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Online Programmheft Die Agonie und die Ekstase des Steve Jobs · 2 die agonie und die ekstase des steve jobs von mike daisey deutsch von jennifer whigham und anne-kathrin schulz deutschsprachige

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DIE AGONIE UND DIE EKSTASE DES STEVE JOBS VON MIKE DAISEY DEUTSCH VON JENNIFER WHIGHAM UND ANNE-KATHRIN SCHULZ DEUTSCHSPRACHIGE ERSTAUFFÜHRUNG 3. NOVEMBER 2012 AM SCHAUSPIEL DORTMUND MIT ANDREAS BECK REGIE: JENNIFER WHIGHAM BÜHNE UND KOSTÜME: ANTONELLA MAZZA LICHT: ROLF GIESE DRAMATURGIE: AK SCHULZ REGIEASSISTENZ: TILMAN OESTEREICH AUSSTATTUNGSASSISTENZ: NEJLA KALK SOUFFLAGE: SOLVEIG-FREYA OSTERMANN INSPIZIENZ: TILLA WIENAND

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TECHNISCHE ABTEILUNGEN Thomas Bohl, Thomas Pohlmann (Technische Leitung Schauspiel), Gero Wendland, Klaus Winnecke (Bühnenmeister), Ralph Jürgens (Leiter der Beleuchtungsabteilung), Sibylle Stuck, Rolf Giese (Beleuchtungsmeister), Lutz Essfeld (Leiter Tonabteilung), Gertfried Lammersdorf (Leiter Tonabteilung Schauspiel), Anton Aquinas Nesaray (Leiter Requisite), Michael Otto (Pyrotechnik und Waffenmeister), Hans-Joachim Klose (Leiter Werkstätten), Jan Schäfer (Konstruktion und Stellvertretende Werkstättenleitung), Frank Kalweit (Leiter Schlosserei), Peter Mues (Leiter Dekowerkstatt), Andreas Schmelter (Leiter Schreinerei), Bernd Schwarzer (Leiter Malsaal), Annette Preik (Zeichnerin), Ute Werner (Leiterin Kostümabteilung), Susanne Gregorzewski (Gewandmeisterin), Monika Knauer (Leiterin Maske), Daniela Leidag (Technisches Betriebsbüro), Thomas Meissner (Technischer Direktor) FÜR DIE EINRICHTUNG VERANT-WORTLICH Thomas Bohl, Thomas Pohlmann, Gero Wendland, Klaus Winnecke (Bühnenmeister), Rolf Giese (Beleuchtungsmeister), Julia Bilyk, Christof Spiewak (Beleuchtung), Markus Neuhaus, Stefanie Sareyka (Requisite), Marika Erdmann, Tanja Grewe, Christiane Petri (Garderobe), Thorsten Busch, Helmut Michael, Rafael Mondaca Varas, Rajan Raajalingam, Mahmoud Samaghi (Bühnentechnik) IMPRESSUM Spielzeit 2012/2013, Herausgeber: Theater Dortmund, Geschäftsführende Direktorin: Bettina Pesch, Schauspieldirektor: Kay Voges, Redaktion: AK Schulz, Probenfotos: Birgit Hupfeld, Titelplakatgestaltung: sputnic.tv

Mit freundlicher Unterstützung von www.esgehtwieder.de

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„ICH BEGANN, MIR GEDANKEN ZU MACHEN - DACHTE, DASS, WENN DIESES TELEFON VIER BILDER DRAUF HAT, DIE PER HAND ALS TEST GEMACHT WURDEN, DANN MUSS JEDES iPHONE VIER BILDER DRAUF HABEN, DIE ALS TEST GEMACHT WERDEN, JEDES iPHONE AUF DER WELT. PER HAND. ICH FING AN, NACHZUDENKEN. UND DAS IST IMMER EIN PROBLEM, BEI JEDER RELIGION. DER MOMENT, IN DEM MAN ANFÄNGT, NACHZUDENKEN.“

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Sie ist voller Wunder – die Apple-Welt der sanft leuchtenden Laptops, die Welt, in der Menschen ein so inniges Verhältnis zu ihrem Mobiltelefon aufbauen, dass man von Freundschaft sprechen kann. In DIE AGONIE UND DIE EKSTASE DES STEVE JOBS begegnet einem Apple-Fan die dunkle Seite seines besten Freundes nördlich von Hongkong. Denn dort, im chinesischen Shenzhen, endet sie, die ZAUBERWELT von iPhone, iPod und iPad. „iCity“ wird die gigantische Fabrikwelt des Elektronikproduzenten Foxconn genannt, der inzwischen immer wieder in das Auge der Weltöffentlichkeit gerät – spätestens, seitdem er 2010 nach Mitarbeiter-Selbstmorden Fangnetze zwischen die Hochhäuser spannen ließ. Es ist die Geschichte eines glühenden Apple-Verehrers, dem die Unschuld abhanden kommt. Die Geschichte seiner Lieblingscomputer, seiner Lieblingsfirma. Und die seines großen Helden: Steven Paul Jobs (1955-2011), als „iGod“ verehrter Erfinder von Kult-Produkten für die Informationselite – charismatischer Frontmann einer milliardenschweren Weltfirma, die seit ihrer Gründung 1976 in einer Garage vor allem dafür geliebt wird, anders zu sein als alle anderen. „THINK DIFFERENT“? Westliche Doppelmoral in Zeiten der Globalisierung: Kann ein visionärer Konzern, der ausgerechnet für seine Liebe zum Detail berühmt ist, die Zustände an seinem Hauptproduktionsort aus den Augen verloren haben? Und: Welchen ethischen Preis sind Konsumenten bereit, für ihre Technologieverliebtheit in Kauf zu nehmen? Mike Daisey (*1976) ist amerikanischer Künstler und Autor von über 20 Bühnenprogrammen. Sein Erfolgsmonolog DIE AGONIE UND DIE EKSTASE DES STEVE JOBS, der teilweise autobiographisch ist, wurde 2010 in Portland uraufgeführt und wiederholt kontrovers diskutiert. Unter www.mikedaisey.blogspot.com steht das englische Original zum kostenlosen Download bereit.

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DER BLINDE FLECK 13. Mai 2012: Nach vielen Emails zwischen Dortmund und New York in Vorbereitung auf die Deutschsprachige Erstaufführung von DIE AGONIE UND DIE EKSTASE DES STEVE JOBS am Schauspiel Dortmund in der Regie von Jennifer Whigham gibt es ein persönliches Treffens von Mike Daisey und Dramaturgin Anne-Kathrin Schulz. Der 1976 geborene US-amerikanische Autor und Performer von über 20 Bühnenprogrammen ist mit seiner Frau, der Regisseurin Jean-Michele Gregory zu Besuch in Berlin. DAISEY Das Stück speist sich aus meiner eigenen Lebensgeschichte und aus Ergebnissen

meiner Recherchen. Ich habe zum Beispiel acht Biographien über Steve Jobs gelesen.

SCHULZ Acht? DAISEY Ja, und ich kann jedem nur davon abraten. Sie sind alle fürchterlich. Alle leiden an

dem selben Problem: Die Biographien von Wirtschaftsbossen sind nie besonders interessant, weil im Leben von Wirtschaftsbossen nicht wirklich viel passiert. Das ist sogar bei Steve Jobs so – und er ist vermutlich der interessanteste Wirtschaftboss von allen. Es ist auch ein Problem des Formats – die Verlage wollen 300, 400-Seiten-Bücher. Ein sechzigseitiges Buch über Steve Jobs wäre sicher faszinierende Lektüre. Und sein Leben ist großartiges Material für einen Theaterabend, aber nicht für eine 400-Seiten-Biographie. Die letzte war ja sogar 700 Seiten lang! Aber ich habe sie alle gelesen. Es gibt auch noch andere Einflüsse – die Struktur dieses Monologs war z.B. stark beeinflusst von dem Roman NEUROMANCER von William Gibson. Auch eine gewisse Art, mit Worten umzugehen. Auch SNOW CRASH von Neal Stephenson spielte eine Rolle. Es gibt im Monolog einige erzählerische Passagen, die von SNOW CRASH inspiriert sind. Dieses Heraufbeschwören von Distopien. Und weitere Inspirationsquellen werden ja im Text genannt – z.B. 1984 und BLADERUNNER.

SCHULZ In der Recherchephase fürs Theaterstück – wobei, sollte ich DIE AGONIE

UND DIE EKSTASE DES STEVE JOBS überhaupt als solches bezeichnen? DAISEY Es ist eigenartig... Ich selber nenne meine Monologe immer einfach Monologe,

jedenfalls bei meinen eigenen Aufführungen. Sie sind ehrlich gesagt der erste Dramaturg eines Theaters, den ich treffe, also Repräsentant einer anderen Produktion, die den Text realisiert. Ich habe das Transkript ja erst im Februar 2012 online gestellt. Ich habe auch schon ein Theaterstück geschrieben, aber mein Fokus lag immer auf meinen Monologen. Wenn ich sie selber performe, bezeichne ich sie absichtlich nicht als „Theaterstück“, weil sie nicht wirklich den traditionellen Gesetzen eines Theaterstücks gehorchen. Es gibt ja normalerweise auch keinen Stücktext, kein Transkript. Und ich selber bin auch kein Schauspieler im klassischen Sinne – wenn ich auf der Bühne bin, in einer Rolle, dann höchstens in dem Sinne, wie wir alle immerzu eine Rolle spielen.

Aber es ist natürlich sofort ein anderer Fall, wenn es ein Transkript gibt und einen Schauspieler. Dann ist es durchaus eine Art Theaterstück. Aber das ist wirklich neues Terrain für mich. Ich wurde über die Jahre immer wieder gebeten, von meinen Monologen Transkripte anzufertigen, aber das hier ist das erste, das es tatsächlich gibt.

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SCHULZ Viele der Hintergründe, warum dieser Monolog entstanden ist, sind Teil des Textes. Für mich gibt dieser autobiographische Aspekt dem Text sehr viel Kraft: die Reise, die sowohl eine innerer als auch eine äußere Reise ist – Bestandsaufnahmen, Recherche an vielen Orten.

DAISEY Recherche ist schon seit längerem Teil meiner Arbeit, ja. Und der Rechercheteil

wird zum Teil der Geschichte. Vor Ort recherchieren, Zeuge sein, und dann Geschichten auf Grundlage dieser Erlebnisse zu erzählen. Für meinen Monolog THE LAST CARGO CULT, der sich mit der globalen Finanzkrise beschäftigt, war ich z.B. mehrere Wochen auf einer Insel im Südpazifik, wo die Menschen unser Verständnis vom Wert des Geldes nicht teilen. Bei DIE AGONIE UND DIE EKSTASE DES STEVE JOBS war es so, und das kommt ja auch im Text vor, dass ich auf diese Bilder aus der Fabrik gestoßen bin. Und dann das gemacht habe, was die meisten machen würden: Ich habe gegooglet. Und bin sehr schnell auf Menschenrechtsberichte von Nicht-Regierungs-Organisationen gestoßen, aus den letzten zehn Jahren, und die haben mich wirklich gefesselt. Und erstaunt, weil sie über viel Schlimmeres <aus China> berichten als alles, was im öffentlichen Diskurs vorkam. Und das sind renommierte Organisationen, und niemand widerspricht ihren Ergebnissen. Man spricht einfach nicht darüber. Und ich fragte mich – wenn das alles stimmt, und es scheint ja zu stimmen, warum hört man nichts darüber? Wenn alle es wissen, warum ist es uns egal? Das fragte ich auch mich selber. Woher kommt dieser blinde Fleck?

Foto: Jean-Michele Gregory

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Es war nicht so, dass ich, mit Reporterhut auf dem Kopf, wild auf der Suche nach einer „Story“ war. Dieser blinde Fleck hat mich interessiert, diese Leerstelle, die es auch in mir selber gab. Ich bin in der Lage, mein Laptop in seine Bauteile zu zerlegen, aber ich hatte nie einen Schritt weitergedacht. Und: Gerade Hightech-Fans sind ja oft besessen von Fragen wie, wo genau eine bestimmte Platine herkommt, mit was für einem Chipset, es gibt Codes auf den Bauteilen... Und mir wurde klar, dass ich zwar viel darüber wusste, wo Bauteile herkommen, aber nicht, wie sie zusammengesetzt werden. Genau da gab es bei mir einen blinden Fleck, eine Leerstelle. Und interessanterweise lag diese Leerstelle genau an dem Punkt, wo sie bei uns offenbar immer liegt: Beim Punkt Arbeitkraft. Immer wenn es um Arbeit, Arbeitskraft geht, legen wir gerne eine Leerstelle drüber, weil wir nicht hinschauen wollen. Ich bin von Hause aus eigentlich kein Aktivist, habe zwar viele politische Ansichten, war aber nie im Umfeld von politischen Gruppen. Dieser Monolog ist mit Abstand der aktivistischste, den ich je gemacht habe – und der Grund ist wohl, dass mir bei der Recherche bewusst wurde, dass man tatsächlich ziemlich einfach etwas tun könnte. Was aber nicht passiert. Es ist nicht die Sorte Theater, die zwar über die Arbeitsbedingungen in China erzählt, aber dann sagt: „Wirtschaft ist ein sehr komplexes Thema, China ist ein komplexes Land. Und wie können wir jemals wissen, was richtig und was falsch ist? Die Welt ist so groß. Und wir alle leben in ihr.“ Und dann eine lange Pause, bevor langsam die Scheinwerfer dunkler werden. Und alle würden rausgehen mit einem „Jaja...alles furchtbar komplex...“. Ich glaube, dass die logistischen Fragen zwar komplex sind, aber nicht so komplex und unüberwindbar, dass mein, dass unser Verhalten zu rechtfertigen wäre.

SCHULZ Auch die Firmen würden wohl kaum in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Apple

beispielsweise gilt seit Jahren als visionärstes und innovativstes Unternehmen der Branche und ist finanziell höchst erfolgreich. Anfang 2012 gab Apple bekannt, dass die Bruttogewinnspanne im vierten Quartal 2011 bei 44,7 Prozent lag – dass also durchschnittlich knapp die Hälfte des Verkaufspreises jedes Geräts direkt auf die Apple Konten fließen. Die Firma hat ein Barvermögen von 100 Milliarden Dollar.

DAISEY Die Arbeitskosten in China sind lächerlich gering. Andere Elektronikfirmen haben

vielleicht kleinere Gewinnmargen als Apple, aber alle könnten sich Reformen finanziell leisten, ohne Frage. Ich habe schon NEUROMANCER oder SNOW CRASH erwähnt – solche Bücher faszinieren mich, und mir ist irgendwann bewusst geworden, dass solche Szenarien nicht nur im Science-Fiction-Genre zu finden sind, sondern bereits in unserer realen Welt existieren. Und ich das lediglich nicht sehen wollte. Mit den Sonderwirtschaftszonen hat China Orte geschaffen, in denen die Unternehmen das Sagen haben. Da kann man sehen, wie die Zukunft aussehen wird. Es ist kein menschlicher Stiefel mehr, der einem da ins Gesicht tritt, es ist der Fußtritt eines Unternehmens. Welches immer noch einen Teil von uns darstellt, klar. Aber es ist ein Fußtritt jenseits persönlicher Verantwortung. Man kann keine Individuen mehr verantwortlich machen.

SCHULZ Könnte es sein, dass eine Geschichte, die hinter die ökonomischen Kulissen eines

Smartphones blickt, auf die dunkle Seite, uns emotional eher betrifft, als wenn es um unseren Teppich ginge, wo und wie dieser hergestellt wird und von wem?

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DAISEY Wir haben hier ein Gerät, dass so Teil unserer intimsten Privatsphäre ist, als wäre es Teil von uns, in uns eingebaut, Teil unserer Körper. Im Monolog heißt es: Die Zukunft ist schon da, wir sind schon Cyborgs. Diese Geräte sind ein untrennbarer Bestandteil unseres Blicks auf unsere Existenz. Wir sehen die Welt, und zwar auch durch unser Telefon. Man sitzt z.B. physisch miteinander beim Kaffee und ist gleichzeitig auf Facebook und Twitter aktiv. Das fasziniert mich. Ich war schon früh in Netzwerken unterwegs, noch bevor es das Internet gab, wie wir es heute kennen. Aber ich und die anderen damals wussten, dass wir Freaks waren, Außenseiter. Aber heutzutage ist praktisch jeder dabei. Die Welt heute besteht aus vielen Schichten. Heutzutage sind wir hier und gleichzeitig kennen wir Leute per Facebook und Twitter. Und je realer all diese Sachen werden und sich all diese Schichten um uns legen, desto wertvoller ist die Option, diese ganzen menschlichen Beziehungen per Telefon zu pflegen. Das einzige, was ich vielleicht – und das ist jetzt ein großes „vielleicht“ – öfter bei mir habe als mein Telefon, ist mein Portemonnaie. Vielleicht. Aber das ist nur ein Behältnis. Mein Telefon ist etwas völlig anderes. Es ist ein Portal.

SCHULZ Und damit etwas sehr persönliches. Ich war beim ersten Lesen von DIE

AGONIE UND DIE EKSTASE DES STEVE JOBS überrascht über die Fallgeschwindigkeit, die der Text in mir erreicht. Ich bin kein leidenschaftlicher Apple-Fan oder Computerexperte – ich benutze zwar ein Laptop, würde es aber sicher nicht zur Entspannung in seine 43 Einzelteile zerlegen, aber: Es ist ein Stück über uns, heute. Das irritiert, das trifft.

DAISEY Interessanterweise gab es eigentlich immer zwei Shows, die sehr verschieden sind

– die im Theater und die draußen. Seit der Uraufführung haben Tech-Experten und Branchenvertreter sehr bösartig agiert, reagiert, auf den Halbschatten an Informationen, den es über den Abend gab, auf die Fußabdrücke, die er hinterließ – aber nicht im Theaterraum selber.

SCHULZ Nach der New Yorker Premiere kam der große Erfolg. DAISEY Ich habe teilweise bis zu zwei, drei Interviews am Tag gegeben, über Monate,

während ich abends aufgetreten bin. Tagsüber gab es also eine ganz andere Art von Theater als abends. Eine Kernfrage die der Abend stellt ist: „Sollte es uns kümmern?“ – auf den ersten Blick erstmal eine Frage, die man doch nicht ernsthaft überhaupt stellen muss. Aber dennoch das Herz des Stückes.

SCHULZ Der Text behauptet, ein Virus zu beinhalten. DAISEY Und man kann nicht kontrollieren, wie genau die Immunreaktion auf ein Virus

ausfällt – weder im Theaterraum noch global. SCHULZ Irgendwann haben Journalisten herausgefunden, dass Sie kein Journalist sind,

sondern Künstler. Dazu ein kurzer Blick zurück: 2010 reisen Mike Daisey und Jean-Michele Gregory nach China. Später im Jahr ist die Uraufführung von THE AGONY AND THE ECSTASY OF STEVE JOBS in Portland, danach touren die beiden durch Amerika. 2011 beschert die New Yorker Premiere dem Monolog schlagartig nicht nur national sondern auch international große Aufmerksamkeit, was sicher auch daran liegt, dass die Person Steve Jobs gerade im Fokus der Öffentlichkeit steht – der Apple-Chef war kurz zuvor, am 5. Oktober 2011, an Krebs

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verstorben. Im Januar 2012 ist Daisey zu Gast bei Ira Glass in der Radiosendung „This American Life“. In diesem journalistischen Format wird auch ein Auszug aus Daiseys Monolog gesendet. „Mr Daisey and the Apple Factory“ wird zu einer der meist herunter geladenen TAL-Episoden. Zwei Wochen später, am 25. Januar 2012, veröffentlicht die renommierte New York Times in der Reihe „The iEconomy“ einen Artikel von Journalist Charles Duhigg über Apple, Aluminiumstaub-Explosionen, die Foxconn-Fabriken und China: IN CHINA, HUMAN COSTS ARE BUILT INTO AN IPAD. Die Debatte über Globalisierungsethik am Beispiel des Unternehmens Apple ist auf einem Höhepunkt angelangt, Apple bemüht sich um Schadensbegrenzung. Die Redaktion von „This American Life“ zieht die Episode mit Mike Daisey einige Wochen später zurück, mit dem Vorwurf, dass Daisey u.a. den Anschein erweckt habe, den kompletten Geschichtsstrang des Monologs, der in China spielt, persönlich erlebt zu haben, einige Details verfälschend dramatisch zugespitzt sowie den Sender bezüglich der Kontaktdaten seiner Übersetzerin getäuscht zu haben (was Daisey zugibt). Noch Monate später wird Mike Daisey im Internet mit Häme überschüttet. Inzwischen hat er die sachlich umstrittenen 5 Minuten seines ca. 90-minütigen Theatertextes überarbeitet, beide Versionen stehen kostenlos im Internet. SCHULZ Da ist ja ein Fokusklau in Reinform passiert. Reaktion des Immunsystems? Die

Debatte verschob sich sofort komplett – weg von den Selbstmorden chinesischer Arbeiter, weg von den unumstrittenen Zuständen bei Foxconn, weg von Apple, weg von Fragen der Verantwortung. Hin zu Charakterstudien zur Person Mike Daisey, zur Frage, was Theater darf und was nicht, und wie sich Kunst von Journalismus unterscheidet. Die Tech-Branche muss sich ins Fäustchen gelacht haben. Und nicht nur die! Jen Whigham und ich saßen hier in Deutschland an unseren Rechnern und konnten förmlich die Erleichterung im Netz spüren, die einem aus den „Mike Daisey hat gelogen“-Headlines erfreut entgegenstrahlte: ‚Die Details? Egal! Vorbei mit den gemischten Gefühle, alles wieder gut!’

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DAISEY Ich bin wütend auf mich selber. Ich habe Fehler gemacht, einige ethisch fragwürdige, falsche Entscheidungen getroffen und trage dafür die Verantwortung. Was ich aber am meisten bedauere, ist, dass ich einigen Menschen die Möglichkeit gegeben habe, die Aufmerksamkeit von den wirklich wichtigen Punkten wegzulenken.

SCHULZ Das Thema China ist glücklicherweise aber weiter präsent. Auch Foxconn ist jetzt

viel öfter in der Presse als früher – und damit auch die Unternehmen, die dort produzieren lassen. Wir hören inzwischen recht regelmäßig aus chinesischen Fabriken.

DAISEY Es gibt viele Menschen auf der Welt, die sich mit Arbeitsethik und

Arbeitspraktiken beschäftigen, es gibt aber auch einen großen Pool voll Fraktionen, Ressourcen und Energie, der gegen solche Untersuchungen anarbeitet.

SCHULZ Es geht schließlich um viel Geld. DAISEY Ja. SCHULZ Auch Charles Duhigg von der New York Times bleibt am Ball. DAISEY Seine Arbeit ist wirklich großartig. Und <Apple Mitbegründer> Steve Wozniak

war und ist ein wichtiger Unterstützer, hat mich auch nach der Sache mit „This American Life“ weiter öffentlich unterstützt, auch auf wiederholte Nachfrage – was viele aus der Tech-Branche immer noch nicht fassen können.

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„THIS AMERICAN LIFE“ – SENDUNG VOM 16. MÄRZ 2012 (NATIONAL PUBLIC RADIO) Moderator Ira Glass im Gespräch mit Charles Duhigg von der New York Times (Auszug)

(...) GLASS Ein Aspekt, über den Sie und David Barboza in Ihrer Serie <“The iEconomy“, New York Times 2012> berichten, sind die schmalen Gewinnmargen für Apple- Zulieferer. Können Sie uns mehr dazu sagen, und über die Relevanz? DUHIGG Gerne. Weil es eine große Rolle spielt. Apple ist bei den Zulieferern dafür

bekannt, einer der aggressivsten Verhandlungspartner überhaupt zu sein, wenn es um die Preise geht, die sie bereit sind zu zahlen. Denn jeder weiß, dass, wenn man Apple als Klienten gewinnt, gewinnt man gleichzeitig enorm an Reputation. Also versucht im Prinzip jeder Zulieferer, mit Apple zusammenzuarbeiten, weil das wie eine Qualitätssiegel ist.

GLASS Dass sie hohe Qualität produzieren können, und das in hoher Quantität? DUHIGG Genau. Apple ist der Gold-Standard. Und deswegen hat Apple diese enorm starke

Verhandlungsposition. Und die nutzen sie, so sagten mir meine Quellen, sehr aggressiv, sie kommen und sagen „Zeigt uns eure gesamte Kostenstruktur, jeden Posten, der Geld kostet, und eure internen Finanzen. Und wir werden euch eine hauchdünne Gewinnmarge geben, die ihr behalten dürft.“ Diverse Firmen und diverse Aktivisten außerhalb von Firmen haben berichtet, dass einer der Gründe, warum die Bedingungen bei Apple-Zulieferern so hart sind, ist, weil sie buchstäblich nicht das Geld haben, bessere Bedingungen zu finanzieren, dass, sobald Apple auftaucht und sagt „Wir werden euch hauchdünne Gewinnmargen geben“, dass dann die Zulieferer anfangen, an allen Ecken zu sparen. Oder es sich nicht leisten können, mehr Menschen für die Fließband-Arbeit einzustellen, was verhindern würde, dass die Arbeiter so lange Schichten haben.

(...)

GLASS Alle, die solche Produkte besitzen, sollen die sich jetzt schlecht fühlen? DUHIGG Es ist nicht meine Aufgabe, jemandem zu sagen, ob er sich schlecht fühlen soll

oder nicht. Ich bin Reporter bei der New York Times. Meine Aufgabe ist es, Fakten zu sammeln und letztendlich jedem selbst diese Entscheidung zu überlassen. Ich kann Ihnen das Argument nennen, das mir gegenüber genannt wurde, als es darum ging, warum man sich schlecht fühlen sollte, und jeder kann davon halten, was er will. Das Argument war, dass es in diesem Land mal Zeiten gab, in denen harte Arbeitsbedingungen Teil des wirtschaftlichen Fortschritts waren. Als Nation haben wir irgendwann entschieden, dass das inakzeptabel ist. Wir haben Gesetze verabschiedet, die verhindern sollten, dass amerikanische Arbeiter jemals wieder solchen harten Arbeitsbedingungen ausgesetzt sein würden. Und was heute passiert, ist, dass wir, anstatt diesen Lebensstandard zu exportieren - was in unserer Macht läge - wir diese harten Arbeitsbedingungen in ein anderes Land exportiert haben. Sollten man sich also schlecht fühlen, wenn jemand zwischen 12

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und 24 Stunden am Tag arbeitet, um das iPhone herzustellen, das man in der Tasche hat- (...) Ist es für Sie ein angenehmes Gefühl, zu wissen, dass iPhones und iPads und andere Produkte unter weniger harten Arbeitsbedingungen hergestellt werden könnten, aber dass diese harten Bedingungen aufrecht erhalten werden durch eine Industrie, die Sie mit Ihrem Geld unterstützen.

GLASS Verstehe. Ich bin direkter Nutznießer von diesen harten Bedingungen. DUHIGG Sie sind nicht nur der direkte Nutznießer, Sie sind sogar einer der Gründe, warum

sie überhaupt existieren. Wenn Sie andere Entscheidungen treffen würden, wenn Sie andere Bedingungen fordern würden, wenn Sie fordern würden, dass andere denselben Arbeitnehmerschutz haben, den Sie haben, dann wären die Bedingungen in Übersee anders.