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Keine Lektüre kann ihren Leser wirklich «erleuchten». Aber sie kann ihn an diese Erleuchtung heranfuhren, ihn mit ihrer Sicht- und Denkweise so vertraut machen, daß die Praxis kein Tasten mehr, sondern gezieltes Streben ist - und sie kann es, so weit Sprache und rationale Logik reichen. Darüber hinaus ist Erleuchtung gelebte, erfahrene Realität, im Osten wie im Westen, gestern wie heute und morgen. Dorthin kann das Denken nur ein seinerseits erleuchtetes Denken begleiten, und es bedarf keiner Theorie mehr.
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Zu diesem Buch
Eine Vollkommenheitslehre für alle, (die sich in den Lehren der Vergangenheit nicht mehr erkennen und wohl fühlen können. Sie besteht aus fünf einfachen Lehrsätzen, die der Autor von Stufe zu Stufe («für Unwissende - Wissende - Erleuchtete») zu einem vollständigen Gebäude esoterisch-philosophischer Weitsicht ausarbeitet, die dem, der ihnen folgt und sie in seinem täglichen Leben, in Denken, Fühlen und Handeln in die Praxis überführt, das höchste aller menschlichen Entwicklungsziele verspricht: «die vollkommene Sicht der Dinge». Jene Sicht der Wirklichkeit also, die zu allen Zeiten der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft den Erleuchteten ausgezeichnet hat, auszeichnet und auszeichnen wird, und die für Aristoteles die vollkommenste Daseinsform des Menschen darstellte. -Theoretisch» - denn für die Praxis ist niemand anders verantwortlich und zuständig als jeder einzelne selbst.
Norbert A. Eichler hat mit «Das Buch der Wirklichkeit - Das I Ging für das Wassermann-Zeitalter» (rororo transformation 7921) Aufsehen erregt, weil er eine zeitgemäße Fassung dieses alten chinesischen Weisheitsbuchs lieferte.
Norbert A. Eichler
Die Erleuchtung ist gratis
Ein westlicher Weg zur Vollkommenheit
transformation
rororo transformation Herausgegeben von Bernd Jost
und Jutta Schwarz
Umschlaggestaltung Peter Keller Illustration Stefan Kiefer
Originalausgabe Veröffentlicht im Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH,
Reinbek bei Hamburg, August 1989 Copyright © 1989 by N. A. Eichler
Alle Rechte Vorbehalten Satz Trump Mediaeval (Linotron 202)
Gesamtherstellung Clausen & Bosse, Leck Printed in Germany
680 ISBN 3 499 18576 8
Scan & OCR von Shiva2012
Inhalt
Einführung 7
I. Theoria - für Erleuchtete 25
II. Theoria - für Wissende 37
III. Theoria - für Unwissende 49
Einführung
«Der Erhabene ist frei von jeglicher Theorie, denn der Erhabene hat begriffen, was der Körper ist, und wie er entsteht und vergeht. ( . . . ) Er hat begriffen, was die geistigen Bildekräfte (sanhârâ) sind, und wie sie entstehen und vergehen. Er hat begriffen, was Bewußtsein ist, und wie es entsteht und vergeht. Darum sage ich: Der Vollendete hat die vollkommene Befreiung gewonnen durch die Erlöschung, das Verbleichen, das Verschwinden, die Ablehnung und die Überwindung aller Meinungen und Vermutungen . . . »
(Majjhima-Nikâya 72)
Ein östlicher Erleuchtungslehrer sagte vor langer Zeit einmal, Erleuchtung habe «keine Theorie», da im erleuchteten Bewußtsein, frei interpretiert, alle Meinungen, Thesen und Standpunkte - und damit ihre Widersprüche, ihre Dialektik - aufgehoben seien, das «Ich», das zu solchen Positionen fähig sei
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und neige, einem transpersonalen «Sein», einer kosmischen Über-Sicht gewichen sei.*
Ein westlicher «Erleuchtungslehrer» sagte vor kurzer Zeit einmal, ihm sei es lieber, wenn «hundert Prozent der Menschen zu fünf Prozent erleuchtet» seien als «fünf Prozent der Menschen zu hundert Prozent».* *
Der erste wußte, wovon er sprach, der zweite nicht.
Immerhin aber muß ich auch dem ersten widersprechen, wenn auch nicht (wie könnte man) in bezug auf seine Charakterisierung von Erleuchtung. Das könnte nur jemand tun, der (wie der zweite), von keiner Sachkenntnis getrübt, Begriffe wie «Erleuchtung» gebraucht, deren Inhalt und Bedeutung sich seiner Erfahrung, seinem Verständnis und seinem geistigen und gelebten Horizont so weit ent
zieht, daß er ihnen eine neue, eigene, unzulängliche unterschieben muß, um sie gebrauchen zu können. Erleuchtung ist so wenig teil- und portionierbar wie Schwangerschaft: entweder man ist erleuchtet
* Es war, nebenbei, der erhabene Gautama. Nebenbei, weil es hier um die Sache und nicht um Personen geht, wie auch das Wassermannzeitalter mehr eine Zeit der Wahrheiten und weniger eine ihrer Verkünder sein wird.
* * Schon ihn zu benennen wäre der Ehre zuviel, da er der aussterbenden Spezies angehört, denen es mehr um Verkündung und Verkünder, also sich selbst, als um Wahrheiten geht.
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bzw. schwanger, oder man ist es nicht. «Zu fünf Prozent erleuchtet» ist ebensowenig möglich wie «ein bißchen schwanger», auch wenn diese Erkenntnis so manchem zeitgenössischen «Erleuchtungslehrer» das Geschäft verderben dürfte, ganz gleich mit welcher Ware er unter dem Etikett «Erleuchtung» auch handeln mag. Die wirklich einzige Ausnahme bilden da Schein-Schwangerschaften, aber diese haben mit wirklichen ebensowenig zu tun wie Schein-Erleuchtung mit der wirklichen, und auch sie sind nicht einmal als «ein Prozent schwanger» bzw. «erleuchtet» zu bezeichnen. Im Gegenteil, die Schein-Schwangere ist von wirklicher Schwangerschaft weiter entfernt als die Nicht-Schwangere (die kann es immerhin werden), und ebenso auch der Schein-Erleuchtete von wirklicher Erleuchtung.
Bleiben wir also zunächst beim Lieferanten des ersten Zitats und seiner tatsächlichen Einsicht in das Wesen wirklicher Erleuchtung. Seine Aussagen und Formulierungen machen seine Kompetenz un-
bezweifelbar. Seine Rückschlüsse aber weisen ihn aus als einen östlichen Denker, dem die Errungenschaften des über zweitausendjährigen westlichen Denkens, seine Logik und Dialektik mit ihren überlegenen Möglichkeiten, Begreifbares begreifbar zu machen, fremd waren. Das tat seiner Erleuchtung keinen Abbruch, aber es brachte ihn immerhin, ohne daß er sich dessen bewußt sein konnte, dazu, sich selbst zu widersprechen, und
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einen Standpunkt einzunehmen, eine Meinung und Vermutung zu vertreten und damit eine polare Aussage zu machen, nämlich: «frei von jeglicher Theorie.» Nach allem, was uns heute an westlichen Erkenntnismöglichkeiten zur Verfügung steht, ist dies eine Theorie.
Der östlichen Theoriefeindlichkeit liegt nicht die bewußte Überwindung, das Übersteigen von Theorien zugrunde, sondern das Erreichen von Zielen, auch dem der Erleuchtung, ohne Theorien. Der nach westlichen Begriffen unzulässige Umkehrschluß, Theorien seien deshalb nutzlos, wenn nicht sogar hinderlich auf dem Weg zum Erreichen von Zielen, zur Erleuchtung, ist deshalb die einzige
Theorie, die diese Praxis gebar - und selbst sie wurde nicht als solche erkannt. Daß These und Antithese sich erst in der Synthese (oder im erleuchteten Paradoxon) aufheben, das führte man zwar vor, ohne es aber selbst zu verstehen: Man hatte eine Praxis, formulierte sie zu einer Theorie, und der Kernsatz dieser Theorie lautete: «...frei von jeglicher Theorie.» Aristoteles sei Dank, in Hegels Namen wissen wir das heute hierzulande besser und können unsere östlichen Weggefährten auf der Suche nach Erleuchtung theoretisch ganz praktisch geleiten und begleiten. Konkret: Die Theorie, Erleuchtung habe keine Theorie, ist selbst ein Beispiel für die «erleuchtete Sicht der Dinge», die, sobald sie konkret wird, paradox erscheint und erst im Schweigen ihren scheinbaren Widerspruch auf
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gehoben sieht. Dies aber ist eine Theorie der Erleuchtung und die westliche Dialektik ihr Instrument, sich auch Unerleuchteten zu vermitteln. Gautama Buddha, wäre er ein paar hundert Jahre später und ein paar tausend Kilometer westlicher geboren worden, hätte sich und seine Reden bestens verstanden - und seine Praxis in einer erhabenen Theorie unübertrefflich gewürdigt gefühlt. Zu Recht.
«Theoria», der Begriff des Aristoteles für die «reine, vollkommene Sicht der Dinge», ist deshalb die adäquate und ebenbürtige Antwort des rationalen Westens auf die mystische «Erleuchtung» des Ostens, das Yang zum Yin. Ihre Polarität ist komplementär und nicht exklusiv, und beide verwirklichen sich erst in ihrer Synthese, die jede der beiden Thesen übersteigt; qualitativ, quantitativ - und zeitlich. Denn es hat bis heute, bis hier und jetzt gebraucht, der Polarität, die bislang (trotz Aristoteles, trotz Hegel) als «unvereinbare Gegensätze» mißverstanden wurden und werden, ihren eigenen Charakter zu offenbaren und sie in den ge
meinsamen, höheren Himmel der Erkenntnis und Erleuchtung zu führen, in dem die praktische Erleuchtung des Ostens mit dem theoretischen Licht des Westens gemeinsam und endgültig alle Schatten und Irrlichter der Verblendung hinter sich lassen, alle Begrenzungen des Seins und des Bewußtseins übersteigen können. Gemeinsam - und nur so.
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Die Tatsache, daß die Erleuchtung des Ostens, besonders in ihren taoistischen und buddhistischen Spielarten und, unter Abstrich des wuchernden Götterpanoptikums auch im Hinduismus, echt ist, hat viele westlich erzogene Geistsucher in den letzten Jahrzehnten dazu bewegt, der katastrophalen seelischen Dürre unserer westlichen Kulturen in die offenen Gärten des Ostens zu entfliehen - und allen wurde ohne langes Klopfen aufgetan, alle wurden gelabt, genährt und gestärkt wie bei keinem noch so brokatbestickten und Mitren-gekrönten spirituellen Menü eines westlichen Abendmahls in einem der klerikalen Gourmet-Tempel (mit Ausnahme vielleicht der Steinerschen freien Kirche) jemals zuvor. Dafür nahm man dann schon mal in Kauf, daß das westlich-dialektisch geschulte Bewußtsein sich ein wenig dünn machen mußte, um durch die auf östliche Physiognomie zugeschnittene schmale Pforte in die geweihten Hallen gelebter, also erlebbarer Spiritualität zu treten. Doch schon bald, als der Geschmack des östlichen Nektars vertraut und der erste Hunger der Seele gestillt war, begann die genährte Seele unter dem darbenden Denken zu leiden und sich nach dem Manna des rationalen Lichts zu sehnen, der Ambrosia des verstehenden Erkennens. Das Beiseiteschieben der Fragen des rationalen Bewußtseins konnte diese, einmal erkannt und gestellt, auf Dauer nicht entkräften. Die Praxis sehnte sich nach ihrem Weggefährten von Kindesbeinen an, der ihr so sicher und
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verläßlich alle Erfahrungen erklärt und so manchen Irrweg erspart, so manche Wiederholung einer Erfahrung durch Erkenntnis und theoretisches Verständnis erübrigt hatte.
Nur zu gerne wollte sich die Seele in einem ersehnt freien Flügelschlag, wie der Osten es lehrte und zeigte, aus der Materie Enge, aus Maya und Vergänglichkeit befreien und zu höheren, unvergänglicheren Gefilden abheben - hätte da nicht eine mehrtausendjährige Evolution ihr durch viele Inkarnationen einen logisch-analytisch geschulten Geist übergeordnet, der nicht unbefragt und unverstanden lassen - und damit zurücklassen - kann, was ihm einmal vor Sinne und Verstand gekommen ist. Das Überwinden der Sterblichkeit und vergänglichen Realität als Sinn des Strebens anzuerkennen fällt jeder einigermaßen entwickelten und unver- schmutzten Seele, jedem einigermaßen intakten Kleinhirn nicht allzu schwer - was aber ist der Sinn dessen, was da überwunden werden soll? Nur im Taoismus und in der dialektischen Philosophie des Westens findet auch das Dasein, das diesseitige Leben und die Natur seine angemessene Würdigung und Erklärung - dort in mystischer, hier in logischer Form. Das westliche Kleinhirn aber mochte und mag sich nun mal nicht von seiner ausgeprägten Großhirnrinde trennen und nur mit ihr zu Erleuchtung und Unsterblichkeit gelangen, oder gar nicht - sehr im Unterschied zu seinen östlichen Brüdern und Schwestern im Geiste.
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Für den orthodoxen Buddhisten wie den Hindu- isten wie auch für ihren westlichen Weggefährten Schopenhauer galt und gilt nur das «Up, up and away», der Abschied aus dem Sichtbaren, ohne daß er sich fragen müßte oder auch nur zu fragen be
mühte, was er da hinter, unter sich zu lassen bestrebt ist. Für alle anderen Nachfolger des west- lich-rationalen Evolutionszweiges aber ist es schier unmöglich, bei all der erkannten Ordnung, dem allem ablesbaren Kosmos der Dinge und Phänomene wie auch der Ordnung seines eigenen Denkens, in vielen Inkarnationen logisch-analytisch geschult und zum selbstverständlichen Erkenntnispotential entwickelt, an die Realität eines bloßen «universellen Unfalls, genannt materielle Existenz», zu glauben, dem es lediglich zu entfliehen gilt, da er nur sinnloses Leiden, sinnlose Kreisläufe der Inkarnation produziere - dabei aber so sinnvolle Resultate wie Erleuchtung und Unsterblichkeit, Evolution und Höherentwicklung, also erleuchtungsfähige Menschen hervorbringt, die wiederum die Sinnlosigkeit bloßer Leidenserzeugung als das Wesen aller Existenz zu akzeptieren und zu propagieren hätten. Nein, dem westlichen Denken ist dieser Widerspruch zuwider und noch lange kein erleuchtendes Paradoxon, sondern eine eklatante Schwäche der östlichen Erleuchtungslehren; eine Schwäche, die im Licht westlicher Erkenntnis nur um so deutlicher zutage tritt.
Die westliche Großhirnrinde, die sich der Ein
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sicht in das Wesen und der Erfahrung von Erleuchtung nähert, erkennt nicht nur die Realität des Lichts jenseits des Schattens, den die Materie wirft- sondern auch das Licht im Schatten, in der Materie. Sie erkennt den Mikrokosmos als ebenso vollkommene Ordnung wie den Makrokosmos, und mehr als das: als Spiegel seiner Ordnung. Und das Spiegelbild von Licht kann ihr niemals Dunkelheit, von Sinn kann ihr niemals Unsinn sein, sondern allenfalls das «Gleichnis» des Lichts, des Unvergänglichen, des Sinns, als das C. G. Jung das Vergängliche bezeichnet hat.
Dieser Sinn, dieses «Gleichnis», diese Logik des Immanenten als Spiegel und Ebenbild des Transzendenten läßt sich nun, bis an die Grenzen seiner Aufhebung im Höheren, Jenseitigen, Erleuchteten, sehr wohl in Begriffe fassen, logisch darstellen - zu einer Theorie verdichten, die im klassischen Sinn
eine «Theoria» ist, die «reine, vollkommene Sicht der Dinge». In ihr spiegelt sich zugleich auch das erleuchtete Bewußtsein, das sich in die konkrete Welt der vergänglichen Existenz und Phänomene zurückbegibt, um dort Haltung zu beziehen. Haltung - nicht Position. Perspektive - nicht Standpunkt. Denn in der höheren Sicht der Dinge sind polare Werte keine Widersprüche mehr, und ebensowenig Widersprüche selbst: sie finden im Paradoxon, dem Sowohl-als-auch ihre erleuchtete Würdigung, das ausnahmslos alle Phänomene beinhaltet und umschließt, die vergangen, gegen
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wärtig und sogar bloß als künftig denkbar existent und möglich sind. Jede Einschränkung dieser Sicht, dieses Verständnisses, wäre eben bloß auch nur relativ - und nicht erleuchtet, nicht «höher», sondern allenfalls «weniger verblendet», «nicht ganz
so begrenzt».Erleuchtung hat also sehr wohl eine Theorie,
alles was hier gesagt wird, ist nichts anderes, und alles was der Erhabene darüber sagte, ebenso. Sein «frei von jeglicher Theorie» meinte nichts anderes als «frei von jeglichem Standpunkt in Opposition zu einem anderen», meinte die Freiheit von der dialektischen Denkfalle polarer Betrachtungsweise. Meinte aber nicht «frei von Wissen, Wahrnehmung, Verständnis», sondern nur die «reine Sicht» der Dinge, in der alle Standpunkte, und damit Begrenzungen, aufgehoben sind. Diese erleuchtete Sicht der Dinge aber, diese «Theoria», läßt sich sehr wohl formulieren, logisch-dialektisch, als «Theorie». Auch das Paradoxon läßt sich logisch erklären, vermitteln, ist nur die höchste Kumulation logischanalytischen Denkens, jenseits dessen nur noch - die Wittgensteinsche Sprachlosigkeit* liegt. Das Paradoxon, zu dessen Bestätigung der Erhabene unwissentlich antrat, indem er die Theorie «frei von jeglicher Theorie» formulierte, hätte auch ihm selbst viel Freude bereitet, hätte er nur über das
* Tractatus logico-philosophicus: «Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen.»
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Instrumentarium des dialektisch-logischen Denkens verfügt.
Was er aber vielleicht, ganz sicher auch meinte, war die Tatsache, daß sich Erleuchtung durch Lehre nicht vermitteln, nicht übertragen läßt, daß sie jeder für sich selbst erarbeiten und erlangen muß. Dem ist nun nicht zu widersprechen. Aber sie läßt sich lehren - auch darin war er selbst die überaus aktive Bestätigung. Daß er sich weigerte, Erleuchtung zu beschreiben und sich auf die Praxis zu ihrer Erlangung beschränkte, spricht zwar für seine Sachkunde, aber auch für seine zwangsläufige Unkenntnis der didaktischen Möglichkeiten logischen Denkens und der Sprache, die dort und damals auch nicht ansatzweise erkannt und abstrahiert, in ihrem Potential analysiert und instrumentalisiert waren. Und so mußte der Erleuchtungssuchende bis heute warten, um eine «Theorie der Erleuchtung» hören und lesen zu können, die allen Mechanismen seiner logisch-rationalen Sicht auf die konkrete Welt und ihre Dinge, auf ihren Sinn und ihre Bedeutungen gerecht wird - die ihn verbal, rational und logisch diese Über-Sicht lehrt, bis sie, via Einsicht und konsequenter Praxis, zur praktischen Erfahrung der Erleuchtung und damit auch über sich selbst, über die letzte formulierbare Sicht, das alleinende und -versöhnende Paradoxon hinausführt. Diese Sicht ist zwar universell und zeitlos, ihre «Theorie» aber konnte nur im Westen und erst heute entworfen werden, aus den bereits genannten
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geistesgeschichtlichen Gründen, und sie mag vielleicht noch nicht vollkommen sein, aber sie wagt zumindest den noch nicht gewagten (oder bisher nicht erkannten möglichen) Schritt. Der Osten, die Seele, stellte das Gold bereit - nun, im Licht des Westens und seines überlegenen Denkens erst, kann es leuchten und glänzen, unübersehbar auch für die, deren Augen daran gewöhnt waren, nur Begriffe, nicht aber die Sache selbst zu sehen und zu verstehen. Die Theorie folgt der Praxis und bereichert, präzisiert sie zugleich.
Die Welt und Wirklichkeit der vergänglichen Natur, das «Gleichnis» des Unvergänglichen und damit zugleich sein erhabenster Lehrer, findet erst in dieser «Theoria» Sprache, Sinn und Namen. Doch auch ihr Verständnis ist unteilbar, die Benennung ihrer Teile noch nicht das Verständnis des Ganzen, noch nicht einmal der Weg dahin. Alle Begriffe, Namen, Sinngebungen weisen nur auf diesen erhabensten aller Lehrer, die Welt und Wirklichkeit, hin; auf ihre Ordnung, Komplexität, Vollkommenheit. Und dieser Lehrer, wie auch seine Lehre, ist nicht nur unteilbar, sondern auch unveräußerlich - ist gratis. Unser (und selten war ein Wort so wört
lich zu nehmen) eingeborenes Geburtsrecht - nicht zu erwerben und nicht zu verlieren, nicht einmal willentlich. Käuflich und kostenpflichtig sind nur die Wolken, die sich zwischen den Suchenden und die Wirklichkeit schieben wollen, teuer sind nur die Schatten der Teil- und damit falschen Sicht der
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Dinge, die sich über das Licht der Wahrheit legen, um die wirkliche mit ihrer Schein-Realität zu überlagern. Die Welt ist nicht Dunkelheit, also brauchen wir keine fremden Befreier aus ihr. Schatten ist nicht das notwendige Gegenstück zu Licht, auch wenn sich diese Illusion immer wieder gern so gebärdet: Schatten ist, im Unterschied zu Licht, keine, und schon gar keine dem Licht ebenbürtige Realität und Qualität in sich selbst, sondern bloße Abwesenheit von etwas - nämlich von Licht. Schatten entsteht, wo sich etwas zwischen das Licht und den Betrachter schiebt - entfällt die Sichtbehinderung, löst sich der Schatten in das auf, was er als Substanz und immer nur ist: nichts. Dies allen westlichen und östlichen «dualistischen» Mystikern ins Stammbuch, die da noch immer nicht den Weg zum buchstäblich alles erhellenden Paradoxon, der exklusiven Wahrheit des Lichts gefunden haben (wo auch Schatten Licht ist, aber keine Spur von umgekehrt). All jenen also, die das Licht immer nur (im) «Jenseits» vermuten, während sie es im Diesseits bereits bewohnen und beleben. Die also, wie Laotse, wäre er als Deutscher und unser Zeitgenosse geboren worden, gesagt hätten, «vor lauter Bäumen das Tao nicht sehen» und aus Angst vor dem Wolf des vermeintlich real existierenden Bösen jeglicher Couleur laut pfeifend durch den unbekannten Märchenwald eigener Dunkelheitsprojektionen gehen.
Oder auch, wie ein anderer Erleuchteter, ein un
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bekannter Sponti, an eine Hauswand sprühte: «Es gibt ein Leben vor dem Tod»; und das hat, nach allem, was uns Westmenschen so an Erkenntnis und Erleuchtung zugänglich ist, durchaus auch seinen höheren Sinn: Nicht Flucht aus dem diesseitigen Leben führt zu seiner unsterblichen Version, sondern seine Erweiterung in seine unsterblichen Bereiche hinein. Nicht Abtrennung eines Bereichs des Lebens, des Lichts, nämlich des diesseitigen, führt zu unsterblichem Leben und unvergänglichem Licht, sondern vollkommene Integration aller Bereiche von Leben und Licht. Dies zu verstehen aber lehrt nur die westliche Logik und Philosophie, und auch der Erhabene würde heute, in ihrem Licht, die Welt anders sehen.
Aber er würde auch heute noch sein Licht und seine Erkenntnis so kostenlos und gratis weitergeben wie damals und wie der erhabenste aller Lehrer, die Welt und Wirklichkeit selbst, und ihm würde auch heute noch nicht im Traum einfallen, diese Wahrheit, Welt und Wirklichkeit zu portionieren und häppchenweise zu verkaufen. Und damit wären wir wieder beim Lieferanten unseres zweiten Eingangszitats und seiner «Fünf-Prozent-Klausel». Auch er hofft, wie so viele Pseudo-Götter neben ihm, den Schatten der eigenen Sichtbehinderung als Pforte zum Licht zu verkaufen und als Petrus der eigenen, mit «Himmel» überschriebenen Erkenntnishöhle die Eintrittskarten abreißen zu dürfen. Solche Türsteher mit Gesichtskontrolle und Ein
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standsspende aber stehen allenfalls einer New Wave-Disco, keinesfalls aber einer New Age- Schule zu, und vor allem: die wirklichen Türen der Erkenntnis führen nicht hinein, wie geweiht die Hallen dahinter auch sein mögen, sondern allein und immer hinaus: hinaus aus jeder Begrenzung, Behinderung und Beschneidung, aus jedem Korsett eines Dogmas oder einer Lehre, aus jeder Teil- Ansicht und Prozentualisierung von Erkenntnis und Erleuchtung - hinaus in die einzige erleuchtete, die vollkommene, reine, allumfassende Sicht der Dinge.
Die, auch diese erste westliche, Theorie ist die imaginäre Schwelle, die die begrenzte von der unbegrenzten, die vollkommene von der unvollkommenen, die erleuchtete von der unerleuchteten Sicht der Dinge trennt, und auch sie ist* gratis, unveräu
ßerlich, im eigenen Bewußtsein angelegt. Diesseits und jenseits dieser Schwelle findet das Bewußtsein nur dieselbe Wirklichkeit, dieselben Wahrheiten,
Dinge, Phänomene, so als ob es diese Schwelle gar nicht gäbe. Nur das Bewußtsein überschreitet sie, und im Überschreiten ist sie bereits schon nicht mehr sichtbar, nicht mehr existent, so, als hätte es sie nie gegeben - wie auch die Welt und Wirklichkeit selbst nicht teilbar ist, ein Baby bei seiner Geburt ebensowenig «in die Welt tritt», in der es schon
* vom marginalen Kaufpreis dieses Buchs einmal abgesehen
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vorher lebte, wie es sie als Greis nicht «verläßt». Grenzen gibt es nur für den, der sie sieht, sich letztlich selbst auferlegt - der sich und seine Wirklichkeit «portioniert». Aber schon für Goethe war, um «im Unendlichen sich zu finden», das Unterscheiden nur die Vorstufe zum «Verbinden».
Für den, der schon reif genug ist, diesen Einsichten nicht ernsthaft widersprechen zu wollen, und wissend genug, sich trotzdem für unwissend zu halten, hält diese «Theorie der Erleuchtung», vor dem Hintergrund des hier Gesagten, eine vollständige Einführung in die Dialektik des vollkommenen (sich vervollkommnenden) Denkens bereit (Teil III.), inklusive der Logik aller Paradoxe, die dieses Denken mit sich bringt - ganz gleich, in welchem kulturellen Bereich dieser Erde er sich bewegt und beheimatet fühlt, ganz gleich wo, wie und wer er ist.
Für den, dessen Unwissenheit genügend geschult und dessen Sicht auf die Dinge ein in vielen Facetten geschliffenes Prisma geworden ist, so daß er sich, ohne sich und andere zu täuschen, berechtigt für wissend halten kann, hält diese «Theoria» eine Abstraktion, eine Essenz seiner Haltung und Einsicht bereit (Teil II.), die ihm dazu dienen dürfte, sich in ihr zu stabilisieren und einzurichten, bis sie als Bewegung des Denkens und Handelns so selbstverständlich geworden ist wie die Bewegung seiner Lungen beim Atmen - so selbstverständlich und ungefährdet, nur bewußter.
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Und für den, der ungefährdet genug ist, sich als erleuchtet betrachten zu dürfen, bietet diese «Theoria» - nichts; außer vielleicht der Bestätigung, es, gemessen an ihren Kriterien, wirklich zu sein. Diese Kriterien aber sind, vor allem aufgrund des scheinbar paradoxen Gehalts der Sätze I. und 5. (Teil I.) ohnehin nur für potentiell Erleuchtete verständlich und plausibel, zumindest in ihrer ganzen Tiefe und Tragweite. Und ohne ihr vollkommenes Verständnis empfiehlt sich lediglich die erneute (und erneute) Lektüre von Teil II., und von Teil III., und so weiter.
Trotzdem aber sollte die «Theorie der Erleuchtung» nicht von hinten (Teil III.) nach vorn (Teill.) gelesen werden, sondern in der gegebenen Reihenfolge. Mit dem Ziel vor Augen wird mancher Weg nicht nur klarer - sondern vielleicht auch kürzer und weniger beschwerlich. Und vor allem: Dies gibt die Möglichkeit, eine Vorstellung vom Ziel zu entwickeln, die, sozusagen im Näherkommen,
schrittweise seiner Realität angepaßt werden kann- auch dies ein Unterschied zur Predigt, die blind durch dunkle Nacht zu führen und am Ende mit Licht zu überraschen verspricht. Die «Theoria» sagt, wohin sie führt, bevor man den ersten Schritt tut, und wer sich ihr anvertraut, wird am Ende in keiner Weise ent-täuscht sein können - er wurde ja nie getäuscht.
Keine Lektüre, auch nicht die dieser «Theoria», kann ihren Leser im spirituellen und einzig bedeu
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tenden Sinn des Wortes wirklich «erleuchten». Aber sie kann ihn an diese Erleuchtung heranführen, ihn mit ihrer Sicht- und Denkweise so vertraut machen, daß die Praxis kein Tasten mehr, sondern gezieltes Streben ist - und sie kann es, so weit Sprache und rationale Logik reichen. Darüber hinaus, in der nonverbalen Abstraktion des Denkens, ist Erleuchtung gelebte, erfahrene Realität, im Osten wie im Westen, gestern wie heute und morgen. Dorthin kann das Denken nur ein seinerseits erleuchtetes Denken begleiten, und es bedarf keiner Theorie mehr.
Sobald es aber aus diesen Höhen zurückkehrt, um in der Welt zu sein und sich dort zu vermitteln, zieht dieses Denken als erstes Kleidungsstück und erste Begrenzung seines unbegrenzten Wesens aus Licht - die Sprache an. Deren Wesen die Abstraktion der phänomenalen und dinglichen Wirklichkeit ist, in ihrer höchsten Form zur «Theorie» verdichtet und strukturiert.
Möge diese «Theoria» ein Beitrag dazu sein, daß alle Wesen sich als das erkennen, was sie schon immer waren und sind: erleuchtet; Teil des Lichts.
Der Verfasser,Oktober 1988
I I
THEORIA
für
Erleuchtete
Sei vollkommen.
1,
2.
Denke, rede, schweige vollkommen.
3.
Handle, urteile, halte dich vollkommen zurück.
4.
Vervollkommne das Unvollkommene um dich herum.
5.
Halte dich nicht für vollkommen, solange es Unvollkommenes
gibt.
II.
THEORIA
für
Wissende
1.
Sei vollkommen.Wisse, daß du der Maßstab bist, an dem andere
den Zustand der Welt ablesen und beurteilen.Wenn sie dich heute, so sehen: Zu welchem Ur
teil über die Vollkommenheit der Welt müssen sie kommen, deiner Meinung nach?
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2.
Denke, rede, schweige vollkommen.Worauf du dein Denken richtest, und wie, ent
scheidet über die Reife, Größe und Vollkommenheit deines Bewußtseins.
Ist Unvollkommenheit der Inhalt deines Denkens, wird auch das Denken unvollkommen sein.
Ist Vollkommenheit der Leitgedanke jeder Themenwahl, jeder Betrachtungsweise, wird auch dein Denken Vollkommenheit ausstrahlen - jeder einzelne deiner Gedanken.
Wieviel mehr dein Reden?Und wieviel mehr dein Schweigen, wenn du zu
Unvollkommenem schweigst, nur zu Vollkommenem redest?
Mehr und mehr wirst du dein Schweigen brechen, Vollkommenes besprechen können.
Wenn du dann noch sprechen willst.
41
3.
Handle, urteile, halte dich vollkommen zurück.Wenn du handelst, wisse genau, warum du han
delst, was du tun wirst, was die Folge deines Tuns sein wird.
Sonst handle nicht.Wenn du urteilst, wisse genau, daß du zum Urtei
len berufen bist, worauf dein Urteil sich stützen muß, was die Folge deines Urteils sein wird.
Sonst urteile nicht.Wenn du dich zurückhältst, wisse genau, warum
du dich zurückhältst, wie deine Zurückhaltung wirkt, was sie auslöst und bewirkt.
Sonst handle lieber.Sonst urteile lieber.
Alles andere wäre nicht vollkommen.
43
4.
Vervollkommne das Unvollkommene um dich herum.
Das setzt voraus: das Unvollkommene zu erkennen.
Dieses setzt voraus: das Vollkommene erkannt zu haben.
Dieses setzt voraus: das Vollkommene in sich selbst realisiert zu haben.
Dieses setzt voraus: alles Unvollkommene in sich selbst als Aufforderung zur Vervollkommnung erkannt und befolgt zu haben.
Daraus folgt:Alles Unvollkommene ist eine Aufforderung zur
Vervollkommnung für den, der es erkennt.
45
5.
Betrachte dich nicht als vollkommen, solange es Unvollkommenes gibt.
Denn du bist nicht allein, sondern unter anderen. Du bist nicht ganz, sondern Teil.Nicht Körper, sondern Zelle.Nicht Universum, sondern Stern.Wie kann deine Rede vollkommen sein, wenn sie
unvollkommen gehört und verstanden wird?Wie kann dein Schweigen vollkommen sein,
wenn es ein lautes Echo gebiert?Wie kann dein Atem rein sein, wenn die Atmo
sphäre unrein ist?Wie kann dein Körper gesund sein, wenn seine
Welt und Nahrung ungesund sind?Wie kann dein Weg zum Leben führen, wenn er
von Toten gesäumt und begleitet wird?Wie kann dein Geist universell sein, wenn das
Universum geteilt ist?
47
Wie kann dein Licht strahlen, wenn die Dunkelheit es nicht reflektiert?
Wie kannst du vollkommen sein, wenn du Teil eines Unvollkommenen bist?
Du kannst dich der Unvollkommenheit nicht entziehen.
Das bedeutet: Du bist nicht vollkommen, nicht frei, nicht unsterblich, solange nicht das Ganze vollkommen, frei, unsterblich ist.
Denn wenn das Ganze sterblich ist: Wie willst du leben?
Was willst du sein, über den Tod des Ganzen hinaus?
III.
THEORIA
für
Unwissende
1.
Sei vollkommen.Wisse, daß du der Maßstab bist, an dem andere
den Zustand und Vollkommenheitsgrad der Welt ablesen und beurteilen.
Denn du bist ein Teil ihrer Welt und Umwelt, ein Teil dessen, woran sie die Welt messen und erkennen. Ein Teil dessen also, woran sie sich selbst messen und erkennen.
Bist du selbst vollkommen, gibst du allen, die dich sehen und erkennen, ein Ziel - den Beweis und ein Beispiel dafür, was auch ihnen möglich ist.
Den Beweis und ein Beispiel dafür, wie die Welt sein könnte, und damit auch: wie sie selbst sein könnten.
Durch eigene Vollkommenheit inspirierst und ermutigst du andere, Vollkommenheit als erstrebenswert anzusehen, Vollkommenheit anzustre
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ben, Vollkommenheit als mögliche, schönere und bessere Realität anzuerkennen.
Und an dir, deiner Vollkommenheit, wird alles andere, Unvollkommenere gemessen - denn jeder Mensch mißt sich und seine Welt immer am größten, höchsten und bedeutendsten der ihm erkennbaren Maßstäbe.
Je größer, höher und bedeutender der Maßstab, um so stärker und wirksamer spürt er in sich den Impuls, ihn selbst anzustreben, ihm selbst zu entsprechen und gerecht zu werden.
Und um so schwächer und wirkungsloser wird die Verlockung, sich im Unzulänglichen zu bescheiden - um so größer ist seine Gewißheit, daß
das Vollkommene erreichbar ist, um so lichtvoller und beständiger ist seine Hoffnung und Sehnsucht, selbst zu diesem Maß emporzuwachsen, diesen Maßstab in sich selbst zu verwirklichen.
Durch Unvollkommenheit aber entmutigst du nur, versicherst das Unvollkommene in seiner Unzulänglichkeit, bestätigst einmal mehr, durch dich selbst, die Unmöglichkeit des Besseren, nimmst dem Streben nach Vollkommenheit einmal mehr die Kraft der Gewißheit des möglichen Sieges.
Und baust so mit am Monument des Unvollkommenen, an dem ohnehin zu viele zu lange schon mitwirken - relativierst das Unzulängliche einmal mehr zu der als «realistisch» verkannten Perspektive, in der man sich der eigenen Unzulänglichkeit wegen keine Gedanken machen und mit der Welt,
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«wie sie nun mal ist», abfinden muß, und in der notwendigerweise alle Energien der Veredelung, der Entwicklung und Vervollkommnung brachliegen oder gar zum Erhalt und zur Erneuerung des Unzulänglichen eingesetzt werden.
Und das Ziel aller Evolution, der individuellen wie der kollektiven, die Vollkommenheit aller Dinge, liegt ferner denn je, die unzulängliche Wirklichkeit der Gegenwart behauptet sich stärker denn je, baut weiter an ihren Festungen der Unvollkommenheit und wird darum später, künftig nur um so schwerer zu überwinden, von der eigenen Über- windbarkeit zu überzeugen sein.
Wieviel Kraft, welche unwiderlegbar realistische Perspektive der Vervollkommnung aber könntest du anderen und damit der Welt allein durch deine eigene Vollkommenheit geben?
Welchen Beitrag zur Vervollkommnung der Welt könntest du allein durch deine eigene Vollkommenheit leisten?
Und welchen Beitrag enthältst du ihr durch dein Bescheiden in der eigenen Unvollkommenheit vor?
Beraubst andere vielleicht um die in ihnen schlummernden Energien, die nur darauf warten, durch ein Beispiel, einen gelebten Beweis der Möglichkeit eigener Vervollkommnung freigesetzt, aktiv und wirksam zu werden. Trägst also durch eigene, passive Unvollkommenheit aktiv zur Unvollkommenheit der Welt bei, indem du so,
53
scheinbar nichts, also auch nichts «Schlechtes» tuend, sie in ihrer Unvollkommenheit bestätigst.
Beides, wie du siehst, Vollkommenheit und Un
vollkommenheit, ist ein wesentlicher Beitrag, den jeder, also auch du selbst, zur Welt, zu ihrem Zustand, ihrem Wachstum leistet - und für den einen wie den anderen ist niemand verantwortlich als du selbst.
Denn du bist, was du dich machst.Du bist dein eigener Beitrag zum Zustand, zur
Vollkommenheit der Welt.An dir messen die anderen, mißt die Welt ihren
Zustand und den Grad ihrer Vollkommenheit.Und wenn die Welt, deine Umwelt dich heute, so
sieht: Zu welchem Urteil über die Vollkommenheit der Welt, über die Möglichkeit ihrer Vervollkommnung muß sie dann, deiner Meinung nach, kommen?
Wenn du dich das täglich einmal fragst, wirst du selbst täglich ein wenig vollkommener - und damit auch dein Beitrag zur Wirklichkeit der Welt, zur gelebten und erlebten Gegenwart aller.
Also auch deiner eigenen.
2.
Denke, rede, schweige vollkommen.Worauf du dein Denken richtest, und wie, ent
scheidet über die Reife, Größe und Vollkommen
heit deines Bewußtseins.Beachte, daß ich nicht allein sage, wie du über
etwas denkst, ist entscheidend - sondern vor allem auch, worüber du überhaupt nachdenkst.
Denn schon die Wahl eines Gegenstands, eines Themas prägt die Art und Weise, wie du dich mit ihm auseinandersetzt.
Denkst du über Armut und Reichtum nach, wirst du erleben, daß dein Denken schon bald in begrenzte und deshalb verblendete Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit abgleitet - unabhängig davon, wie du darüber denkst und welche Position du einnimmst.
Die Dialektik der Themenstellung wird dir
eine Position aufdrängen, die notwendigerweise
55
begrenzt ist. Und jede Begrenzung ist unvollkommen.
Denkst du dagegen über Lebensenergie und Lebensdynamik nach, so wirst du die grenzenlose Harmonie allen Soseins in allen seinen Stadien erkennen - und ganz nebenbei auch den Sinn und die Berechtigung von Armut und Reichtum in ihren verschiedenen Formen.
Ebenso verhält es sich mit allen anderen scheinbar kontroversen Themen und Phänomenen, wie Krieg und Frieden, Freude und Leid, Glück und Unglück, Schönheit und Häßlichkeit, Gesundheit und Krankheit, Leben und Tod - kurz: mit allem, was dissonant und der Vollkommenheit, der Harmonie zu entbehren scheint.
Läßt du dich auf das Diktat ihrer weltlichen, begrenzten Dialektik ein, bist du in deinem Denken und Verständnis sofort in begrenzten Anschauungsweisen gefangen, und die scheinbar plausiblen Argumente für und wider jede Position vermehren sich wie Einzeller bei der Zellteilung ad infinitum, ohne zu dauerhaften und gültigen Einsichten und Erkenntnissen zu führen, die das nächste Argument überlebten - und du befindest dich in der Position des Blinden, der mit Blinden über Farben diskutiert.
Dein Bewußtsein hat die Ebene der höchsten Schwingung verlassen, die allein alle Widersprüche im Licht wirklicher Erkenntnis und Einsicht aufzulösen vermag und es die Dinge ungetrübt
56
sehen und verstehen läßt - und damit unsterblich macht.
«Sich im Schlamm zu wälzen ist keine gute Methode, sauber zu werden», lautet ein altes Sprichwort, und es trifft in besonderem Maße auf das Denken zu.
Nicht wie man sich im Schlamm wälzt, ist entscheidend dafür, ob man sauber wird, sondern ob man es überhaupt tut.
Überlasse anderen, solange sie für besseres Wissen noch nicht zugänglich sind, den Streit über die beste Methode, sich zu wälzen - und bleibe selbst dem Schlamm fern.
Denkst du in Kategorien der Unzulänglichkeit, wird dir bald alles unzulänglich und verbesserungsbedürftig erscheinen.
Ist Unvollkommenes der Inhalt deines Denkens, wird auch dein Denken selbst unvollkommen sein.
Dein Denken ist das Prisma, der Diamant, durch den du die Welt betrachtest - und alle Facetten zusammen erstellen die Vollkommenheit, von der ich spreche.
Betrachtest du die Welt nur durch jeweils eine Facette, ist dein Ausschnitt begrenzt - und damit auch dein Denken. Und diese Begrenzung erscheint als Unzulänglichkeit oder Mangel des betrachteten Gegenstands. Tatsächlich ist sie auch eine Unzulänglichkeit und ein Mangel, nicht aber in Hinsicht auf die betrachtete Wirklichkeit, sondern auf die
Betrachtungsweise.
57
Versuche nicht, die Welt zu ändern - sondern deine Sicht auf die Welt. Den Winkel, die Facette, das Panorama, die Transparenz deines Blicks.
Dann erst siehst und verstehst du die Wirklichkeit wirklich, und die Vollkommenheit vollkommen.
Eine Rose erscheint dir dann nicht mehr unvollkommen, weil ihre Schönheit vergänglich ist, sondern vollkommen, weil auch ihre Vergänglichkeit schön ist - weil ihr Lebenskreislauf vom Samen zur Knospe zur Blüte zum Welken zum Samen eine so vollkommene Harmonie und damit Schönheit besitzt, die die der Blüte allein bei weitem übertrifft.
Ein Unglück erscheint dir nicht mehr als Unglück, sondern als harmonische, weil konsequente Folge einer vorangegangenen Disharmonie im Leben oder Wirken des Betroffenen - und als vollkommen notwendige Phase im Prozeß seiner Vervollkommnung, und damit der Vervollkommnung des Ganzen.
Aus der Sicht des unvollkommenen Gemäldes ist es ein Unglück, übermalt zu werden - aus der Sicht des darübergemalten, vollkommeneren Bildes ist es ein notwendiger Fortschritt, ein Vorgang der Veredelung und Vervollkommnung.
Denn nur das Vollkommene hat wirklich Bestand.Das unvollkommene Bild zuvor war nur eine not
wendige Phase des vollkommenen Prozesses sich entwickelnder und verwirklichender Vollkommenheit. Nicht mehr - aber keinesfalls auch weniger.
58
Dies trifft auf alles Sterbliche und Vergängliche zu, auf alles Unvollkommene, das sich der Vollkommenheit entgegen entwickelt: auf die Leben der Rose durch Samen, Wachstum, Blüten, Samen; die Leben des Menschen durch seine verschiedenen Inkarnationen; die Leben der Sterne und Planeten in den Kosmen des Universums.
Aus der Sicht des Vollkommenen ist alles vollkommen - in sich selbst, oder als Teil einer größeren Vollkommenheit.
Der Künstler, der das Bild malt und übermalt, ist das Leben, das Universum selbst - und du bist seine Hand, sein Pinsel, sein Gemälde und sein Modell zugleich.
Seine Farben sind deine Gedanken, deine Gefühle, deine Wünsche und Hoffnungen, deine Vorstellungen, Pläne und Ideale.
Du bist das Thema, das der Künstler gewählt hat, die Form, die er ihm gegeben hat.
Du aber entscheidest seine künftige Gestaltung und seine Verwirklichung mit - so wie du bereits in der Vergangenheit, in deinen vergangenen Leben, deine gegenwärtige Gestalt und Wirklichkeit mitentschieden hast.
Und das Ziel ist seine, deine Vervollkommnung.Das Universum denkt sich seine Vervollkomm
nung durch dich.Der Grad, in dem du in der Lage bist, diese deine
Vervollkommnung mitzudenken, entscheidet über den Grad deiner Vollkommenheit.
59
Durch deine Gedanken, Gefühle, Perspektiven und Konzepte begrenzt du diese Vollkommenheit - oder läßt sie vollkommen zu.
Sind sie auf Vollkommenheit gerichtet, kann der Künstler sein Kunstwerk vollenden - mit dir und durch dich.
Beschränken sie das Vollkommene auf die Grenzen deiner unvollkommenen Gedanken und Konzepte, wird auch das Kunstwerk diese Grenzen spiegeln - und irgendwann übermalt werden, vergänglich gewesen sein, dem nächsthöheren Grad, der nächstgrößeren Stufe auf dem Weg zur Vollkommenheit weichen müssen.
Durch Abschied und Tod, durch Ankunft und Wiedergeburt.
Wo andere «Tränen» denken, denke: Reinigung der Augen und der Sicht.
Wo andere «Schmerz» denken, denke: Befreiung von Illusion, denke: Wachstum.
Wo andere «Enttäuschung» denken, denke: Ent- Täuschung.
Wo andere «Lüge» und «Ungerechtigkeit» denken, denke an die Wahrheit und Gerechtigkeit, die durch sie gestärkt werden, bis sie mächtig genug sind, das Falsche abzulösen.
Denken andere an «Tod» und «Trauer», denke an die Freude des Erwachens in höheren Welten, zu höherer Existenz, denke an eine vollkommenere Wiedergeburt.
Ist Vollkommenheit der Leitgedanke jeder The
60
menwahl, jeder Betrachtungsweise, wird auch dein Denken mehr und mehr Vollkommenheit ausstrahlen - jeder einzelne deiner Gedanken.
Wieviel mehr dein Reden?Denn Grundlage jeder Rede ist das Denken -
sollte es sein. Vollkommene Rede spricht aus vollkommenem Denken. Denken in Vollkommenheit spricht in Vollkommenheit.
Und wieviel mehr dein Schweigen - wenn du zu Unvollkommenem schweigst, da andere reden, und zu Vollkommenheit das Wort ergreifst, da andere schweigen, nichts zu sagen haben?
Je mehr und öfter du in Vollkommenheit denkst - also in Ganzheiten, nicht in Bruchteilen, in Zusammenhängen, nicht in Fraktionen, in Abläufen, nicht in Abschnitten, in Kompositionen, nicht in Elementen, in Komplementen, nicht in Widersprüchen - um so mehr und öfter wirst du dein Schweigen brechen, um so mehr und öfter wirst du reden, klären und besprechen können, um so seltener mußt du zu Unzulänglichem schweigen.
Wenn du dann noch reden willst.Wenn du dann noch schweigen kannst.
3.
Handle, urteile, halte dich vollkommen zurück.Wenn du handelst, wisse genau, warum du han
delst, was du tun wirst, was die Folge deines Tuns sein wird.
Bevor du etwas beginnst, mußt du das Ende kennen. Könntest du sonst den Anfang verantworten?
Wer einen Schneeball wirft, ist verantwortlich für die Lawine - selbst wenn er nur einigen Kindern eine Freude bereiten wollte. Nicht der Wille, die Absicht zählt, sondern allein das Resultat, die geschaffene Tatsache. Sie allein entscheidet darüber, ob eine Handlung «gut» war oder «schlecht», ob sie der Welt zum Heil gereichte oder das Unheil vermehrte - und nicht die Absicht.
Das Universum legt keinen Wert auf Meinungen, das Universum verlangt Wissen.
Vollkommenes Handeln setzt vollkommenes Wissen voraus.
63
Fehlt dieses Wissen, handle lieber nicht.Denn wenn du handelst, ohne zu wissen mit wel
chem Ziel, wie dein Handeln wirkt, wozu und wohin es führt, handelst nicht wirklich du, sondern der Zufall handelt durch dich - im Negativen wie im Positiven. Und du bist nur Vollzugsobjekt - verantwortlich zwar, aber Objekt: deines begrenzten Wissens, deiner unzulänglichen Anschauung, deines falschen Impulses.
Wie kann dein Handeln da vollkommen sein?Das Unheil, als Stufe der Entwicklung eines grö
ßeren Heils, muß wohl geschehen. Doch wehe dem, durch den es geschieht.
Du meinst, Gutes zu tun, und löst ein Unglück aus: Wie vollkommen war da dein Handeln, wieviel
wert da deine «Meinung»?Du meinst, gerecht zu sein, und übersiehst die
Ungerechtigkeit, die du begehst, weil du nicht alle Faktoren kennst und überschaust: Wie vollkommen war da dein Urteil?
Du meinst, konstruktiv zu sein, und nährst mit deiner Energie die Destruktion: Wie vollkommen war da dein Beitrag zur Vervollkommnung der Welt ?
Du schenkst einem Bettler ein Vermögen - und seine Kumpane erschlagen ihn, um ihn zu berau
ben: Warst du es nicht, der ihn tötete?Du nimmst einem Kind die Hälfte seines Ku
chens, um sie dem anderen Kind zu geben - und wußtest nicht, daß dieses bereits seinen Kuchen
hatte.
64
Du rettest einem Menschen das Leben - und er wird zum Mörder.
Du kämpfst gegen die Errichtung eines Staudamms, um die Natur zu schützen - und Dürreperioden lassen die Bevölkerung verhungern.
Du kämpfst für die Errichtung des Staudamms - und er bricht und verschlingt ganze Dörfer mit seinen Fluten.
Si vis pacem, pare bellum - und die Rüstung löst völkermordende Kriege aus.
Du kämpfst für Frieden durch Abrüstung - und ganze Völker werden wehrlos unterjocht, versklavt.
Wie vollkommen war da dein Beitrag zur Vervollkommnung der Welt - im einen wie im anderen Fall?
Wisse, warum du handelst, wohin dein Handeln führt und daß du zum Handeln berufen bist - sonst handle nicht.
Wenn du urteilst, wisse genau, daß du zum Urteilen berufen bist, worauf dein Urteil sich stützen muß, was die Folge deines Urteils sein wird - sonst urteile nicht.
Ein Mensch überfährt mit seinem Auto ein Kind - war er verantwortungslos oder das Kind unbelehrbar?
Ein Mann verläßt seine Frau, eine Frau ihren Mann für eine andere, einen anderen - ist er, sie skrupellos, oder machen sie drei Menschen glücklicher?
65
Ein Mensch bedroht einen anderen - ist er gewalttätig oder der Bedrohte gefährlich?
Ein Mensch verliert den Lebensmut - ist er zu schwach oder sein Schicksal zu stark?
Wenn du urteilst, wisse, daß du zum Urteilen berufen bist - daß das Universum dich in diese Situation gebracht, dich mit ihren Inhalten vertraut ge
macht hat, damit du urteilst, weil sonst niemand da oder besser als du in der Lage dazu wäre.
Wisse, daß du urteilen mußt, um Unvollkomme
nes zu beseitigen, der Vervollkommnung zu dienen.Daß du in der Lage bist zu urteilen, weil du voll
kommenes und klares Denken besitzt - und dies nicht nur meinst.
Daß du weißt, worauf dein Urteil sich stützt und was die Folge deines Handelns sein wird, das sich auf dieses Urteil stützt.
Sonst handle nicht.Sonst urteile nicht.Nur vollkommenes Urteil führt zu vollkomme
nem Handeln, nur vollkommenes Denken führt zu vollkommenem Urteil, nur vollkommenes Wissen führt zu vollkommenem Denken.
Vollkommenes Denken also führt zu vollkommenem Sein.
Jeder kann nur urteilen nach dem Wissen und der Einsicht, die ihm zur Verfügung stehen.
Vollkommenheit aber ist, nicht zu urteilen, wenn man weiß, daß das eigene Wissen, die eigene Einsicht unvollkommen ist.
66
Vollkommenheit ist, zu urteilen und zu handeln, ohne jemals durch Ereignisse oder durch neue Einsichten und Erkenntnisse in seinem Urteil und damit in seinem Handeln widerlegt zu werden - und dies vorher zu wissen.
Ist dein Wissen nicht vollkommen, urteile nicht, handle nicht - halte dich vollkommen zurück.
Vollkommene Zurückhaltung entspringt dem vollkommenen Wissen, nicht handeln zu können, weil das Handeln nicht vollkommen wäre; nicht urteilen zu können, weil das Urteil nicht vollkommen wäre.
Vollkommene Zurückhaltung entspringt also vollkommenem Denken - der vollkommenen Einsicht in die eigene Unvollkommenheit und damit in die Unvollkommenheit jedes eigenen Urteils, jedes eigenen Handelns.
Und nur Zurückhaltung ist in diesem Fall vollkommenes Handeln, nur Zurückhaltung ist in diesem Fall vollkommenes Urteil.
Doch auch in der Zurückhaltung wisse genau, wie deine Zurückhaltung wirkt, was sie auslöst und bewirkt.
Ob sie zur Vervollkommnung der Situation,
eines Sachverhalts beiträgt oder zur Unvollkommenheit.
Denn auch Zurückhaltung ist Handeln, auch nicht zu urteilen ist Urteil.
Wisse vorher, welche Konsequenzen deine Zurückhaltung hat. Daß sie richtig ist, zum richtigen
67
Ziel führt, ein Teil des richtigen Weges zur Vervollkommnung der Welt ist.
Sonst handle lieber.Sonst urteile lieber.Alles andere wäre nicht vollkommen.
4.
Vervollkommne das Unvollkommene um dich herum.
Das setzt voraus: das Unvollkommene zu erkennen.
Dieses setzt voraus: das Vollkommene erkannt zu haben.
Das Vollkommene erkannt zu haben bedeutet: die Vollkommenheit aller unvollkommen scheinenden Bruchteile, Fraktionen, Abschnitte, Elemente und Widersprüche in ihrem Zusammenhang und Gefüge als vollkommene Ganzheit, als Vollkommenheit erkannt zu haben.
Dies erkannt zu haben bedeutet: selbst vollkommen zu sein, also das Vollkommene in sich selbst realisiert zu haben.
Dies setzt voraus: alles Unvollkommene in sich selbst als Aufforderung zur Vervollkommnung erkannt und befolgt zu haben - und damit selbst
69
ein Teil des Vollkommenen geworden zu sein, sich als vollkommenen Teil der Vollkommenheit aller Wirklichkeit erkannt zu haben.
Und mit der eigenen Vervollkommnung den wichtigsten Beitrag zur Vervollkommnung der Welt geleistet zu haben - den ersten und grundlegenden Beitrag.
Denn aus der Erkenntnis des Vollkommenen folgt, daß alles Unvollkommene eine Aufforderung zu seiner Vervollkommnung ist - für den, der beides klar erkennt: das Vollkommene und das Unvollkommene.
Das Vollkommene: die Ganzheit aller Teile, aller Bewegungen und Prozesse.
Das Unvollkommene: der Bruchteil, die Fraktion, der Abschnitt, das Element, der Widerspruch für sich und nicht im Zusammenhang, nicht als Phase der vollkommenen Ganzheit betrachtet.
Die vollkommene Erkenntnis der Phase als Phase und des Ganzen als vollkommene Ganzheit ist zugleich die Aufforderung, das Unvollkommene
in Richtung auf seine Vervollkommnung zu lenken, die Phase in Richtung auf das Ganze, vermeidbare Abweichungen zu vermeiden und erkennbare Entwicklungen bewußt zu fördern.
Die Kenntnis des Vollkommenen ist für den Erkennenden die Verpflichtung, dem Unvollkommenen auf seinem Weg zur Vervollkommnung zu dienen - mit seinem Sein und Bewußtsein für dessen Sein und Bewußtsein.
70
Eigene Vollkommenheit ist Verpflichtung zur Vervollkommnung des Ganzen.
Jede Unkenntnis ist ein Imperativ zu Erkenntnis.Jede Erkenntnis ist ein Imperativ zu ihrer Ver
wirklichung in der Welt.Jede Unvollkommenheit ist ein Imperativ zur
Vervollkommnung.Wäre die Unkenntnis sonst erkennbar geworden?Wäre die Unvollkommenheit sonst offenbar ge
worden?Wäre das Vollkommene sonst ihr Maßstab?Wärst du selbst vervollkommnet, wäre nicht
deine Unvollkommenheit Auftrag zur Vervollkommnung für dich gewesen?
Das Unvollkommene als Phase auf dem Weg zur Vervollkommnung zu erkennen und zu fördern ist vollkommene Einsicht, die aus vollkommenem Denken resultiert.
Das Unvollkommene als unvollkommen zu erkennen und zu belassen, also nicht seiner Vervollkommnung zu dienen, wäre unvollkommene Einsicht, die aus unvollkommenem Denken resultiert.
Das aus unvollkommenem Sein resultiert.Das das Unvollkommene gar nicht vervoll
kommnen könnte, da es selbst das Vollkommene noch nicht erkennt und kennt.
Und damit selbst noch ein Teil des Unvollkommenen ist, und nicht des Vollkommenen.
Ein Teil des Problems, und nicht ein Teil der Lösung.
71
Daraus folgt: Alles Unvollkommene ist eine Aufforderung zur Vervollkommnung für den, der es erkennt.
Vollkommen erkennbar aber ist das Unvollkommene nur für den, der selbst vollkommen ist.
5.
Betrachte dich nicht als vollkommen, solange es Unvollkommenes gibt.
Denn du bist nicht allein, sondern unter anderen.Du bist nicht ganz, sondern Teil.Nicht Körper, sondern Zelle.Nicht Universum, sondern Stern.Was nützt dem kranken Körper die gesunde
Zelle? Was der gesunden Zelle, Teil eines kranken Körpers zu sein - wenn nicht als Ausgangspunkt
seiner Genesung?Was nützt es dem starken Baum, Teil eines sie
chen Waldes zu sein - wenn nicht als Kern eines
besseren Wachstums?Was nützt dem hellen Stern ein trübes Univer
sum, in dem sein Licht sich nur an Trübem messen und nicht im Glanz des Umfelds spiegeln kann?
Kann eine Körperzelle sagen: Ich bin gesund, wenn der Körper, dessen Teil sie ist, krank ist?
73
Kann ein Baum sagen: Ich bin stark, wenn der Wald, zu dem er gehört, siech ist und verfällt?
Kann ein Stern sagen: Ich bin hell, wenn kein Licht um ihn her seine Strahlkraft messen und bestätigen kann?
Kann ein Mensch sagen: Ich bin vollkommen, wenn die Menschheit, deren Teil er ist, unvollkommen ist?
Unvollkommen, blind und sterblich?Vollkommenheit kennt keine Bruchteile, son
dern Ganzheiten. Keine Fraktionen, sondern Zusammenhänge. Keine Abschnitte, sondern Abläufe. Keine Elemente, sondern Kompositionen. Keine Widersprüche, sondern Komplemente.
Und «Ich» bezieht sich zugleich auf den Teil wie auch das gesamte der wahrnehmbaren Wirklich- keit des Universums - oder es ist unvollkommen.
Wie könnte dieses «Ich», das sich als Teil und Phase eines Ganzen begreift, vollkommen sein, wenn das Ganze, dessen Teil und Phase es ist, unvollkommen ist?
Wie kann Glück vollkommen sein, wenn es Teil eines größeren Unglücks ist?
Wie kann Farbe schön sein, wenn sie nur Tupfer im Grau ist?
Wie kann ein Atemzug rein sein, wenn die Atmosphäre, die er atmet, unrein ist?
Ich bin erst vollkommen, wenn alles vollkommen ist, was ich erkennen kann. Denn alles, was ich erkenne, ist ein Teil von mir - bin «ich».
74
Solange ich Unvollkommenes erkenne, kann ich nicht vollkommen denken, reden, schweigen.
Solange ich nicht vollkommen denken, reden, schweigen kann, kann ich nicht vollkommen handeln, urteilen, mich zurückhalten.
Solange ich nicht vollkommen handeln, urteilen, mich zurückhalten kann, kann ich nicht vollkom
men sein.Wenn ich aber nicht vollkommen bin - wie kann
es dann die Welt sein, deren Teil ich bin?Wenn ich nicht frei, unsterblich bin - wie kann es
dann die Welt sein, deren Teil ich bin?Wenn mein Geist nicht universell ist - wie kann
der Geist des Universums es dann sein, aus dem er
sich bezieht?Die Welt kann nicht vollkommen sein, solange
ich, eines ihrer Teile, nicht vollkommen bin.Ich kann nicht vollkommen sein, solange es die
Welt nicht ist, deren Teil ich bin.Daraus folgt:Ich kann nur vollkommen sein, wenn die Welt es
ist. Die Welt kann nur vollkommen sein, wenn ich
es bin.Ich vervollkommne mich, indem ich den Teil der
Welt, der mir erkennbar ist, vervollkommne.Die Welt vervollkommnet sich, indem ich mich,
ihren mir erkennbaren Teil, vervollkommne.Je größer dieser Teil, um so größer mein Beitrag
zur Vervollkommnung der Welt.Und damit auch: meine eigene Vollkommenheit.
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Meine Vollkommenheit ist der Spiegel der Vollkommenheit der Welt.
Ihre Unvollkommenheit ist der Spiegel meines Auftrags zu ihrer - und damit meiner - Vervollkommnung.
So nur wird die Welt vollkommen - durch dich.So nur wirst du vollkommen - durch die Welt.Du kannst dich ihrer Unvollkommenheit nicht
entziehen.
Sie kann sich deiner Unvollkommenheit nicht entziehen.
Denn du, die Welt, der Kosmos, ihr seid eins - ein unteilbares Universum.
Du bist nicht vollkommen, frei, unsterblich, solange nicht das Ganze unsterblich, frei, vollkommen ist.
Wenn das Ganze sterblich ist: wie willst du leben?
Was willst du sein, über den Tod des Ganzen hinaus?
Das ganze Universum ist in dir, und du bist ganz in ihm.
Du bist das Universum, das dich denkt - und seine Vollkommenheit durch dich.
Du bist seine Vollkommenheit und seine Unvollkommenheit.
Du bist, was du sein kannst - frei.Du bist, was du werden willst - vollkommen.Du bist, was du sein wirst - unsterblich.Werde, was du bist.
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(Rider-Waite-Tarot)84 Seiten, Paperback, DM 18,— HERMES WEISSE REIHE (HWR) 2
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Sonnenstadt im NebelDas Paradies in
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Zeitalter Orwells Mit einem Titelfoto von
Reinhard Rosenau und 11 Ölbildern von
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Hans A. Pestalozzi
Die sanfte VerblödungGegen falsche New Age-Heilslehren
und ihre Überbringer - Ein Pamphlet
Mit einem Titelfoto von Reinhard Rosenau
68 Seiten, Quality-Paperback, DM 16,80 ISBN 3-88958-011-4
Keine Lektüre kann ihren Leser wirklich
«erleuchten». Aber sie kann ihn an diese Erleuch
tung heranfuhren, ihn mit ihrer Sicht- und Denk
weise so vertraut machen, daß die Praxis kein
Tasten mehr, sondern gezieltes Streben ist - und
sie kann es, so weit Sprache und rationale Logik
reichen. Darüber hinaus ist Erleuchtung gelebte,
erfahrene Realität, im Osten wie im Westen,
gestern wie heute und morgen. Dorthin kann das
Denken nur ein seinerseits erleuchtetes Denken
begleiten, und es bedarf keiner Theorie mehr.