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ONLINE-TEXTBOOK PFERDEMANAGEMENT
Modul Pferdewissen I
KAPITEL I.1 NATUR DES PFERDES
• Geschichte des Pferdes
• Pferderassen
• Pferdeverhalten
Online-Textbook „Pferdemanagement“ Modul Pferdewissen I I.1 Natur des Pferdes
Seite 1
Liebe BEMER-Partner,
wir freuen uns, dass wir Ihnen die Welt der Pferde ein Stück näherbringen dürfen,
sodass Sie mit Fachwissen für Ihr Business in der Pferdebranche ausgerüstet sind.
Das Ausbildungsprogramm richtet sich nicht nur an Neueinsteiger, sondern
besonders auch an Geschäftspartner, die ihr Pferdewissen auffrischen oder selbst
testen möchten.
Sitzen Sie mit Ihrem Pferdewissen schon fest im Sattel?
Denn eines ist in der Pferdebranche sicher: wer mit überschätztem Halbwissen in der
Pferdewelt auftritt, wird in der Praxis schnell entlarvt und verliert an Vertrauen und
Überzeugungskraft. Der Umgang und Sport mit Pferden erfordert von Reitern und
Pferdebesitzern ein hohes Maß an Verantwortung und Fachkenntnis, welches sie
ebenfalls von Verkäufern und Dienstleistern erwarten.
In dem Online-Textbook „Pferdemanagement“ lernen Sie die wichtigsten Grundlagen
der Pferdekunde und -wirtschaft. Was sind die Bedürfnisse und Instinkte eines
Pferdes? Was gehört zu einer professionellen und tiergerechten Pflege, Versorgung
und zum Training eines Pferdes? Welche Probleme gibt es in der Haltung von
Pferden? Wie ticken eigentlich Reiter und Pferdebesitzer? Was sind ihre
Erwartungen an Produkte und Dienstleistung rund um ihr besonderes Gut – das
eigene Pferd? Dies und vieles mehr möchten wir Ihnen in drei aufeinander
aufbauenden Modulen näher erklären.
Am Ende eines jeden Moduls können Sie einen Test mit Multiple-Choice Fragen
absolvieren und sich damit für das nächste Modul freischalten. Wir wünschen Ihnen
viel Freude und Aha-Erlebnisse beim Lesen und Lernen und hoffen Sie noch ein
Stück mehr von den Pferden zu begeistern.
Wir vom Horse Competence Center Germany (HCCG) haben unseren Sitz auf einem
Pferdegestüt im Osnabrücker Land, eine der ausgeprägtesten Pferderegionen
Deutschlands. Gemäß unserem Motto „Pferdestärken bündeln – Wissen
transportieren!“ beschäftigen wir uns zusammen mit starken Partnern aus
Wissenschaft und Wirtschaft mit Forschungs- und Bildungsprojekten rund um das
Thema Pferd.
Aufbauend auf das Online-Textbook bieten wir Ihnen mit Praxis-Intensiv-Kursen die
Möglichkeit, Ihr erlerntes Wissen im Pferdestall anzuwenden und sicher im
praktischen Umgang mit Pferden zu werden. Nach erfolgreichen Abschluss der
Online- und Praxiskurse erhalten Sie ein Zertifikat zum „BEMER-HORSE-SET
Produktberater“. Weitere Infos hier (Link)
Ihr Team vom HCCG
Online-Textbook „Pferdemanagement“ Modul Pferdewissen I I.1 Natur des Pferdes
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BEMER HORSE-SET Ausbildungsprogramm
Aus der folgenden Abbildung können Sie den Aufbau des BEMER HORSE-SET
Ausbildungsprogramms entnehmen.
Modul I: Pferdewissen I
Inhaltsverzeichnis: Kapitel I.1 Natur des Pferdes
Geschichte des Pferdes ............................................................................................. 3
Pferderassen – Die Vielfalt der Pferdewelt ................................................................. 9
Pferdeverhalten ........................................................................................................ 15
Sinnesorgane ........................................................................................................... 17
Die Sprache der Pferde ............................................................................................ 20
Copyright
Alle Bilder des ONLINE-TEXTBOOK PFERDEMANAGEMENT dürfen nur zu Schulungs-
und Lehrzwecken von der BEMER Int. AG und von den Kursteilnehmern genutzt werden.
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Pferdewissen I
In dem ersten Modul „Pferdewissen I“ lernen Sie die Geschichte und Natur des Pferdes
kennen sowie welche Bedürfnisse und Verhaltensweisen aus der Urzeit noch die heutigen
modernen Pferderassen prägen. Welche Anforderungen werden an die Haltung und das
Management von Pferden gestellt und welche Aspekte sind zur Gesundheitsvorsorge und
bei Erkrankungen zu berücksichtigen? Denn es ist kein Vorurteil – Pferde sind teuer und
besonders die Tierarztrechnungen von einem erkrankten Pferd sind oft sehr hoch.
I.1 Natur des Pferdes
Das erste Kapitel umfasst drei Themenbereiche, um die Natur des Pferdes zu verstehen:
• Geschichte des Pferdes
• Pferderassen – die Vielfalt der Pferdewelt
• Pferdeverhalten
Geschichte des Pferdes
Die Evolution der Pferde begann vor rund 60 Millionen Jahren im Zeitalter Eozän, als sich
nach dem Aussterben der Dinosaurier die Säugetiere ausbreiteten. Das älteste gefundene
Urpferd „Eohippus“, lat. „das Pferd der Morgenröte“, lebte in den Wäldern Nordamerikas
und ernährte sich von Blättern und Früchten. Mit seinen 40 Zentimetern war es nicht größer
als ein Fuchs, konnte mit seinen mehrzehigen Pfoten
flink über die feuchten und moorigen Böden laufen, um
sich vor Raubtieren im Unterholz zu verstecken. Mit der
Veränderung und dem Wechsel der Lebensräume und
Umweltbedingungen entwickelten sich auch die
Vorfahren der Pferde weiter, deren Entwicklung
besonders am Kau- und Bewegungsapparat zu erkennen sind. Durch ein Absinken der
Temperaturen und einen Rückgang der Wälder breiteten sich trockene Steppen und
Savannen aus.
Das beliebte Beutetier änderte seine Überlebensstrategie in „in der Gruppe bleiben, Gefahr
schnell wahrnehmen und fliehen“. Die Beine wurden länger für eine schnelle Flucht, die
Körpergröße höher für einen besseren Überblick, die mehrzehigen Pfoten entwickelten sich
zu einzehigen harten Hufen für ein schnelles Laufen auf dem härteren Steppenboden.
Bei der Entwicklung zu einem Huf wurde die mittlere Zehe stärker ausgeprägt und die nicht
mehr wichtigen seitlichen Stützzehen bildeten sich auf dem trockenen Savannen- und
Steppenboden zurück. Sie sind bei den heutigen Pferden noch als „funktionslose“
Griffelbeine vorhanden.
Abbildung 1 Eohippus verändert nach GLUNK und SIMON (1992)
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Die Evolution der Pferde vom Eohippus zum heutigen Pferd Equus caballos verlief
keineswegs gradlinig, es gab viele verschiedene Gattungen und Seitenlinien. Von
Nordamerika wanderten die Pferdevorfahren über die zeitweilig bestehenden Landbrücken
in andere Erdteile aus. Im zoologischen System gehören Pferde zur Familie Equidea und
zur Gattung Equus, zu der auch Zebras, Esel, Maultiere und Maulesel zählen.
Vor ca. 30.000 Jahren sollen Menschen über eine Landbrücke in Amerika eingewandert
sein und vor ca. 10.000 bis 8.000 Jahren sind die Pferde in ihrer eigentlichen Heimat
ausgestorben. Als Ursache wird die Eiszeit, mangelnde Anpassung an das veränderte
Klima oder eine epidemische Seuche vermutet. Eine zusätzliche Bejagung durch den
Menschen könnte die Pferdepopulation zusätzlich reduziert haben. Die heutigen Wildpferde
in Amerika (Mustang, Cimarron) sind auf eingeführte europäische Hauspferde
zurückzuführen.
Zuletzt galten Przewalski-Pferde als die letzte
lebende Wildpferde-Rasse der Welt, jedoch ist
nach einer aktuellen Genom-Analyse von
Pferdeüberbleibseln aus Kasachstan klar, dass
die Przewalski-Pferde von den gezähmten
Botai-Pferden abstammen. Botai-Pferde zählen
zu den ersten domestizierten Pferden, jedoch
sind sie nicht die direkten Vorfahren der heute
lebenden Hauspferde, da diese gerade einmal
2,7 Prozent Botai-Pferde-Erbgut vorweisen. Die
Herkunft der heute lebenden Hauspferde liegt
nach Aussage der Forscher weiter im Dunkeln.
In einigen Naturschutzgebieten werden heute
noch „Wildpferde“ gehalten, die jedoch von
verwilderten Hauspferden abstammen. Hierzu
zählen die Rassen Mustang in Amerika, Namib-
Pferde in Namibia, Konik-Pferde in Polen,
Deutschland und Niederlande, Carmague-
Pferde in Frankreich und Dülmener Wildpferde
in Deutschland. Der Tarpan, ein eurasisches
Wildpferd, ist im 19. Jahrhundert ausgerottet
worden.
Abbildung 2: Przewalski-Pferde werden heute in Zoos oder Naturschutzgebieten gehalten. Benannt sind sie nach ihrem russischen Entdecker Nikolai
Michailowitsch Przewalski.
Abbildung 3: Dülmener Wildpferde in Deutschland
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Domestikation - Das Pferd in der Geschichte der Menschheit
Die Umwandlung eines Wildtieres in ein Haustier wird als Domestikation bezeichnet. Das
Pferd war nicht das erste Haustier des Menschen. Hunde, Schafe, Schweine, Ziegen und
Rinder wurden zuerst von dem Menschen gezähmt und gehalten.
Den ersten Kontakt mit Menschen hatten Wildpferde zunächst als Jagdobjekte. In
Höhlenzeichnungen zeigt sich die ehemalige Bedeutung des Pferdes als Nahrungsmittel
für den Menschen. Die viel langsameren Menschen trieben dazu manchmal die Pferde
einen Steilhang hinunter in den Tod.
Die Domestikation des Pferdes begann während des 5. Jahrtausends v. Chr. Nach ihrer
Zähmung wurden Pferde zunächst als Pack- und Zugtiere eingesetzt. Vor 4.000 Jahren
zogen Pferde Streitwagen. Dies wurde durch einen archäologischen Fund eines
Streitwagengrabes in Russland gesichert. Vor 3.000 Jahren ritten die ersten Krieger auf
dem Rücken von Pferden. Eine der ersten Reitervölker entstanden in der Mongolei in
Zentralasien. Sie waren Nomaden und nutzen die gezähmten Pferde wegen ihrer
Schnelligkeit und Ausdauer zur Jagd auf andere Tiere.
Pferde im Krieg
Die nomadischen Reitervölker eroberten riesige Gebiete in Ostasien, sodass die
„Chinesische Mauer“, auch bekannt als „Große Mauer“, zum Schutz des chinesischen
Kaiserreiches errichtet wurde und Reiterheere aufgestellt wurden. Das Pferd hatte in
Kriegen eine entscheidende Bedeutung, wie bei der Bildung des Persischen Reiches, bei
dessen Zerstörung durch Alexander den Großen und bei der Entstehung des Römischen
Reichs. Im Mittelalter entstanden große Heere mit Rittern und schweren
Eisenausrüstungen. Die Schnelligkeit und Wendigkeit der Pferde wurde mit der Erfindung
der Feuerwaffen wieder gefragter, sodass sich die Kavallerie gründete.
Abbildung 4: Carmague-Pferde in Frankreich Abbildung 5: Mustangs in Amerika
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Die Kavallerie ist der Grundstein der heutigen klassischen Reitlehre. Dazu mehr im Modul
2. Eine der größten Kavallerieschlachten war die Schlacht von Waterloo 1815, als eine
englische Armee mit 17.000 Reitern Europa von der Herrschaft Napoleon Bonapartes
befreite. Im Ersten und Zweiten Weltkrieg wurden Pferde zur Fortbewegung und zum
Lastenziehen genutzt.
Pferde in der Landwirtschaft
Seit dem 11. Jahrhundert wurden Pferde in der Landwirtschaft eingesetzt, zum Teil noch
bis in das 20. Jahrhundert. Bei der Feldarbeit wurden Pferde vor Egge und Pflug gespannt
aber auch vor Sä- und Erntemaschinen und in den USA sogar vor Mähdreschern. Nach der
Entwicklung von Traktoren im 19. Jahrhundert nahm die Zahl der Pferde in der
Landwirtschaft ab. In Mitteleuropa zunächst allmählich durch die beiden Weltkriege aber
auch durch die Mentalität der bäuerlichen Bevölkerung. In der Dritten Welt zählen nur noch
7 % der Zugtiere zu Equiden (Pferd, Esel, Maultier). Überwiegend werden Rinder und Büffel
eingesetzt.
Abbildung 6: Ritter Abbildung 7: Kavallerie. Ein Bild aus Frankreich. Heute noch präsent bei Auftritten, als militärische Wachen und bei Festzügen.
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Pferde als Transportmittel
Vollblüter und Warmblüter wurden als Reittiere und Zugtiere vor leichten Kutschen
verwendet, die eher massigen Kaltblüter mit langsamerer Gangart fast ausschließlich als
Zug- und Arbeitstiere.
Kaltblüter wurden in der Vergangenheit zum Ziehen von schweren Fuhrwerken, zum
Bestellen von Äckern (Ackergaul), zum Schleppen von gefällten Bäumen (Rückepferd) und
ähnlichen Kraftarbeiten eingesetzt. Zum Teil werden Kaltblüter heute bei Garten- und
Forstarbeiten eingesetzt, da sie den Boden kaum verdichten und im Wald flexibler und
bestandsschonender arbeiten als Maschinen.
Abbildung 8: Vom 17. bis ins 20. Jahrhundert gab in Europa Postkutschen zur Beförderung von Postsendungen und Fahrgästen.
Abbildung 9: Kaltblüter beim Holzrücken
Abbildung 10: Das Schwarzwälder Kaltblut wird in einem Erhaltungszuchtprogramm in Baden-Württemberg gezüchtet.
Abbildung 11: Clydesdale Horses ziehen traditionell den Brauereiwagen von Budweiser.
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In den 50er und 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurden zähe Ponys als
Grubenpferde eingesetzt, die unter härtesten Arbeitsbedingungen unter Tage die
Förderwagen zwischen Stollen und Förderkörben transportierten.
Bei der deutschen Bundeswehr werden noch zahlreiche Haflinger als Tragetiere gehalten
und ausgebildet. Einige Länder mit schwer zu überwachenden Grenzen setzen vereinzelt
berittene Patrouillen ein (z. B. Schweiz).
Mit zunehmender Motorisierung nahm der Pferdebestand stark ab und hatte in Deutschland
1970 seinen Tiefststand bei ca. 250.000 Pferden, im Vergleich zu 1950 mit 1,5 Millionen
Pferden (59% Kaltblüter). Nach der Entdeckung des Pferdes als Sport- und Freizeitpartner
wird der heutige Pferdebestand in Deutschland auf 1,3 Millionen geschätzt.
Pferde als Fleischlieferant
In Krisenzeiten galt Pferdefleisch oft als Hungerration. Soldaten in Stalingrad erhielten als
Tagesration: 200 g Brot, 120 g Frischfleisch oder 200 g Pferdefleisch, 50 g Käse oder 75 g
Frischwurst, 30 g Butter, Margarine oder Schmalz bzw. 120 g Marmelade, 3 Portionen
Getränke und 3 Zigaretten, 1 Zigarre oder 25 g Tabak. Im Jahr 2001 wurden weltweit
schätzungsweise 153.000 Tonnen Pferdefleisch gegessen.
Die Bedeutung des Pferdes als Fleischlieferant ist noch immer vorhanden. Die Medikation
eines Pferdes ist nur dann uneingeschränkt möglich, wenn der Besitzer einen Pferdepass
hat, in welchem er erklärt, dass das Tier niemals zur Fleischverwertung kommen wird.
Anderenfalls muss jede medikamentöse Behandlung aufgezeichnet werden und wenn das
Pferd geschlachtet werden soll, ist eine Wartezeit einzuhalten.
Die jüdische Religion verbietet den Verzehr von Pferdefleisch. Ein solches ausdrückliches
Verbot existiert zwar im Islam und im Christentum nicht, in beiden Kulturkreisen wurde das
Essen von Pferdefleisch aber missbilligt. Von Papst Gregor III. ist überliefert, dass er 732
das Essen von Pferden als heidnische Abscheulichkeit verurteilte, die es auszumerzen
gelte. Es ist umstritten, ob der Hintergrund war, mehr Pferde für christliche Reiterheere
vorzuhalten.
Im Jahr 2012 wurden in Deutschland ca. 11.350 Pferde geschlachtet. Dies macht im
Vergleich zu anderen europäischen Ländern einen sehr geringen Anteil von 0,4 % an der
Fleischerzeugung in Deutschland aus. Pferde werden überwiegend in Pferdemetzgereien
oder Rossschlachtereien verarbeitet. In Deutschland gibt es schätzungsweise 70
Metzgereien, in Frankreich über 3.000.
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Pferde, die aus Alters- oder Krankheitsgründen vom Tierarzt eingeschläfert werden, werden
in einer Tierkörperverwertung zu Tiermehl oder -fett verarbeitet. Seit Juli 2016 ist es jedoch
durch eine Gesetzesänderung in Deutschland möglich Pferde in einem Pferdekrematorium
einäschern zu lassen. In der Schweiz und den Niederlanden ist dies schon seit Längerem
möglich.
Stutenmilch
Bereits vor 3.000 Jahren galt die Stutenmilch in China als Heil- und Wundermedizin und es
wurden Stutenherden für die Milchgewinnung gehalten. Stutenmilch wird heute als
Nahrungsmittel und Inhalt für Kosmetika eingesetzt. In Deutschland gibt es aktuell 40
Stutenmilchbetriebe.
Mythologie
In antiken Volksgruppen wurden Pferde als göttliche Wesen
verehrt und zum Teil auch geopfert. In Norddeutschland
zieren heute noch Pferdeköpfe Giebel und Tore von alten
Bauernhäusern. Im germanischen Glauben sollten sie vor
Unheil, Dämonen, Seuchen, Blitz und Donner schützen und
die Himmelsgötter gnädig stimmen.
Pferderassen – Die Vielfalt der Pferdewelt
Das heutige Hauspferd unterscheidet sich von seinen Wildvorfahren in folgenden Punkten.
Das Hauspferd ist zahmer, es ist weniger aggressiv, die Sinnesleistung ist vermindert und
sie sind weniger „auf der Hut“. Hauspferde, die von Menschen gehaltenen Pferde, zeigen
eine größere Vielfalt in Größe, Farbe und Leistung als ihre Stammform.
Seit 5.000 Jahren ist der Mensch durch züchterische Selektion an der Schaffung der
heutigen Pferderassen maßgeblich beteiligt. Zu den Auswahlkriterien zählen Farbe,
Abzeichen, Größe, Zugkraft, Schnelligkeit und Springvermögen.
Merke!
Pferde und Menschen haben eine lange gemeinsame Geschichte. Die heute lebenden
„Wildpferde“ stammen von verwilderten Hauspferderassen ab.
Abbildung 12: Pferdeköpfe an Giebeln sollten die Himmelsgötter gnädig stimmen.
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Heute gibt es über 200 Pferderassen auf der Welt, die sich in vier Gruppen aufteilen lassen.
Pony, Warmblut, Vollblut und Kaltblut. Weibliche Pferde werden Stuten genannt, männliche
Pferde Hengste. Kastrierte Hengste sind Wallache. Ältere Fohlen werden nach ihrer
Altersklasse benannt: Jährlinge, Zweijährige etc.
Vollblüter
Vollblüter sind die schnellsten, ausdauerndsten und edelsten Pferde. In der Geschichte der
Pferdezucht spielen Pferderennen eine wichtige Rolle. Das Arabische Vollblut gilt als
ausdauerndes Wüstenpferd, das für seine Schnelligkeit und Ausdauer auf Langstrecken
bekannt ist und wird heute besonders für das Distanzreiten eingesetzt. Das Englische
Vollblut wird in Europa für Kurz- und Mittelstrecken seit über zweihundert Jahren gezüchtet.
Vollblutrassen werden zur Veredelung andere Rassen eingesetzt, um diese
leistungsstärker, feiner und sportlicher zu machen. Vollblüter haben einen hohen
Bewegungsdrang und neigen zu einer höheren Erregbarkeit, sie sind allerdings auch sehr
menschenbezogen und so kann mit richtigem und vertrauensbildendem Umgang diese
Erregbarkeit abgeschwächt werden.
Warmblüter
Zu den Warmblütern zählen die meisten großen
Reitpferde, geprägt mit einem sportlichen Typ.
Früher wurden sie vor allem als Kutsch- und
Militärpferde gezüchtet und wurden mit dem
Vollblüter für den Sport veredelt. Warmblüter sind
heute besonders im Reit- und Fahrsport
erfolgreich.
Abbildung 15: Warmblut
Abbildung 13: Ein Arabisches Vollblut ist besonders durch seine feine Kopfform
gekennzeichnet.
Abbildung 14: Englisches Vollblut auf der Galopprennbahn
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In Deutschland gibt es 16 verschiedene Zuchtverbände, die sich um die Zucht des
deutschen Reitpferdes kümmern. Jeder Zuchtverband hat ein eigenes Brandzeichen und
stellt den Züchtern einen Abstammungsnachweis aus. Warmblüter zeigen je nach
Vollblutanteil einen ebenfalls hohen Bewegungsdrang und eine hohe Erregbarkeit.
Wer sind die erfolgreichsten Zuchtverbände im Dressur- und Springsport?
In der World Breeding Federation for Sport Horses (WBFSH) sind 75 Verbände registriert.
Unter den Top 10 der aktuell erfolgreichsten Zuchtstutbüchern gehören in den Disziplinen
Dressur und Springen folgende, gewertet werden Turniersportergebnisse auf
internationalem Niveau:
Tabelle 1: Ranking der Zuchtbücher von der World Breeding Federation for Sport Horses (WBFSH) Stand: 31.03.2018
Dressur Springen
1 KWPN – Koninklijk Warmbloed Paardenstamboek Nederland
KWPN – Koninklijk Warmbloed Paardenstamboek Nederland
2 HANN – Hannoveraner Verband e. V.
OS – Springpferdezuchtverband Oldenburg-International e.V.
3 DWB – Danish Warmblood Society
WESTF – Westfälisches Pferdestammbuch e.V.
4 DSP - Deutsches Sportpferd BWP – Belgisch Warmbloedpaard v.z.w.
5 WESTF – Westfälisches Pferdestammbuch e.V.
SF – Stud Book du Cheval Selle Français (ANSF)
6 OLD – Verband der Züchter des Oldenburger Pferdes e.V.
HOLST – Verband der Züchter des Holsteiner Pferdes e.V.
7 SWB – Swedish Warmblood Association
SWB – Swedish Warmblood Association
8 BWP - Belgisch Warmbloedpaard v.z.w. HANN – Hannoveraner Verband e. V.
9 TRAK – Verband der Züchter und Freunde des Ostpreussischen Warmblutpferdes Trakehner Abstammung e.V.
AES – Anglo European Studbook
10 RHEIN – Rheinisches Pferdestammbuch e.V
SBS – Stud-book sBs, le cheval de Sport Belge
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Zu den Warmblütern zählen auch die folgenden beliebten Rassen:
• American Quarter Horse
• Knabstrupper
• Andalusier
• Lipizzaner
• Appaloosa
• Lusitano
• Camargue
• Mustang
• Friese
• Paint Horse
Das American Quarter Horse zählt mit 4,6 Millionen Pferden zu
der zahlenmäßig größten Pferderasse der Welt. In Deutschland
werden Zucht und Sport über die Deutsche Quarter Horse
Organisation (DQHO) organsiert. Die Rasse ist die erste und
älteste Pferderasse Nordamerikas und ist mit den europäischen
Einwanderern aus den Rassen Araber, Berber, Andalusier,
irisches Pony, Englisches Vollblut und Percherons entstanden.
Kaltblüter
Kaltblüter sind die klassischen Arbeitspferde mit einem kräftigen
Körperbau und einem ruhigen Gemüt. Wie oben bereits
beschrieben, werden sie heute noch für Holzrückarbeiten und
Gespannfahren eingesetzt. Sie haben ein geringeres
Bewegungsbedürfnis als andere Rassen und sind im Umgang
meist berechenbar und phlegmatisch bis stur. In Deutschland
kümmern sich insbesondere Land- und Hauptgestüte, neben der
Warmblutzucht, um den Erhalt der besonderen Kaltblutrassen.
Abbildung 16 Das American Quarter Horse verfügt über eine stark ausgebildete Hinterhand, welche ihm eine schnelle Beschleunigung ermöglicht.
Abbildung 17 Kaltblüter wurden gezüchtet um schwere Arbeit zu leisten.
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Ponys
Zu den Ponys gehört eine Vielzahl von Pony- und Kleinpferderassen. Das Deutsche
Reitpony hat die größte Population in Deutschland mit über 4.800 eingetragenen
Zuchtstuten und 700 Hengsten. Im Jahr 2017 hatten 14.000 Ponys eine Turnierlizenz bei
der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) e.V. Im Vergleich dazu über 123.000
eingetragene Großpferde. Das Deutsche Reitpony hat eine Stockmaßgröße bis zu 148 cm.
Im Umgang sind Ponys meist aufmerksam, lebhaft, sehr lernfähig und nervenstark,
außerdem haben sie eine hohe Ausdauer und neigen teilweise zu einem starken
Herdentrieb. Ponys, die „kleben“, möchten sich nicht von ihren Artgenossen oder besten
Freunden entfernen.
Merke! Das Stockmaß, die Größe
eines Pferdes, wird am Widerrist
gemessen.
Abbildung 18: Dieses Pony hat ein
Stockmaß von 1,20 m.
Abbildung 19: Shetlandponys haben eine Größe von 87 – 107 cm.
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Robustpferde
Robustpferde und -ponys sind unempfindlicher gegenüber Wind und Wetter als Voll- und
Warmblutpferde. Sie besitzen ein dickeres Fell- und Haarkleid und gehören außerdem zu
den leichtfuttrigen Rassen.
Merke!
Es gibt eine Vielfalt von verschiedenen Pferderassen.
Abbildung 22: Haflingerstute mit Fohlen
Abbildung 21: Islandpferde gelten als Gewichtsträger und haben neben Schritt, Trab und Galopp zwei weitere Gänge Tölt und/ oder Pass.
Abbildung 23: Fjordpferde sind besonders für ihre schwarz-weiße Mähne, die als Stehmähne frisiert werden kann, bekannt. Auf ihrem Rücken verläuft ein dunkler Aalstrich.
Abbildung 20: Deutsches Reitpony in der Farbe Palomino , mit einem Stockmaß von 1,45 m.
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Pferdeverhalten
Das ursprüngliche, arttypische Verhalten der Pferde ist über tausende von Jahren im Erbgut
verankert und erhalten geblieben.
Pferde sind Steppentiere, Herdentiere und Fluchttiere.
Seit 25 Millionen Jahren sind Pferde grasfressende Steppenbewohner, die sich über lange
Fresszeiten mit energiearmem und rohfaserreichem Futter ernähren. In langsamer
Fortbewegung, Schritt, fressen Pferde unter naturnahen Bedingungen zwischen zehn und
18 Stunden am Tag. Pferde möchten sich über mehrere Stunden am Tag im Schritt
bewegen, so ist ihr Körperbau, ihre Physiologie und ihr Verhalten ausgelegt.
In der Steppe herrschen hohe Temperaturschwankungen zwischen Tag und Nacht, sodass
Pferde eine ausgeprägte Thermoregulation haben und somit Hitze und Kälte sehr gut
vertragen können. Außerdem haben sie einen hohen Lichtbedarf.
Pferde leben in einem engen Sozialverband, der sie vor Feinden schützt und warnt. Pferde
fühlen sich sicher, wenn sie einen engen Kontakt zu Artgenossen haben. In dem
Familienverband gibt es eine feste Rangordnung. Sie dient einem reibungslosen Ablauf des
Zusammenlebens. Leitstute und Leithengst wachen über die Herde und geben das
Kommando zur Flucht. In der Wildbahn besteht ein Familienverband aus maximal 15 - 20
Tieren und eine Herde aus mehreren Familienverbänden mit mehr als 100 Tieren. Die
ranghohen Pferde haben an beliebten Futter- und Wasserplätzen Vorrang. Die erfahrene
Leitstute führt die Herde zu den Futterplätzen. In Gefahrensituationen dominiert der
Leithengst, auch Haremshengst genannt, über alle Familienmitglieder und treibt die Herde
zusammen und fort. Die Ranghöhe eines Pferdes in einem Verband ist abhängig von Alter,
Gewicht, Größe, Gesundheitsstatus, Temperament und Erfahrung. Kommt ein neues Pferd
in eine Gruppe, wie es in der modernen Gruppenhaltung vorkommt, entscheidet auch die
Dauer der Gruppenzugehörigkeit über die Ranghöhe. Das Wissen über das ausgeprägte
Sozialverhalten der Pferde macht sich der Mensch in der Ausbildung eines Pferdes zu
Nutze. Weiteres dazu im späteren Kapitel Ausbildung. Im Umgang und Training mit dem
Pferd muss immer der Mensch das ranghöhere Lebewesen sein.
Vor Feinden und Gefahren schützt sich das Pferd durch Flucht und so spezialisierte sich
sein Körper mit Hufen, langen Beinen und einem großen Herz-Kreislauf- und Atemsystem
sowie den aufmerksamen Sinnesorganen. Je früher Feinde bemerkt wurden, desto höher
waren die Überlebenschancen. Die Fluchtdistanz kann durch positive und negative
Erfahrungen verändert und sogar in bestimmten Situationen unterbunden werden. Wenn
ein Pferd Angst hat und nicht mehr fliehen kann, weil es in die Enge getrieben wird,
Online-Textbook „Pferdemanagement“ Modul Pferdewissen I I.1 Natur des Pferdes
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verteidigt sich ein Pferd mit Ausschlagen oder Beißen. Wenn das Pferd sich in einer
sicheren Distanz befindet, können sie aber auch neugierig sein und unbekannte
Gegenstände untersuchen wollen, ob davon eine Gefahr ausgeht. Für einen Menschen
kann das Scheuen (Fliehen) des Pferdes unangenehm oder gefährlich sein, weil er das
Gleichgewicht im Sattel verliert, das Pferd ihn um rempelt, auf den Fuß tritt etc. Deswegen
muss auch im Umgang mit Pferden ein Großteil der Konzentration auf das Pferd gerichtet
sein, vor allem in unbekannten Situationen. Später dazu mehr im Modul 2.
Wenn die Angst eines Pferdes sich in Panik steigert, reagieren sie auf nichts anderes als
auf ihren Fluchtinstinkt und auch die körperliche Kraft eines 300 kg schweren Kinderponys
ist nicht zu unterschätzen.
Merke!
Pferde sind Steppentiere, Herdentiere und Fluchttiere.
Zu den wichtigsten Anforderungen an die Lebensbedingungen von Pferden zählen:
• Nahrungsaufnahme über mindestens 12 Stunden je Tag
• Bewegung im Schritt über 16 Stunden je Tag
• Leben in der Gruppe mit Artgenossen
• Flucht bei Gefahr in die Weite
• Sehr gute Kälte- und Hitzeverträglichkeit
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Sinnesorgane
Für das Überleben in der Steppe waren leistungsfähige Sinnesorgane besonders wichtig.
Sehen
Insbesondere im Sehen unterscheidet sich das Pferd vom Menschen, weshalb von Reitern
auch oft der Satz zu hören ist „Was sieht er denn jetzt schon wieder?“. Pferde haben seitlich
angeordnete Augen und überblicken einen sehr großen Bereich. Bewegungen in der Ferne,
die ein Mensch nicht direkt wahrnehmen würde, können Pferde mit einem Auge
wahrnehmen. Scharf sehen Pferde allerdings nur, was sie mit beiden Augen gleichzeitig
sehen, dieser Bereich ist direkt vor ihnen. Direkt hinter sich können Pferde nichts sehen,
weshalb man sich einem Pferd nicht von hinten nähert. Es könnte sich erschrecken und
nach dem unbekannten Feind austreten.
Außerdem können Pferde bei starker Helligkeit und im Dunkeln schärfer sehen als
Menschen. Sie brauchen allerdings etwas länger sich an Veränderungen von hell und
dunkel zu gewöhnen.
Abbildung 24: Menschen sehen anders als Pferde. Die Augen des Menschen sind frontal angeordnet, die des Pferdes mehr seitlich.
Abbildung 25: Das Pferd sieht Bereiche um seinen Körper in unterschiedlichen Sehschärfen oder gar nicht.
Scharfes Sehen mit beiden Augen
Sehen mit einem Auge z.B. Bewegungen wahrnehmen
Unscharfes Sehen
Blindes Sichtfeld
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Das Farbsehen ist bei Pferden relativ gut entwickelt, unterscheidet sich jedoch im Vergleich
zum Menschen etwas in den Farbtönen. Pferde sehen ihre Umwelt in Blau-, Gelblich-
Grünen und Grautönen. Die Farbe Rot ist für Pferde keine Alarmfarbe, wie für uns
Menschen.
Hören
Außerdem können Pferde besser hören als
Menschen und nehmen leise Geräusche und
Geräusche im hohen Frequenzbereich
(Ultraschallbereich) intensiver wahr. Mit ihren
sehr beweglichen Ohren können sie zudem
Geräusche aus jeder Richtung wahrnehmen.
Angst- und Fluchtreaktionen von Pferden
können durch Geräusche bedingt sein, die der
Mensch nicht hören kann.
Hörbereich Pferd: 60 – 33.500 Hertz
Hörbereich Mensch: 20 – 20.000 Hertz
Riechen und Schmecken
Pferde haben einen ausgeprägten Geschmacks- und Geruchssinn, der eine entscheidende
Rolle bei verschiedenen Situationen spielt, wie beim Sozial-, Sexual-, Mutter-/Kind-,
Fress-, Trink-, und Ausscheideverhalten. Ihr Riechvermögen ist besser als beim Menschen,
jedoch nicht so ausgeprägt wie beim Hund. Blut, Aas und stark riechende Medikamente
werden von Pferden gemieden. Verdorbenes Futter kann ebenfalls von Pferden verweigert
werden. Giftpflanzen auf Pferdeweiden verfügen über Bitterstoffe,
die Pferde meiden, wenn ausreichend anderes Futter vorhanden
ist. Im abgeschnittenen Zustand verlieren Pflanzen jedoch ihre
Bitterstoffe, sodass es besonders wichtig ist, dass Futter wie Heu
keine Giftpflanzen enthält. Weitere Informationen zu Giftpflanzen
finden Sie im Kapitel 2. Ein Flehmen (Abbildung) kann eine
Reaktion auf unbekannte oder intensive Gerüche sein, wobei das
Pferd die Oberlippe hochzieht und so die Geruchspartikel
intensiver wahrnehmen kann. Insbesondere Hengste zeigen dies
im Kontakt mit einer paarungsbereiten - rossigen - Stute.
Abbildung 27: Das Flehmen.
Abbildung 26: Pferde können mit ihren Ohren in alle Himmelsrichtungen hören.
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Tasten
Das größte Organ und Sinnesorgan eines Pferdes ist die Haut. Mit Tasthaaren am Maul
können sie Fremdkörper im Futter sehr leicht aussortieren. Auch die Augen werden mit
Wimpern und langen Schutzhaaren vor Fremdkörpern geschützt. Ein Abschneiden oder
Abrasieren der Tasthaare an Maul und Nüstern und der Haare in den Ohren ist nach dem
Tierschutzgesetz in Deutschland bei Pferden verboten.
Die Berührungsempfindlichkeit ist von Pferd zu Pferd unterschiedlich. Einige Pferde sind
besonders an den Flanken kitzlig und können mit Hautzucken, Ausweichen oder bei
Ungewohntheit auch mit Beißen oder Austreten reagieren. Das Anfassen eines Pferdes
gehört zu einem der wichtigsten Schritte in der Gewöhnungs- und Erziehungsphase eines
Pferdes. Weiteres dazu im Modul Pferdewissen II.
Pferde können Insekten auf der Haut durch Muskelzucken vertreiben.
Exkurs: Insektenschutz
Außerdem nutzen sie ihren langen Schweif, ihre Mähne und ihr Maul zur Insektenabwehr.
In einer Herde stellen sich die Pferde dicht zusammen, um die Insekten zu vertreiben,
außerdem hilft Wälzen, bevorzugt auf feuchten Böden. Auch das Aufsuchen von waldigen
oder windigen Gebieten ist hilfreich. Folgende blutsaugende Insekten belasten Pferde in
den Sommermonaten am meisten:
• Bremsen auch als Bliesen bezeichnet
• Stech- und Kriebelmücken
• Gnitzen
• Dasselfliegen
• Zecken
Haben Pferde, die auf der Weide gehalten werden, keinen ausreichenden Insektenschutz
können sie mit ausdauerndem Rennen / Fliehen reagiern. Der Schweiß der Pferde lockt
noch stärker die Insekten an und sie können panisch werden. Neben der starken
Beanspruchung des Pferdekörpers, kann es außerdem passieren, dass sie aus der Weide
ausbrechen.
Merke!
Pferde haben leistungsfähige Sinnesorgane,
die sich von denen des Menschen unterscheiden.
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Die Sprache der Pferde
Pferde kommunizieren überwiegend lautlos über ihre Körpersprache. Das Wissen und
Erkennen der Sprache eines Pferdes ist elementar für den sicheren Umgang mit einem
Pferd. Pferde verständigen sich über den Gesichtsausdruck, das Ohrenspiel, die
Körperhaltung und Bewegungen. So können Pferde sehr schnell kommunizieren und die
Stimmung eines anderen Pferdes schnell einordnen. Es gibt den Ausspruch „Pferde lügen
nicht“, mit ihrer Körpersprache sind sie immer eindeutig.
Augen, Nüstern (Nasenlöcher) und Ohren geben einen ersten Eindruck, aber auch die
Körperhaltung. Beispielweise steht ein hoch getragener Kopf für Aufregung und ein
abgesenkter Kopf mit ausweichender Bewegung spricht für eine unterwürfige Haltung.
Ein Steigen und gleichzeitiges Austreten mit den
Vorderbeinen ist als Angriff zu verstehen. Ein
hoch gezogenes Hinterbein gilt als Drohung für
ein mögliches Austreten, beides ist als
Verteidigung zu interpretieren. Ein gleichzeitiges
Anheben der Vorderbeine, ohne Austreten, ist
eine Form der Verteidigung.
Ausdrucksverhalten & Gesichtsausdruck
Abbildung 29: Das Pferd ist interessiert und aufmerksam. Erkennbar an den gespitzten nach vorne gerichteten Ohren, wachen Augen und einem gehobenen Kopf.
Abbildung 30: Hier das gleiche Pferd aufgeregt. Mit gespitzten Ohren, hohem Kopf, weiten Augen (weiß erkennbar) und weiten Nüstern mit einer angespannten Körperhaltung. Das Pferd ist kurz vor der Flucht.
Abbildung 28: Das linke Pferd steigt, das rechte Pferd weicht aus.
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Abbildung 35: Das Scharren oder Kratzen mit den Vorderbeinen kann Anzeichen für Ungeduld und Langeweile, aber auch für Schmerzen und Unruhe sein.
Abbildung 36: Das liegende Fohlen zeigt ein deutliches Leerkauen, eine Unterwürfigkeitsgeste vor dem vermutlich fremden rechten Pferd.
Abbildung 31: Hier zeigt sich das Pferd ängstlich. Nach hinten gerichtete Ohren, gehobener Kopf und eine angespannte Körperhaltung. Es möchte fliehen.
Abbildung 32: Drohungen unter Artgenossen. Stark nach hinten angelegte Ohren. Spitzes Maul und angespannte Nüstern mit Zähnen zeigen. „Pass auf ich beiß dich gleich“. Die Situation ist vor der Fütterung der Pferde entstanden.
Abbildung 34: Gähnendes Pferd Abbildung 33: Dösendes Pferd, erkennbar an seitlich gedrehten Ohren, leicht gesenkter Kopfhaltung und einer hängenden Unterlippe.
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Auch Pferde lesen uns Menschen in unserer Körperhaltung und Bewegung, unserem
Gesichtsausdruck und unseren Lauten. Sie erkennen Angst-, Abwehr- und Schutzverhalten
des Menschen. Im Umgang mit dem Pferd ist in jeder Situation ein selbstsicheres,
gelassenes und bestimmtes Auftreten notwendig, damit das Pferd den Menschen als
ranghöheres Lebewesen respektiert. Wie uns Menschen dies gelingen kann, erfahren Sie
im Modul Pferdewissen II.
Laute
Pferde können über Laute ihre Körpersprache verstärken. Im Folgenden sind die häufigsten
Lautäußerungen mit ihrer Bedeutung aufgeführt:
Tabelle 2: Laute von Pferden und ihre Bedeutung
Leises Wiehern
Begrüßung, Erwartung von Futtergabe
Langes Schnauben, Abschnauben
Gelassenheit
Kurzes Schnauben
Erregung
Prusten
Zufriedenheit
Quietschen
Drohen, Abwehr
Wiehern
Rufen, Begrüßen
Gebrüll
Kampfschrei von Hengsten
Stöhnen Behaglichkeit (beim Wälzen) bis
Schmerzäußerung
Merke!
Pferde kommunizieren überwiegend über Ihre Körpersprache.
Merken Sie sich die verschiedenen Ausdrucksweisen und Laute.
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Beziehungen zwischen Pferden
Neben der engen Mutter-Kind-Beziehung, die in der Regel nach acht bis zehn
Lebensmonaten des Fohlens mit der Entwöhnung abschwächt, können zwischen Pferden
Freund- oder auch Feindschaften bestehen. Diese Beziehungen sind sehr beständig, auch
wenn die Pferde sich einige Zeit nicht sehen. Befreundete Pferde lassen einen engen
Körperkontakt zu, stehen gerne nah zusammen, fressen zusammen und betreiben eine
soziale Fellpflege. Verfeindete Pferde drohen, beißen und schlagen sich. Unter
Jungpferden ist ein häufiges Spielen und Toben zu sehen, welches ihre
Bewegungskoordination und ihr Sozialverhalten trainiert.
Zu Demuts- und Unterlegenheitsgesten zählen folgende Verhaltensweisen:
• sich klein machen
• Kopf absenken
• vom dominanten Tier abwenden
• Hinterhand und Schweif einziehen
• festgeschlossenes Maul
• verlängerte Nüsternpartie
• waagerechte seitlich gelegte Ohren und nach unten weisende Ohrmuscheln
• Ausweichen, Flüchten
• Jungpferde zeigen bei fremden oder ranghohen Pferden ein starkes Leerkauen
Bei der Eingliederung eines neuen Pferdes in eine Gruppe ist besonders wichtig, dass es
als Jungtier in einer Gruppe gehalten wurde, um ein Sozialverhalten erlernt zu haben und
um das Ausdrucksverhalten der Artgenossen schnell verstehen zu können. Treffen zwei
fremde Pferde aufeinander spielt zunächst der Geruchssinn und Nasenkontakt eine große
Rolle, gefolgt von weiteren Ausdrucksverhaltensweisen wie Dominanz-, Droh- oder
Unterlegenheitsgesten.
Abbildung 37: Erste Kontaktaufnahme
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Literatur:
DESTATIS (2013): Fleischerzeugung – Pferdefleisch.
https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/ImFokus/LandForstwirtschaftFischerei/Pfer
defleisch.html (Download vom 20.04.2018)
FN (2013): Richtlinien für Reiten und Fahren. Band 4. Warendorf, FN-Verlag.
FN (2017): Jahresbericht 2017. Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) e.V. und Deutsches
Olympiade Komitee für Reiterei e.V. (DOKR). Warendorf, FN-Verlag.
FN (2017): Richtlinien für Reiten und Fahren. Band 4. Warendorf, FN-Verlag.
GLUNK, F.R., SIMON, A. (1992): Pferde. Bindlach, LOEWES Verlag.
NEUMANN-COSEL (2014): Basispass Pferdekunde. Deutsche Reiterliche Vereinigung
e.V. (FN). Warendorf, FN-Verlag.
NISSEN, J. (2003): Enzyklopädie der Pferderassen. Stuttgart, Kosmos Verlag.
SPEKTRUM (2018): Die Ahnen der Przewalski Pferde. https://www.spektrum.de/news/die-
ahnen-der-przewalski-pferde/1546393 (Download 09.04.2018).
THEIN, P. (2005): Handbuch Pferd. München, BLV Buchverlag.
WBFSH (2018): Studbook Rankings. World Breeding Federation for Sport Horses.
http://www.wbfsh.org/GB/Rankings/Breeder%20and%20Studbook%20rankings/2018.
aspx (Download 04.05.2018).
WESTFÄLISCHES PFERDEMUSEUM (2004): Von Pferden und Menschen. Münster,
Landwirtschaftsverlag.
ZEITLER-FEICHT, M. H. (2015): Handbuch Pferdeverhalten. Stuttgart, Eugen Ulmer
Verlag.