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Jene 1,5 Milliarden Menschen, die mit einem Dol- lar pro Tag oder weniger auskommen müssen, sind in der Mehrzahl Frauen. Darüber hinaus hat sich die Kluft zwischen den im Teufelskreislauf der Ar- mut gefangenen Frauen und Männern im Verlauf des vergangenen Jahrzehnts weiter vergrößert – ein Phänomen, das im allgemeinen als „Feminisierung der Armut“ bezeichnet wird. Weltweit verdienen Frauen im Durchschnitt nur knapp über 50 % dessen, was Männer bekommen. Frauen, die in Armut leben, ist der Zugang zu entscheidenden Ressourcen wie Krediten, Grund- besitz und Erbschaft verwehrt. Ihre Arbeit wird weder vergütet noch anerkannt. Ihren Bedürfnis- sen im Hinblick auf Gesundheitsfürsorge und Er- nährung wird keine Priorität eingeräumt. Sie ha- ben keinen angemessenen Zugang zu Bildung und Unterstützung, und sie werden kaum an den Ent- scheidungsprozessen in der Familie und in der Ge- meinschaft beteiligt. Gefangen im Teufelskreis der Armut, fehlt Frauen die Möglichkeit, Ressourcen und Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, um ihre Situation zu ändern. Die Aktionsplattform, die von der Vierten Weltfrauenkonferenz 1995 in Beijing verabschie- det wurde, nennt die Beseitigung der anhaltenden und weiter wachsenden Belastung von Frauen durch Armut als einen der zwölf entscheidenden Problembereiche, in denen die internationale Ge- meinschaft, Regierungen und Zivilgesellschaft Maßnahmen ergreifen müssen und die besonderer Aufmerksamkeit bedürfen. Die Kommission der Vereinten Nationen für die Rechtsstellung der Frau hat das Thema Frauen und Armut auf ihrer 40. Tagung behandelt und 1996 weitere Maßnahmen der UNO-Mitglied- staaten und der internationalen Gemeinschaft vor- geschlagen, wie beispielsweise die Einbeziehung ei- ner geschlechtsbezogenen Perspektive in alle poli- tischen Maßnahmen und Programme zur Armuts- bekämpfung. Die auf der Tagung gefassten Be- schlüsse beinhalten politische Maßnahmen, die darauf abzielen, dass alle Frauen im Fall von Er- werbslosigkeit, Krankheit, Schwangerschaft, Mut- terschaft, Witwenschaft sowie bei Behinderungen und im Alter wirtschaftlich und sozial angemessen abgesichert sind. Darüber hinaus wird gefordert, dass Frauen, Männer und die Gesellschaft die Ver- antwortung für die Versorgung von Kindern und Angehörigen gemeinsam tragen. Die Frauen sind die Armen der Welt Eine bedeutsame Errungenschaft der Konferenz von Beijing besteht darin, dass die Regierungen anerkannt haben, dass Armut auch eine geschlechtsspezifische Dimension hat. Dies hat dazu geführt, dass Armutsbekämpfungsprogram- me neu ausgerichtet werden, um insbesondere den Bedürfnissen von Frauen vor allem in ländlichen Gegenden Rechnung zu tragen. Das gewachsene Problembewusstsein hat auch zu einer weiter ge- fassten Definition von Armut geführt, die nicht nur das Minimum der Grundbedürfnisse im Blick hat, sondern auch berücksichtigt, dass armen Menschen Chancen und Wahlmöglichkeiten vor- enthalten werden. Die überwiegende Mehrheit der Länder ver- weisen in ihren Berichten über die Umsetzung der Aktionsplattform von Beijing auf die zahlreiche In- itiativen in diesem Bereich. Hier einige Beispiele: ! In Uganda hat man nun erkannt, dass das im Nationalen Aktionsplan zur Beseitigung der Armut angestrebte Ziel einer Ausrottung der Massenarmut bis zum Jahr 2017 nur erreicht werden kann, wenn im gesamten Plan die ge- schlechtsbezogene Perspektive umfassend be- rücksichtigt wird. ! Kamerun, Madagaskar und Niger führen in ihren jeweiligen nationalen Programmen zur Beseitigung der Armut Frauen als besondere Zielgruppe auf. ! Senegal hat geschlechtsbezogene Weiterbil- dungsseminare für hochrangige Entschei- dungsträger durchgeführt, damit eine ge- Hintergrundinformation Nr. 1 Sondertagung der Generalversammlung der Vereinten Nationen “Frauen 2000: Gleichstellung der Geschlechter, Entwicklung und Frieden im 21. Jahrhundert”, New York, 5. – 9. Juni 2000 Die “Feminisierung der Armut”

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Jene 1,5 Milliarden Menschen, die mit einem Dol-lar pro Tag oder weniger auskommen müssen, sindin der Mehrzahl Frauen. Darüber hinaus hat sichdie Kluft zwischen den im Teufelskreislauf der Ar-mut gefangenen Frauen und Männern im Verlaufdes vergangenen Jahrzehnts weiter vergrößert – einPhänomen, das im allgemeinen als „Feminisierungder Armut“ bezeichnet wird. Weltweit verdienenFrauen im Durchschnitt nur knapp über 50 %dessen, was Männer bekommen.

Frauen, die in Armut leben, ist der Zugang zuentscheidenden Ressourcen wie Krediten, Grund-besitz und Erbschaft verwehrt. Ihre Arbeit wirdweder vergütet noch anerkannt. Ihren Bedürfnis-sen im Hinblick auf Gesundheitsfürsorge und Er-nährung wird keine Priorität eingeräumt. Sie ha-ben keinen angemessenen Zugang zu Bildung undUnterstützung, und sie werden kaum an den Ent-scheidungsprozessen in der Familie und in der Ge-meinschaft beteiligt. Gefangen im Teufelskreis derArmut, fehlt Frauen die Möglichkeit, Ressourcenund Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen,um ihre Situation zu ändern.

Die Aktionsplattform, die von der ViertenWeltfrauenkonferenz 1995 in Beijing verabschie-det wurde, nennt die Beseitigung der anhaltendenund weiter wachsenden Belastung von Frauendurch Armut als einen der zwölf entscheidendenProblembereiche, in denen die internationale Ge-meinschaft, Regierungen und ZivilgesellschaftMaßnahmen ergreifen müssen und die besondererAufmerksamkeit bedürfen.

Die Kommission der Vereinten Nationen fürdie Rechtsstellung der Frau hat das Thema Frauenund Armut auf ihrer 40. Tagung behandelt und1996 weitere Maßnahmen der UNO-Mitglied-staaten und der internationalen Gemeinschaft vor-geschlagen, wie beispielsweise die Einbeziehung ei-ner geschlechtsbezogenen Perspektive in alle poli-tischen Maßnahmen und Programme zur Armuts-bekämpfung. Die auf der Tagung gefassten Be-schlüsse beinhalten politische Maßnahmen, die

darauf abzielen, dass alle Frauen im Fall von Er-werbslosigkeit, Krankheit, Schwangerschaft, Mut-terschaft, Witwenschaft sowie bei Behinderungenund im Alter wirtschaftlich und sozial angemessenabgesichert sind. Darüber hinaus wird gefordert,dass Frauen, Männer und die Gesellschaft die Ver-antwortung für die Versorgung von Kindern undAngehörigen gemeinsam tragen.

Die Frauen sind die Armen der WeltEine bedeutsame Errungenschaft der Konferenzvon Beijing besteht darin, dass die Regierungenanerkannt haben, dass Armut auch einegeschlechtsspezifische Dimension hat. Dies hatdazu geführt, dass Armutsbekämpfungsprogram-me neu ausgerichtet werden, um insbesondere denBedürfnissen von Frauen vor allem in ländlichenGegenden Rechnung zu tragen. Das gewachseneProblembewusstsein hat auch zu einer weiter ge-fassten Definition von Armut geführt, die nichtnur das Minimum der Grundbedürfnisse im Blickhat, sondern auch berücksichtigt, dass armenMenschen Chancen und Wahlmöglichkeiten vor-enthalten werden.

Die überwiegende Mehrheit der Länder ver-weisen in ihren Berichten über die Umsetzung derAktionsplattform von Beijing auf die zahlreiche In-itiativen in diesem Bereich. Hier einige Beispiele:! In Uganda hat man nun erkannt, dass das im

Nationalen Aktionsplan zur Beseitigung derArmut angestrebte Ziel einer Ausrottung derMassenarmut bis zum Jahr 2017 nur erreichtwerden kann, wenn im gesamten Plan die ge-schlechtsbezogene Perspektive umfassend be-rücksichtigt wird.

! Kamerun, Madagaskar und Niger führen inihren jeweiligen nationalen Programmen zurBeseitigung der Armut Frauen als besondereZielgruppe auf.

! Senegal hat geschlechtsbezogene Weiterbil-dungsseminare für hochrangige Entschei-dungsträger durchgeführt, damit eine ge-

Hintergrundinformation Nr. 1

Sondertagung der Generalversammlung der Vereinten Nationen“Frauen 2000: Gleichstellung der Geschlechter, Entwicklung und Frieden im 21. Jahrhundert”, New York, 5. – 9. Juni 2000

Die “Feminisierung der Armut”

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schlechtsbezogene Perspektive auch Eingangin die sektorale Entwicklungsplanung findet.

! 1998 hat das palästinensische Ministerium fürsoziale Angelegenheiten finanzielle Mittel fürbesondere Projekte bereitgestellt, um dieunternehmerischen Fähigkeiten von Frauenzu fördern.

! Dänemarks Entwicklungshilfepolitik fordertdie Einbeziehung einer geschlechtsbezogenenPerspektive in alle Programme.

! Singapur hat ein Familienförderprogrammdurchgeführt, das dazu beitragen soll, ein-kommensschwachen Familien Zugang zu Bil-dung und Wohnraum zu verschaffen.

Frauen und GlobalisierungFrauen sind von den negativen Auswirkungen derGlobalisierung der Weltwirtschaft unverhältnis-mäßig stark betroffen. Die zunehmende Einbin-dung der Wirtschaft eines Landes in die globalenMärkte führt häufig dazu, dass die öffentlicheHand weniger Geld ausgibt und weniger in sozia-le Programme investiert. Dadurch werden Kostenauf die Familien umverteilt, wo die zusätzlicheLast sehr häufig den Frauen aufgebürdet wird.! China hat berichtet, dass aufgrund seine um-

fassenden Bemühungen zur Beseitigung derArmut von Frauen die Zahl der in Armut le-benden Menschen im Land zwischen 1995und 1998 von 65 Millionen auf 42 Millionengesunken ist. Bei 60% der Menschen, dienicht mehr in Armut leben müssen, handelt essich um Frauen.

! Wie die meisten afrikanischen Länder ver-sucht auch Sambia die negativen Auswirkun-gen von Strukturanpassungsprogrammen aufFrauen abzufedern. So führt es ein SozialesAktionsprogramm durch, das Mittel bereit-stellt, um Bildungsmaßnahmen und Gesund-heitsprogramme für Frauen zu finanzieren.

! Das 1997 in Mexiko eingeführte PROGRE-SEA-Programm bietet armen Frauen Unter-stützung in den Bereichen Arbeit, Bildung,Gesundheit und Ernährung.

! In Großbritannien und den Vereinigten Staa-ten haben 1,3 bzw. 5,7 Millionen Frauen vonder Einführung eines Mindestlohns profitiert.

! In Georgien hat eine Analyse der Auswirkungenvon makroökonomischen Investitionen und Be-steuerungspraktiken auf Frauen bei derEntwicklung von Maßnahmen geholfen, um

die negativen Folgen wirtschaftlicher Transfor-mationsprozesse für die Frauen zu minimieren.

! In Deutschland wurden Frauen im Rahmeneines Pilotprojektes mit dem Titel „Unterstüt-zung für alleinstehende, obdachlose Mütter“wieder in die Gesellschaft eingegliedert underhielten einen Arbeitsplatz.

Der Schlüssel zum WandelDie Stärkung der Frauen ist ein entscheidenderFaktor, wenn es darum geht, Millionen von Men-schen aus dem Teufelskreis von Armut und Hun-ger zu befreien. Wenn Frauen Zugang zu wirt-schaftlichen Chancen und Bildungsangeboten er-halten, und wenn sie darüber hinaus auch über dienotwendige Entscheidungsfreiheit verfügen, umsolche Angebote wahrnehmen zu können, ist esmöglich, ein bedeutendes Hindernis für die Besei-tigung von Armut zu überwinden.

Die Bereitstellung von Krediten, insbesonderevon Kleinstkrediten, hat sich mittlerweile zu einersehr populären und erfolgreichen Strategie zur Be-seitigung von Armut entwickelt. Nach Angabendes vom Entwicklungsprogramms der VereintenNationen 1998 herausgegebenen Armutsberichteserfasst das Kleinkreditsystem derzeit rund 10Millionen Frauen weltweit. Hier einige Beispieleaus der Zeit nach der Konferenz von Beijing:! 1997 haben die Vereinigten Staaten mehr als

10.000 Kredite im Gesamtwert von 67 Milli-arden US-Dollar an Unternehmerinnen verge-ben.

! In Belize hat die Bank für kleine Bauern undBetriebe 29% ihrer Mittel Frauen zur Verfü-gung gestellt.

! Japan hat zinslose Kredite an 27.000 Frauenin ländlichen Gebieten vergeben.

! Seit 1994 haben 96% der palästinensischenFrauen, die an landwirtschaftlichen Projektenteilnahmen, von der Einführung von Kredit-programmen profitiert.

! In Trinidad und Tobago hat die Entwick-lungsgesellschaft für kleine Betriebe 65% ihrerKredite an Frauen vergeben.

! Im Sudan hat der Bevölkerungsfonds der Ver-einten Nationen (UNFPA) Startkapital fürFirmengründungen zur Verfügung gestellt,um den Lebensstandard von einkommens-schwachen Frauen zu heben.

! In Vietnam hat ein vom Kinderhilfswerk derVereinten Nationen (UNICEF) unterstütztes

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Projekt mehr als 60.000 armen Frauen aus198 Kommunen in 28 Provinzen Kleinkreditesowie unternehmerisches Wissen für einkom-mensschaffende Maßnahmen zur Verfügunggestellt.Die Aktionsplattform von Beijing fordert die

Regierungen auch dazu auf, Gesetzes- und Verwal-tungsreformen durchzuführen, „um Frauen unein-geschränkten und gleichberechtigten Zugang zuwirtschaftlichen Ressourcen zu verschaffen, unterEinschluss des Rechts zu erben und das Recht,Grund und Boden zu besitzen“. In diesen Berei-chen sind bislang allerdings nur wenige Fortschrit-te erzielt worden. Lediglich eine kleine Anzahl vonLändern, darunter Bolivien, Malaysia, Simbabweund Tansania, haben ihre Gesetze geändert, umFrauen das Erben von Land zu ermöglichen.

Von Frauen geführte HaushalteSowohl in den Industrieländern als auch in denEntwicklungsländern ist die Zahl der Haushaltegestiegen, denen eine Frau vorsteht. Im allgemei-nen wird angenommen, dass von Frauen geführte

Haushalte, die nicht auf Geldüberweisungenmännlicher Verdiener zurückgreifen können, är-mer sind als die von Männern geführten Haushal-te. Wenn die Arbeitslosigkeit steigt und die Ausga-ben für die Sozialhilfe gekürzt werden, sind eherdie von Frauen geleiteten Haushalte betroffen. Umdem entgegenzuwirken, wurden unter anderemfolgende Maßnahmen ergriffen:! In seinem Haushaltsgesetz von 1988 hat Ita-

lien 250 Millionen Lire bereitgestellt, um ar-men Familien, meist mit einem weiblichenOberhaupt, ein Grundeinkommen zu sichern.

! Iran und Japan haben Mittel zur Finanzierungvon Programmen bereitgestellt, die von Frau-en geführte Haushalte auf dem Land in dasErwerbsleben integrieren.

! Singapur führt ein Familienförderprogrammdurch, das dazu beitragen soll, einkommens-schwachen Familien, vor allem solchen deneneine Frau vorsteht, Zugang zu Bildung undWohnraum zu verschaffen.

! Griechenland gewährt staatliche Beihilfen fürdie von Frauen geleiteten Haushalte.

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Diese Hintergrundinformation beruht auf dem Dokument “Überprüfung und Auswertung der Umsetzung der Aktionsplattform vonBeijing: Bericht des Generalsekretärs” (E/CN.6/2000/PC/2).

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Herausgegeben von der Hauptabteilung Presse und Information der Vereinten Nationen, DPI/2035/A.Deutsche Übersetzung: Informationszentrum der Vereinten Nationen (UNIC) Bonn