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PANNONISCH | EUROPÄISCH | KOSMOPOLITISCH FORUM EUROPAHAUS BURGENLAND | NR. 28 – AUGUST 2015 welt gewissen DIE ERDE SPRICHT ...

Nr. 28 – August 2015 1 Forum EuropAhAus …Werk von Béla Hamvas von Katalin Thiel 24 Albert Camus und Garry Davis – Von der Résistance über die Weltbürgerbewegung zum Anarchismusdas

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Nr. 28 – August 2015 1

Forum EuropAhAus BurgENlANd | Nr. 27 - JäNNEr 2015

weltgewissenpANNoNisch | Europäisch | kosmopolitisch

Forum EuropAhAus BurgENlANd | Nr. 28 – August 2015

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DIE ERDE SPRICHT ...

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Nr. 28 – August 2015 3

Die Erde spricht – fluchtartig die Parteien verlassen. Zum (anti-)politischen Denken bei Joseph Beuysvon Wolfgang Zumdick 4

Burgenländischer Tabubruch? von Franz Schandl 11

Thesenpapier zur Entpolitisierungvon Benedikt Widmaier 13

Vaclav Havels Analyse der Unterdrückungvon Roger Lipsey 14

Antipolitik– eine Erinnerung an György Konrádvon György Dalos 18

„Anti-Politik“? Kulturpessimismus als politische Gefahrvon Bernd Guggenberger 20

Das Wesen von Politik / Antipolitik im Leben und Werk von Béla Hamvasvon Katalin Thiel 24

Albert Camus und Garry Davis – Von der Résistance über die Weltbürgerbewegung zum Anarchismus von Lou Marin 28

Impressionen von der Internationalen Tagung ÜBER-LEBEN MIT/ OHNE POLITIK von Sybille C. Fritsch-Oppermann 33

Zurück zur Kosmographie? Überlegungen zu geographischen Vorstellungen in weltbürgerlicher Gesinnungvon Hans Göttel 40

Ich frage mich – Qui est Lampedusa?von Richard Schuberth 46

Rückblick – Frühjahrsveranstaltungen 2015 50

Termine – Herbstveranstaltungen 2015 53

Ein Fest des DazulernensDer Leopold Kunschak Anerkennungspreis für P. Anton Srholec SDB von den Familien Lang, Mayerhofer-Sebera, Pampalk und Smutny 56

Buchtipps 60

Impressum 61

Bildbeschreibungen 62

Editorial

inha

lt

Liebe Leserin, lieber Leser,

seit der Generalversammlung im Feber 2015 bin ich nun für die operativen Geschäfte des Europahauses zuständig und Hans Göttel für die inhaltlich-konzeptiven Fragen. Zu den besonders ehrenvollen Aufgaben der Geschäftsleitung zählt auch, Ihnen einen Überblick über unsere Tätigkeiten und das Programmjahr geben zu dürfen.Der Programmhöhepunkt im ersten Halbjahr des Europahauses war die internationale Tagung „ÜBER-LEBEN MIT / OHNE POLITIK – Sicherheit, Men-schenrechte und Entwicklung im Lichte europapoliti-scher, antipolitischer und kosmopolitischer Entwürfe.“Lesen Sie dazu auf den folgenden Seiten die Vorträge und interessanten Ausführungen der Referenten zu Politik und Antipolitik – von gestern und heute – ges-tern in Ost und West – heute in Ost und West – wie Sybille Fritsch-Oppermann in ihrem überaus pointier-ten zusammenfassenden Artikel geschrieben hat.

Eine Nachlese geben wir auch zu unseren verschiede-nen Veranstaltungen im ersten Halbjahr. Ich möchte hier nur stellvertretend das Lesedrama „Frontex“ des österreichischen Schriftstellers Richard Schuberth mit der begleitenden, einmaligen und äußerst beklemmen-den Kunstinstallation „Lampedusa“ von Ilse Hirsch-mann nennen. Besonderes Augenmerk möchten wir auch auf unsere Veranstaltungen im Herbst legen. Es wird in Fortfüh-rung der Tagung im Mai ein zweiter Teil stattfinden. Internationale Tagung „ÜBER-LEBEN MIT / OHNE POLITIK“ mit Konstituierung des Europahaus-Beira-tes, politischen Rahmen-Gesprächen, einer Buchprä-sentation und einem Kolloquium zur Kultur der Dis-sidenz im Hinblick auf den Austritt des Europahauses Burgenland aus dem Burgenland der Landespolitik. Im Welt(ge)wissen Nr. 27 wurde schon versucht, die eingeschlagene Richtung zu beschreiben und im Lichte kosmopolitischer Ideen zu erkunden. Diesen einge-schlagenen Weg, des „Umarbeitens des Europahau-ses“, wollen wir weiter gehen.

Helga Kuzmits

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4 Forum EuropAhAus BurgENlANd

Demokratie ist lustigJoseph Beuys veröffentlichte sei-

nen Aufruf zum Austritt aus den Parteien Mitte der siebziger Jahre, nachdem er 1967 selbst zunächst eine Partei gegründet hatte: Die Deutsche Studentenpartei – später umbenannt in Fluxuszone West –, von der er unbescheiden behauptete, sie sei die größte Partei der Welt – die meisten ihrer Mitglieder seien allerdings Tiere.

Drei Jahre später, 1970, gründet Beuys die Organisation der Nicht-wähler, Freie Volksabstimmung und im darauffolgenden Jahr die Organi-sation für Direkte Demokratie durch Volksabstimmung, mit der er dann 1972 auch für 100 Tage an der docu-menta 5 in Kassel mit seinem Büro für Direkte Demokratie teilnimmt. Interessant auch dieser Schritt: Beuys versetzt ein simples Büro in die seinerzeit wichtigste Ausstellung zeitgenössischer Kunst weltweit und behauptet von ihr, das sei Kunst.

Es folgen zahlreiche weitere poli-tische Aktivitäten, wie die von Beuys seit 1967 praktizierte unorthodoxe Aufnahmepraxis von Studenten an die Düsseldorfer Kunstakademie, die ihn in scharfen Gegensatz zur Nordrhein-Westfälischen Kultusbü-rokratie bringt und schließlich 1973 zu seiner Entlassung als Hochschul-professor an der Düsseldorfer Kunst-akademie führt. 1980 schließlich

wird Beuys auf dem Gründungspar-teitag in Karlsruhe zu einem der Mit-begründer der Grünen – einer Partei, die sich zu Beginn ganz im Sinne von Beuys als eine basisdemokratische „Anti-Parteien-Partei“ verstand.

Grüne MetamorphosenNicht nur das Rotationsprinzip –

also der Zweijahreswechsel Grüner Abgeordneter in den Parlamenten – sondern auch eine feste Veranke-rung basisdemokratischer Werte, die strenge Quotierung der Partei- und Fraktionsämter und die sogenannte Doppelspitze der Parteivorsitzenden sowie die feste Verankerung der Grü-nen in der Bürgerinitiativbewegung sollten die verkrusteten Parteistruk-turen aufbrechen und Innovation in die Parlamente und die Parteien-landschaft bringen.

35 Jahre nach Parteigründung haben die Grünen sich zu einer fes-ten Größe im Parteienspektrum entwickelt, dies aber, so möchte ich behaupten, um den Preis ihrer Inno-vation und Kreativität.

Der Aufstieg der Grünen Partei ist für mich in gewisser Weise ein Paradebeispiel dafür, wie sich eine neue Partei nur dann im Parteien-spektrum etablieren kann, solange sie die eingespielten Regeln der Parteien-Demokratie akzeptiert. Ich sehe das keineswegs negativ,

Die Erde spricht – fluchtartig die Parteien verlassen.Zum (anti-)PolitischEn DEnkEn bEi JosEPh bEuys

von Wolfgang Zumdick

Wolfgang Zumdick, Philosoph, Schriftsteller; Dozent an der Social Sculpture Research Unit, Oxford Broo-kes University.

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denn die Entwicklung der Grünen zu einer verantwortungsbewuss-ten Partei, die in Regierungsver-antwortung durchaus vieles Posi-tive bewirkt hat, war nur aufgrund einer gewissen Mimikry hin zu den anderen damals so genannten „etab-lierten Parteien“ möglich, die Beuys mit seiner Aufforderung „fluchtartig die Parteien zu verlassen“ ins Visier genommen hatte.

Dennoch: festzustellen bleibt, dass sich eine Partei in dem Moment, in dem sie sich auf den parlamentari-schen Weg begibt, sich auch eines Teils ihrer Freiheit beraubt.

Zudem scheint mir im Zusammen-hang mit Parteien von Freiheit zu sprechen durchaus diskussionswür-dig zu sein. Grundsatzprogramme, Manifeste und Parteitagsanträge, die für die Partei – nicht für die Par-lamente – bindend sind, kommen in den Parteien – so zumindest ist es nach wie vor bei den Grünen – durch Mehrheitsbildung zustande. In den meisten Fällen wird eine Schreib-gruppe vom Parteivorstand einge-setzt, um einen Leitantrag zu for-mulieren, der dann auf einem der großen oder kleinen Parteitage abge-stimmt wird. Ebenso geschieht dies mit Wahlprogrammen, die bei den Grünen oft mit mehr als eintausend Änderungsanträgen abgestimmt und verabschiedet werden, so dass nahezu alle Parteigremien in den Anträgen und Programmen abge-bildet sind.

Parteiintern ist dies durchaus ein erprobtes demokratisches Ver-fahren, das durch die Jahre hinweg immer weiter perfektioniert wurde. Politische Positionierungen der Grü-nen kommen parteiintern durch ein Höchstmaß an Konsensbildung zustande. Gleichzeitig wird natür-lich hinter den Kulissen viel geran-gelt und es kommt zugleich auch auf das Geschick der Parteistrategen an, wie Themen gesetzt und formuliert, bzw. Kompromisse gefunden werden.

Hat man auf diese Weise die Par-teilinie und ihre Ziele dann aber erst einmal formuliert und definiert, dann sind sie allerdings auch bindend für jedes Parteimitglied. So gesehen gebe ich als Individuum, in dem Moment, indem ich in die Partei eintrete, gleichzeitig auch einen Teil meiner politischen Freiheit ab und definiere mich durch die Mehrheitsmeinung.

Die Parteien abschaffen?In ihrem Essay „Anmerkung zur

generellen Abschaffung der politi-schen Parteien“, der 1943 im engli-schen Exil, kurz vor Simone Weils Tod entstand, kritisiert die Philoso-phin dies aufs Schärfste:

Ein Mensch, der einer Partei angehört, hat wahrscheinlich in Aktion und Propaganda dieser Par-tei Dinge erblickt, die ihm gut und richtig erschienen. Niemals aber hat er die Position der Partei zu sämt-lichen Problemen des öffentlichen Lebens untersucht. Mit seinem Par-teieintritt akzeptiert er Positionen, die ihm unbekannt sind. So unter-wirft er sein Denken der Autorität der Partei. Wenn er diese Positionen allmählich kennenlernt, wird er sie ungeprüft übernehmen.1

Simone Weil zieht daraus fol-gendes Fazit:

Es ist unmöglich, bei der Unter-suchung der schrecklich komplexen Probleme des öffentlichen Lebens auf zweierlei gleichzeitig zu ach-ten: einerseits darauf, die Wahrheit, die Gerechtigkeit, das Gemeinwohl zu erkennen, und andererseits dar-auf, die Haltung zu bewahren, die dem Mitglied einer solchen Gruppe (Simone Weil meint einer Partei) ansteht. Das menschliche Vermö-gen der Aufmerksamkeit ist nicht zweier Anliegen gleichzeitig fähig.

1 Simone Weil: Anmerkung zur generellen Abschaffung der politischen Parteien. Aus dem Französischen von Esther von der Osten. Zürich, Berlin, 2009, S. 28.

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Wer immer sich dem einen widmet, gibt das andere Preis.2

Etwas ganz Ähnliches geschieht aber auch mit einem Abgeordneten, der in eines der Parlamente gewählt worden ist.

Zunächst geht dieser Abgeordnete durch die Prüfung der eigenen Par-tei. Die Karriere fängt mit der Listen-aufstellung an. Der Bewerber oder die Bewerberin müssen sich gegen die Konkurrenz innerhalb der Par-tei durchsetzen. Hier kommt es zwar immer auch auf Authentizität und Willenskraft und ein gewisses Maß an Charisma an um sich im Wett-streit durchzusetzen, das Maß der Dinge ist und bleibt aber die Parteili-nie, die zu diesem Zeitpunkt das Den-ken, Fühlen und Handeln der Bewer-ber schon ganz durchdrungen hat.

Ist die Kandidatin dann in das Parlament oder gar in die Regierung gewählt, kommt zu diesem Druck noch einmal ein ganz anderer Druck hinzu. Im parlamentarischen System werden Entscheidungen durch Mehr-heitsbildung erreicht, das heißt, eine Fraktion ist auf die Konsensbildung innerhalb der Fraktion angewiesen. Der Grad von Freiheit in der Mei-nungsbildung wird nunmehr nicht nur durch die Parteilinie, sondern gleichzeitig auch durch die strategi-sche Aufstellung der Fraktion einge-schränkt. So werden oft Positionen mitgetragen, die Abgeordnete eigent-lich nicht mit ihrem Gewissen bzw. ihrer Vernunft vereinbaren können.

In der Zeit der Rot-Grünen Regie-rung Schröder/Fischer in der Bundes-republik gab es zahlreiche Beispiele dafür, wie diese Entscheidungen – beispielsweise zu den so genannten Hartz IV-Gesetzen oder zur Unter-stützung militärischer Interventio-nen im Kosovo oder in Afghanistan –, Abgeordnete und Parteimitglieder

2 Ebd. S. 24.

in ernst zu nehmende Gewissenskon-flikte geführt haben.

Die Antiquiertheit von Wahlkämpfen

Neben dieser offensichtlichen Schwierigkeit, als Parteimitglied gleichzeitig eine gewisse intellektu-elle Autonomie und Entscheidungs-freiheit zu wahren, sehe ich eine wei-tere große Schwierigkeit der Parteien darin, dass sie als Wettbewerber auftreten.

Alle vier, bzw. fünf Jahre verfolgen wir als Wählerinnen und Wähler das immer gleiche Spiel: Um möglichst viele Stimmen, also Macht-Äquiva-lente bei einer Wahl zu erhalten, glauben die Parteistrategen mit einer möglichst gelungenen Performance – genannt Kampagne – auftreten zu müssen. Schon Jahre im Voraus wird dabei von den meisten Parteien an einer optimalen Strategie bzw. einem optimalen Auftritt gearbeitet. Große Werbe-, Medien- und PR-Agenturen und Politik-Analysten werden heran-gezogen um die Trends herauszufin-den, wie man am besten die eigene Marke präsentiert und damit nicht nur die Stamm- sondern besonders auch die WechselwählerInnen am besten überzeugen kann.

Dieses öffentliche Auftreten im Wahlkampf wird allerdings von immer mehr Wählerinnen und Wäh-lern abgelehnt. Man spürt hinter dem Auftritt den Zweck zu deutlich und vermutet, dass die Argumente nur Mittel sind, um an die Macht zu kommen. „Die machen ja doch, was sie wollen“ oder „das sind alles nur schöne Worte“ sind wohl die gängigs-ten Stereotype, die in diesem Zusam-menhang zu hören sind.

Der Leumund der Parteien und in diesem Zusammenhang auch der der Politik ist denkbar schlecht. Parteien und Politik werden als Machtinstru-mente zur Befriedigung von Inter-essen der Interessensgruppen und

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Lobbys, wenn nicht gar zur Errei-chung persönlicher Machtgelüste und Eigeninteressen gesehen.

Hier bedarf es dringend einer Änderung! Denn selbstverständlich ist Politik, das heißt die Frage, wie wir ein Gemeinwesen kollektiv am besten gestalten, eine der wesent-lichen Fragen unseres gesellschaft-lichen Lebens. Die Abwendung von der Politik, den Politikern und den Parteien ganz generell sollte uns nicht dazu verleiten, unpolitisch zu werden, sondern, im Gegenteil, uns veranlassen, nach neuen, alternati-ven Formen politischer Meinungs-bildung und politischer Gestaltung zu suchen, die sich nicht unbedingt gegen das Parteienprinzip ganz gene-rell wenden muss, aber doch nach Instrumenten ausschaut, durch die die genannten Probleme zumindest tendenziell überwunden werden kön-nen. Eines dieser Instrumente ist mit Sicherheit die Fortentwicklung direkt-demokratischer Prozesse, auf die ich in meinem Beitrag aber nicht weiter eingehen möchte, da die Dis-kussion darüber seit Jahren inten-siv geführt wird. Ich möchte hinge-gen stärker auf die Binnenstruktur politischer Kommunikation einge-hen und danach fragen, wie eine politische Kommunikation aussehen könnte, so dass einerseits das Inte-resse an ihr wieder steigen würde, andererseits aber auch Kommunika-tionsformen entstehen können, die sich jenseits eingespielter Prozesse politischer Kampfrhetorik bewegen.

Politik als Frage-ProzessAls Mitarbeiter der Social Sculp-

ture Research Unit bin ich gewisser-maßen als Künstler mit dieser Frage nach neuen Ausdrucksformen gesell-schaftlicher Gestaltung befasst. Es war Joseph Beuys, der mit seiner Idee der Sozialen Skulptur die Frage der Gestaltung sozialer Organis-men, wie er gesellschaftliche Körper-schaften nannte, aufgeworfen hat. Wie können sich interessierte

Menschen, so stellte sich Beuys die Frage, an der Transformation sozi-aler Gemeinschaften beteiligen? Ist eine Demokratie denkbar und prak-tikabel, an der jede und jeder Inte-ressierte in seinem Umkreis auf kreative Weise mitdenken und mit-gestalten kann?

Und dies betraf für Beuys kei-neswegs nur die Frage nach dem Was wir verändern wollen, sondern vor allem auch die Frage Wie dies geschehen sollte, also der Frage nach dem Prozess selbst, der zu Verände-rung führt. Denn solange nicht die Offenheit, Fragwürdigkeit und Pro-zesshaftigkeit von Gestaltungsvor-gängen in das Kalkül politischer Kommunikation einbezogen werden, wird Politik leicht zu einem abstrak-ten Prinzip, das einmal getroffene Vorgaben ohne die nötige Elastizität und Pragmatik umzusetzen versucht – und dies viel zu oft über die Köpfe der betroffenen Menschen hinweg.

Die Frage ist also, wie wir Wege finden können, Demokratie ohne Zwang und mit lebendigem Inte-resse gemeinsam zu denken und durch gemeinschaftliches, kreatives Handeln unser Miteinanderleben zu gestalten? Wie muss das Innenle-ben eines demokratischen Entschei-dungsprozesses aussehen, dass es attraktiv ist, daran teilzunehmen?

Demokratie so zu definieren heißt in diesem Zusammenhang aber auch, die Frage nach der Gestaltung einer Gemeinschaft, zuerst als einen Fra-geprozess zu sehen. Denn vor jeder Gestaltung steht die Frage nach der gestaltverändernden Idee im Raum. Wie soll sich unsere Region in den kommenden zwanzig Jahren nach-haltig entwickeln? Welche positi-ven Beispiele von Transformation gibt es? Wo liegen die unterschied-lichen Ansatzpunkte in den Stra-tegien? Sind sie kompatibel? Wenn nicht, ist ihre Nicht-Kompatibili-tät auf die Egoismen von Einzelin-teressen zurückzuführen und wie

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gehen wir mit unüberbrückbaren Gegensätzen um?

Interessant in diesem Zusammen-hang ist jedenfalls zu beobachten, dass jenseits der etablierten politi-schen Entscheidungs- und Verwal-tungsstrukturen bereits ein großes Netzwerk alternativer Initiativen existiert, die sich mit großer Kreati-vität und ebensolchem Engagement für andere Formen gesellschaftlichen Engagements einsetzen.

Waren die großen sozialen Bewe-gungen der 70er und 80er Jahre noch maßgeblich Anti-Bewegungen, die sich gegen bestimmte Formen auto-ritären Staatshandelns in den 60er und einer technokratischen instru-mentellen Vernunft in den 70ern richteten – genannt seien hier beson-ders die Bürgerinitiativ-, die Frie-dens-, die Anti-Atomkraft- und die Ökologie-Bewegung –, so sind es heute eher die kleinen, experimen-tellen Einheiten und Mikro-Struk-turen, die unter anderem mit neuen Modellen gesellschaftlicher Parti-zipation, Experimenten in der Bil-dung, einem neuen Ökologiebegriff eine Art demokratischer Mikro-Labo-ratorien bilden.

Angefangen bei alternativen Schulformen und Formen der Bil-dung über neue landwirtschaftliche Anbau- und Produktionsverfahren, Regionalgeld-Initiativen, alternati-ven Gestaltungsformen im urbanen Raum3 bis hin zu einer breiten De-Growth und Postwachstums-Öko-nomie-Bewegung; überall werden bereits jenseits etablierter Formen und tradierter Politikmodelle soziale Gemeinschaften neu kreiert, gestal-tet und umgestaltet und so jenseits traditioneller politischer Planungen neue Akzente gesetzt.

Gefragt ist der aktive Bürger, der für sich entdeckt, dass es im

3 Zum Beispiel der Transition Town-Bewegung, „Essbarer Stadt“ oder dem Guerilla-Gardening.

politischen Raum Spielräume gibt, die Handlungsfreiheit und Gestal-tungspotentiale ermöglichen. Soll-ten nicht diese kleinen, engagierten Einheiten, diese Micro-Labs zugleich auch Fenster in Räume neuer For-men sozialer Gestaltung sein?

Und: wie könnte die innere Demo-kratie in diesen kleinen Versuchs-laboren aussehen, so dass sie nicht immer wieder in die gleichen Kom-munikationsstrukturen und Fehler verfallen, die politische Entschei-dungsprozesse so unattraktiv und für viele inkommensurabel machen?

Die eine Seite dieser Frage betrifft das Engagement, den Willen, die Lei-denschaft und die Freude der Betrof-fenen, etwas ändern und gleichzeitig gestalten zu wollen. Sie ist sozusa-gen das Ferment, aus dem sich poli-tisches Gestaltungshandeln herlei-ten lässt. Die andere Frage, die sich aber direkt daran anschließt ist: Wie lassen sich diese vielen individuel-len Impulse, die in einer solchen Ini-tiative zusammenkommen, auch so integrieren, dass die Initiative als eine Einheit auftritt, die Vielfalt in der Einheit ermöglicht, unterschied-liche Ansätze und Ideen integrieren kann und trotzdem dabei nicht ihre Identität verliert?

Die Kunst, die Rede des andern angemessen zu verstehen

Kurz gesagt, es geht um die Frage, wie ein demokratischer Willensbil-dungsprozess entstehen kann, der – um es einmal mit einer gänzlich unpolitischen, ästhetischen Katego-rie auszusprechen – der „schön“ ist? Der unterschiedliche Ansätze und Denkformen nicht als Bedrohung oder Konkurrenz erlebt sondern als Anreiz, sich auch in den Kosmos eines anderen Denkens einzuleben. Dies erfordert eine ganz andere Art von kommunikativer Vernunft und Empathie, als diejenige, die wir aus

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den gängigen demokratischen Dis-kursen kennen.

Wenn in einem Raum unterschied-liche Menschen zusammenkommen, begegnen sich die unterschiedlichs-ten menschlichen Entitäten. Wir können niemals mit Gewissheit sagen, was sich hinter dem Erschei-nungsbild eines Gegenübers verbirgt und wie komplex jede dieser Entitä-ten ist. Gewiss, es gibt eine Intuition, die uns vielleicht mit dem ein oder anderen Verhalten des anderen ver-bindet, aber ein großer Teil bleibt für uns unbekannt. Jeder Mensch, dem wir neu begegnen, ist ein Kosmos für sich, was durchaus Konsequen-zen für unser demokratisches Mitei-nander hat.

So sollte als eine Art erster Prä-misse demokratischer Kommuni-kation jeder der spricht das Recht der ungeteilten Aufmerksamkeit der Zuhörer haben. Auch gibt es hier zunächst kein Richtig und kein Falsch. Es gibt nur das aktive Zuhö-ren und den Impuls, das Andere ver-stehen zu wollen.

Aktives Zuhören, das innerlich beteiligte Nachvollziehen der Rede des Anderen ist eine Kunst, die im politischen Kontext selten existiert. Wie oft werden vorschnell Urteile, Behauptungen und Vorwürfe in den Raum gestellt, die von Missverständ-nis gekennzeichnet sind und gar keine echte Begegnung mehr zulas-sen? Politiker sind geprägt durch die rhetorische Figur des Kampfes, nicht durch die der Verständigung oder gar der kommunikativen Vernunft. Der kleinste Fehler des einen wird sogleich zum Triumph des anderen umgemünzt. Es geht darum, den – wie es so treffend heißt – politischen Gegner zu besiegen, nicht darum, ihn zu verstehen.

Das sollte in neuen demokrati-schen Gemeinschaften anders sein.Friedrich Daniel Schleiermacher hat einmal von der Hermeneutik

als der Kunst, die Rede des anderen angemessen zu verstehen, gespro-chen. Und er sprach dabei wohlge-merkt von einer Kunst. Wie weit sind wir – gerade in politischen Zusam-menhängen – von dieser Kunst ent-fernt? Immer noch herrscht dort das Paradigma des „Hau drauf“ und der gegenseitigen Schuldzuweisungen. Hingegen gibt es nur wenige Bei-spiele einer Suche nach neuen poli-tischen Ausdrucksformen – die Dis-kussion um Stuttgart 21 hat so etwas angestoßen oder nach dem Jugos-lawienkrieg in Bosnien, in Tuzla, wurde so etwas versucht, wo über mehrere Monate ein freies demo-kratisches Plenum sich selbst orga-nisierte und sich in einer wirtschaft-lich und politisch katastrophalen Situation echte Handlungsalterna-tiven zum Staatshandeln und staat-lich geleiteten Wirtschaftshandeln entwickelten.4 Aber diese positiven Ansätze sind noch viel zu selten und, wie man an der weiteren Entwick-lung des Plenums von Tuzla sieht, nicht nachhaltig genug.

Von der Sprache des Kampfes zu einer Sprache der Verständigung

Was ich hier in unserem Zusam-menhang betonen will, ist, dass es heute gleichsam um einen grundle-genden Paradigmenwandel in unse-rem Demokratieverständnis geht. Weg von dem Muster und der Rhe-torik des Kampfes, hin zum Muster und der Sprache der Verständigung. Bei diesem Paradigmenwandel soll-ten das Zuhören und das Verstehen-Wollen im Vordergrund stehen. Es geht darum, Vorwürfe, Vorurteile und vorgefertigte Ansichten oder Anklagen abzubauen. Es geht darum, eine Atmosphäre des Vertrauens zu schaffen, in der erlebt wird, dass es

4 Das Plenum von Tuzla. Ein „Bosnischer Früh-ling“ Ein Feature von Zoran Solomun. Eine Sen-dung des Deutschlandfunkes, Sendung Hörspiel/Hintergrund Kultur. Dienstag, den 03.03.2015. Redaktion: Hermann Theißen.

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um die gemeinsame Suche nach der bestmöglichen Lösung der im Raum stehenden Frage geht. Und hier ist jeder noch so kleine Einwand wich-tig und ernst zu nehmen. Jürgen Habermas hat dies schon in den frü-hen Achtziger Jahren theoretisch in seiner Theorie des kommunika-tiven Handels beschrieben und dort philosophisch gezeigt, dass es keine objektiven Wahrheiten jenseits die-ser Sphäre der kommunikativen Ver-nunft gibt.

Wenn dem aber so ist, dann ist jeder potentielle Gesprächsteilneh-mer mit seinen Vorstellungen, Wün-schen und Zielen auch ein potentiel-ler Träger dieser Vernunft. Und es kommt darauf an, die Zugänge zu den Gedanken und Vorstellungswelten der Beteiligten soweit wie möglich zu öffnen und Räume des Vertrau-ens zu schaffen, in dem ein viel-leicht noch nicht ganz durchdachter Gedanke oder ein schwächeres Argu-ment nicht gleich mit der Abwertung des Anderen geächtet wird.

Ich habe in zahlreichen Runden und Gesprächen diese Erfahrung immer wieder machen können: In der Demokratie kommt es maßgeb-lich auf das Zuhören-Können an.

Aus diesem Zuhören-Können wächst dann mitunter auch ein ande-res, neues, heute noch weitgehend unbekanntes Organ, das ich zusam-men mit Shelley Sacks als gemein-sames Denken bezeichnen würde. Aus der Atmosphäre des Vertrauens, des Zuhörens und des Interesses am Anderen ergibt sich oft eine Dynamik und innere Bewegung, in der man spürt, dass eine Gruppe gemeinsam zu denken beginnt. Das kann bis hin zu der Erfahrung einer Gruppen-Ins-piration führen, in der man zu krea-tiven, bis dahin nicht gedachten oder denkbaren Lösungen einer Frage oder eines Problems findet.

Meiner Meinung nach liegen in diesen neuen, kleinen Kommuni-kationsstrukturen und Micro-Labs ungeahnte Potentiale neuer Formen der Demokratie begründet, die tat-sächlich jenseits der alten Parteien-bildung angesiedelt sind. Hier bilden sich keine Ideologien oder Weltan-schauungsgemeinschaften, sondern „communities of understanding“ (Sacks), die an der gemeinsamen, kre-ativen Gestaltung unserer Zukunfts-fragen interessiert sind und aus die-sem Grunde zusammenkommen.

Hier ist spürbar und erlebbar, dass die Gestaltung von demokrati-schen Prozessen auch eine künstle-rische Frage ist. Und wie bei jedem gelungenen Kunstwerk stehen auch hier die Frage von Form und Inhalt im Vordergrund. Was zählt, ist nicht nur das Ergebnis, sondern auch die Form, in der dieses Ergeb-nis zustande gekommen ist. Fühlen sich alle in den Prozess eingeschlos-sen, konnten sie ihn miterleben und teilen? Gehen die Entscheidungen, die getroffen werden an keinem vor-bei und können sie mit verantwortet und mitgetragen werden?

Ja, Demokratie ist tatsächlich lus-tig, wenn man sie einmal aus dieser befreienden und offenen Perspek-tive sieht, erlebt und neu zu denken beginnt. Die Parteien-Idee wurde im Zuge der französischen Revolution und dann maßgeblich im 19. und 20. Jahrhundert entwickelt. Sie ist in die Jahre gekommen und trägt noch immer Züge ihres Ursprungs. Ich vermute, die von mir erwähnten Phänomene deuten auf einen sich langsam vollziehenden Wandel in der Idee politischer Gestaltung und demokratischer Gestaltungsprozesse hin, die sich parallel zu den Parteien, wenn nicht gar jenseits von ihnen vollzieht.

Wolfgang Zumdick hat bei der internationa-len Tagung des Europahauses Burgenland zum Thema ÜBER-LEBEN MIT / OHNE POLITIK –am 18. Mai 2015 den Vortrag „Die Erde spricht - fluchtartig Parteien verlassen“ (Joseph Beuys) Neue demokratische Ausdrucksformen gesucht! gehalten.

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In Österreichs kleinstem Bundesland koalieren Hans Niessls Sozialdemokraten nun mit den Frei-heitlichen. Eine Überraschung sollte das keine darstellen.

Vor allem in der politischen Pra-xis sind SPÖ und FPÖ nicht so weit voneinander entfernt wie seitens der Sozialdemokraten immer wie-der getan und auch von den Medien gerne unterstellt wird. Wenn der burgenländische Landeshauptmann Hans Niessl (SPÖ) meint, dass es „keine Barrieren gibt, die nicht zu überwinden sind“ und auch der frei-heitliche Spitzenkandidat Johann Tschürtz feststellt, dass es „keinerlei Unstimmigkeiten“ gibt, dann mogeln sie nicht. Es ist so. Leider. Es gibt keinen Rechtsruck, die SPÖ war vorher nicht linker als jetzt. „Real ändert sich nichts, was aber optisch getrennt gewesen ist, wird nun wie-der vereint“, schreibt Hans Göttel, der Studienleiter des Europahauses in Eisenstadt.

„Grenzen kontrollieren. Wirt-schaftsflüchtlinge abschieben“ (Strache), da ist man sich näher als gemeinhin angenommen wer-den darf. So wird es im Burgenland kein Erstlager, kein Asylzentrum und keine Kasernen für Flüchtlinge geben. Wir hätten uns eh bemüht, werden fortan die Sozialdemokra-ten erzählen, aber uns sind die Hände gebunden. Gleichzeitig wer-den sie sich die Hände reiben und in Unschuld waschen. Die FPÖ ist (nicht nur hier) direkter und gröber,

aber mehr als eine Vollstreckerin herkömmlicher Politik in Österreich oder auch der EU ist sie nicht. Damit wird jene nicht verharmlost, sondern umgekehrt ihre etablierten Gegner werden nicht mehr bagatellisiert. Vom Großteil ihrer Wählerschaft wird der SPÖ eine restriktive Politik in der sogenannten Ausländerfrage alles andere als übel genommen. Das ist die traurige Realität, die es zwar nicht anzuerkennen, aber doch zu erkennen gilt. Das große Problem sind weniger die Parteien als die Wähler selbst. Das allerdings traut sich niemand offen auszusprechen.

Hans Niessl, der jetzt als Buh-mann erscheint, hat nur auf den Punkt gebracht, was ist. Niessl, Jahrgang 1951, von Beruf Haupt-schullehrer, war von 1987 bis 2000 Bürgermeister in Frauenkirchen, einer kleinen Gemeinde im burgen-ländischen Seewinkel. Seit 2005 ist er Landeshauptmann in Eisenstadt, außerdem noch stellvertretender Bundesparteivorsitzender der SPÖ. Vom Typus her ein braver Parteiof-fizier, in keiner Hinsicht auffällig. Aber jetzt, wo es um den Posten des Landeshauptmannes ging, wollte sich Niessl von ÖVP und FPÖ nicht austrixen lassen. Dass dies nicht von der Hand zu weisen ist, offen-barten die parallelen Ereignisse in

burgenländischer tabubruch?

von Franz Schandl

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der Steiermark. Dort hatte die ÖVP nach verlorener Wahl und obwohl nur Zweiter, von der SPÖ den Lan-deshauptmann erpresst und Franz Voves zur Abdankung gezwungen. Ansonsten hätte sie mit der FPÖ koa-liert. Die SPÖ hat sich in Graz als stimmenstärkste Partei zwar in die Regierung „gerettet“, aber eine große Demütigung erfahren.

Würde man das rot-blaue Regie-rungsübereinkommen wirklich ana-lysieren, müsste eigentlich etwas anderes auffallen. Und zwar die neo-liberale Stoßrichtung des gemeinsa-men Programms. Modernität offen-bart sich in den Totschlagwörtern einer ökonomifizierten PR-Sprache. Textbausteine werden aneinanderge-reiht, es dominiert das Copy&Paste-Verfahren. Zuhauf finden sich Sätze wie „Zudem ermöglicht die Neuaus-richtung des 'Konzern Burgenland' mehr Effizienz, Transparenz und die Hebung von Synergien.“ Im neuen Tourismusgesetz gelte es das Prinzip „weniger Geld für die Verwaltung, mehr Geld für Marketing“ umzuset-zen. Man weiß, was man zu sagen hat, auch wenn man nicht so genau weiß, was man sagt.

Es war immer nur eine Frage der Zeit bis die Ausgrenzung der FPÖ durch die SPÖ kippen wird. Das ist nun der Fall. Dass es ausgerech-net Niessl ist, ist hingegen Zufall. Wenn man ihm gar vorwirft, dass er jetzt ein Tabu bricht und Unerhör-tes tut, dann wird so getan, als hätte die SPÖ das Schlimme bisher nicht auch schon getan. In nicht wenigen Gemeinden koalieren SPÖ und FPÖ,

oft verdeckt, manchmal ganz offen. Bis vor kurzer Zeit gab es in fast allen Bundesländern eine Proporz-regelung. Ab einer gewissen Stärke standen allen Parteien Landesräte in der Landesregierung zu. Die FPÖ war also schon bisher in den meisten Landesregierungen vertreten. Was früher automatisch galt, ist nun eine Frage freier Partnerwahl. Eine rich-tige Premiere ist das nicht.

Zweifellos hat Niessl einen SPÖ-Parteitagsbeschluss, der da lautet, dass mit der FPÖ auf keiner Ebene koaliert werden darf, ignoriert. Der Landeshauptmann bezeichnet diese Vorgabe inzwischen auch offen als einen Fehler. Niessl tut nichts Außergewöhnliches, er tut das, was in solchen Situationen oft getan wird. Politik konstituiert sich durch die Differenz zwischen Aussage und Handlung. Diese Differenz ist keine Widerspruch, sondern eine Entspre-chung. Seit langem gibt es in der SPÖ prominente Vertreter, die sich für eine engere Kooperation mit den Freiheitlichen ausgesprochen haben. Man denke nur an Karl Schlögl, den ehemaligen Innenminister und nunmehrigen Bürgermeister von Purkersdorf, der immer schon diese Variante forcierte. Viele Gewerk-schafter und Lokalpolitiker mei-nen, dass sie mit der rechtspopulis-tischen Partei besser fahren als mit der marktliberalen ÖVP. So ziemlich nichts ist neu, was da abgeht.

Dass Niessl mit der Entscheidung Grundsätze (welche?) über Bord geworfen haben soll, kann man nicht sagen, und die SPÖ-Basis im Bur-genland sieht das genau so. Niessl ließ sich sein Bündnis ausdrück-lich durch eine Mitgliederbefragung demokratisch legitimieren. Man soll das nicht goutieren, aber nicht so tun als sei da nun Verrat im Spiel und die Identität der SPÖ (welche?) in Gefahr. Das ist allemal theatra-lisches Getöse. Ebenso die obligate Rücktrittsforderung an Bundeskanz-ler und Parteichef Werner Faymann.

Franz Schandl ist Historiker, Pub-lizist und Herausgeber der Zeitschrift „Streifzüge“.

Er hielt bei der Tagung ÜBER-LEBEN MIT / OHNE POLITIK am 18. Mai 2015 den Vortrag „Warum Mitgespielten und Mitspielern die Lust am Mitspie-len vergehen soll. Zur Kündigung der Politik!“

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1. Entpolitisierung & Politische BildungFür eine Profession, deren Ziel die Vermittlung von Wissen über Politik, die Schärfung der politischen Urteilskompetenz und die Anregung und Begleitung politischer Partizipation ist, können Zeiten starker Ent-politisierung, aber auch Zeiten starker Politisierung, besondere Herausforderungen mit sich bringen. Die Positionierung für oder gegen Politisierung hängt vom Standpunkt des/der Pädagogen/in ab.

2. (Ent)Politisierte Demokratietheorie(n)Entpolitisierung/Politisierung gehen in der Regel mit je zeitgemäßen demokratietheoretischen Debatten, aber auch manifestem politischen Verhalten (Einstellungen u. Partizipationsformen und Partizipationsforderun-gen) der Bürger/innen einher. In den 1970er-Jahren wurde entsprechend von „partizipatorischer Revolu-tion“ gesprochen, seit Anfang der 90er-Jahre von „Poli-tikverdrossenheit“ (1992 Wort des Jahres).

3. Entpolitisierte EngagementpolitikDie Theorie des sozialen Kapitals wird in der prak-tischen Politik vor allem in der „Engagementpolitik“ manifest. Kein anderer Politikbereich hat in Deutsch-land so erfolgreich Agendasetting betrieben. Was eine emanzipatorische Strategie politischer Mobilisierung und Demokratisierung hätte werden können/sollen, hat sich jedoch als neoliberale Strategie des aktivie-renden Staats und der sozialpolitischen Kompensa-tion entpuppt.

4. Entpolitisierte JugendforschungOb die offensichtliche Entpolitisierung der nachwach-senden Generation eine Gefahr für die Reproduktion der Demokratie sein könnte, wird kontrovers disku-tiert. Insbesondere die (auch im öffentlichen Auftrag arbeitende) Jugendforschung bestreitet das in ehren-werter anwaltschaftlicher Absicht gegenüber der Jugend. Statt die Probleme auf den Tisch zu legen, wird so möglicherweise mit einem antidemokratischen Feuer gespielt.

5. Entpolitisierte DemokratiepädagogikAm Ausgangspunkt der Demokratiepädagogik spra-chen die beiden Nestoren (Wolfgang Edelstein/Peter Fauser) selbst über die „verdrießliche“ Politik und die „gute“ Demokratie. Damit war angelegt, dass das „Politische“ im darauf aufgebauten BLK-Programm „Demokratie lernen und leben“ konsequent in den Hin-tergrund trat. Die Entpolitisierung im (Be-)Gründungs-zusammenhang der Demokratiepädagogik kann damit als ein Kind ihrer Zeit verstanden werden.

6. SchlussfolgerungenWir stehen vor einer demokratiepolitischen Zäsur. Pro-test und Populismus sind kein „Gegengift“ gegen die sinkende konventionelle Partizipation (u.a. der Wahl-beteiligung) der Bürger/innen. Die zunehmende Ent-politisierung einzelner Politikfelder und der Politischen Bildung sind nicht nur Symptome einer Legitimations-krise der (repräsentativen?) Demokratie, sondern sie können meines Erachtens diese Krise befördern.

thEsEnPaPiEr Zur EntPolitisiErungvon Benedikt Widmaier

Benedikt Widmaier, Direktor der Akademie für politische und soziale Bildung „Haus am Maiberg“, Hep-penheim, D hielt den Vortrag „Entpo-litisierung? – Nein, Danke!?“ am 18. Mai 2015 während der Tagung ÜBER-LEBEN MIT / OHNE POLITIK.

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Vaclav havels analyse der unterdrückung.

Im Jahr 1975 schrieb Vaclav Havel einen eindrucks-vollen offenen Brief an Gustáv Husák, den damali-gen Präsidenten der Tschechoslowakei und General-sekretär ihrer kommunistischen Partei. Der Brief wurde von Husáks Büro zurückgeschickt, doch er erreichte eine große Leserschaft betroffener Einzel-personen und ausländischer Nachrichtenmedien, bei der er seine Spuren hinterließ.

Der Brief markierte einen Neu-beginn. Nach einer Stille von eini-gen Jahren konnte Havel endlich seine Meinung äußern und dabei analytische Kräfte einsetzen -psy-chologische, soziale und politische - die wie aus dem Nichts erschei-nen, vollständig geformt und mit scharfer Einsicht. Die Vernunft hat einen bestimmten Klang, unmittel-bare Achtsamkeit hat ihren Klang, und auch gerechte Leidenschaft ist unverkennbar: man erkennt, wäh-rend man liest, dass dies nun end-lich die Wahrheit ist. Die gekränkte Gesellschaft, die in diesem Brief beschrieben wird, hat sich seither weiterentwickelt, wir befinden uns in einer anderen Ära, doch noch immer empfindet man seine Worte als eine Dämmerung der Wahrheit, einen Sonnenaufgang.

Ich möchte betonen, dass Havel 1975 sein öffentliches Leben vor allem als Analytiker der gesell-schaftlichen Missstände und nicht als Prophet oder aufstrebender Poli-tiker wieder aufnahm. Seine Ana-lyse war schonungslos: es entging ihr nichts, da sie Schicht für Schicht

den gesellschaftlichen Verfall unter-suchte. Eine der charmanten Stel-len des Briefes ist, als Havel Dr. Husák als intellektuellen Kollegen anspricht; er nahm großzügig und in meinen Augen auch treffend an, dass sein wichtigster Adressat völlig imstande war, den komplexen Argu-menten zu folgen. Sie reichten von der alles durchdringenden, von der Regierung auferlegten Angst in der Gesellschaft bis zu den Auswirkun-gen dieser Angst auf die Entwicklung und die Lebensweise der Menschen. Es ist schwierig, an einer charakte-ristischen Stelle in den Brief zu ein-zudringen, er ist in einem dichten Fluss verfasst. Doch vielleicht hier:

Vor Angst, seinen Job zu verlie-ren, unterrichtet der Lehrer Dinge, an die er nicht glaubt; aus Angst vor der Zukunft macht es ihm der Schüler nach; aus Angst, er dürfe sein Studium nicht fortsetzen, tritt der junge Mann einer Jugend-liga bei….die Angst vor den Folgen der Verweigerung führt die Men-schen dazu, an Wahlen teilzuneh-men, die vorgeschlagenen Kandida-ten zu wählen und vorzugeben, sie

von Roger Lipsey

Der Text ist ein Ausschnitt aus dem Vor-trag des US-amerikanischen Kunsthis-torikers und Schriftstellers Roger Lip-sey bei der internationalen Tagung „ÜBER-LEBEN MIT / OHNE POLITIK.“ 18.-21. Mai 2015 in Eisenstadt und Wandorf.

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sähen solche Zeremonien als echte Wahlen an; aus Angst um ihren Lebensunterhalt, ihre Positionen oder Aussichten gehen sie zu Ver-sammlungen, stimmen für jeden Beschluss, für den sie stimmen müs-sen oder enthalten sich zumindest der Stimme….das System der exis-tentiellen Druckausübung, das die gesamte Gesellschaft und jedes ihrer Individuen vereinnahmt….könnte natürlich nicht effektiv genug funk-tionieren, wenn es nicht von der…allgegenwärtigen und allmächtigen Staatspolizei unterstützt würde. Sie ist nämlich die grässliche Spinne, deren Netz die gesamte Gesellschaft umgarnt, sie ist der Fluchtpunkt, an dem alle Fäden der Angst endgültig zusammenlaufen.

Der Brief ist nicht nur eine Anklage. Havel lieferte gleichzeitig eine frühe Version seiner anhalten-den Sorge um die Zivilgesellschaft und die Rolle der sich frei entfal-tenden Kultur in entsprechenden Gesellschaften. Er wusste sicher-lich, dass Dr. Husák diesem Thema gegenüber feindlich oder gleichgül-tig gestimmt war, doch andere Leser und Leserinnen würden ihn verste-hen. „Die Hauptroute“, schrieb er, „über die die Gesellschaft von innen her vergrößert, bereichert und kul-tiviert wird, ist jene, sich selbst immer tiefer, weitläufiger und sub-tiler kennenzulernen. Das Haupt-werkzeug der Selbsterkenntnis einer Gesellschaft ist ihre Kultur.“ Dies ist eine nicht politische Sprache. Sie reflektiert die Ideale – und dringen-den Bedürfnisse – einer Einzelper-son, für die unabhängiges Denken

und offen dargelegte Hinterfragung unabänderliche Rechte und wesent-liche Elemente der Identität sind. Wie vor ihm Hammarskjöld, plat-ziert Havel in das kreative Zentrum der menschlichen Identität das, was Hammarskjöld als „Selbstprüfung“ bezeichnete. Denn das geprüfte Leben ist lebenswert.

Viele Jahre später äußerte sich Havel zufrieden darüber, dass er es gewagt hatte, den Brief zu schreiben und andere es gewagt hatten, ihn ernst zu nehmen. “Es war eine der ersten kohärenten – und im Allge-meinen verständlichen – kritischen Stimmen, die hier zu hören waren”, meinte er, “und eine weit verbrei-tete Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Offenbar hatte ich einen Moment erwischt, als all das endlose Warten vielen Menschen längst auf die Nerven gegangen war, es waren Menschen, die ihre eigene Erschöp-fung satt hatten….Also kopierten sie meinen Brief und reichten ihn wei-ter, und so lasen ihn praktisch alle, die sich noch immer sorgten.”

Wie erst vor kurzem in einem wundervollen Buch, “An Uncanny Era”, beschrieben wurde, schafften es Havel und der polnische Dissi-dent Adam Michnik mit einigen ihrer Kumpanen im August 1978 ihren „Bewachern“, der Staatspolizei, kurz zu entwischen, um sich auf dem Gip-fel des Berges Sněžka an der Grenze zwischen ihren beiden Ländern zu treffen. Sie machten ein Picknick und redeten – und auf Grundlage einer Konversation, die wirklich erstaun-lich gewesen sein muss, beschlossen

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sie, dass Havel einen Essay schrei-ben sollte, auf den wiederum andere Dissidenten aus der Tschechoslowa-kei und Polen mit selbst Verfasstem reagieren sollten. Das Ergebnis war der klassische Essay „ Die Macht der Ohnmächtigen“, der ein paar Monate später diskret an Michnik nach War-schau geschickt und im polnischen Samisdat (inoffizieller Selbstver-lag) veröffentlicht und bald weitrei-chend übersetzt und zur Kenntnis genommen wurde.

In diesem grundlegenden Doku-ment für wohl überlegten Wider-stand wird in Havels typischer Gründlichkeit eine Reihe von ver-knüpften Themen behandelt: die täg-lichen Unterdrückungen des, wie er es damals nannte, „post-totalitären Systems“ der Regierung; die Reak-tion des Dissidenten auf dieses Sys-tem; was es bedeutete, in Wahrheit zu leben; die Möglichkeit von posi-tiven Veränderungen „auf kleiner Ebene“ laut Masaryk und schließ-lich das Entstehen einer „paralle-len“ oder „zweiten Kultur“, in der die Menschen, geschützt vor Übergriffen der Regierung, frei atmen und end-lich in Wahrheit leben könnten. Der Ton des Essays ist ein konversieren-der, so, als wäre Havel mit seinen Zuhörern noch immer auf dem Gipfel des Sněžka und als hätten sie unend-lich viel Zeit – und doch hat er seine Argumente hervorragend unter Kon-trolle und lässt wieder nichts offen, was von Bedeutung wäre. Zu diesem Zeitpunkt in seinem Leben, nach Jahren der Misshandlung durch das Regime und noch viel Schlimmerem, das auf ihn zukam, hätte Havel sehr wohl auch verbittert und rachsüch-tig sein können, doch davon ist keine Spur. Später einmal sagte er, dass er nicht wisse, wie man hasst, „und das gefällt mir“, fuhr er fort, „ (denn) wenn es keinen anderen Grund dafür gibt, dann jenen, dass Hass nur die Sicht trübt und es daher schwie-rig macht, die Wahrheit zu sehen.“ Dieser Essay ist zwar teilweise ein Handbuch für Dissidenten, doch

dieser Ausschnitt deutet auf mehr hin, nämlich auf die weiten und tiefgründigen Visionen seiner spä-teren Jahre:

Die wesentlichen Ziele des Lebens sind von Natur aus in jedem Men-schen. In allen ist ein Sehnen nach einer gerechten Würde der Mensch-heit, nach moralischer Integrität, nach freier Ausdrucksmöglichkeit des Seins und nach einem Sinn für Transzendenz über die existentielle Welt. Und doch ist gleichzeitig jeder Mensch fähig – der eine mehr, der andere weniger – sich damit abzufin-den, in Lüge zu leben. Jeder Mensch unterliegt in irgendeiner Weise einer profanen Trivialisierung seiner ihm innewohnenden Menschlichkeit und dem Utilitarismus. Jedem wohnt eine Bereitschaft inne, in die anonyme Masse einzutauchen und bequem im Strom des Pseudo-Lebens mitzu-fließen. Hier geht es um viel mehr als um einen einfachen Konflikt zwi-schen zwei Identitäten. Es ist etwas viel Schlimmeres: es ist ein Angriff auf den Begriff der Identität selbst.

In diesem vom Europahaus geschaffenen Setting sollte ich nicht versäumen zu erwähnen, dass Havels Vorliebe für das, was er „apo-litisch“ oder „antipolitisch“ nannte, bereits 1978 offensichtlich war – eine Vorliebe, die einige seiner Widersa-cher und sogar Kollegen während sei-ner Amtsjahre als Präsident in den Wahnsinn trieb. In seinem Essay drückt er es so aus: “Die Last der traditionellen politischen Katego-rien und Gewohnheiten abzuwerfen und sich völlig der Welt der mensch-lichen Existenz zu öffnen und erst dann politische Schlüsse zu ziehen…das ist nicht nur politisch gesehen realistischer, sondern auch politisch gesehen vielversprechender.”

Ich glaube, wir sollten die Auf-fassung vom „Leben in der Wahr-heit“ entmystifizieren. Das klingt schrecklich kompliziert. Als ob es nur für Helden wäre. Doch es kann

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eine stille insistente Haltung sein, die in Reichweite ist. In Wahrheit zu leben ist die Grundlage für Ini-tiativen unabhängiger Bürger und Aktivitäten von Dissidenten, schrieb Havel, doch es gibt eine noch weiter reichende Bedeutung.

Im ursprünglichsten und wei-testen Sinne beschreibt das Leben in der Wahrheit ein weitreichendes Gebiet, dessen äußere Grenzen vage und schwierig nachzuvollziehen sind,

ein Territorium voller bescheide-ner Äußerungen menschlichen Wil-lens, deren Großteil anonym bleibt und deren politischer Einfluss viel-leicht nie gefühlt oder beschrieben wird, höchstens einfach als Teil des gesellschaftlichen Klimas oder ihrer Stimmung. Die meisten dieser Äuße-rungen bleiben elementare Revolten gegen Manipulation: du richtest ein-fach dein Rückgrat auf und lebst als Individuum in einer größeren Würde.

Roger Lipsey, Gabriela Weber-Grasl, David Rayner

Hans Göttel und Roger Lipsey

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Antipolitik ist eine von György Konrád in dem Dis-kurs der frühen achtziger Jahren empfohlene Grundhaltung der kritischen Intellektuellen.

Diese betraf vor allem das Ver-hältnis zu dem, „real existierenden Sozialismus“ in den Ländern des Warschauer Vertrags, aber auch insgesamt die durch das Abkommen von Helsinki (1975) geschaffenen Rahmenbedingungen, welche der Herrschaft der Apparatschiks eine sozusagen europäische Legitimation verliehen. Nach den drei gescheiter-ten, großen Emanzipationsbewe-gungen – Ungarn 1956, die Tsche-choslowakei 1968 und Polen 1980/81 – schien Ostmitteleuropa dauerhaft zum Zankapfel der beiden Super-mächte zu werden, die wiederum die ganze übrige Welt in ihre hoff-nungslose Rüstungsdebatte einzu-beziehen versuchten. Als Nonplus-ultra der Chancen für die kleinen Ostblockstaaten wurden die winzi-gen Freiheiten und ein bescheide-nes Konsumniveau suggeriert. Kon-ráds These bedeutete einen mutigen und phantasievollen Versuch die Gesellschaft aus der Sackgasse des ihr aufgezwungenen Dilemmas herauszuführen:

„Antipolitik ist Politisieren der Menschen, die keine Politiker wer-den, und keinen Anteil an der Macht übernehmen wollen. Der Antipoliti-ker ist in seinem Denken nicht „poli-tisch“. Er fragt nicht danach, ob es zweckmäßig und nützlich ist gerade jetzt öffentlich seine Meinung kund-zutun. Amerika verlor die Nerven,

weil es Angst hatte, Südvietnam zu verlieren, Rußland verlor die Ner-ven, weil es Angst hatte, Afghanis-tan zu verlieren. Ich möchte keine Großmacht sein, ständig müßte ich Angst haben, etwas zu verlieren. Die Antipolitiker, und insgeheim gibt es viele davon, wollen die Biologie und die Religion, die Rockmusik und die Viehzucht von der krankhaften Wucherung des politischen Staats befreien. Wo die auf eintausend Ein-wohner entfallende Zahl von Spitzeln höher liegt, als, sagen wir, auf der Insel Island, dort muß der Staat zum Schrumpfen gebracht werden. Anti-politiker ist derjenige, der den Staat zu einer Abmagerungskur bewegen will und sich nicht dafür geniert, deshalb als Staatsfeind angesehen zu werden. Mehr Staat oder weniger Staat? Das ist die Frage. Wir müssen den Staat aus unseren Alpträumen verdrängen, um weniger Angst vor ihm zu haben. Das ist Antipolitik.“

Antipolitisch zu sein war über-haupt nicht gleichbedeutend mit einer unpolitischen Attitüde. Man stellte einfach Fragen, die keine der beiden Seiten der gespaltenen Welt für realistisch hielt. So plädierte Konrád bereits 1982 für die Kün-digung des Abkommens von Jalta, als dessen berüchtigte Klausel über die geplanten Einflußzonen noch ein streng gehütetes Geheimnis war. 1985 gehörte er zu den führenden

antipolitikEinE ErinnErung an györgy konráD

von György Dalos

György Dalos ist Autor, Histori-ker und Übersetzer. Er gehörte 1977 zu den Gründern der demokratischen Oppositonsbewegung in Ungarn. Dalos lebt als freier Autor in Berlin.

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Organisatoren einer alternativen Großveranstaltung der europäischen und amerikanischen geistigen Elite in Budapest und erhob dadurch die inoffizielle Kultur über die der offizi-ellen. 1988 schlug er an der Berliner Konferenz „Ein Traum von Europa“ vor, Gorbatschow zu fragen, um wel-chen Preis er bereit wäre, die Mauer aufzugeben. (Das war die Zeit, als Erich Honecker der Grenzbefesti-gung noch genau hundert Jahre pro-phezeit hatte.)

Somit erfüllten die „Antipoli-tiker“, zu denen Milan Kundera, Susan Sontag, Hans-Christoph Buch oder Danilo Kis gerechnet werden konnten, eine im Grunde futurolo-gische Funktion: Sie entdeckten die Gebrechlichkeit einer Ordnung, die mit ihrem Anspruch auf Ewigkeit ganze Generationen in ihrer engen

Dimension gefangenhielt. Nach der Wende 1989 erging es den meisten „Antipolitikern“ wie seinerzeit Chris-toph Columbus, der den Weg nach Indien suchte und in Amerika lan-dete. Dabei wären angesichts des Chaos in der Welt heute mehr denn je originelle Gedanken vonnöten, sol-che, die, wenn sie noch keine Ant-worten sind, doch wenigstens die fal-schen und oberflächlichen Fragen in Frage zu stellen vermögen.

György Dalos hält einen Vortrag zu „György Konrad – ein antipolitischer Träumer?“ anläßlich der internationa-len Tagung ÜBER-LEBEN MIT / OHNE POLITIK am 19. Mai 2015.

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Unter den zahlreichen Nihilismen des vergangenen Jahrhunderts scheint eine Stimme des Lebens- und Menschheitspessimismus an schroffer Unversöhn-lichkeit alle andere zu dominieren: die Emile Cio-rans, den Susan Sontag, eher verharmlosend, den „Nietzsche unserer Tage“ nennt. Von keinem, schon gar nicht von Nietzsche, den er für „allzu naiv“ emp-fand, lässt er sich an Lebensfeindschaft und Lebens-verneinung überbieten. Für ihn scheint kein einziges Argument für das Leben, seinen Erhalt und seine Weitergabe zu existieren.

Nur wer sich radikal dem Trug der Einwilligung verweigert, nur wer von nichts und niemand gehalten wird, nicht von Ehrgeiz und Erfolgsstre-ben, nicht von Freundschaft und Sympathie – wie sein gleichsam „professionelles Ideal“: der Schrift-steller ohne Leser –, vermag sich den Luxus kompromissloser Aufrichtig-keit zu leisten. Nur wer sozialfern existiert und keinerlei Wert darauf legt, geliebt zu werden, und schließ-lich nur, wer den Tod nicht fürchtet, ja ihn gar als „Aroma der Existenz“ genießt, mit dem er sich wider die Fadheit des Lebens wappnet, fin-det zu einer Art des „zweiten Hero-ismus“; einer vermeintlich ganz und gar selbstlosen „Größe ohne Eitel-keit“. Wer so konsequent die Leere sucht, das „Selbst ohne das Selbst“, dem bleibt nur „seliges Unterge-hen“ – die irdische Katastrophe der Endlichkeit als letzte Verheißung. Am Denken des aus dem rumänisch-multiethnischen Transsilvanien

(Siebenbürgen) stämmigen, in Frankreich wirkenden Aphoristi-kers und Dichterphilosophen, eines der radikalsten Kulturkritikers der Moderne, lässt sich trefflich die fortwirkende Versuchung des Anti-politischen beobachten – bis hin zur (zeitweiligen) Anfälligkeit für faschistische Gewaltphantasien und die offene Rechtfertigung des politi-schen Terrors; zugleich aber auch, wie anhaltend „modern“ und gera-dezu aufreizend attraktiv für viele zeitgenössische Strömungen und religiös grundierte Bewegungen die-ses sprachmächtige Plädoyer für eine Welt der absoluten Unbestimmtheit und der grenzenlosen Offenheit wir-ken kann, welches den „Geist als Widersacher der Seele“ (Ludwig Kla-ges) identifiziert und alles vorauswei-send Schicksalhafte und Neue aus Trunkenheit, Trance und meditati-ver Versenkung statt aus Wissen und der Anstrengung des Denkens ent-stehen lässt.

„anti-Politik“? kulturPEssimismus als PolitischE gEfahr

„Emile Ciorans Lehre vom Zerfall oder Kulturpessimismus als poli-tische Gefahr“ – war der Titel des Vortrages von Bernd Guggenber-ger bei der internationalen Tagung des Europahauses Burgenland „ÜBER-LEBEN MIT / OHNE POLITIK – Sicherheit, Menschenrechte und Ent-wicklung im Lichte europapolitischer, antipolitischer und kosmopolitischer Entwürfe.“ vom 18. –21. Mai 2015

In der vorliegenden schriftlichen Ver-sion wurde der ursprüngliche Haupt-teil des Vortrags zur „Lehre vom Zer-fall“ des großen Unbekannten, Emile M. Cioran, nicht mehr im Detail behan-delt. Die nachstehenden kritischen Anmerkungen zur „Anti-Politik“ ent-halten die wesentlichen Thesen des zweiten Vortragsteils zu den Gefahren des Kulturpessimismus und des anti-politischen Ressentiments, verbunden mit dem einen oder anderen Hinweis auf Cioran, als dem wohl unversöhn-lichsten und kompromisslosesten Kul-turkritiker des 20. Jahrhunderts.

von Bernd Guggenberger

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Aus welcher intellektuellen Asser-vatenkammer könnten sich die ver-sprengten und verwirrten Sinnsu-cher unserer Tage besser bedienen als aus dieser? All jene, die sich sel-ber – wie Cioran – als die letzten wahrhaft „Lebendigen unter lauter Scheintoten“ empfinden, als Recht-gläubige unter Lauen und Relati-visten, die in – durchaus rabiater – Übereinstimmung mit einer „all-weisen Natur“ existieren und empha-tisch „Mensch-sein“ möchten, finden in Ciorans populärer Aphorismenbi-bel der „Verfehlten Schöpfung“ und seiner „Lehre vom Zerfall“ reichlich Anregung und Selbstbestätigung.

Warum ist diese Art eines – hier nur angedeuteten – geradezu kosmi-schen Kultur- und Lebenspessimis-mus eine „politische Gefahr“?

Ich nenne die drei wichtigs-ten Gründe:

Erstens, weil der Kulturpessimis-mus soziale Transzendenz abriegelt, das Überschreiten und Überwinden des bloß Eigenen, Individuellen ver-hindert, weil er den fundamentalen, ausweglosen Selbstbezug zemen-tiert. Der konsequente Kulturpes-simist ist ein „Einsamkeitsjunkie“, der welt- und sozialfern existiert und dem ebendeshalb kollektive, politi-sche Lösungswege zur Daseins-Opti-mierung verschlossen bleiben. Für die römische Antike waren „Leben“ und „soziales Leben“ untrennbar eins: das sprachliche Äquivalent für „Leben“ lautete schlicht „inter homines esse“ – wörtlich also „unter Menschen sein“. Nur wer die bloß subjektive Existenz überschreitet, kann vom Beobachter zum Han-delnden und Mit-Handelnden wer-den. „Unter-Menschen-sein“ – damit bewegen wir uns immer schon im Medium des Politischen!

Zweitens, weil der Kulturpessi-mismus alles Politische vordring-lich an der Messlatte des Existen-tiellen bemisst und sich damit bei

der Beurteilung von Politik – ganz ähnlich wie beim ästhetischen Urtei-len – überwiegend von Gefühlen der Lust oder Unlust leiten lässt! Längst ist die Politik in engste Nachbar-schaft zum Showgewerbe gerückt. Die Exzesse der Talkrunden- und Verlautbarungsdemokratie rütteln an den Fundamenten des parlamen-tarischen Systems. Die allgemeine Ästhetisierung der Lebenswelt färbt längst aufs Politische ab. Ästheti-sche Kategorien der Wahrnehmung und Beurteilung werden, gleichsam hinterrücks, politikbedeutsam. Ver-meintlich politische Bewertungen und Urteile transmutieren unterder-hand in ästhetische. Wenn wir sagen, die Politik werde „ästhetisiert“, so bedeutet das, dass wir auf sie ähn-liche Kriterien anwenden wie auf Gegenstände und Situationen, denen wir uns auf der Suche nach äußerem und innerem Wohlgefallen oder viel-leicht auch nur nach Spannung und Unterhaltung nähern: einem Film, einem Bild, einer Theaterauffüh-rung, einer Romanhandlung, einer Parklandschaft, einem Berggipfel.

Hier gilt stets, dass, was wir sehen, hören oder präsentiert bekom-men, uns zusagen muss, sollen wir ihm denn keine Absage erteilen.

Eben diese – in einem weiteren Sinne – ästhetische Annäherung wird der Politik nicht gerecht. Aus der Politik können wir uns nicht einfach verabschieden, wenn ihr Unterhaltungswert zu wünschen übrig lässt oder ihre Ästhetik nicht überzeugt.

Drittens, rigoroser Kulturpessi-mismus wird zur politischen Gefahr, weil er stets ein Wesenselement frei-heitlicher Politik verfehlt oder außer Acht lässt, nämlich jenes der Mäßi-gung. Sie wiederum ist der Kern der Politik, die sich der Gewaltlosigkeit, der Toleranz und dem Mitbeden-ken der Freiheit des Andersdenken-den verpflichtet weiß. „Mäden agan“ – „nichts zu sehr“ war das an der

Bernd Guggenberger, Bildender Künstler, Schriftstel-ler, Rektor der Lessing-Hoch-schule, Berlin

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klassischen Mesotesregel, „dem gol-denen Mittelweg“ orientierte Motto der aristotelischen „Politik“. Der größte Feind des Guten (das Gute: für die griechische Antike ist das die Freiheit) ist stets des Guten zuviel! Wer frei sein will, muss in der Lage sein, die Welt (auch) durch das Auge des anderen zu betrachten.

Der auf unserer Tagung gele-gentlich wie eine Hoffnungschiffre gebrauchte Begriff der „Anti-Poli-tik“ ist auf gefährliche Weise miss-verständlich – ein semantischer Irr-läufer. Das wird deutlich, wenn wir uns seine aktuelle ideologiepoliti-sche und absichtsprogrammatische Inanspruchnahme vor Augen füh-ren: Von „Anti-Politik“ schwärmen in Deutschland im Moment vor allem die reaktionären Schwachköpfe und die nationalistisch befeuerten Lem-minge der Pegida-Bewegung (Pegida = „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“!), die nur dumpfes Unbehagen eint, Überforderungsängste durch eine unbegriffene Globalisierungs- und Entwurzelungsmoderne.

Es gibt innerhalb der Politik gute oder schlechte, achtbare oder ver-ächtliche Lösungsantworten. Aber Politik selber ist eine nicht mehr hintergehbare hochkulturelle Errun-genschaft innerhalb einer humanen Gesellschaft. Das wird deutlich, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass der eigentliche Gegenbegriff zur Politik entweder die Anarchie ist – das Feh-len aller geordneten, regelgebunde-nen politischen Gemeinschaft - , oder aber gerade das Abriegeln, Unterbin-den alles Politischen, d.h. alles Strei-tigen, aller Interessengegensätze und Konflikte im Medium von Befehl und erzwungenem Gehorsam durch eine einheitstiftende diktatorische oder quasidiktatorische Zwangs-gewalt. Anarchie oder Gewalt, das völlige Fehlen einer konfliktkana-lisierenden Ordnung oder aber die totale Zwangsordnung der Dikta-tur – das sind die systematischen

Gegenbegriffe und Antipoden des Politischen, die wohl beide gleicher-maßen außerhalb des uns Wünsch-baren liegen.

Nur weil es schlechte Politiker gibt und ihrer Aufgabe nicht gewach-sene Parteien, braucht doch keiner die Politik abzuschaffen und die „Anti-Politik“ auszurufen! Wir ver-abschieden ja auch nicht die Kul-tur des Rechts und den Rechtsstaat, bloß weil es immer wieder Rechts-brecher gibt. Eher gilt umgekehrt: Wenn die Politik den Herausforde-rungen durch die Probleme der Zeit nicht mehr gewachsen ist, müssen wir in das System – z.B. ins Rekru-tierungssystem des politischen Per-sonals – vor allem aber auch in Geist und Kultur des Politischen investie-ren! Bürgerinitiativen aus der Zivil-gesellschaft und verstärkte politische Bildung (das, was im allerbesten Sinn das Europahaus macht, z. B. mit Tagungen zum Sinn und Unsinn von „Anti-Politik“!) sind Antworten auf die Krise der Politik; nicht aber Ausstieg aus der Politik und pau-schale Politikabsage!

Gewiss gehört keiner aus unse-rem Diskutantenkreis in die Schub-lade reaktionärer, reformunwilli-ger Politikverdrossenheit; doch der eine oder andere kokette Augenauf-schlag ging doch auch schon mal in Richtung „Politikausstieg“. Und was dann? Was kann die Fundamental-absage an die Politik – der gänzliche Verzicht auf Parteien, Parlamente, Organisationen und Gestaltungsre-geln im Feld gemeinverbindlichen Handelns schon verheißen, wenn wir nicht zugleich klammheimlich auch darauf vertrauen, dass mit dem Ende der Politik wir alle gleichzei-tig zu Engeln mutieren, die ganz von selber solidarisch sind und fair, frei-willig angemessene Steuern zahlen, sich nie neidisch, bösartig oder kri-minell zeigen, die sich spontan dem Gelingen des Ganzen verpflichten und nicht bloß als soziale Trittbrett-fahrer unterwegs sind?

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Es ist vielleicht nicht ganz unwich-tig, daran zu erinnern, dass es das Modell „Anti-Politik“, den großen „Ausstieg aus der Politik“ längst gibt, allen sichtbar vor Augen: Der halsab-schneiderische IS-Terror will genau dies – die großen Streitfragen nicht Schritt für Schritt, gewaltfrei und kompromissförmig entschärfen und politisch lösen, sondern sie einseitig mit dem Schwerthieb von Terror und Angst entscheiden.

Eine der großen politisch-päda-gogischen Aufgaben des nächsten Jahrzehnts im größer gewordenen Europa wird sein, ein gleicherma-ßen normativ zeitgemäßes wie empi-risch gehaltvolles Konzept des Poli-tischen zu entwickeln. Vordringlich aber ist die Entübelung des Übels: Es gilt, Politik – unabhängig von der oft genug erbärmlichen Tagesform ihrer jeweiligen Sachwalter – als jene Art sozialer Tätigkeit auszuzeichnen, die der Aufrechterhaltung der Vielfalt einer Ordnung dient und der Siche-rung des Zustandes geordneter Frei-heit. Fritz Stern hat einst am Bei-spiel des „Rembrandtdeutschen“ gezeigt, dass es kein besseres Mit-tel wider Politikverdrossenheit und ästhetisches Unbehagen an der Poli-tik gibt, als den sachlich und histo-risch überzeugenden Nachweis, wel-che Leistung es war, eine Ordnung zu ersinnen und einzurichten, die nicht auf Gewalt, sondern auf Frei-heit und Teilhabe sich gründet. Für einen Autor wie Bernhard Crick, der seine „Lanze für die Politik“ bereits in den 60er Jahren brach, war Politik entschieden mehr, als nur das omi-nöse „kleinere Übel“; er verstand sie, unter Berufung auf Hannah Arendt, als jene „Wohltat, durch die allein eine Gesellschaft als eine freie zu existieren vermag“. Auch wenn das antipolemische Pathos gele-gentlich befremden mag, so bleibt doch die Rehabilitierung der Poli-tik als nüchterner Auftrag gerade der allernächsten Zukunft festzu-halten; ihre Anerkennung und Wie-dereinsetzung als das, was sie auch

noch in ihren defizienten Formen ist: eine keineswegs selbstverständliche Errungenschaft in der Evolution der Organisation – wie das Private, die Wissenschaftsfreiheit, das Recht oder der Sozialstaat.

Noch einmal: Vergessen wir nicht die Warnung Fritz Sterns, des gro-ßen Historikers und Mahners am Vorabend der menschheitsgeschicht-lichen Katastrophen des 20.Jahrhun-derts: Kulturpessimismus, der die Probleme der Zeit jenseits der Mög-lichkeit ihrer politischen Lösung ansiedelt, ist eine politische Gefahr von epochaler Sprengkraft: Wenn erst alles sich ändern muss, bevor wir selbst etwas ändern können, fehlt der archimedische Punkt als Ansatz für politisch folgenreiche Einmischung und Teilhabe.

Es ist zu befürchten, dass die ein-gangs erwähnten Aphorismen und zynisch-pessimistischen Zuspitzun-gen Emile Ciorans in seiner „Lehre vom Zerfall“ die ohnehin Politikfer-nen und Politikfremden im Lande in ihrer Abstinenz eher bestärken wer-den; und dass der existentielle Ges-tus seines verführerisch grundsätz-lichen Denkens die Hörchancen für die Politik als dem unendlich müh-samen, aber unverzichtbaren und durch nichts anderes zu ersetzenden Medium einer auf Freiheit gegründe-ten Ordnung bei den politisch Unmu-sikalischen in Europa und der Welt nicht verbessern wird.

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„Veraltet ist der Gedanke, dass die Ordnung erfun-den und aufgrund dieser Erfindung das menschli-che Leben neu- und umgestaltet werden könne, […] Veraltet ist der Begriff des Volkes, der Nation, der Rasse als lebensfähige Gemeinschaft, weil er den Keim für Wetteifer und Streit und Zwist, für Eifer-sucht und Friedlosigkeit, für blöden Stolz und Lügen legt. Veraltet ist die Politik – als ein Begriff, der die Gegensätze nicht schlichtet, sondern sie schürt und aufrechterhält.“(Béla Hamvas: Patmosz II.)

Mein Vortrag widmet sich Béla Hamvas, einer der hervorragenden Gestalten im ungarischen Geistes-leben des 20. Jahrhunderts, der als Schriftsteller auch dann ein authen-tisches Leben unter schwierigen Umständen führen und ein gewalti-ges Lebenswerk hinterlassen konnte, als die Politik seiner Zeit sein Leben ruiniert hatte. Über diese seine Lage „ohne Lage” – wie er sie bezeichnet – schreibt er 1945 in seinem Essay Ode an das Zwanzigste Jahrhun-dert, nicht ohne Ironie, wie folgt: „… ich fluche nicht, wie es aber fast alle tun, ich schimpfe nicht auf mein Ver-hängnis, da es mich in eine solche Zeit geworfen hat, sondern ich bin ihr und so auch meinem ganzen Jahr-hundert dankbar dafür, von ihr der-maßen gequält zu sein, womit sie mir die Gelegenheit geboten hat, alles das zu erleben und dadurch schließ-lich den Ort zu erreichen, wo ich bin. […] Ich meine, nie gab es früher eine Zeit, in der man in einer ganz kur-zen Zeitspanne von fünfzig Jahren beinahe in konzentrierter Form das

Grausen vieler Jahrtausende durch-leben konnte. Das ist das „Großar-tige“ an unserem Jahrhundert”. (Hamvas, Béla: Ode an das Zwan-zigste Jahrhundert) In dieser Schrift macht Hamvas unter anderem dar-auf aufmerksam, dass ihn die eigene Erfahrung gelehrt hat: je größer die „monumentale Sorge“ und die Trau-rigkeit in der Welt ist, umso mehr Möglichkeiten hat man, die „im Men-schen schlummernden unendlichen Gegenkräfte zu entwickeln“. Auch sein Verhältnis zur Politik wird von diesem Grundgedanken bestimmt: sein ganzes Leben und auch seine Lehre richtet sich nämlich an der Entwicklung dieser „unendlichen Gegenkräfte“ aus. Um aber das Ver-hältnis des ungarischen Béla Ham-vas zur Politik und sein Verhalten gegenüber Politik verstehen zu kön-nen, muss man die politischen Ver-hältnisse und Zustände im Ungarn des 20. Jahrhunderts skizzieren. Das Leben des Schriftstellers wurde durch die widrigen geschichtlichen Umstände, die beiden Weltkriege,

Das Wesen von Politik / antipolitik im lEbEn unD WErk Von béla hamVas

von Katalin Thiel,Eszterházy Károly Universität, Eger, HU

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das kommunistische System, den „Eisernen Vorhang“ und die immer mehr sich entfaltende Diktatur unmöglich gemacht. Nach dem Machtwechsel im Jahre 1948 wurde auch Hamvas – wegen seiner Ansich-ten und Tätigkeiten als Schriftsteller und Herausgeber – auf der sogenann-ten „B“-Liste (d. h. auf der Liste der in politischer Hinsicht unerwünsch-ten Personen) geführt und bestän-dig überwacht. Er verlor seine Stelle, erhielt Publikationsverbot; von da an verdiente er sein Geld ausschließlich als Landarbeiter und später als Hilfs-arbeiter. Kaltgestellt, unter unwür-digen Umständen schrieb er für die Schublade, ja, nicht selten wörtlich in der Schublade, heimlich. Trotz der schwierigen Umstände schrieb er aber unausgesetzt weiter, bis zu seinem Tod; so entstand – von den zwanziger, dreißiger Jahre an – ein umfangreiches großes Lebenswerk, das aus mehreren tausend Seiten besteht. Es ist fast unmöglich, all die weitverzweigten Themen auf-zuzählen, die er in seinen Schriften berührt. Bei der Entfaltung eines Gedankens legt er immer einen wei-ten Weg zurück, in den Gedanken-gang werden zeitlich und räumlich entfernte Philosophien, Literatu-ren und auch Werke der bildenden Künste einbezogen. Die universel-len Ansprüche und Interessen sei-nes Denkens sind mehr oder weniger unvergleichlich in der europäischen Literatur. Wenn die westeuropäi-schen Wirkungen auf sein Denken betrachtet werden, so kann ohne Zweifel eine Vorherrschaft der deut-schen Philosophie, insbesondere von Jakob Böhme und Friedrich Nietz-sche festgestellt werden. Der bei wei-tem größere Teil seiner Werke wurde erst posthum, ja erst in den letzten Jahrzehnten veröffentlicht; zu sei-nen Lebzeiten konnte er nur sehr wenige seiner Schriften publizieren. Die Gesamtausgabe von Hamvas umfasst bisher 27 Bände.

Das Verhältnis von Béla Ham-vas zur Politik, seine markante

antipolitische Haltung lässt sich einerseits von seinen Erfahrungen, den persönliche Freiheiten völlig missachtenden politischen Maßnah-men seiner Zeit, den Machtübergrif-fen der Diktatur, andererseits aber von seiner – von all dem wohl nicht unabhängig sich entfaltenden – phi-losophischen Grundeinstellung, sei-nen Ansichten übers Leben und Sein ableiten. Den Hintergrund für seine schriftstellerische Tätigkeit bildete also das eigentümliche osteuropäi-sche Dasein, das im Falle von Ham-vas in den Zeitraum von den zwanzi-ger/dreißiger Jahren an bis fünfzehn Jahre nach 1956 fällt. Trotz der unmöglichen Bedingungen vertiefte sich Hamvas in das östliche und westliche Gedankengut, studierte die metaphysischen Traditionen und suchte nach Möglichkeiten der Reali-sierung authentischer Existenz.

Er dachte aber nicht nur über die großen Fragen der menschlichen Existenz nach, sondern zugleich war er auch ein feinfühliger Beobachter der politischen Ereignisse seiner Zeit, der Krisenphänomene des moder-nen Daseins; viele seiner Schriften haben die Problematik des Totali-tarismus zum Thema. Sein Denken über Totalitarismus lässt sich aber aus mehreren Gründen nicht leicht darstellen. Einerseits weil seine diesbezüglichen Ansichten oft im Zusammenhang von verschiedenen, anscheinend voneinander weit ent-fernt liegenden Themen dargelegt werden, andererseits weil viele in essayistischer Form entfaltete Mei-nungen oft Bekenntnischarakter haben und im ganzen Lebenswerk verstreut vorliegen. Karikierende und den absurden Charakter her-vorhebende Darstellung der Phäno-mene sowie Humor und Ironie sind für die Schreibweise von Hamvas nicht selten charakteristisch. In den großzügigen Zusammenhängen sei-ner Essays zeichnet sich aber scharf umrissen eine bemerkenswerte Kri-tik an der Moderne, eine Kritik der Politik und eine charakteristische

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Interpretation des Totalitarismus ab. Hamvas verfügte zwar über tief-gehende Kenntnisse im Bereich der Analyse der Moderne, die Werke von Hannah Arendt konnte er aber nicht kennen. Umso verblüffender ist dann aber, wie er – unbeeinflusst von Are-ndt – auf seine Weise, seinem Gespür folgend, Grundzüge der Arendtschen Totalitarismusdeutung erschließen konnte, nach denen eine bestimmte Parallele und zahlreiche Ähnlichkei-ten zwischen dem Hitlerismus und dem Stalinismus bestehen. Hamvas betrachtet die faschistoiden Bewe-gungen und die kommunistischen Machtbestrebungen im 20. Jahrhun-dert wiederholt als wesensverwandte einheitliche Phänomene. Er meint des Weiteren, dass Demokratien und Diktaturen zahlreiche gemein-same Züge aufweisen. In seiner Kri-tik der Moderne legt er offen, dass die modernen Massengesellschaf-ten im 20. Jahrhundert die Möglich-keit des Totalitarismus von vornhe-rein in sich tragen. Er strebt aber dabei keinesfalls nach einer „wissen-schaftlichen“ Analyse. Der Schrift-steller bewahrt die Freiheit des Gedankens, seine Schriften werden nicht von einer diskursiven Einheit und systematischen Argumentation getragen, in ihnen erscheint ja unter anderem eben die Wissenschaft als verantwortlich für die gegenwärtige Lage. Seine Aufmerksamkeit wird nicht von der Bestrebung geleitet, zufriedenstellende Erklärungen zu finden und exakte Ableitungen zu liefern, und seine Grundbegriffe, die als latentes Ordnungsprinzip sei-ner Entfaltungen fungieren, werden nicht explizit genug dargestellt. Für seine Gedankengänge ist nicht nur eine unverwechselbare Subjektivi-tät, sondern oft auch ein Widerwille gegen seine Außenwelt, eine gewisse Idiosynkrasie charakteristisch.

Seine diagnostischen Aussagen in Bezug auf die totalitären Tendenzen bleiben aber besonders bemerkens-wert und zeitgemäß – unabhängig davon, ob sie mosaikartig in seinen

Essays oder in seinen teilweise orwellhaft und kafkaesk anmuten-den Romanen zur Sprache kommen. Die Wurzel der Ansichten von Ham-vas in Bezug auf den Totalitarismus und seines Denkens über Politik ist in seiner Interpretation der Krise aufzufinden. In den dreißiger Jahren begann Hamvas die europäische Kri-senliteratur gründlich zu studieren, er hatte vor, eine sogenannte „Kri-seologie“ zusammenzustellen. Später schrieb er darüber in seinem mit sich selbst geführten Interview wie folgt: „Ich bin rückwärts gegangen von Mitte des letzten Jahrhunderts an bis zu der Französischen Revolution, bis zur Aufklärung, bis zum Rationa-lismus, bis zum Humanismus, durch das Mittelalter bis zu den Griechen, dann bis zu den Hebräern, bis zu den Ägyptern. Die Krise finde ich über-all, aber jede Krise zeigt tiefer. Der dunkle Punkt ist noch früher, noch viel früher. Ich habe den typischen europäischen Fehler gemacht, ich suchte den dunklen Punkt außer mir, obwohl er in mir steckte.” (Hamvas, Béla: Interview) Zu dieser Zeit stu-dierte er unter anderem die Schriften von Valéry, Lessing, Ortega, Evola, Spengler, Berdjajew, Eliot, Kier-kegaard, Nietzsche, Heidegger und Unomuno. Diese Autoren übten eine große Wirkung auf ihn aus, auf ihre Argumente und Gedanken nahm er in seinen Schriften oft Bezug. Seine bemerkenswerte summarische Schlussfolgerung aus den Studien der Krisenliteratur lautet: Die Krise lässt sich auf zwei verschiedene Wei-sen begreifen, einerseits im horizon-talen, andererseits vertikalen Sinne. Wenn man sich der Krise horizon-tal nähert, so erreicht man Krisen-phänomene der historischen Zeit, und wenn man diese zu lösen ver-sucht, so führt es zu keinem Ergeb-nis, weil solche Lösungsversuche sich bloß an äußerlichen, partiellen und fachlichen Fragen orientieren. Wer sich um die Lösung der wirt-schaftlichen, politischen oder kul-turellen Krise bemüht, beschäftigt sich also mit partiellen Phänomenen.

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„Verschiedene Programme, egal wel-cher Art, führen zu keiner Lösung, sie sind bloß Interpretationen. Die partiellen Lösungsversuche sind vergeblich: mögen sie sich auf die Außenpolitik, die Wirtschaft, das Bil-dungs- oder Erziehungswesen bezie-hen. […] Es geht darum, fernere, tiefere, universellere, persönlichere und gleichzeitig noch eindeutiger alle Menschen betreffende Schritte zu tun.“ (Hamvas, Béla: Krise und Katharsis) Hamvas zufolge geht es entweder darum, dass Geldmen-schen wirtschaftlichen Aufschwung versprechen, oder politische Parteien ihre Ideologien zum angeblich besse-ren Fortkommen der vom Herdenin-stinkt geleiteten Massenmenschen anbieten. Das Wesen der kirchlichen Lehre geht an Äußerlichkeiten ver-loren, die von Gelehrten erarbeite-ten Lösungsversuche stehen oft im Dienst der Macht und beziehen sich nur auf partielle Erscheinungen. Kri-senbehandlungen, die sich an der historischen Zeit orientieren, blei-ben laut Hamvas immer äußerlich, pseudo-existenzial und somit inau-thentisch. Zugleich aber kann jede Krisenerscheinung die Vorbedingung für eine Wende zur normalen Grund-haltung in sich bergen.

Erfolgreich behandelt werden kann die Krise nie durch eine hori-zontale, sondern erst und allein durch die vertikale Herangehens-weise, die sich auf den inneren Weg, den existenzialen und metaphy-sischen Charakter der Krise kon-zentriert. Wenn Hamvas sagt: „es herrscht immer Krise“, so meint er damit die Krisensituation, die auf natürliche Weise zum menschlichen Dasein gehört und eigentlich die Atti-tüde des handelnden, Entscheidun-gen treffenden Menschen bezeichnet. Diese Vorstellung ist der Existenz im Sinne Kierkegaards sehr nah, weil auch sie eine fortwährende Selbstre-flexion, eine kritisch-selbstkritische Haltung und das Streben nach der Verwirklichung des authentischen Lebens erfordert. Diese existenziale

Krise religiösen Charakters hält den an sich selbst arbeitenden Men-schen in Bewegung. Die existenziale Krise ist aber keinesfalls eine aufzu-hebende Form der Krise, vielmehr eine, die es immer wachzuhalten gilt, weil es ohne sie keine verantwort-liche, autonome menschliche Ent-scheidung, keine Wahl, keine Exis-tenz gibt. Wie Kierkegaard macht auch Hamvas darauf aufmerksam, dass unsere Entscheidungen, die kein anderer Mensch an unserer Stelle treffen kann, diesseitig sind, aber als Revelation, als Offenbarung sich ereignen sollen. Der Begriff der Realisierung und die Interpretation der Tradition bei Hamvas beruht auf dieser Auffassung der existen-zialen Krise. Diese innere Krise und die mit ihr verbundene Katharsis ist nach seinem Denken die Vorausset-zung für eine authentische mensch-liche Existenz. Ohne diese Katharsis bleibt jeder äußerliche Versuch, die Krise zu lösen, unglaubwürdig und wirkungslos.

Nach Béla Hamvas sind in den modernen Massengesellschaften, im Zeichen der existenziellen Krise und der Authentizität, nur indi-viduelle Lösungen möglich; alles andere erscheint – da es eine pseudo-gemeinschaftliche Form darstellt – inauthentisch. Das Maß ist die Tradition, der Gehalt der heiligen Texte, die sich miteinander über-einstimmen, indem sie die normale menschliche Grundhaltung offenba-ren. Die einzige Gemeinschaft kann nur die ganze Menschheit sein, die Hamvas Universale Kirche nennt, im Gegensatz zu den institutiona-lisierten Formen der Kirche. Wie er schreibt: „Die Kirche wird vom freien Menschen durch seine Freiheit und frei gebaut. Die einzige Moral ist die Freiheit.“(Hamvas, Béla: Patmosz II.)

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Albert Camus (1913-1960) war Résistant der ersten Stunde. Noch in den Kämpfen um die Befreiung von Paris in den späten Augusttagen von 1944 etablier-ten er und seine Crew um die undogmatische linke Résistance-Strömung „Combat“ die gleichnamige Tageszeitung, vormals im Untergrund, im befreiten Paris. „Von der Résistance zur Revolution“ war der damalige Untertitel und Camus war Leitartikler und Chefredakteur von 1944 bis 1947.

Doch schnell verflüchtigte sich die Hoffnung auf Erneuerung oder gar Revolution: die alten Appease-ment-Politiker (besonders Daladier, ein Intimfeind von Camus) kehrten zurück, die eingeleitete „Säuberung“ von Vichy-Kollaborateuren kam nur schleppend voran oder traf sogar zweit- und drittrangiges Personal der Kollaboration viel härter als etwa die mit den Nazis direkt zusammenar-beitenden französischen Industriel-len, die neue Presse nach der Befrei-ung wurde schließlich schnell zur von Camus scharf kritisierten Sensati-onspresse, für die wahrheitsgetreue Berichterstattung keine übergeord-nete Bedeutung hatte. Wer die nun in deutscher Übersetzung vorliegen-den Artikel Camus’ von 1944-1947 in der Tageszeitung Combat nachliest, kann diesen Desillusionierungspro-zess im Einzelnen an vielen Themen und Beispielen nachvollziehen. (1)

Schließlich wurde auch Combat, die sich als Zeitung ohne Anzeigen bis dahin ausschließlich über Spen-den und den Verkauf finanzierte, in

einer Zeit der finanziellen Krise an einen externen Geldgeber verkauft. Für Camus war das die Abdankung redaktioneller Unabhängigkeit und er verließ seinen Redaktions- und Leitartikler-Posten. Doch trotz aller Desillusionierung hörten weder Camus auf, für das noch in der Résis-tance entwickelte Programm einer kollektiven Ökonomie und freiheitli-chen Politik zu kämpfen, noch hörte Combat abrupt auf, Beiträge von Camus zu publizieren. Sondern die Zeitung unterstützte unmittelbar fol-gende Kämpfe von Camus, darunter vor allem seine Solidarität mit Garry Davis (1921-2013) im November und Dezember 1948.

Für Camus waren der Nationalis-mus sowie die Macht der souveränen Nationalstaaten eine zentrale Ursa-che der politischen Katastrophen der vorangegangenen Jahrzehnte, des Ersten Weltkriegs, der faschis-tischen und stalinistischen Dikta-turen, der entfesselten Gewalt des Zweiten Weltkriegs. In der unmittel-baren Nachkriegszeit drang deshalb

von Lou Marin

albert camus und garry Davis Von DEr résistancE übEr DiE WEltbürgEr- bEWEgung Zum anarchismus

Lou Marin, Buchautor und Über-setzer; Publikationen u.a. über Albert Camus, Simone Weil, M.K. Gandhi, über die Begegnung von Martin Buber und Dag Hammarskjöld.

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Camus immer wieder auf eine ins-titutionelle Beschneidung der Sou-veränität der Nationalstaaten. Des-halb war er einer der Vorkämpfer der europäischen Einigung, aller-dings klar unter sozialistischem Vorzeichen, und deshalb mischte er sich auch in die Diskussionen um die Nachfolgeorganisation des Völ-kerbunds nach dem Zweiten Welt-krieg, die Gründung der Vereinten Nationen (UN) ein. Jedoch musste er bald entsetzt feststellen, dass die neue UN ein Gremium aus offiziellen Vertretern der Nationalstaaten wer-den sollte und von den neuen Super-mächten so geplant wurde, dass sie in einem sogenannten Sicherheitsrat gegenüber allen anderen, kleineren und wirtschaftlich weniger mächti-gen Ländern mit einem Vetorecht ausgestattet werden sollten. Camus wandte sich gegen die Installierung dieses Vetorechts im Allgemeinen und gegen das zugestandene Veto-recht für Frankreich im Besonderen.

In diesem Bestreben traf er sich 1948/1949 mit Garry Davis und sei-ner Kampagne für die Wahl eines Weltparlaments ohne nationalstaat-liche Vertretung, einberufen durch ein weltweites individuelles Wahl-recht sowie für eine Weltbürgerbe-wegung. Garry Davis war ursprüng-lich Broadway-Schauspieler und kam im Zweiten Weltkrieg als Bomber-pilot der US-Air-Force zum Einsatz. Am 24. August 1944 – zur gleichen Zeit besetzte Camus gerade das Pres-sehaus im befreiten Paris – wurde Davis über Peenemünde abgeschos-sen. Er überlebte den Absturz, wurde von den Nazis gefangengenommen, konnte aber fliehen und bei seiner Flucht die durch die Bombenangriffe zerstörten Städte wahrnehmen – für Davis war dieses Erlebnis ein Wen-depunkt seines Lebens. (2)

Die Aktion am 19. November 1948

Vom September bis Dezember 1948 fand eine Sitzungsphase der

eigentlich seit ihrer Gründung 1945 in New York beheimateten UN in Paris im dortigen Palais de Chail-lot am Trocadéro statt, an deren Ende die Verabschiedung der UN-Erklärung der Menschenrechte fol-gen sollte. Beeinflusst u.a. durch das Buch des „Vereinigte Welt-Födera-listen“ Cord Meyer Peace or Anar-chy – 1948 in den USA veröffent-licht; Meyer wurde allerdings im Jahr darauf CIA-Mitarbeiter (!) – meinte Garry Davis um diese Zeit, dass die Wurzel des Krieges im Nati-onalstaat liege. Am 25. Mai 1948 gab Davis im US-Konsulat von Paris sei-nen Pass ab und damit seine US-Staatsbürgerschaft auf, erklärte sich zum Weltbürger mit der Intention, „wenigstens eine Zeitlang ohne nati-onalstaatliche Anerkennung zu über-leben, dann hätte ich den Ausschließ-lichkeitsanspruch des Nationalstaats mitten ins Herz getroffen.“ (3)

Real war Davis jedoch von da an Staatenloser und konnte Frankreich ohne Pass nicht mehr verlassen. Er begann seine Aktion in Paris am 12. September 1948, einige Tage vor UN-Sitzungsbeginn ganz individuell und setzte sich mit seiner Reiseschreib-maschine auf den zum „internationa-len Boden“ erklärten Platz zwischen UN-Restaurant und UN-Sekreta-riat. PassantInnen sympathisierten spontan mit ihm und brachten ihm Nahrung, Wein und einen Schlaf-sack. Für die Tageszeitung Combat berichtete der Journalist und ehe-malige Résistant Robert Sarrazac über sein Anliegen, schlug ihm den Aufbau eines „Solidaritätsrates“ für seine Aktion vor und machte ihn so mit Camus bekannt. Die Gründung dieses Solidaritätsrates fand Mitte Oktober vor internationaler Presse statt. Es unterstützten Davis franzö-sische Anarchisten wie Louis Lecoin oder Maurice Joyeux, denen bei die-ser Gelegenheit wiederum Camus über den Weg lief. Außerdem waren u.a. zugegen: der Surrealist André Breton, der Herausgeber von Com-bat, Claude Bourdet, der katholische

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Armenaktivist Abbé Pierre, der Gewerkschafter Kobloth-Décroix, Louise Guieyesse vom Vorstand der „Freunde Gandhis“, Radio Frank-reich-Direktorin Madelaine Paz, der afrikanisch-amerikanische Schrift-steller Richard Wright.

Schließlich planten Sarrazac, Davis und Camus eine direkte Aktion innerhalb des UN-Sitzungssaales für den 19. November 1948:

„Der von Sarrazac ausgearbeitete Plan war, einige Mitglieder [des Soli-daritätsrats] zusammen mit Davis in die teilweise öffentliche Generalver-sammlung einzuschleusen. (...) Die Atmosphäre war geladen. Nach der Rede des jugoslawischen UN-Dele-gierten schwang sich Davis über die Balkonabsperrung, lief zum Mikro-phon und begann zu sprechen: ‚Herr Vorsitzender, meine Herren Dele-gierte, ich unterbreche Sie hiermit im Namen des Weltvolkes, welches hier nicht vertreten ist...’ Lautstark protestierend wurde der Weltbürger aus dem Saal entfernt. Während die Wachen draußen mit ihm beschäftigt waren, begann im Saal die eigent-liche, dann halbstündige Aktion. Sarrazac proklamierte die Oran-Erklärung, nach ihm gaben andere Weltbürger in verschiedenen Spra-chen Variationen des Themas wie-der. Bald darauf kamen Unterstüt-zungstelegramme aus aller Welt, so etwa von Albert Schweitzer und Albert Einstein. Um die Bürger von Paris en masse zu mobilisieren und um den Charakter der weltbürger-lichen Idee als soziale Bewegung öffentlich zu demonstrieren, organi-sierte der Solidaritätsrat kurzfristig eine Veranstaltung am 3. Dezem-ber, sechs Tage vor der Beschlussfas-sung über die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte am 10. Dezem-ber. In der Salle Pleyel kamen 3.000 Menschen zusammen, etwa 2.000 weitere mussten vor dem überfüll-ten Gebäude stehen [die Pressekon-ferenz Camus’ wurde nach außen per Lautsprecher übertragen]. Am

Tage vor der Beschlussfassung am 9. Dezember füllten 20.000 Menschen das Pariser Vélodrôme d‘Hiver – das gelang damals normalerweise nur zwei Figuren: dem KP-Chef Thorez und General de Gaulle.“ (4)

Noch am selben Tag der Aktion hatte Camus direkt gegenüber dem UN-Gebäude eine Pressekonferenz gegeben, über die Combat in der Aus-gabe vom 20./21. November 1948 berichtete:

„Camus unterstrich die Bedeu-tung der Verhaftung von Garry Davis, welche die UNO in eine kom-plizierte Situation versetzt. Diese Maßnahme ziele ja in Wahrheit gegen einen Menschen, der vorgibt, das Ziel der UNO selbst zu vertei-digen. Der Autor von Die Pest fügte hinzu, dass der Solidaritätsrat dazu entschlossen sei, sich mit aller Kraft auf die öffentliche Meinung zu stüt-zen, die es an Sympathiebekundun-gen für Garry Davis nicht fehlen las-sen werde.“ (5)

Die „Oran-Erklärung“ im Wortlaut

Die Erklärung wurde also von verschiedenen Solidaritätsrats-Mit-gliedern im UN-Saal verlesen, nach-dem Davis festgenommen worden war. Sie hieß „Oran-Erklärung“: Der Titel weist darauf hin, dass sie von Camus und Davis gemeinsam verfasst wurde. Wie bereits im vor-herigen Zitat anklang, war Camus durch seinen Résistance-Roman Die Pest, der 1947 erschienen war, als Schriftsteller richtiggehend berühmt geworden – und dieser Roman spielt in einem fiktiven Ort mit Namen „Oran“, eine Allegorie Camus’ für alle Orte, die einem faschistischen, rassistischen oder militärdiktatori-schen Regime ausgesetzt sind, also nicht nur das reale, algerische Oran,

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in dem Camus während der kolonial-französischen Militärdiktatur 1941-42 selbst gelebt hat. Der argentinische Regisseur Luiz Puenzo etwa hat den Roman 1991 verfilmt und die Hand-lung seines Films sehr anschaulich und ganz in Camus’ Sinne in eine südamerikanische Stadt mit Namen Oran versetzt, um den Müttern der Plaza del Mayo und ihrem Kampf gegen die argentinische Militärdik-tatur ein Denkmal zu setzen und auch durch die Darstellung einer Quaran-tänestation in einem Fußballstation auf Pinochets Putsch in Chile hinzu-weisen und den massenhaften soge-nannten „Widerstand der Kochtöpfe“ in Chile gegen die Fortdauer der Dik-tatur in den Achtzigerjahren zu ehren. Hier also nun der Wortlaut dieser von den Mitstreitern von Davis nach seiner Verhaftung im UN-Sitzungs-saal verlesenen Oran-Erklärung: „Herr Vorsitzender, meine Herren Delegierte, ich unterbreche Sie hier-mit im Namen des Weltvolkes, das hier nicht vertreten ist. Obwohl meine Worte vielleicht unbeachtet bleiben, kann unsere gemeinsame Notwendig-keit eines Weltgesetzes nicht länger unberücksichtigt bleiben. Wir, das Volk, wollen den Frieden, den nur eine Weltregierung erreichen kann. Die souveränen Staaten, die Sie repräsentieren, spalten uns und füh-ren uns an den Abgrund des totalen Krieges. Ich fordere Sie dazu auf, uns nicht länger zu täuschen durch die Illusion politischer Autorität. Ich for-dere Sie dazu auf, sich nunmehr als eine verfassungsgebende Versamm-lung zu begreifen, um den Standard zu heben, auf dessen Basis alle Men-schen zusammenfinden können, den Standard des wahren Friedens, von einer einzigen Regierung für eine ein-zige Welt. Wenn Sie dazu nicht fähig

sind, dann treten Sie beiseite, denn dann wird eine Welt-Volksversamm-lung aus unseren eigenen Reihen ent-stehen, um solch eine Regierung zu schaffen. Nichts anderes mehr kann uns noch dienen.“ (6)

Davis wurde übrigens nicht lange gefangen gehalten. Er konnte sogar dem damaligen UN-Generalsekre-tär Trygwe Lie direkt die Frage stel-len, ob die UN den Weltfrieden zum Ziel der Organisation habe und dar-auf ein „Nein“ als Antwort erhal-ten, wie Davis dann enttäuscht bei der bereits erwähnten, gut besuch-ten Versammlung am 3. Dezember 1948 in der Salle Pleyel berichtete. Camus’ dortige Antworten auf Fra-gen von anwesenden Journalisten wurden im Combat vom 9. Dezem-ber 1948 abgedruckt. Auf die nach-einander gestellten Fragen, ob Davis nicht dem US-amerikanischen und dann dem sowjetischen Imperialis-mus diene, antwortete Camus: „Die Imperialismen sind wie Zwillinge. Sie wachsen zusammen auf und der eine kommt ohne den anderen nicht aus.“

Auf die Frage, ob die Begrenzung nationalstaatlicher Souveränitäten nicht eine Utopie bleibe, antwortete Camus, dass gerade Davis ja eine Lösung vorschlage „und Sie sind es, die sie als utopisch erklären. Sie las-sen uns an diese Familienoberhäup-ter denken, die einfach im Namen der Realitäten ihren Sprössling vor jeder Abenteuerlust warnen. Letzt-lich kommt es vor, dass sich der Sprössling dafür damit bedankt, dass er seinem Vater den Gehorsam verweigert und aus seinem Geburts-haus flüchtet. In diesem Sinne ist die Geschichte immer nur eine Realität gewordene Utopie gewesen.“

Am Ende der Versammlung fragte Camus jedoch auch zurück: „Ich stelle ganz am Ende eine Frage von meiner Seite aus an unsere Wider-sacher: Sind Sie denn so sicher, im

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Grunde Ihres Herzens, dass die poli-tische Überzeugung oder die Doktrin, die Sie antreibt, unfehlbar genug ist, um ohne weiteres Nachdenken die Warnungen jener zurückzuweisen, die Sie an die Millionen von Kreatu-ren, den Schrei der Unschuldigen, die einfachsten Formen des Glücks erin-nern? (...) Sind Sie sich so sicher, in ausreichendem Maße recht zu haben, um auch nur mit einer Chance von einem Tausendstel die Gefahr eines Atomkrieges in Kauf zu nehmen? Ja, sind Sie sich Ihrer selbst so sicher, so außergewöhnlich unfehlbar zu sein, dass Sie einfach alles ignorie-ren können? Das ist die Frage, die wir Ihnen stellen, die Ihnen bereits gestellt wurde und auf deren Ant-wort wir noch immer warten.“ (7)

Getrennte Wege nach der gemeinsamen Aktion

Nach dieser Aktion und ihrer pub-lizistischen Öffentlichkeitsarbeit für eine alternative Form der UN trennten sich die Wege von Camus und Davis. Camus wandte sich den bereits damals in der Solidarität prä-senten anarchistischen Freunden zu und veröffentlichte ab 1949 in den Zeitungen verschiedener anarchisti-scher Strömungen, besonders anti-militaristischer, libertär-kultureller oder revolutionär-gewerkschaftlicher Ausrichtung. In diesem Sinne ent-wickelte er seine Position aus seiner Sicht konsequent weiter und ging vom Appell an bestehende Institu-tionen wie die UN zur Unterstüt-zung basisdemokratischer Revolten von unten über, die sich 1951 in dem bekannten Buch Der Mensch in der Revolte und zahlreichen Analysen und Solidaritätskampagnen zu zeit-genössischen Revolten ausdrücken sollte. (8)

Garry Davis hingegen verfolgte sein damals verfochtenes Konzept einer Weltbürgerbewegung mit der Abgabe oder dem Zerreißen/Ver-brennen von Pässen und dem Ziel eines von Individuen gewählten

Weltparlaments in engerem Sinne weiter. Er konnte 1950 als Immig-rant doch noch in die USA zurück-kehren. Nach eigenen Angaben erklärten sich in den ersten bei-den Jahren nach der Aktion vom 19. November 1948 750000 Men-schen aus mehr als 150 Ländern zu WeltbürgerInnen – ein Beweis für die ungeheure Popularität seiner Vision in der damaligen Zeit. Sein von seiner Organisation ausgestell-ter Weltbürgerpass wird bis heute von nur von wenigen Staaten de jure anerkannt: Ecuador, Burkina Faso, Mauretanien, Tansania, Togo, Sam-bia. Doch sowohl Davis’ Alternativ-konzept wie die Weltbürgerbewe-gung gerieten mehr oder weniger in Vergessenheit; bis heute haben sich nur 200000 Menschen zusätzlich zu WeltbürgerInnen erklärt, sodass die Organisation aktuell 950000 Mitglie-der zählt. (9)

Die jüngere weltweite Bewegung für eine andere Globalisierung hat Teile dieses Konzeptes des world citi-zenship als „global citizenship“ wie-der aufgenommen und aktualisiert. In dieser Bewegung erfreuen sich auch die gewaltfreien oder zumin-dest gewaltarmen Revolte-Konzepte Camus’ großer Beliebtheit und waren prägend für etwa den Aufstand im Istanbuler Gezi-Park 2013 oder in der Anfangszeit der arabischen Auf-stände in Tunesien und Ägypten 2011/12. So haben die Inspirationen von Garry Davis und Albert Camus posthum in gewisser Weise wieder zusammengefunden.

Anmerkungen:

(1): Vgl. Jacqueline Lévi-Valensi (Hrsg.): Albert Camus – Journalist in der Résistance. Leitartikel und Artikel in der Untergrund- und Tageszeitung „Combat“ von 1944-1947, Bd. I & II, Laika Verlag, Hamburg 2014.

(2): Zur Biographie von Garry Davis siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Garry_Davis .

(3): Garry Davis, zit. nach seiner Bio-graphie auf der Website der Weltbür-gerbewegung, des World Citizens’ Movement: http://welt-buerger.org/bio_gdavis.php .

(4): Ebenda, a.a.O.

(5): Maurice Henry für Combat, zit. nach Jacqueline Lévi-Valensi (Hrsg.): Albert Camus – Journalist in der Résis-tance, siehe Anm. 1, Bd. II, S. 220.

(6): Übersetzt nach dem englischen Wortlaut auf der Website des World Citizens’ Movement: http://www.worldgovernment.org/gov.html#oran .

(7): Albert Camus: „Wozu dient die UNO?“, in: Jacqueline Lévi-Valensi (Hrsg.): Albert Camus – Journalist in der Résistance, siehe Anm. 1, Bd. II, S. 230f.

(8): Vgl. zum anarchistischen Werde-gang Camus’: Lou Marin (Hrsg.): Albert Camus – Libertäre Schriften (1948-1960), Laika Verlag, Hamburg 2013.

(9): Zu den Zahlen vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Garry_Davis . Zur Liste von Staaten mit de jure- und de facto-Anerkennung vgl.: http://www.worldgovernment.org/visas.html .

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pannonisch | europäisch | kosmopolitisch

Nr. 28 – August 2015 33

In der Ausschreibung zu die-ser Tagung hatte ich gelesen, dass die globale Entwicklung gemeinhin als politisches Geschäft betrach-tet werde und dass die Gestaltung von Lebens- und Überlebensbedin-gungen immer mehr aus dem nati-onalen Terrain sich löse und auf internationalem Feld versucht wird. Im Jahr 2015 laufen die „Millen-nium Development Goals“ aus. Die UN-Generalversammlung erklärte 2015 zum „Internationalen Jahr der Böden“ und die EU unter dem Motto „Unsere Welt, unsere Würde, unsere Zukunft“ zum „Europäischen Jahr der Entwicklung“.

Nun sollten anwesende Exper-ten und Besucher und Besucherin-nen miteinander an der Frage arbei-ten, ob zur Lösung der Probleme von Sicherheit, Menschenrechten und Entwicklung die Politik überhaupt noch das geeignete Mittel sei. Poli-tik wie wir sie kennen wurde ja für die Interessen der Bürgergesellschaft einer antiken Stadt oder der Bürger-schaft eines Nationalstaates konzi-piert (wie übrigens auch, ergänze ich hier, die „Soziale Marktwirtschaft“) und ihre Geschichte ist voller Zweifel und entworfener Alternativen, eben-falls begrenzt (was die Interessen der Bürgerschaft anlangt).

Und sind nicht die Kosmopoliten und Weltbürger damit aus dem Rah-men des Politischen herausgetreten? Und wäre es dann nicht vielleicht sogar besser, ergänze noch einmal ich, die, die die Welt bevölkern und u.U. Sinn aus und mit ihr machen wollen, aber auch aus der Erde und damit der belebten und unbelebten

Natur oder besser mit dieser, gar nicht mehr „Bürger“ zu nennen? Vielmehr eine neue Bezeichnung zu suchen, die dem Umstand Rechnung trägt, dass internationale Wirtschaft das Feld für planetarisches „Gestal-ten“ längst übernommen hat? Und sind nicht Menschenrechte – und mit ihnen Menschenwürde, übrigens also auch Menschenpflichten – am ehesten noch im Diskurs zwischen Wirtschaft und Recht zu regeln. Und eben nicht von einer von Inter-essensgruppen und Partikularinter-essen bestimmten Politik, in der die Ämterpatronage fröhliche Urständ treibt, und so etwas wie Integrität und Persönlichkeit der einzelnen Politiker oder auch das Festhal-ten an aus guten Gründen ersonne-nen Programmen dem Jagen nach Wählerstimmen völlig zum Opfer gefallen sind?

Am Ende des Ausschreibungstex-tes findet sich der Satz:

„Kurzum, die Konferenz versam-melt sich um die These, dass über antipolitische und kosmopolitische Wege Welt- und Menschenbilder ent-schlossen werden können, die welt-verträglicher sind, als der ingeni-eurhafte Machbarkeitswahn des globalen Politikbetriebs.“

Antipolitik gestern und heute

Dag Hammarskjöld, der parteilose UN-Generalsekretär (1953-1961), stand, nicht zuletzt wegen seiner teil-weise mystisch-poetischen Äußerun-gen und seiner Betonung der Aktion an Stelle des Politischen, unter dem

von Sybille C. Fritsch-Oppermann

übEr-lEbEn mit/ ohnE PolitiksichErhEit, mEnschEnrEchtE unD EntWicklung im lichtE EuroPaPoliti-schEr, antiPolitischEr unD kosmoPolitischEr EntWürfE.

imprEssioNEN voN dEr iNtErNAtioNAlEN tAguNg dEs EuropAhAusEs BurgENlANd vom 18.-21. mAi 2015

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„Verdacht der Antipolitik“ (warum eigentlich „Verdacht“?). Bei Ham-marskjöld verknüpfen sich dann mit dieser Haltung kosmopolitische Tra-ditionslinien, teilweise übergehend in philosophisch-kosmologische Deu-tung von Welt und Schöpfung.

*gestern in West und OstEnde der 70er und in den 80er

Jahren gab es in der alten Bun-desrepublik Deutschland zahlrei-che Veröffentlichungen zur „Anti-politik“. Antipolitik wurde hier, in Auseinandersetzung etwa mit frü-hen Publikationen und Wortmel-dungen mittel- und osteuropäischer Schriftsteller_innen als Mittel auf der Suche nach Wegen ins Freie defi-niert. „Das Freie“ meinte auch das Entkommen aus den festgefahrenen und nach wie vor Angst machen-den Strukturen von Härte und Ein-schüchterung des „Kalten Krieges“. Von „Schattenwirtschaft“ und dann auch „Schattenkultur“ war die Rede. Das romantisierende Wehgeschrei um die „untergehende Nation“ und die weltpolitischen und den jeweili-gen Status Quo nur untermauern-den Überlegungen wurden in Frage gestellt zugunsten einer aus Kosmo-politik gespeisten Antipolitik Einzel-ner und kleinerer Gruppen. So etwa bei György Konrád.

Auch die Kulturpolitik wurde als Kulturpolitik kritisch hinterfragt, besonders mit Blick auf die „Kul-turpolitik“ der damaligen DDR, die Gleichschaltungspolitik und Über-wachung beinhaltete.

Der Machtwille der Herrschenden – in West und Ost – verhindert nach Konrad alle Schritte auf dem Weg zur Selbstbestimmung. Die Rationa-lität im Sinne der jeweiligen Macht-stabilität jedoch wird nicht geleug-net, auch wenn sie, etwa in Kultur und Gesellschaft, ungünstige Aus-wirkungen zeitigt. Als Pragmatiker und Realpolitiker sieht der zu dieser Zeit in Budapest lebende, aber nicht

gedruckte Schriftsteller die Asymme-trie zwischen Ost und West in der größeren Abhängigkeit mittel- und osteuropäischer Staaten von der öst-lichen Supermacht.

Eine weitere Form der Auseinan-dersetzung mit Anti-Politik betraf deren Rezeption in terroristischen Gruppen und die daraus auch fol-gende Spirale von Gewalt und Gegengewalt.

*heute in Ost und West Wie beschrieben, gibt es seit län-

gerem auch die typisch mitteleuro-päischen Traditionen kosmopoliti-schen und antipolitischen Denkens (von Vaclav Havel bis György Kon-rad, um den es im vorigen Abschnitt exemplarisch ging, - nur um die pro-minentesten zu benennen).

Auf der Internationalen Mai-Tagung in Eisenstadt/Sopron setzte sich der in Berlin lebende und ebenfalls ungarische Schriftstel-ler György Dalos noch einmal auf eigene Weise mit György Konrad auseinander: war dieser ein antipo-litischer Träumer?

Dies konnte ebenso verneint wer-den, wie der hier und da geäußerte Quietismusvorwurf gegenüber einem weiteren ungarischen und über die Politik zu einer antipolitischen Hal-tung gelangten ungarischen Intellek-tuellen: Béla Hamvas. Katalin Thiel von der Eszterházy Károly Universi-tät, Eger, stellte ihn vielmehr in sei-nem Bestehen auf das auf dem Weg zur Selbstverwirklichung sich huma-nistisch vervollkommnende Indivi-duum im Gegenüber zu aller bürger-lichen und liberalistischen Politik vor und gab uns u.a. folgendes Hamvas-Zitat mit auf den weiteren Weg des Nachdenkens:

„Die Heiterkeit ist eine unzerstör-bare Leere. …] Wahrhaftig bin ich nur, wenn ich heiter bin. …] Was

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bedeutet denn, wahrhaftig zu sein? Auf eine effektive Weise existieren. Worte einlösen. Alltägliche Pflichten erfüllen. Forderungen der Stunde anerkennen und einhalten. Neue und große Maßstäbe. Wer kann sich in welchem Maß verändern, verwirk-lichen? Nicht im Allgemeinen. Tat-sächlich, Stunde für Stunde, nicht in der Vorstellung, sondern konkret, hier, jetzt und heute.“

Und ganz gleich, ob wir hier Anklänge von oder Parallelen zu (zen-) buddhistischem Gedankengut vermuten, Wahrhaftigkeit wird als im Hier und Heute ergriffene und gelebte existentielle Veränderung und Verwirklichung von Individuen gesehen. Keinesfalls in einem meta-physischen oder moralischen, ja wohl nicht einmal in einem konzeptionel-len ethischen Sinn; eher in einem (heiteren und ästhetischen) „Spiel“ der situativen „Pflichterfüllung“.

Roger Lipsey, Schriftsteller und Kunsthistoriker aus New York, blieb da, trotz aller Empathie für die „Postmoderne“, näher am „aufgeklär-ten Humanismus“, Ausflüge in die Metaphysik eingeschlossen, als er sich mit Vaclav Havel, dem Schü-ler u.a. von Husserl und Heidegger, auseinandersetzte.

Lipsey betonte, dass Havel stets Liebe gegen den Tod und Offen-heit gegen Gewalt und gewalttä-tige Strukturen zu setzen versucht habe. Politiker „werden wieder zu Menschen“ mit einem Gespür für Heiliges und ein „moralisches Mini-mum“. Und so kann, besonders auf dem Gebiet der Kultur, im Lokalen Globale Bedeutung entstehen.

Immer geht es Havel (so auch in der und in Folge der Charta 77) um die menschliche Würde.

Meines Erachtens ist es hier wich-tig festzuhalten, dass Lipsey einen

sehr individuell geprägten Begriff von „postmodern“ einbringt, in dem durchaus Platz für „eine Metaphysik der Werte und der Würde“ ist.

Doch sollten wir die Gefahr nicht übersehen, die die bürgerliche Selbst-Verabsolutierung, der „Fundamen-talismus der Moderne“, und mit ihr der Anthro- und Andropozentrismus, immer auch noch in diesen individu-alistisch humanistischen Versuchen bedeutet. Es ist aber gerade „das Des-truiere“, das für eine überindividuelle und intersubjektive „Rekonstruktion von Erdpolitik“ den Weg bereitet.

Europapolitik in Zeiten zunehmender Globalisierung

Gut war es da auch, dass And-reas Gross, Schweizer Politiker und Europapolitiker, uns an die Notwen-digkeit eben einer solchen „Re(kon)struktion“ erinnerte. Und sei es im noch so Vorläufigen, bleibt ja die Not-wendigkeit (in „verantworteter Vor-läufigkeit“) zu handeln.

In einem deutlichen Plädoyer für „Direkte Demokratie“ beschrieb Gross Deutschland und Österreich als „Patienten in derselben Abtei-lung“: beide Länder können – anders als die von Frankreich inspirierte Schweiz - nicht auf eine bürgerli-che Revolution zurückblicken und sind bei der Parteiendemokratie stehengeblieben.

Gross setzt dabei, anders als viele andere Referent_innen der Tagung noch deutlich auf die Bür-gergesellschaft, begreift aber Direkte Demokratie als einen Ver-such, dem Gemeinsamen eine (poli-tische) Gestalt zu geben. Das bedeu-tet für den Einzelnen aber auch, eine in seinen Augen falsche Mehr-heitsentscheidung hinzunehmen. Besonders in der französischen Menschenrechtstradition bedarf es deshalb und zur Einklagbarkeit

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der Individualrechte gleichermaßen inter-nationaler rechtlicher Instru-mentarien (Konventionen, Gerichts-höfe etc).

Ähnlich forderte dann auch Bene-dikt Widmeier, Direktor der (katho-lischen) Akademie für politische und soziale Bildung „Haus am Maiberg“ in Heppenheim aus bildungstheore-tischer und bildungspolitischer Sicht, Politik nicht gegen Demokratie aus-zuspielen und warnte vor den mögli-chen Folgen einer mit antipolitischen Idealen einhergehenden Entpolitisie-rung einzelner Politikfelder und der Politischen Bildung.

Freiheit als ästhetische und antipolitische Kategorie*Freiheit als antipolitische Kategorie

„Erdpolitik“ ist eine Idee, die anfänglich im Medium der Kunst und Aktion durch Joseph Beuys in den Diskurs über Kosmo- und Antipoli-tik gelangte. Als 1967 die Deutsche Studentenpartei (DSP) aus öffentli-chen Gesprächsrunden in der Kunst-akademie Düsseldorf mit Joseph Beuys entstand, war ihr wesentli-ches Anliegen, Menschen auf (geis-tige und ästhetische) Mündigkeit hin zu öffnen/zu erziehen. Die Hal-tung, in der sie wurzelte, kann als „anti-materialistisch“ und „anti-politisch“, jedoch nicht als „anar-chisch“ beschrieben werden. Die DSP erklärte das traditionelle politische Spektrum für überholt, hielt jedoch am Grundgesetz in einer von Bürger-lichem Ballast gereinigten Form fest. Beuys erwog längere Zeit, parallel hierzu die Gründung einer Tierpartei: die Idee von Tieren als Rechtssubjek-ten wurde so erstmalig einem weite-ren (bürgerlichen) Publikum bekannt. Doch waren es andererseits gerade die Bürger, die in ihrem Subjekti-vismus und Individualismus einer Erdpolitik den Weg versperrten, die Ernst mit der „Subjektivität alles

Seienden“ auch nur ansatzweise hätte machen können.

Die als „AntiPartei“ gegründeten „Grünen“ haben heute zunehmend mit dieser anthropozentrischen und „fundamental-modernen“ bürgerli-chen Grundhaltung zu tun:

* ein Parteiensystem ist immer ein Mehrheitssystem.

* Kosmopolitik ist immer Politik.

* auch Weltbürger sind und blei-ben Bürger.

Franz Schandl, Herausgeber der Zeitschrift „Streifzüge“, hingegen plädierte überzeugend dafür, Politik als gesellschaftliches Formprinzip zu historisieren und besser von „Politi-ken“ zu sprechen. Politik als „Fort-schreibung des Kriegs mit anderen Mitteln“ habe es nicht immer und werde es nicht immer geben. Denn in ihr gebe es keine freien Indivi-duen, nur formalisierte Subjekte. So sei selbst der „Marsch durch die Institutionen“ letztlich immer ein „Marsch der Institutionen durch die Menschen“. Die in den diversen Talkshows deutlich werdende Ver-fallsphase – in der wir zu Kunden des politischen Alltags und politischer Formen werden – zeigt Politik deut-lich als einseitige Interessenwahr-nehmung einer bürgerlich kapitalis-tischen Gesellschaft. Gerade durch diese Politik verlieren Menschen ihre Freiheit; Politik „befreit“ stattdessen von Engagement, Initiative, Refle-xion und Selbstermächtigung.

„Keine Politik ist möglich!“ – so Schandl, der mit diesem „Nein zur Politik“ nicht den Zusammenbruch sondern den Aufbruch beschwört. Ihm geht es – in meinen Worten - um ein „konstruktives Destruieren der Destruktion“. Die Kehrseite des Nein sei dann ein Ja zu Lust und Leben, Freundschaft und Liebe.

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*Freiheit als ästhetische Kategorie

Etwa in die Zeit der DSP fällt auch Entstehung und Blüte von Fluxus, einer Avantgarde Kunst-richtung (vertreten und wesentlich geprägt etwa durch George Maciunas sowie Bazon Brock, John Cage, Ali-son Knowles, Yoko Ono, Robin Page, Tomas Schmit, Ben Vautier, Robert Filliou, Joseph Beuys und Char-lotte Moorman). Nach dem Dadais-mus wagte und provozierte nun Flu-xus einen elementaren Angriff auf das „Kunstwerk als bürgerlichen Fetisch“. Was zählte, war die schöp-ferische Idee.

Fluxus war gleichzeitig eine Form der Aktionskunst, gegen elitäre Hochkunst gerichtet und im Ver-such, neue kollektive Lebensformen zu schaffen. Und Christoph Schlin-gensief schuf in den letzten Jahren seines Lebens, unter anderem mit seinem Fluxus-Oratorium „Eine Kirche“ der Angst vor dem Frem-den in mir mehrere Fluxus-Werke mit internationaler Anerkennung. Hier verschmilzt teilweise Kunst mit dem Leben und setzt in einigen Aus-prägungen dieser Richtung spiritu-elle Offenheit des Publikums voraus. (Vielleicht dürfen wir auch eine letzte und die öffentliche Karriere beendende Aktion von François-René Duchâble in der Fluxus-Tradi-tion sehen: Am 25. Juli 2003 nahm er Abschied von einem eher bürger-lichen Publikum: Mit Hilfe eines Hubschraubers ließ er einen Flügel in den Colmiane-Bergesee versenken und erklärte, von nun an nur noch für Menschen am Rande der Gesell-schaft spielen zu wollen. In Inter-views äußerte er sich kritisch über gesellschaftlich fetischisierte Werte wie Erfolg, Berühmtheit und Geld und betonte demgegenüber die Qua-lität des Privatlebens, Beziehungen, Ehrlichkeit und Wahrheit. Damit wendete er sich auch und explizit gegen die bestehende gesellschaft-liche Hierarchie, in der 98 Prozent

der Bevölkerung von der klassischen Musik ausgeschlossen seien.)

Wolfgang Zumdick jedenfalls, Philosoph, Schriftsteller und Dozent am Social Sculpture Research Unit der Oxford Brookes University plä-dierte im Gefolge für eine neue „Schönheit demokratischer Dis-kurse“, in denen mit Zuhören begon-nen werde, jeder Mensch ein Kosmos für sich. In einem Paradigmenwan-del müsse Verständigung ohne die in der Politik typische rhetorische Figur des Kampfes möglich werden: Politik dann als Gestaltung aller für alle, als „MikroPolitik“.

*Freiheit als Erzählung und Sein

Um Albert Hirschmann ging es in Tilman Evers Beitrag. Der Poli-tologe und freie Dozent aus Kassel, der auch Mitglied im Vorstand des Forums Ziviler Friedensdienst ist, stellte dessen „Odyssee durch das 20. Jahrhundert“ unter die Überschrift „Überschreiten und Unterwandern“. Frühe konzeptionelle Überlegun-gen zu einer Zivilgesellschaft wer-den deutlich. Hirschmann, der ohne Schüler blieb, ein Wanderer zwischen den (sprachlichen und disziplinären) Welten, Ländern und „Identitäten“, verfolgte doch Zeit seines Lebens die „Possibilität“ eines moralischen Humanismus, verbunden mit einer reformorientierten, aber keinesfalls neoliberalen Marktökonomie. Neben der Arbeit als Flüchtlingshelfer, dem Tun in der Résistance, den forschen-den und lehrenden Aufgaben, wird er nicht müde, eine „andere Art der Politik“ zu fordern und begründet fast „nebenbei“ doch eine Schule (deren berühmtester Schüler bisher wohl der Nobelpreisträger A. Sen ist). Statt eine rückblickende Kausalität fordert Hirschmann eine „zukunfts-gerichtete narrative Hermeneutik“ … „ein Häretiker in konstruktiver Absicht“, wie ihn Tilman Evers am Ende seines Beitrags nannte.

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Von „Determinismus und Verding-lichung als Zwillingspfeilern einer amoralischen Gesellschaft“ handelte der Vortrag von Gerald Guten-schwager aus Detroit, Prof. emeri-tus, School of Archeology, Washing-ton, University St. Louis, Missouri, Mitglied der World Academy of Art and Science.

Gutenschwager forderte, ganz neu und bewusst einen moralischen Standpunkt in dieser Debatte zu beziehen. Ebenso – sich dabei auf Husserl stützend - die Philosophie und die Kunst als Gesprächspart-ner positiver Wissenschaften wie-der salonfähig zu machen. Von der griechischen Philosophie gelte es erneut, den Menschen und nicht das Geld als Maß aller Dinge anzuneh-men, die bestehenden und notwen-digen Interdependenzen wahrzuneh-men und ihnen Rechnung zu tragen. Auf Rousseaus Gesellschaftsvertrag rekurrierend definierte Gutenschwa-ger weitergehend dann „Moral als emotionalen Instinkt in Menschen und Tieren“. Den organisierten Religionen spricht er aufgrund feh-lenden dialektischen Denkens ihre Bedeutung in der Etablierung eines moralischen Systems zunehmend ab. Machtverliebt werden sie viel eher zum Hindernis für Wissenschaft, Philosophie und Kunst.

Ob man allerdings die kollektive Ebene wirklich nur über die individu-elle erreichen und formen kann, und ob eine Freiheit des Willens in dieser Weise jedem biologischen Determi-nismus entgegenzusetzen ist, hätte ich gern länger diskutiert. Auch, wie es möglich ist, sich gemeinsam mit Epikur der Angst vor dem Tod durch Denken und Willen zu entledigen.

Anti-Politik – oder die Bodenlo-sigkeit der Philosophie. Vom Trau-ern der Dinge und von der Schönheit ihres GegenLaufs.

Schließen möchte ich mit einer These, besser Frage, die sich an die

beiden letzten Beiträge auf dieser Tagung anschließt – bzw. sich in diese „einzuschleichen versucht“.

Der Schriftsteller Lou Marin aus Marseille handelte von Albert Camus auf dem Weg vom Demokraten in der Résistance über das Weltbürgertum zum Anarchismus. Ganz außeruni-versitär und aus rein aktivistischem Interesse ist seine Beschäftigung mit Camus‘ „Mensch in der Revolte“ gespeist. Um den „Nein“ sagenden Menschen geht es Camus, der durch-aus selber in anarchistischen Zeit-schriften publizierte.

Marin stellte der „institutionali-sierten Revolution“ von Militärregi-men die Weltbürgerbewegung (Gary Davis) und deren, auch von Camus und Breton sowie Einstein geteilte, Forderung nach einem individuell gewählten Weltparlament entgegen. Die spätere Abwendung Camus‘ von der Weltbürgerbewegung und Hin-wendung zum Anarchismus erklärte der Referent mit einer nach Kriegs-ende und Befreiung wachsenden Skepsis gegenüber der parlamentari-schen Demokratie (der bürgerlichen Demokratie?). Ein „Verfassungspat-riotismus“ jedenfalls wurde von der Wirklichkeit Stück für Stück konter-kariert. Für Camus gilt nun als ein-zige Möglichkeit, eine noch größere Katastrophe zu verhindern, so viele Leben zu retten, wie man kann.

Bernd Guggenberger, Bilden-der Künstler, Schriftsteller und Rek-tor der Lessinghochschule Berlin, beschäftigte sich mit Emile Cioran und seiner kulturpessimistischen Lehre vom Zerfall. Susan Sonntag, so Guggenberger, nennt ihn den „Nietzsche unserer Tage“. Cioran selber hingegen habe Nietzsche für naiv gehalten. Von Heidegger und Schopenhauer kommend (wie auch Hamvas also „buddhistisch affiziert“ ergänze ich einfach), scheint in Cio-rans extremem Pessimismus kein Argument für das Leben zu exis-tieren. Eine „aristokratische Natur“

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erhält der Mensch nur durch Ver-zicht auf letzte Sinngebung; indem er „Gott verabschiedet“, gewinnt er die „göttliche Heiterkeit“ und Frei-heit „paradoxal“ zurück. Im Gegen-satz zu einem „Sinn der Geschichte“, wie ihn etwa Hegel lehrt, gilt es, zu bejahen was ist: Gut und Böse.

Wie andere große Dichter und Denker wurde Cioran so anfällig für eine Inanspruchnahme extrem rech-ten und linken Gedankenguts.

Auch bei ihm ist ein fließender Übergang vom Leben zum Kunst-werk auszumachen – mit Tendenz zu einer, wie ich hier formulieren will „bodenlosen Philosophie“. 1911 in Sibiu als Sohn eines orthodoxen Priesters und einer lebhaften Mut-ter geboren, will er sich später erin-nern, dass, fünfjährig, „das Nichts in ihm selber lag“. Cioran studiert in Bucarest Philosophie, geht dann mit einem Stipendium nach Paris, wo er von 1940 bis 1944 im Quartier Latin in großer Einsamkeit „von Wun-dern“ lebt. Eine Promotion bleibt unvollendet.

Später übersetzt Cioran Paul Celan ins Deutsche. Und nimmt, zusammen mit ihm, gewisserma-ßen, so wieder Guggenberger, „das Programm der Destruktion“ vorweg.

Ich schließlich möchte einer Ahnung folgen, die eine Frage stellt, die andere gerne zu einer These machen könnten: geht es hier um eine Dekonstruktion ganz eigener und „dialektischer“ Art in der Weise, dass eine den menschlichen Verstand schier ver-rückende Sehnsucht „via negativa“ (die Gut und Böse, mehr noch als beides einfach zu beja-hen, am liebsten „heiligen“ würde) dann und doch nur so ausgedrückt werden darf?

Da wir nicht mehr im Sein zuhause sein dürfen, ist Leben doch immer Werden auf den Tod hin (und Cio-ran hat intensiv über Selbsttötung

nachgedacht). Und steckt in dieser bodenlosen Melancholie nicht sehr viel mehr Schönheit als in manch ide-alistisch-bürgerlichem Entwurf? Die Rede soll hier sein von einer „Schön-heit des GegenLaufs“, die Ausdruck einer großen Sehnsucht nach Form-losigkeit sei, weil alle Form so schal ist – letzteres wieder Guggenberger über Cioran.

Mich jedenfalls hat der Buddhis-mus gelehrt, dass niemand die Leere als letzte „wahre Wirklichkeit“ fürch-ten muss, dass aus ihr heraus viel-mehr wirklich alles so sein darf wie es ist. Die Rede ist hier von einer „ungeheuer ethischen AntiMoral“.

Mir jedenfalls will es nicht gelin-gen, diese „AntiPolitik“, die doch auch eine heilsame Relativierung unseres modern überhöhten Indivi-dualismus und Humanismus bedeu-tet, nihilistisch zu nennen.

Sybille C. Fritsch-Oppermann ist Reli-gions- und Kulturwissenschaftlerin, Schriftstellerin, Pfarrerin.

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Beginnen wir mit der Vorstellung: Würden Sie es akzeptieren, wenn jemand sagte: „Ich bin ein Erden-kind, das am liebsten über die Hardangervidda wan-dert?“ Oder, wenn einer verkündete: „Ich bin ein Weltbürger, weil mir die ganze Welt anliegt und nicht nur ein zufälliger Teil“. Oder wenn Sie hören, dass einer ein Europäer sei, nicht weil er einer Nation in Europa, sondern Europa angehört?

Solange wir uns auf akademi-schem Boden befinden, können wir so weiterspielen, sobald uns aber die Polizei auf der Straße nach unse-rer Identität fragt, brauchen wir einen Reispass eines Nationalstaa-tes, sonst landet man im Gefängnis, wo man gewiss noch einmal genauer nachdenken würde, wer man denn nun wirklich ist. Wie die Dinge heute liegen, ist man entweder Bürger / Bürgerin eines Nationalstaates oder man ist kein Bürger / keine Bürge-rin. Es gibt keine Autorität jenseits der Staates, die Menschen mit dem Status der Bürgerschaft austatten könnte. Es ist nur der Nationalstaat, der uns Menschen zu Bürgern macht, indem er uns in eine (gute) Verfas-sung bringt.

Dag Hammarskjöld war kein Geo-graph von Beruf, aber was er tat, könnte man als eine verfeinerte geo-graphische Praxis sehen, die auf eine Weltsicht zulief, die genau mit den Dingen gebildet wird, die der Nor-dische Geographentag in den Mit-telpunkt gerückt hat: Natur, Kunst und Politik. Hammarskjöld hatte einen anderen Zugang zur Idee der

Natur, als wir dies heute haben. Das unsägliche Nachhaltigkeitsgerede, das seit Jahrzehnten dahingeht, hat die Natur zu einer bewirtschaftbaren Ressource gemacht. Das wäre gewiss nicht Hammarskjölds Sache gewe-sen. Für ihn war die arktische Som-mernacht ein Sakrament, und eine Landschaft bereitete ihm den Boden in der Seele, wo sich die Schönheit des Ganzen entfalten konnte. An Carl von Linné, dem schwedischen Naturforscher, erkannte er ein „dras-tisches Vorstellungsvermögen“ und ein fast unfassbares Verständnis von Strukturen und Prozessen, Dinge, die Hammarskjöld für die interna-tionale Arbeit als wichtig empfand. Weniger wichtig war ihm die einge-schränkte Auffassung von Politik als Schaulaufen von Parteien. Als er ein-mal gefragt wurde, ob er überhaupt ein politischer Mensch sei, meinte er nur, er wolle aktiv sein, wo es dar-auf ankommt. Er war nie Mitglied einer Partei, darauf also kam es ihm nicht an. Er war als Diplomat in sei-ner Wortwahl vorsichtig, doch war er in dieser Frage Simone Weil vermut-lich sehr nahe, die schon 1942 eine völlige Abschaffung von politischen

Zurück zur kosmographie?übErlEgungEn Zu gEograPhischEn VorstEllungEn in WEltbürgErlichEr gEsinnung

von Hans Göttel

Gekürzte Fassung eines Beitrages zum Nordischen Geographentag über „Geographical Imagination - Interpre-tations of Nature, Art and Politics“ 15.-19. Juni 2015 in Tallinn und Tartu, Est-land.

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Parteien forderte. Und was die Kunst anging, so war Hammarskjöld nicht an ihrer behübschenden Wirkung interessiert. Einer Seelenfreundin, der englischen Künstlerin Barbara Hepworth schrieb er im Dank für ein Geschenk, das sie ihm bereitete: „In modern international politics…we have to approach our task in the spirit which animates the modern artist. Modern art teaches us to see by forcing us to use our senses, our intellect and our sensibility … it makes us seers, seers – and explo-rers – these we must be if we are to prevail”1 – während Barbara Hep-worth, die ihre Geistesverwandt-schaft zu ihm spürte, meinte, dass sie ästhetisch schafft, was Dag Ham-marskjöld ethisch tut.2

Sehen und entdecken? Ist das nicht das ureigene Gelände der Geo-graphie (gewesen)? Der Geist, der die moderne Kunst beflügelt, scheint dar-aus entschwunden, was nicht wirk-lich verwunderlich ist, hat die Geo-graphie ihren Namen doch gefunden, indem sie ihren alten Namen „Kos-mographie“ früh, vielleicht zu früh, abgelegt hat. Kosmographie ist die Wissenschaft von der Beschreibung der Erde und des Weltalls, sie spricht von einem All der Dinge oder All der Welt. Die Kosmografie lotete das Verhältnis des Menschen zu seiner Welt aus, die freilich aus irdischen wie überirdischen Sphären bestand. Von dort zu Vermessung, Kartogra-fie, Geodäsie, Geographie - das ist die Geschichte einer Ent-Geisterung.

Wir haben gelernt zu sehen, wie ein Staat. Das Ausmalen des Gan-zen wurde zu einem Einzeichnen von Grenzen. Überirdisches und Inniges gingen sowieso verloren. Was blieb war ein Erdenrest, eine Geographie

1 Lore Kugele, Dag Hammarskjöld: Redlich vor Gott. Eine Biografie (1. Aufl., Stuttgart: Urach-haus, 2014), 34–5.2 Lena Lid Falkman, Ledarskapande retorik: Dag Hammarskjöld och FN:s övriga generalsekreterare som scen för karisma, dygder och ledarideal (Stock-holm: Economic Research Institute, Stockholm School of Economics (EFI), 2009), 259.

als Verlustanzeige. Nur wenige bestanden darauf, nicht wie ein Staat sehen zu wollen. Einer davon war Garry Davis. Er gab seinen ame-rikanischen Pass zurück und grün-dete die Weltbürgerbewegung, zu der auch Albert Einstein, Albert Camus und Albert Schweitzer gehörten, eine Bewegung, die auch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte in der UNO im Jahr 1948 durchsetzte. Davis wurde dafür berühmt, als er vor ein paar Jahren starb, widmete ihm die New York Times ihre Titel-seite; aber zu Lebzeiten galt als ver-rückt und verbrachte auch gewisse Zeiten im Gefängnis. Weltbürger-schaft war für ihn, wie für Diogenes von Sinope, dem ersten Weltbürger, eine Art von Antipolitik: der bürger-liche Interessensverband einer Polis interessierte sie nicht, ihre Zugehö-rigkeit galt einem Ganzen von Irdi-schem und Überirdischem, einem Kosmos. (Eine Studiengruppe des Europahauses verbrachte 2010 einen ganzen Tag mit Garry Davis in New York und konnte sich dabei überzeu-gen, dass es sich bei ihm um keinen Verrückten, sondern um einen sehr witzigen und klugen Mann handelte.)

Nicht nur die Geographie, auch die Politik hat sich verändert. Bli-cken wir zurück in die Geburtsstunde des nordischen Parlamentarismus: Damals, vor tausend Jahren haben es isländische Bauern verstanden, das All der Dinge an einen Ort und in eine Form zu bringen. Wie schon das Wort Allthing zeigt, ging es im ersten Parlament der Welt nicht um eine Versammlung von Menschen, schon gar nicht um Verhandlungen von Interessensvertretern, sondern um die Versammlung der Dinge. Die Menschen, die da zusammenkamen, waren nur ihre Sachwalter. Politik war somit nicht, wie heute, Interes-senspolitik, sondern Dingpolitik. Ein Ding ist etwas, das in die Gemein-schaft gehört, im Unterschied zu einem beliebigen Objekt, das zwar irgendwo zugegen, aber irrelevant ist. Dinge des gemeinschaftlichen

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Lebens sehen heute unter den Bedingungen der Globalisierung natürlich anders aus als im bäuer-lichen Leben Islands vor tausend Jahren, aber damals wie heute han-delt es sich dabei, einer Definition von Bruno Latour folgend, um „strit-tige Fragen“.3

Was könnten denn im Hinblick auf eine kosmopolitische Welt Dinge sein, also strittige Fragen, die wir in die Gemeinschaft aufnehmen und zum Gegenstand eines gemeinsa-men Gesprächs machen sollten? Für heuer kommt eine Idee von der UNO. Sie hat dieses Jahr zum Internatio-nal Year of the Soils gemacht; eine andere Idee kommt von der Europä-ischen Union, sie hat für 2015 das Europäische Jahr der Entwicklung ausgerufen. Beide Vorgaben erschei-nen sofort plausibel, was könnte da strittig sein? Jeder wird verstehen, dass angesichts der sich ausbreiten-den Desertification und dem um sich greifenden land grabbing ein beson-deres Augenmerk auf den Boden gelegt werden muss.

Was geographisch betrachtet schlicht Desertification ist, ist kos-mographisch betrachtet weit mehr. So kann man hören, dass wir in der globalen Modernisierung den Boden unter den Füßen verlieren, eine all-gemeine Bodenlosigkeit um sich greift und mit der globalen Verwüs-tung der Böden, der Desertification, eine „monoculture of the mind“4 ein-hergeht. Wenn Bodenlosigkeit und das Schwinden der Zuverlässigkeit gewissermaßen zu einer Signatur unserer Zeit geworden sind, so kön-nen wir schlecht auf Weisheiten und Praktiken verzichten, die uns die Grundlagen unseres Denkens für

3 Bruno Latour and Peter Weibel, Making things public: Atmospheres of democracy ; [exhibition at ZKM, Center for Art and Media Karlsruhe 20.03. - 03.10.2005] (Cambridge, Mass. [u.a.]: MIT Press [u.a.], 2005)4 Vandana Shiva: Earth Democracy: Justice, Sus-tainability, and Peace. South End Press, 2005, ISBN 0-89608-745-X. (dt.: Erd-Demokratie - Alter-nativen zur neoliberalen Globalisierung. Rotpunkt-verlag, Zürch 2006, ISBN 3-85869-327-8.)

das Verweilen auf der Erde spürbar werden lassen. Schließlich gehören Humus und Humanität, Humor und Humilität zur selben Wortfamilie, die Kultivierung des Bodens und die Kul-tivierung des Geistes sind „wesens-gleiche“ Tätigkeiten.5 Auf der ande-ren Seite – und spätestens jetzt wird es strittig - gelten Bodenständigkeit, Ethnizität, Heimatverbundenheit uäm. als vormodern, unschicklich bis hin zu fundamentalistisch, und wir finden das wenig attraktiv. Wir bekämpfen sie, die Fundamentalis-ten, genauso wie die Bodenlosen, die Vertriebenen, die an unseren Küsten stranden, wenn sie Glück haben und nicht vorher umkommen. Die Vor-stellung von einem gemeinsamen Wirtschafts- und Politikraum vom Nordkap bis zum Kap der guten Hoff-nung mit einem geordneten Fähr-verkehr zwischen Nordafrika und Europa, so wie zwischen Estland und Finnland, ist wohl allzu visio-när? Jedenfalls eine richtig strittige Frage. Was für ein Ding!

Betrachten wir den ersten Welt-bürger der Geschichte, Diogenes von Sinope, genauer, stehen wir gleich vor einer großen Schwierigkeit. Mit seiner Aussage „Ich bin ein Bürger der Welt“ tat Diogenes nicht weniger, als eine ihm angemutete Zuordnung zu einer Polis schlichtweg zu verwei-gern. Damit aber nahm er sich völlig aus dem Spiel von Zugehörigkeiten zu irgendwelchen Teilen und somit aus dem damaligen Rahmen des Poli-tischen. Ausserhalb der Polis gab es damals keine Bürgerschaft, so wenig wie heute ausserhalb des Staates.

Für eine kosmopolitische Welt zu arbeiten, heißt eine andere Weltsicht zu entwickeln und andere Identitä-ten zu stiften, als dies aus einem poli-tischen Interessensverband heraus geschehen kann. Bei Kant geht es über die Ideen von Natur, Naturrecht und – mit viel Geographie. Gerade

5 Hildegard Kurt: Konzeptpapier zum Seminar „Von ganz unten“, durchgeführt im Europahaus Burgenland im Juni 2012.

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seine Geographie aber führt uns auf ein schlüpfriges Gelände, auf dem sich heute niemand mehr wohl füh-len kann. Mit Kant haben wir einen Visionär des Kosmopolitischen und einen Geographen des Peinlichen. Kants geographische Aussagen wir-ken heute furchtbar peinlich, als ob er sich rassistische Vorurteile und abwertende Stellungnahmen zu exo-tischen Völkern erlaubt hätte, was zu seiner Reputation als Philosoph so gar nicht passt. Doch Vorsicht: Kant hat auch den Umgang mit den Indi-anern in Nordamerika als unrecht-mäßig beschrieben und kolonialisti-sche Aggression allgemein verurteilt. Erlauben wir uns, bevor wir vor-schnell urteilen, zunächst die Frage, woher dann die peinlichen Äußerun-gen eigentlich kommen? Kommen sie von Kant (seiner Dummheit oder sei-nen Vorurteilen) oder kommen sie von der - Geographie, also aus einer bestimmten Art verfehlender Welt-begegnung und Weltauffassung?

Kant hatte sich von Königsberg nicht weiter als 170 km entfernt, er verließ sich, was die große, weite Welt anging, auf Reiseberichte, nahm diese aber genau wahr und erhielt so ein Bild von der Welt, das die Details in einer Weise beschrieb, wie wir es heute nicht mehr tun würden. Für Kant aber blieb die Welt immer mehr und Anderes als die Summe dieser Teile, ja er integrierte diese Teile ohne Weiteres in seine weltbürger-liche Vision. Seine geographischen Beschreibungen waren quasi ein Blick auf die Welt durch ein Mik-roskop, das Ausschnitte zeigte, die Kant aber nicht, wie in der Natur-wissenschaft üblich, irgendwie ins Allgemeine extrapolierte, sondern er integrierte sie in ein Allgemeines, das nicht aus dem Anschauen die-ser Teile, sondern aus der Anschau-ung eines ideellen Ganzen geformt wurde. Trotz aller schrecklichen und peinlichen Detailinfos, die er von den Geographen erhielt und wei-tergab, blieb die Welt für ihn ganz – und er ging aufs Ganze. Kants

geographische Beschreibungen, die wir heute unglaublich finden, bilden eine Grundlage seiner kosmopoliti-schen Philosophie, die aber nicht von dieser Grundlage her, sondern von einer Vision bestimmt wird.

Vielleicht ist es nichts anderes als ein billiger Trick, zu sagen, irgend-wann und irgendwie wird es trotz all der Faulpelze und Dummköpfe, die auf dieser Welt herumlaufen, schon klappen. Aber stellen wir uns ein-mal vor, wir stehen in der Ankunfts-halle eines Flughafens und schauen uns all die Typen an, die da heraus-kommen: geschniegelte Manager, braungebrannte Senioren, sport-liche Angeber, Unsympatler aller Art und wir fragen uns: das sind die Leute, mit denen ich Zivilgesellschaft machen soll? Sind wir da nicht auch auf einen idealistischen Vorgriff, ja auf den Glauben angewiesen, dass wir doch genug Gemeinsames und Zukunftsfähiges haben, um nicht gleich aufzugeben?

Von kosmopolitischer Seite geht es darum, die Geographie neu mit ihren eigenen Quellen zu verbinden; von geographischer Seite geht es darum, die Idee der Weltbürgerschaft auf die Erde zu bringen.6 So könnte die Geo-graphie eine Agentur für Weltbürger-schaft werden, was sie als Kosmo-graphie schon einmal war. Wer sonst könnte es besser, als diejenigen, die wissen, wie man Karten zeichnet und Geschichten erzählt? Die Kar-ten sind die Sprache der Geographie. Eine Karte ist beides, ein Bild und eine Geschichte.

Werfen wir also einen Blick auf das Zeichnen einer Karte als sozi-alen und künstlerischen Prozess. Die große, doch fragwürdige Leis-tung dieses Prozesses in den letzten beiden Jarhunderten ist immerhin das Hervorbringen einer allgemei-nen Welt-Perspektive gewesen, die

6 D. Harvey, ‘Cosmopolitanism and the Bana-lity of Geographical Evils’, Public Culture, 12/2 (2000), 529–64

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das Regieren durch Staaten nicht nur als notwendig, son-dern auch als unver-meidlich erscheinen lässt. Wir haben, wie gesagt, gelernt, zu sehen, wie ein Staat. Denis Wood hat überzeugend argumentiert, dass Karten im Dienst des Staates arbei-ten, um einen „Sozi-alen Raum“ her-vorzubringen, der einerseits den Staat konstituiert und durch diesen garan-tiert wird.7 Karten

machen das nicht, indem sie eine Wirklichkeit abbilden, vielmehr ver-schlüsseln (kodieren) sie die Wahr-nehmung eines Raumes, in dem eine Wirklichkeit zum Vorschein kommt. Damit vermitteln sie der Komplexi-tät des täglichen Lebens eine Sinn-dimension, was in der Folge das Verhalten formt. Zum Zeichnen von Karten gehört nicht nur das Erkun-den, Finden und Darstellen, sondern auch und insbesondere das Fingie-ren, das auf das lateinisch „fingere“ zurückgeht und so viel wie kneten, formen, bilden, ersinnen, erdichten, gestalten bedeuten kann. Auch das Wort „fiction“ kommt daher. Sagen wir, dass eine Idee durch den Prozess des Zeichnens einer Karte gestaltet werden kann! Weil es Dinge gibt, die eher durch den Prozess der Darstel-lung sichtbar werden können, als durch direkte Erfahrung?

Der Prozess des Zeichnens einer Karte braucht das Abstecken eines Feldes, die Auswahl von Dingen und einen geeigneten Plot. Das Design des Feldes ist die vielleicht kreativste Tätigkeit, weil dadurch zunächst das System der Organisation fest-gelegt wird, in dem sich die Dinge

7 Denis Wood, John Fels, John Krygier, Rethin-king the power of maps. The Guilford Press, New York and London (2010)

dann abspielen. Hier wird das Aus-gewählte später neu organisiert. Die ausgewählten Dinge, Extrakte, wer-den im Lichte des gegebenen Mili-eus angeschaut und in das Feld ein-gepflanzt. Sie sind Ergebnis einer Selektion, isoliert und herausgezo-gen aus ursprünglicher Verfilzung mit andern Dingen, quasi ent-terri-torialisiert. Im Plot schließlich wird ausgemalt, was darzustellen ist. Zu den beliebtesten Plots hat immer schon der Weltuntergang gehört, so auch heute in der Apokalypse, die dem Klimawandel angeblich folgen wird. Doch nicht alles, was der Ato-mindustrie nützt, ist schon deswegen eine gute Story.

Die Internationale Gemeinschaft, wie sie Dag Hammarskjöld zu bilden anstrebte, ist vielleicht weniger auf-regend, aber die bessere Geschichte. Wenn wir ihn hier als Künstler beim Zeichen einer Karte betrachten, so sehen wir, dass er sehr großen Wert darauf legte, die UNO als sein Feld gut abzustecken. Die Charta der Vereinten Nationen war seine Ver-fassung, das Haus, wie er die UNO nannte, sein System, das er gleich nach seinem Amtsantritt für sich zurechtzimmerte. Eines seiner wich-tigsten Extrakte, die er von zu Hause und aus seiner Familiengeschichte mitnahm, war die Figur des pflicht- und wertbewussten Beamten, den er nun aber in sein neues Feld, das der Internationalen Gemeinschaft, neu einpflanzte. Der Internatio-nale Beamte, herausgelöst aus dem Nations- und Staatskörper, wird neu eingebettet, um nunmehr den Inter-nationalen Gemeinschaften zu die-nen; oder, die Friedenstruppen, die er ebenso umpflanzte und dadurch die herkömmliche soldatische Pflicht, das eigene Land zu verteidigen, in einen Dienst für die Menschheit verwandelte. Hammarskjöld zer-trümmert nichts, er hinterlässt keine unbrauchbaren Fragmente, er belässt allen Teilen ihre Würde, kontextualisiert sie aber neu, setzt

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sie neu in Wert, transformiert sie in einem neuen Geist.

Für das Abstecken seines kosmo-graphischen Feldes wählt er einen besonderen Weg, indem er sich als Person auf den Weg macht. Sein Tagebuch „Zeichen am Weg“ gibt uns Auskunft über sein Suchen und Sehen und das Festhalten aller Punkte, die unverlierbar sein soll-ten. Seine Haltung und seine Manö-ver zwischen Himmel und Erde kann man als die kosmographische Kunst des wayfindings bezeichnen, durch die der Künstler als Person einbezo-gen wird und Erfahrungen macht. Das Ergebnis, die gezeichnete Karte, Bild und Erzählung zugleich, ihr Text, gibt Auskuft über ihre Fähig-keit, Dialoge zu provozieren und einzuzeichnen. Der Dialog, von grie-chisch: diá logos (durch das Den-ken) wird ein „via logos“, ein Weg des Denkens.

Wege sind, wie Kometen, Kinder des Kosmos, verstoßen aber gegen das, was man das kosmische Prin-zip nennen könnte. Sie sind Abweich-ler vom Kosmos geordneter Bahnen, schräge Phänomene, sie wirken befreit von Bewegungsprinzipien, ja deswegen gibt es sie überhaupt, weil sie sich befreien und davon machen, sich verlaufen. Sie entflie-hen einem Denken, das Gefahr läuft, in ein Begradigungsdelirium (Botho Strauß) überzugehen. Sie irren ab, ohne Plan und Ziel, ihr Verlauf lässt aber den Sitz eines Magneten, eines geheimen Attraktors ahnen, der tie-fere Orientierung bietet.8 Sie entzie-hen sich den Vermessungsingenieu-ren und unterlaufen die Geopolitik. Ein Besonderes am Kosmopolitis-mus: die Idee spricht den Einzelnen an, holt ihn heraus aus allen Kontex-ten. Nationalismus, Kommunismus, sie arbeiten immer mit Kollektiven. Das tut der Kosmopolitismus nicht. Muss er sich deshalb den Vorwurf

8 Botho Strauß: Allein mit allen. Gedankenbuch. München: Hanser 2014

des Unpolitischen gefallen lassen? Vielleicht darf er sich eher mit der Bezeichnung antipolitisch schmü-cken. Die Frage ist, ob hier die Poli-tik an ihr Äußerstes oder an ihr Ende kommt?

Das Finden eines Weges, um ein Feld abzustecken, und das Zeichnen einer Karte als kosmographische Kunst unterscheiden sich beträcht-lich vom kartographischen-geodäti-schen Ausmessen und Abbilden der Erdoberfläche. Im Zeichnen, ja Aus-malen einer Karte zum Bild geht es um ein Experiment mit und in der Wirklichkeit, während die geodä-tische Abmessung und Abbildung keine persönliche Verstrickung mit sich bringt, und somit auch keine strittigen Fragen. Wayfinding and Mapping sind besonders wichtig in einer Welt, in der es immer schwie-riger wird, sowohl sich etwas vorzu-stellen, geschweige denn etwas zu gestalten. Im Gegensatz zu Vermes-sungen ist das Zeichnen von Karten offen und anschlussfähig für vermes-sene Experimente mit der Wirklich-keit. Karten sind zu wichtig, um sie den Kartographen zu überlassen.

Für eine Geographie auf kosmo-politischen Pfaden mag es bedeuten, weniger zu vermessen und zu kar-tographieren, dafür mehr und ver-messener zu zeichnen und zu malen. Anstatt als Mittel der Feststellung terrestrischer Sachverhalte und poli-tischer Machtverhältnisse zu dienen, sollte Geographie auf einen Weg der Befreiung und Befähigung einladen, Dinge und Potentiale von ihrer geo-dätischen Fixierung befreien. Die Schwierigkeiten heute liegen nicht darin, zu sehen, was man tun könne, sondern wie man überhaupt noch etwas tun kann. Das Zeichnen von Karten hat großen Wert für die stra-tegische und rhetorische Ebene des Handelns. In aktuellen kosmopoliti-schen Bemühungen wird es zu wenig geübt. Es wäre das Feld für eine neue / alte Geographie.

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Wer sich in berechtigtem Zorn über die Attentate von Paris auf die europäischen Werte einschwören lässt, der schadet ihnen möglicherweise mehr, als ihm lieb ist. Einige skeptische Einwürfe.

Prolog: Politiker und Feuilleto-nisten trauen Attentaten längst nicht mehr zu, schrecklich und nie-derträchtig zu sein, sonst müssten sie ihnen nicht bei jeder Gelegen-heit diese Attribute, und viele mehr, verpassen, zum Beispiel feig. Dass es solcher moralischer Rollatoren bedarf, zeugt nicht nur von sprach-licher und moralischer Immobilität, sondern auch davon, dass die sprach-liche immer ein guter Indikator für moralische Verarmung ist. Wer so etwas nachplappert, suggeriert, dass es auch prächtige, ehrliche und mutige Attentate gibt (selbst wenn er den Tyrannenmord nicht damit meint), gleich Politikern, die proto-kollarisch ein jedes Massaker ver-urteilen müssen und damit bekun-den, dass sie es unter Umständen auch ganz prima finden könnten. Verkrampftes Ausschmücken mit Betroffenheits-Adjektiva verharm-lost Niedertracht und Schrecken der Tat. Oft stimmen sie auch nicht: denn feig sind die wenigsten Attentäter. Es mag niederträchtig sein, Unbewaff-nete zu ermorden, aber die Konse-quenzen dafür in Kauf zu nehmen, bedarf doch einigen Mutes. Ich hätte mich das nicht getraut.

Na, haben die letzten zwei Zeilen, liebe Leser und Leserinnen, Unbe-hagen in Ihnen ausgelöst? Wurden aus dem Grundschlamm Ihres kol-lektiven Unterbewussten Begriffe wie pietätlos, provokativ, verharm-losend oder gar Islamversteher auf-gewühlt? Das ist verständlich und war auch meine Absicht. Denn Sie haben emotional reagiert. So wie ich,

als ich die ersten kritischen Stimmen zur elektronischen Verbrüderung der Guten gegen die Bösen auf Facebook las. Unwillkürlich wehrte ich diese Skepsis ab und ordnete sie einer star-ren Polarität zu. Das tun Emotionen immer, deshalb schlagen sie auch so hohe Wellen, auf dessen Kämmen die Macht am liebsten surft, was die Wellen aber zunächst nicht merken, weil sie so sehr von ihrem eigenen imposanten Dahinrollen berauscht sind. Ein volles Herz differenziert nicht gern. Doch haben Emotionen auch ihr Gutes: Geteilt schaffen sie Gemeinschaft, was dann aber doch wieder nicht so gut ist, sobald man merkt, dass jede Gemeinschaft ein reales oder ideelles Anderes braucht, und wenn dann nicht im rechten Augenblick Entsatz durch das viel-leicht wertvollste Instrument der angeblich gemeinsamen Werte, den kritischen Gedanken, naht, ist man schon – merde arrive! – einer fiesen Ideologie auf den Leim gegangen.

Darum Vorsicht!

So sinnstiftend es sein mag, wenn sich Millionen Menschen synchron einbilden, eine Satireredaktion zu sein, und übers Netz endlich einen gemeinsamen Wertekatalog finden, zumal Zalando längst fad, und Ama-zon zu unvertretbar war, ist auch den Betroffenheits-Likern anzura-ten, schnell wieder von Emotions- auf Denkmodus umzuschalten, um nicht unmerklich zu einer paneuro-päischen Volksfront zusammenge-schweißt zu werden, die wie jedes

ich fragE mich

Qui est lampedusa?

von Richard Schuberth

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konstruierte Kollektiv durch einen stabilen Außenfeind politische Macht abzustützen und Interessenskon-flikte zu kaschieren hat.

Die Gräueltaten von Paris gescha-hen im richtigen Augenblick. Euro-paweit werden sie Verschärfungen der Antiterrorgesetze und des Über-wachungsstaats evozieren – Geset-zesänderungen, die man auch nach Beruhigung der Lage nicht revidie-ren wird. Sie bieten der politischen Mitte die Gelegenheit, im Namen der europäischen Werte, whate-ver that means, ihr Portefeuille mit antimuslimischen Ressentiments aus dem Fundus der erstarkenden Rech-ten aufzufüllen, und sie werden eine neue Rasse von Islam-Experten an die Öffentlichkeit spülen, die nicht länger zur Unterscheidung von Islam und Islamismus mahnen, sondern Ersteren selbst zur Wurzel allen Übels erklären, als wären Koransu-ren und nicht soziale Deklassierung schuld an der Rekrutierung muslimi-scher, aber auch nicht-muslimischer Jugendlicher für den Djihadismus. Und natürlich führen sie zur Auf-wertung schlechter satirischer Kunst durch nichtkünstlerische Mittel. Ich weiß, es klingt zynisch, gefühlskalt und menschenverachtend: Aber auch ermordete Cartoonisten können schlechte Cartoons gemacht haben. So sehr ich viele Karikaturen des getöteten Georges Wolinski schätze, so dürftig finde ich jene inkriminier-ten Coverbilder des Mordopfers Sté-phane Charbonnier. Auch glaube ich mehr damit auszudrücken als ein bloßes Geschmacksurteil. Denn wie schon die Bilder der dänischen „Jyllands-Posten“ beschränken sie sich auf plane Blasphemie – kein doppelter Boden, kein Erkenntnis-wert, kein kritischer Witz zeigt sich darin. Nichts gegen die Beleidi-gung religiöser Gefühle als Selbst-zweck, doch hat die im weitgehend säkularisierten Westen, sieht man von Irland, Griechenland und eini-gen Tälern Tirols ab, an subversiver Kraft verloren, was ein Beweis ihres

Erfolges sein könnte. Luis Buñuels wunderbar infantile Verspottungen religiöser Würdenträger mussten noch die Inquisition fürchten, gleich den unzähligen Satirikern der isla-mischen Welt unserer Tage. Ihnen sollte man diese notwendige Art der Provokation überlassen, und dank-bar sein, auf einem höheren Niveau kritischer Satire arbeiten zu dür-fen. Dass aber nicht-muslimische Satiriker das Amt der antimuslimi-schen Plasphemie usurpieren, wirkt paternalistisch und regressiv, sie spotten auf der geistigen Höhe der Djihadisten und geraten folglich in den Fokus von deren Zielfernroh-ren. Wenn Trittbrettfahrer der Auf-klärung sich religiösen Fanatikern unbedingt überlegen fühlen wollen, dann besser aufgrund dessen, was diese nicht verstehen. Alles andere macht sie nämlich verdächtig.

Die Qualität von Kunst darf indes nicht Kriterium ihres Existenzrechts sein, auch schlechte und mittelmä-ßige Satire muss sein dürfen. Dass es jedoch eher die gute Satire ist, die verboten zu sein scheint, ist keinem strengen Propheten und keinem zor-nigen Gott geschuldet, sondern jenem mächtigsten aller Götter, von dem auch der IS die Panzerfäuste bezieht: dem freien Markt. Seine invisible hand sorgt schon dafür, dass nur das ins Bewusstsein dringt, was sich gut verkaufen lässt, nachdem es so lange formatiert wurde, bis ihm auch nur gefällt, was es zu kaufen gibt. Keine Koranschule kann da mithalten.

Wenn aber die neue Gemeinschaft der Gläubigen in ihrer virtuellen Agora die Losung ausgibt, es sei von nun an heilige Citoyens-Pflicht, die Cartoons von „Charlie Hebdo“ weiter-zuposten, werden Bekenntniszwänge abverlangt, und die totalitären Züge, die jedem essenzialistischen Kollek-tiv zwingend eignen, verwandeln die weichbärtigsten Hipsterfrat-zen in Grenzwarte der Exklusion. Wer nicht Charlie ist, muss folg-lich Said und Chérif sein. Und wer

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unter französischer Aufklärung wei-ter Diderot, de Gouges, Fourier, Jau-rès oder Bourdieu und Barthes ver-steht, und nicht neckische Bilder von nackerten Sektengründern, gilt in nächster Konsequenz als geisti-ger Belagerer von Kobanê, so wie es der Medienpropaganda gelang, jeden Kritiker westlicher Ukrainepolitik als Putinschwarm, als Schwulenhas-ser und Pussy-Riots-Verhinderer zu entlarven.

Europäische Wertlehre

Kommen wir zum Fanal dieser Überlegungen, den europäischen Werten, jenem wahllos verschieb-baren Modulsystem aus christlicher Ethik, Aufklärung und gesellschaft-licher Liberalität. Dessen Vieldeutig-keit ist zugleich das Geheimnis ihrer Manipulierbarkeit wie auch die ein-zige Chance, dieser zu entkommen.

Ich muss gestehen, dass ich nichts vom Begriff Werte halte. Werte kön-nen nicht nur ideologisch miss-braucht werden, sie sind Ideologie. Gravitätisch pochen sie auf ewige Gültigkeit, posieren als Katechismus des Schönen, Guten, Wahren, wo es doch gilt, wachsam den Metamor-phosen von Macht und Lüge auf die Schliche zu kommen. Weiters würde ich raten, auf die Adjektiva westlich und europäisch zu verzichten, weil an ihnen Blut klebt, nicht nur das geronnene Blut des Imperialismus, nein, frisches. Doch gehe ich wohl-wollend davon aus, dass die meisten, die sich darauf berufen, die ethischen Residuen eines säkular entschärf-ten Christentums, die bürgerlichen Freiheiten des Individuums und die vor allem von Juden beschleunigten emanzipatorischen Errungenschaf-ten der Aufklärung meinen, und die können sich allemal sehen lassen. Von Stolz darauf sollte man jedoch absehen, denn der gebührt einzig jenen mutigen Frauen und Männern, die sie in erbittertem Widerstand gegen genau jene Gruppen erkämpft

haben, welche deren Leistungen nun einsacken, dann politisches Klein-geld daraus schlagen, vor allem aber Großgeld, indem sie sie unter der Hand peu à peu verschleudern.

Einig dürfte man sich darin sein, dass die besten Traditionen jener Aufklärung in Pluralismus, den unteilbaren Menschenrechten und einer bis zur Selbstaufgabe hartnä-ckigen Eigenskepsis bestehen. Bleibt sie nicht, was sie sein sollte, ein nie abgeschlossenes Projekt permanen-ter Emanzipation, verkommt Auf-klärung zur Metaphysik, und zur dreisten Leistungsschau von Lob-bys, die zwar nichts dafür geleistet haben, aber die Wegstrecke, die uns von der Einlösung ihrer Versprechen trennt, nicht nur kaschieren, sondern in die Länge ziehen. Der Aufklärung den größten Dienst erwiesen haben Adorno und Horkheimer durch uner-bittliche Kritik an ihren Herrschaft-spraxen, ihrer Hybris, ihrer Unter-werfung des Vieldeutigen unter ihre absoluten Kategorien.

Offen bleibt die Frage, ob es sich tatsächlich um europäische Werte handelt. Das Christentum kommt bekanntlich aus Palästina, und ob die altgriechische Kultur die erste europäische oder die westlichste orientalische war, mag eine sophis-tische Frage sein, ist aber insofern notwendig, als sie Selbstverständ-lichkeiten in Frage stellt, und das ist der schönste Wert jener Aufklä-rung, ob westlich oder nicht; denn dialektische Methodik gab es auch in China, Respektlosigkeit gegenüber Star- und Götzenkult („Begegnet dir ein Buddha, schlag ihn tot”) lehrt der Zen-Buddhismus, dass das Gött-liche im Hier und Jetzt, im Menschen und nicht im Himmel zu suchen ist, dafür steht der anatolische Alevi-tismus, und die schärfste Satire ist längst in die USA ausgewandert. Aus Europa hingegen, weiß ich, kommen die elaboriertesten Konzepte von Rassismus, Nationalismus, Faschis-mus und Antisemitismus sowie ein

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ökonomischer Leviathan, der pro Minute mehr Menschen in Elend und Tod treibt, als es alle Gotteskrieger dieser Welt in einem Jahr schaffen, weshalb die ihren Konkurrenznach-teil mit mehr martialischer Theatra-lik kompensieren müssen.

Kurzum: Wer die Werte der Auf-klärung erhalten will, muss ihre Polyphonie und Dissonanz erhalten, sobald sie aber zum Kanon erstar-ren und unisono gesungen werden, sind sie restlos versaut – Finger weg davon und woanders weitermachen!

Vor dem Nationalismus bildeten Islam und Christentum ein wechsel-seitiges Referenzsystem, nach der angeblichen Überwindung des Nati-onalstaats waren es die europäischen Werte, die die Rolle des einstigen konfessionellen Kollektivkitts über-nehmen mussten, doch bindet dieser nur dürftig, weshalb man dankbar ist für jedes Andere, das den Wertekä-fig von außen abzudichten vermag; und siehe da, es gibt immer noch den guten alten Islam, schwachbrüstig zwar, in einzelnen Fanatismen aber auf praktische Weise bedrohlich.

Der Weg von der Betroffenheits- zur Schicksalsgemeinschaft ist ein kurzer, hinter dem Sammelruf zu den europäischen Werten jedoch steht die ruchloseste innereuropäische Umver-teilung seit dem Zweiten Weltkrieg, ein ökonomisches Banditentum, das vom bürgerlichen Liberalismus des 19. Jahrhunderts nur die Missach-tung sozialer Rechte geerbt hat und das umso entfesselter wütet, je blin-der seine Opfer in der aus besseren Tagen genährten Illusion leben, dass doch alles gut werde, solange Con-chita wie ein Phönix aufsteigt und farbige Fußballer gutes Gewissen zur Heimat machen.

Wer jetzt Charlie ist, denkt ver-mutlich nicht daran, die 1500 Selbst-mörder zu sein, die Griechenland seit 2008 beerdigt hat, denkt nicht daran, die 30.000 Bootsflüchtlinge zu sein,

die Europa bislang absaufen ließ, denkt nicht daran, die Gefangenen zu sein, denen der CIA in polnischen Kellern gerade die Augäpfel ein-drückt, oder die Ehebrecherinnen, die unsere Geschäftspartner auf der Ara-bischen Halbinsel so gerne steinigen.

Die heute gegenüber den orien-talischen Untermenschen vollmun-dig mit Frauen- und Schwulenrech-ten prahlen, sind meist dieselben, welche vor kurzem noch Frauen-bewegung nur schätzten, wenn sie rhythmisch ist, und Schwule ins Arbeitslager schicken wollten. Hans Rauscher sagt es offen: „Um es offen zu sagen: Wir haben uns mühsam die Moderne angeeignet – Säkularisie-rung, Frauenemanzipation, eine libe-rale Sexualmoral und -gesetzgebung, eine nicht vollständige, aber doch beträchtliche Abkehr von altem auto-ritärem Denken sowohl in der Fami-lie als auch in der Politik.“ Ob eine Neigung zur Gynäkomastie schon zur Aneignung der Frauenemanzipation autorisiert, ist fraglich, wir glauben ihm jedoch aufs Wort, dass er sich die Kämpfe anderer angeeignet hat, und wie mühsam es gewesen sein muss, die Fortschritte, die sie in 200 Jah-ren errungen haben, auf einmal run-terzuwürgen, können wir ihm auch nachfühlen. Die Aneignung und Kanonisierung emanzipatorischer Kämpfe durch jene, gegen die sie erkämpft wurden, erfüllt den Zweck, sich gegenüber diversen Barbaren als bessere Welt zu brüsten, um von den sozialen Barbareien abzulenken, an denen Europa zugrunde gehen wird. Solange dieses Europa unterschied-liche Entlohnung von Männern und Frauen duldet, eine neofaschistische und antisemitische Demokratura in ihrem Herzen und einen ruchlosen Wirtschaftsnationalismus etwas nordwestlich davon, um nur ein paar Punkte auf der To-do-Liste der Auf-klärung zu nennen, sind die euro-päischen Werte das Klopapier nicht wert, auf das sie in den WCs des EU-Parlaments gewischt werden.

Richard Schuberth ist Schrift-steller. Im Februar erschien sein Roman „Chronik einer fröhlichen Ver-schwörung“ bei Zsolnay.

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5. MäRZ 2015 – BuchpRäSentationUnter dem Untertitel „Warum Eisenstadt in Karl Mays »Skla-venkarawane« vorkommt?“ prä-sentierte Walter Sauer sein Buch „Expeditionen ins afrikanische Österreich. Ein Reisekaleidos-kop“ (Mandelbaumverlag 2014).Afrika – das ist immer sehr weit weg. Aber viele Jahrhunderte von Kontakten, Zusammenarbeit und Auseinandersetzung mit Afrika haben ihre Spuren auch innerhalb Österreichs hinterlassen. Denkmä-ler und Straßennamen, Architektur und bildende Kunst, Museen und Lokale legen Zeugnis dafür ab.Die Erinnerungsorte erzählen Geschichten von Rassismus, Skla-verei und Exotisierung. Sauer geht es um die ‚Afrikabilder in unseren Köpfen‘, doch er weist auch darauf hin, dass das europäische Bild von Afrika nicht immer negativ war.

rückblick – frühJahrsVEranstaltungEn 2015

Bild oben: Florian Bayer, Leiter der Esterházy Samm-lungen; Walter Sauer, Buchautor, Univ. Prof.; Hans Göttel, Studienleiter des Europahauses Burgenland

Bild unten: Walter Sauer im Gespräch mit Gerald Schlag und Walter Reiss

9. MäRZ – poDiuMSDiSkuSSion ZuM „FaLL DeR LanDeSpoLitik“Eine Podiumsdiskussion zum „Fall der Landespolitik“ fand am 9. März 2015 in der KUGA in Großwaras-dorf statt. Es ging um nichts Gerin-geres als den „Fall der Landespo-litik“, die sich wie, Hans Göttel, Studienleiter des Europahauses Burgenland, in einem pointierten Traktat ausführte, zunehmend als Ungestalt aus Niedertracht und Verschlagenheit präsentiert. (Veröffentlichung des Traktats im Welt(ge)wissen Nr. 27)

Rainer Klien, Sprecher von SOS Mitmensch Burgenland, verwies auf das verächtliche Verhalten des Landeshauptmannes gegen-über Asylanten und Flüchtlingsbe-treuern. Es geht den burgenländi-schen Behörden nicht darum, den Menschen zu helfen, man wolle Asylwerber nur kontrollieren und oft auch schikanieren, sagt Rai-ner Klien.

Helmut Stefan Milletich, Schrift-steller, ging auf die Problematik der Förderung im Kunst- und Lite-raturbereich ein.

Unter den Teilnehmern waren auch leitende Personen aus der Kulturverwaltung und Erwachse-nenbildung des Landes Burgen-land anwesend.

Bild von links nach rechts: Helmut Stefan Milletich, Schriftsteller; Rainer Klien, SOS Mitmensch Burgenland; Hans Göttel, Europahaus Burgenland

19. MäRZ 2015 – FiLMvoRFühRunG in koopeRation Mit FianDie Filmvorführung „Die Jagd nach Land – Das globale Geschäft mit fruchtbarem Boden“ von Chiara Sambuchi mit anschließendem Filmge-spräch mit Christina Plank, Universität Wien, Umwelt- und Ressourcen-politik - Schwerpunkt Mittel- und Osteuropa; Brigitte Reisenberger, FIAN Österreich, und Wolfgang Spitzmüller (Biobauer) war sehr gut besucht. Dieser Film aus einer Serie von insgesamt drei gezeigten Filmen im Jahr 2015 bildet ein besonderes Angebot für junge Menschen am Campus.

27. apRiL 2015 – FiLMvoRFühRunG in koopeRation Mit attac BuRGenLanDDer zweite Film aus unserer Filmreihe war „Wer rettet wen?“ Die Krise als Geschäftsmodell auf Kosten von Demokratie und sozialer Sicherheit. Ein Film von Leslie Franke und Herdolor Lorenz – DE 2015Das Thema, dass seit sechs Jah-ren Banken gerettet werden und PolitikerInnen immer neue Ret-tungsfonds schaffen, während mit-ten in Europa Menschen wieder für Hungerlöhne arbeiten, wurde heftig diskutiert. Der dritte Film „Jakarta Disorder – Ist Demokra-

tie möglich?“ aus unserer Filmreihe wird am DO, 10. Dezember, 19:00 Uhr, im Europahaus Burgenland (ÖJAB-Haus) vorgeführt.

Reges Interesse am Film „Die Jagd nach Land – Das globale Geschäft mit fruchtbarem Boden“

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20. apRiL 2015 - DiavoRtRaGDas Europahaus hat zum Thema „Menschenwürde unter Besat-zungswillkür“ zu einem Diavor-trag mit Mary und Josef Pampalk eingeladen. Es wurde die schwierige Situation der Palästinenser im Westjordan-land beleuchtet. 130 ausgewählte Fotos vermittel-ten anschaulich etwas von der Lage und Würde der Menschen vor Ort und ließen zivilgesellschaftliche Initiativen sowie kritische israeli-sche und palästinensische Stimmen zu Wort kommen.

Zu dieser Reise ist auch ein umfas-sender Reisebericht erschienen. (Eigenverlag, 30 Seiten, zu beziehen über Josef Pampalk <[email protected]>)

7. Mai 2015 – LeSeDRaMa unD viDeoinStaLLation Richard Schuberth hat in szenischer Lesung aus seinem Buch „FRONTEX Keiner kommt hier lebend rein; Eine mediterrane Groteske in zwei Akten“ vorgetragen. In schonungsloser Kritik und mit der versöhnenden und konformisti-schen Kraft schlechten Humors hat Richard Schuberth das groteske Lese-Drama über Rassismus und Identitäts-Kannibalismus im Hinblick auf die Problematik der großen Flüchtlingstragödien im Mittelmeer geschrieben.Warum höhere Asylwerberquoten Europa vor seinem verdienten Unter-gang nicht retten werden, wie sich die Flüchtlingstragödie im Mittelmeer künstlerisch und journalistisch verwerten lässt, wie wir alle davon pro-fitieren, seit wann John Cleese bei Frontex arbeitet, warum das Erhän-gen von Giraffen nicht zum europäischen Wertekodex passt, wie man sich mit geschmacklosem Humor über geschmacklosen Humor lustig machen kann. Als Draufgabe sang der Autor in der Rolle der Angela Merkel das Chanson „Don’t Cry For Me, Children of Africa“.

Anläßlich des Europatages des Europarates hat Ilse Hirschmann zum Thema die Videoinstallation „Lampedusa“ –Video auf tablet montiert in einem Holzboot – präsentiert.

Josef Pampalk zeigt anhand einer Landkarte die besetzten Palästinensergebiete.

Ilse Hirschmann bei der Präsentation der Videoins-tallation „Lampedusa“

Richard Schuberth liest aus seinem bizarr-groteskem Werk „FRONTEX Keiner kommt hier lebend rein“

8. Juni 2015 – BuchpRäSentationenDer Ursprung der globalen Nach-haltigkeitsvisionen geht auf die UNO Konferenz 1972 in Stockholm zurück. Als ein Symbol wurde dafür ein Tag im Jahreskalender gewid-met, der Internationale Umwelt-tag, wie er seitdem jeweils am 8. Juni gefeiert wird. In der Kosmo-politischen Bibliothek trafen sich Autorinnen und Leser, um zwei Bücher vorzustellen und zu bespre-chen, die in letzter Zeit erschienen sind. Ingrid Schwarz befasst sich mit Umweltfragen aus geographi-scher Perspektive, Elisabeth Loibl aus tiefenökologischer Sicht. Anne Tscharmann begleitete die Prä-sentationen der beiden Bücher mit meditativen Liedern.

Elisabeth Loibl und Ingrid Schwarz

Anne Tscharmann, Leiterin von Mae Terra in Schattendorf

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22.-24. apRiL 2015 – SeMinaR des Europahauses Burgenland in Kooperation mit den Bibliotheken Burgenland begleitet von Hildegard KurtDie vereinten Nationen haben das Jahr 2015 zum Internationalen Jahr der Böden erklärt. Auf den Internationalen Tag der Erde all-jährlich am 22. April folgt am 23. April der Welttag des Buches. Vor diesem Hintergrund haben sich Menschen, die bewusst mit Böden und Büchern arbeiten, zu einem Seminar, das eine besondere Form des gemeinsamen Denkens im Dialog mit Elementen der Natur und des Geistes praktiziert, im Europahaus eingefunden.Ernst Sumpich, Seminarteilnehmer, gibt einen Einblick.

gEDankEn unD fragEn Zum sEminar DEs EuroPahausEs

„Vom VErlEbEnDigEn DEr böDEn unD DEs gEistEs“

Ver-Lebendigung – Vom Leblosen, Absterbenden, Abgestorbenen ins Lebendige hinein. Am Absterben ringsum sind auch wir betei-ligt. Als absichtlich Mitwirkende,als unbewußt Verursachende, als Wegsehende...Wie können wir uns aus dieser Beteiligung an den Sterbevorgängen lösen und am Verlebendigen mitwirken?Paul Klees Vorschlag an die Studenten im Bauhaus 1924 (von Hil-degard Kurt zitiert) von den „Form-Enden“ wegzukommen und ins „Formende“ hineinzufinden. Die Form-Enden, das Abgeschlos-sene, Erstarrte, das Formende, das Gestaltbildende, ist immer in Bewegung.Der Regenwurm als Vorbild? Er bewegt und verlebendigt das Erd-reich, in dem er lebt, ist immer aktiv. Der Unterschied? Der Regenwurm tut seine Arbeit, ist einge-bettet in dieses Geschehen der Verlebendigung. Das ist seine – vorgesehene?- Aufgabe.Wir haben die Möglichkeit, frei zu sein in unseren Gedanken, kön-nen, wenn wir das bewußt vollziehen, sowohl am Absterben wie am Verlebendigen teilnehmen. Sind wir auch frei in unserem Handeln?Es sind unterschiedliche Denkweisen, die einerseits zum Mitwirken an den Sterbevorgängen und andererseits zur Mithilfe an der Ver-lebendigung führen. Wie kommen wir aus einem Denken, das die „Toten Zonen“ (Joseph Beuys) bewirkt, in ein lebendiges Denken, mit dem wir in das Formende hineinfinden?Im Seminar „dem Boden näherkommen“, ihn als Teil unseres irdi-schen Daseins zu empfinden, sich mit ihm verbinden...Was bewirkt diese Nähe? Kann sie Anstoß sein, sich an der Verle-bendigung der Böden zu beteiligen?Kann das weiter gefasst werden, als die unmittelbare Arbeit am eigenen Boden, am eigenen Garten? Wird dieser dann Lernort für Umfassenderes?Geht das bis ins Soziale hinein, das ebenso von Sterbevorgängen gezeichnet ist, die nach dem Mitgestalten an einer neuen, Sozialen Plastik rufen?

rückblick – frühJahrsVEranstaltungEn 2015

Seminarteilnehmer beim Entwickeln von Prak-tiken zur Verlebendigung des pannonischen Lebens.

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Ausstellungsinitiative und Durchführung

Ilse Hirschmann in Zusammenarbeit mit den KünstlerkollegInnenGudrun Kainz, Eva Meloun, Anna Tinhof-Zaple-tal, Eef Zipper, als Gast Jakov Bararon.

Vernissage

Samstag, 22. August, 18 UhrBegrüßung Ilse HirschmannEröffnung Hans Göttel, Europahaus Burgenland

Offene Tür

Sonntag, 23. August, 17-19 Uhr; Freitag, Sams-tag, Sonntag, 28. bis 30. August, 17-19 Uhr und Freitag, 4. September, 17-19 Uhr

Themenbezogener Gesprächskreis Montag, 24. August, 19 Uhr

Lesefest zugunsten des Sri Lanka Schulprojek-tes, gemeinsam mit der Bücherei Müllendorf Dienstag, 1. September, 19 Uhr„Angekommen? Wo?“ – Ana Schoretits, Schrift-stellerin, Musik – Waltraud Theil

Finissage Samstag, 5. September, ab 16 Uhr

tErminE – hErbstVEranstaltungEn 2015

SaMStaG, 22. auGuSt, BiS SaMStaG, 5. SepteMBeR 2015in Kooperation mit und in der „werkstätte für kunst im leben“, Müllendorf, Fabrikstraße 8

DiE ankunft DEr DingE – thE arriVal of things

Gemeinschaftsausstellung Malerei, Grafik, Keramik und Video

WanDErausstEllung im rahmEn Von “finnlanD kommt nach EisEnstaDt”.

Mo, 16. noveMBeR 2015ausstEllungsfEst

Alltäglich fantastisch: Kindergeschichten aus FinnlandDie Wanderausstellung des Finnland-Instituts lädt zu einer Lesereise nach Finnland ein: Alltäglich fantastisch: Kindergeschichten aus Finnland präsentiert eine handverlesene Auswahl finnischer Kin-derbücher in deutscher Übersetzung.Alle lieben gute Geschichten und tolle Bilder. Darüber dürften sich kleine und große Menschen einig sein, aber wer sagt, dass ein lustiges oder wunderschönes Kinderbuch nur für Kinder gedacht sein sollte? Die finnischeSchriftstellerin Leena Krohn meint: „Wenn ich für Kinder schreibe, schreibe ich für alle, aber wenn ich für Erwachsene schreibe, schreibe ich nur für einige von uns.“

Ausstellungseröffnung mit finnischer Musik und Eröffnungsbeiträgen von Volksschulkindern.

Offene Tür: 9. November bis 11. Dezember 2015

Ort: Kosmopolitische Bibliothek, Europahaus Burgenland

Mo, 9. noveMBeR 2015, 16:00 uhRSamowar Nachmittag – Russland und Europa„russlanD als multiEthnischEr staat.“Vortrag von Prof. Pusztay JánosOrt: Europahaus Burgenland

In Fortführung der Reihe „Samowar Nachmit-tage“ und im Hinblick auf einen thematischen Schwerpunkt „Russland–Europa“ im Jahr 2016 wird am

Mo, 30. noveMBeR 2015, 16:00 uhRein weiterer Samowar Nachmittag stattfinden.

Do, 26. noveMBeR 2015, 19:00 uhR „WitZ & sPott im DrittEn rEich“dramatisiert, vorgetragen und gesungen von Franz Richard Reiter und Christian Spatzek; Violine: Mosa Sisic; nach dem Buch Franz Danimann, Flüsterwitze und Spottgedichte unterm HakenkreuzOrt: noch offen

Do, 10. DeZeMBeR 2015, 19:00 uhR Tag der MenschenrechtefilmVorführung unD Diskussion

JAKARTA DISORDER – Ist Demokratie möglich? Ein Film von Ascan BreuerJakartas Slumbewohner nehmen die neue Demokratie Indonesiens beim Wort – und mischen sich in den Präsidentschaftswahlkampf ein: Im Herzen der Megacity Jakarta sollen über Jahrzehnte gewachsene Slumsiedlungen einem gigantischen Wohnbauprojekt weichen. Zwei Frauen proben den Widerstand gegen die lokale Gesetzeswillkür.Ort: Europahaus Burgenland

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ÜBER-LEBEN MIT / OHNE POLITIK – Sicherheit, Menschenrechte und Entwicklung im Lichte europapolitischer,

antipolitischer und kosmopolitischer Entwürfe – Teil II

Donnerstag, 22. Oktober 2015

Ort: Europahaus Burgenland

15.00 Uhr EINTREFFEN UND EMPFANG GESPRÄCHE IM RAHMENeiner Installation von Ilse Hirschmann, werkstätte für kunst im leben, Müllendorf

15.45 Uhr KONSTITUIERENDE SITZUNG DES BEIRATES UND POLITISCHE GESPRÄCHE Leitung: Wolfgang Dax, Vorsitzender

18.00 Uhr ABENDESSEN

Freitag, 23. Oktober 2015

09.30 Uhr PRESSEGESPRÄCHZum Austritt aus dem Burgenland der Landespolitik.

10.00 Uhr POLITISCHE KULTUR ZWISCHEN DISSIDENZ UND DIPLOMATIEKolloquium mit Beiträgen von Mitgliedern des Beirates.

12.30 Uhr MITTAGESSEN danach Abreise

Internationale Tagung mit Konstituierung des Europahaus-Beirates, politischen Rahmen-Gesprächen, einer Buchpräsentation und einem Kolloquium zur Kultur der Dissidenz im Hinblick auf den Austritt des

Europahauses Burgenland aus dem Burgenland der Landespolitik.

Die Vereinten Nationen haben das Jahr 2015 zum Internati-onalen Jahr des Bodens erklärt, die Europäische Union zum Europäischen Jahr für Entwicklung. Beide Motive waren uns ein guter Grund für intensive Maßnahmen im ersten Halb-jahr. Sowohl das Seminar „Vom Verlebendigen der Böden und des Geistes“ als auch der erste Teil der internationalen Begegnungen zum Thema „Über-Leben mit / ohne Politik“ brachten sehr gute Ergebnisse, die wir weiter bearbeiten möchten. Die Suche nach tragfähigen Grundlagen für die Bil-dung des Politischen und die Frage nach Nutzen und Gefah-ren von Politik ist für uns im landespolitischen Rahmen kei-ne graue Theorie, vielmehr ist sie eine Praxis geworden, die sich nun in der Gestaltung des Austritts aus dem Burgenland der Landespolitik zeigt. Wir freuen uns auf einen intensiven Austausch auf der Suche nach Wegen, um in Verantwortung gegen uns selber Burgenländer bleiben sowie ein Österreich-Bewusstsein, das sich mit europäischer Gesinnung und Welt-offenheit verbindet, entwickeln zu können.

Information/Anmeldung:

Europahaus Burgenland Campus 2, 7000 Eisenstadt Tel.: 0043•2682•72190-5933 mail: [email protected] HP: www.europahaus.eu

Mitglieder des neuen Beirates: BITTNER, Franz, Vorsitzender der Ersten Österreichischen Nicht-Partei (NICHT), Wien; CARNOGURSKI, Jan, Jurist, (ehem. Ministerpräsident)Bratislava; COUDENHOVE-KALERGI, Barbara, Journalistin, Wien; CSAPLOVICS, Elmar, Geowissenschaftler, Dresden; DALOS, György, Schriftsteller, Budapest, Berlin; DAX, Wolfgang Präsident des Burgenländischen Landtages a.D., Güssing; EVERS, Tilman, Vorstand, Forum Ziviler Friedensdienst, Köln; GROSS, Andreas, Po-litiker, St. Ursanne, CH (Delegierter zum Europarat); HÖLL, Otmar, Politikwissenschaftler, Wien; KNEUCKER, Raoul, Sektionschef im BMUK a.D., Wien; PROSL, Christian, Botschafter a.D., Präsident der Österreichischen Kulturvereinigung; SCHWARZ, Karl, Religions-wissenschaftler, Wien; TUTZER, Franz, Ivan Illich-Archiv, Bozen; VIELHABER, Christian, Geograph, Wien

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Nr. 28 – August 2015 55

tErminE – hErbstVEranstaltungEn 2015

Do, 22. oktoBeR 2015, 19:00 uhR

buchPräsEntation

Franz Cede, Christian Prosl

ansPruch unD WirklichkEit östErrEichs auSEnPolitik sEit 1945

Was sind die außenpolitischen Interessen Österreichs und auf welche Weise werden sie verfolgt? Gibt es ein „Alleinstellungsmerkmal“ der österreichischen Außen-politik, und wenn ja, wie wird es definiert?Das vorgestellte Buch beschreibt prägnant und mitrei-ßend die wichtigsten Themen der Außenpolitik der Zwei-ten Republik und gibt einen Einblick in die diplomatische Praxis. Es richtet sich an Leserinnen und Leser, die sich für internationale Fragen im Allgemeinen und für die österreichische Außenpolitik im Besonderen interessie-ren, und bietet einen höchst informativen und gut lesba-ren Überblick über die Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte – von der Wiedererrichtung des Auswärti-gen Dienstes über Österreichs Rolle im „Kalten Krieg“ bis hin zu den Veränderungen seit dem EU-Beitritt. Die Beziehungen zu den direkten geographischen Nachbar-staaten werden dabei ebenso beleuchtet wie das ambiva-lente Verhältnis zu den USA und die Auswirkungen des Zerfalls der UdSSR. Die Autoren schöpfen aus der Erfah-rung langjähriger Praxis im diplomatischen Dienst und möchten mit ihrer Analyse zu einem besseren Verständ-nis der Stellung des Landes im internationalen Kontext beitragen. Sie richten den Blick dabei nicht nur zurück in die Geschichte, sondern auf die Gegenwart und die Zukunft der österreichischen Außenpolitik und berück-sichtigen vor allem die fundamentalen Veränderungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts, die Österreich vor völ-lig neue Herausforderungen stellen.

Die Autoren

Bot. Franz Cede: Nach Absolvierung des Jusstudiums in Innsbruck und Auslandstudien in Paris, Bologna und Washington wurde Dr. Franz Cede 1972 ins österreichi-sche Außenministerium aufgenommen. Dr. Cede war zunächst an den österreichischen Botschaften in Paris und Rabat eingesetzt. Er war später Botschafter in Zaire (Kongo), Generalkonsul in Los Angeles, Botschafter in Russland und zuletzt in Brüssel, wo er als österreichi-scher Botschafter in Belgien und bei der NATO beglau-bigt war. In Wien war Dr. Cede von 1993 bis 1999 Lei-ter des Völkerrechtsbüros des Außenministeriums. Er ist Autor und Herausgeber einer Vielzahl von Publika-tionen im Bereich des Völkerrechts, des Europarechts und der internationalen Beziehungen. Er unterrichtete auch an der Diplomatischen Akademie in Wien und an der Andrassy Universität in Budapest.

ISBN: 978-3-7065-5430-5, Umfang: 168 Seiten, kartoniert

Ort: Kosmopolitische Bibliothek, Europahaus Burgenland

Bot. Christian Prosl: Nach Absolvierung des Jus- und Französischstudiums in Wien und am Institut de Hautes Etudes in Genf war Dr. Christian Prosl im damaligen Obervolta (heute Burkina Faso) und Ruanda im Rah-men des UN-Entwicklungsprogrammes UNDP im Ein-satz. 1977 trat er in das Außenministerium ein, es folg-ten Verwendungen in London, Washington und Wien (Leiter der Koordinationsstelle im Generalsekretariat). 1991–1995 Generalkonsul in Los Angeles, danach Lei-ter der Abteilung für West- und Nordeuropa sowie Lei-ter der Rechts- und Konsularsektion in Wien. Von 2003 bis 2009 war er österreichischer Botschafter in Berlin, danach in Washington. Im Dezember 2011 Übertritt in den Ruhestand. Seit 2012 Präsident der Österreichischen Kulturvereinigung.

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Ehrung von Anton SrholecAm 22. Mai 2015 wurde in Wien

im Parlament dem 86-jährigen Sale-sianerpater Anton Srholec aus der Slowakei der Leopold Kunschak-Preis verliehen. Am 10. Juni wurde in der Hofburgkapelle ein Festkon-zert zu Ehren dieser Persönlichkeit organisiert, die sich durch keine Dis-kriminierung ihre eigene Menschen-würde nehmen lassen und sich ein Leben lang für die Würde anderer eingesetzt hatte, wie Caritasdirek-tor Franz Küberl, einer der beiden Festredner, hervorhob.

Ein bemerkens-wertes Leben

1929 in Skalica (Westkarpa-ten) geboren, schloss sich Srholec sehr jung der Ordensgemeinschaft der Salesianer an um mit armen Jugendlichen zu arbeiten. Nach Auf-lösung des Ordens 1950 durch die Kommunisten versuchte er, illegal zum Theologiestudium nach Italien auszureisen. Er wurde gefasst und zu 12 Jahren Gefängnis verurteilt, wovon er 10 Jahre im Uranbergwerk Jáchymov bei Marienbad verbrachte. Er beschrieb seine Erfahrungen im Buch „Licht aus der Tiefe der Lager

von Jáchymov“ (ISBN 80-7165-152-4, Prešov 1998, Verlag Michal Vaško). Im „Prager Frühling“ erhielt er die Erlaubnis in Turin sein Studium abzuschließen. Nach der Priester-weihe 1970 kehrte er freiwillig in sein Land zurück. Der ehemalige Staats-feind erhielt jedoch keine Genehmi-gung als Priester Dienst zu leisten, sondern nur als Mesner. Das tat er 15 Jahre lang in der Pfarre Blumen-tal in Bratislava, bis seine Jugendar-beit dem Regime zu populär und er versetzt wurde. Er war erneut Hilfs-arbeiter. Nach der Wende hatte aber

auch sein kirch-licher Chef, der selber als Spit-zel des Regimes bezichtigte Erz-bischof Jan Sokol (vgl . Publ ik-Forum 14/2012), keine Verwen-dung für ihn und so ging P. Srho-lec als Arbeiter in Pension und wurde „vom poli-tischen Häftling zum Helfer der Obdachlosen“, wie die Neue Pressburger Zei-tung vom Juni 2014 schreibt:

„Mir geht es um eine Kultur der Menschlichkeit in einem umfassen-den Sinn: Gemeinsam eine mensch-lichere Welt aufzubauen ist eine Kon-fessionsgrenzen überschreitende Aufgabe ... Das ist nicht immer das Gleiche wie die Praxis der katholi-schen Kirche. (Lachend Karl Rah-ner zitierend) Wahrscheinlich würde Jesus diese gar nicht verstehen.“ (S. 28–31; http://www.npz-online.eu). P. Srholec gründete bei Bratislava ein Obdachlosenheim, wurde Vor-sitzender der Konföderation politi-scher Häftlinge der Slowakei, arbei-tete im Helsinki-Ausschuss für Menschenrechte und erhielt zahl-reiche Auszeichnungen für seinen Beitrag zur Erhaltung der Freiheit

und Menschenwürde, darunter 1999 zusammen mit dem Prager Weihbi-schof Václav Malý den Kardinal-König-Preis für Verdienste um Glau-ben und Freiheit. 2013 erhielt er in der Slowakei den Ján-Langoš-Preis für seine Verdienste um die Demo-kratie. In seiner Laudatio sagte damals der „mysteriös“ abgesetzte Erzbischof Róbert Bezák: „Sie waren für mich immer ein Vorbild, ein muti-ger Mensch, der nicht verbittert ist, sondern immer nach vorne schaut.“

Anerkennen und daraus lernen

Vizekanzler a. D. Erhard Busek legte in seiner Festrede den Akzent auf unser zu geringes Wissen über das Schicksal und Lebenswerk sol-

cher Menschen und auf unser zu geringes Anerkennen und Lernen daraus. „Weder vor noch nach dem Fall des Eisernen Vorhanges hatten wir viel Anerkennung übrig und die Kirche tut sich heute noch schwer! Daher ist diese Feier für uns – hier-zulande – so dringend wichtig, als ein Fest des Dankes, dass es sol-che Menschen gegeben hat und gibt,

Ein fEst DEs DaZulErnEnsDer Leopold Kunschak Anerkennungspreis für P. Anton Srholec SDB

Anton Srholec und Rudi Mayerhofer

Festredner Dr. Erhard Busek und Dr. h.c. Franz Küberl in der Hofburgkapelle am 10. Juni 2015.

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und als ein Fest der Nachdenklich-keit und des Dazulernens. Sich mit der Macht arrangieren, auch das hat es gegeben. Vieles ist noch unaufge-arbeitet!“ Busek appellierte in unge-wohnt sanften, aber nicht weniger deutlichen Worten „Dinge zu über-denken, die nicht so gut waren.“

Der Sekretär von Kardinal Marc Ouellet, Chef der für die Absetzung Róbert Bezáks zuständigen Bischofs-kongregation, hatte zwar zugegeben „Auch der Vatikan macht Fehler“ – aber der Vatikan blockiert bisher eine Aufarbeitung. P. Srholec kom-mentierte dem ORF gegenüber, dass „Bezák Opfer der Bewegung der Tra-ditionalisten geworden sei, die inner-halb der Kirche das Sagen hätten“. Der Kurs der slowakischen Bischöfe verlaufe in Isolation gegenüber der Gesellschaft und würde kranke, alte Strukturen nicht ändern (http://religion.orf.at/stories/2715521 vom 10.6.2015). Im selben ORF-Interview mit Klaus Ther meinte er, diese Ver-leihung des Kunschak-Preises werde

ignoriert und es gebe keinen Dialog. Nur junge Geistliche wüssten wohl, dass diese traditionelle Kirchenform definitiv zu Ende gehe.

Bereits am 24.4.2014 stand P. Srholec gemeinsam mit unserer

Gruppe und zwei Dutzend Journa-listen vor den verschlossenen Toren der Nuntiatur in Bratislava, als wir eine internationale Petition mit 3.500 Unterschriften aus 39 Ländern für die Rehabilitierung von Erzbischof Bezák übergeben wollten.

Bezák nach Absetzung beim Papst

Jedoch am 10. April 2015 empfing Papst Franziskus den abgesetzten Erzbischof Bezák in einer Privatau-dienz, die eingefädelt war vom eme-ritierten Erzbischof von Prag, Kardi-nal Miloslav Vlk, hinter dem Rücken der Kurie und der Slowakischen Bischofskonferenz. Staatssekreta-riat und Bischofskonferenz reagier-ten zwei Wochen verspätet, indem sie – ohne dabei gewesen zu sein – über den Inhalt des Treffens laut Vlk „ver-wunderliche Richtigstellungen“ ver-kündeten (vgl. KAP vom 28.5. und 23.4.2015; www.Kathweb.at/site/nachrichten/database/70191.html sowie The Slovak Spectator vom 13.4.

und 19.5.2015). Kardinal Vlk sagte, die Vor-gangsweise des Vatikans trage keinesfalls zur Klärung und Beruhigung bei, aber er werde sich keinesfalls darauf einlassen. Der Theologe Miro Kocúr ver-mutet wie Kar-dinal Vlk, dass die Erklärung in der Slowakei ver-fasst und nach Rom geschickt worden sei, um

sie dann als römische Stellungnahme ausgeben zu können. Medienanaly-tiker sahen darin einen Ausdruck von „Intrigen innerhalb der Institu-tion“, ja letztlich einen „Kampf um den Charakter der Kirche“. Darauf ist noch etwas mehr einzugehen.

Sympathisanten des abgesetzten Erzbischofs Bezák organisierten am 28. Juni 2015 an der Technischen Universität Trnava eine öffentli-che Podiumsdiskussion über diese Entwicklungen. (www.kampanile.sk ). Martin Kramara, Sprecher der Bischofskonferenz, riss dabei die Ini-tiative an sich und bemühte sich die verschiedenen bekannt gewordenen Fakten abzuschwächen oder umzu-deuten. So seien die slowakischen Bischöfe darüber begeistert gewesen, dass der Papst Robert Bezák emp-fangen habe, und man könne von keiner Ohrfeige sprechen, die Kar-dinal Vlk ihnen sowie ihrem Vor-sitzenden Zvolenský vor aller Welt verabreicht habe. Dass Zvolenský bei Bezáks Absetzung 2012 von einer „Reinigung der Kirche“ gesprochen habe, sei nicht auf Bezák gemünzt, sondern allgemein gemeint gewesen und betreffe alle. Noch plumper hatte der heutige Erzbischof von Trnava, Jan Orosch, im Vorjahr behauptet (8.6.2014; http://tvthek.orf.at/pro-gram/Orientierung/1366), Bischöfe könnten mit geschenkten Geldsum-men machen, was sie wollten, und – wie der Journalist Štefan Hríb von „Týždeň“ zynisch hinterfragte, könnten sie, nachdem sie jemanden zuvor verleumdet hätten, nicht auch – wie Ärzte – ein Berufsgeheimnis vorschieben und schweigen?

Evangelium „light“Das macht uns alle direkt betrof-

fen (Kirche In, 07/2015, S. 8). Dahin-ter steckt mehr. Es ist vieles mehr im Gang, nämlich eine breitere Block-bildung und Konfliktverschärfung im Vorfeld der Bischofssynode zum Thema Familie im Oktober 2015 in Rom. Im Mai fand auf Einladung der Slowakischen Bischofskonferenz in Bratislava ein sogenanntes Vernet-zungstreffen mit Bischöfen aus Polen, Weißrussland, Litauen, Tschechien, Slowakei, Ungarn und Kroatien statt – hinter verschlossenen Türen. Ein vom Münchener Kardinal Reinhard Marx vorgeschlagenes gemeinsames

Internationale Petition mit 3.500 Unterschriften aus 39 Ländern konnte nicht an die Nuntiatur in Bratislava übergeben werden.

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Treffen sei von Polen abgelehnt wor-den. Ein paar emeritierte deutsche Kirchenfürsten hatten sich eben-falls lautstark gegen Kardinal Marx zu Wort gemeldet: Die vom heilig-gesprochenen Papst Johannes Paul II. für immer festgelegte Wahrheit dürfe nicht verraten werden. (KAP 22.7.2015. Über den Johannes-Paul-Kult in der Slowakei bringt „Kirche In“ einen Beitrag im September.) Es gilt alles zu geloben und zu unterneh-men, um den Verrat an der Person und Lehrentscheidung des heiligen Papstes zu bekämpfen und die echte Lehre mit allen Mitteln durchzuset-zen. Zu diesem Zweck werden viele Fäden gezogen und „spontane“ Akti-vitäten und Wallfahrten im Laufe des Jahres organisiert. Wie 2014 über eine halbe Million Menschen am Pro-Life-Marsch teilnahm, so soll heuer im September ein weiterer in Bratislava stattfinden. Ende Juli fin-det in Poprad der nationale Jugend-kongress statt und vom 26. bis 31. Juli 2016 in Krakau der Weltjugend-tag. Der Flop des von der Hierarchie unterstützten Familienreferendums im Februar 2015 und vor allem der im November 2015 anstehende Ad-limina- Besuch der slowakischen

Bischöfe bei diesem Papst bedeuten einen zusätzlichen Stress.

Der National Catholic Reporter der USA titelte am 20.6.2015 „Euro-pean Church Gears up for Battle at Vatican‘s Family Synode“ (http://ncronline.org ). Kardinal Gerhard Ludwig Müller, Chef der Glaubens-kongregation, wird nicht müde gegen Kardinal Marx Stimmung zu machen und gegen alle, die Ausnahmerege-lungen für den Kommunionempfang von wiederverheirateten Geschie-denen in Betracht ziehen oder gar bereits gemacht haben, wie die Erz-diözese Freiburg 2013. Der 86-jäh-rige deutsche Kardinal Walter Brandmüller kritisierte die gesell-schaftliche Selbstzerstörung und warf deutschen Bischöfen ein Evan-gelium „light“, fernab des Evange-liums, vor. Die Konferenz der deut-schen Ordensoberen stellte sich mit einem Aufruf zu mehr Barmherzig-keit hinter Papst Franziskus. Natür-lich interessieren diese Streitereien der europäischen Kirchen viel weni-ger die Kirchen Afrikas, Asiens oder Lateinamerikas. Insbesondere Chris-tInnen der sogenannten Dritten Welt haben als Menschen zweiter Klasse

ganz andere Probleme und wichti-gere Prioritäten!

Courage anstatt Resignation

Und wir Nachbarn? Wie steht‘s mit unserer Solidarität, was ist da unsere Geste wert? P. Anton zu ehren bedeute sich an jene oft allein gelas-senen Zeugen zu erinnern, deren Wirken wir den Fall des Eisernen Vorhanges verdanken, sagte Erhard Busek. Wir danken ihnen, dass sie zusammengehalten und den Glau-ben aufrecht gehalten haben. P. Srholec, als einer der letzten Über-lebenden, widmete den Preis jenen seiner Generation, die ihr Leben für diese Ideale geopfert hatten.Franz Küberl betonte, was im amtskirch-lichen Sprachgebrauch kaum vor-komme, nämlich Zivilcourage, die eine Entscheidung zugunsten der Menschen von ihnen – wie von uns – verlange! Wie bei uns scheint Zivil-courage aber auch in der Slowakei heute Mangelware zu sein. Am ers-ten Jahrestag seiner Präsidentschaft ermunterte Präsident Andrej Kiska seine Mitbürger zu Courage anstelle von Resignation. Ebenso drückte der

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scheidende US-Botschafter Sedgwick angesichts frei herumlaufender der Korruption Verdächtiger sein festes Vertrauen aus, wie das Land in kür-zester Zeit so Großes erreicht habe, so würden die Menschen der Slowa-kei sich ihrer Macht und Kapazität bewusst, Dinge ändern zu können.(The Slovak Spectator vom 29. Juni und 13. Juli 2015).

Tatsächlich war das Konzert ein Zeichen unseres Respekts und Dan-kes für ihr Zeugnis von so viel Zivil-courage. Der schwer kranke P. Anton Srholec konnte persönlich weder ins Parlament noch in die Hofburgka-pelle kommen, aber eine kleine Dele-gation von seinen Angehörigen und Freunden nahm mit Freude und Überraschung den Ausdruck unse-rer beherzten Anerkennung und blei-benden Verbundenheit entgegen – als Zeichen dafür, dass auch wir uns der Fähigkeit bewusst werden: Wir können Dinge ändern!

Dieser Abschlussbericht der Fami-lien Lang, Mayerhofer-Sebera, Pampalk und Smutny dankt hier-mit allen sehr herzlich, die in den letzten drei Jahren ihre Initiati-ven sowie die slowakischen Freunde bahnbrechend unterstützt und die diese Feier zusammen mit dem Slo-wakischen Institut in Wien erst möglich gemacht haben.

linke Seite:vor Nuntiatur in Bratislava — Anita und Rudi Mayerhofer-Sebera, Peter Smutny, Mary Pampalk

Anton Srholec und Peter Križan (http://ok21.sk/; Slowakische Gemeinschaft für offenes Christsein im 21. Jhrhundert)

rechte Seite:Mary Pampalk, Michal Srholec (Bruder von Anton Srholec), Franz Küberl und Erhard Busek

Rudolf Mayerhofer-Sebera beim Statement im Namen der Initiatoren in der Hofburgkapelle

Peter Smutny, Josef und Mary Pampalk

Publikum in der Hofburgkapelle unter Anwesenheit von Diö-zesanbischof Ludwig Schwarz von Linz, Direktorin des Slo-wakischen Instituts, Botschafter der Slowakei Juraj Machac .

Fotos ©: Josef Pampalk und Martin Petrik

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Buchtippssinn unD unsinn sEnsE anD nonsEnsE

Katalog

ilse hirschmann

Ein Katalog ist die Kunst der Herzählung eines Werkes. Wo kommt es her? Was erzählt es? Wohin zählt es (sich)?

In der Herzählung eines Wer-kes, wie in diesem Katalog, ist ein erweitertes Verständnis von Kunst, das nicht allein das Kunst-objekt, sondern auch und beson-ders den Schaffensprozess in den Blick nimmt, schon angelegt. In diesem Prozess des Schaffens ist Ilse Hirschmann weder allein, noch verlässt sie sich allein auf Mitarbeiterinnen und Partner. Sie ist vielmehr umgeben von wit-zigen Figuren, kleinen heiteren Begleitern, Beobachtern, Dienern, die, wenn sonst niemand vorhan-den, zuverlässig zuhanden sind. Es braucht eben wen, um zu sein. Merkwürdig, wie die freundli-chen Gehilfen dafür sorgen, dass das künstlerische Ich behut-sam zur Vollendung kommt. Der Rest, das „Kunstobjekt“ ist ein Erdenrest, wie er für den Katalog geblieben ist.

Roger Lipsey Make Peace before the Sun Goes Down: The Long Encounter of Thomas Merton and His Abbot, James Fox Paperback, 240 Seiten Shambala Verlag ISBN: 1611802253

Ilse Hirschmann Sinn und Unsinn Katalog Papierarbeiten 2009-2014 Paperback, 96 Seiten, € 18,--Eigenverlag [email protected]

makE PEacE bEforE thE sun goEs DoWn: thE long EncountEr of

thomas mErton anD his

abbot, JamEs fox

Englischsprachiges Buch

Roger Lipsey

In den 1950er und 60er Jahren, veröffentliche Thomas Merton, ein Mönch des Trappistenklos-ters von Gethsemani in Kentu-cky, eine Reihe von Büchern, die zu den einflussreichsten spirituel-len Bücher des zwanzigsten Jahr-hunderts zählen. Er war so etwas wie ein Rockstar unter den Mön-chen und führte aus seiner Klos-terzelle lebhafte Korrespondenz mit Menschen aus der Welt der Religion, Literatur und Politik. Während dieser Periode forschte und schrieb er ausführlich über Buddhismus, Sufismus, Kunst und soziales Handeln. Es wird die nicht immer konfliktfreie Bezie-hung zu seinem Abt, Dom James Fox, porträtiert, die auf Respekt und Liebe fußt.

VáclaV haVEl in DEr WahrhEit lEbEn

Biographie

Michael Žantovský

Er war Schriftsteller mit Publika-tionsverbot, Dissident und gefei-erter Staatsmann. Er schlug sich als Taxifahrer durch, weil er nicht studieren durfte. Als Wortfüh-rer der Regimegegner landete er im Gefängnis. Nach der Revolu-tion von 1989 wurde er als tsche-chischer Staatspräsident eine der geachtetsten Leitfiguren der westlichen Welt. Vaclav Havel erlebte alle Höhen und Tiefen, die ein politisch engagierter Mensch im kommunistischen Teil Euro-pas erleben konnte. Zum 25. Jah-restag der Friedlichen Revolution legt Michael Zantovsky, engs-ter Freund und Weggefährte, die erste große Havel-Biographie vor, die zugleich einen neuen Blick auf die dramatischen Ereignisse des Herbstes 1989 wirft.

Michael Žantovský Václav Havel – In der Wahrheit lebenHardcover, 688 SeitenÜbersetzt von Helmut Dierlamm, Hans Freundl.Propyläen VerlagISBN:13 9783549074374

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WeLtGeWiSSenwird vom EuropahausBurgenland herausgegeben.

Redaktion: Hans Göttel

titelbild Ilse Hirschmann

illustration:Klaus Pitter https://www.facebook.com/klaus.pitter.1

Layout und Grafik: Helga Kuzmits

Druck:Rötzer-Druck Ges.m.b.H.Joseph-Haydn-Gasse 327000 [email protected]

auflage:3.000 Stück

anschrift der Redaktion:Europahaus BurgenlandCampus 2, 7000 EisenstadtTelefon: +43 2682 72190-5933Telefax: +43 2682 [email protected]

Redaktionsschluss für das Heft 29: 31. Dezember 2015

nachweis der Fotografien, so-fern nicht anders angegeben:Europahaus Burgenland

IMPRESSUM

Europa im Unterricht. Eine neue Dimension in der BildungsarbeitDokumentation von Veranstaltungen desEuropahauses in den Jahren 1991-1993.Eisenstadt, 1994

Haus „mit weiten Augen“ -Europahaus Jahresbericht 1994.Gestaltet von Margarethe van Maldegem.Eisenstadt, 1995

Lernen und Lehren um 5 vor 2000.Bildungsbemühungen für eineunmögliche Welt.Sammlung verschiedener Beiträge, Interviews und Stellungnahmen zu den Themen zu Bildungspolitik und -philosophie. Mit Interviews.Mandelbaum Verlag, Wien 1996,ISBN 3-85476-001-9

Bis hierher und trotzdem weiter -30 Jahre Europahaus im BurgenlandFestschrift mit Fotos und Interviews.Eisenstadt, 1997

Lehrer(in) sein in MitteleuropaDokumentation einer empirischen Untersu-chung in Österreich, Slowenien, Ungarn,Tschechien und der Slowakei.Autorin: Renate Seebauer.Mandelbaum Verlag, Wien 1997,ISBN 3-85476-08-6

Europahaus BurgenlandAlmanach 1998Jahrbuch zur Arbeit des Europahausesmit literarischen und künstlerischenBeiträgen und Interviews.Gestaltet von Margarethe van Maldegem.Eisenstadt, September 1998

Polis Pannonia - Lesarten zurBildung des Politischen,Hrsg. Hans Göttel.(Europahaus Burgenland Almanach 2000)Eisenstadt, 2000

Weltverantwortung und BildungEin Lese- und Bilderbuch zurJubiläumsakademie 2001 und zu ähnlichen Versammlungen, die Grund zur Freude waren. Hrsg. Hans Göttelund Ilse Hirschmann.(Europahaus Burgenland Almanach 2002)Eisenstadt, 2002

PUBLIKATIoNEN

Pannonien - Regionsbildung für dieeuropäische ZivilgesellschaftGeschichte, Fakten, Strategien, Bilder.Hrsg. Hans Göttel und Eef Zipper.Europahaus Burgenland_Dossier,96 Seiten, Verlag Rötzer, Eisenstadt 2002

Bürgernähe durch MitbestimmungDie Potentiale von Initiative und Referendum für den europäischen Einigungsprozess. Thesenpapier für ein europäisches Projekt. Broschüre, 32 Seiten.Hrsg. Europahaus Burgenland und Initiative & Referendum Institute, Europe, Amsterdam

Transnational Democracy in the MakingHandbook on the New Challenge of European Initiative(s) & Referendum(s) after the Convention. Report on the project „A participative Union closer to it’s citizens“. 192 Seiten. Hrsg. von Europahaus Burgenland, Initiative & Referendum Institute Europe.Eisenstadt, 2003

Merkwürdige WeltenBilder- und Lesebuch zu europäischen Versammlungskulturen.Dokumentation einer Grundtvig-Lernpartnerschaft. 96 Seiten. Verlag Rötzer. Europahaus Burgenland_Dossier.Eisenstadt 2003

Europahaus BurgenlandAlmanach 2004Der Geschmack von Nachhaltigkeit in der entwicklungspolitischen PolemikEin Lese- und Bilderbuch.In memoriam Ivan IllichAuswahl der Texte & Fotos: Hans GöttelGestaltung des Bildteils: Ilse HirschmannBestellung frei im Europahaus

Die Demokratische Stimmung von EuropaWege zu einer atonalen Harmonie?Europahaus Burgenland_Dossier, 80 Seiten, Verlag Rötzer, Eisenstadt 2004

A Fortune for Empowering Europe – Activating an Educational Fortune by Citizens Initiatives and Adult EducationForum Europahaus Burgenland Spezial, 48 Seiten, Verlag Rötzer, Eisenstadt 2005

Von Antipolitik bis ZukunftStichwörter zum demokratischen Leben der Europäischen Union, Forum Europahaus Burgenland Spezial, 76 Seiten, Verlag Rötzer, Eisenstadt 2006

Pannonien – Kosmopolitische HeimatEuropahaus Burgenland AlmanachHerausgegeben von Margarethe van MaldegenEisenstadt 2011

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Wir trauern um Frau

Klara Köttner-Benigni. Sie war eine wichtige Kulturvermittlerin für das

Burgenland und ein engagiertes Mitglied im

Europahaus. Schon in den 90er-Jahren organisierte

sie mit uns grenzüberschreitende Veranstaltungen,

stiftete gute Kontakte zu Literaten in der Slowakei

und setzte sich durch kluge Korrespondenz mit

einflussreichen Persönlichkeiten für den Bestand des

Europahauses ein, wenn dies notwendig war.

Wir vermissen sie gerade jetzt umso mehr.

Herzlichen Dank und ruhe sanft.

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Bilder – Seite 2

1) PODIUMSDISKUSSION „Globalisiert und grenzenlos – wo bleibt Politik?“ Mit den vier Referenten des Nachmittags:Benedikt Widmaier, Direktor der Akademie für politische und soziale Bildung „Haus am Maiberg“, Heppenheim, D;Franz Schandl, Historiker, Publizist und Herausgeber der Zeitschrift „Streifzüge“;Wolfgang Zumdick, Philosoph, Schriftsteller; Dozent an der Social Sculpture Research Unit, Oxford Brookes University;Andreas Gross, Politiker, Abgeordneter zum Schweizer Parlament und Delegier-ter zum Europarat; Gründer des Wissenschaftlichen Instituts für Direkte Demo-kratie, Zürich;moderiert von Otmar Höll, Politologe; Prof. an der Universität Wien; em. Direk-tor des Österreichischen Instituts für Internationale Politik, Wien.

2) Ruth Lotter, Bernd Guggenberger und Franz Schandl

3) David Rayner und Amanda Little aus Manchester

4) Andrea Karall und Klaus Pitter

5) Otmar Höll und Margit Lentsch

6) PODIUMSDISKUSSION „Kosmopolitisches Mitteleuropa?“ Mit den Referenten des Tages:Gabriela Weber-Grasl, Übersetzerin;

Roger Lipsey, Schriftsteller, Kunsthistoriker; Verfasser der Biographie „Ham-marskjöld. A Life“, 2013, New York;György Dalos, Schriftsteller, Berlin;Maria Marghescu, Ars & Vita, HUKatalin Thiel, Eszterházy Károly Universität, Eger, HU

7) David Rayner, Benedikt Widmaier, Josefa Trimmel, Altenberger Sandra, Anja Weißböck

8) Otmar Höll und Wolfgang Zumdick

Bilder – Seite 63

1), 2, 3), 8) Rahmenprogramm während der Tagung „Über-Leben mit / ohne Politik“

4) Im Gespräch Benedikt Widmaier, Tilman Evers und Otmar Höll

5) Mary Gutenschwager und Maria Göttel

6) „LIEDERLICHER BEITRAG“ von Sybille C. Fritsch-Oppermann begleitet vom Duo Troubadursus

7) Eva Gedö, Katalin Thiel, Maria Marghescu, György Dalos tragen ein ungari-sches Volkslied vor

Impressionen der Internationale Tagung des Europahauses Burgenland vom 18. –21. Mai 2015

ÜBER-LEBEN MIT / OHNE POLITIK – Sicherheit, Menschenrechte und Entwicklung im Lichte europapolitischer,

antipolitischer und kosmopolitischer Entwürfe.

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P. b. b.Verlagspostamt 7000 Eisenstadt07Z037226M

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