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30. AUGUST I93o KLINISCHE WOCHENSCH1RIFT. 9. JAHRGANG Nr. 35 I62 9 An den Nervenstammen haben sich auger geringer Druck- empfindlichkeit keine atypischen Erscheinungen nachweisen lassen, so dab man yon einer polyneuritischen Genese schwer wird reden k6nnen. Man kann mit einiger Sicherheit nur sagen, dab die Erkrankung mit ether Allgemeininfektion des K6rpers, auf die der Milzbefund und die Temperatursteigerung hinwies, in Zusammenhang steht. Der oben geschilderte Krankheitsverlauf, der sich offenbar bis zu einer unmittelbar bevorstehenden zentralen Atem- lahmung fortentwickelt hatte, machte ein rasches Eingreifen notwendig. Aufbauend ant den Ergebnissen der Forschungen von POHL und HESSE fiber das Tetrophan und gestfitzt auf die Erfahrungen, die u. a. MANN, ~'OERSTER, STERN und Verf. gemacht hatten, wurde hier erstmalig die endolumbale Anwendung des Tetrophans versucht. Der IKranke bekam I ccm einer o,o5proz. Tetrophanl6sung (die Fabrik Riedel stellt 2 ccm fassende Ampullen der Tetrophanl6sung her) zisternat injiziert. Der Erfolg war ausgezeichnet, bereits 25 Minuten nach der Injektion war die Atmung wieder in Ordnung, die verlorengegangenen Sehnen- und Muskelreflexe bis etwa zum Rippenbogen abwarts waren, wenn auch schwach, wieder nachweisbar. Nach diesem Ergebnis wurde der Kranke in regelm~Bigen Abstanden (w6chentlich einmal) mit endolumbalen Tetrophaninjektionen (anfangs I ccm der 5proz. L6sung, sparer 2 ccm) behandelt. Sp~terhin erhielt der Kranke noch nebenher einige inkraven6se Trypaflavin- injektionen, taglich io ccm einer o,5proz. L6sung. Zur Zeit sind alle Extremitaten und aueh die Muskulatur des Rumpfes, mit Ausnahme des rechten Beines, von annahernd normalem Tonus, die Beweglichkeit ist aktiv und passiv gut ulid krMtig, die Reflexverh~ltnisse sind normal. Am rechten Bein ist der erloschene Patellarreflex wiedergekehrt und regelmaSig, wenn auch schwach, naehweisbar; es besteht eine ausge- sprochene Schwache des Quadriceps, die iibrigeli Muskeln des Beines sind, wenn aueh nicht vollkommen, so doch leidlieh funktionstfiehtig. Wenn man Anfangsbefund und gegenwartiges Zustands- bild miteinander vergleicht, ergeben sich einige Fragen theoretiseher und kliniseher Natur. Zunachst: Handelt es sich hier um einen Heilerfotg oder um eine Spontanremission ? Es scheint so, als ob man die Spontanheilung nicht annehmen kann im Hinblick auf das Zustandsbild vom 4-Tage der klinischen Beobachtung, wo durchaus der Eindruck bestand, dab der Kranke vor dem unmittelbar bevorstehenden Tode gerettet worden ist. Die zweite Frage, ob vielleieht, wenn man eine therapeutische Einwirkung ffir m6glich halt, die Druckentlastung als der wesentlichste heilende EinfluB an- zusehen ware, dfirfte zli verneinen sein, da sieh der Druek der elitnommenen Liquoren niemals als gesteigert erwies und stets eine der entnommenen Liquormenge fast ent- sprechende F!fissigkeitsquantitat injiziert wurde. SchlieBlich ware noch die Frage aufzuwerfen, ob nieht, wenn man schon dem Tetrophan an sich einen heilenden EinfluB auf die Er- kralikung zlischreiben will, es eine unspezifische Wirkung des injizierten Medikaments, nieht aber eine spezifische Eigen- schaft des Tetrophans gewesen ist, die ffir den Erfolg aus- schlaggebend war. Mit Sieherheit wird sich diese Frage nicht beantworten lasseli; zieht man abet in Betracht, dab die Indikation zur Anwendung des Tetrophans aus pharma- kologischen und klinischen Erfahrungen heraus erfolgte, so wird man mit fiberwiegender Wahrscheinlichkeit doch an eine spezifische Wirkung des Tetrophans glauben dfirfen. Darfiber hinaus erwiehst eine pharmakologische Frage" Nach den Erfahrungen, die POI-IL und HESSE am tetrophan- vergifteten Kaninehen gemacht haben, hat das Tetrophali zwei Angriffspunkte ffir seine Wirksamkeit, einmal den Muskel selbst, zum anderen eine zentrale, den Hirnstamm mitumfasselide Region. Diese Erfahrungen lassen sich mit der klinischen Beobachtung obigen Falles nicht ohne weiteres vereinbaren. DaB es sich dabei um eine auf die Muskulatur, also peripher beschrankte Reizung gehandelt hat, ist nieht anzunehmen, dagegen spricht schon die prompte allgemeine Wirkulig der ersten Injektion. Es ist denkbar, dab das Tetrophan auf den Hirnstamm eingewirkt hat und yon da aus als Leitungstoliicum auch die peripheren Bahnen beeinfluBt hat. Wahrscheinlicher ist jedoch eine andere Erkl~irung der Wirkung: Wenn man in Betracht zieht, dab die Erkrankung sowohl die willktirlichen ]3ewegungen als auch die Reflexverhaltnisse und den Tonus im Sinne der Herabsetzung beeinfluBte, also neben m6glicher- weise zentralen auch rein peripherische Wirkungen hatte, welche beide durch die Tetrophanbehandlung gfinstig be- einflugt wurden, so erscheint die Vermutung berechtigt, daft das Medikament an der Vorderhornzelle selbst angegri//en hat, die ja Umschaltungsorgan sowohl des Reflexbogens a]s auch der zentrifugalen Energien ist. Wenn aber diese Erkenntnis zu Recht besteht, so ergibt sich fiir die Therapie die Konsequenz, die endolumbale bzw. endozisternale Tetrophaninjektion bet akuter Schadigung der Vorderhornzelle schlechthin anzuwenden. ]3ei der relativen Seltenheit des Krankheitsbildes, wie es der Patient geboten hat, wird die Behandlungsmethodik in F~lleli der aufsteigeli- den (Landryschen) Paralyse wenig zur Anwendung kommen. Ein weiteres Feld jedoch ffir diese Behandlung sind die ziem- lich h~iufigen Falle der Poliomyelitis anterior aclita (spinale Kinderlahmung), auf deren Beziehungen zur Paralysis Landry schon von ~lteren Autoren des 6fteren hingewiesen worden ist. Soweit aus dem oben geschilderten Fall fiberhaupt Kon- sequenzen ffir die Praxis gezogen werden dfirfen, erscheint ein Versuch einer Therapie in der geschilderten Art bet allen gleich und ~ihnlich gelagerten Fallen wfinschenswert. Literatur: FOmRST~R, I)ber die therapeutische Verwendbar- keit des Tetrophans. Klin. Wschr. I925, Nr 2. -- MANg, Versuche mit Tetrophan. Klin. Wschr. I922, Nr 52. -- POHL U. HESSE, Zur Pharmakologie des Tetrophans. Klin. Wschr. i925, Nr 8. -- STARK, Giinstige Beeinftussung yon Intoxikationsamaurose durch" Tetro- phan. Klin. Wschr. z929, Nr I I. -- STERN, 0ber Behandlung der pernizi6sen An~mie mit Tetrophan. Med. Klin. I925, Nr 21. NOMENKLATUR- UND DOSIERUNGSFRAGEN BEI VIGANTOLVERSUCHEN. Zugleich eine Erwiderung auf die Arbeit yon Heubner in Jg. i93o , S. 775 dieser Wochenschrift. Yon M. SCHMIDTMANN. Aus dem Pathologischen Insfitutder Universit~t Leipzig (Direktor: Prof. HUECK). Versuche mit bestrahltem Ergosterili sind in den letzteu Jahren in ausgedehntem MaBe yon den verschiedensten Fragestellungen ausgehend gemacht worden, l~lber die chemische Natur des wirksamen Stoffes lassen sich lioch keine genauen Angaben machen, wir wissen noch nicht einmal, ob ein und dieselbe Substanz die heilende und im Tier- experiment zu beobachtende schadigende Wirkung aus- iibt. Dutch diese Unkenntnis ergeben sich gewisse Nomen- klaturschwierigkeiten, die in verschiedener Weise umgangen werden: HEUBNER nennt die unbekannte Substanz Vitasterin und betont, dab dieser Name nichts dariiber aussagt, was das Wirksame im bestrahlten Ergosterin ist. Ich habe in meillen Arbeiten das Handelspraparat angegeben, mit dem meine samtlichen Versuche gemacht sind in der wohl rich- tigen Annahme, dab jeder Mediziner weiB, dab die wirksame Substanz der Vigantoll6sung das bestrahlte Ergosterin ist. Ist es doch auch sonst in der Wissenschaft tiblich, abkfirzungs- halber den Handelsnamen zu gebralichen, z. B. spricht man allgemein yon Salvarsanschaden lind nicht yon m-Diamino- p-dioxyarseliobenzoldichlorhydratsch~den. Beim Salvarsan kennt man die Konstitution und k6nnte den Handelsnamen durch den oben angegebenen chemischeli oder Arsenobenzol ersetzen, bet dem bestrahlten Ergosterin ist uns die Konstitu- tion noch unbekannt, wir mfiBten den Namen Vigantol durch einen Satz umschreiben. Ich mug es daher ablehnen, dab es

Nomenklatur- und Dosierungsfragen bei Vigantolversuchen

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Page 1: Nomenklatur- und Dosierungsfragen bei Vigantolversuchen

30. AUGUST I93o K L I N I S C H E W O C H E N S C H 1 R I F T . 9. J A H R G A N G Nr. 35 I62 9

An den Nervenstammen haben sich auger geringer Druck- empfindlichkeit keine atypischen Erscheinungen nachweisen lassen, so dab man yon einer polyneuritischen Genese schwer wird reden k6nnen. Man kann mit einiger Sicherheit nur sagen, dab die Erkrankung mit ether Allgemeininfektion des K6rpers, auf die der Milzbefund und die Temperatursteigerung hinwies, in Zusammenhang steht.

Der oben geschilderte Krankheitsverlauf, der sich offenbar bis zu einer unmit te lbar bevorstehenden zentralen Atem- lahmung fortentwickelt hatte, machte ein rasches Eingreifen notwendig. Aufbauend ant den Ergebnissen der Forschungen von POHL und HESSE fiber das Tetrophan und gestfitzt auf die Erfahrungen, die u. a. MANN, ~'OERSTER, STERN und Verf. gemacht hatten, wurde hier erstmalig die endolumbale Anwendung des Tetrophans versucht. Der IKranke bekam I ccm einer o,o5proz. Tetrophanl6sung (die Fabrik Riedel stellt 2 ccm fassende Ampullen der Tetrophanl6sung her) zisternat injiziert. Der Erfolg war ausgezeichnet, bereits 25 Minuten nach der Injekt ion war die Atmung wieder in Ordnung, die verlorengegangenen Sehnen- und Muskelreflexe bis etwa zum Rippenbogen abwarts waren, wenn auch schwach, wieder nachweisbar. Nach diesem Ergebnis wurde der Kranke in regelm~Bigen Abstanden (w6chentlich einmal) mit endolumbalen Tetrophaninjektionen (anfangs I ccm der 5proz. L6sung, sparer 2 ccm) behandelt. Sp~terhin erhielt der Kranke noch nebenher einige inkraven6se Trypaflavin- injektionen, taglich io ccm einer o,5proz. L6sung. Zur Zeit sind alle Extremita ten und aueh die Muskulatur des Rumpfes, mi t Ausnahme des rechten Beines, von annahernd normalem Tonus, die Beweglichkeit ist aktiv und passiv gut ulid krMtig, die Reflexverh~ltnisse sind normal. Am rechten Bein ist der erloschene Patellarreflex wiedergekehrt und regelmaSig, wenn auch schwach, naehweisbar; es besteht eine ausge- sprochene Schwache des Quadriceps, die iibrigeli Muskeln des Beines sind, wenn aueh nicht vollkommen, so doch leidlieh funktionstfiehtig.

Wenn man Anfangsbefund und gegenwartiges Zustands- bild miteinander vergleicht, ergeben sich einige Fragen theoretiseher und kliniseher Natur. Zunachst: Handelt es sich hier um einen Heilerfotg oder um eine Spontanremission ? Es scheint so, als ob man die Spontanheilung nicht annehmen kann im Hinblick auf das Zustandsbild vom 4-Tage der klinischen Beobachtung, wo durchaus der Eindruck bestand, dab der Kranke vor dem unmit te lbar bevorstehenden Tode gerettet worden ist. Die zweite Frage, ob vielleieht, wenn man eine therapeutische Einwirkung ffir m6glich halt, die Druckentlastung als der wesentlichste heilende EinfluB an- zusehen ware, dfirfte zli verneinen sein, da sieh der Druek der eli tnommenen Liquoren niemals als gesteigert erwies und stets eine der entnommenen Liquormenge fast ent- sprechende F!fissigkeitsquantitat injiziert wurde. SchlieBlich ware noch die Frage aufzuwerfen, ob nieht, wenn man schon dem Tetrophan an sich einen heilenden EinfluB auf die Er- kralikung zlischreiben will, es eine unspezifische Wirkung des injizierten Medikaments, nieht aber eine spezifische Eigen- schaft des Tetrophans gewesen ist, die ffir den Erfolg aus- schlaggebend war. Mit Sieherheit wird sich diese Frage nicht beantworten lasseli; zieht man abet in Betracht, dab die Indikat ion zur Anwendung des Tetrophans aus pharma- kologischen und klinischen Erfahrungen heraus erfolgte, so wird man mit fiberwiegender Wahrscheinlichkeit doch an eine spezifische Wirkung des Tetrophans glauben dfirfen.

Darfiber hinaus erwiehst eine pharmakologische Frage" Nach den Erfahrungen, die POI-IL und HESSE am tetrophan- vergifteten Kaninehen gemacht haben, hat das Tetrophali zwei Angriffspunkte ffir seine Wirksamkeit, einmal den Muskel selbst, zum anderen eine zentrale, den Hirns tamm mitumfasselide Region. Diese Erfahrungen lassen sich mit der klinischen Beobachtung obigen Falles nicht ohne weiteres vereinbaren. DaB es sich dabei um eine auf die Muskulatur, also peripher beschrankte Reizung gehandelt hat, ist nieht anzunehmen, dagegen spricht schon die prompte allgemeine Wirkulig der ersten Injektion.

Es ist denkbar, dab das Tetrophan auf den Hirns tamm eingewirkt hat und yon da aus als Leitungstoliicum auch die peripheren Bahnen beeinfluBt hat. Wahrscheinlicher ist jedoch eine andere Erkl~irung der Wirkung: Wenn man in Betracht zieht, dab die Erkrankung sowohl die willktirlichen ]3ewegungen als auch die Reflexverhaltnisse und den Tonus im Sinne der Herabsetzung beeinfluBte, also neben m6glicher- weise zentralen auch rein peripherische Wirkungen hatte, welche beide durch die Tetrophanbehandlung gfinstig be- einflugt wurden, so erscheint die Vermutung berechtigt, daft das Medikament an der Vorderhornzelle selbst angegri//en hat, die ja Umschaltungsorgan sowohl des Reflexbogens a]s auch der zentrifugalen Energien ist.

Wenn aber diese Erkenntnis zu Recht besteht, so ergibt sich fiir die Therapie die Konsequenz, die endolumbale bzw. endozisternale Tetrophaninjektion bet akuter Schadigung der Vorderhornzelle schlechthin anzuwenden. ]3ei der relativen Seltenheit des Krankheitsbildes, wie es der Pat ient geboten hat, wird die Behandlungsmethodik in F~lleli der aufsteigeli- den (Landryschen) Paralyse wenig zur Anwendung kommen. Ein weiteres Feld jedoch ffir diese Behandlung sind die ziem- lich h~iufigen Falle der Poliomyelitis anterior aclita (spinale Kinderlahmung), auf deren Beziehungen zur Paralysis Landry schon von ~lteren Autoren des 6fteren hingewiesen worden ist.

Soweit aus dem oben geschilderten Fall fiberhaupt Kon- sequenzen ffir die Praxis gezogen werden dfirfen, erscheint ein Versuch einer Therapie in der geschilderten Art bet allen gleich und ~ihnlich gelagerten Fallen wfinschenswert.

L i t e r a t u r : FOmRST~R, I)ber die therapeutische Verwendbar- keit des Tetrophans. Klin. Wschr. I925, Nr 2. -- MANg, Versuche mit Tetrophan. Klin. Wschr. I922, Nr 52. -- POHL U. HESSE, Zur Pharmakologie des Tetrophans. Klin. Wschr. i925, Nr 8. -- STARK, Giinstige Beeinftussung yon Intoxikationsamaurose durch" Tetro- phan. Klin. Wschr. z929, Nr I I. - - S T E R N , 0ber Behandlung der pernizi6sen An~mie mit Tetrophan. Med. Klin. I925, Nr 21.

NOMENKLATUR- UND DOSIERUNGSFRAGEN BEI VIGANTOLVERSUCHEN.

Zugleich eine Erwiderung auf die Arbeit yon Heubner in Jg. i93o , S. 775 dieser Wochenschrift.

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M. SCHMIDTMANN. Aus dem Pathologischen Insfitut der Universit~t Leipzig (Direktor: Prof. HUECK).

Versuche mit bestrahltem Ergosterili sind in den letzteu Jahren in ausgedehntem MaBe yon den verschiedensten Fragestellungen ausgehend gemacht worden, l~lber die chemische Natur des wirksamen Stoffes lassen sich lioch keine genauen Angaben machen, wir wissen noch nicht einmal, ob ein und dieselbe Substanz die heilende und im Tier- experiment zu beobachtende schadigende Wirkung aus- iibt. Dutch diese Unkenntnis ergeben sich gewisse Nomen- klaturschwierigkeiten, die in verschiedener Weise umgangen werden: HEUBNER nennt die unbekannte Substanz Vitasterin und betont, dab dieser Name nichts dariiber aussagt, was das Wirksame im bestrahlten Ergosterin ist. Ich habe in meillen Arbeiten das Handelspraparat angegeben, mit dem meine samtlichen Versuche gemacht sind in der wohl rich- tigen Annahme, dab jeder Mediziner weiB, dab die wirksame Substanz der Vigantoll6sung das bestrahlte Ergosterin ist. Ist es doch auch sonst in der Wissenschaft tiblich, abkfirzungs- halber den Handelsnamen zu gebralichen, z. B. spricht man allgemein yon Salvarsanschaden lind nicht yon m-Diamino- p-dioxyarseliobenzoldichlorhydratsch~den. Beim Salvarsan kennt man die Konst i tut ion und k6nnte den Handelsnamen durch den oben angegebenen chemischeli oder Arsenobenzol ersetzen, bet dem bestrahlten Ergosterin ist uns die Konsti tu- tion noch unbekannt, wir mfiBten den Namen Vigantol durch einen Satz umschreiben. Ich mug es daher ablehnen, dab es

Page 2: Nomenklatur- und Dosierungsfragen bei Vigantolversuchen

1630 t ( L I N I S C H E W O C H E N S C H

unwissenschaftlich ist, yon Vigantolsch~den zu reden, weiin es sich um SchiMen handelt, die dutch Verabfolgung dieser HandelslSsung hervorgerufen werden.

Eine ganz andere Frage ist es, ob dieses Handelspr~iparat sich ffir wissenschaftliche Untersuchungen eignet. Das be- strahlte Ergosterin ist eine sehr labile Substanz. Wie aus den Untersuchungen yon WINDAUS hervorgeht, Ifihrt ein Zuwenig oder ein Zuviel der Bestrahlung zu IInwirksamer Substanz, und es resultieren bei gleicher Behandlung des Ergosterins Pr~iparate voii sehr verschiedener Wirksamkeit. Als Grundlage zur wissenschaftlichen Erforschung dieses noch unbekannten Bestrahlungsprodukts w~ire es nattirlieh er- wiinscht, vergleichsweise Versuchsreihen mit Pr~tparaten yon wohl definierter Wirksamkeit zu maehen und nicht mit den schwankenden Handelspr~iparaten zu arbeiten. W~hrend tIEIJBNa~R derartige Versuchsl6sungen anseheinend zur Ver- ffigung gestanden haben, liegen sich hier solche Versuche IIicht durchffihren, da die Firma Merck mir ein derartiges Pr~parat nicht zur Verftigung stellte. Es k6nnen in unserem Ins t i tu t da- her nur die Handelspr/iparate benutz t werden. Trotz der Be- denken, die man wissenschaftlich gegen das Arbeiteii mit un- genauen L6sungen haben kann, sind hier in gr6Berem MaBstab die begonnenen ,,Vigantolversuehe" fortgesetzt worden. Weiin wir dabei bewuBt auf die chemisch genaue Kenntnis tier DosengrSBe der wirksamen Substaiiz verzichten, so haben die Versuche insofern eine gewisse praktische Bedeutung, als wir im Versuch die gleichen Fehler haben wie bei der thera- peutischen Anwendung. Ich halte es nach dem Gesagten durchaus ffir wissenschaftlich berechtigt, biologische Versuche fiber die Wirksamkeit des Handelspr~iparats Vigantol anzu- stellen und glaube, dal3 es ftir meine Versuche pr~tziser ist, die mit diesem Pr~parat hervorgerufeiien Ver~nderungen als ,,Vigantolver~nderungen" zu bezeichnen, als durch den Namen ,,Vitasterin" den Glauben zu erwecken, es handele sich in den Versuchen um eine chemisch reine L6sung.

In einer groBen Anzahl der Arbeiten, ich glaube, es ist fast die Mehrzahl, wird yon dem bestrahlten Ergosterin als dem Vitamin D gesproehen uiid itir die Sch~diguiigen der Begriff der Hypervitaminose D gepr~gt. Die v. Pfaundlersche Klinik betoiit, dab der Beweis Iiir die Vitaminiiatur des be- strahlten Ergosterins durch die Erfolge in der Rachitis- therapie allein noch nicht erbracht, sondern durchaus die Frage zu er6rterI1 ist, ob das Vigantol IIicht Verliiiderungen schaftt, die das Angreifen der rachitogenen Faktoren un- mSglich machen. Eigene histologische Untersuchungen scheinen die yon der Pfaundlerschen IZlillik aufgeworfene Frage dahin zu entscheiden, dab bestimmte Knocheii- ver~inderuiigen diirch das Vigantol hervorgerufen werden, die das Zustandekommen der Rachitis verhindern, dab auch bei der ,,Vigantolheilung" der Rachitis nicht ein histologisch normaler Knoehen resultiert, sondern ein Knochen, der die Ver~ndernngen zeigt, die sieh auch sonst beim wachsenden Tier durch Vigantol hervorrnfen lassen. Es geht zum mindesten aus diesen Versuchen hervor, dab sich einstweilen Vitamin D und bestrahltes Ergosterin nicht ohne weiteres ideiitifiziereii lassen uiid daher der Krankheitsbegriif der Hypervitaminose D eine streng wissenschaifliche Berechtigung noch nicht be- sitzt.

ViM wichtiger als diese Nomenklaturfragen erscheint mir bei den Arbeiten mit bestrahltem Ergosterin die Treiinuug der verschiedeiien I(rankheitsbilder, die dutch die Art der Versuchsanordnung bedingt sind. Wie IIotwendig das ist, scheint mir aus dem Aufsatz yon HEUBNER hervorzugehen, der mit der 1)berschrift ,,Ober die Riickbildungsf~higkeit der dutch hohe Gaben ,/on Vitasterin hervorgerufenen Vergif- tungserscheinungen" versehen ist. HEUBNEa vergleicht diese Versuche ohne weiteres mit den yon mir als Sp~tschS~den be- sehriebenen, er setzt ,,Vergiftungserscheinuiigen" gleich , ,Krankheitserscheinungen" und halt meine Rtickschltisse iiir unrichtig, da er ein Wiederauftreten yon Vergiftungs- erscheinungen auch nach relativ kleinen Gaben yon Vitasterin (io mg wiihrend IO Tagen pro die) nicht beobachtet hat. Von Vergiftungserseheinuiigen habe ich iiberhaupt nicht

R I F T . 9. J A H R G A N G . Nr. 35 3o. AUGUST x93o

geredet. Ich xnuB reich aul3erdem sch~irfstens dagegen ver- wahren, dab ich je behauptet h~itte, die klinischen Krankheits- erscheinungen w~iren eine Folge oder stS.nden in einer Be- ziehung zu der Gef~Bverkalkung, ich habe vielmehr gerade betont, dab schwere GefiiBverkalkungen sich ausbilden k6nnen, ohne irgendwelche kliiiische Erscheinungen zu machen. Dabei entstehen IIach Aufh6ren der Vigantolgaben keine ,,iieuen t(rankheitsherde" in der GefXgwand, sondern die zun~chst kaum histologisch wahrnehmbareii Gef~iBwand- ver~nderungen entwickeln sich progredieiit weiter. Gerade dies ist das Besorgniserregende: Wfirden klinisehe Krank- heitserscheinuiigen den t3eginn oder das Fortschreiten der Gef~Berkrankung uns anzeigen, so brauchten wir keinerlei Beftirchtungeii bei Anwendung des Vigantols zu hegen; es wtirde beim ersten Auftreten yon Krankheitserscheinungen die Vigantolgabe einfach abgesetzt, und alle weiteren Unter- suchungei1 fiber die Bedingungen des Zustandekommens und die M6glichkeit der Vermeidung schleicheiider Vigantol- sch~iden w~iren fiberfliissig.

Welche verschiedenen Erkraiikungsfcrmen lassen sich dutch eine verschiedene Dosis des bestrahlten Ergosterins erzielen ? Dutch sehr hohe Dosen entsteht einVergiftungsbild, das nach wenigen Tagen zum Tode ffihren kann. Bei diesem Krank~ heitsbild findet sich bei der Sektion h~ufig fiberhaupt kein aiiatomischer Befund auBer einer starken Stauungshyper- ~mie, in anderen F~llen finden sich herdf6rmige interstitielle Infi l trate des Iterzmuskels, zuweilen auch der Mageiiwand, h~iufig verkntipft mit Muskelnekrosen. Bei einem IIicht ganz so rascheii IZrankheitsverlauf, d. h. Verabfolgung etwas kleinerer Gaben, die IIoeh ein Vielfaches der therapeutischen Dosen des bestrahlten Ergosterins betragen, beobachtet man das so h~ufig beschriebene Krankheitsbild: starke Abmage= rung, Nahrungsverweigerung, Nasenbluteii, und findet histo- logisch als augenfalligsten Befund die ausgedehnten Ver- kalkungen, daneben in wechselndem MaBe die vorher be- schriebenenl Befunde. SchlieBIich bei Anwendung kleinster Dosen tiber laiigere Zeit (oder bei parenteraler einmaliger Verabfolgung einer Menge yon mindestens 5 mg bestrahlten Ergosterins) kann sich eine latente Erkrankung entwickeln, die entweder zuf~illig beim Tod an interknrrenten Erkran- kungen entdeckt wird, oder die selbst nach sehr langer Ver- suchsdauer zum Tode ffihren kann. Die in den letzten Tagen auftretenden Krankheitserscheinungen lassen sich ebenso- wenig mit dem akuten Vergiftungszustaiid vergleichen wie etwa die Krankheitserscheinungen im Endstadinm einer Alkoholcirrhose mit dem akuten Alkoholrausch.

Bemerkenswert erscheint mir, dab die artspezifisehe Empiindlichkeit gegentiber bestrahlten Ergosterinpr~iparaten eine verschiedene beim akuten und chronischen Versuch ist: so sind Hunde nach HANI)OVSKu besonders empfindlich gegeniiber hohen Dosen und nach meinen Untersuchungen sehr wenig empfindlich gegenfiber chronischer Darreichung kleinerer Dosen.

Des weiteren ist wichtig zu betonen, dab mit Aiiderung der GrSBe der Einzeldose bzw. je nach der Verdfiiinung der L6sung des bestrahlten Ergosterins das histologische Bild wechselt. Je kleiner die Dosis, je verdfinnter die L6sung, desto weniger Veriinderungen der glatten Muskulatur, daftir ausgesproehenere Grundsubstanzver~iiiderungen und herd- tSrmige histiocyt~ire Wucherungen in zum Tell sehr langer Versuchszeit. In diesen Sp~itf~llen kommt es besonders h~iufig zur Knorpelbildung in der Gef~iBwand.

Die Wirkung des Handelsvigantols ist auBerdem nicht nu t yon dem PrS~parat selbst, sonderii yon der gleichzeitigen Fiitterung, yon den verschiedensten individuellen Bedingungen beeinfluBbar, so dab bei gleichen verabreichten Mengen ein uiid desselben Pr~parats bei der gleichen Art yon Versuchs- tieren oft ein verschiedener Krankbeitsverlauf mit verschie- denem histologischem Bild resultiert.