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8/7/2019 Olivier Messiaen 100 (Die Zeit) http://slidepdf.com/reader/full/olivier-messiaen-100-die-zeit 1/3 DIE ZEIT, 27.11.2008 Nr. 49 [http://www.zeit.de/2008/49/M−Messiaen] Musik in milchweiß gesprenkeltem Orange Musik in milchweiß& Der Komponist Olivier Messiaen war Mystiker, Außenseiter und Weltversöhner. Am 10. Dezember jährt sich sein Geburtstag zum 100. Mal Jubiläum Von Claus Spahn Wer die großen CD−Boxen mit den gesammelten Kompositionen von Olivier Messiaen zur Hand nimmt und sich an langen Herbstabenden Stück für Stück durch das Gesamtwerk des französischen Komponisten hört, macht eine eigentümliche Erfahrung. Messiaen, dessen Geburtstag sich am 10. Dezember zum 100. Mal jährt, hat ekstatische Orchestermusik geschrieben, visionär farbschillernde Orgel− und Klavierwerke, rauschhafte Oratorien. Er war ein strenggläubiger Katholik, und es gibt nur wenige Werke in seinem Ruvre, die kein religiöses Thema behandeln. Was hat der Franzose in seiner Musik nicht alles zur Darstellung gebracht: die Farben des himmlischen Jerusalem und die Streiflichter des ewigen Lebens. Er hat über das Mysterium der Heiligen Dreifaltigkeit meditiert und imaginäre Blicke auf das Jesuskind geworfen, er hat die Natur als Gottes vollkommene Schöpfung geschaut und eine Oper über den heiligen Franziskus geschrieben. Aber seltsam: Je näher man all den Werken tritt und je höher sich die himmlischen Herrlichkeiten vor einem türmen, umso unnahbarer erscheinen sie. Messiaen dient dem Hörer Gottes Pracht nicht an. Er predigt nicht für die Gemeinde, sondern lebt ganz nach innen gekehrt in seinen Visionen. Man zweifelt mitunter sogar, ob seine Musik überhaupt einen Adressaten hat, so abgekapselt wirkt sie, so versunken in sich selbst. Wie in einer Schüttelkugel, hinter Glas und in Flüssigkeit geborgen, kommen einem die pfingstlichen Erscheinungen vor, die Messiaen in Töne gesetzt hat. Manchmal fallen sie auch so kitschig wie das Schneegestöber im Glas aus, dann stieben die Farbklangkristalle knallbunt durcheinander. Man kann als Hörer mit dem Fingerknöchel ans Glas der wundersamen Messiaenschen Schüttelkugeln klopfen, Einlass gewähren sie nicht. Die ganze Welt hat er bereist, um den Gesang der Vögel aufzuzeichnen Die beredtsten Auskunftgeber in der Musik scheinen die Vögel zu sein. Um die ganze Welt ist Messiaen gereist, um ihren Gesang aufzuzeichnen und in Noten und Musik zu verwandeln. Den größten Teil seines Schaffens durchschwärmen sie mit gezackter Melodik und vertrackten Rhythmen. Manche Kompositionen speisen sich ausschließlich aus ihrem Ruf. Aber was tönt da eigentlich, wenn der Pirol anschlägt, die Alpendohle schreit, der Mittelmeersteinschmätzer tiriliert? Ist es zwitschernder Surrealismus? Ist es die der Natur abgelauschte Stimme Gottes? Oder bleibt das Vogelgeschrei am Ende doch immer nur Vogelgeschrei? Der Messiaen−Schüler Pierre Boulez hat erst kürzlich wieder in einem Interview bei dem Thema verächtlich abgewinkt: Vögel imitieren? Da ziehe er nicht mit, das sei etwas fürs breite Publikum. Messiaen war Synästhetiker. Er hat die Klänge beim Komponieren als differenzierte Farbkombinationen vor sich gesehen. Es sei eine der Tragödien seines Lebens, erklärte er einmal, dass das Publikum diese Wahrnehmungsebene nicht mit ihm teile: »Ich kann noch so reichlich Farben in meiner Musik verwenden, die Leute hören, aber sie sehen nichts.« Umso glühender fallen seine Werkkommentare aus. Sie fließen geradezu über vor Metaphern und überbordend detaillierten Bildbeschreibungen. In seinem Riesenoratorium La Transfiguration de Notre−Seigneur Jésus−Christ (»Die Verklärung unseres Herrn Jesus Christus«) etwa imaginiert er in einer Passage einen Refrain, »dessen Harmonien von grün gestreiftem Blau über Diamant, Smaragd und Pupurviolett bis zu rot und gold geflecktem Schwarz reichen, bei deutlicher Dominanz von milchweiß gesprenkeltem Orange«. Das Stück ist in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre entstanden, als die

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DIE ZEIT, 27.11.2008 Nr. 49 [http://www.zeit.de/2008/49/M−Messiaen]

Musik in milchweiß gesprenkeltem Orange

Musik in milchweiß&

Der Komponist Olivier Messiaen war Mystiker, Außenseiter undWeltversöhner. Am 10. Dezember jährt sich sein Geburtstag zum 100.Mal

Jubiläum

Von Claus Spahn

Wer die großen CD−Boxen mit den gesammelten Kompositionen von Olivier Messiaen zur Hand nimmt undsich an langen Herbstabenden Stück für Stück durch das Gesamtwerk des französischen Komponisten hört,macht eine eigentümliche Erfahrung. Messiaen, dessen Geburtstag sich am 10. Dezember zum 100. Mal jährt,hat ekstatische Orchestermusik geschrieben, visionär farbschillernde Orgel− und Klavierwerke, rauschhafteOratorien. Er war ein strenggläubiger Katholik, und es gibt nur wenige Werke in seinem Ruvre, die keinreligiöses Thema behandeln. Was hat der Franzose in seiner Musik nicht alles zur Darstellung gebracht: dieFarben des himmlischen Jerusalem und die Streiflichter des ewigen Lebens. Er hat über das Mysterium derHeiligen Dreifaltigkeit meditiert und imaginäre Blicke auf das Jesuskind geworfen, er hat die Natur als Gottesvollkommene Schöpfung geschaut und eine Oper über den heiligen Franziskus geschrieben. Aber seltsam: Jenäher man all den Werken tritt und je höher sich die himmlischen Herrlichkeiten vor einem türmen, umsounnahbarer erscheinen sie. Messiaen dient dem Hörer Gottes Pracht nicht an. Er predigt nicht für die

Gemeinde, sondern lebt ganz nach innen gekehrt in seinen Visionen. Man zweifelt mitunter sogar, ob seineMusik überhaupt einen Adressaten hat, so abgekapselt wirkt sie, so versunken in sich selbst. Wie in einerSchüttelkugel, hinter Glas und in Flüssigkeit geborgen, kommen einem die pfingstlichen Erscheinungen vor,die Messiaen in Töne gesetzt hat. Manchmal fallen sie auch so kitschig wie das Schneegestöber im Glas aus,dann stieben die Farbklangkristalle knallbunt durcheinander. Man kann als Hörer mit dem Fingerknöchel ansGlas der wundersamen Messiaenschen Schüttelkugeln klopfen, Einlass gewähren sie nicht.

Die ganze Welt hat er bereist, um den Gesang der Vögel aufzuzeichnen

Die beredtsten Auskunftgeber in der Musik scheinen die Vögel zu sein. Um die ganze Welt ist Messiaengereist, um ihren Gesang aufzuzeichnen und in Noten und Musik zu verwandeln. Den größten Teil seines

Schaffens durchschwärmen sie mit gezackter Melodik und vertrackten Rhythmen. Manche Kompositionenspeisen sich ausschließlich aus ihrem Ruf. Aber was tönt da eigentlich, wenn der Pirol anschlägt, dieAlpendohle schreit, der Mittelmeersteinschmätzer tiriliert? Ist es zwitschernder Surrealismus? Ist es die derNatur abgelauschte Stimme Gottes? Oder bleibt das Vogelgeschrei am Ende doch immer nur Vogelgeschrei?Der Messiaen−Schüler Pierre Boulez hat erst kürzlich wieder in einem Interview bei dem Thema verächtlichabgewinkt: Vögel imitieren? Da ziehe er nicht mit, das sei etwas fürs breite Publikum.

Messiaen war Synästhetiker. Er hat die Klänge beim Komponieren als differenzierte Farbkombinationen vorsich gesehen. Es sei eine der Tragödien seines Lebens, erklärte er einmal, dass das Publikum dieseWahrnehmungsebene nicht mit ihm teile: »Ich kann noch so reichlich Farben in meiner Musik verwenden, dieLeute hören, aber sie sehen nichts.« Umso glühender fallen seine Werkkommentare aus. Sie fließen geradezu

über vor Metaphern und überbordend detaillierten Bildbeschreibungen. In seinem Riesenoratorium LaTransfiguration de Notre−Seigneur Jésus−Christ (»Die Verklärung unseres Herrn Jesus Christus«) etwaimaginiert er in einer Passage einen Refrain, »dessen Harmonien von grün gestreiftem Blau über Diamant,Smaragd und Pupurviolett bis zu rot und gold geflecktem Schwarz reichen, bei deutlicher Dominanz vonmilchweiß gesprenkeltem Orange«. Das Stück ist in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre entstanden, als die

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Beatniks ihre Drogenexperimente intensivierten. Muss ihnen der gottestrunkene Franzose nicht hochgradignaturstoned vorgekommen sein?

Ein Künstler−Ich auf dem großen Glaubenstrip war Messiaen trotzdem nicht. Der Musikwissenschaftler TheoHirsbrunner hat das in seinem Messiaen−Buch treffend klargestellt: Der Mensch und Künstler Messiaenlösche sich selbst in seinen Naturbeobachtungen fast vollständig aus, er schreibe nicht Naturlyrik im

romantischen Geiste, bei der sich das Individuum in seiner Einsamkeit in die Natur projiziere. Die Naturbleibe bei Messiaen mit sich allein. Und deshalb sei ein Werk wie der Catalogue d oiseaux nichts anderes alsdie Zurücknahme von Beethovens Pastoral−Symphonie . Beethoven schwebte »Mehr Ausdruck derEmpfindung als Malerei« vor, bei Messiaen sei es genau umgekehrt.

Wobei er sich die Farben für seine »Malerei« mit avanciertesten Kompositionstechniken gewinnt.Hochbewusst, auf der Höhe seiner Zeit (und weit darüber hinaus) reflektiert er über den Zeitbegriff in derMusik, über Tonsysteme, Klangfarbe und Rhythmus. Er hat sich seinen eigenen, die abendländische Tonalitäthinter sich lassenden, melodisch−harmonischen Kosmos aus speziellen Modi geschaffen Tonfolgen, dieParallelen zu Arnold Schönbergs Zwölftonreihen aufweisen, aber auch mittelalterlichen undaußereuropäischen Skalen nahestehen. Er hat insbesondere von indischer Musik inspiriert irreguläreRhythmen ertüftelt, die durch minimale Hinzufügungen von Notenwerten oder Verkürzungen dieherkömmlichen Taktschemata und metrischen Schwerpunktbildungen außer Kraft setzen und so gleichsam dieZeit in einen Schwebezustand versetzen. Messiaens Naivität geht einher mit elaborierter Materialorganisationund einem ausgefuchsten kompositorischen Kalkül. Das ist nach wie vor die große Irritation, die von seinemRuvre ausgeht: wie einer kindlich staunen kann auf so hohem ästhetischen Niveau.

Immer und überall führt ihn der Weg zum ewigen Licht

In die Gebirgshöhen der Dauphiné bei Grenoble haben ihn viele seiner Erkundungsgänge geführt. Dort ist eraufgewachsen und zu Hause gewesen. Dort begreift er etwa, auf eine Gletscherlandschaft blickend, denUnterschied »zwischen dem schwachen Glanz des Schnees und der strahlenden Herrlichkeit der Sonne« undbringt das Licht in Verbindung mit dem Leuchten Christi bei dessen Verklärung auf dem galiläischen Berg

Tabor. Oder er durchwandert die Canyons Amerikas und schreibt sich die Eindrücke im Orchesterwerk DesCanyons aux étoiles& (»Von den Canyons zu den Sternen&«) von der Seele: ein hundertminütigesKlangpanorama wird es am Ende, erschlagend in seiner landschaftlichen Monumentalität, atemberaubend inden Perspektivwechseln zwischen jäh aufragenden Akkordklippen, metallisch gleißender Himmelsschau undschrundigem Schluchtendunkel.

Auch hier nimmt Messiaen in jeder Felsabbruchkante und jedem zwitschernden Vogel Gottes Schöpfergrößewahr, über allem liegt übernatürlicher Glanz. Die Wüste, in der die große Windmaschine faucht, ist keinetrostlose Ödnis, sondern ein friedvoller Ort der Meditation, in der die Seele frei wird »für die innerenGespräche des Geistes«. Im donnergrollenden, angsteinflößenden Abstieg in den Kessel von Cedar Breaks,

einer der schwärzesten und apokalyptischsten Passagen im gesamten Schaffen Messiaens, symbolisiert die

Furcht für den Komponisten »eine der sieben Gaben des Heiligen Geistes«. Immer und überall führt ein Wegzu Höherem, zum ewigen Licht. Auch Des Canyons aux étoiles& endet mit einer Paradiesvision: Im ZionPark in Utah bimmeln die Glöckchen des himmlischen Jerusalem.

Was ist das nur für eine eigenwillige Künstlerfigur, die das 20. Jahrhundert da hervorgebracht hat? Mit seinenreligiösen Utopien steht dieser Olivier Messiaen vollkommen quer zu der Zeit, in die er geboren wurde. DieMenschheitskatastrophen, die seine Epoche geprägt haben, finden in seinen Werken kaum Widerhall.Allenfalls auf sein berühmtes Quatuor pour la fin du temps (»Quartett für das Ende der Zeiten«), das er alsKriegsgefangener 1941 in einem Lager bei Görlitz komponiert hat, wirft die politische Gegenwart einenerkennbaren Schatten. Messiaens Werke erzählen davon, dass die Welt auf unerschütterbare Weise gut ist.Kein Pulverdampf und kein Ascheregen der Kriege, keine Giftwolke der Naturzerstörung kann das Licht, das

von oben kommt, verdunkeln.

Musik ist für ihn die weltversöhnende, alle Wunden heilende Kunstform. In der Nachkriegsmoderne stand ermit dieser Vorstellung weit und breit alleine. Womöglich ist das aus heutiger Sicht das eigentlichAvantgardistische seines Wirkens und weniger die kompositionstechnischen Innovationen, für die er gerühmt

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wurde und die ihn als eine der einflussreichsten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts erscheinen lassen.Seine 1949 in Darmstadt präsentierte Klavieretüde Mode de Valeurs et d Intensités gilt als Gründungsstückder seriellen Musik. Messiaen hat den Blick über den Horizont der abendländischen Musik hinaus gerichtet,als von Weltmusik noch niemand sprach. Pierre Boulez, Karlheinz Stockhausen und Iannis Xenakis gehörtenzu seinen Schülern, er war Mentor des Musique−concrète−Pioniers Pierre Henry.

Pierre Boulez sagt: »Uns hat damals die technische Seite seines Komponierens interessiert.« Aber ist die nichtinzwischen historisch geworden? Liegt das Provozierende nicht viel mehr in der frommenWeltversöhnungsgeste? Er selbst hat sein Credo so formuliert: »Ich weiß nicht, ob ich eine Ästhetik habe,aber ich kann sagen, dass meine Vorliebe einer farblich schillernden, verfeinerten, ja wollüstigen Musikgehört, einer Musik in der Art von Kirchenfenstern, in denen Komplementärfarben in wirbelnde Bewegunggeraten, einer Musik, die die Begrenzungen der Zeit und ihre Allgegenwart spürbar werden lässt, die von denAuferstandenen, den göttlichen und übernatürlichen Mysterien handelt, einer Musik, die einem theologischenRegenbogen gleicht.«

Der eklatante Widerspruch zwischen einer rationalen, materialistischen, komplexen Moderne und Messiaensnaiv farbenfrohen Himmelsvisionen klafft bis heute. Wunderschön wölbt sich Messiaens theologischerRegenbogen auch über die Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts. Man müsste nur an diesen Regenbogen glauben.Aber wer kann das schon außer dem Komponisten selbst?

Olivier Messiaen: Das Gesamtwerk

Mit Pierre Laurent Aimard, Pierre Boulez, Myung Whun Chung, Ivonne Loriod u.v.a., 32 CDs, DG 480 1333

Olivier Messiaen: Werke für Orchester

SWR−Sinfonieorchester, Ltg.: Sylvain Cambreling, 8 CDs, Hänssler Classic 93.225

Olivier Messiaen: Transfiguration&, Visions de l Amen, Des Canyons aux étoiles u. a.

Reinbert de Leeuw u.v.a., 6 CDs, Naïve 2218682179

Zum Thema

ZEIT ONLINE 35/2008: Farben und Vögel hören

Pierre−Laurent Aimard ist einer der weltbesten Pianisten. Er war Protegé des Komponisten Messiaen, dem erjetzt zum 100. Geburtstag ein Album schenkt. Ein Interview[http://www.zeit.de/online/2008/35/pierre−laurent−aimard−interview]

DIE ZEIT 20/2006: Ewig ist jetzt

Olivier Messiaens "Quatuor pour la fin du temps" ist ein Klassiker der Modernen Musik.[http://www.zeit.de/2006/20/D−Musikklassiker_xml]

DIE ZEIT, 27.11.2008 Nr. 49