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1 Orale Kontrazeptiva mit therapeutischem Zusatznutzen 1. Einleitung Über fünfzig Jahre nach der Einführung der Pille im Jahr 1960 ist die orale Kontrazeption heute die häufigste Form der Empfängnisverhütung in den Industrienationen. Derzeit verwenden nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. [DGGG 2010] 38,5% der 17,2 Millionen Frauen in Deutschland im gebärfähigen Alter zwischen 14 und 44 Jahren orale Kontrazeptiva (OK). Die Zusammensetzung moderner OK unterschei- det sich von den frühen auf dem Markt erhältlichen Pillen maßgeblich. Während das erste verfügbare orale Kombinationspräparat (KOK) im Vergleich zu den heuti- gen Produkten sehr hohe Hormonmengen enthielt [Sator et al. 2004], sind moderne orale Verhütungsmittel wesent- lich geringer dosiert [Edgren 1991]. Damit sind die neuen Pillen allgemein nebenwirkungsärmer als ältere orale Kontrazeptiva. Dennoch sind sie kontrazeptiv sicher und zuverlässig, und darüber hinaus gewährleisten sie eine hohe Zyklusstabilität. Doch neben der Wirksamkeit, Sicherheit und Zyklusstabi- lität spielt auch der therapeutische Zusatznutzen eine zunehmende Rolle bei der Wahl oraler Kontrazeptiva. So belegen verschiedene wissenschaftliche Untersuchungen den günstigen Einfluss Estrogen- und Gestagen-haltiger Präparate auf unerwünschte Begleiterscheinungen wie Akne, das prämenstruelle Syndrom und Dysmenorrhoe [Göretzlehner und Römer 2010, Kiley und Hammond 2007, Sator et al. 2004]. Die vorliegende Fortbildung gibt einen Überblick über die Zusammensetzung, Wirksamkeit, und Sicherheit oraler Kontrazeptiva und erläutert verschiedene therapeutische Zusatzeffekte, die moderne OK aufweisen. Hierbei wird auch anhand neuester Studienergebnisse der Status Quo bei der Behandlung zyklusbedingter Beschwerden mit Estradiol-basierten Kombinationspräparaten beschrieben. 2. Orale Kontrazeptiva 2.1 Wirkungen oraler Kontrazeptiva Alle Stoffwechselvorgänge der weiblichen Reproduktion werden durch die Wirkung von Estrogenen und Gestagenen auf die Hypothalamus-Hypophysen-Ovar-Achse gesteuert. Dabei hängt die Art des biologischen Effektes – positives oder negatives Feedback – maßgeblich von dem Verhältnis der beiden Hormone zueinander und von der zeitlichen Abfolge ab. Im Allgemeinen werden die Estrogene vor den Gestagenen wirksam [Göretzlehner et al. 2011]. Hormonelle Kontrazeptiva enthalten synthetische Hormone, die sich die natürlichen regulierenden Funktionen der Estrogene und Gestagene zunutze machen. So bewir- ken vor allem die Gestagene eine negative Rückkopplung an Hypothalamus und Hypophyse (Abbildung 1, Seite 2), wodurch die Ausschüttung des Gonatropin-Releasing Hormons (GnRH) und der Gonadotropine verhindert wird. In der Folge wird der Eisprung unterdrückt. Daneben verhin- dern Gestagene eine Proliferation des Endometriums und erschweren dadurch die Nidation (Einnistung) im Uterus. Außerdem erhöhen sie die Viskosität des Zervixschleims und vermindern damit die Penetrationsfähigkeit der Spermien in den Eileiter [Keskin und Köffers 2010, Kiley und Hammond 2007]. Auch die in OK enthaltenen Estrogene haben weitere Funktionen: So sind sie insbesondere für die Aufrechterhaltung der Zyklusstabilität zuständig und verhindern Schmier- und Durchbruchblutungen [Kiley und Hammond 2007]. Orale Kontrazeptiva mit therapeutischem Zusatznutzen Prof. Dr. med. Thomas Römer Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe Evangelisches Krankenhaus Köln-Weyertal VNR: 2760909004214060015 Gültigkeitsdauer: 01.01.2013 – 01.01.2014

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Orale Kontrazeptiva mit therapeutischem Zusatznutzen

1. Einleitung

Über fünfzig Jahre nach der Einführung der Pille im Jahr 1960 ist die orale Kontrazeption heute die häufigste Form der Empfängnisverhütung in den Industrienationen. Derzeit verwenden nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. [DGGG 2010] 38,5% der 17,2 Millionen Frauen in Deutschland im gebärfähigen Alter zwischen 14 und 44 Jahren orale Kontrazeptiva (OK).

Die Zusammensetzung moderner OK unterschei-det sich von den frühen auf dem Markt erhältlichen Pillen maßgeblich. Während das erste verfügbare orale Kombinationspräparat (KOK) im Vergleich zu den heuti-gen Produkten sehr hohe Hormonmengen enthielt [Sator et al. 2004], sind moderne orale Verhütungsmittel wesent-lich geringer dosiert [Edgren 1991]. Damit sind die neuen Pillen allgemein nebenwirkungsärmer als ältere orale Kontrazeptiva. Dennoch sind sie kontrazeptiv sicher und zuverlässig, und darüber hinaus gewährleisten sie eine hohe Zyklusstabilität.

Doch neben der Wirksamkeit, Sicherheit und Zyklusstabi-lität spielt auch der therapeutische Zusatznutzen eine zunehmende Rolle bei der Wahl oraler Kontrazeptiva. So belegen verschiedene wissenschaftliche Untersuchungen den günstigen Einfluss Estrogen- und Gestagen-haltiger Präparate auf unerwünschte Begleiterscheinungen wie Akne, das prämenstruelle Syndrom und Dysmenorrhoe [Göretzlehner und Römer 2010, Kiley und Hammond 2007, Sator et al. 2004].

Die vorliegende Fortbildung gibt einen Überblick über die Zusammensetzung, Wirksamkeit, und Sicherheit oraler Kontrazeptiva und erläutert verschiedene therapeutische Zusatzeffekte, die moderne OK aufweisen. Hierbei wird

auch anhand neuester Studienergebnisse der Status Quo bei der Behandlung zyklusbedingter Beschwerden mit Estradiol-basierten Kombinationspräparaten beschrieben.

2. Orale Kontrazeptiva

2.1 Wirkungen oraler Kontrazeptiva

Alle Stoffwechselvorgänge der weiblichen Reproduktion werden durch die Wirkung von Estrogenen und Gestagenen auf die Hypothalamus-Hypophysen-Ovar-Achse gesteuert. Dabei hängt die Art des biologischen Effektes – positives oder negatives Feedback – maßgeblich von dem Verhältnis der beiden Hormone zueinander und von der zeitlichen Abfolge ab. Im Allgemeinen werden die Estrogene vor den Gestagenen wirksam [Göretzlehner et al. 2011].

Hormonelle Kontrazeptiva enthalten synthetische Hormone, die sich die natürlichen regulierenden Funktionen der Estrogene und Gestagene zunutze machen. So bewir-ken vor allem die Gestagene eine negative Rückkopplung an Hypothalamus und Hypophyse (Abbildung 1, Seite 2), wodurch die Ausschüttung des Gonatropin-Releasing Hormons (GnRH) und der Gonadotropine verhindert wird. In der Folge wird der Eisprung unterdrückt. Daneben verhin-dern Gestagene eine Proliferation des Endometriums und erschweren dadurch die Nidation (Einnistung) im Uterus. Außerdem erhöhen sie die Viskosität des Zervixschleims und vermindern damit die Penetrationsfähigkeit der Spermien in den Eileiter [Keskin und Köffers 2010, Kiley und Hammond 2007]. Auch die in OK enthaltenen Estrogene haben weitere Funktionen: So sind sie insbesondere für die Aufrechterhaltung der Zyklusstabilität zuständig und verhindern Schmier- und Durchbruchblutungen [Kiley und Hammond 2007].

Orale Kontrazeptiva mit therapeutischem Zusatznutzen

Prof. Dr. med. Thomas Römer

Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe

Evangelisches Krankenhaus Köln-Weyertal

VNR: 2760909004214060015

Gültigkeitsdauer: 01.01.2013 – 01.01.2014

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2.2 Nebenwirkungen oraler Kontrazeptiva

Zwar enthalten moderne orale Kontrazeptiva nur noch gerin-ge Hormonmengen. Dennoch kann die Einnahme von OK neben der erwünschten empfängnisverhütenden Wirkung auch unerwünschte Nebenwirkungen zur Folge haben.

Zu den nicht schwerwiegenden Nebenwirkungen oraler Kontrazeptiva gehören unangenehme Begleit-erscheinungen wie Übelkeit, Gewichtszunahme, Hautunreinheiten, Kopfschmerzen, Verstimmungen, Spannungen in den Brüsten sowie Libidoveränderungen. Auch Zwischenblutungen oder ein gänzliches Ausbleiben der Abbruchblutung kommen – je nach verwendetem OK – vor [DGGG 2010, Keskin und Köffers 2010]. Die schwerwiegenden Nebenwirkungen, die mit hormonellen Kontrazeptiva in Verbindung gebracht werden, umfas-sen thromboembolische und kardiovaskuläre Ereignisse (besonders bei Risikopatientinnen). Auch eine gering erhöh-

te Inzidenz von Mamma- und Zervixkarzinomen werden als mögliche Folge einer lang andauernden Pilleneinnahme diskutiert [DGGG 2010, Keskin und Köffers 2010, Kiley und Hammond 2007]. Bei anderen Krebsformen wiederum senken OK das Erkrankungsrisiko, wie zum Beispiel beim Ovarial- und E ndometriumkarzinom oder beim kolorekta-len Karzinom [Hannaford et al. 2010].

Die größte Wahrscheinlichkeit für das Auftreten venö-ser Thromboembolien (VTE) durch orale Kontrazeptiva besteht im ersten Anwendungsjahr; sie steigt mit zunehmen-der Estrogendosis. Die in Tabelle 1, Seite 3, dargestellten Daten zur Risikoerhöhung thromboembolischer Ereignisse im Zusammenhang mit hormoneller Kontrazeption wur-den 2011 von der Deutschen Gesellschaft für gynäkologi-sche Endokrinologie und Fortpflanzungsmedizin (DGGEF e.V.) und dem Berufsverband der Frauenärzte (BVF e.V.) publiziert.

Abbildung 1: Wirkmechanismus hormoneller Kontrazeptiva. Die Hauptwirkung der Estrogen- und Gestagenkomponente [modifiziert nach Keskin und Köffers 2010]

Viskositätserhöhung des Cervixschleims durch

Gestagene

Förderung der Zyklusstabilität,

Verhinderung von Blutungsunregelmäßigkeiten

durch Estrogene

Hypothalamus

Hypophyse

Negative Rückkopplung an Hypothalamus und Hypophyse durch Gestagene und Estrogene

Verhinderung der Endometriumsproliferation und Erschwerung der Nidation durch Gestagene

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Auch das Herzinfarktrisiko sowie die Rate ischämischer Schlaganfälle sind – wenn auch in geringem Maße – bei Einnahme oraler Kombinationspräparate erhöht. Zu diesem Schluss kam eine aktuelle Kohortenstudie der Universität Kopenhagen. Frauen, die niedrig dosier-te Ethinylestradiol-haltige Präparate einnahmen (Ethinylestradiol-Konzentration: 20 g), waren einem bis zu 1,7-fach erhöhten Schlaganfall- und einem bis zu 1,55-fach erhöhten Herzinfarktrisiko ausgesetzt im Vergleich zu Frauen, die keine hormonellen Kontrazeptiva verwende-ten. Bei höher-dosierten KOK (Ethinylestradiol-Dosierung: 30-40 g) war das Schlaganfallrisiko bis zu 2,2-fach und das Herzinfarktrisiko bis zu 2,3-fach erhöht [Lidegaard et al. 2012].

Zur Assoziation oraler Kontrazeptiva mit Krebs-erkrankungen gibt es eine Reihe Publikationen [Kiley und Hammond 2007]. Eine große wissenschaftliche Untersuchung, die 2010 letztmals aktualisiert wurde, kam zu folgendem Ergebnis: Bei Frauen, die die Pille über einen sehr langen Zeitraum einnahmen (23.377 Frauen, Beobachtungszeitraum: 774.000 Frauenjahre) zeigte sich im Vergleich zu Probandinnen, die niemals orale Kontrazeptiva nutzten (23.796 Frauen, Beobachtungszeitraum: 339.000 Frauenjahre) ein nur leicht erhöhtes Brustkrebsrisiko sowie eine gering erhöhte Zervixkarzinomrate [Hannaford et al. 2007]. Die Wahrscheinlichkeit eines Ovarial- oder Endometriumkarzinoms war dagegen bei den OK-Anwenderinnen reduziert. Deshalb führte die Einnahme der Pille insgesamt gesehen zu keiner signifikan-ten Veränderung des Krebsrisikos [Hannaford et al. 2007].

2.3 Zusammensetzung und Darreichungsformen oraler Kontrazeptiva

Die auf dem Markt verfügbaren oralen Kontrazeptiva unter-scheiden sich sowohl hinsichtlich ihrer Zusammensetzung als auch ihrer Darreichungsform. Zu den in heutigen KOK eingesetzten gängigen synthetischen Gestagenen zäh-len beispielsweise Levonorgestrel und Desogestrel, die androgene sowie antiestrogene Partialwirkungen aufwei-sen. Ein weiteres synthetisches Gestagen ist Dienogest, das im Gegensatz zu den zuvor genannten antiandrogene Partialwirkungen besitzt und zudem eine starke transforma-torische Aktivität am Endometrium aufweist. Dienogest ist das einzige Gestagen, das extragenital keine antiestrogene Partialwirkung hat [Göretzlehner et al. 2011, Sator et al. 2004].

Als Estrogenkomponente wurde in KOK in der Vergangenheit nahezu ausschließlich Ethinylestradiol verwendet (Abbildung 2, Seite 4), ein synthetisches Derivat des natürlich vorkommenden Estradiols mit einer Ethinylgruppe in der 17 -Position. Ethinylestradiol (EE) weist eine deutlich stärkere Wirkung auf als natürli-ches Estrogen. Mit Estradiolvalerat, steht eine weitere Estrogenkomponente zur Verfügung, deren Wirkung in OK – im Gegensatz zu EE – auf natürlichem Estradiol basiert. Estradiolvalerat wird bereits im Dünndarm und während der ersten Leberpassage vollständig in Estradiol umgewandelt.

Art der oralen Kontrazeption Venöse Thromboembolien(Anzahl pro 10.000 Frauenjahre) Risiko

Nichthormonell 3-4 Kein erhöhtes Risiko

Estrogenfreie OK 3-4 Kein oder leicht erhöhtes Risiko

KOK mit < 50 g Ethinylestradiol, zusätzlich Norethisteron, Norethisteronacetat, Levonorgestrel, Norgestimat, Chlormadinonacetat, Dienogest; KOK mit Estradiolvalerat, zusätzlich Dienogest

3-10 Moderat erhöhtes Risiko

KOK mit < 50 g Ethinylestradiol zusätzlich Desogestrel, Gestoden, Cyproteronacetat oder Drospirenon

6-14 Moderat erhöhtes Risiko

Tabelle 1: Anzahl venöser Thromboembolien und Risikoerhöhung bei hormoneller (oraler) Kontrazeption [modifiziert nach Rabe et al. 2011]

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Verabreicht werden heutige OK entweder als reine Gestagenpräparate oder als kombinierte OK (KOK) mit einer Gestagen- und einer Estrogenkomponente. Innerhalb dieser KOK unterscheidet man wiederum klassische ein-phasische Pillen von Sequential- und Stufenpräparaten.

Es werden folgende Typen oraler Kontrazeptiva unter-schieden:

Reine GestagenpillenZu den reinen (Estrogen-freien) Gestagenpräparaten gehören die so genannten Minipillen. Die in ihnen enthalte-ne Gestagendosis bleibt über die gesamte Einnahmedauer konstant (Abbildung 3, Seite 5). Sie ist allerdings so niedrig, dass der Anteil anovulatorischer Zyklen bei nur 15-20% liegt [Sator et al. 2004]. Die kontrazeptive Wirkung beruht hauptsächlich auf einer Blockierung der Spermienmigration, zum Beispiel durch die Erhöhung der Zervixschleim-Viskosität (Abbildung 1, Seite 2). Der Pearl-Index liegt mit 0,5-3 [DGGG 2010] etwas höher als der kombinierter oraler Kontrazeptiva. Inzwischen gibt es auch reine Gestagenpillen, die insofern eine Ausnahme zu den klassischen Minipillen bilden, als dass sie die Ovulation zuverlässig inhibieren. Dieser Estrogen-freie Ovulationshemmer (z. B. 75 g Desogestrel) besitzt eine höhere kontrazeptive Wirkung als herkömmliche Minipillen (Pearl-Index: 0,14) [DGGG 2010].

Klassische einphasische Kombinationspräparate Bei den klassischen einphasischen Kombinations-präparaten (KOK) bleibt die Wirkstoffmenge von syn-thetischem Gestagen und Estrogen über die gesamte Einnahmedauer von meist 21 Tagen konstant (Abbildung 3). Die Hemmung der Ovulation beruht hauptsächlich auf einer Inhibition der Gonadotropinsekretion. Der Pearl-Index der KOK liegt allgemein zwischen 0,1-0,9 [DGGG 2010].

Einphasische KOK sind heute überwiegend Mikropillen, bei denen der Estrogenanteil definitionsgemäß unter 50 g Ethinylestradiol pro Dragee liegt. Des Weiteren ist ein Einphasenpräparat mit Estradiol und Nomegestrolacetat im Schema 24+4 verfügbar.

Weitere Typen oraler KombinationspräparateNeben den einphasischen KOK unterscheidet man ent-sprechend der Hormonzusammensetzung zwischen Sequential- und Stufenpräparaten (Abbildung 3). Diese sind in der Regel genauso kontrazeptiv sicher und ver-träglich wie Einphasenpräparate, doch können sie auf Grund ihrer Zyklusangepasstheit und daraus resultie-renden Estrogenbetontheit bei einigen Frauen durchaus vorteilhaft sein.

Zweiphasenpräparate (Sequentialpräparate) enthalten in der ersten Einnahmephase nur Estrogen, in der zwei-ten Phase Estrogen und Gestagen. Hierdurch lassen sich gestagenbedingte Beschwerden reduzieren [Keskin und Köffers 2010]. In Deutschland ist inzwischen jedoch kein Sequentialpräparat mehr erhältlich.

Zweistufenpräparate enthalten im Gegensatz zu den Zweiphasenpräparaten bereits von der ersten Tablette an Gestagen, jedoch ist dies in der ersten Zyklushälfte niedriger dosiert als an den Folgetagen. Die Ethinylestradiol-Dosis bleibt hingegen konstant oder wird im Zyklusverlauf reduziert.

Dreistufenpräparate orientieren sich in ihrer Zusammensetzung noch stärker am natürlichen Zyklus. Die Estrogen-Gestagen-Kombination ändert sich ent-sprechend in drei Stufen.

HO

OH

Estradiol

HO

CHO CH

Ethinylestradiol Estradiolvalerat

HO

O

H

H

H

O

Abbildung 2: Stukturformeln des natürlichen Estrogens Estradiol sowie von Ethinylestradiol und Estradiolvalerat

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Orale Kontrazeptiva mit therapeutischem Zusatznutzen

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Insgesamt werden heutzutage einphasische Kombinations-präparate auch im so genannten Langzyklus oder als konti-nuierliche Langzeitanwendung (Off-Label-Use) angewandt. Statt der früher üblichen 21-tägigen Einnahmephase, der eine 7-tägige Pillenpause folgte, wird im Langzyklus auf das pillenfreie Intervall verzichtet – das OK wird über mehrere Monate hinweg „durchgenommen“ [Römer und Göretzlehner 2012]. Während des Langzyklus kommt es nicht zu einem Abfall des Hormonspiegels. Zyklusbedingte Beschwerden können auf diese Weise reduziert werden und die Hormonentzugsblutung bleibt aus [Göretzlehner und Römer 2010].

Präparate mit dynamischem DosierungsschemaSeit 2009 ist ein orales Kontrazeptivum mit dyna-mischem Dosierungsschema am Markt. Es ent-hält als Gestagenkomponente Dienogest und als Estrogenkomponente Estradiolvalerat (Abbildung 2, Seite 4), in der für jeden Tag jeweils niedrigsten effektiven Dosis. Dienogest wirkt sehr spezifisch am Progesteronrezeptor. Es hat eine niedrige Transformationsdosis und inhibiert den Aufbau des Endometriums. Dieser ausgeprägte gesta-gene Effekt macht die Verwendung von Estradiol bzw. Estradiolvalerat anstelle von Ethinylestradiol als zweite Hormonkomponente möglich.

Präparate mit dynamischem Dosierungsschema enthalten in den ersten beiden Tagen des Zyklus ausschließlich die Estrogenkomponente, wodurch eine anfängliche geringfügige Endometriumproliferation und die Blutstillung sichergestellt werden sowie die Progesteronrezeptor-Synthese veranlasst wird. Zwischen Tag 3 und Tag 24 ist zusätzlich das Gestagen enthalten [Sator et al. 2004]. Während die Gestagen-Dosis über den Zyklus ansteigt, wird die Estrogen-Dosis reduziert. Es folgen zwei Tage (Tag 25 und 26), in denen lediglich Estrogen als Hormon eingenommen wird sowie zwei Tage (Tag 27 und 28) mit wirkstofffreien Tabletten (Abbildung 3). Durch dieses spezielle dynamische Dosierungsschema ist die Hormondosis bei zuver-lässig kontrazeptiver Wirkung (Pearl-Index: 0,42) bestmöglich an die Erfordernisse jedes einzelnen Zyklustages angepasst. Das 28-tägige Einnahmeschema verhindert, dass Pausen zwischen den Einnahmen entstehen, was die Anwendung des Präparates vereinfacht und eine bessere Compliance erwarten lässt.

3. Positive Wirkungen oraler Kontrazeptiva – die Studienlage

Eine Pille muss zuverlässig wirken und außerdem gut verträglich sein – diese Aspekte sind dem Großteil der Frauen wichtig. Ein weiterer bedeutsamer Aspekt für die meisten Anwenderinnen ist die Zyklusstabilität. Aber auch der Zusatznutzen, den orale Kontrazeptiva haben können, spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle.

Abbildung 3: Zusammensetzung oraler Kontrazeptiva im Verlauf des Einnahmezyklus

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 2 5 26 27 28Zyklustage

Reine Gestagenpille

Präparat mit dynamischemDosierungsschema

Zweiphasenpräparat(Sequentialpräparat)

Dreistufenpräparat

Zweistufenpräparat

Einphasenpräparatklassisches Kombinationspräparat

Normalzyklus

Gestagen

Einnahmetag

Estrogen

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3.1 Zusatzeffekte oraler Kontrazeptiva

Der Zusatznutzen oraler Kontrazeptiva wurde in einer Reihe von Studien für folgende zyklusbedingte Beschwerden belegt:

Akne und SeborrhoeAkne ist mit einer Prävalenz bis zu 90% ein häufiges und oft belastendes Problem von Teenagern [Perkins et al. 2012]. Meist wird sie ausgelöst durch eine verstärkte ovarielle Androgenproduktion. Kombinierte orale Kontrazeptiva besitzen verschiedene (mehr oder minder starke) anti-androgene Effekte, die einen günstigen Einfluss auf Akne und Seborrhoe gezeigt haben [Arowojolu et al. 2012].

Alle Gestagene hemmen die Hypothalamus-Hypophysen-Ovar-Achse und supprimieren dadurch die Androgenbiosynthese in den Ovarien. Gestagene mit antiandrogener Partialwirkung wie Dienogest führen dar-über hinaus durch Rezeptorblockade zu einer kompetiti-ven Verdrängung der Androgene vom Androgenrezeptor.

Ethinylestradiol und andere Estrogene steigern die Bildung von Sexualhormon-bindendem Globulin (SHBG), das wiederum den Anteil freien Androgens reduziert [Ludwig et al. 2006].

Prämenstruelles Syndrom (PMS)Das prämenstruelle Syndrom tritt bei etwa 20-40% der Frauen im gebärfähigen Alter auf [Kleine-Gunk 2003]. Es äußert sich typischerweise in emotionalen und psychove-getativen sowie somatischen Veränderungen, die in der Lutealphase beginnen und sich bis zum Einsetzen der Regelblutung verstärken. Eine Sonderform ist das prämen-struelle dysphorische Syndrom (PMDS), das bei bis zu 5% der Betroffenen auftritt und dessen Hauptkennzeichen besonders schwere emotionale Probleme sind [Kleine-Gunk 2003]. Einige Studien konnten belegen, dass eine Kombination aus Estrogen und Gestagen einen positi-ven Einfluss auf das PMS hat. Besonders gut belegt ist die Wirkung für eine Kombination aus Ethinylestradiol und Drospirenon [Lopez et al. 2012], aber auch ande-re Präparate, wie beispielsweise Ethinylestradiol/Chlormadinonacetat-Kombinationen, konnten einen aus-gleichenden Effekt hervorrufen [Zahradnik et al. 2010].

DysmenorrhoeUnter Schmerzen während der Regelblutung lei-den mit einer Prävalenz von über 50% vor allem junge Frauen, 20-25% sind behandlungsbedürftig. Eine wich-tige Rolle bei der Entstehung von Regelschmerzen spielt das Prostaglandinsystem. Daher zielt die Behandlung der Dysmenorrhoe auf eine Hemmung der Prostaglandinsynthese, die unter anderem im Endometrium stattfindet, ab. Wünscht die betroffene Frau gleichzeitig eine sichere Empfängnisverhütung, sind hormonelle Kontrazeptiva die Mittel der Wahl. Denn unter

dem Hormoneinfluss wird deutlich weniger Endometrium aufgebaut, sodass geringere Mengen Prostaglandine synthetisiert werden. Dazu kommt, dass bestimmte Gestagene die Prostaglandinsynthese auch direkt inhi-bieren [Zahradnik et al. 2010, Kiley und Hammond 2007]. Auch auf die sekundäre Dysmenorrhoe, häufig bedingt durch eine Endometriose oder Adenomyosis, haben orale Kontrazeptiva einen positiven Effekt, wodurch Schmerzen reduziert werden können.

Menstruelle MigräneMenschen, die unter Migräne leiden, besitzen ein erhöhtes Schlaganfallrisiko. [Heinze et al. 2005]. Bei einer Migräne mit Aura sind KOK kontraindiziert. Tritt die Migräne bei Einnahme von KOK jedoch nur während der einwöchi-gen Pillenpause und ohne Aura auf, ist der Auslöser der Migräneattacke meist im Estrogenentzug zu suchen. In diesem Falle kann ein niedrig dosiertes einphasisches Präparat im Langzyklus oder besser als Langzeiteinnahme (Off-Label-Use) zu einer Besserung führen. Es hat sich außerdem gezeigt, dass sich auch die Einnahme reiner Gestagenpräparate günstig auf Migräneattacken auswir-ken kann [Nappi et al. 2011].

3.2 Zusatznutzen Estradiolvalerat/Dienogest-haltiger OK bei Kopf- und Unterleibsschmerzen: aktuelle Studienergebnisse

Im natürlichen Zyklus wie auch bei der Einnahme von KOK kommt es regelmäßig in der Pause zu einem Hormonabfall, der zu verschiedenen unerwünschten Begleiterscheinungen führen kann. Die im Folgenden vorgestellte Studie hat den Effekt zweier unterschiedlicher oraler Kontrazeptiva auf hor-monentzugsbedingte Kopf- und Unterleibsschmerzen bei 391 Frauen während einer Dauer von sechs Behandlungszyklen untersucht [Macias et al. 2012].

Dazu wurden in einer randomisierten doppelblinden Phase-IIIb-Studie ein einphasisches KOK, das 150 g Levonorgestrel (LNG) und 30 g Ethinylestradiol (EE) ent-hielt, mit einem Estradiol-basierten Präparat mit dynami-schem Dosierungsschema verglichen. Letzteres enthielt die Estrogenkomponente Estradiolvalerat (E2V), die im Körper zu Estradiol umgesetzt wird, sowie das Gestagen Dienogest (DNG) (siehe Kasten, Seite 7) [Macias et al. 2012].

Über sechs Zyklen erhielten die Probandinnen entwe-der das E2V/DNG-haltige Präparat oder das EE/LNG-haltige Vergleichsmedikament. Untersucht wurde die durchschnittliche subjektive Schmerzempfindung für die Hormonentzugserscheinungen „Kopfschmerzen“ und „Unterleibsschmerzen“. Zur Ermittlung der subjektiven Schmerzempfindung wurden die drei höchsten VAS-Werte zwischen Tag 22 und Tag 28 pro Visite und Behandlungsart berechnet. (VAS: Visuelle Analogskala: 0= kein Schmerz, 10= unerträglicher Schmerz).

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Orale Kontrazeptiva mit therapeutischem Zusatznutzen

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Von den 409 randomisierten Patientinnen durchliefen insgesamt 248 (60,6%) (Einschlusskriterien: siehe Kasten) die Studie vollständig. Nach sechs Monaten zeigte sich für beide OK eine Linderung der Hormonentzugssymptome „Kopfschmerzen“ (Abbildung 4) und „Unterleibsschmerzen“ (Abbildung 5). Die Behandlung mit dem E2V/DNG-haltigen Präparat (n=122) führte jedoch zu einer signifikant größeren Schmerzreduktion als die Therapie mit dem Vergleichspräparat (n=126).

Neben der Schwere der Hormonentzugssymptome konnte auch die Häufigkeit der auftretenden Kopf- und Unterleibsschmerzen durch das E2V/DNG-haltige Präparat stärker reduziert werden als durch die Einnahme der EE/LNG-haltigen Mikropille. Darüber hinaus griffen Frauen, die das E2V/DNG-haltige KOK mit dynamischem Dosierungsschema einnahmen, im Durchschnitt seltener zu Schmerzmedikamenten als die Vergleichsgruppe. Bei 60,1% der mit dem E2V/DNG-haltigen KOK Behandelten sank der VAS-Score auf die Hälfte. Demgegenüber halbier-te sich in der Vergleichsgruppe der VAS-Score bei 46,4% der Patientinnen. Die Ergebnisse der Studie stehen mit der Theorie in Einklang, dass ein kürzeres hormonfreies Intervall Hormonentzugserscheinungen mindern kann [Macias et al. 2012]. Entscheidend für die Reduktion der Symptome ist aber wohl das dynamische Dosierungsschema des E2V/DNG-haltigen Präparates. Dieses bewirkt, dass die Estradiolspiegel im Zyklusverlauf nicht absinken, wodurch Estrogen-bedingte Entzugssymptome reduziert werden [Fruzetti et al. 2012, Sulak et al. 2000].

Abbildung 4: Vergleich des Schweregrades der Kopfschmerzen (Tag 22-28) bei Studienbeginn und nach Zyklus 6. Braun: Estradiolvalerat/Dienogest-haltiges Präparat mit dynamischem Dosierungsschema. Ocker: Ethinylestradiol/Levonorgestrel-haltiges Präparat. Der Unterschied zwischen beiden Behandlungsgruppen ist statistisch signifikant (p<0,01) [modifiziert nach Macias et al. 2012]

Baseline BaselineZyklus 6 Zyklus 6

80

60

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20

0

E2V/DNG-haltiges PräparatEE/LNG-haltiges Präparat

Mean + SDMean + SD

VAS

(mm

)P < 0.01

Abbildung 5: Vergleich des Schweregrades der Unterleibsschmerzen (Tag 22-28) bei Studienbeginn und nach Zyklus 6. Braun: Estradiolvalerat/Dienogest-haltiges Präparat mit dynamischem Dosierungsschema. Ocker: Ethinylestradiol/Levonorgestrel-haltiges Präparat. Der Unterschied zwischen beiden Behandlungsgruppen ist statistisch signifikant (p<0,0001) [modifiziert nach Macias et al. 2012]

Baseline BaselineZyklus 6 Zyklus 6

80

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VAS

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)

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E2V/DNG-haltiges PräparatEE/LNG-haltiges Präparat

Mean + SDMean + SD

Dynamisches Dosierungsschema des Estradiolvalerat/Dienogest-haltigen Präparates: 2 Table�en mit 3 mg Estradiolvalerat 5 Table�en mit 2 mg Estradiolvalerat und 2 mg Dienogest 17 Table�en mit 2 mg Estradiolvalerat und 3 mg Dienogest 2 Table�en mit 1 mg Estradiolvalerat 2 Table�en, die keine Wirkstoffe enthalten

Einschlussbedingungen für die Studie: 18-50-jährige Frauen Einnahme eines KOK (Einnahmeschema: 21/7) mit Levonorgestrel, Desogestrel oder Gestoden als Gestagenkompo-nente über mindestens 3 Monate mäßige oder starken Kopfschmerzen und/oder Unterleibsschmerzen während des hormonfreien Intervalls

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Orale Kontrazeptiva mit therapeutischem Zusatznutzen

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3.3 Zusatznutzen Estradiolvalerat/Dienogest-haltiger OK bei Hypermenorrhoe: aktuelle Studienergebnisse

Zum Zusatzeffekt oraler Kontrazeptiva bei Hypermenor-rhoe liegen ebenfalls wissenschaftliche Studiendaten vor. Ungefähr ein Drittel aller Frauen leiden irgend-wann in ihrem Leben an einer Hypermenorrhoe, 5% der Betroffenen in den Industrienationen suchen deswegen jedes Jahr Hilfe bei ihrem Gynäkologen [Hurskainen et al. 2007]. Der außergewöhnlich hohe Blutverlust während der Menstruation hat häufig physische, soziale und emotio-nale Folgen und kann den Alltag der Betroffenen maßgeb-lich einschränken. Um Hypermenorrhoen zu therapieren, wenden Ärzte häufig chirurgische Verfahren an, beispiels-weise die Endometriumablation. Zur Schmerzlinderung kommen Medikamente wie nichtsteroidale Antiphlogistika häufig zum Einsatz. Aber auch hormonelle Präparate wie KOKs mit einem dynamischen Dosierungsschema kön-nen sich – wie Studiendaten belegen – positiv auf starke Menstruationsblutungen auswirken:

Zwei randomisierte doppelblinde placebokontrollierte Studien wurden über einen Zeitraum von sieben 28-tägi-gen Zyklen hinweg durchgeführt; eine Studie fand in Nordamerika statt (47 Zentren, n=190), die zweite in Europa und Australien (34 Zentren, n=231). Frauen mit einer zu starken Menstruationsblutung wurden im Verhältnis 2:1 in die Gruppe mit E2V/DNG-haltigem Präparat mit dynami-

scher Dosierung (n=269) bzw. in die Placebogruppe (n=152) randomisiert. Die Studiendaten aus Nordamerika und die Daten aus Europa/Australien wurden gepoolt und die Ergebnisse der letzten 90 Behandlungstage mit denen der Einschlussphase verglichen [Fraser et al. 2011a].

Die Datenauswertung zeigte, dass das E2V/DNG-haltige OK den Blutverlust in einer 90-Tage-Periode um 72% gegen-über 14% in der Placebogruppe reduzierte (Abbildung 6). Umgerechnet bedeutet dies auf eine 90-Tage-Periode bei Frauen mit einer Hypermenorrhoe eine Reduktion des Blutverlustes um ca. 500 ml [Fraser et al. 2011b].

Wie weiterführende Datenanalysen ergaben, verbes-serten sich außerdem die Hämoglobin-, Hämatokrit- und Ferritinwerte in der Behandlungsgruppe, während in der Placebogruppe kein Effekt auf die Eisenparameter beob-achtet wurde [Jensen et al. 2011]. Auch die Alltagsaktivitäten konnten wieder besser bewältigt werden – Frauen, die das E2V/DNG-haltige Präparat einnahmen, waren im Schnitt leistungsfähiger als Frauen aus der Placebogruppe [Wasiak et al. 2010]. Aufgrund der bestehenden Zulassung und der hohen Effektivität sollte daher ein E2V/DNG-haltiges OK zur Behandlung einer Hypermenorrhoe und gleichzeitig gewünschter oraler Kontrazeption die Therapie der ersten Wahl sein.

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(ml)

(14% Reduktion)

639 mL

176 mL

645 mL

554 mL

90 TageEinschlussphase

Placebo (N = 60)E2V/DNG-haltiges Präparat (N = 108)

Letzten 90 Behandlungstage

(72% Reduktion)

90 TageEinschlussphase

Letzten 90 Behandlungstage

Abbildung 6. Absolutes Volumen des Menstrualblutverlustes. Braun: Estradiolvalerat/Dienogest-haltiges Präparat mit dynami-schem Dosierungsschema. Ocker: Placebo [modifiziert nach Fraser et al. 2011b]

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4. Fazit

Neben der kontrazeptiven Wirkung sind zusätzliche Wirkungen hormoneller Kontrazeptiva von zunehmender Bedeutung. Diese sollten bei der Wahl des geeigne-ten oralen Kontrazeptivums mitberücksichtigt werden. Zahlreiche Studien haben den positiven Effekt hormo-neller Kontrazeptiva auf bestimmte Erkrankungen und Beschwerden wie Akne, prämenstruelles Syndrom und Dysmenorrhoe gezeigt. Wissenschaftliche Daten bele-gen, dass Estradiol-basierte Präparate mit dynamischem Dosierungsschema positive Zusatzeffekte auf menstrua-tionsbedingte Kopf- oder Unterleibsschmerzen sowie auf Hypermenorrhoen haben können.

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