriihten Versuehen das Nest zu verlassen, bei einem abermaligen Herausspringen aus dem hoeh hiingenden Bauer, so unglficklich riel, dass es mit zerbrochenem Kreuze am Boden der Voli~re gefunden wurde.

Was that nun das Girlitzp~irehen? Es gab einen seltenen Beweis seiner Klughei~ und DenkP, thigkeit. Die Ursache des Todes seines Kindes bewog es n~thmlich, das zweite Nest tier un- ten in einem, kaum einen Fuss fiber dem Erdreich erhabenen, Harzbauer anzulegen. I=Iier hatte ein fliigges Junge dreist, ohne sich zu verletzen, herausspringen ksnnen. Da das Mi~nnchen in- dess, - - es wax Ende Juli, - - zu mausern begonnen hatte, konnte das Weibehen keine geniigende Befruehtung mehr erlangen and die zweite Brut unterblieb.

Aus dem Gesagten seheint hervorzugehen, dass~ nach Art der Buchfinken, die jungen Girlitze das 5lest sehr frfih verlassen mfissen. Sie werden sich wohl, halbflfigge auf benachbarten Zweigen sitzend~ yon den Eltern grossffittern lassen. Im Winter m~igen beide Geschlechter in getrennten Flfigen leben; wenig- stens bemerkte ich zu dieser Jahreszeit an im Kafig Zusammenge- sperrten eine ebenso grosse Unvertraglichkeit, als-sie im Sommer einander Zitrtlichkeiten zu erweisen gewohnt sind.

Den Gesang liisst das Mannchen in der Gefangensehaft auch nach beendeter Mauser, im Herbst, aber weniger fleissig als im Frfih]ing h(Jren. Es beginnt Ende Januar oder im Februar wie- der damit. Was die Fiitterungsmethode anbelangt, so lehrt die

110 William Preyer:

Erfatn.ung, dass, obwohl der Girlitz an fast alle Artea kleiner Si~mereien geht, doeh, wenn er gedeihen~ d. h. sich halten soll, Mohn als Hauptfutter gereicht werden muss. In Frankt'urt ftittert man sehwarzen, in der Mark geben wir mit ebenso gutem Erfolg den bier zu Lande gebrauchlicheren weissen Mohnsamen.

Ueber Plautus impennis Briinn. Yon

William Preyer.

Wenn irgend eine Thierart die zu ihrer Existenz n0thigen Bedingungen nicht gegeben finder, wenn sie durch ihre nattirliehe Anlage im Kampfe um's Dasein im Nachtheil ist, so geht diese Art unter und macht andern besser organisirten Platz. So sehen wir Arten vergehen oder eigentlich unterliegen. Welches nun die unmittelbaren Ursachen des Unterganges der zahllosen jetzt nicht mehr durch lebende Repr~tsentanten vertretenen Thierge- schlechter sind, das ist ffir uns in den allermeisten Fallen in das geheimnissvollste Dunkel gehtillt. Nur bei einigen wenigen, in historischer Zeit uusgestorbenen Arten, welche~ seitdem sie uns bekannt, immer auf einen sehr kleinen geographischen Verbrei- tungsbezirk b~schrankt waa'en, kann kein Zweifel obwalten dariiber, dass der Mensch und zwar der Mensch allein der Vernichter der Art gewesen sei; den Dodo z. B. (I)idus ineTtus ) fauden Portu- giesische Matrosen noch in der Mitte des 17. Jahrhunderts lebend auf den Inseln Mauritius und Rodriguez, wo er jetzt ganz aus- gerottet ist, und wenn es nicht gelingt, ihn in den unbekannten Stimpfen Madagaskars aufzufinden, was seln- unwahrscheinlich ist, so muss er den allein dm-ch Mensehenhand vernichteten Arten zugezahlt werden~); ebenso die zu der merkwtirdigen 1%mille der Apterygiden gehorenden riesigen, wahrscheinlich fltigellosen Di- nornis (giganteus, struthioides und didiformis Owen) in Neuseeland. Der letzte Vertreter dieser ri~thselhaften Familie, der Kiwikiwi (A2teryx australis) wird zweffelsohne ebenfalls bald dureh Men- schenhand ausgerottet werden; ein gleiches Sehieksal steht viel-

*) xNicht einmaI ein Skelett, oder einen Balg, oder ein Ei besitzen wlr yon diesem Yogel. Es befindet sich bekanntlich nur noch ein Brustbein in Paris, ein Sch~del in Prag, ein Schnabel in Kopenhagen, ein Kopf nebst zwei Ffisseu in Oxford und ein Fuss in London (im British Museum).