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Organisation von Erwerbsarbeit im Umbruch – Auswirkungen auf die Anforderungen der Beschäftigten und deren Subjektstrukturen Diplomarbeit zur Erlangung des akademischen Grades eines Diplom-Sozialwissenschaftlers durch den Fachbereich Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Bergischen Universität – Gesamthochschule Wuppertal vorgelegt von Thomas Matys Jülicher Str. 2 42117 Wuppertal Gutachter: Prof. Dr. Günther Wachtler Prof. Dr. Klaus Türk Abgabetermin: 10.07.2002 ___________________ gemäß der Prüfungsordnung für den integrierten Studiengang Sozialwissenschaften genehmigt durch den Erlass des Ministers für Wissenschaft und Forschung des Landes NW vom 26.06.1995. Bergische Universität – Gesamthochschule Wuppertal Fachbereich 6 – Wirtschafts- und Sozialwissenschaften

Organisation von Erwerbsarbeit im Umbruch – Auswirkungen auf … von... · 2015-07-28 · Thomas Matys Jülicher Str. 2 42117 Wuppertal Gutachter: Prof. Dr. Günther Wachtler Prof

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Organisation von Erwerbsarbeit

im Umbruch –

Auswirkungen auf die Anforderungen der Beschäftigten

und deren Subjektstrukturen

Diplomarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades eines

Diplom-Sozialwissenschaftlers

durch den Fachbereich Wirtschafts- und Sozialwissenschaften

der Bergischen Universität –

Gesamthochschule Wuppertal

vorgelegt von

Thomas Matys

Jülicher Str. 2

42117 Wuppertal

Gutachter: Prof. Dr. Günther Wachtler

Prof. Dr. Klaus Türk

Abgabetermin: 10.07.2002

___________________

gemäß der Prüfungsordnung für den integrierten Studiengang Sozialwissenschaften genehmigt

durch den Erlass des Ministers für Wissenschaft und Forschung des Landes NW vom 26.06.1995.

Bergische Universität –

Gesamthochschule Wuppertal

Fachbereich 6 –

Wirtschafts- und Sozialwissenschaften

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Inhaltsverzeichnis

2.1 DIE ABLÖSUNG DES ARBEITSPARADIGMAS INDUSTRIELLER

GESELLSCHAFTEN ....................................................................................9

2.1.1 STRUKTUR- UND ENTWICKLUNGSANNAHMEN DES

ARBEITSPARADIGMAS IN INDUSTRIELLEN GESELLSCHAFTEN .9

2.1.2 EIN NEUES, „POST-INDUSTRIELLES“ PARADIGMA

GESELLSCHAFTLICHER ERWERBSARBEIT ...................................12

2.2 NEUE FORMEN DER ORGANISATION VON ERWERBSARBEIT ...17

2.2.1 TERTIARISIERUNG AUF DER SEKTORALEN EBENE ....................18

2.2.2 DIE „NEUEN PRODUKTIONSKONZEPTE“ ....................................20

2.2.3 DAS KONZEPT DER „SYSTEMISCHEN RATIONALISIERUNG“ ....22

EXKURS 1: DIE „INFORMATISIERUNG DER ARBEIT“ ALS

SYSTEMISCHER PROZESS .................................................................28

2.2.4 DAS KONZEPT DER „SCHLANKEN“ PRODUKTIONSWEISE: LEAN

PRODUCTION .....................................................................................33

2.2.5 DAS KONZEPT DER „FLEXIBLEN SPEZIALISIERUNG“ ...............35

2.2.6 DEZENTRALISIERUNG UND VERMARKTLICHUNG .....................37

2.2.7 VIRTUELLE ORGANISATIONEN UND (STRATEGISCHE)

NETZWERKE .......................................................................................41

2.2.8 GRUPPENARBEIT ..............................................................................44

2.2.9 INTERNATIONALISIERUNG UND GLOBALISIERUNG ..................48

2.2.10 INNOVATION ....................................................................................50

EXKURS 2: WISSENSARBEIT .....................................................................53

2.2.11 TELEARBEIT .....................................................................................56

2.2.12 SHAREHOLDER-VALUE-ORIENTIERUNG ....................................59

2.2.13 WANDEL DER BESCHÄFTIGUNGSFORMEN ..............................61

2.3 MERKMALE VERÄNDERTER ARBEITSANFORDERUNGEN AN DIE

BESCHÄFTIGTEN .....................................................................................67

3.1 ZUR UNTERSCHEIDUNG VON SUBJEKT, SUBJEKTIVITÄT UND

SUBJEKTSTRUKTUREN ..........................................................................79

3.2 KLASSISCHE KONZEPTE ALS ¢VORLÄUFER¢ VON

SUBJEKTSTRUKTUREN ..........................................................................83

3.2.1 DIE PERSÖNLICHKEITSSTRUKTUR BEI ELIAS .............................83

3.2.2 DER GESELLSCHAFTSCHARAKTER BEI FROMM .........................84

3.2.3 DER SOZIALCHARAKTER BEI KERN/SCHUMANN ........................85

3.3 DER BEGRIFF ¢INSTITUTION¢ UND SEINE POLYVALENTE

BEDEUTUNG FÜR DIE KONSTITUTION VON

SUBJEKTSTRUKTUREN ..........................................................................87

3.4 BASISELEMENTE VON SUBJEKTSTRUKTUREN ..............................89

4.1 AUSWIRKUNGEN AUFGRUND SICH WANDELNDER

ARBEITSANFORDERUNGEN ................................................................91

4.2 WEITERREICHENDE AUSWIRKUNGEN .............................................93

4.2.1 EIN NEUER TRANSFORMATIONSMODUS .....................................93

4.2.2 DIE „BESCHRÄNKTE RATIONALITÄT“ DER RATIONALISIERUNG

..............................................................................................................96

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4.2.3 HERRSCHAFT DURCH AUTONOMIE? – ZUR KONSTITUTION

WIDERSPRÜCHLICHER ARBEITSANFORDERUNGEN .................99

4.2.4 SUBJEKTIVIERENDES ARBEITSHANDELN ALS EINE FORM VON

¢COMPLIANCE¢ ...............................................................................102

4.2.5 DIE ZUNEHMENDE NORMATIVE SUBJEKTIVIERUNG DER

ARBEIT ...............................................................................................106

4.2.6 NACH DEM BERUF ERODIERT DIE BERUFLICHKEIT .............109

4.2.7 DIE RESTRUKTURIERUNG DES VERHÄLTNISSES ZWISCHEN

ARBEIT UND LEBEN ........................................................................111

4.2.8 NEUE IDENTITÄTEN VON ARBEITERN, ANGESTELLTEN UND

MANAGERN ......................................................................................114

4.2.9 AMBIVALENZEN POSTMODERNER IDENTITÄT IM RAHMEN

ALLTÄGLICHER IDENTITÄTSARBEIT ...........................................118

4.2.10 ZUSAMMENFASSUNG ...................................................................124

5.1 DIE DUALITÄT VON HANDELN UND STRUKTUR NACH GIDDENS

...................................................................................................................129

5.2 DAS HABITUS-KONZEPT NACH BOURDIEU ...................................131

5.3 DIE REKURSIVE WIRKUNG VON SUBJEKT-STRUKTUREN AUF

DIE INSTITUTION ERWERBSARBEIT ...............................................134

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VERZEICHNIS DER ABKÜRZUNGEN

Abb. Abbildung

BRD Bundesrepublik Deutschland

bzw. beziehungsweise

bspw. beispielsweise

ders. derselbe

dies. dieselbe(n)

ebd. ebenda

ebfs. ebenfalls

EDV Elektronische Datenverarbeitung

etc. et cetera

ggfs. gegebenenfalls

f. folgende (Seite)

ff. fortfolgende (Seite)

H. Heft

Herv. Hervorhebung

i. im

i. S. (v.) im Sinne (von)

IuK Informations- und Kommunikationstechnologien

i. w. S. im weiteren Sinne

Jg. Jahrgang

Kap. Kapitel

m. a. W. mit anderen Worten

m. E. meines Erachtens

o. g. oben genannten/genanntes/genannter

Orig. Original

s. siehe

S. Seite

s. u./s. o. siehe unten/siehe oben

Tab. Tabelle

teilw. teilweise

u. a. unter anderem

usw. und so weiter

u. U. unter Umständen

v. a. vor allem

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vgl. vergleiche

EINLEITUNG

Das Thema meiner Diplomarbeit lautet „Organisation von Erwerbsarbeit im

Umbruch – Auswirkungen auf die Anforderungen der Beschäftigten und deren

Subjektstrukturen“. Meine Arbeit soll sich von der These leiten lassen, dass nicht

automatisch von einem Kausalzusammenhang zwischen sich wandelnden

Organisationsformen von Erwerbsarbeit und den Wirkungen auf die

Anforderungen und Qualitätsprofile der Beschäftigten – und dem zufolge deren

Subjektstrukturen i. S. dauerhafter, regelmäßiger Lebens- und Berufsverläufe –

ausgegangen werden kann. Dafür fehlt es an ausreichend eindeutig empirisch

belegten Indikatoren. Vielmehr ist meine Art der Beschreibung und Analyse eine,

die zeigt, dass der Zusammenhang eher als ein Interpretations- und

Verarbeitungszusammenhang bezeichnet werden kann, den sowohl

Wissenschaftler, die über diesen Zusammenhang schreiben, als auch die

arbeitenden Subjekte selbst, im Zuge von Wahrnehmungs- und

identitätsstiftenden Prozessen vornehmen bzw. handelnd (mit-) produzieren.

Ausgehend von der Nachzeichnung, wie sich die Institutionalisierung von

Erwerbsarbeit als moderne Vergesellschaftungsinstanz herausgebildet hat (Kap.

1), soll die Analyse objektiver – institutioneller – Strukturen neuer Formen der

Organisation von Erwerbsarbeit unter besonderer Fokussierung veränderter

Arbeitsanforderungen an die Beschäftigten (Kap. 2) dazu dienen

herauszuarbeiten, inwieweit „die Kontinuität des Lebenslaufs noch über

Erwerbsarbeit verbürgt ist“ (Baethge 1991, S. 260). Des weiteren sollen

Phänomene beschrieben werden, welche als „Prozesse der zunehmenden

normativen Subjektivierung der Arbeit“ (vgl. ebd.) oder sich wandelnde Formen

von Arbeitshandeln und Identitätsentwürfen postuliert werden (Kap. 4). Um das

Verhältnis von neuen Formen der Organisation von Erwerbsarbeit und (sich

wandelnden?) Subjektstrukturen, i. S. spezifischer, von den Subjekten aktiv

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hergestellter Interpretations- und Handlungsmuster (Kap. 3), zu bestimmen und

somit auch bspw. „das Verhältnis von Arbeit und Leben“ (Voß 1998) zu

ergründen, sollen strukturtheoretische Modelle sowohl von Pierre Bourdieu

(„Habitus-Konzept“), als auch von Anthony Giddens („Dualität von Struktur“)

(Kap. 5) verwendet werden. Letzteres geschieht vor allem deswegen, weil das

Ergebnis meiner Arbeit m. E. nicht nur die gewandelten Subjektstrukturen

(einschließlich der neuen Arbeitsanforderungen an die Beschäftigten) aufgrund

neuer Formen von Erwerbsarbeitsorganisation aufzeigt, sondern auch den

rekursiven Charakter dieser Subjektstrukturen, also ihre zirkuläre

Rückwirkungskraft und -funktion auf Strukturen der Organisation von

Erwerbsarbeit, belegt.

Meine Ergebnisse dienen in Bezug auf ihre Verwendungsfähigkeit im weitesten

Sinne der Anwendung strukturtheoretischer Modelle von Giddens und Bourdieu,

die beide bemüht sind, den Dualismus von Subjektivismus und Objektivismus,

man könnte auch sagen von Handlung und Struktur – oder noch anders, fast

klassisch: von Individuum und Gesellschaft – aufzuheben. Mein besonderer Fokus

liegt auf der ′Erhellung′ der subjektiven Verarbeitungsleistungen, die innerhalb

dieses rekursiv-reflexiven Konstitutionsprozesses sich wechselseitig bedingender

Strukturen (seien es die Subjekt- oder Erwerbsarbeitsstrukturen) den Subjekten

zunehmend abverlangt werden.

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1. DIE INSTITUTIONALISIERUNG VON ERWERBSARBEIT ALS

MODERNE VERGESELLSCHAFTUNGSINSTANZ

Galt in vormodernen Gesellschaften Arbeit ursprünglich allein als schwere

körperliche Arbeit (die grundsätzlich negativ bewertet wurde), die z. B. in der

griechischen Antike von Knechten, Sklaven und bezwungenen Feinden geleistet

werden musste (vgl. Bonß 1999, S. 145), so kann für das späte Mittelalter eine

schleichende Ausweitung des Arbeitsbegriffs festgestellt werden: Arbeit war

weniger schwere körperliche Tätigkeit, sondern sie umfasste zunehmend auch

geistige Anstrengungen. Parallel dazu zeichnet sich eine sukzessive Relativierung

der Gleichsetzung von Arbeit mit Zwang und Bestrafung ab (vgl. ebd., S. 146).

Zwar bleibt Arbeit mühselig und in der Regel unfreiwillig, aber zugleich gewinnt

ihre Interpretation als moralische Verpflichtung an Boden. Der aktiv arbeitende

bürgerliche Mensch ist der bestimmte Typus, der sich über die Arbeits- und

Leistungsorientierung definiert. Er emanzipiert sich zunehmend selbstbewusst

vom feudalistischen Adel. Verkoppelt mit Kompetenz und Leistung ist Arbeit für

ihn nicht Zwang und Bestrafung, sondern produktiv-aktive Naturaneignung,

erfolgreiche Naturbeherrschung und Mittel zur Wertschöpfung (vgl. ebd.).

Es werden allerdings keineswegs alle Formen produktiv-aktiver Naturaneignung

als Arbeit begriffen, sondern vor allem die bezahlen Tätigkeiten – eine

Akzentsetzung, die dazu führt, dass sich die bürgerliche Arbeitsgesellschaft in

einer spezifischen Form, nämlich der Erwerbsarbeitsgesellschaft, konstituiert

(vgl. ebd.). In ihr wird Arbeit immer häufiger – jedoch niemals in Gänze – als

′Erwerbsarbeit′ verstanden. Erwerbsarbeit meint Arbeit, die zur Herstellung von

Gütern oder Erbringung von Leistungen zum Zweck des Tausches auf dem Markt

dient, mit der man ein Einkommen erzielt, von der man lebt: sei es in abhängiger

oder selbständiger Stellung oder in einer der vielen Zwischenstufen, sei es mit

manueller oder nicht-manueller, mit mehr oder weniger qualifizierter Tätigkeit

(vgl. Kocka 2000, S. 481). Somit spiegelt sich im ′aufgeklärten′ Verständnis von

Arbeit eine Dichotomie: Zum einen formuliert Hegel, dass es „das unendliche

Recht des Subjekts [ist], daß es sich selbst in seiner Tätigkeit und Arbeit

befriedigt“ (Hegel 1975 zit. nach Hahne 2001, S. 1) fühle, zum anderen hat z. B.

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Marcuse die Selbstentfremdung durch den Entäußerungsprozess in der Arbeit als

zwangsläufig beschrieben:

„In der Arbeit geht es immer zuerst um die Sache selbst und nicht um den

Arbeitenden. (...) In der Arbeit wird der Mensch immer von seinem

Selbstsein fort auf ein anderes verwiesen, ist er immer bei Anderem und

für Andere.“ (Marcuse 1933 zit. nach Hahne ebd.)

In der industriellen Kultur heißt das Leitbild von Arbeiten ökonomisch abhängige,

technisch und sozial hochgradig organisierte und in der Regel räumlich

konzentrierte Erwerbsarbeit und darauf bezogene Motivierung und

Interessenorientierung wirtschaftlich orientierten Handelns. Als Ausdruck der

Institutionalisierung von Erwerbsarbeit kann m. E. die Herausbildung des (in

erster Linie männlichen) „Normalarbeitsverhältnisses“ gelten, welches durch

folgende Merkmale gekennzeichnet ist: abhängige und unbefristete

Vollzeitarbeits-Verträge; stabile Vergütung, betriebsförmige Organisation der

Arbeit, möglichst beim selben Arbeitgeber erwerbslebenlang ausgeübt, je

qualifizierter, um so besser, weitgehende Unkündbarkeit, generöse soziale

Absicherung im Falle der Arbeitslosigkeit oder vorzeitigen Verrentung. Die

Bedeutung von Erwerbsarbeit lässt sich nicht nur rechtlich und quantitativ-realiter

(über Statistiken geleisteter bezahlter Arbeitsstunden o. ä.) bestimmen, sondern

Erwerbsarbeit ist auch kulturell-symbolisch besetzt, z. B. über einen geltenden

gesellschaftlichen Status, Sozialprestige, Nationenvergleich in puncto

Wirtschaftskraft bis hin zu unterschiedlichen Modalitäten der Identifizierung mit

„Helden der Arbeit“ (vorwiegend in sozialistischen Ländern). Nicht-

Erwerbsarbeit (z. B. Hausarbeit, Kindererziehung, Pflege von Verwandten oder

′Schwarzarbeit′) ist andere Arbeit (vgl. Schmidt 1999, S. 12 f.).

Im oben skizzierten Sinne – so kann mit Baethge (1991) konstatiert werden – war

die Erwerbsarbeit das Feld von Vergesellschaftung – als Sozialität herstellender

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Identitätsprozess – par excellence: Die arbeitenden Subjekte ′erfuhren′

Erwerbsarbeit als die zentrale Instanz, durch die sie ihre Identität und

Subjektivität als Arbeitende herstellen und begreifen konnten. Dieser Umstand

brachte in der Arbeiterbewegung nicht nur die politisch folgenreichste

Assoziation für die Entwicklung von bürgerlicher Gesellschaft und Staat hervor,

sondern ließ auch unterhalb der politischen Organisationsebene im Alltag eine

Fülle sozialer Kommunikations- und Identitätsformen entstehen. Diese

Feststellung führt zu einem Verständnis von Vergesellschaftung als „Ausdruck

kommunikativen und interessenbezogenen Handelns von Individuen“ (Baethge

1991, S. 268), in dem die Individuen ihre soziale Identität als „Zugehörigkeit zur

symbolischen Realität einer Gruppe“ (Habermas 1976 zit. nach ebd.) erfahren und

zugleich manifestieren. Die objektive Basis dieser Vergesellschaftung bildet der

Siegeszug der Lohnarbeit, die kapitalistische Vereinheitlichung der

Arbeitsverhältnisse unter dem Zepter der abstrakten Arbeit (Marx). Als

subjektiver, identitätsstiftender Prozess vollzieht sich Vergesellschaftung unter

den Bedingungen entfremdeter Arbeit vor allem als Protest aufgrund gemeinsamer

Leiderfahrungen in der Arbeit. Dieser Protest der so entstandenen Arbeiterklasse

manifestiert sich maßgeblich in Form von Gemeinschaftlichkeit herstellenden

Kommunikationsformen im betrieblichen Alltag und unverwechselbaren

Symbolen der Zusammengehörigkeit, die mit der Gegensätzlichkeit zu anderen

Gesellschaftsgruppen zugleich das Gefühl der eigenen Stärke vermitteln (vgl.

ebd.). Obwohl, wie ich im Verlauf der Arbeit zeigen werde, Arbeit offensichtlich

für die Identitätskonstruktion der Subjekte eine erhebliche Bedeutung behalten

hat, so ist dennoch auf die realen strukturellen Veränderungen in den

Arbeitsprozessen und Beschäftigungsverhältnissen selbst einzugehen, die das

traditionelle – auf der ′Institution′1

Erwerbsarbeit basierende –

Vergesellschaftungsmodell ′ausgehebelt′ haben (vgl. ebd.)

2

, d. h.

identitätsstiftende Bezüge für die Arbeitenden sich auch außerhalb der Sphäre

′Arbeit′ etabliert haben. Diese Veränderungen werde ich in den folgenden

Kapiteln näher analysieren.

1

Zur polyvalenten Bedeutung des Institutionen-Begriffs für die Konstitution von Subjekt-

strukturen s. Kap. 3.3.

2

Gleichwohl muss an dieser Stelle m. E. erwähnt werden, dass gerade unter

geschlechtsspezifischer Betrachtung nicht gerade von einer ′Aushebelung′ des traditionalen

Vergesellschaftungsmodus, nämlich Vergesellschaftung über Erwerbsarbeit, gesprochen werden

kann: Der gestiegene Anteil von Frauen an der Erwerbsquote (vor allem ab den 1980-er Jahren)

belegt doch aus- drücklich eine Orientierung am – bisher verstärkt männlichen –

Vergesellschaftungsmodus (über Arbeit).

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2. DIE ORGANISATION VON ERWERBSARBEIT IM UMBRUCH

Die Auffassung von Pries (1998), dass wir Zeugen eines tiefgreifenden und

qualitativen Wandels des ökonomisch-technischen Systems, des Wandels von

Produkten, Produktion und Arbeitsbedingungen seien, teile ich. Allerdings sind

ganz offensichtlich die traditionellen wissenschaftlichen – und das heißt vor

allem: die industriesoziologischen – Interpretationen dieser Wandlungsprozesse

veränderungsbedürftig (vgl. Pries 1998, S. 25): Ob der Wandel allerdings mit

Schlagworten wie „Dritte Industrielle Revolution“, „Umbruch von Technik und

Arbeit“, „Ende des Taylorismus“, „Das Ende der Arbeitsteilung“, „Neue

Produktionskonzepte“, „Mikroelektronische Revolution“ oder „Neuer Typ

systemischer Rationalisierung“ hinreichend bezeichnet oder charakterisiert wird,

bleibt fraglich – zumal dann, wenn obige Schlagworte mit

gesellschaftstheoretischen Modellen, wie etwa „Von der Industriegesellschaft zur

Risikogesellschaft“ (Beck 1986), „Das Ende der Arbeit“ (Rifkin 1995) oder

„Arbeit zwischen Misere und Utopie“ (Gorz 2000) verbunden werden (vgl. Pries

ebd., S. 26). Daher folge ich zunächst – neben anderen – hauptsächlich Burkart

Lutz, um dem Umbruch der Organisation von Erwerbsarbeit eine angemessene

Eingangssystematik zu geben.

2.1 DIE ABLÖSUNG DES ARBEITSPARADIGMAS

INDUSTRIELLER GESELLSCHAFTEN

2.1.1 STRUKTUR- UND ENTWICKLUNGSANNAHMEN DES ARBEITSPARADIGMAS

IN INDUSTRIELLEN GESELLSCHAFTEN

Burkart Lutz (2001) geht davon aus, dass man sich einen „essentiellen

Paradigmenwechsel“ in der sozialwissenschaftlichen Sicht von organisierter

Erwerbsarbeit in Erinnerung rufen müsse: Das bisherige Paradigma von Arbeit in

industriellen Gesellschaften sei einem neuen gewichen, welches seit Beginn der

1980-er Jahre zahlreiche Veränderungen beinhaltete, die mit den grundlegenden

Annahmen der herkömmlichen Sicht von Arbeit in Industriegesellschaften –

- 10-

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gemeint sind Formen tayloristisch-fordistischer Produktion – nicht mehr in

Einklang zu bringen seien (vgl. Lutz 2001, S. 2 ff.).

Doch zunächst skizziere ich die Struktur- und Entwicklungsannahmen3

des

Arbeitsparadigmas in industriellen Gesellschaften4

, in der das Leitbild der

′wissenschaftlichen Betriebsführung′, also des Taylorismus vorgeherrscht hat (vgl.

zu beidem ebd. und zu Ersterem auch Baethge 2001). Die grundlegenden

Strukturen sind vor allem:

• Auf hierarchische und funktionale Arbeitsteilung gegründete Formen der

Betriebsorganisation sichern die weitaus höchste Effizienz bei der

Produktion von Gütern und der Bereitstellung von Leistungen; sie sind

insofern essenzielle Voraussetzungen von Prosperität.

• Vertikal hochintegrierte und stark hierarchisch organisierte Groß- und

Mittelbetriebe sind hoch autark und von anderen Betrieben oder

Organisationen weitgehend unabhängig.

• Ein Produktionskonzept der Standardisierung von Produkten und der

Rationalisierung von Prozessen mit den entsprechenden Anforderungen an

Disziplin und Ordnung, um die economics of scale

5

zu nutzen, herrscht

vor.

• Lohnarbeit – in der statistischen Definition ′abhängiger Beschäftigung′ –

ist als der Normalfall von Erwerbsarbeit institutionalisiert (vgl. Kap. 2);

untrennbar damit verbunden ist eine strikte Trennung zwischen Arbeit und

Nicht-Arbeit (Familie, Freizeit o. ä.).

3

Diese ′Annahmen′ sind nicht solche im Sinne von Hypothesen bzw. Vermutungen, sondern

haben eher deskriptives Niveau, d. h., viele ′Annahmen′ gelten ja bereits bzw. konstituieren das

Arbeitsparadigma industrieller Gesellschaften.

4

Baethge (2001) kennzeichnet das Arbeitsparadigma industrieller Gesellschaften als

„Industrialismus“ – diesen wiederum definiert er als „institutionelle Verfasstheit von Arbeit“

(Baethge 2001, S. 30), die in einer für Deutschland typischen Ausprägung spezifische Merkmale

sowohl auf der Unternehmensebene als auch auf gesellschaftlicher Ebene aufweise. Die

Merkmale habe ich in obige Auflistung integriert.

5

Selten ist für diesen in der Literatur viel zitierten Begriff eine Definition zu finden: am ehesten

trifft es wohl ein ′Einhalten der unternehmerischen Erfolgskennzahlen′.

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• Die Berufsbildung orientiert sich am Facharbeiterprofil bzw. am Profil

des Fachangestellten, sie ist im Wesentlichen durch ihre Einbindung in die

betrieblichen Arbeitsprozesse bestimmt. Hierdurch entsteht bereits in

früher Jugend eine Sozialisation – in Gestalt betriebsförmiger Ausbildung

– in das Arbeits-, Organisations- und Normengefüge industrieller Arbeit.

Zudem definiert auch die Stellung des Individuums in der betrieblichen

Struktur funktional-hierarchischer Arbeitsteilung seine Position und

zumindest seine materiellen Chancen (und die seiner Familie) in allen

anderen gesellschaftlichen Lebensbereichen und Sphären.

• Der Arbeitsmarkt ist das zentrale Medium, das über die Vermittlung der

von Individuen angebotenen und von den Betrieben nachgefragten

Arbeitsbefähigung zugleich rationale, das heißt ökonomisch effiziente,

und dem Prinzip der Chancengleichheit entsprechende Form der

Arbeitskräfteallokation und der Zuweisung von Lebenslagen sichert.

• Erziehung, Bildung und Ausbildung in den hierfür spezialisierten

Institutionen haben die Aufgabe, die Arbeitsbefähigungen des

Individuums so weit wie möglich zu entwickeln, um ihm auf diese Weise

optimale Voraussetzungen zur Wahrung der sich am Arbeitsmarkt

bietenden Chancen zu sichern.

• Der Staat hat hauptsächlich die Aufgabe, durch normative Regelungen

gleiche Handlungschancen für alle Arbeitsmarktpartner sicherzustellen

und dafür zu sorgen, dass ausreichende Subsistenzmittel bereitstehen,

wenn kein zur Sicherung des Lebensunterhalts ausreichendes

Arbeitseinkommen erzielt werden kann. Öffentliche Arbeitsmarktpolitik

bleibt im Wesentlichen auf Versuche zur indirekten Beeinflussung

ökonomischer Parameter des Arbeitsmarktes (z. B. durch

Investitionsförderung, Subventionen etc.) beschränkt.

• Der Familientypus industrieller Gesellschaften weist einen männlichen

Haupternährer und eine klare Rollenteilung zwischen Mann und Frau auf:

der Mann verdient das Geld, die Frau ist für Haus und Familie zuständig.

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• Das Sozialversicherungssystem, das die Höhe der Renten an die geleistete

Arbeitszeit bindet und Vollzeitarbeit begünstigt, ist an das (Normal)-

Arbeitsverhältnis gebunden.

Die zentralen Entwicklungsannahmen6

lassen sich in zwei Thesen resümieren:

• Technischer Fortschritt ist der zentrale Entwicklungs- und

Veränderungsimpuls von Arbeit, und zwar in doppelter Hinsicht:

einerseits direkt durch die mit technischem Fortschritt verbundenen

Innovationen von Produkt und Produktionsverfahren; andererseits indirekt

über die ökonomischen Wirkungen der von ihnen ermöglichten

Steigerungen von Produktivität und Wohlstand, die ihrerseits einen

tiefgreifenden Wandel von Nachfrage- und Produktionsstruktur (z. B.

wachsende Bedeutung des „tertiären Sektors“) verursachen.

• Die oben skizzierten Annahmen über die charakteristischen Strukturen von

Arbeit setzen sich im Prozess gesellschaftlicher Modernisierung

sukzessive gegen zunächst noch starke, dann aber zunehmend

residualisierte Strukturen durch, die den Produktions- und Lebensweisen

früherer historischer Stadien entsprechen. Erst am Ende einer längeren

Übergangszeit sind die typischen Merkmale von Arbeit in industriellen

Gesellschaften in reiner, unvermischter Form zu beobachten.

Der Frage, ob und wie sich ein neues ′post-industrielles′ Paradigma

herausgebildet hat, soll im nächsten Kapital nachgegangen werden.

2.1.2 EIN NEUES, „POST-INDUSTRIELLES“ PARADIGMA GESELLSCHAFTLICHER

ERWERBSARBEIT

Die Veränderungen, die verantwortlich sein könnten, ein neues – ′post-

industrielles′ – Paradigma gesellschaftlicher Erwerbsarbeit zu konstituieren,

machen im Weiteren Lutz (ebd.), aber auch Moldaschl/Sauer (2000), Sauer et al.

(2001), Pries (1998) und Baethge (2001) – wiederum in Form von Annahmen –

6

Vgl. Fußnote 2.

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deutlich, indem sie die gravierenden Umbruchprozesse in den Unternehmen

benennen:

• Mit der organisatorischen Dezentralisierung großer Unternehmen auf der

einen und der unternehmensübergreifenden Vernetzung, der zunehmenden

organisatorischen Verselbständigung und Auslagerung – verstärkt durch

das Globalisierungsphänomen – auf der anderen Seite erodieren die

Grenzen zwischen Unternehmen und ihrem Umfeld, was der These von

der „Auflösung des Unternehmens“ entspricht

7

. Somit wird ein neues

Verhältnis von „Innen“ und „Außen“ definiert (vgl. Moldaschl/Sauer

2000, S. 205). Zumindest die innerbetrieblichen Integrations- und

Vernetzungstendenzen sind im Laufe der 1980er-Jahre, vor allem in den

Versuchen einer zunehmenden datentechnischen Beherrschung

gesamtbetrieblicher Abläufe (CIM-Systeme), klarer hervorgetreten und

haben den systemischen Charakter betrieblicher Rationalisierung – welche

auf eine nachhaltige Reorganisation tendenziell aller inner- und

überbetrieblichen Prozesszusammenhänge zielt – weitgehend bestätigt

(vgl. Sauer et al. 2001, S. 183).

• Es entstehen zunehmend Käufermärkte; Innovationszyklen werden kürzer:

Hierdurch verändert sich das strategische Gewicht der betrieblichen

Funktionsbereiche zueinander; die Innovation generierenden und die den

Markt organisierenden Abteilungen treten in den Vordergrund und aus

dem „Schlepptau“ der Produktion. Dies erfordert eine höhere

Spezialisierung und Professionalisierung dieser Bereiche (vgl. Baethge

2001, s. 33.).

• Die Struktur von Markt und Hierarchie, von Kooperation und Wettbewerb

gestaltet sich neu: einerseits durch den Einzug marktlicher Prinzipien in

die planwirtschaftliche Binnenstruktur der Unternehmen (Internalisierung

des Marktes; Vermarktlichung); andererseits werden in den sich

7

Hierzu bemerkt Funder (2000), dass die vollständige „Auflösung“ organisationaler Grenzen

jedoch fraglich erscheine, wohl aber könne von einer Neuordnung gesprochen werden (vgl.

Funder 2000, S. 21).

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herausbildenden Produktions- und Dienstleistungsnetzen die bislang

zwischen den Unternehmen vorherrschenden externen, marktförmigen

Austauschbeziehungen durch hierarchisch strukturierte Formen der

Steuerung und Kontrolle abgelöst (vgl. Moldaschl/Sauer ebd., S. 206).

• Die Formen der Nutzung von Arbeitskraft und der Gestaltung von

Arbeitsverhältnissen verändern im Rahmen einer Neubestimmung des

Verhältnisses zwischen Arbeit und Kapital das Ziel moderner

arbeitskraftbezogener Rationaliserungsstrategien: Das Ziel ist, unter den

Stichworten Flexibilisierung und Selbstorganisation, ein grundsätzlich

erweiterter Zugriff auf das Arbeitsvermögen. Es kommt damit zu einer

inhaltlichen, zeitlichen und sozialen Entgrenzung von Arbeit, mit der auch

die Scheidelinien zwischen der Nutzung von Arbeit im Arbeitsprozess

sowie der individuellen und gesellschaftlichen Reproduktion von

Arbeitskraft („Arbeit und Leben“) neu gezogen werden (vgl. ebd.).

• Vor allem aufgrund des Vordringens mikroelektronischer Informations-

und Steuerungstechnik in Fertigung, Verwaltung und Dienstleistung

werden zunehmend neue Formen der Arbeitsorganisation eingeführt, die

eine jahrzehntelange Tendenz zu vertiefter horizontaler, funktionaler und

hierarchischer Arbeitsteilung zumindest partiell rückgängig machen (vgl.

Lutz ebd., S. 4).

• Der Großbetrieb, der bisher als Prototyp effizienter Nutzung von Technik

und rationeller Organisation galt, beherrschte die bisherige Sicht von

Arbeit in Industriegesellschaften. Allerdings wird mehr und mehr deutlich,

dass sich zunehmend eine neue Art von Betrieben mit deutlich vom

großbetrieblichen Modell abweichenden Organisationsformen herausbildet

(vgl. ebd., S. 4 f.).

• Ein weiterer Fokus muss auf die Veränderungen der

Tätigkeitsanforderungen und Qualifikationsstrukturen gerichtet werden:

Wandelt sich das Verhältnis zwischen körperlicher und geistiger Arbeit

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grundlegend und besteht die Tendenz bzw. Chance einer umfassenden

Reprofessionalisierung von Industriearbeit (vgl. Pries 1998, S. 26)?

• Kontrollansprüche und Herrschaftsstrukturen wandeln sich, allerdings:

„Versachlichen“ sich die betrieblichen Kooperationsbezüge durch den

Einsatz neuer Informations- und Steuerungstechniken, oder steuern wir auf

die totale Verhaltenskontrolle Orwell´schen Zuschnitts zu (vgl. ebd.)?

• Die Frage, wer die „Rationalisierungsgewinner“ und die

„Rationalisierungsverlierer“ sind, rückt in den Vordergrund: Erleben wir

eine generelle Entwertung körperlicher Arbeit, z. B. sensumotorischer

Fertigkeiten sowie der hiermit verbundenen Berufe, wird Ingenieursarbeit

immer mehr zur „normalen“ Sachbearbeitertätigkeit (vgl. ebd., S. 27)?

• Es gibt kaum Zweifel, dass auch in Deutschland spätestens seit den 1980-

er Jahren der tertiäre Sektor der wirtschaftlich dominierende ist (vgl.

Baethge ebd., S. 24). Zudem waren in Deutschland bereits 1996 71

Prozent der Tätigkeiten Dienstleistungstätigkeiten (vgl. ebd., S. 26).

• Im Gefolge des demografischen Sprungs im letzten Jahrhundert und des

demografischen Übergangs Anfang der 1970-er Jahre „wandern“ sehr

unterschiedlich starke Kohorten durch die Alterspyramide – bei deutlicher

Alterung von Erwerbstätigen und vor allem von Nichterwerbstätigen (vgl.

ebd., S. 37).

• Die Pluralisierung von Haushalts- und Familienformen führt zu

veränderten Reproduktionsbedingungen, die nicht ohne Folgen im

Erwerbssystem bleiben (z. B. Vordringen von

Doppelerwerbstätigenhaushalten und weniger [männliche] Haupternährer-

Familien; mehr Alleinlebenden- bzw. Alleinerzieherhaushalte) (vgl. ebd.).

• Ein insgesamt deutlich gestiegenes (Aus-)Bildungsniveau führt neben

veränderten Ansprüchen an Arbeit auch zu komplexeren gesellschaftlichen

Teilhabe- und Selbstentfaltungsansprüchen (vor allem bei Frauen und

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Jüngeren) – gleichzeitig verstärken sich für die weniger leistungsfähigen

Personen vielfältige Exklusionsrisiken (vgl. ebd.).

• Mit den Emanzipationsansprüchen und dem gestiegenen Wohlstand gehen

Verschiebungen in den Bedürfnissen einher, die bestehende institutionelle

Arrangements zu überfordern drohen und Veränderungen derselben

nahelegen (vgl. ebd.).

Welche neuen Formen der Organisation von Erwerbsarbeit innerhalb des post-

industriellen Paradigmas m. E. von Bedeutung sind, bestimmt die Struktur des

nächsten Kapitels (des Kapitels 2).

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2.2 NEUE FORMEN DER ORGANISATION VON

ERWERBSARBEIT

Deutschmann (2002) geht davon aus, dass man resümieren könne, wenn es in der

Geschichte der Industriesoziologie ein zentrales erkenntnisleitendes Konzept

gegeben habe, so sei es das der „Massenproduktion“ (vgl. Deutschmann 2002,

S. 27). Noch bis in die 1970-er Jahre hinein habe es als Leitmotiv historischer

Interpretation der Rationalisierungsprozesse, beispielsweise des amerikanischen

Managements, gedient. In seinem Zentrum stand die Annahme einer

kapitalistischen Logik fortschreitender Organisierung und Technisierung.

Arbeitsprozesse und soziale Strukturen werden nach dem Prinzip der „economics

of scale“ umgestaltet und geraten damit in immer stärkere Abhängigkeit von

technischen Funktionszusammenhängen (vgl. ebd.). Deutschmann geht im

Weiteren davon aus, dass, da das technische Kontrollsystem „economics of

scale“ in den Großbetrieben des sekundären Sektors am weitestgehendsten

realisiert schien, eben diese Betriebe innerhalb des Produktionssektors im

Brennpunkt der Aufmerksamkeit der empirischen Industriesoziologie gestanden

hätten. Die im folgendem Kapitel dargestellten Konzepte und Modelle setzen alle

an der bereits in der Einleitung erwähnten Kritik an der Allgemeingültigkeit des

Massenproduktions-Modells an: Vor allem die Tatsache, dass sich die Akteure der

unternehmerischen Praxis in wachsender Zahl auf eine gänzlich andere Logik der

Reorganisation bzw. Rationalisierung einließen, zwingt heute dazu, den durch das

Massenproduktions-Paradigma analytisch ausgeblendeten Phänomenen neue

Aufmerksamkeit zu schenken (vgl. ebd.).

Hauptsächlich ausgeblendet bleibt zumeist das Phänomen der Tertiarisierung. In

welcher Gestalt sich die beiden zentralen Formen der Tertiarisierung, die auf der

Ebene der Wirtschaftsstruktur (meint den wachsenden Anteil des

Dienstleistungssektors) und die auf der Ebene der Organisationen (beinhaltet die

zunehmende relative Bedeutung der tertiären Funktionsbereiche in Unternehmen,

wie z. B. Management, Verwaltung, Marketing, Stäbe, Servicefunktionen), seit

ca. Beginn der 1980-er Jahre manifestieren – und welche Auswirkungen auf die

Anforderungen an die Beschäftigten sich jeweils aus ihnen ergeben – soll

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Leitpunkt des folgenden Kapitels sein. Meine Darstellungssystematik konzentriert

sich in Bezug auf die Abfolge zunächst auf Konzepte, die dem

Produktionsbereich zuzuordnen sind, es folgen Konzepte, die sich eher auf

Dienstleistungsarbeit beziehen. Ansätze, die als ′querliegend′ zu den genannten

Konzepten begriffen werden können („Informatisierung“ oder „Wissensarbeit“),

werden in Form eines Exkurses dargestellt.

Am jeweiligen Kapitelende folgt ein Hinweis darauf, welche

Qualifikationsdimensionen mit der Etablierung der jeweiligen ′neuen Form′ der

Organisation von Erwerbsarbeit entstehen. Dies soll deshalb erfolgen, um mit

allen in Kap. 2 genannten ′Konzepten′ und ′neuen Formen′ unter Zuhilfenahme

dieser Qualifikations- und Anforderungsdimensionen zu Schlüsselkategorien

hinzuführen, aus denen sich dann die in Kap. 3 dargestellten Subjektstrukturen

entwickeln lassen.

2.2.1 TERTIARISIERUNG AUF DER SEKTORALEN EBENE

Vieles deutet darauf hin, dass die sektorale Einteilung in ′Land- und

Forstwirtschaft′, ′Produktion′ und ′Dienstleistungen′ starke Verschiebungen

erfährt bzw. auch von der Emergenz eines vierten Sektors, ′Information und

Wissen′, ausgegangen werden kann. Betrug bspw. im 18. Jahrhundert der Anteil

der Beschäftigten im Landwirtschaftssektor 80 Prozent der Gesamtbevölkerung –

und bezeichnet man heute diese Epoche deshalb als ′Agrargesellschaft′ –, so sind

heute nur noch 2,6 Prozent der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft tätig (vgl.

Willke 1999, S. 48). Der Anteil des Produktiossektors wuchs im Zuge der

Industrialisierung enorm (bis hin zur ′Industriegesellschaft′), nahm allerdings

durch technischen Wandel und Rationalisierung seit Beginn der 1970-er Jahre

kontinuierlich ab und ließ die so genannte ′Dienstleistungsgesellschaft′ entstehen,

in die der größte Teil der im industriellen Sektor freigesetzten Arbeitskräfte

aufgenommen wurde (vgl. ebd., S. 48 f.). Es bleibt also festzuhalten, dass sich

nicht alle Arbeitsprozesse in der Wirtschaft nach den Prinzipien der

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Massenproduktion organisieren lassen – daher wirkt der technische Fortschritt

nicht in allen Sektoren in gleicher Weise, denn der Absatz von Massengütern aus

der landwirtschaftlichen, aber auch der industriellen Produktion, lässt sich von

einem bestimmten Punkt an nicht weiter steigern. Damit wirkt der technische

Fortschritt nicht weiter produktionssteigernd, sondern führt zu einer – wie oben

erwähnt – relativen Verringerung der in dem sekundären Sektor beschäftigten

Arbeitskräfte (vgl. Deutschmann ebd., S. 29).

Da nun allerdings zu befürchten steht, dass auch die Dienstleistungsproduktion –

und somit auch die Beschäftigung in diesem Sektor – durch zunehmende

Rationalisierung an ihre Grenzen stößt, scheint ein vierter Sektor, man könnte ihn

Wissenssektor nennen, in dem Information und Wissen als Quelle der

Wertschöpfung identifiziert werden können, längst entstanden zu sein. Nun kann

man einwenden, dass auch die Produktion bzw. Nutzung von Wissen eine

Dienstleistung sei, allerdings erscheint die Teilung zwischen Dienstleistungs- und

Wissenssektor sinnvoll, weil mit der Ausdifferenzierung eines Wissenssektors

unterstrichen wird, dass bei dieser Form von Dienstleistung das Wissen zum

zentralen zukünftigen Wertschöpfungsfaktor geworden ist (vgl. ebd.). Welche

ausdifferenzierten Dienstleistungen Kern des Wissenssektors sein könnten bzw.

längst sind, sei im Folgendem aufgeführt:

• Hochschulen, Akademien, Forschungseinrichtungen, Labors,

beratende Berufe, Software-Häuser, Verlage, etc. („Wissens-

Industrien“)

• Museen, Theater, Opern- und Musical-Häuser, Multimedia-Zentren

(„Kunst- und Kultur-Industrien“)

• Religionsgemeinschaften, Sekten, Esoterikzentren („Ethik-Industrie“)

• Agenturen, Studien- und Trainingszentren, Kur- und Tagungsstätten,

Coaching-Institute, Wellness-Studios, etc. („Selbstfindungs- und

Selbstverbesserungs-Industrie“) (vgl. ebd.).

Welche Konsequenzen sich aus der Verschiebung von Erwerbsarbeit innerhalb

der Sektoren auf die Strukturen der Beschäftigungsverhältnisse ergeben, sei in

Kap. 2.2.13 dargestellt.

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Unter Berücksichtigung des Tertiarisierungs-Phänomens sollen nun in den

folgenden Kapiteln neue ′Konzepte′ der Organisation von Erwerbsarbeit

vorgestellt werden

2.2.2 DIE „NEUEN PRODUKTIONSKONZEPTE“

Kern/Schumann (1984) unterstellen für die 1980-er Jahre eine grundlegend

gewandelte Rationalisierungssituation: Die Perfektionierung der Mikroelektronik

–durch Entwicklung funktionsreicher, billig herstellbarer Mikroprozessoren, die

sich durch vielfältige Verwendungsmöglichkeiten auszeichnen und die in der

Fertigung für die verschiedensten Zwecke der Steuerung und Regelung eingesetzt

werden können –, weist in eine neue Richtung. Durch die Mikroelektronik wird

jene bereits in den 1950-er Jahren beginnende Automation, die zunächst nur für

Großbetriebe mit Massenfabrikation Bedeutung gewinnen konnte – weil sie die

große Serie, den durchstandardisierten Produktionsprozess und hohe Kapitalkraft

voraussetzte – durch eine Lösung komplettiert, die Automation und Flexibilität zu

kompatiblen Größen werden lässt (vgl. Kern/Schumann 1984, S. 15 f.). Durch die

gegebene Flexibilität der neuen Systeme sind Vernetzungen mit ursprünglichen

(tayloristischen) Prozessen möglich geworden, so dass die Funktionsbreite der

Produktionsmittel sehr viel größer wird. Die neue „Technik kann in nicht

standardisierte Prozesse vordringen [...] die wegen der geforderten Vielfalt und

Variabilität bisher als Reservat menschlicher Arbeit galten“ (ebd., S. 47).

In Bezug auf die Organisationsstrukturen ist anzuführen, dass die Veränderungen

innerhalb der Produktionstechnologien mit der Zeit auch eine Debatte um die

Auflösung der starren tayloristischen Trennung in die klassischen

Funktionsbereiche von Produktion und Fertigung, Instandhaltung und

Qualitätskontrolle und nicht zuletzt auch um die generell praktizierte Trennung

von dispositiven und ausführenden Tätigkeiten ausgelöst hat. Nicht nur in den

Bereichen der Technik soll modernisiert werden, auch die

Organisationsphilosophie erfährt einen Wandel, so dass man von einem Trend

weg von hochgradiger Arbeitsteilung und Spezialisierung hin zu einer Integration

und Ganzheitlichkeit in den Arbeitsabläufen sprechen kann. Dies kommt auch

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darin zum Ausdruck, dass die Bildung von dezentralen, eher autonomen

Produktionszentren, in denen integrierte Teams arbeiten sollen, die die

Verantwortung für die Verfügbarkeit von Maschinen oder einer Produktionslinie

übernehmen, gebildet werden. Diese Neuerung hat neben einem positiven Effekt

auf die sozialen und beruflichen Kompetenzen der Arbeitnehmer auch Vorteile für

die Unternehmen: sie versprechen sich hiervon eine Verkürzung der Standzeiten,

z. B. im Falle eines Maschinenausfalls.

Mit Hilfe der reformierten Konzepte werden die Arbeiter zum ersten Mal in

deutlich feststellbarem Umfang wieder ′freier′, denn durch Gruppenbildung,

gruppendynamisches Training, Abbau von verkrusteten Hierarchien, stärkeren

Blick auf die Qualifizierung der Arbeiter – manifestiert durch „mehr Facharbeiter

in der Produktion“ (ebd., S. 50) –, der Entkopplung des Arbeitstaktes vom

Fließband und nicht zuletzt den breiteren Zuschnitt der Arbeitsplätze verbessert

sich die Lage der Arbeitnehmer sehr stark. Die Motivation für die Unternehmen

ist nach Kern und Schumann dreifacher Art, da die Produktion mehr Flexibilität,

mehr Produktivität und letztendlich auch mehr Qualität durch die integrierten

Strukturen erbringen wird. Alle diese Entwicklungen stellen einen beachtlichen

Wandel der Bedeutung und Verwertung menschlicher Arbeit innerhalb der

Kernsektoren der deutschen Industrie dar.

Die beiden Autoren sprechen in diesem Zusammenhang der Reorganisation und

Requalifizierung der Industriearbeit von der „Neoindustrialisierung“ und einem

entscheidenden „Paradigmenwechsel“ innerhalb der Industrie – oftmals in der

späteren Industriesoziologie als Reprofessionalisierung der Industriearbeit

bezeichnet –, der im Credo der neuen Produktionskonzepte zum Ausdruck

komme:

„Das Credo der neuen Produktionskonzepte lautet:

a) Autonomisierung des Produktionsprozesses gegenüber lebendiger

Arbeit durch Technisierung ist kein Wert an sich. Die weitestgehende

Komprimierung lebendiger Arbeit bringt nicht per se das

wirtschaftliche Optimum.

b) Der restringierende Zugriff auf Arbeitskraft verschenkt wichtige

Produktivitätspotentiale. Im ganzheitlichen Aufgabenzuschnitt liegen

keine Gefahren, sondern Chancen; Qualifikationen und fachliche

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Souveränität sind auch Produktivkräfte, die es verstärkt zu nutzen gilt.“

(ebd., S. 19)

Die neuen Produktionskonzepte produzieren drei Kategorien von Mitarbeitern:

Zuerst können in erster Linie Produktionsfacharbeiter und

Instandhaltungsspezialisten als „Rationalisierungsgewinner“ bezeichnet werden:

Ihre Arbeitsgrundlage ist nicht mehr die überkommene, am Taylorismus

orientierte Arbeitsteilung, sondern es rücken zunehmend breiter zugeschnittene

und Qualifikationen umfassender nutzende Arbeitsplätze in den Vordergrund. Mit

ihnen zeigt sich ein verändertes Rationalisierungsverständnis: Die Arbeitskraft,

bislang potenzieller Störfaktor, die über eine restriktive Arbeitsgestaltung zu

ersetzen ist, gewinnt nunmehr eine herausgehobene Bedeutung mit Blick auf ihre

besonderen Qualitäten (vgl. Raehlmann 1996, S. 111 f.). Die Gruppe der

„Rationalisierungsdulder“ ist aufgrund von Merkmalen wie fortgeschrittenes

Alter, Fehlen polyvalenter Qualifikationen oder Zugehörigkeit zur Gruppe der

Frauen und Ausländer den Herausforderungen, die von den neuen

Rationalisierungsmustern ausgehen, nicht gewachsen. Sie verbleiben im Betrieb

aufgrund gewisser Schutzmaßnahmen ohne inner- oder überbetriebliche

Perspektive. Eine weitere Gruppe arbeitet in krisengeschüttelten Branchen, wo die

Beschäftigungsperspektiven unsicher sind. Deutlicher noch als diese Gruppe sind

die Erwerbslosen zu den „Rationalisierungsverlierern“ zu rechnen (vgl.

Kern/Schumann ebd., S. 22 f.).

Als Qualifizierungsdimension für die „Neuen Produktionskonzepte“ kann

festgehalten werden: Integrierte und ganzheitliche Einsatzbereitschaft in der

Arbeit.

2.2.3 DAS KONZEPT DER „SYSTEMISCHEN RATIONALISIERUNG“

Arbeitssoziologisch ist nicht nur die Entwicklung der Verschiebung von der

Produktion zur Dienstleistung bzw. der erhöhten Aufmerksamkeit der

Betrachtung vom Arbeiter- zum Angestellten-Block interessant, sondern vielmehr

muss m. E. der Blick auf die internen Veränderungen innerhalb der ′Blöcke′

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gerichtet werden. Welcher ′Teil′ der lohnabhängig Beschäftigten als Profiteur des

sich anbahnenden Wechsels gelten kann, macht folgendes Zitat deutlich:

„Dass den Angestellten die Zukunft gehören werde, und dass sie zur

größten Gruppe der abhängig Beschäftigten avancieren würden, galt seit

den Theorien Clarks (1940) und Fourastiès (1954) in

sozialwissenschaftlichen Diskussionen als ausgemachte Sache.“

(Baethge/Oberbeck 1986, S. 15)

Obige Autoren definieren zu Beginn der 1990-er Jahre wie folgt:

„Systemische Rationalisierung in Dienstleistungsunternehmen heißt, dass

technische und organisatorische Maßnahmen nicht länger punktuell, auf

einzelne betriebliche Aufgaben hin betrieben werden, sondern dass von

den Unternehmen verstärkt auf die integrierte, technisch-soziale

Gestaltung von Arbeits-, Betriebs- und Marktstrukturen gezielt wird.“

(Baethge/Oberbeck 1990, S. 150)

In den 1980-er Jahren hatten sie bereits ausgeführt, dass systemische

Rationalisierungsprozesse dadurch gekennzeichnet seien, dass unter Nutzung

neuer, mikroelektronisch basierter Datenverarbeitungs- und

Kommunikationstechnik der betriebliche und überbetriebliche Informationsfluss,

die Kommunikation über die Kombination von Daten, die Organisation der

Betriebsabläufe und die Steuerung der unterschiedlichen Funktionsbereiche in

einer Verwaltung bzw. in einem Unternehmen in einem Zug neu gestaltet würden

(vgl. Baethge/Oberbeck 1986, S. 22).

Systemische Rationalisierung hat die Optimierung der Organisierung von Markt-

und Austauschprozessen zum Ziel. Deren begrenzte Durchschaubarkeit besser in

den Griff zu bekommen, Informationsvorteile herauszuschlagen, Kunden und

Lieferanten in ihren Verhaltensdispositionen und Interessen besser transparent zu

machen, um sie dauerhafter ans Unternehmen zu binden oder rechtzeitig

abzustoßen, seien die zentralen Rationalisierungsziele (vgl. ebd.). Interessant ist,

dass Personalkostenreduzierung offenbar nur eine strukturell nachgeordnete Rolle

spielt. Rationalisierung im Dienstleistungssektor heiße in erster Linie verbesserte

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Antizipation von Marktentwicklungen und – wenn möglich – Erhöhung der

Kapazität zur Marktsteuerung, nicht vorrangig Weiterentwicklung von Technik

zur Kompensation menschlicher Arbeit (vgl. ebd.).

Auf die überbetriebliche Dimension systemischer Rationalisierung machen

Altmann et al. ebenfalls Mitte der 1980-er Jahre aufmerksam:

„Der „Neue Rationalisierungstyp“ macht in seinem systemischen

Charakter nicht an den Grenzen des Betriebes halt.

Rationalisierungsmaßnahmen dieses Typs beziehen die außerbetrieblichen

Liefer-, Bearbeitungs- und Distributionsprozesse mit ein. Mit der

datentechnischen Integration auch betriebsexterner Prozesse deuten sich

Veränderungen in der zwischenbetrieblichen Arbeitsteilung und in der

Struktur traditionell marktvermittelter Beziehungen zwischen den

Betrieben an, die die bislang erfaßte Reichweite gesellschaftlicher Folgen

beim Einsatz von Computertechnologien bei weitem übersteigen.“

(Altmann et al. 1986, S. 192)

Der Einsatz „Neuer Technologien“ sei die entscheidende Voraussetzung

betrieblicher Ökonomisierungs- und Flexibilisierungsstrategien. Damit sei die

Technik das zentrale Elastizitätspotential betrieblicher Rationalisierungsstrategien

– einhergehend mit einem zunehmenden Bedeutungsverlust von Arbeitskraft als

elastische Potenz (vgl. ebd., S. 196).

Bezugspunkt von Unternehmens- und Rationalisierungsstrategien wird die

Produktions- und Wertschöpfungskette sowie deren Effektivierung und

Flexibilisierung. Dies bedingt eine Ausrichtung von der horizontalen

Arbeitsteilung (klassischer Fordismus) hin zu der Ausschöpfung der Potentiale

der vertikalen Arbeitsteilung. „Der sachliche Zusammenhang einer

Produktionskette konstituiert sich neu über die organisatorische Ausgliederung

(Segmentierung) und Zusammenführung (Integration) von Teilprozessen in neue

organisatorische Einheiten.“ (Sauer/Döhl 1994, S. 199). Hierdurch werden

zum einen organisatorische, technische und arbeitskraftbezogene Vorteile in der

Spezialisierung, Flexibilität und Standardisierung einzelner und unterschiedlicher

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Produktionssegmente innerhalb der Produktionskette genutzt, zum anderen wird

das eigenständige Produktivitäts- und Flexibilitätspotential der gesamten Kette

ausgeschöpft – überbetriebliche Arbeitsteilung und Kooperation werden zu einer

neuen Quelle der Wertschöpfung.

Wichtig erscheint in diesem Zusammenhang, auf den Wesensunterschied zur

′einzelfunktionsbezogenen Rationalisierung′ hinzuweisen: Bisherige

Rationalisierungsmaßnahmen wurden im Prinzip von unten und vom

Arbeitsmittel her, d. h. einzelfunktionsbezogen und mit nur begrenztem

Blickwinkel für Zusammenhänge mit angrenzenden Aufgabengebieten gedacht

und durchgeführt. Dagegen „werden Rationalisierungskonzepte jetzt eher von

oben, von der Organisation des gesamten Funktionsprozesses her, d. h. mit der

Perspektive der Veränderung von komplexen Funktionszusammenhängen und der

Realisierung mehrerer Wirkungspotentiale ... entwickelt und durchgesetzt.“

(Baethge/Oberbeck 1986, S. 23)

In Bezug auf die Folgen „systemischer Rationalisierung“ ist folgendes zu

bemerken: Es ist ein Wandel im Arbeitshabitus auszumachen. Dass Systemische

Rationalisierung allerdings automatisch dequalifizierende Auswirkungen auf die

Angestellten habe, könne lt. Baethge und Oberbeck als zweifelhaft angesehen

werden. Eine Dequalifizierungsprognose scheine ihnen nur für jene begrenzten

Teilgruppen kaufmännischer Angestellter in dispositiven Funktionen

wahrscheinlich, die mit Hilfs-, Kontroll- und Zuarbeitstätigkeiten befasst seien,

und für bestimmte Gruppen unterer und mittlerer Führungskräfte, deren

herkömmliche Kontrollfunktionen auf das System übertragen würden (vgl. ebd.,

S. 34).

Die Autoren sind weiter der Auffassung, dass als Haupttendenz aber die

Weiterentwicklung der EDV für die Kerngruppen der kaufmännischen

Angestellten eher in die Richtung einer dichteren Aktualisierung der ihnen im

betrieblichen Arbeitsalltag abgeforderten Qualifikationen gehe, da sie von

schematischen Rechenoperationen, Routineprüfungen und zeitaufwendiger

Informationsbeschaffung entlastet und auf die fachinhaltlichen Zentren ihrer

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Arbeit konzentriert seien, das heiße für viele konkret, mehr Fälle oder Vorgänge

in der gleichen Zeit zu bearbeiten als früher (vgl. ebd.).

Weiter führen Baethge/Oberbeck aus, dass durch den Wechsel des Informations-

trägers vom Papier zum Mikrochip sich zwangsläufig die Umgangsformen des

Angestellten mit den Informationen änderten:

„Papier ist – verglichen mit dem Bildschirm – geduldig, gemächlich

und von kompakter Anschaulichkeit. Die Interaktion mit dem EDV-

System verlangt demgegenüber einen Arbeitsstil, der durch eine

Verbindung von Reaktionsschnelligkeit, Abstraktionsfähigkeit,

Konzentrationsfähigkeit und Genauigkeit gekennzeichnet ist.“ (ebd.,

S. 33)

Grundsätzlich gehen mit dem Einzug von „systemischer Rationalisierung“ zwei

zentrale Tendenzen der Veränderung einher:

a) die Veränderung der betrieblichen Macht- und Entscheidungsstrukturen:

zentrale Steuerungs- und Kontrollpotentiale werden stärker, dezentrale

Betriebseinheiten werden schwächer;

b) Hierarchien werden gefestigt, Prozesse der Demokratisierung bleiben

zurück.

Dem Begriff der „integrativen Organisationskonzepte“ kommt eine zentrale

Bedeutung zu: Er meint eine Integration der Geschäftsaktivitäten eines Kunden in

der Hand eines Sachbearbeiters. Ermöglicht werden diese Konzepte durch die

technisch neue Kapazität der Datenverarbeitung. Heterogene Aufgaben, die

vorher auf mehrere Arbeitsstellen bzw. Abteilungen verteilt waren, werden nun

von einem Sachbearbeiter (gebündelt) erledigt (vgl. Baethge/Oberbeck 1986, S.

29 f.).

In der Auseinandersetzung mit diesen neuen Konzepten der systemischen

Rationalisierung bezeichnen die Autoren Sauer und Döhl die

unternehmensübergreifende Produktion zu weitverzweigten

Produktionsnetzwerken auch als „Arbeit an der Kette“. Die Basis für die

Entstehung unternehmens- und länderüberschreitender Produktionsverbünde

bildet die Ausrichtung der systemischen Rationalisierung an Produktions- und

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Wertschöpfungsketten. Die Konsequenzen, die sich aus diesen wirtschaftlichen

Umstrukturierungen ergeben, sind sehr vielseitig und ambivalent.

Es fällt auf, dass die breitere Nutzung menschlicher Arbeit und die Herausbildung

spezifischer Funktionen für das Funktionieren vernetzter Produktionsketten von

besonderer Bedeutung geworden ist. Im Zuge dessen werden die Arbeitskräfte

erneut versachlichten Zwängen unterworfen, was unter dem Strich für die

Mehrzahl der Beschäftigten zu einer Verschlechterung der Arbeitssituation führt.

Dieser Aspekt erscheint allerdings durch die Verlagerung von

Arbeitskräfteproblemen verschleiert und wird lediglich an den

Segmentationslinien (hochentwickelte Industriestaaten – Schwellenländer –

industrielle Billiglohnländer) erkennbar.

Kritik an der wissenschaftlichen Konzeptualisierung systemischer

Rationalisierung übt vor allem Ortmann:

„ ... systematisch ausgeblendet bleiben bei einer solchen rationalistischen

Focussierung alle möglichen Unklarheiten, Kontingenzen, Ambiguitäten,

immanenten Widersprüchlichkeiten, Irrationalitäten, betrieblichen

Besonderheiten, kulturellen Orientierungen [an Interpretationsmustern,

Leitbildern, Technikgläubigkeit etc.] [...].“ (Ortmann 1990, S. 99)

Denn auch noch so scharfer ökonomischer Druck führe erst via Wahrnehmung,

Interpretation, Kommunikation, kultureller und normativer Orientierung und

mikropolitischer Bezugnahme zu – zum Beispiel – Prozessen systemischer

Rationalisierung (vgl. ebd., S. 102).

Ortmann nimmt weiter – vermutlich eine Giddens-Analogie – mit dem Begriff der

„Dialektik systemischer Kontrolle“ den Macht- und Herrschaftsaspekt auf:

„Dialektik systemischer Kontrolle“ meine die Tatsache, dass Machtstrukturen

Ressourcen – er [Ortmann] würde hinzufügen: und Regeln – zur Verfügung

stellten, mit denen die Machtunterworfenen ihrerseits eine gewisse Macht über die

Mächtigen ausüben könnten (vgl. ebd., S. 113).

Als Qualifizierungsdimension für das Konzept der „Systemischen

Rationalisierung“ kann festgehalten werden: Dichte Aktualisierung von

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Fachwissen, Fähigkeit zur überbetrieblichen Arbeitsteilung und Kooperation

sowie zur Bewältigung von heterogenen Aufgabenbündeln.

EXKURS 1: DIE „INFORMATISIERUNG DER ARBEIT“ ALS SYSTEMISCHER

PROZESS

Schmiede (1996) thematisiert den Prozess der systemischen Rationalisierung

unter dem besonderen Aspekt der ′Informatisierung der Arbeit′. Er führt aus, dass

die fortschreitende Informatisierung auf qualitativ neuartigem Niveau (also dem

Niveau der Mikroelektronik, manifestiert bspw. in den ′Neuen

Produktionskonzepten′, s. Kap. 2.2.2) und ihre zunehmende systemische

Einbindung (vgl. Kap. 2.2.3 zur ′Systemischen Rationalisierung′) die bis in den

1980-er Jahre dominanten Parameter der Entwicklung überforme: Die

organisatorische Zerlegung der Arbeit nach tayloristischen Prinzipien und die

Maschinisierung derselben werden transformiert und mit neuen Formen der

Informatisierung und Einbindung der Arbeit ′vermischt′ (vgl. Schmiede 1996, S.

145). Schmiede geht weiter davon aus, dass die Bedeutung der Informationsarbeit

weiter zunehmen werde. Dies gelte in quantitativer Hinsicht sowohl für die

Ausdehnung der Beschäftigtengruppen, die ausschließlich mit der Verarbeitung

von Informationen befasst seien, als auch für den Anteil der Informationsarbeit an

der Arbeit aller Beschäftigungsgruppen. Ebenso aber gelte es in qualitativer

Hinsicht: Je wirkungsvoller sich die Produktionsprozesse über die informatorische

Ebene steuern ließen, desto mehr werde die Informationsarbeit an Bedeutung

gegenüber der Arbeit auf der stofflich-energetischen Ebene des

Produktionsprozesses gewinnen (vgl. ebd.).

Unter dem Eindruck dieser Randbedingungen kann mit Schmiede konstatiert

werden: Arbeit wird unter dem Eindruck ihrer systemischen Einbindung reflexiv

i. S. v. verändernd auf sich selbst bezogen; sie macht sich zum Gegenstand ihrer

selbst:

„Arbeit benötigt in der Informationsgesellschaft eine neuartige, nämlich

reflexive Fachlichkeit. Die einfache, von der Dominanz der stofflichen

Ebene der Produktion bestimmte Fachlichkeit des Taylorismus-Fordismus

erodiert unter dem Eindruck sich beschleunigender Innovationsprozesse

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und computergestützter Informatisierung der Arbeit; sie verliert darüber

hinaus in schwach strukturierten, „systemischen“ Aufgabenzuweisungen

ihre traditionellen funktionalen Grenzen. Gleichzeitig erfordert das

Eingebundensein in systemisch organisierte Kooperationszusammenhänge

von den Arbeitenden die Fähigkeit, sich in ihrem spezifischen fachlichen

Beitrag in Verhältnis zu den spezifischen Beiträgen anderer setzen zu

können. Mehr denn je ist also die fachliche Identität notwendig, um hier

agieren zu können.“ (Schmiede ebd., S. 146)

Diese geforderten Reflexionsleistungen der Arbeit sind ihrerseits nur als Ergebnis

eines subjekthaften Bezugs des Individuums auf die Bedingungen des

Arbeitshandelns denkbar, weil die prinzipielle Kontingenz dieser

Handlungssituation ein regelhaftes Handeln unmöglich macht; Subjektivität ist für

das Agieren in systemisch strukturierten Produktionsprozessen unverzichtbar (vgl.

Boes 1996, S. 109 ff.).

Mit dem Übergang zur „systemischen Rationalisierung“, so argumentiert nun

Schmiede weiter, erfolge gemeinsam mit der Schaffung einer systematischen

Interdependenz der organisatorischen Teilprozesse eine Parallelisierung von

Innovations- und Arbeitsprozess. Ein Weiteres kommt hinzu: Der arbeitende

Mensch ist in seiner Realitätskonstruktion zunehmend auf Informationssysteme

verwiesen, die scheinbar vollständig alle wesentlichen Aspekte des

Produktionsprozesses erfüllen. Seine Wahrnehmung ist zunehmend von der

Auseinandersetzung mit hochabstrakten, formalisierten Objekten bestimmt, nicht

mehr ausschließlich durch den Produktionsprozess selbst (vgl. Schmiede ebd.).

Begreift man nun die oben beschriebene Informatisierung der Arbeit in Form

eines systemischen Prozesses als Teil eines grundlegenden gesellschaftlichen

Wandels in Richtung „Informationsgesellschaft“ (Baukrowitz/Boes 1998), so

stellt sich folgende zentrale Frage: Wie verändern sich die Qualifikationen der

Beschäftigten im Übergang zur Informationsgesellschaft? Baukrowitz und Boes

geben keine ausführliche Auflistung aller sich wandelnder Einzelqualifikationen,

vielmehr kommt es ihnen darauf an, den Wandel des fachlichen Kerns von

Berufen und Tätigkeitsfeldern zu erfassen, das heißt, die beiden Autoren gehen

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der Frage nach, welche grundlegenden Qualifikationsentwicklungen mit der

Informatisierung verbunden sind, die letztlich den gesamten fachlichen

Qualifikationszuschnitt verändern (vgl. Baukrowitz/Boes 1998, S. 1). Zunächst

unterscheiden sie – mit Rekurs auf Reich (1991)

8

– drei Hauptkategorien, die im

Folgenden ausgeführt werden sollen (vgl. hierzu ebd., S. 1 f.):

• Routinemäßige Produktionsdienste

Hierunter werden die monotonen Routinetätigkeiten gefasst, die in

den Unternehmen der Massenproduktion anfallen. Dieses sind

allerdings nicht allein die ausführenden Tätigkeiten der Produktion.

Vielmehr weisen auch routinemäßige Aufsichtstätigkeiten von

Managern der unteren und mittleren Ebene, große Anteile der

Programmierung von Software und vor allem die Arbeit der

Datentypisten, die sozusagen den Rohstoff der

Informationsgesellschaft, die Berge von Rohdaten, eingeben und

verarbeiten, diese Eigenschaften auf. Kennzeichnend für diese

Tätigkeiten ist, dass sie vorgegebenen Standardprozeduren folgen.

• Kundenbezogene Dienste

Diese Tätigkeiten bestehen aus einfachen, stereotypen Tätigkeiten, die

allerdings von Person zu Person erbracht werden und deshalb nicht

weltweit vermarktet werden können. Z. B. gehören

Krankenschwestern, aber auch Sekretärinnen zu dieser Gruppe.

• Symbolanalytische Dienste

Diese Dienste bestehen vor allem aus Tätigkeiten der Problemlösung,

-identifizierung und strategischen Vermittlung. Wissenschaftler,

Ingenieure, Berater, Werbemanager, Schriftsteller, Journalisten und

auch Musiker gehören in diese Gruppe. Diese „Symbol-Analytiker“

lösen, identifizieren und vermitteln Probleme, indem sie Symbole

manipulieren. Sie reduzieren die Wirklichkeit auf abstrakte Bilder, die

sie bearbeiten und mit denen sie experimentieren, die sie an andere

Spezialisten weiterreichen und die sie zurück in die Wirklichkeit

8

Reich, R. B.: Die neue Weltwirtschaft: das Ende der nationalen Ökonomien. Frankfurt am Main

1991 (mittlerweile in der Auflage von 1996 erhältlich).

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verwandeln können. Dabei setzen sie Methoden wie mathematische

Algorithmen, juristische Argumente, wissenschaftliche Regeln und

andere Techniken als Werkzeuge ein. Die Arbeitssituation ist oft

durch Teamwork, auch in weltweiten Netzwerken, geprägt sowie

durch die Offenheit der Anforderungen, die an diese Gruppe gestellt

werden.

Die Autoren weisen im Weiteren darauf hin, dass diese von Reich so skizzierte

Differenzierung hauptsächlich auf die USA zutreffe, für die BRD erscheine die

Abgrenzung zwischen diesen Gruppen keineswegs so eindeutig: Viele

Beschäftigte, die in den USA den routinemäßigen oder den kundenorientierten

Diensten zugeordnet würden, wiesen in der BRD erhebliche symbolanalytische

Tätigkeitsanteile auf (vgl. ebd.). Zudem müsse für die BRD berücksichtigt

werden, dass, wolle man den Wandel innerhalb der Qualifikationsstruktur der

Beschäftigten erfassen, man ein insgesamt breiteres Feld von Beschäftigten in den

Blick nehmen müsse, was bedeute, in den Bereichen ′kundenorientierte Dienste′

sowie ′routinemäßige Produktionsdienste′ neben den Anteilen an hochgradig

standardisierten Tätigkeiten einen wachsenden Anteil von problemlösenden und

entscheidenden Tätigkeiten anzuerkennen; so könne man dann auf einem hohen

Abstraktionsniveau folgende Qualifikationsanforderungen bestimmen:

• Abstraktionsfähigkeit

Hiermit ist nicht nur die Fähigkeit zum Umgang mit gegebenen

Abstraktionen gemeint, sondern vor allem die Fähigkeit, einerseits

selbst Ereignisse und Vorfälle so zu interpretieren, dass sie im

Rahmen formaler Systeme bearbeitbar werden, und andererseits

abstrakte formalisierte Aussagen wieder in die Realität umzusetzen,

das heißt etwa für Kunden zu ′übersetzen′.

• Systemdenken

War bisher die modellhafte Vorstellung vom Arbeitsbereich auf einen

bestimmten Funktionsausschnitt beschränkt, so besteht heute die

Notwendigkeit, Einzelaspekte von dem Hintergrund eines ganzen

Geschäftsprozesses einzuordnen und zu interpretieren.

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• Experimentieren

Moderne Arbeitssituationen sind häufig durch wirklich offene

Probleme gekennzeichnet, deren Lösungen es durch ′Experimentieren′

zu ′entdecken′ gilt.

• Zusammenarbeit

Die Fähigkeit zur Zusammenarbeit und zur Kommunikation erhält

sowohl im Kontakt zur Unternehmensumwelt als auch in den internen

Abläufen eine immer größere Bedeutung (vgl. ebd., S. 5).

Die Autoren betonen, dass es allerdings nicht bei dieser allgemeinen Bestimmung

von Qualifikationen bleiben dürfe: Es sei notwendig, von diesen allgemeinen

Qualifikationen den Wandel des fachlichen Kerns in den verschiedenen

Tätigkeitsfeldern zu erkennen und zu analysieren. Sie trennen dabei in

′Fertigungsbereich industrieller Produktion′ (vgl. hierzu bspw. mein Kap. 2.2.2 )

und ′Büroarbeit′ (vgl. hierzu bspw. mein Kap. 2.2.3): Für den Fertigungsbereich

konstatieren sie einen „Gewährleistungsarbeiter“ als einen „Facharbeiter neuen

Typs“ (ebd., S. 3), der sich durch die Fähigkeit zur theoretisch abstrakten

Modellbildung einerseits und die Fähigkeit zu empirischen Beobachtungen der

Anlage andererseits auszeichnet. Der Gewährleistungsarbeiter bringt also

theoretisches Basiswissen und Erfahrungswissen zusammen. Neue Büroarbeit

zeichnet sich durch eine Aufspaltung in Routinearbeit und qualifizierte

Sachbearbeitung aus. Diese Trennung ist hauptsächlich auf die zunehmende

Ausbreitung und Weiterentwicklung der Computertechnik zurückzuführen. Die

„Routinearbeiter“ erleben einen Trend zur Dequalifizierung; die „PC-Arbeiter“

sind sehr stark an die Kenntnis bestimmter – durch Innovation ständig

weiterentwickelter – technischer EDV-Systeme gebunden (vgl. ebd., S. 4 f.).

Als Qualifizierungsdimension für die „Informatisierung der Arbeit“ kann

festgehalten werden: Kommunikative Kooperationskompetenz in Verbindung mit

reflexiver fachlicher Identität, Gewährleistungsarbeit und komplexerer EDV-

Bedienung.

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2.2.4 DAS KONZEPT DER „SCHLANKEN“ PRODUKTIONSWEISE: LEAN

PRODUCTION

Schmidt (1996) führt aus, dass ′lean′ zunächst einmal unmissverständlich schlank,

und das bedeutet ökonomisch und ästhetisch etwas Positives, meine (vgl. Schmidt

1996, S. 124). Teamarbeit und Entscheidungsdezentralisierung werden als

Kernstücke von lean production in der Fertigung immer wieder genannt (vgl.

ebd.). Darüber hinaus geht es um: Abbau von Hierarchie und Reduzierung von

bürokratischer Kontrolle, Abstimmung und Interessenausgleich durch

formalisierte informelle Meetings, die Pflege von Organisationskultur, die

Einführung von diversen Beratungsformen, Aufbau von multifunktionalen

Entwicklungsteams und die Forcierung des so genannten ´simultanen Entwickelns

und simultaner Erforschung´ sowie um die Institutionalisierung von Prozessen

permanenter Verbesserung („KVP“ = Kontinuierlicher Verbesserungsprozess;

„Kaizen“) (vgl. ebd.). Somit bedeutet lean production also mehr als ein

spezifisches Konzept der Arbeitsorganisation oder mehr als ein Fabrikmodell: Es

zielt auf innerorganisatorische Mechanismen und Regelungen von

Arbeitskrafteinsatz und -nutzung, auf zwischenbetriebliche Modi von Kooperation

und Distinktion ab (vgl. ebd.). Diese Aspekte, die anzeigen, dass das Konzept lean

production über den Bereich der Fertigung hinausreicht, belegt folgendes Zitat:

„Lean production läßt sich jedoch gerade nicht als ein Produktionsmodell

im engeren Sinne verstehen. Hier wird mindestens die gesamte

betriebliche Wertschöpfungskette, also Marketing und Entwurf ebenso wie

Entwicklung, Konstruktion und Produktion, Beschaffung und Absatz, zum

Rationalisierungsobjekt. (...) Lean production greift auch die bereichs- und

funktionsübergreifende Kooperation, die gesamtbetriebliche Steuerung

sowie die Beziehungen zu Kunden und Lieferanten als

Gestaltungsproblem auf.“ (Braczyk/Schienstock zit. nach Schmidt ebd., S.

126)

Schmidt ist im Weiteren der Auffassung, dass die Formel lean production einen

Charakter eines objektiven Leitbildes, einer Philosophie, eines Metaprinzips habe.

Nun ist zu fragen, inwieweit dieses Leitbild als neue Rationalisierungsstrategie in

Bezug auf neue Anforderungen an Arbeitskräfte zu interpretieren ist: Der Ansatz

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von lean production ist verknüpft mit Strategien sozialer Rationalisierung, mit der

ökonomisch verwertungsrelevanten Umsetzung des Interesses an Berechenbarkeit

und – erweiterter – Beherrschbarkeit sozialer und kultureller Merkmale von

Arbeit(skraft) (vgl. ebd., S. 131). Dies sei spezifiziert durch folgendes Zitat:

„Auf der Interaktionsebene geht es vor allem um eine qualitative

Ausweitung der Nutzung von Arbeitskraft – etwa um notwendige,

erzwungene Ausrichtung auf Kooperation und Commitment. Die

Anreizvokabeln Kontingenz, Diskontinuität und Selbstorganisation

verweisen auf die vielfältigen Anstöße zur Freilegung und Nutzung von

still-liegenden oder qua Organisation und Policy – häufig nicht intendiert –

still-gelegten Ressourcen individueller Arbeitskraft und auf ökonomisch

sensibleren – intelligenteren! – Einsatz von Kooperation und

Koordination. Determinierung von Handlungsautonomie durch

Kontrollabbau, organisierte Kooperation zwischen unterschiedlich

qualifizierten Beschäftigten, Durchsetzung individuell flexibel nutzbarer

Zeitsysteme etwa – dies können wirksame Maßnahmen im Sinne von

´leaning of production´ sein.“ (Schmidt ebd., S. 136; Herv. i. Orig.)

Deutschmann (1996) macht mit Blick auf die Konsequenzen eines vermehrten

Einsatzes von lean production als Rationalisierungskonzept auf zwei sich

verändernde Institutionen aufmerksam: auf die Institutionen ′Beruf′ und

′unternehmensinterne Karriere′. In Bezug auf ′Beruf′ konstatiert er, dass Berufe

gesellschaftlich standardisierte Fähigkeitsprofile seien, die nicht auf die

funktionale Arbeitsteilung in einer Organisation, sondern auf einen

berufsfachlichen Arbeitsmarkt zugeschnitten seien (vgl. Deutschmann 1996, S.

144). Der Autor begreift nun Statusdenken und Abteilungsegoismus nicht als

individuelle Unzulänglichkeiten, sondern argumentiert, dass jene Eigenschaften in

tätigkeitsbezogener Form sozialer Identität – eben durch den Beruf – vermittelt

würden. Soll nun im Zuge von lean-production-Prozessen die Bereitschaft zur

Kooperation und Integration in den organisationsinternen Arbeitszusammenhang

und zu permanentem Lernen gefördert werden, wird ein möglichst breites

Qualifikationsprofil aller Mitarbeiter, das das Verständnis für die Verzahnung der

Tätigkeiten bewusst werden lässt, gefordert. Wirkt man auf diese Weise der

Ausbildung individuellen Statusdenkens – gleichsam automatisch – entgegen,

kann von der Erosion der Institution „Beruf“ als identitätsstiftende

Statusmarkierung ausgegangen werden (vgl. ebd., S. 145; speziell zu ′Beruf′ auch

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Kap. 4.2.6). Nicht minder brüchig, so Deutschmann weiter, werde die

unternehmensinterne Karriere als Grundlage von Betriebsloyalität und

Arbeitsmoral. Gerade in Folge von lean production dürfte die Zahl der

Führungspositionen deutlich sinken; auch die für die soziale Integration der

Produktionsarbeiterschaft so wichtige Chance des Aufstiegs aus der Werkstatt in

die indirekten (d. h. in die nicht direkt produktionstechnischen) Bereiche und

technischen Büros dürfte erheblich eingeschränkt werden. Generalisierter

Austausch in der vertikalen Sozialdimension, überkontraktuelles Engagement als

´Investition´ in einem später zu erreichenden höheren Status dürfte deshalb als

Konsensformel in der ´verschlankten´ Produktion immer weniger zum Tragen

kommen (vgl. ebd., S. 152 f.).

Als Qualifizierungsdimension für das „lean production“-Konzept kann

festgehalten werden: Intraorganisationale Kooperation und Commitment in

Verbindung mit der Bereitschaft zu überkontraktuellem Engagement.

2.2.5 DAS KONZEPT DER „FLEXIBLEN SPEZIALISIERUNG“

Brandt (1986) führt in Bezug auf die Studie von Priore/Sabel, „Das Ende der

Massenproduktion“ (1985), aus, dass es den Autoren im Kern um die These

gegangen sei, dass sich in den entwickelten Industriegesellschaften Westeuropas

und der Vereinigten Staaten während der letzten ein oder zwei Jahrzehnte [also im

Zeitraum von Mitte der 1960-er bis Mitte der 1980-er Jahre; Anm. d. Verf.]

alternative Produktionsformen herausgebildet hätten, die der Massenproduktion

angesichts der von dieser nicht bewältigten veränderten ökonomischen

Rahmenbedingungen den Rang streitig machten und zur dominanten

Produktionsform aufrücken könnten (vgl. Brandt 1986, S. 109). Gedacht sei dabei

an alte und neue Formen der Craft Production

9

, die in Klein- und Mittelbetrieben

angesiedelt seien und aufgrund ihrer spezifischen Strukturmerkmale den

dargestellten Herausforderungen fortgeschrittener Industriegesellschaften eher zu

begegnen imstande seien als die großbetrieblichen Formen der Massenproduktion

9

Nach Auffassung Brandts nicht einfach mit „handwerklicher Produktion“ zu übersetzen, statt

dessen eher als klein- und mittelbetriebliche Formen industrieller Produktion bezeichnet.

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(vgl. ebd.). Gemeinsames Merkmal dieser Produktionsformen ist das Prinzip der

′flexiblen Spezialisierung′, das anders als die Herstellung standardisierter

Produkte mit spezialisierten Ressourcen mittels Prinzip der Massenproduktion

(angelernte Arbeiter mit spezialisierten Maschinen) auf die Produktion

spezialisierter Produkte mit nicht-spezialisierten Ressourcen (qualifizierte

Arbeitskräfte und universale, programmierbare Maschinen) angelegt ist (vgl.

Sabel zit. nach Brandt ebd.).

Was das Konzept der flexiblen Spezialisierung für die arbeitenden Subjekte

bedeuten könnte, führt Sabel selbst aus:

„Die Massenproduktion basiert also auf der zunehmenden Trennung von

Planung und Ausführung, die flexible Spezialisierung dagegen auf ihrer

Integration. Das heißt, die Massenproduktion ist ein System mit geringer

Verantwortung, bei dem die Untergebenen nur das machen sollen, was

ihnen gesagt wird, während flexible Spezialisierung eine System mit hoher

Verantwortung ist: gerade weil keine Zeit bleibt, die Konstruktion neuer

Produkte in einfache Tätigkeit zu zerlegen, müssen sich die Vorgesetzen

darauf verlassen können, daß ihre Untergebenen allgemeine Instruktionen

umsetzen und ausführen können.“ (Sabel 1986, S. 45 f.)

Auf die ausführliche Kritik Brandts an der These von Priore/Sabel zum Ende der

Massenproduktion soll hier nur insofern eingegangen werden, als der

Hauptvorwurf in der „Vernachlässigung der Kontextbedingungen der von den

Autoren registrierten Veränderungen der Produktionsstruktur ...“, mit der Folge,

„... diese Veränderungen in ihrem Stellenwert und in ihrer Bedeutung nicht

adäquat interpretiert...“ (Brandt ebd., S. 103 f.) zu haben, liegt. Brandt ist der

Auffassung, dass sich die empirischen Belege von Piore/Sabel nicht auf klein- und

mittelbetriebliche, sondern auf großbetriebliche Produktionsformen bezögen.

Selbst die klein- und mittelbetrieblichen Formen der Craft Production mit

Kleinserien- und Einzelfertigung stellten kaum eigenständige Produktionsformen

und damit ein Gegenmodell zur Massenproduktion dar, so dass gemäß diesem

Verständnis Craft Production und flexible Spezialisierung ein komplementäres

Strukturprinzip repräsentieren, das zwar eine Flexibilisierung der überkommenen

Formen der Massenproduktion bedeutet, jedoch der Kontrolle der Großbetriebe

unterliegt und die Grundstruktur der Massenproduktion nicht in Frage stellt (vgl.

ebd., S. 112 ff.).

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Als Qualifizierungsdimension für das Konzept der „flexiblen Spezialisierung“

kann festgehalten werden: Hohe Verantwortungsbereitschaft und

Integrationsfähigkeit in Bezug auf Planung und Ausführung.

2.2.6 DEZENTRALISIERUNG UND VERMARKTLICHUNG

Wenn sich Faust et al. in ihrem Aufsatz „Das neue Paradigma der reflexiven

Rationalisierung als Prozess der Reintegration von Dienstleistungsarbeit in die

herstellende Arbeit“ mit dem Dezentralisierungsphänomen auseinandersetzen,

machen sie innerhalb der Debatte um die Rationalisierungspraxis der 1990-er

Jahre einen ′Stilwechsel′ aus: Reflexivität, in früheren Phasen tayloristisch-

fordistischer Rationalisierung nicht verwirklicht – zumindest nicht beachtet –,

könne als ein wesentliches Merkmal heutiger (1990-er Jahre) Rationalisierung

identifiziert werden (vgl. Faust et al. 1995, S. 200). Anschlussfähig – an

′wissenschaftliche Betriebsführung′, ′Massenproduktion′ oder ′tayloristische

Rationalisierung′ – wird das Dezentralisierungsparadigma als neuer Trend, wenn

man es in das in Kap. 2.2.3 beschriebene Konzept der ′systemischen

Rationalisierung′ hineindenkt: die ihrerseits nicht nur die Formen der

Produktionsarbeit verändert, sondern organisatorisch verfestigte Formen der

Abtrennung indirekter, ′dienstleistender′ Arbeit sowie eine ausdifferenzierte

funktionale und hierarchische Gliederung der industriellen Organisationen und

darauf aufbauende und positionale Selbstverständnisse wie auch spezifische

Berufs- bzw. Karriereverläufe herausbildet (vgl. ebd.). Seit den ′neuen

Produktionskonzepten′ von Kern/Schumann (vgl. Kap. 2.2.2) allerdings, so fassen

die Autoren zusammen, könne von Folgendem ausgegangen werden: Der

„Technikdeterminismus“ der älteren Industriesoziologie, der von einer nicht

weiter reflektierten Prämisse der Identität betrieblichen

Rationalisierungshandelns mit den objektiven „Sachgesetzen“ des technisch-

wissenschaftlichen Fortschritts ausgegangen ist, sei passé. Anstelle technischer

Verwertungslogiken, die Maßnahmen technisch-ökonomischer

Effizienzsteigerung unmittelbar bestimmten, seien „Konzepte“ und

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„Paradigmen“ getreten, die in jedem Fall entscheidungs- und akteursbezogene

Strukturierungen kennzeichneten (vgl. ebd., S. 10).

Folgendes Grundmerkmal kann in Bezug auf Dezentralisierung festgehalten

werden: Eine Reintegration von Herstellungs- und industrieller

Dienstleistungsarbeit wird angestrebt – diese Reorganisation kann in

verschiedenen Formen erfolgen: Einmal vornehmlich in Form der Reintegration

unmittelbar in herstellende Arbeitstätigkeiten (arbeitsorganisatorische

Reintegration im engeren Sinn) und zum anderen vornehmlich in Form der

Reintegration in dezentrale Produktionseinheiten (betriebsorganisatorische Form).

Auch kombinierte Formen (Qualitätszirkel, Kontinuierlicher

Verbesserungsprozess, Projektorganisation) sind möglich (vgl. ebd., S. 201).

Beide Entwicklungen können in Reorganisationsprojekte einmünden, bei denen

die größere funktionale Gliederung der Organisation aufgehoben oder

durchlässiger gemacht wird und insbesondere die funktionale Ausgliederung

spezialisierter, zentraler Stäbe auf Fabrikebene oder auf Unternehmensebene

teilweise zurückgenommen wird. Wird ein Betriebsteil oder eine Funktion

ausgelagert – in Verbindung mit dem Rückkauf der vormals dort erstellten

Leistungen –, spricht man von ′Outsourcing′ (vgl. Abendroth et al. 2002, S. 98.).

Faust et al. geben einen Ausblick über die Wirkungen, die ein Strukturwandel in

Richtung ′Dezentralisierung′ mit sich bringen würde:

• Die Reduzierung von Hierarchieebenen führt zu einer Verringerung

von Aufstiegspositionen in der ′Linie′, was unter ansonsten

unveränderten Bedingungen (Leitungsspanne) einen verringerten

Bedarf an Führungskräften zur Folge hat.

• Der Abbau von Arbeitsplätzen und Führungspositionen in den

indirekten, produktionsnahen Bereichen und auch in zentralen

Stabsbereichen ist zu erwarten.

• Führungskräfte in der Linie und auf den mittleren und unteren Ebenen

werden mit deutlichen Veränderungen der Anforderungen konfrontiert,

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z. B. entstehen Typisierungen wie „Moderator der Selbstorganisation“

oder „Intrapreneur“.

• Ein Neuzuschnitt von Vorgesetztenrollen kann zu einem

Verdrängungswettbewerb führen: traditionelle Führungskräfte aus der

Produktion („Aufsteiger“, Meister) geraten im Vergleich zu jüngeren

Führungskräften ins Hintertreffen, da den Älteren Eigenschaften, wie

Flexibilität, Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit, abgesprochen

werden.

• Die produktionsnahen Bereiche und auch die zentralen Stäbe erfahren

einen veränderten Aufgabenzuschnitt: Führungskräften in diesen

Bereichen kommt die zentrale Experten-, Planungs- und

Kontrollfunktion zu; sie werden zunehmend auf die Rolle von

„Dienstleistern“ für die Produktion bzw. für den gesamten

Leistungserstellungsprozess verwiesen.

• Aus den organisatorischen Veränderungen erwächst eine Krise

traditioneller Karriere- und Aufstiegswege. Einerseits werden generell

an Führungskräfte erhöhte Anforderungen nach beruflicher

Einsatzflexibilität gestellt, andererseits werden technische

Fachqualifikationen in neuer Weise mit betriebswirtschaftlichen,

„quasi-unternehmerischen“ Funktionen verkoppelt. Schließlich

gewinnen auch sozial-kommunikative Fähigkeiten an Bedeutung.

Traditionelle Aufstiegswege von Facharbeitern aus der Produktion in

die technischen Büros und auf untere und mittlere Führungspositionen

werden verbaut oder doch zumindest durch die zugleich ansteigende

Konkurrenz mit akademisch gebildeten Arbeitskräften deutlich in ihrer

Bedeutung zurückgenommen (vgl. ebd., S. 202 f.).

Zusammenfassend bewerten die Autoren den bereits oben genannten Begriff der

„reflexiven Rationalisierung“ insofern als hilfreich, als er auf den Umstand

aufmerksam mache, dass vorgängige Macht- und Interessenstrukturen „um- und

rückgebaut“ sowie kognitive und normative Konzepte, die instrumentell verankert

seien und in individuellen Biographien angeeignet worden seien, – z. B. mit Hilfe

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von Konzepten wie „organisationales Lernen“ – neu bewertet werden müssten

(vgl. ebd., S. 204).

Sauer und Döhl (1997) sehen in Bezug auf die Auswirkungen von

Dezentralisierungsmaßnahmen einen direktem Zusammenhang mit einem anderen

– sich im Grunde parallel entwickelnden – Phänomen: der Vermarktlichung.10

Dieser Begriff meint ein Koordinations- und Steuerungsprinzip durch den

Markt: die Öffnung der Unternehmen zum Markt, marktliche Sanktion anstelle

hierarchischer Kontrolle (marktorientierte Anreizsysteme), faktische oder fiktive

Konkurrenz von Unternehmenseinheiten (Cost-, Profit-Center) (vgl. Sauer/Döhl

1997, S. 22). In Bezug auf die marktbezogenen Maßstäbe der

Leistungsbeurteilung wird ausgeführt, dass diese die Möglichkeit eröffnen,

Verhalten und Strukturen auf Effizienz überprüfbar und hinsichtlich ihres

konkreten Beitrags zum Unternehmenserfolg (Rendite) bewertbar zu machen. Bei

den Beschäftigten soll das Bewusstsein durch unmittelbare Konfrontation mit den

marktlichen Alternativen (Konkurrenten) dafür geschärft werden, dass durch

mangelnde Effizienz der Bestand des Unternehmens und der Arbeitsplätze

gefährdet ist. In diesem Sinne bedeuten „Selbstorganisation“ und

„Eigenverantwortung“ die Ablösung der auf Macht und Anweisungsbefugnissen

beruhenden Herrschaftsstrukturen durch einen nicht minder harten und

wirkungsvollen, sich jedoch hinter den „Sachgesetzlichkeiten“ des Marktes

versteckenden Marktdruck (vgl. ebd., S. 26). Welche Probleme bei der

Motivierung der Beschäftigten im Zuge von Vermarktlichungsstrategien entstehen

können – und in ihrer Konsequenz ebenso auch Probleme für die Beschäftigten

bedeuten – sei durch folgendes Zitat belegt:

„Daß diese Art der Einbindung der Mitarbeiter offensichtlich so einfach

nicht funktioniert, zeigt die in den Restrukturierungskonzepten so

herausgehobene Bedeutung der „Vermarktlichung“ der Beziehungen von

dezentralen Einheiten. Marktdruck und Konkurrenz als Stimulanz für

Leistung und Leistungsbereitschaft verlängern das allgemeine Gebot, die

Gesetze des Marktes bei Strafe des Untergangs (hier Auslagerung,

Verkauf oder Schließung) zu befolgen, in das Unternehmen hinein und

10

Moldaschl/Sauer (2000) kennzeichnen beide Phänomene, Dezentralisierung und

Vermarktlichung, mit dem Begriff „ökonomische Dezentralisierung“ (Moldaschl/Sauer 2000,

S. 207).

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ersetzen Motivation letztendlich durch Angst (vor Verlust des

Arbeitsplatzes). Insofern ist auch die zeitliche Koinzidenz von

Personalabbaumaßnahmen bislang unbekannten Ausmaßes und damit

verbundener Massenarbeitslosigkeit und der forcierten Durchsetzung

marktorientierter Organisationsmodelle sicher kein Zufall. Zumindest

wirkt die drohende Gefahr der Arbeitslosigkeit stark „motivierend“, sich

dem innerbetrieblichen Konkurrenzdruck auszusetzen.“ (ebd., S. 42)

So kann in Bezug auf die Vermarktlichung mit Sauer und Döhl geschlussfolgert

werden: Marktvermittelter Konkurrenzdruck setzt zwar möglicherweise die

gewünschten Leistungsreserven frei, sichert jedoch noch keineswegs, dass sie

auch im Sinne des Gesamtunternehmens eingesetzt werden (vgl. ebd.).

Als Qualifizierungsdimension für „Dezentralisierung und Vermarktlichung“ kann

festgehalten werden: Selbstorganisation in dezentralisierten reintegrierten

Herstellungs- und Dienstleistungsbereichen in Verbindung mit der Freisetzung

ungenutzter Leistungsreserven. Diese werden erzeugt durch marktvermittelten

Konkurrenzdruck.

2.2.7 VIRTUELLE ORGANISATIONEN UND (STRATEGISCHE) NETZWERKE

Müller (1998) beschreibt das virtuelle Unternehmen als einen temporären,

projektbezogenen Zusammenschluss von Unternehmen. Für die jeweiligen

Aufträge und Kundenwünsche werden speziell darauf abgestimmte Teams von

Experten zusammengestellt. Die Beziehungen lösen sich nach dem erfolgreichen

Abschluss eines Projektes auf. Laut Picot et al. sind virtuelle Unternehmen

dynamische Netzwerke, deren Verknüpfung sich flexibel und problembezogen

konfiguriert (vgl. Picot et al. 2001, S.422).

So lassen sich folgende Merkmale für die Bestimmung virtueller Unternehmen

anführen: ein klar definiertes Ziel, das Experten erfordert, die zeitliche

Begrenzung der Aufgabe (max. zwei Jahre arbeiten die Teams an einem Projekt),

die eine schnelle Vernetzung der einzelnen Unternehmen ermöglicht. Virtuelle

Unternehmen haben in der Regel keinen Namen und keine Rechtsform, aber

gegenüber dem Großkunden treten sie wie ein Unternehmen auf (vgl. ebd.).

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Dass es sich bei einem virtuellen Unternehmen nicht um ein Unternehmen

handelt, führen auch Bullinger et al. (1995) an, wenn sie ein virtuelles

Unternehmen als „temporäre horizontale und/oder vertikale standortübergreifende

Kooperationen von unterschiedlichen Unternehmen“ beschreiben, „das sich nach

außen (aus Kundensicht) hin zur Erfüllung eines Auftrages als Einheit

präsentiert“, das intern jedoch „aus einem flexiblen, projektabhängigen Verbund

von unterschiedlichen Unternehmen(-seinheiten)“ besteht (Bullinger et al. 1995,

S. 377). Als Organisationsprinzipien werden sowohl formale (Verträge) als auch

informelle (Vertrauen) herangezogen (vgl. ebd.).

Darüber hinaus weisen Bullinger et al. (ebd.) noch darauf hin, dass sich virtuelle

Unternehmen durch ein hohes Maß an Autonomie kennzeichnen lassen: aus ihrer

Sicht handelt es sich um egalitäre Austauschbeziehungen selbständiger

Partnerunternehmen – im Gegensatz zu wirtschaftlicher Abhängigkeit wie bei

einem Subunternehmen oder rechtlicher Abhängigkeit wie bei einer Filiale.

In Bezug auf die Konsequenzen der Bildung virtueller Organisationen für

Mitarbeiter und Management führen Picot et al. (ebd.) aus, dass statische

Zuständigkeitsabgrenzungen und relativ dauerhafte Zuordnungen von Kompetenz

und Verantwortung zugunsten einer dynamischen, anforderungsspezifischen

Kompetenz-Allokation aufgegeben würden (vgl. Picot et al. ebd., S. 445 f.).

Genau definierte Aufgaben vordefinierten Stellen mit exakten Stellenprofilen

zuzuordnen, fällt in virtuellen Unternehmen zunehmend schwerer, vielmehr

entstehen konkrete Kombinationen von Problemlösungskompetenzen.

Netzwerke stellen eine Organisationsform dar, in der mehr als zwei

Organisationen durch ein wiederholtes, dauerndes Austauschverhältnis

zueinander in Beziehung stehen (vgl. Abendroth et al. 2002, S. 123). Dabei

bleiben die einzelnen Organisationen selbständig und sind nicht vollständig von

einander abhängig. Es gibt viele Formen von Partnerschaften, die

Unternehmensgrenzen verwischen, m. a. W.: ′entgrenzen′: Joint Ventures,

Kooperationen, strategische Allianzen, Franchise, Forschungskonsortien,

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Outsourcing-Abkommen und zwischenbetriebliche Clans (vgl. Picot et al. ebd., S.

294). Ausgeschlossen sind dagegen reine Marktbeziehungen (Netzwerke sind

nicht so stark formalisiert wie reine Marktbeziehungen) oder isolierte, bilaterale

Abkommen. Zwei Indikatoren weisen auf den Netzwerk-Charakter von (sozialen)

Beziehungen

11

hin: Wiederholte Transaktionen bzw. Interaktionen und eine über

einen längeren Zeitraum stabile Beziehung.

Eine strategische Kooperation stellen Netzwerke gegenüber einfachen Zuliefer-

Beziehungen insofern dar, als dass sie gekennzeichnet sind durch die bewusste

Entscheidung zur Zusammenarbeit und damit durch ihren intentionalen Charakter.

Dies bedeutet, dass durch die Kooperation eine gemeinsame Wertschöpfung

erreicht werden soll:

„Die als strategisches Netzwerk bezeichnete Organisationsform verbindet

rechtlich selbständige, wirtschaftlich aber interdependente

Unternehmungen, die sich auf Teilaspekte einer Wertschöpfungskette

spezialisiert haben und gemeinschaftliche (kollektive) Strategien

verfolgen.” (Sydow 1992 [Bresser]: V)

Solche Kontraktbeziehungen können um so eher als strategische

Netzwerkbeziehung bezeichnet werden, desto langfristiger, organisierter und

strategischer sie aus der Sicht zumindest eines der beteiligten Unternehmen sind

(ebd., S. 62). Des weiteren versteht Sydow strategische Netzwerke als

„eine auf die Realisierung von Wettbewerbsvorteilen zielende,

polyzentrische, gleichwohl von einer oder mehreren Unternehmungen

strategisch geführte Organisationsform ökonomischer Aktivitäten

zwischen Markt und Hierarchie, die sich durch komplex-reziproke, eher

kooperative denn kompetitive und relativ stabile Beziehungen zwischen

rechtlich selbständigen, wirtschaftlich jedoch zumeist abhängigen

(Netzwerk-) Unternehmungen auszeichnet” (Sydow 1992: 315; Herv. i.

Orig.).

Das Management hat innerhalb strategischer Netzwerke die originäre Aufgabe, die

für derartige „symbiotische Arrangements“ (Picot et al. ebd.) erforderlichen

unternehmensinternen Infrastrukturen (technischer Art: z. B. ISDN-Telefonnetze;

institutioneller Art: z. B. Unternehmensrecht, Wettbewerbsrecht, Arbeits- und

11

Diese Indikatoren beziehen sich sowohl auf Beziehungen zwischen Individuen als auch

zwischen Betrieben.

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Eigentumsrecht; personeller Art: z. B. Hochschulwesen) so weit wie möglich

aufzubauen, den Zugang zu den erforderlichen öffentlichen Infrastrukturen

sicherzustellen sowie ständig nach neuen, möglicherweise günstigeren

Organisationsformen für die symbiotische Aufgabenerfüllung in Zusammenarbeit

mit andern Unternehmen zu suchen (vgl. Picot et al. ebd., S. 327 ff.).

Als Qualifizierungsdimension für Tätigkeiten innerhalb virtueller Organisationen

und (strategischer) Netzwerke kann festgehalten werden: Dynamische

Kompetenzprofile in Verbindung mit dem Beherrschen „symbiotischer

Arrangements“.

2.2.8 GRUPPENARBEIT

Zimolong/Windel kennzeichnen Gruppenarbeit als

„Arbeitsorganisationskonzept“, mit welchem in der Praxis primär wirtschaftliche,

in zweiter Hinsicht erst humane Ziele verfolgt würden (vgl. Zimolong/Windel

1996, S. 141). In der wissenschaftlichen Diskussion stellen teilautonome

Arbeitsgruppen (TAG) ein Konzept dar, das vornehmlich unter humanen

Aspekten wie der Erweiterung des Handlungs- und Entscheidungsspielraums, der

personellen Flexibilität, Selbstregulation, Kooperation und Kommunikation,

Qualifizierung sowie Motivation und Selbstbestimmung (soziale Ziele der

Unternehmen) als sozialverträglich und positiv bewertet wird. Unter

Leistungsgesichtspunkten sollen durch die Gruppenarbeit Mitarbeiterpotentiale

besser genutzt und durch die interne Gruppensteuerung und -kontrolle Ressourcen

in der Arbeitsgruppe effektiver ausgeschöpft werden. Durch Veränderung in der

Ablauforganisation und die Integration von Aufgaben aus angrenzenden

Bereichen lassen sich Personalkapazitäten einsparen und/oder Funktionen

umwidmen (ökonomische Ziele der Unternehmen) (vgl. ebd.). In diesem

Zusammenhang ist wichtig, dass zwischen den ökonomischen und sozialen

Zielsetzungen eine Wechselwirkung besteht: So führt die Funktions- und

Aufgabenintegration (ökonomisches Ziel) zu einer Bereicherung der Arbeit

(soziales Ziel) und zu einer möglichen Ausweitung der Kommunikations- und

Kooperationsbeziehungen. Auf der anderen Seite ermöglichen erst eine

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umfassende fachliche Weiterbildung und die Förderung außerfachlicher

Kompetenzen (soziale Zielsetzung) die Nutzung vorhandener

Mitarbeiterpotentiale (ökonomische Zielsetzung). In Bezug auf die Überprüfung

obiger Zielsetzungen der Unternehmen führen Zimolong und Windel

verschiedene empirische Ergebnisse – im Produktionsbereich – an, die sich in

drei Kategorien einteilen lassen:

a) Auswirkungen auf die Leistungen

Zusammenfassend zeigte sich, dass die Art der Einführung von

Gruppenaktivitäten, die Partizipation der von der Maßnahme Betroffenen,

die Art und Intensität von Trainingsmaßnahmen sowie die Einbindung in

die Gesamtaktivitäten der Unternehmung die größte Bedeutung für die

Effizienz der Gruppenaktivitäten hatte (vgl. ebd., S. 157).

b) Auswirkungen auf die subjektive Bewertung der Betroffenen

Angestrebte Verbesserungseffekte, wie z. B. verbesserte horizontale und

vertikale Zusammenarbeit aufgrund eines verstärkten Kooperationsbedarfs

innerhalb von Gruppenarbeit, konnten nicht erzielt werden. Die Bewertung

der Arbeit von Mitarbeitern der Gruppenarbeit-Schicht fiel sogar

schlechter aus als die derer, die die gleiche Tätigkeit in Form von

Einzelarbeit verrichteten (vgl. ebd., S. 158). In weiteren Studien wurde

deutlich, dass sich Mitarbeiter hinsichtlich ihres Handlungsspielraums

sowie hinsichtlich ihrer Arbeitszufriedenheit sehr wenig von

Einzelmitarbeitern unterschieden. Die Gruppenmitarbeiter schätzten aber

die soziale Struktur am Arbeitsplatz, die Bedeutung der Aufgabe und die

Anwendbarkeit der eigenen Qualifikationen besser ein als ihre Kollegen an

Einzelarbeitsplätzen (vgl. ebd., S. 159).

c) Auswirkung auf die Belastung und Beanspruchung

Werden Einzelarbeiten z. B. am Fließband meistens in Form kritischer

Beurteilungswerte, wie z. B. Ermüdung, Monotonie, Sättigung und Stress,

gemessen, so zeigt sich nach Einführung von teilautonomen

Arbeitsgruppen, dass die Mitarbeiter ihre Aufgaben als durchschaubarer

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und als weniger restriktiv charakterisierten, des weiteren begrüßen sie

erhöhte Denk- und Lernanforderungen, die an sie gestellt werden (vgl.

ebd., S. 160).

Im Angestellten-Bereich der groß- und mittelständischen Unternehmen verweisen

die Autoren darauf, dass die Belastungen bei Einzelarbeit nicht höher, sondern

deutlich niedriger sind als bei Arbeit in Gruppenarbeit (vgl. ebd., S. 161). Ein Teil

des deutlichen Unterschieds zwischen Einzel- und Gruppenarbeitern lasse sich

aufgrund der Erweiterung des Tätigkeitsspektrums bei Gruppenarbeit erklären.

Hierdurch steige die Notwendigkeit der Abstimmung, womit potentielle

Belastungen wie Missverständnisse und Meinungsverschiedenheiten verbunden

seien. Die Mitglieder der Gruppenarbeit erklären weiterhin, so die Autoren, dass

durch Abstimmungs- und Planungsprozesse Zeit benötigt werde, die bei der

konkreten Aufgabenbearbeitung fehle und zu Zeitnot führe (vgl. ebd.).

Als Kritik am Konzept der Gruppenarbeit führt Vormbusch (1999) aus, dass

Gruppenarbeit z. B. im Kontext von „lean production“ (vgl. Kap. 2.2.4) nicht nur

auf die Rationalisierung des individuellen Arbeitshandelns – also auf die

kostengünstigere, flexible und fertigungsnahe Steuerung des

Produktionsprozesses – ziele, sondern in einer spezifischen Weise auf die

Gestaltung betrieblicher Muster der sozialen Interaktion. Letzteres manifestiere

sich in der Erwartung an die Beschäftigten, sich kontinuierlich an Innovationen zu

beteiligen. Gegenstände betrieblichen Lernens sind zunächst einmal Produkte und

Produktionsprozesse: im Hinblick auf Design, Zuverlässigkeit, Instandhaltbarkeit,

Einfachheit der Produktion, Robustheit und Marktgängigkeit. In dieser

Perspektive richten sich die Lernanstrengungen vor allem auf einen den

Individuen äußerlichen Fertigungsprozess (vgl. Vormbusch 1999, S. 263 ff.).

Vormbusch fährt fort, dass auch das Subjekt dieses Lernprozesses selbst

zunehmend zum Objekt betrieblichen Lernens werde. Es sei nun vonnöten, nach

den inneren Widersprüchen partizipativen Managements anhand solcher

betrieblicher Lernprozesse zu fragen, die mit der Einübung einer ´statusneutralen´

Form der sozialen Interaktion am Arbeitsplatz neue Partizipationsmöglichkeiten

eröffnen und zugleich Prozesse der Exklusion und der „horizontalen“ Kontrolle

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durch die Arbeitsgruppe selbst in Gang setzen. Statusneutrale Kooperation wird

als das widersprüchliche Kennzeichen von Gruppenarbeit begriffen: Einerseits

wird Statusneutralität als Ausweis neuer Partizipationsmöglichkeiten begriffen.

Im Rahmen einer gestiegenen Gruppenautonomie und -verantwortlichkeit stellt

diese Form der „gleichen“ Teilnahme Aller am kollektiven Entscheidungsprozess

der Gruppe neuartige Emanzipationsmöglichkeiten dar. Andererseits ermöglicht

die statusneutrale Kooperation in der Gruppe gleichzeitig eine neue Qualität von

Rationalisierung (vgl. ebd.). Diese bedeutet nicht nur eine Beschleunigung

prozessbezogener Innovationsarbeit, sondern ist für die Beschäftigten durch eine

Dynamik der Exklusion und eine ausgeweitete Form gruppengestützter Kontrolle

(peer group pressure) gekennzeichnet (vgl. ebd.).

Der Autor formuliert weiter, dass die Gruppenarbeit auf der Ebene der sozialen

Interaktion eine produktivitätsorientierte Form des Zusammenhandelns darstelle,

in der der gruppengestützte Innovations- und Rationalisierungsprozess selbst

thematisch, d. h. im engeren Sinne reflexiv werde (vgl. ebd.).

Rationalisierungsergebnisse werden nicht lediglich zum Ausgangspunkt weiterer

Rationalisierungsschritte; vielmehr wird der soziale Mechanismus

„Gruppenarbeit“, mittels dessen Rationalisierungserfolge erzielt werden, selbst

zum Gegenstand betrieblicher Lernprozesse, die von der Human-Resource-

Abteilung, aber auch von den Mitarbeitern strukturiert werden. Diese soziale

Interaktion in Arbeitsgruppen ist sowohl Medium als auch Gegenstand

betrieblichen Lernens. Vormbusch folgert als Konsequenz:

„Auf der individuellen Ebene zielen die aktuellen

Rationalisierungsstrategien auf die ´ganze Person´ der Beschäftigten.

Damit wird die im Taylorismus noch funktionale Trennung zwischen der

Berufsrolle und der persönlichen Identität zunehmend in Frage gestellt,

und die Beschäftigten mit neuen, für sie selbst schwer eingrenzbaren

Anforderungen konfrontiert, die gesellschaftlich etablierte

Grenzziehungen zwischen beruflich und privat, „Arbeit und Leben“ (Voß

1994), Produktion und Reproduktion zunehmend in Frage stellen ...“

(Vormbusch ebd.)

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Als Qualifizierungsdimension für „Gruppenarbeit“ kann festgehalten werden:

Aktivierung prozessbezogener Interaktion bei gleichzeitiger statusneutraler

Kooperation.

2.2.9 INTERNATIONALISIERUNG UND GLOBALISIERUNG

Bonß (1999) greift den Aspekt auf, dass im Zuge der Debatte um die Krise der

Vollbeschäftigungsgesellschaft (vgl. Kap. 2.2.13 zum Wandel der

Beschäftigungsformen) ein neues „Zauberwort“ (S. 154) auftauche, nämlich das

der Globalisierung. Quer durch alle politischen Lager gelte die Globalisierung als

größte Herausforderung und Synonym für einen nachhaltigen Strukturwandel

(vgl. ebd.). Ganz allgemein, so folge ich Bonß weiter, bezeichnet Globalisierung

keinen Zustand, sondern einen Prozess, in dessen Verlauf irgend etwas – seien es

nun Produkte, Strategien oder Probleme – überall auf der Welt Bedeutung

verlangt (vgl. ebd.). Der Autor zitiert im Weiteren Giddens, der Globalisierung

dementsprechend als eine „Intensivierung weltweiter sozialer Beziehungen, durch

die entfernte Orte in einer solchen Weise miteinander verbunden werden, daß

Ereignisse an einem durch Vorgänge geprägt werden, die sich an einem viele

Kilometer entfernten Ort abspielen und umgekehrt“ (Giddens zit. nach Bonß ebd.,

S. 155). Bonß argumentiert weiter, dass die Dynamik von Technik und

Arbeitsteilung, also der zunehmenden Verfestigung von industriellen Produktions-

und Konsummustern, zwar keineswegs die ganze Welt erfasst habe; gleichwohl

seien diese Muster in einer noch vor wenigen Jahrzehnten kaum denkbaren Weise

internationalisiert worden (vgl. ebd., S. 159). Inwieweit sich die Erwerbsarbeit im

Zuge des Globalisierungsprozesses auf die Beschäftigungssituation der Subjekte

auswirkt, wird anhand von vier Charakteristika globalisierter

Erwerbsgesellschaften (vgl. ebd., S. 168 f.) gezeigt:

1. Eine verstärkte Unsicherheit und Offenheit der Arbeitssituation als

Resultat der globalisierungsbedingten Flexibilisierung und

Verflüssigung steht zu erwarten: Vom Einzelnen wird angesichts der

weiteren Ausdehnung von Beschäftigungsverhältnissen, die weder

zeitlich noch örtlich von Dauer sind (vgl. Kap. 2.2.13) – quer durch

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alle Branchen –, erwartet, dass er weder mit einer bestimmten Arbeit

noch mit einem bestimmten Ort allzu fest zusammenwächst, sondern

hochmobil bleibt und die Unsicherheit der eigenen Situation möglichst

positiv besetzt;

2. Eine Angleichung der Arbeitsvollzüge in unterschiedlichen Branchen

steht zu erwarten: Die konkrete Produktion geht gegenüber der

Planung und Arbeitsvorbereitung immer weiter zurück – dieselben

Computer können in den verschiedensten Branchen höchst

unterschiedliche Probleme lösen, sofern die Mitarbeiter entsprechend

geschult werden (Stichwort: ′Schlüsselqualifikationen′); so dürften

traditionelle Differenzen zwischen den Berufen verschwinden;

3. Eine Veränderung der Gestalt der Fabrik ist absehbar: Immer weniger

Unternehmen kommen mit immer weniger Beschäftigten aus, geben

immer mehr Arbeiten nach ′außen′ (Stichwort: ′Outsourcing′) oder

kaufen sich für jedes einzelne Projekt die elektronischen Dienste von –

räumlich oft weit entfernten – Fachleuten ein (Stichwort: Telearbeit,

vgl. Kap. 2.2.11);

4. Eine wachsende Individualisierung der Beschäftigung tritt ein: Eine

flexible Ausrichtung der Unternehmen am Auftragseingang hat sehr

wahrscheinlich eine Umwälzung des Unternehmensrisikos auf die

Arbeitenden in Form flexibler Beschäftigungsverhältnisse zu Folge

(vgl. ebenfalls Kap. 2.2.13).

Bonß resümiert, dass, wenn die Globalisierung als Verflüssigung und

Heterogenisierung sozialer Strukturen im Sinne Giddens verstanden werde, so

schlage sich dies im Bereich Erwerbsarbeit in nachhaltig steigenden Mobilitäts-,

Flexibilitäts- und Unsicherheitsanforderungen an die Beschäftigten nieder (vgl.

ebd., S. 169). Dazu führt Schimany (1997) näher aus, dass Globalisierung auch in

den OECD-Staaten, wo weite Teile der Erwerbsbevölkerung durch die

Auslagerung von Industrien und daraus resultierender und sich verfestigender

struktureller Arbeitslosigkeit bei gleichzeitigem Sozialabbau gesellschaftlich

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abstiegen, zunehmend zu einer Polarisierung des Arbeitsmarktes auf

internationaler wie auf nationaler Ebene führe (vgl. Schimany 1997, S. 146).

Als Qualifizierungsdimension in „internationalisierten und globalisierten“

Arbeitszusammenhängen kann festgehalten werden: verstärkte

Mobilitätsbereitschaft manifestiert in erhöhter Fähigkeit zur Nicht-Bindung an die

Arbeit.

2.2.10 INNOVATION

Baethge/Baethge-Kinsky fragen (1998), inwieweit der Wandel von Produktion

und Arbeitsorganisation seit ca. Ende der 1980-er Jahre etwas darüber aussagen

kann, was die Autoren den „Innovationsmodus“ nennen (vgl. Baethge/Baethge-

Kinsky 1998b, S. 101). Unter Innovation verstehen sie zunächst sehr allgemein

„die Gesamtheit von betrieblichen Aktivitäten, die zur Optimierung oder

Erneuerung von Produkten und Prozessen im Interesse der Verbesserung der

Absatzchancen getätigt werden: sie reichen von einfachen Rationalisierungs- oder

(Produkt-)Verbesserungsvorschlägen bis zur Einführung völlig neuer Produkte

oder Verfahren“ (ebd., S. 101 f.). Die Autoren unterscheiden im Weiteren

zwischen expliziter Innovation – diese meint seitens des Managements intendierte

Maßnahmen – und impliziter Innovation: Hier sind dagegen unentdeckte

innovationsrelevante Handlungen und Organisationsformen gemeint, die sich in

allgemeinen Verhaltensmustern und eingeschliffenen informellen

Kommunikationsweisen manifestieren (vgl. ebd.). Leitende These der Autoren ist

nun, dass wie auch immer geartete Produktionsmodelle oder -formen durch

institutionalisierte Organisations-, Kommunikations- und Verhaltensstrukturen

definiert sind. Diese Strukturen weisen über das jeweilige Produktionsmodell

hinaus und setzen Bedingungen für Veränderungen und Innovationen, z. B.

etablierten Formen der Arbeitsteilung und der Kooperation, Muster der

Personalstrukturierung und -entwicklung oder eingeschliffene Denktraditionen

von Management und Mitarbeitern (vgl. ebd.).

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Um der Frage nachzugehen, inwieweit der Wandel von Arbeitsorganisation mit

einem bestimmten Maß an Innovation einhergeht, sollen zunächst drei

wesentliche Ebenen betrieblicher Organisation vorgestellt werden:

• Das Kompetenzmodell: es gibt Auskunft darüber, welche

Beschäftigungsgruppen welche Funktionen wahrzunehmen haben und

welche Qualifikationen für die Ausübung unterschiedlicher Funktionen

im Regelfall vorausgesetzt werden.

• Das Kooperationsmodell: hier stehen die betrieblich

institutionalisierten Regeln und eingeschliffenen Gewohnheiten der

Alltagskommunikation, also die Festlegung, wer mit wem in welcher

Weise zu kooperieren hat, im Fokus der Betrachtung.

• Das Statusmodell drückt als abgestuftes System von Privilegien und

Belohnungen (Einkommen, Aufstieg) aus, welche betriebliche

Wertschätzung welche Tätigkeiten bzw. Tätigkeitsgruppen erfahren

und welche Macht welche Akteursgruppen im beruflichen Alltag

haben (vgl. ebd., S. 103).

Wiesen etwa „tayloristische Betriebsorganisationen“ oder später folgende Phasen

der „diversifizierten Qualitätsproduktion“ in Bezug auf die obigen Dimensionen

bspw. hierarchisch geprägte Kooperation und hochgradige Statusdifferenzierung

aus, so sei Merkmal neuer Formen der Arbeitsorganisation – mit den „neuen

Produktionskonzepten“ (vgl. Kap. 2.2.2) beginnend – dass sie sich grundlegend an

der Fähigkeit zur schnellen Reagibilität der Organisation auf veränderte

Marktkonstellationen und sich verändernde Kundenwünsche orientierten (vgl.

ebd., S. 127). Die neue Qualität der arbeitsorganisatorischen Konzepte liegt darin,

dass sie Produktionsarbeit als Aufgabe fortwährender Innovation definiert.

Formen querfunktionaler Kooperation werden betont (anstelle vertikaler und

horizontaler Abgrenzungen). Des weiteren wird durch diese Form der

„innovationszentrierten Produktion“ ein neues Kompetenzmodell installiert: In

diesem Modell sind alle Beschäftigten im Rahmen ihrer alltäglichen Arbeit und

auf der Grundlage ihrer spezifischen qualifikatorischen Ressourcen (Wissen,

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Erfahrung) in die betrieblichen Innovationsprozesse involviert. Aktiviert werden

neben den technischen Qualifikationen auf der Basis von kognitiv-theoretischem

(Ingenieur)-Wis-sen, den ökonomischen Qualifikationen der Kaufleute auch

das als Produktionsintelligenz bezeichnete „Amalgam von technisch-fachlichen

und sinnlich-erfahrungsbasierten Bestandteilen der (Fach-

)Arbeiterqualifikationen“ (ebd., S. 130). So sollen durch die zunehmende

Erschließung dieser subjektiven Innovationspotentiale „verborgene

Wissensschätze“ („tacit skills“) der Beschäftigten erschlossen werden (vgl. ebd.).

Dieses neue Kompetenzmodell bildet die Basis für ein ebenfalls verändertes

Kooperationsmodell: die bislang nach Machtaspekten strukturierten Über- und

Unterordnungsverhältnisse werden reduziert. An deren Stelle tritt nun im Rahmen

innovationszentrierter Produktion ein Konzept aufgabenbezogener horizontaler

Kooperationsverhältnisse. So bleibt noch, ein neues Statusmodell zu betrachten:

Die funktionale Aufweichung der traditionellen beruflichen Demarkations- und

Statuslinien erweitert für einzelne Beschäftigungsgruppen berufliche und

betriebliche Entfaltungschancen. Auf der anderen Seite schafft sie breitflächig

neue Unsicherheit. War z. B. innerhalb der diversifizierten Qualitätsproduktion

durch die exklusive Zuordnung von beruflicher Kompetenz zu Funktionen eine

gewisse Sicherheit für beruflich einschlägige Beschäftigungsgruppen gegeben, so

weichen die am Berufsprinzip orientierten Allokations-, Arbeitsorganisations- und

Karrieremuster tendenziell auf (vgl. Kap. 4.2.6). Die Zuordnung von bestimmten

Kompetenzen zu Funktionen von Positionen und Laufbahn zu Qualifikationstypen

verliert an Stabilität. Betroffen hiervon sind neben den Produktionsarbeitern auch

die bislang auf der mittleren Ebene eingesetzten Beschäftigten mit Meister- und

Technikerqualifikation (vgl. ebd., S. 134). Baethge/ Baethge-Kinsky

generalisieren die neuen Qualifikationsanforderungen an die in der Produktion

Beschäftigten insofern, als sie der Auffassung sind, dass auf der einen Seite die

generelle Erhöhung des Gewichts von Abstraktions- und Analysefähigkeit sowie

eine kontinuierlich selbständige Erweiterung der eigenen Kompetenzen im

Qualifikationsprofil stehe, auf der anderen Seite verändere sich die fachliche

Kompetenzbasis in Richtung auf Verbreiterung beruflicher Spezialkenntnisse

(vgl. ebd.).

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Als Qualifizierungsdimension für das Konzept der „Innovation“ kann festgehalten

werden: Ständiges, automatisches Involviertsein in betriebliche

Innovationsprozesse in Verbindung mit erhöhter Arbstraktions- und

Analysefähigkeit sowie ′Selbstqualifizierung′ in Breite und Tiefe.

EXKURS 2: WISSENSARBEIT

Im Rahmen der industriesoziologischen Thematisierung der Rationalisierung von

Arbeit hat die Frage nach den Wissenselementen von Arbeit immer ihren

Stellenwert gehabt (vgl. Schumm 1999, S. 153). Einige Autoren sehen sogar den

Übergang in eine neue Gesellschaftsformation: Im Prozess der sukzessiven

Restrukturierung vor allem ökonomischer Prozesse könnten Produktions- und

Dienstleistungsarbeit im bisherigen Sinne durch ganz andere Formen von

Tätigkeiten ersetzt werden, deren gemeinsamer Kern sich als Wissensarbeit

beschreiben ließe. Zudem scheint die Frage interessant, inwieweit die neue

Gesellschaftsformation als ′Wissensgesellschaft′ bezeichnet werden kann. Die

meisten Autoren, die dieser Frage nachgehen, interessieren sich für das Verhältnis

neuer IuK-Technologien zum Bedeutungswandel von Organisation, Arbeit und

Wissen (vgl. ebd., S. 154).

In diesem Zusammenhang müssen Aspekte, die die „Konstruktionsbedingungen

von Wissen“ und damit in Zusammenhang stehende Veränderungen in der

Reproduktion und der Verteilung von Wissen berücksichtigen, in den Vordergrund

gerückt werden: Gegenüber der ursprünglichen Funktion des Wissens als

Deutungs- und Orientierungswissen ist einerseits eine enorme Ausweitung des

Wissens im Sinne seiner Bedeutung als ,kultureller Ressource“ (Stehr 1994 zit.

nach Schumm ebd., S. 156) zu beobachten. Die verschiedenen Symbolsysteme

wie Sprache, Schreiben, Drucken, Datenspeicher etc., in denen Wissensinhalte

sich darstellen, sind „sozial relevante Mechanismen“ (Stehr zit. nach ebd.) – über

Wissen im Sinne wissenschaftlich generierten Wissens zu verfügen, werde immer

mehr – so folgt Schumm Stehr weiter – zur Voraussetzung für die Fähigkeit zum

sozialen Handeln. Andererseits habe Wissenschaft sich seit dem Beginn der

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Industrialisierung immer stärker zur unmittelbaren Produktivkraft entwickelt und

damit neben dem Deutungswissen eine zusätzliche Aufgabe in der Gesellschaft

übernommen. Im Zeitalter automatisierter Produktion allerdings habe sich diese

Funktion als unmittelbare Produktivkraft verändert, die Wissenschaft in ihrer

produktiven Funktion werde immer stärker von lebendiger, direkter Arbeit

unabhängig; menschliche Arbeit entwickle sich im Verlauf dieses Prozesses

immer mehr zu schöpferischer regulierender Arbeit, eben zu Wissensarbeit (vgl.

ebd.). Interessant für die Fragestellung dieser Arbeit ist Stehrs Schluss, den

Schumm zitiert: dass nämlich die neuen Realitäten der Wissensarbeit neu

gewonnene Handlungskapazitäten der Akteure, die Flexibilität, Heterogenität,

Volatilität sozialer Strukturen und Einfluss auf die Gestaltung von Strukturen

betonen, bedeuten (vgl. ebd.). Als Ursache kann ein neuer Blick auf soziale

Ungleichheiten gesehen werden: Wurden soziale Ungleichheiten – als Prozesse

gesellschaftlicher Differenzierung – innerhalb herkömmlicher Erklärungen von

der vertikalen Verteilung nach den Kriterien Einkommen, Beruf und Eigentum

bewertet, so muss konstatiert werden, dass sich soziale Ungleichheiten in der

Wissensgesellschaft weniger kohärent, eindimensional, teilweise sogar

unsichtbarer manifestieren (vgl. ebd., S. 158). Welches sind aber nun die neu

gewonnenen Handlungskapazitäten? Schumm nennt sie im Weiteren:

• Anwendungswissen: Kenntnis abstrakter technischer

Funktionszusammenhänge; der Anatomie und Geographie technischer

Einrichtungen; der Bedienungs- und Wirkungsweise von Apparaten

und Maschinen – diese Qualifikationen sind prozessgebunden und

werden durch praxisorientiertes Lernen oder Arbeitserfahrung

erworben;

• technische Intelligenz: Fähigkeiten zum kausalen, abstrahierenden und

hypothetischen Denken;

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• technische Sensibilität: Flexibilität, Perzeption,

Wahrnehmungsfähigkeit, Einfühlungsvermögen und

Anpassungsbereitschaft des Facharbeiters gegenüber technischen

Zusammenhängen (vgl. ebd., S. 162)

12

.

Wie bereits angedeutet, ist für mich die Rekursivität von Strukturen zentral. Wenn

also davon auszugehen ist, dass die Mischung aus technischer Intelligenz und

strategischem oder innovativem Wissen sich darin manifestiert, dass bei den

Facharbeitern Lösungen von Aufgaben sowohl auf der Basis vorgegebenen

„betrieblichen“ Wissens wie des eigenen, in einer längeren Ausbildung

erworbenen Erfahrungswissens übernommen werden, muss folgender Aspekt in

den Vordergrund rücken: Schumm weist darauf hin, dass seit Mitte der 1980-er

Jahre in der Industrie- und Organisationssoziologie eine Debatte um den

„Kreislauf“ des Wissens, oder zutreffender, um die „Wissensspirale“ im

Unternehmen geführt werde, in dem ein fortlaufender Prozess von

Wissensgenerierung, Objektivierung und Wissensrückkehr stattfinde. In diesem

Prozess bildet die Tätigkeit qualifizierter Arbeitskräfte einen zentralen

Bezugspunkt. Ihr Produktionswissen umfasst Lösungskompetenzen und

Anwendungswissen, die auf technische Aufgaben und in ihnen enthaltenes

objektiviertes Wissen bezogen sind, die aber gleichzeitig an das Subjekt

gebundene Momente von „tacit knowledge“ und Anpassungsverhalten erfordern,

die mit Arbeitserfahrungen erworben werden (vgl. ebd., S. 163 f.).

Schumm macht allerdings darauf aufmerksam, dass der Begriff des „Wissens“

insofern nicht geeignet sei, die beschriebenen rekursiven Prozesses zu bezeichnen,

weil dieser Begriff den Blick stärker auf Bestände von Kenntnissen, auf kognitive

Strukturen und durch sie konstituierte Handlungsfähigkeit richte und die im

Subjekt verankerten Elemente von Kommunikations- und Handlungsfähigkeit

oder sinnliche Wahrnehmungsfähigkeit vernachlässige (vgl. ebd., S. 180).

12

An dieser Stelle fällt die inhaltliche Nähe der beschriebenen neuen Anforderungen in der

„Wissensgesellschaft“ zu den später in Kap. 4.2.4 genannten Anforderungen an das

„subjektivierende Arbeitshandeln“ sicher auf, womit erneut gezeigt werden kann, dass dieselben

Inhalte unter Betonung anderer Kontexte (bzw. Überschriften) dargestellt werden können.

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Als Qualifizierungsdimension im Rahmen von „Wissensarbeit“ kann festgehalten

werden: Technische Intelligenz (Fähigkeit, abstrakt, kausal und hypothetisch

denken zu können) und technische Sensibilität (u. a. Wahrnehmungs- und

Einfühlungsvermögen) rücken neben reines Anwendungswissen.

2.2.11 TELEARBEIT

Telearbeit kann zunächst einmal als „Sammelbegriff für informations- und

kommunikationstechnisch gestützte Arbeitstätigkeit, die räumlich entfernt vom

Auftraggeber verrichtet wird“ (Büssing/Aumann 1996 zit. nach Pfeiffer 1999,

S. 40 f.; Herv. nicht i. Orig.), gelten. Andere Autoren heben hervor, dass sie eine

Art von Arbeit sei, „die Mitarbeiter außerhalb der Firmenräume, in der Wohnung,

in Nachbarschafts- oder Satellitenbüros, unter Nutzung von öffentlichen

Kommunikationsmitteln und entsprechenden technischen Geräten zur Erledigung

ihres Arbeitsvertrages verrichten“ (Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft,

Forschung und Technologie zit. nach ebd.). In Bezug auf die quantitative

Verbreitung von Telearbeitsplätzen stellt Pfeiffer fest, dass sich 1994 im Bereich

der BRD gerade einmal 150.000 Telearbeitsplätze finden ließen (vgl. ebd.). Diese

quantitative Diskrepanz im Vergleich bspw. zu den USA, so spekuliert Pfeiffer

weiter, könne mit der stärkeren Ausprägung geschützter Arbeitsverhältnisse in der

Bundesrepublik zusammenhängen. Als vorherrschende Einsatzgebiete von

Telearbeit können die Bereiche, in denen einfache Bürotätigkeiten und

Programmierung zu verrichten sind, gezählt werden.

Zur Frage der organisatorischen Einbindung der Telearbeit nennt Dostal (1999)

fünf Typen:

• Teleheimarbeit

Alleiniger Ort der Arbeitsverrichtung ist die Wohnung des

Telearbeiters/der Telearbeiterin.

• Alternierende Telearbeit

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Der Telearbeiter/die Telearbeiterin wechselt in der Regel zwischen

den Arbeitsorten Büro und der eigenen Wohnung, evtl. auch dritten

Orten, bspw. unterwegs.

• Arbeit in Telearbeitszentren

- Satellitenbüro

dezentrales Arbeitszentrum eines Unternehmens, ausgelagertes

Büro

- Nachbarschaftsbüro

von mehreren Unternehmen betriebenes Arbeitszentrum in

Wohnnähe der Mitarbeiter/innen

- Telehaus/Teleservicezentrum

stellen Telekommunikationsinfrastruktur für die lokale Wirtschaft

bereit und bieten eine Mischung aus Service und Telearbeitsplätzen

an

• Virtuelle Unternehmen

Zusammenschluss von telearbeitenden Einzelpersonen und/oder

Kleinstunternehmen zu einem als Einheit auftretenden Unternehmen.

• Mobile Telearbeit

- Temporärer Arbeitsplatz

Mobile Beschäftigte arbeiten häufig an einem nicht fest

eingerichteten dritten Ort, bspw. beim Kunden, im Hotel oder auf

Baustellen.

- Beweglicher Arbeitsplatz

Arbeit in der Bahn, im Flugzeug oder im Auto mit entsprechender

Telekommunikation (vgl. Dostal 1999, S. 67 ff.).

Unter den Qualifikationsanforderungen bei Telearbeitern wird zunächst die

„Telearbeitskompetenz“ genannt: im Wesentlichen umfasst sie Eigenorganisation,

Selbstmanagement und soziale Kompetenz zur effektiven Zusammenarbeit mit

virtuell organisierten Vorgesetzen und Kollegen (vgl. ebd., S. 86). Parallel dazu,

so führt Dostal weiter aus, werde die Idealfigur des Telearbeiters/der

Telearbeiterin beschrieben: Hohe Selbstmotivation und Selbstdisziplin,

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Zielorientiertheit, Unabhängigkeit von Störungen durch das Wohn- und

Familienumfeld, Verantwortungsbewusstsein, Einsicht in die eigenen Grenzen –

also nahezu alle auch in konventionellen Arbeitsstrukturen positiv bewertete

Faktoren werden auch für die Telearbeiter hoch geschätzt (vgl. ebd.). Die

Aufgaben von Telearbeitern lassen sich grob in zwei Kategorien einteilen: auf der

einen Seite gibt es Aufgaben, bei denen eine ständige Bereitschaft ohne eine

kontinuierliche Auslastung erforderlich ist (z. B. Auskunftsarbeitsplätze:

Bedienung von Hotlines oder Notrufnummern), auf der anderen Seite gibt es

Projektarbeiten, deren zeitliche Allokation weitgehend in das Belieben des

Projektbearbeiters/der Projektbearbeiterin gestellt werden kann: es geht um die

Erstellung von kompletten Produkten oder Dienstleistungen, bei denen das

Ergebnis im Vordergrund steht. Die für die Zielerreichung erforderliche

Arbeitszeit ist in diesem Fall nicht vorgegeben und wird auch im Nachhinein nicht

gemessen oder bewertet (vgl. ebd., S. 88 f.).

Als Konsequenz für die Beschäftigten zeigt Dostal vor allem die

Statusverschiebung durch Telearbeit auf: offensichtlich komme es zu einer

Konvergenz selbständiger und abhängiger Arbeit, indem die selbständige Arbeit

durch Telekommunikation stärker angebunden werde, während sich abhängige

Arbeit durch Telekommunikation weiter öffne (vgl. ebd., S. 93). Wie sich

innerhalb dieser ′Grauzone′ zwischen abhängiger und selbständiger Arbeit die

Statusverschiebungen spezifizieren – und somit eine neue Form der Organisation

von Erwerbsarbeit begründen –, sei mittels folgender Aspekte dargelegt:

• Die Aufgaben werden geschlossen auf das Ziel hin definiert und

ausgehandelt. Die einzelnen Schritte werden zwar besprochen, bleiben

aber offen. Lediglich bei eng verzahnten Arbeiten ist die

Koordinierung auch während der Projektabwicklung enger. Aus dem

Management wird eine Moderation.

• Die Verantwortlichkeiten werden klar festgelegt. Aus

Managementvorgaben werden Vertragsbestandteile. Die Partner sind

nicht mehr in einem klaren Leitungs- und Untergebenenverhältnis,

sondern weitgehend gleichberechtigt.

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• Die Leistungsbewertung erfolgt nach den Vereinbarungen inhalts- und

ergebnisbezogen und nur in Ausnahmefällen über die benötigte Zeit.

Dazu ist es aber nötig, die Vorgaben zuvor sehr genau auszuhandeln

und festzulegen (vgl. ebd., S. 94).

Als Qualifizierungsdimension für „Telearbeit“ kann festgehalten werden:

Selbstmotivation und Selbstdisziplin, Zielorientiertheit und ständige

Einsatzbereitschaft in Verbindung mit der Fähigkeit, in inhalts- und

ergebnisbezogenen Projekten zu arbeiten.

2.2.12 SHAREHOLDER-VALUE-ORIENTIERUNG

Mit der „Shareholder-Value“-Orientierung verbindet sich ein seit längerem

umstrittenes Managementkonzept, das auf die möglichst weitgehende

Realisierung der Renditeinteressen von Aktionären zielt. Damit wird deutlich,

dass die Unternehmensstrategien an ihrem voraussichtlichen ökonomischen Ertrag

ausgerichtet werden sollen, den sie für Aktienbesitzer schaffen und der im Falle

einer börsengehandelten Kapitalgesellschaft sich in Dividendenzahlungen und

Kurswertsteigerungen der Aktien niederschlägt (vgl. Hirsch-Kreinsen 1998, S.

197). Es kann davon ausgegangen werden, dass das Konzept des Shareholder

Value als Moment jener generell beobachtbaren Tendenz begriffen werden kann,

die als Vermarktlichung der Steuerungsprozesse von Unternehmen bezeichnet

werden (vgl. ebd., S. 196). Es sollen Managemententscheidungen unmittelbar an

die Bedingungen des Kapitalmarktes und die Interessen der Anleger gebunden

werden. Hirsch-Kreinsen verweist im Weiteren darauf, dass die Durchsetzung des

Shareholder- Value-Konzepts zweifelsohne erhebliche Konsequenzen vor allem

für das Unternehmensmanagement habe: Zunächst werden die bisherigen

Autonomie- und Entscheidungsspielräume des Unternehmensmanagements stark

eingeschränkt. Werden nämlich, wie oben ausgeführt, die

Managemententscheidungen stärker an die Renditekriterien des Kapitalmarktes

rückgebunden, fällt es den Managern schwerer, partikulare „strategische“ bzw.

allgemein-unternehmerische Ziele oder Visionen durchzusetzen (vgl. ebd., S.

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202). Die zweite Konsequenz für die Manager ist der Druck, dem sie seitens der

„Fond-Manager“ zunehmend ausgesetzt werden: Letztere versuchen mit

spektakulären Bestrafungsaktionen, die Manager zu entsprechenden

Kursänderungen zu bringen. „So sollen aus so genannten ´Underperformer´

endlich Wertschaffer werden.“ (Nöltig zit. nach Hirsch-Kreinsen ebd., S. 203)

Neu ist für die Manager auch, dass ihre Gehälter an die Entwicklung von

Unternehmenswert und Anlagerendite gekoppelt werden: Hierdurch soll die

Bindung der Manager an die Erfordernisse des Shareholder-Value-Konzepts

sichergestellt werden.

Was nun die Shareholder-Value-Orientierung auf der Ebene der Strukturierung

der Arbeitsorganisation und des Personaleinsatzes bedeutet, lässt sich nicht

eindeutig beantworten (vgl. ebd., S. 207). Zweifellos verbinden sich in

quantitativer Hinsicht teilweise massive Freisetzungseffekte mit der Durchsetzung

des neuen Konzepts. Hiervon betroffen seien, so führte Hirsch-Kreinsen aus – wie

eine ganze Reihe von Unternehmensfällen zeige –, nicht nur Produktionsarbeiter,

sondern auch Büroangestellte, gut bezahlte technische Angestellte und vor allem

Managementvertreter der unterschiedlichsten Hierarchieebenen, die mehrheitlich

in früheren Jahren auf einen obligatorischen Aufstieg mit teilweise beträchtlichen

Gehaltszuwächsen hätten bauen können (vgl. ebd., S. 207 f.).

Als Kritik am Shareholder-Value-Konzept formuliert Schumann (1998): „Frißt die

Shareholder-Value-Ökonomie die Modernisierung der Arbeit?“ (Schumann 1998,

S. 19) Die Antwort liefert Schumann eingebunden in eine Argumentkette, die

Anzeichen für die Rückkehr zu tayloristischen Prinzipien verdeutlicht:

Eigeninitiative, Partizipation, Verantwortlichkeit und diskursive Zielfindung

werden obsolet, Produktivitätszugewinn wird über die Wiedereinführung von

Hierarchie, Kontrolle und Exklusion gesucht (vgl. ebd., S. 30). Schumann

schlussfolgert:

„Da im Kalkül der Kurzfrist-Ökonomen Investitionen in das

Arbeitsvermögen nicht lohnen, hat bei ihnen eine Modernisierung der

Arbeit, für die die Weiterbildung der Human Ressourcen konstitutiv ist,

ihre Zukunft verspielt.“ (Schumann 1998 ebd.)

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Als Qualifizierungsdimension für die „Shareholder-Value-Orientierung“ kann

festgehalten werden: Aushalten erneuter Hierarchisierungs-, Kontroll- und

Exklusionstendenzen in Verbindung mit absoluter Bindung an das Shareholder-

Value-Konzept.

2.2.13 WANDEL DER BESCHÄFTIGUNGSFORMEN

War bislang ein reguläres Beschäftigungsverhältnis für die überwiegende

Mehrheit der – männlichen – Erwerbstätigen als feste, tariflich geregelte

Vollzeitanstellung im erlernten Beruf definiert, so hat sich die Lage inzwischen

beträchtlich verändert: Autoren wie Willke (1999) verweisen darauf, dass heute

nur noch rund 2/3 aller Erwerbstätigen „regulär“ beschäftigt seien (vgl. Willke

ebd., S. 144). Dagegen stünden bereits 35 - 40 Prozent in nicht-regulären

Beschäftigungsverhältnissen, wie z. B. Teilzeitarbeit, befristete Anstellungen,

Projektmitarbeit, geringfügige Beschäftigung („630-DM-Jobs“), Heimarbeit,

Telearbeit, Zeitarbeit und auch Formen der „neuen Selbständigkeit“ (vgl. ebd.).

Berufsarbeit als auf Dauer angelegte, qualifizierte Erwerbsarbeit, die der

Sicherung des Lebensunterhalts dient, wird es zwar auch weiterhin geben, sie

wird jedoch zunehmend ergänzt durch andere Formen der Arbeit, die heute noch

als „atypische“ Formen der Beschäftigung bezeichnet werden, aber vermutlich

schon bald zur Normalität einer sich wandelnden Arbeitswelt gehören dürften.

Eine Abfolge unterschiedlicher Erwerbstätigkeiten dürfte immer mehr zum

„typischen“ Verlauf einer Erwerbsbiographie gehören (vgl. ebd.).

Als Gründe für diesen Wandel der Beschäftigungsformen werden oft mehrere der

in den vorangegangenen Kapiteln dargestellten Reorganisationsmaßnahmen in

den Unternehmen angegeben: Im Zuge der Durchsetzung

unternehmensübergreifender Rationalisierungsstrategien steigen die

Anforderungen an die Disponibilität der Arbeitskräfte durch diskontinuierlichen

Arbeitseinsatz und die Flexibilisierung der Arbeitszeitstrukturen deutlich an.

Innerhalb der Unternehmen wird schärfer zwischen einer zahlenmäßig geringen

Kernbelegschaft und einer größeren Randbelegschaft polarisiert.

Selektionskriterien bei der Rekrutierung der zur Kernbelegschaft gehörenden

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Arbeitskräfte sind in erster Linie vielfältige Einsetzbarkeit und ein hohes

Qualifikationsniveau. Daneben kann die zur Randbelegschaft zählende Gruppe

von Beschäftigten flexibel gehalten werden, sowohl hinsichtlich ihrer Anzahl als

auch ihres Qualifikationsniveaus, indem vermehrt ArbeitnehmerInnen mit

kurzfristigen Arbeitsverträgen und LeiharbeiterInnen beschäftigt werden. Deutlich

zeichnet sich damit ab, dass sich im Zuge der Durchsetzung

unternehmensübergreifender Rationalisierungsstrategien Organisations- und

Beschäftigungsformen etablieren, die dazu führen, dass „das Verhältnis von

„innen“ – den Betriebsangehörigen – und „außen“ – den formal externen, aber

funktional integrierten Arbeitskräften – neubestimmt wird“ (Brose zit. nach

Bertram et al. 1999, S. 8). Letztendlich erfährt das Verhältnis von Kern- und

Randbelegschaft, von qualifizierten und weniger qualifizierten, flexiblen und

eingeschränkt flexiblen Arbeitskräften im Kontext dieser Strategien insgesamt

eine Neuordnung, die über die Betriebsgrenzen hinausreicht (vgl. ebd.).

Es bleibt auch festzuhalten, dass die unternehmensübergreifende

Rationalisierungslogik den Kontext erweitert, in dem Personaleinsatzpolitik

stattfindet. Der Kanon an Personaleinsatzstrategien wird um das Konzept der

Verlagerung von Arbeitskräfteproblemen auf die kooperierenden Unternehmen

vergrößert (vgl. ebd.). Die administrativen und sozialen sowie die zeitlichen und

örtlichen Bindungen der Arbeitenden an ein Unternehmen scheinen dadurch mehr

und mehr gelockert bzw. aufgelöst zu werden. Vermutlich geraten hierdurch nicht

nur die Grenzen zwischen intern und extern beschäftigten Arbeitskräften in

Bewegung. Es deutet sich vielmehr an, dass die Arbeitsorganisation immer

weniger als eindeutig identifizierbarer Ort des Arbeitens erkennbar wird; sie

verliert ihre strukturelle Stabilität und ihre ′institutionelle Fixierung′ und damit

ihren Sicherheitscharakter mit weitreichenden Konsequenzen für die unter solchen

Bedingungen beschäftigten Arbeitskräfte. ′Kontingenz′, ′Unsicherheit′ und

′Selbststeuerung′ (vgl. ebd., S. 9 sowie Kap. 2.3) sind die Stichworte, mit denen

diese Situation beschrieben werden kann.

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Im Folgendem werden die neuen Beschäftigungsformen, die sich im Zuge von

Reorganisationsmaßnahmen herausbilden, spezifiziert.13

Teilzeitbeschäftigung

Die Zahl der erwerbstätigen Menschen ist von 11,6 Prozent 1985 auf 18,7 Prozent

in 1998 gestiegen (vgl. Schmid ebd., S. 271). Diese Form der Beschäftigung gilt

schon lange als ein wesentliches Instrument zur quantitativen Flexibilisierung im

Sinne der ArbeitgeberInnen bzw. als wesentliches Element betrieblicher

Beschäftigungspolitik zur Anpassung an Schwankungen der Auslastung,

Anpassung an Leerzeiten und damit zugleich zur Kostendämpfung (vgl. ebd.).

Unter Berücksichtigung des sozialversicherungsrechtlichen Status kann

Teilzeitbeschäftigung eine ′Brücke′ zur vollwertigen Beschäftigung darstellen,

aber genauso gut auch Merkmal einer verfestigten Arbeitsmarktsegmentation sein

(vgl. ebd., S. 11). Weniger Aufstiegs- und Weiterbildungsmöglichkeiten, relativ

zur Arbeitszeit gesehen geringerer Verdienst, ein meist nicht existenzsicherndes

Einkommen, kaum qualifizierte Teilzeitarbeit, Konzentration auf einzelne

Branchen und Berufe sind Merkmale, welche letztendlich die teilzeitbeschäftigten

Arbeitskräfte als Risiko zu tragen haben. Teilzeit birgt ein hohes

Anpassungspotential hinsichtlich Dauer und Verteilung der durchschnittlich

vereinbarten Arbeitszeiten und besitzt in der betrieblichen Praxis, insbesondere in

Klein- und Mittelbetrieben, eine große Verbreitung (vgl. ebd.).

Befristete Beschäftigung

Unter ungünstigen wirtschaftlichen Bedingungen gehen die Firmen verstärkt dazu

über, Einstellungen generell nur noch befristet vorzunehmen (vgl. Willke ebd.,

S. 148). Der wichtigste arbeitsrechtliche Unterschied zwischen unbefristeten und

befristeten Arbeitsverträgen bezieht sich auf den Kündigungsschutz. So endet ein

befristetes Arbeitsverhältnis automatisch zum vorher bestimmten Zeitpunkt, d. h.

der gesetzliche Kündigungsschutz kommt nicht zum Tragen. Seit 1985 ist eine

Befristung unter bestimmten Voraussetzungen auch ′ohne sachliche Gründe′

möglich. So gelten wirtschaftliche Gründe – als typisches ArbeitgeberInnenrisiko

13

Die Darstellungs- und Argumentationsweise schließt sich stark an die von Bertram et al.

(1999) an, die die neuen Formen der Beschäftigung im Rahmen eines Antrages an die

Deutsche Forschungsgemeinschaft – m. E. sehr gelungen – herausgearbeitet hatten.

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verstanden – nunmehr als legitime Begründung zur Befristung von

Arbeitsverträgen. Befristete Beschäftigung fordert zu wiederholter Stellensuche

heraus mit allen Risiken, die damit verbunden sind (vgl. Bertram et al. ebd., S.

12).

Leiharbeit

Schmid (2000) macht darauf aufmerksam, dass das Phänomen der Leiharbeit

Zuwachsraten zwischen 20 und 25 Prozent aufweise und somit zur Erosion des

Normalarbeitsverhältnisses beitrage (vgl. Schmid ebd., S. 271 f.). Mit Leiharbeit

wird ein dreiseitiges Arbeitsverhältnis begründet, das heißt, das rechtliche

Arbeitsverhältnis deckt sich nicht mit dem faktischen Beschäftigungsverhältnis.

VerleiherInnen übernehmen also eine ArbeitgeberInnenfunktion in dem Sinne,

dass sie mit den Beschäftigten befristete oder unbefristete Arbeitsverträge

abschließen, sie aber nicht in eigenen Arbeitsstätten einsetzen, sondern an andere

Betriebe ′entsenden′ (vgl. Bertram et al. ebd., S. 13). Dabei ist die konkrete

Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen vom Arbeitsvertrag weitgehend gelöst.

Direktionsrecht wie Fürsorgepflicht des/der Arbeitgeber(s)In (VerleiherIn) sind

auf den/die ′NutzerIn′ (Entleihbetrieb) übergegangen, womit die

Arbeitsbedingungen von Dritten bestimmt werden. ArbeitgeberIn und Betrieb, in

dem der Arbeitseinsatz erfolgt, fallen also auseinander. Leiharbeit gilt dabei als

′Reinform′ überbetrieblicher Beschäftigung.

Aus betrieblicher Sicht wird mit Leiharbeit eine kurzfristige Personalanpassung

möglich. Analytisch findet hier eine Risikoverlagerung des

Transformationsproblems (vgl. Kap. 4.2.1) statt. So trägt die Leiharbeitsfirma das

Risiko für die Leistung der Arbeitskräfte, die sie verleiht. Die Beschäftigten sind

mit ständig wechselnden Arbeitsorten und -zeiten, d. h. auch mit ständig

wechselnden KollegInnen konfrontiert, wobei im betrieblichen Interaktionsgefüge

auch Interessenkollisionen auftreten können (z.B. innerbetriebliche Konkurrenz)

(vgl. Bertram et al. ebd.).

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„Neue Selbständige“, „FreiberuflerInnen“, „abhängig Selbständige“,

„Scheinselbständige“

Seit Mitte der 1980-er Jahre lässt sich ein geringer Anstieg der Selbständigkeit

ausmachen (vgl. Willke ebd., S. 149). Zugenommen haben die Selbständigen,

deren Quote sich auf über 9 Prozent erhöht hat, insbesondere im Bereich der

privaten Dienstleistungen: Zwei von drei Selbständigen erbringen

Dienstleistungen, wobei der Bereich der unternehmensorientierten

Dienstleistungen die höchsten Zuwachsraten aufweist (vgl. ebd.). Unter diesen

Selbständigen befindet sich auch jene Gruppe, die als „scheinselbständig“

bezeichnet wird. Mit Scheinselbständigen sind „Ein-Personen-Unternehmen“

gemeint, welche die wirtschaftlichen Aktivitäten allein erbringen und dies im

Regelfall für einen/eine AuftraggeberIn. Darüber hinaus ist der

Dispositionsspielraum des/der AuftragnehmerIn erheblich eingeschränkt, d. h. es

besteht eine hohe persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeit, so daß die

„Ausführung der Tätigkeiten weitgehend der Situation von Arbeitnehmern

(ähnelt)“ (Dietrich zit. nach Bertram et al. ebd., S. 16). Formal erfolgt allerdings

eine Behandlung als Selbständige. Eine entsprechende Zuordnung und empirische

Erfassung ist allerdings deshalb recht problematisch, da diese Gruppe der

Erwerbstätigen typischerweise gleichermaßen Merkmale selbständiger und

abhängiger Erwerbsarbeit vereinen.

Für die Unternehmen ist insbesondere die Auftragsvergabe an eine mit den

betrieblichen Strukturen vertraute und mit betriebsspezifischem Wissen

ausgestattete Person im Vergleich mit der Vergabe an andere (fachspezifisch)

qualifizierte Einzelpersonen verständlicherweise von besonderem Vorteil. Welche

Konsequenzen die damit verbundene Übernahme der bisherigen Arbeitge-

14

In diesem Zusammenhang muss auf die wissenschaftliche Herausbildung von zwei

′idealtypischen Motivationsträgern′ der ′typischen Selbständigen′ hingewiesen werden: auf

diejenigen, die sich aus einer ′Ökonomie der Not′ selbständig machen und auf solche, die

dies aus einer ′Ökonomie des Wohlstands′ heraus tun, für die auch immaterielle Motive im

Vordergrund stehen können. Diese strikte Trennung wird durch eine ′neue Qualität der

neuen Selbständigkeit′ in Frage gestellt, da der Trend zur Existenzverunsicherung auch

solche Selbständigen trifft, die einen überdurchschnittlichen Fundus von Wissen und

Sozialkontakten haben (vgl. ebd., S. 17).

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berrisiken durch die/den Ein-Personen-Selbständige/n für diese/n hat, ist nicht so

einfach zu bewerten. Wenn es sich ′schlicht′ um die ausschließliche

Risikoverlagerung der ArbeitgeberIn auf die/den ehemalige/n MitarbeiterIn

handelt, so scheint eine Beurteilung aus einer arbeitnehmenden Perspektive klar

auf der Hand zu liegen – die nun fehlende soziale Absicherung ohne die Vorteile

des Unternehmertums/der Selbständigkeit kennzeichnen eine eindeutige

Verschlechterung für die/den ehemalige/n MitarbeiterIn. Entspricht die ′neue

Selbständigkeit′ allerdings den Bedürfnissen dieser Auftragnehmenden z. B. nach

Selbstverwirklichung bzw. persönlicher Unabhängigkeit und nach höherem

Einkommen, besteht gleichzeitig tatsächlich keine einseitige Abhängigkeit (z. B.

bei gleichzeitigen vertraglichen Kontakten auch zu anderen Unternehmen), so

kann dieses neue Verhältnis auch als ein gelungenes Arrangement betrachtet

werden. Relevant sind also die Fragen, inwiefern der Schritt in die Selbständigkeit

aus freien Stücken oder mangels Alternative erfolgt und wie die tatsächliche

Ausgestaltung der Verträge aussieht.

14

Betriebliche Restrukturierungsmaßnahmen, die auf verflachte Hierarchien

abzielen, führen zu einer Dynamik, die für diese Thematik von Bedeutung ist.

Schließlich liefert die Reprofessionalisierung eines Teils der unmittelbaren

Produktionsarbeit nicht die früher mit Qualifizierung verbundenen

Aufstiegschancen (z. B. Facharbeiter), da die entsprechenden Positionen in genau

diesem Prozess weggefallen sind. So ist einerseits eine zunehmende ′Ver-

Selbständigung′ bei den Produktionsarbeitern zu erwarten. Ähnliches gilt für das

mittlere Management: auch hier ist eine zunehmende Ver-Selbständigung zu

erwarten, da sie in verflachten Hierarchien keine Aufstiegschancen mehr sehen

und statt dessen nun in diesen enthierarchisierten Unternehmungen auf einer

Ebene mit ihren ehemals Geführten kooperativ arbeiten sollen (vgl. ebd.).

Als Qualifizierungsdimension für die gewandelten Beschäftigungsformen kann

festgehalten werden: Bereitschaft zur Diskontinuität und Flexibilität,

Anpassungsfähigkeit und Risikobereitschaft in Verbindung mit ′Ver-

Selbständigungs′-Fähigkeit.

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Im folgenden Kapitel sollen noch einmal die Merkmale veränderter

Arbeitsanforderungen zusammengefasst und generalisiert dargestellt werden.

2.3 MERKMALE VERÄNDERTER

ARBEITSANFORDERUNGEN AN DIE BESCHÄFTIGTEN

Bei allen Unterschieden der oben genannten Konzepte und Modelle, die neue

Formen der Organisation von Erwerbsarbeit kennzeichnen, lässt sich ein

durchziehendes gemeinsames Moment des Wandels der Arbeit, dass die bislang

weithin leitende, i. w .S. tayloristische, Logik der betrieblichen Organisation und

Rationalisierung zunehmend an strukturelle Grenzen stößt, konstatieren: Eine

weiter zunehmende horizontale und vertikale Differenzierung und formale

Regulierung der Nutzung von Arbeitskraft verspricht angesichts neuer

Marktanforderungen kaum mehr Effizienzgewinne. Im Gegenzug wird in immer

mehr Bereichen versucht, bisherige Strukturen und Organisationsprinzipien von

Arbeit und Betrieb mehr oder weniger tiefgehend und dauerhaft in fast allen

Dimensionen (zeitlich, räumlich, fachlich, sozial usw.) aufzubrechen, um neue

Dynamiken freizusetzen (vgl. Voß 2001, S. 289). Die Gründe für diese

Entwicklung werden kontrovers diskutiert, genauso wie ihre gesellschaftlichen

Ausmaße und Folgen. Als Merkmale veränderter Arbeitsanforderungen an die

Beschäftigten können festgehalten werden:

• Zum einen ist mit den „Neuen Produktionskonzepten“ ein neuer Typ

von Produktionsarbeit propagiert worden, der sich – in Abkehr vom

Taylorismus – durch breite Funktions- und Aufgabenintegration,

Lockerung der starren Arbeitsteilung und einer von Kern/Schumann

postulierten Reprofessionalisierung der Arbeitskraft auszeichnete (vgl.

Kap. 2.2.2). Aus heutiger Sicht ist die Kritik vor allem darauf zu

richten, inwieweit nicht auch die so genannten

„Rationalisierungsgewinner“ gefährdet seien aufgrund der Tatsache,

dass die Umstrukturierung der Arbeit mit Leistungsverdichtung

verbunden ist (vgl. Jäger 1989, S. 125). Der wirtschaftliche Zugewinn

der Neuen Produktionskonzepte für die Aktivierung brachliegender

Leistungspotentiale sei in den Unternehmen verlässlich nachweisbar

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gewesen (Springer 1996 zit. nach Schumann/Gerst 1997, S. 159).

• Systemische Rationalisierung bedeutet für die Beschäftigten eine

Verlagerung von horizontaler zu vertikaler Arbeitsteilung. Die

Dequalifizierungsthese erscheint nur für Teilgruppen mittlerer

Führungskräfte im Angestellten-Bereich zuzutreffen (vgl.

Baethge/Oberbeck 1986, S. 34). Die Kerngruppe der kaufmännischen

Angestellten müssen aufgrund der Weiterentwicklung von EDV in

systemischen Zusammenhängen mit „mehr Vorgängen in der gleichen

Zeit“ (vgl. ebd.) rechnen. Vormals heterogene Aufgaben werden nun

von einem Sachbearbeiter (gebündelt) erledigt. Die „Dialektik

systemischer Kontrolle“ könnte bedeuten, dass die

Machtunterworfenen ihrerseits eine gewisse Macht über die Mächtigen

ausüben (vgl. Ortmann 1999, S. 113).

• Teamarbeit und Entscheidungsdezentralisierung bilden die Kernstücke

von lean production. Außerdem werden Hierarchien flacher und

bürokratische Kontrollen abgebaut, Prozesse permanenter

Verbesserung (KVP) werden institutionalisiert. Geleitet durch das

Interesse der Unternehmen, erweiterte Berechenbarkeit und

Beherrschbarkeit in Bezug auf die Nutzung sozialer und kultureller

Merkmale von Arbeitskraft zu erlangen, wird das lean-production-

Konzept angestrebt (vgl. Schmidt 1996, S. 131).

• Die Arbeitsorganisation wird im Zuge dessen zunehmend offener,

stärker prozessorientiert und insbesondere immer mehr auf

kontinuierlichen Wandel hin reguliert. Betriebliche Steuerung wird

dabei jedoch nicht grundsätzlich zurückgenommen, sondern die bisher

vorherrschende direkte und detailgenaue betriebliche Strukturierung

von Arbeit auf eine eher indirekte (und dabei meist wesentlich

gezielter eingesetzte) Rahmen- oder Kontextsteuerung (z. B. durch

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EDV-basierte Controlling- und Produktionsplanungssysteme)

umgestellt, um dann im Vollzug von Arbeit eine größere Offenheit zu

ermöglichen (Heidenreich/Töpsch 1998). Ziel dessen ist zwar auch

eine Verringerung von Kosten durch Abbau von bürokratische

Steuerungsformen, vor allem aber geht es um die Maximierung von

Flexibilität im Prozess („flexible Spezialisierung“), bei gleichzeitiger

Minimierung der sich dadurch ergebenden Kontrolldefizite (vgl.

Voß/Pongratz 1998, S. 137).

• Der Prozess wird zunehmend als tiefgreifende und gesellschaftlich

folgenreiche strukturelle „Entgrenzung“ der bisherigen Arbeits- und

Betriebsverhältnisse beschrieben. Damit wird sowohl auf die

Ausdünnung von Arbeits- und Betriebsstrukturen, als auch auf das

zunehmende Verschwimmen von bisher charakteristischen

strukturellen Grenzziehungen (z. B. zwischen Hierarchieebenen und

Abteilungen, zwischen Betrieben und ihrer Umwelt, zwischen

betrieblichen Funktionsbereichen und Qualifikationsgruppen, zwischen

abhängigen und selbständigen Berufstätigen, zwischen „Arbeit“ und

„Leben“ usw.) hingewiesen (vg. ebd.).

• Für betroffene Arbeitskräfte hat dies, wie zunehmend thematisiert

wird, hoch ambivalente Folgen. Einerseits entstehen für sie aus der

Entgrenzung von Strukturvorgaben oft erheblich erweiterte

Gestaltungsfreiräume, so dass man durchaus von einer zunehmenden

„Autonomisierung“ (oder auch „Subjektivierung“) von Arbeit

sprechen kann (vgl. Kleemann/Matuschek/Voß 1999). Zugleich

bedeutet dies aber, dass die Arbeitenden die Ausdünnung von

Strukturvorgaben nicht nur kompensieren, sondern nun ihre Tätigkeit

immer häufiger aktiv „selbstorganisiert“ regulieren müssen. Doch

selbst ein derartiger Modus bleibt jedoch systematisch

„fremdorganisiert“ (Pongratz/Voß 1997), bedeutet keine wirkliche

Autonomie des Arbeitshandelns und hat nicht zuletzt die Funktion,

wesentlich umfassender als bisher, betrieblich auf Potentiale und

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Leistungen der Arbeitskräfte zuzugreifen.

• Die stärkere Einbeziehung der Mitarbeiter beruht auf der Eröffnung

dezentraler Handlungs- und Entscheidungsspielräume. Von der

„Organisationsspitze“ werden nicht mehr konkrete

Handlungsanweisungen formuliert, sondern allgemeine Ziele

(monetärer Art: Profit Center bzw. bezogen auf Produktions- und

Innovationsziele: Zielvereinbarungen) formuliert. Werden bspw.

Zielvereinbarungen getroffen, bedeutet dies, dass die allgemeinen Ziele

und Rahmenbedingungen vorgegeben werden. Wie jedoch diese Ziele

zu erreichen sind, wird zwischen Management und Beschäftigten

ausgehandelt (vgl. Heidenreich/Töpsch ebd., S. 17). Das Management

beschränkt sich in so genannten „lernenden Organisationen“ auf die

Definition der allgemeinen Zielvorgaben und auf die Moderation und

Koordinierung von Gruppenprozessen. Diese neuen Management- und

Steuerungsprinzipien konkretisieren sich in einer Vielzahl von

Organisationsformen: Qualitätszirkel, Gruppenarbeit, KVP-Gruppen

und Projektgruppen (vgl. ebd.). Die produktionsnahen Bereiche und

auch die zentralen Stäbe erfahren innerhalb von

Dezentralisierungsprozessen einen veränderten Aufgabenzuschnitt:

Führungskräfte erhalten vermehrt Experten-, Planungs- und

Kontrollfunktion. Marktdruck und Konkurrenz werden als Stimulanz

für Leistung und Leistungsbereitschaft im Zuge so genannter

„Vermarktlichungs-“Strategien in den Unternehmen für jeden

Mitarbeiter von zentraler Bedeutung.

• An die Stelle der industriellen maschinen- und

organisationsgebundenen Zeitgestaltung rückt ein prozess- und

bedürfnisbezogenes Zeitregime, welches den kommunikativen

Charakter von Dienstleistungsarbeit verdeutlicht: Konnte der Maurer

noch seine Kelle Schlag 17.00 Uhr fallen lassen, das Fließband bei

definiertem Schichtende zum Stehen gebracht werden, müssen die

Altenpflegerin, die den Patienten betreut oder der Arzt, der einen

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Kranken versorgt, ihre Zeitorganisation bis zu einem gewissen Grad

am Bedürfnis und Prozess orientieren (vgl. Baethge 2001, S. 35).

• Diese neuen Organisationsformen bedeuten nicht den Verzicht auf

hierarchische Koordinierungsformen. Vielmehr werden vertikale

Anweisungs- und Kontrollbeziehungen durch horizontale und

„diagonale“ Aushandlungs- und Abstimmungsbeziehungen (z. B.

innerhalb von Projektarbeit) ergänzt (vgl. ebd.).

• Nicht unerwähnt bleiben darf aber auch, dass Springer (1998) einen

partiellen „Roll back“, also eine Rückkehr zum Taylorismus, seit Mitte

der 1990-er Jahre – angestoßen durch weltweite Tendenzen in der

Automobilindustrie, die eine Reaktion darauf seien, dass sich die

Neuen Produktionskonzepte neben anderen Rationalisierungsstrategien

unter den verschärften Wettbewerbsbedingungen nicht bewährt hätten

– bei den deutschen Unternehmen angekommen sieht (vgl. Springer

1998, S. 159). Die Maßnahmen innerhalb dieses Roll-backs zielen

nicht nur auf höhere Leistung, sondern häufig zunächst einmal auf eine

Begrenzung der Kosten der Partizipation, also der Gesprächszeiten für

Mitarbeiter, des Qualifikationsaufwandes für erweiterte

Arbeitsaufgaben, der höheren Löhne für integrierte Tätigkeiten (vgl.

ebd.).

• Innerhalb von so genannten virtuellen Organisationen, die oft auch

strategische Netzwerke darstellen, weichen statische

Zuständigkeitsabgrenzungen und relativ dauerhafte Zuordnungen von

Kompetenz und Verantwortung zugunsten einer dynamischen,

anforderungsspezifischen Kompetenz-Allokation (vgl. Picot et al.

2001, S. 445 f.).

• Gruppenarbeit erweist sich sowohl im Produktions- als auch im

Angestellten-Bereich nicht unbedingt als effizienter als Einzelarbeit;

Statusneutrale Kooperation wird zum widersprüchlichen Kennzeichen

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von Gruppenarbeit (vgl. Vormbusch 1999). Ein neuer

„Innovationsmodus“ setzt sich durch: alle Beschäftigten sind im

Rahmen ihrer alltäglichen Arbeit und auf der Grundlage ihrer

spezifischen qualifikatorischen Ressourcen (Wissen, Erfahrung) in die

betrieblichen Innovationsprozesse involviert (vgl. Baethge/Baethge-

Kinsky 1998b, S. 130).

• Autonomie- und Entscheidungsspielräume werden im Zuge der

„Shareholder-Value“-Orientierung vor allem für das Management

insofern stark eingeschränkt, als dass ihre unternehmerischen

Entscheidungen zunehmend an die Renditekriterien des Kapitalmarktes

rückgebunden werden. Damit werden Partizipation und Eigeninitiative

zugunsten von Wiedereinführung von Hierarchie und Kontrolle

zurückgedrängt (vgl. Schumann 1998, S. 30).

• Im Zuge der Durchsetzung unternehmensübergreifender

Rationalisierungsstrategien werden Organisations- und

Beschäftigungsformen (Teilzeitarbeit, Leih- und Zeitarbeit, Neue

Selbständigkeit etc.; vgl. Kap. 2.2.13) etabliert, die dazu führen, dass

das Verhältnis von „innen“ – den Betriebsangehörigen – und „außen“

– den formal externen, aber funktional integrierten Arbeitskräften –

neu bestimmt wird.

Generalisierend formuliert Voß, dass die meisten Entwicklungen innerhalb des

Wandels arbeitsorganisatorischer Bedingungen gesellschaftlicher Arbeit im

wesentlichen pauschal als „Flexibilisierung“ umschrieben werden können:

Gleichgültig, ob es um Deregulierung von Arbeits- und Beschäftigungsformen auf

gesellschaftlicher Ebene gehe, um Outsourcing-Strategien, Profit-Center-

Konzepte und Hierarchieausdünnungen auf betrieblicher Ebene oder um die

Nutzung von Gruppenkonzepten, Projektarbeitsformen und entstandardisierten

Arbeitszeiten auf der shop-floor-Ebene, Ziel sei es immer, etablierte Strukturen

aufzubrechen und mehr oder weniger dauerhaft zu dynamisieren und zu

verflüssigen (vgl. Voß 1998, S. 473 f.). Voß schlussfolgert weiter, nähmen diese

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neuen Formen entgrenzter Arbeit zu, könnte dies langfristig eine Veränderung der

basalen Verfassung von Arbeitskraft in unserer Gesellschaft haben: Der bei uns in

den letzen Jahrzehnten als Grundform von Arbeitskraft vorherrschende

„berufliche Arbeitnehmer“ würde dabei durch einen neuartigen Typus ergänzt

oder sogar abgelöst werden, den man aufgrund seiner Eigenschaften

(Selbstorganisation, Selbstkontrolle, Selbstökonomisierung) als „Arbeitskraft-

Unternehmer“ – also als Unternehmer seiner eigenen Arbeitskraft – bezeichnen

kann, was ohne Zweifel eine neue Qualität der Ausrichtung des alltäglichen

Lebenshintergrundes an die Erfordernisse der Erwerbssphäre bedeute (vgl. ebd.,

S. 477 f.).

An dieser Stelle sollen zusammengefasst noch einmal die

Qualifikationsdimensionen der in den vorangegangenen Kapiteln dargestellten

Konzepte aufgezeigt werden, um sie dann einer Kategorisierung bzw.

Systematisierung zu unterziehen. Diese Dimensionen sollen als Grundlage dienen,

Elemente von Subjektivität bzw. Subjektstrukturen (vgl. Kap. 3.1 und 3.4) zu

entwickeln:

• ganzheitliche Einsatzbereitschaft

• verdichtete Aktualisierungsfähigkeit in Bezug auf Fachwissen

• kommunikative – vor allem vermehrt intraorganisationale –

Kooperationskompetenz, aber auch zur überbetrieblichen

Arbeitsteilung

• reflexiv-fachliche Identität

• Commitment

• erhöhte Verantwortungsbereitschaft

• Fähigkeiten zur Moderation und Selbstorganisation

• Inkorporierung von Marktmechanismen zwecks Ausschöpfung aller

Leistungsreserven

• Beherrschung ′symbiotischer Arrangements′

• Fähigkeit zu prozessbezogener Integration bei gleichzeitiger

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statusneutraler Kooperation

• Verstärkte Mobilitätsbereitschaft

• Zunehmende Nicht-Bindung an vorgefertigte oder situative

Arbeitszuschnitte

• Permanente Innovationsbereitschaft

• Abstraktions- und Analysefähigkeit

• Selbstqualifizierungsbereitschaft

• Einbringung technischer Intelligenz und technischer Sensibilität

• Selbstmotivation und Selbstdisziplin, Zielorientiertheit und ständige

Einsatzbereitschaft

• inhalts- und ergebnisbezogene Projektarbeits-Fähigkeit

• Aushalten erneuter Hierarchisierungs-, Kontroll- und

Exklusionstendenzen

• Bereitschaft zur Diskontinuität und Flexibilität, Anpassungsfähigkeit

und Risikobereitschaft in Verbindung mit ′Ver-Selbständigungs′-

Fähigkeit.

Türk (1981) gelingt es m. E., den „Zusammenhang von Arbeitskontext und

Anforderungen“ (Türk 1981, S. 99) – auf meine Fragestellung gewendet: den

Zusammenhang von neuen Formen der Organisation von Erwerbsarbeit und den

veränderten Anforderungsprofilen der Beschäftigten – zu systematisieren bzw. zu

kategorisieren: Türks auf Brandenburg/Hetzler/Schienenstock zurückgehende

Bildung von Dimensionen „normativer Anforderungen“

15

unterscheidet vier

grundsätzliche Klassifizierungen (vgl. hierzu ebd., S. 99 ff.)

16

:

(1) Normen bezüglich des Leistungsverhaltens

Die hierunter fallenden Normen lassen sich anhand des Kriteriums

„Ausmaß an Eigenleistungen“ in aufsteigender Reihenfolge darstellen:

15

′Normativ′ soll in diesem Zusammenhang im Sinne „ ... für das Funktionieren und die

Effektivität von Organisationen erforderlich[er] individueller Verhaltensweisen ...“ (Türk

1981, S. 97) gemeint sein. Zur Unterscheidung von offiziellen und tatsächlichen

Arbeitsanforderungen vgl. auch Kap. 4.2.4.

16

Türk bemerkt zu dieser Aufstellung selbst, dass sie sowohl recht ′grob′ gehalten, als auch bei

weitem nicht vollständig sei.

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- Vollzugsnormen

Die geforderten Leistungen werden weitestgehend durch die

Organisation des Arbeitsprozesses determiniert. Der Beschäftigte

kann im Prinzip nur noch ′ja sagen′. Solche Normen haben eine

rigide Wenn-dann-Form.

- Steuerungsnormen

Hiermit sind Leistungsnormen gemeint, die sich auf die

Steuerbarkeit und Schaltbarkeit von Apparaten und Maschinen

beziehen. Diese Normen enthalten für die Beschäftigten einen

gewissen dispositiven Spielraum.

- Qualitätsnormen

Die Vorstellung eines Produktes oder einer Aufgabenbewältigung

dient als Maßstab, wichtig ist, dass das Ziel so rationell wie

möglich erreicht wird, bzgl. der Mittel besteht relative

Handlungsfreiheit.

- Gestaltungsnormen

Hier ist die Eigenleistung am größten: es gibt kein vorgefertigtes

Konzept über das Arbeitsergebnis, sondern nur ein mehr oder

weniger definiertes Problem (typisch z. B. Forschungs- und

Entwicklungsaufgaben).

(2) Normen bezüglich der Fügsamkeit

Hier können zwei Arten unterschieden werden:

- Regulative Verfahrensnormen

Z. B. Pünktlichkeit, Achtung des fremden Eigentums in

Organisationen, Wahrung des Betriebsfriedens, kein Krankfeiern,

aufsichtsfreie Erledigung von Aufträgen etc.

- Soziale Verkehrsnormen

Fähigkeit zum Ein- und Unterordnen, widerspruchslosem

Akzeptieren, aber auch Hilfestellung und Aufopferung etc.

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(3) Normen bezüglich der Leistungsorientierung

Hierunter lassen sich Erwartungen fassen, die bei den Beschäftigten

die Neigung zur Beschäftigung mit Aufgaben, die einen hohen

Herausforderungscharakter haben, wecken:

- Erfolgs- und Karrierestreben;

- Konkurrenzorientierung;

- Risikofreude.

(4) Normen bezüglich der Loyalität

Unter diese Normen lassen sich zwei Arten fassen:

- ′Repräsentationsbereitschaft′ als Bereitschaft zum

organisationspolitischen Engagement in Strategien- sowie

Interessenentwicklung, -auslegung, -vertretung, und -durchsetzung.

- Verantwortungsbereitschaft für organisationale Ergebnisse

Bei dem Versuch, die oben aufgeführten Qualifikationsdimensionen in diese

Klassifikationen einzuordnen, ergibt sich folgendes Bild:

• Leistungsverhaltensnormen

- Aktualisieren von Fachwissen

- Selbstqualifizierungsbereitschaft

- Zielorientiertheit

- Inhalts- und ergebnisbezogene Projektarbeitsfähigkeit

- Innovationsbereitschaft

• Fügsamkeitsnomen

- kommunikative Kooperationskompetenz

- Fähigkeit zu prozessbezogener Integration bei gleichzeitiger

statusneutraler Kooperation

- Mobilitätsbereitschaft

- Nicht-Bindungs-Fähigkeit

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- Aushalten neuer Hierarchisierungs-, Kontroll- und

Exklusionstendenzen

• Leistungsorientierungsnormen

- Einsatzbereitschaft

- Commitment

- Inkorporierung von Marktmechanismen

- Flexibilität und Anpassungsfähigkeit

- Risikobereitschaft

- ′Ver-Selbständigungs-′Kompetenz

• Loyalitätsnormen

- Verantwortungsbereitschaft

- reflexiv-fachliche Identität

- Moderation und Selbstorganisation

- Abstraktions- und Analysefähigkeit

Meine Schlussfolgerung bzgl. einer Tendenz i. S. einer angebbaren Richtung der

Entwicklung der aus den Rationalisierungskonzepten abgeleiteten – sich

gewandelten – Qualifikations- und Anforderungsdimensionen lautet: Den

Chancen, die sich für die arbeitenden Subjekte aus neuen Formen der

Organisation von Erwerbsarbeit ergeben, wie z. B. Autonomie- und

Selbstverwirklichung, stehen gewaltige Risiken entgegen, m. a. W.: den

eingebrachten ′Investitionen′ stehen unsichere ′Erträge′ gegenüber: Den

Beschäftigten werden neue Anforderungen abverlangt, die über ihre bisherigen

hinausgehen; diese ′neuen′ Kompetenzen, Fähigkeiten und Bereitschaften, die die

Beschäftigten gar nicht per se innehaben, werden plötzlich von ihnen erwartet,

oftmals ohne Angaben darüber, wie diese Fähigkeiten überhaupt erlernt werden

sollen. Allenfalls wird der Hinweis auf ′Selbstlernen′ bzw. ′Selbstorganisation′

gegeben, doch selbst das muss m. E. erlernt und eingeübt werden.

Inwieweit die gewandelten Arbeitsanforderungen – aufgrund der in diesem

Kapitel beschriebenen neuen Formen der Organisation von Erwerbsarbeit –

veränderte Formen der Bewältigung dieser Umbruchsituation für die

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Beschäftigten mit sich bringen, soll in Kap. 4 nachgegangen werden. Zunächst

soll aber im folgenden Kapitel der soziologische Begriff bestimmt werden, der –

bis dato war in der Soziologie der des ′Sozialcharakters′ der gebräuchliche –, die

Muster – sozusagen die kollektive Struktur – der Verarbeitung und Interpretation

der Umbrucherfahrungen der Subjekte am besten kennzeichnet: Meines Erachtens

eignet sich dafür der Begriff der ′Subjektstruktur′, der im folgende Kapitel

entfaltet werden soll.

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3. SUBJEKTSTRUKTUREN: BEGRIFF UND ELEMENTE

3.1 ZUR UNTERSCHEIDUNG VON SUBJEKT,

SUBJEKTIVITÄT UND SUBJEKTSTRUKTUREN

Der Begriff ′Sub-jekt′, der in seiner Sprachwurzel sowohl ′Unterwerfung′ als auch

′Zugrundeliegendes′ ausdrückt, weist auf ein Spezifikum des modernen Subjekt-

Begriffs hin: Denn wenn davon auszugehen ist, dass moderne Subjekte ihre

Identität einerseits durch den Anspruch der Aufklärung, sich aus der

„selbstverschuldeten Unmündigkeit“ (Kant) zu befreien, herausbilden und somit

ihren eigenen authentischen Lebenssinn finden (vgl. Kap. 4.2.9), so sehen sie sich

andererseits einer neuen – etablierten – bürgerschaftlichen Herrschaftsordnung

gegenüberstehen, in der die Idee der Lebenssouveränität längst nicht für alle

Menschen gilt, sondern gesellschaftliche Differenzierungsprozesse, manifestiert in

konstruierten oder realen Ungleichheiten, Teil ihrer alltäglichen

Lebenszusammenhänge sind (vgl. Keupp 1999, S. 19). Es kann an dieser Stelle

nicht auf alle Formen und Wandlungen des modernen Subjekt-Begriffs detailliert

eingegangen werden

17

, sondern es sollen die groben Entwicklungslinien

aufgezeigt werden – mit Bruch (2000) soll aber festgehalten werden, „dass das

moderne Individuum inklusive seiner Subjektivität, begriffen als psycho-soziale

Identität, Resultat eines historischen Prozesses ist, der wesentlich ein Prozess der

Herrschaft ist.“ (Bruch 2000, S. 203: Herv. nicht i. Orig.). Prägte zunächst Max

Weber im Rahmen seiner Analyse des Protestantismus die Subjekt-Vorstellung,

dass Arbeitsbesessenheit aus dem Geist der Religion geboren worden sei – und

somit ein spezifischer Arbeitsethos (manifestiert in Askese und rationaler

Lebensführung) zum „stahlharten Gehäuse der Hörigkeit“ wurde, welches

wiederum dem modernen Berufsmenschen wie zur „zweiten Natur“ wurde –, so

wandte sich später vor allem Norbert Elias gegen die Vorstellung eines „homo

clausus“, also eines Individuums, dass zunächst als von der Gesellschaft getrennt,

m. a. W. der in sich eingeschlossene Mensch, gedacht wird, und setzte folglich

17

Das geschieht deshalb, um vermeintliche Vereinfachungen und Verkürzungen beim Versuch

der Bestimmung einer einheitlichen Definition von ′Subjekt′ - die es m. E. nicht sinnvoll

geben kann – zu vermeiden, weil nämlich das „Subjektproblem“ (Zima 2000) nur im

interdisziplinären Kontext, in dem Philosophie, Soziologie, Semiotik, Psychologie und

Literaturwissenschaft zusammenwirken, konkret zu erfassen ist (vgl. ebd., S. 3).

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dieses Individuum zu dieser Gesellschaft in Beziehung (vgl. Keupp 1998, S. 171

ff.).

Um nun einen Begriff wie Subjektivität – als Hinführung zum später eingeführten

Begriff der ′Subjektstrukturen′ – zu definieren, seien zunächst im Anschluss an

Moldaschl und Voß (2002) zwei gegensätzliche Definitionsversuche

unternommen, die – wie so oft – innerhalb von Wissenschaftsdisziplinen

vorgenommen werden:

• zunächst die eher philosophisch orientierte Definition:

Sie geht davon aus, dass Subjektivität das je Eigene und Besondere

eines konkreten Individuums bezeichnet, das auf individuellen (z. B.

charakterlichen) Eigenschaften beruht. Die Fähigkeit zum

intentionalen auf der einen sowie zum situativen (kontingenten)

Handeln des Menschen auf der anderen Seite wird als gattungs-

konstituierend bezeichnet – die gesellschaftlich historische Bedingtheit

des subjektiven Handelns bleibt weitgehend unbeachtet (vgl.

Moldaschl/Voß 2002, S. 55);

• dann die eher sozialtheoretisch bzw. soziologische Definition:

Sie geht von einer Subjektivität aus, die eher als Produkt von

Gesellschaft, d. h. als Summe der kulturellen und sozialen Prägungen,

zu verstehen ist. Es geht um die „sozialen Rahmungen von Denk- und

Handlungsmöglichkeiten, wodurch mehr oder weit vorgegeben wird,

was in einer bestimmten gesellschaftlichen (und damit historischen)

Konstellation eine individuelles „Subjekt“ ist, kann und darf“ (ebd., S.

56; Herv. i. Orig.).

Auf die Tatsache, dass beide Definitionen defizitär seien, weisen die Autoren hin:

Aus phänomenologischer Sicht müsse ergänzt werden, dass Subjektivität als die

je situative Aktualisierung der zwar sozial geprägten, aber dennoch je individuell

besonderen Konstellationen von Wissen, Einstellungen, Motiven und Fertigkeiten

einer Person beschreiben werden müsse; somit Subjektivität zwar eine

„Eigenschaft von Personen“ anzeigt, allerdings kein Substanz-, sondern ein

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Relationsbegriff ist, der es erlaubt, eine Person gesellschaftlich „zu verorten“ (vgl.

ebd.). Ergänze man nun, so die Autoren weiter, den Blickwinkel um eine

interaktionistischer Perspektive, erhalte man ein volleres Bild von Subjektivität:

Dann werde deutlich, dass das Selbst- und Umwelt-Verhältnis von Personen in

Auseinandersetzung mit ihrer sozialen Umwelt selbst hergestellt werde, indem sie

sich zu Anderen in bestimmten Relationen verorteten und von diesen zugleich

verortet würden (vgl. ebd., S. 56 f.). Somit stimme ich mit folgender Definition

von Subjektivität überein:

„Subjektivität ist somit ein (wandelbares) Produkt der Verbindung

zwischen Person und Gesellschaft, das die Person in ihrer sozialen Umwelt

positioniert. Subjektivität (...) verstanden als jeweilige Ausstattung mit

bestimmten Ressourcen bzw. Dispositionen, eröffnet der Person gewisse

Handlungsmöglichkeiten (und verschließt ihr zugleich andere). Insofern

wirkt Subjektivität handlungsbefähigend und handlungsleitend zugleich,

als (empirisch je unterschiedliches) Handlungspotential.“ (ebd., S. 57;

Herv. i. Orig.)

Um den Argumentationsstrang deutlich werden zu lassen, der langsam zu einem

Vorverständnis des für diese Arbeit zentralen Begriffs der ,Subjektstrukturen′

führt, zitiere ich erneut wörtlich:

„Die Relationalität von Subjektivität zu Anderen (und Anderem) verweist

auf die soziale Geprägtheit von Personen als Trägerinnen von

Subjektivität: auf Intersubjektivität im Sinne eines wechselseitigen

Konstitutionsverhältnisses zwischen Individuen. Zugleich deutet das

Selbst-Verhältnis, das Subjektivität notwendigerweise enthält, darauf hin,

daß Subjektivität nicht allein sozial (im Sinne einer Bestimmung durch

soziale Faktoren) erzeugt wird, sondern aktive und ‚kreative‘ Herstellungs-

Leistungen der Personen zur Grundlage hat.“ (ebd., Herv. i. Orig.)

Vergegenwärtigt man sich nun, dass bis weit in das 20. Jahrhundert hinein

Subjekt-Vorstellungen vorgeherrscht haben, die Biographie und Identität – zwei

Basiselemente des modernen Subjekt-Begriffs – wenn sie als geglückt betrachtet

werden sollten, als etwas Stabiles, Dauerhaftes und Unverrückbares aufzeigen,

und versucht man im Weiteren, dieses Faktum mit obiger Relationalität einerseits

sowie die aktiven Herstellungsleistungen der Subjekte andererseits miteinander

zu verbinden, gelangt man zu etwas, was man als ′Subjektstrukturen′ bezeichnen

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könnte: Der Charakter des Menschen war bis zum Beginn der

Umbrucherfahrungen als „einheitliche, dauernde Struktur seines Wesens“

definiert (vgl. Keupp 1999, S. 22). Dieser Aspekt führt zu einem soziologischen

Verständnis von „Struktur“: (Subjekt-)Strukturen sind demnach sich

wiederholende, dauerhafte, wenn nicht gleich, so zumindest ähnlich verlaufende

Interpretations- und Verarbeitungsmuster der Subjekte, die sozusagen ihrem

Handeln einen „Sinn“ geben. Damit wird das Augenmerk auf die Funktionen von

Subjektivität, genauer: auf die Verwendungs- und Wirkungsweise personaler

Ausstattungen zum Handeln in bestimmten Interaktionssituationen (hier: der

Wandel der Organisation von Erwerbsarbeit) (vgl. Moldaschl/Voß ebd.) gerichtet.

Das moderne Ordnungsmodell in seinem Verständnis von Subjektstruktur als

etwas Dauerhaftem und Regelmäßigem unterstellt regelhaft-lineare

Entwicklungsverläufe, es unterstellt eine gesellschaftliche Kontinuität und

Berechenbarkeit, in der sich die subjektive Selbstfindung verlässlich einbinden

kann (vgl. Keupp ebd., S. 30). Allerdings zeigen Diskurse um Postmoderne,

Individualisierung, Pluralisierung und Globalisierung Entwicklungen an, die –

verbindet man sie mit in Kap. 2.1.2 verbundenen Aspekten der Umbruchsituation

industrieller Erwerbsgesellschaften – zunehmend Begriffe wie Kontingenz,

Diskontinuität, Fragmentierung, Bruch, Zerstreuung, Reflexivität oder Übergang

als Merkmale der Welterfahrung der Subjekte in den Vordergrund rücken lassen.

Die folgenden drei Kurz-Kapitel sollen die Begriffe und Konzepte aufzeigen, die,

wenn man den Begriff der Subjektstrukturen in der von mir vorgenommenen

Definition verwendet, zu berücksichtigen sind, um zu verdeutlichen, dass es

ähnliche Konzepte – allerdings m. E. mit enger gefassten Prämissen – bereits

gegeben hat bzw. noch gibt. Sicherlich gehört auch das Bourdieu´sche Habitus-

Konzept in diese Aufzählung. Da ich dieses jedoch in Kap. 5.2 mit stärkerer

Fokussierung auf die Dualität bzw. Rekursivität des Habitus darlege, sei dieses

Konzept an dieser Stelle ausgespart.

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3.2 KLASSISCHE KONZEPTE ALS ′VORLÄUFER′ VON

SUBJEKTSTRUKTUREN

3.2.1 DIE PERSÖNLICHKEITSSTRUKTUR BEI ELIAS

Will man nun der Thematik der Rekursivität näherkommen, ist es notwendig,

zunächst Perspektiven aufzuzeigen, die eine – relativ – einseitige Sicht

beinhalteten: Die moderne Subjektivität als Resultat des Zivilisationsprozesses ist

nach Elias kein Produkt eines intentional betriebenen Prozesses, sondern das

Ergebnis geänderter gesellschaftlicher Bedingungen (vgl. Bruch ebd., S. 221). Ein

verändertes Verhältnis von Individuum und Gesellschaft konstituiert sich: Die

Grenzen zwischen diesen beiden Polen beginnen sich aufzulösen mit der

zunehmenden Verlagerung gesellschaftlicher Normen in das Individuum hinein,

was zur vielzitierten These der ′Verwandlung vom Fremd- zum Selbstzwang′

geführt hat. Es ist somit ein Mechanismus aufgezeigt, wie sich zunächst

gesellschaftlich isolierte Normen und Verhaltensweisen zu hegemonialen

entwickeln (vgl. ebd., S. 222 f.). Elias („Über den Prozeß der Zivilisation“, 1976)

benutzt den absolutistischen Hof um zu verdeutlichen, dass dieser ein

stilbildendes Zentrum darstellte, in dem jene Verhaltensweisen entwickelt

wurden, die als hegemoniale die abendländische Gesellschaft prägen sollten.

Damit ist der Begriff der Persönlichkeitsstruktur angesprochen: Die im Prozess

der Psychogenese stattfindenden Abläufe, nach denen die sozialen Institutionen

erst der Neuzeit den Menschen konditionieren zu einer Triebreduktion und

Selbstkontrolle, die rational-logisches Handeln ermöglicht. Elias versteht

Interdependenzen von Menschen als Sozialisationszusammenhänge, die

psychische Strukturen und Verhaltensweisen modellieren. Wenn sich diese

entwickelten Verhaltensnormen zu „Quasi-Institutionen“ (Bruch ebd., S. 223)

verdichten, verallgemeinern sie sich und lassen den Vermittlungsprozess von

individueller und gesellschaftlicher Transformation „zu Gunsten eines

harmonisierenden Korrespondenzmodells“ (ebd., S. 225) erscheinen, was einen

erheblichen Teil der Kritik an Elias ausgemacht hat; denn: die strenge

Verhaltensreglementierung, wie sie dem Individuum durch die Zivilisation

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auferlegt werde, verschleiert den Herrschaftscharakter der Moderne, besser: die

starke Bedeutung religiös, ideologisch, staatlich und bürokratisch motivierten

Disziplinierungen innerhalb neuzeitlich funktional-differenzierter Gesellschaften

(vgl. ebd.).

3.2.2 DER GESELLSCHAFTSCHARAKTER BEI FROMM

Erich Fromm (1955) bezeichnet die gesellschaftlich signifikanten, im

Arbeitsprozess funktional verwertbaren Charakterstrukturen, die für die

Menschen einer Gesellschaft, Klasse, Schicht oder Bezugsgruppe typisch sind, als

social charakter bzw. Gesellschafts-Charakter (vgl. Bierhoff 2001, S. 5).

Entsprechend definiert er den Gesellschafts-Charakter als den

„Kern der Charakterstruktur, den die meisten Mitglieder ein und derselben

Kultur miteinander gemeinsam haben, im Unterschied zum individuellen

Charakter, in welchem sich die Menschen ein und derselben Kultur

voneinander unterschieden“ (Fromm 1955 zit. nach Bierhoff ebd.)

Fromm streift mit dieser Definition drei Betrachtungsweisen: die

anthropologische Perspektive (′Natur′ des Menschen), die personale Perspektive

(Einzigartigkeit, Individualität und Identität des Menschen) und die

sozialcharakterologische Perspektive (gesellschaftliche Normierung der

Persönlichkeit). Letztere scheint mir in Bezug auf diese Untersuchung interessant:

(Sozial-)Charakterbildung heißt bei Fromm, die gesellschaftlichen Erwartungen

und Notwendigkeiten zu internalisieren. An diesem Internalisierten ist abzulesen,

welche Anforderungen gesellschaftliche Strukturen (Arbeitsbereich,

Konsumsphäre) an die Menschen als Produktivkräfte stellen (vgl. ebd., S. 6).

Fromm interessiert sich also nicht für die Einzigartigkeit eines jeden Menschen,

sondern dafür, wie sich das gesellschaftliche Individuum angepasst verhält.

Fromm fragt also, warum das Subjekt die mit der Gesellschaftsstruktur

verbundenen Verhaltenserwartungen weitgehend und mit dem Gefühl der

Freiwilligkeit befolgt, so dass im Handeln der Menschen die objektiven

Gegebenheiten fortlaufend reproduziert und somit auf Dauer gestellt werden, in

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der Folge schließlich als verlässliche und unumstößliche Wirklichkeit erscheinen

(vgl. ebd.).

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Fromm eine funktionalistische

– und damit einseitige – Perspektive einnimmt. Er erklärt die Charakterstrukturen

funktional von den Effekten her, die sie auslösen. Das heißt beispielsweise, es gibt

einen ′kapitalistischen Charakter′, weil dieser funktional die gesellschaftlichen

Erwartungen in Bezug auf Arbeit und Konsum erfüllt. Da ich aber gerade die

Rekursivität der Subjektstrukturen verdeutlichen möchte, gehen sicherlich

Bourdieu´sche und Giddens´sche Ansätze (vgl. Kap. 5.2 und 5.1) weiter und sind

von daher besser geeignet, auch einen Blick auf die geänderten

Gesellschaftsstrukturen – in meinem Fall auf die Strukturen der Veränderung der

Organisation von Erwerbsarbeit – zu werfen (s. hierzu Kap. 5.3).

3.2.3 DER SOZIALCHARAKTER BEI KERN/SCHUMANN

Die beiden Industriesoziologen Kern und Schumann thematisieren Arbeit und

Sozialcharakter in einem gleichnamigen Aufsatz-Titel (1983) und verweisen

damit auf das „Theorem des doppelten Bezugs auf Arbeit“ (Bierhoff ebd., S. 4)

mit dem folgendes gemeint ist: Bei Arbeitern werde

„ ... typischerweise die inhaltliche Beziehung zwischen Subjekt und Arbeit

über ein Arbeitsverhältnis hergestellt ..., in dem zwei verschiedene, auf

komplizierte Weise miteinander interagierende Bezüge auf Arbeit

enthalten sind: Arbeit aus der Perspektive des Lohnarbeiters und Arbeit

aus der Perspektive des Subjekts oder besser vielleicht des Produzenten.

Der Wertewandel gegenüber Arbeit sollte u. E. als historische

Veränderung der Art und Weise verstanden werden, in der sich dieser

doppelte Bezug auf Arbeit ausbildet und äußert.“ (Kern/Schumann 1983,

S. 351 f.)

Kurz zusammengefasst: Es geht den Autoren um den Unterschied von

funktionaler Arbeit und Werktätigkeit. Sie fragen nach den Produzentenbezügen,

die sich in der Arbeit heute realisieren, und diagnostizieren eine Verschiebung hin

zu einer Tätigkeit, die Werksinn und produktive Teilnahme an den

Arbeitsbezügen beinhaltet (vgl. Bierhoff ebd.). Ohne Rekurs auf Fromm zu

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nehmen, sehen die Autoren den ′Sozialcharakter′ auf der gesellschaftlichen Ebene

angesiedelt (im Gegensatz zu bloßen Einstellungsänderungen) und definieren ihn

als die

„Grundhaltungen ..., die ein soziales Kollektiv in Auseinandersetzung mit

seinen Lebenserfahrungen typischerweise ausgebildet hat und sie sich im

Zuge dieses Kollektivs sedimentiert haben (Kern/Schumann ebd., S. 361).

Der analytische Vorteil eines so verstandenen Begriffs liegt darin, dass mit ihm

nach typischen Grundverhältnissen zur Arbeit gefragt wird. Als Konsequenz lässt

sich die Auflösung des „proletarische(n) Sozialcharakter(s)“ (ebd.) ableiten: Die

Charakterbildung erfolge – so die Autoren – „heute insgesamt weniger als früher

in und über Arbeit“ (ebd., S. 362). Ein neuer Arbeitstypus sei entstanden, der sich

weniger durch die Orientierung an Leid und Mühsal der Arbeit, sondern eher

durch Bedachtsamkeit, nüchterne und kritische Distanz und Bereitsein für

Unvorhergesehenes auszeichne (vgl. ebd., S. 363 f.).

Zusammenfassend lässt sich in Abgrenzung an den später (Kap. 3.1) ausgeführten

und von mir in dieser Arbeit verwendeten Begriff ′Subjektstrukturen′ festhalten,

dass der Begriff des ′Sozialcharakters′ in der Verwendung von Kern/Schumann

eine explizite Verknüpfung mit Arbeit beinhaltet, wobei mein Begriff der

Subjektstrukturen weiter gefasst ist, und zwar insofern, als er charakterologische

Muster aufzeigt, deren Ursprünge und Ausprägungen über die Arbeitssphäre

hinausgehen.

Bevor vor diesem Hintergrund die Basiselemente von Subjektstrukturen

herausgearbeitet werden, soll zunächst auf den in den Sozialwissenschaften

vieldeutig verwendeten Begriff ′Institution′ eingegangen werden, um

aufzuzeigen, dass er in einer spezifischen Form durchaus als Basisbegriff für die

Konstitution des (Subjekt-)Struktur-Begriffes gelten kann. Hierzu dient das

folgende Kapitel.

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3.3 DER BEGRIFF ′INSTITUTION′ UND SEINE

POLYVALENTE BEDEUTUNG FÜR DIE KONSTITUTION

VON SUBJEKTSTRUKTUREN

Türk (1997) führt zum Begriff der Institution aus, dass für ihn gelte, dass er

hochgradig durch Inanspruchnahme von Theorien und Alltagspraxis belastet sei,

so dass er sich kaum mehr als eine soziologische Grundkategorie zu eignen

scheine, sondern eher als Gegenstand einer wissenssoziologischen oder

ideologiekritischen Analyse (vgl. Türk 1997, S. 125). So sei die Frage, was denn

′eigentlich′ Institutionen seien, ohne Sinn: die Kategorie der Institution sei nicht

kontextfrei definierbar, sondern könne einen Sinn nur im Rahmen einer

Gesellschaftstheorie gewinnen (vgl. ebd., S. 145). Krömmelbein (1996) weist nun

darauf hin, in welchen sozialwissenschaftlichen Kontexten der Begriff Institution

verwendet werde: Soziologisch können Institutionen als Manifestation der Härte

sozialer Tatsachen (Durkheim), als durch Normierung garantierte funktionale

Regelwerke, die auf gesamtgesellschaftliche Notwendigkeiten bezogen sind (u. a.

Parsons), anthropologisch als Entlastungsstrategien der Menschen (Gehlen),

handlungstheoretisch als Verfestigung von Gewohnheiten (Schelsky) oder auch

interaktionistisch als dauernder, sensibler Institutionalisierungsprozess

(Berger/Luckmann) betrachtet werden (vgl. Krömmelbein ebd., S. 18). In der

Ökonomie gelten Institutionen zum einen als Rahmenbedingungen ökonomischen

Handelns, zum anderen als grundlegende Steuerungs- und Regelungsprozesse, die

das Verhalten der Wirtschaftssubjekte koordinieren und damit erst definieren,

welche Handlungsparameter in der Ökonomie zum Tragen kommen (vgl. ebd.).

Gemeinsam ist diesen unterschiedlichen Ansätzen, dass als Institutionen

dauerhafte Einrichtungen in der Gesellschaft oder ihren subkulturellen Bereichen,

auf die sich alltagspraktisches Handeln orientierend beziehen kann, bezeichnet

werden (vgl. ebd., S. 18 f.).

Wenn davon auszugehen ist, dass bspw. staatliche Einrichtungen, der Staat,

verschiedene Akteursgruppen, soziale Beziehungsgeflechte (z. B. die Familie),

Regelungssysteme (z. B. das Rechtssystem), Ge- und Verbote, Normen,

Sanktionen, kulturelle Gewohnheiten oder sogar Kommunikationssysteme in

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verschiedenen Kontexten alle samt als Institution bezeichnet werden, so bleibt

charakteristisch für den Institutionen-Begriff festzuhalten:

„Es handelt sich bei der wissenschaftlichen Kategorie der Institution um

einen Begriff, der die strukturelle Gemeinsamkeit dieser disparaten

Einrichtungen einer Gesellschaft erfassen möchte. Aus diesem Grunde

sind die ersten formalen Identitätsmerkmale einer Institution ihre zeitliche

Konsistenz, eine bestimmte Struktur, ein kulturelles Muster

zwischenmenschlicher Beziehungen und ihre Normengebundenheit.“ (ebd.,

S. 19; Herv. nicht i. Orig.)

Wichtig ist, dass nicht der Fehler begangen wird, nun Gegenstandsbereiche wie

bspw. Staat, Familie, Kultur etc. mit Institutionen gleichzusetzen. Institutionen

haben eine eigene Realität, sie „regeln Vollzüge“ (Lipp zit. nach Krömmelbein

ebd.), sie fallen nicht mit einem Gegenstandsbereich zusammen, sondern erhalten

eine gesellschaftliche Bedeutung, die hinter den oder durch die Einrichtungen

Familie, Herrschaft, Wirtschaft und Kultur existiert und diesen Teilbereichen der

gesellschaftlichen Realität einen besonderen gesellschaftlichen Charakter verleiht.

Die eigene Identität der Institutionen besteht in dem Verhältnis zu einer

komplexeren Sozialstruktur. Die Gemeinsamkeit der heterogenen

gesellschaftlichen Bereiche, die als Institution analysiert werden, besteht in dem

Verhältnis zur gesellschaftlichen Struktur auf der einen und zu den Individuen auf

der anderen Seite (vgl. ebd.).

An dieser Stelle soll auf einen Aspekt, den ich in Kap. 5.1 näher erläutere, bereits

hingewiesen werden, da er elementar für die Konstitution des Institutionen-

Begriffs zu sein schient: Der Doppelcharakter von Institution – ähnlich dem des

Bourdieu´schem Habitus-Begriff – manifestiert sich wie folgt: Institutionen sind

einerseits überinividuell und in der Sozialstruktur angesiedelt, sie sind aber

andererseits zwischen den Individuen und in ihrer Bewusstseinsstruktur verankert

(vgl. ebd.).

Auf den – zweifellos wesentlichen – Strukturierungscharakter von Institutionen

macht noch einmal Türk aufmerksam:

„Die Kategorie der Institution kann auch verwendet werden, um

Gesellschaftsformationen zu unterscheiden und zu identifizieren. Die

Institutionen verkörpern jeweils die wesentlichen Strukturelemente einer

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Gesellschaft, indem sie Mechanismen der Reproduktion, d. h. der

Erzeugung von Persistenz gesellschaftlich dominanter Strukturen sind.

Institutionen werden als überindividuell begriffen, d. h. der Einzelne kann

sich ihnen nicht ohne weiters entziehen. Da sie auf Dauer gestellt sind,

sind sie von speziellen Situationen und Erfahrungen relativ unabhängig;

Raum und Zeit übergreifend entstammen sie nicht „lokaler Produktion“;

sie gelten sozusagen „kontrafaktisch“. (Türk ebd., S. 146)

Somit bleibt festzuhalten, dass der Begriff ′Institution′ in dieser spezifischen Form

im Anschluss an Türk für mich als Basisbegriff für die Konstitution des (Subjekt-

)Struktur-Begriffes gilt. Welches nun Basiselemente von Subjektstrukturen sein

können, werde ich im folgenden Kapitel darstellen.

3.4 BASISELEMENTE VON SUBJEKTSTRUKTUREN

Um im Folgenden die Basiselemente von Subjektstrukturen herauszuarbeiten, ist

zunächst an die Definition von Subjektstrukturen als Denk-, Verarbeitungs- und

Interpretationsmuster zu erinnern, welche die handelnden und erlebenden

Subjekte ′haben′. Diese Muster helfen den Subjekten, Erfahrungen – wie bspw.

institutionelle Umbrüche innerhalb der Organisation von Erwerbsarbeit,

gewandelte Anforderungsstrukturen, neue Identitäten und Lebensentwürfe – zu

verarbeiten und gegebenenfalls reflexiv auf ihr zukünftiges Leben zu beziehen.

Wie bereits in Kap. 3.1 angedeutet, geben diese Muster dem Handeln einen

„Sinn“ i. S. von Kontinuität und Berechenbarkeit.

Welches sind nun die Basiselemente von Subjektstrukturen, die in ihrer

Gesamtheit so etwas wie ein Subjektstruktur-Gebilde darstellen? Zunächst sollen

im Folgenden geeignete Elemente überblicksartig aufgeführt werden:

• Orientierung an Arbeitsinhalt und Arbeitsprozess (gespeist durch

protestantische Arbeitsethik Max Webers);

• Sozialstrukturelle(r) Verortung/Status über die Kategorie ′Beruf′

(Berufsidee ebfs. von Weber);

• Lebensstandard und Lebensstile;

• (psycho-soziale) Identität;

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• Empfinden sozialer Bindung;

• Kommunikative Strukturen und soziale Interaktion;

• Selbstzwang als Ergebnis des Zivilisationsprozesses (à la Elias)

herausgebildet in Formen der Selbstkontrolle;

• Zeit-, Ort- und Raum-Empfinden;

• Eine unbewusste Verankerung von ′Institutionen′ (bspw. der Institution

Erwerbsarbeit mit all ihren Implikationen – einschließlich der

Trennung zwischen ′Arbeit′ und ′Leben′);

• Grundsätzliche Fähigkeit zur Reflexivität.

Mit dieser Aufzählung können die Dimensionen benannt werden, innerhalb derer

sich subjektstrukturelle Charakteristika herausbilden können. Was sich im

einzelnen hinter diesen ′Überschriften′ verbirgt bzw. wie sich die Implikationen,

die sich aus diesen Überschriften ableiten lassen, wandeln aufgrund sich

veränderter Bedingungen der Organisation von Erwerbsarbeit, soll im folgenden

Kapitel, dem Kap. 4, deutlich werden.

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4. AUSWIRKUNGEN SICH WANDELNDER ERWERBSARBEIT

AUF DIE SUBJEKTSTRUKTUREN DER BESCHÄFTIGTEN

4.1 AUSWIRKUNGEN AUFGRUND SICH WANDELNDER

ARBEITSANFORDERUNGEN

In Kap. 2.3 sind die Merkmale der neuen Anforderungen an die arbeitenden

Subjekte zusammengefasst dargestellt worden. Nun wird auf die Auswirkungen,

die sich daraus auf die Subjektstrukturen – und zwar zunächst gespeist aus

veränderten Anforderungen in der Sphäre ′Arbeit′ – ergeben, in Form einer

Aufzählung eingegangen:

• Innerhalb der Prozesse der systemischen Rationalisierung „mehr

Vorgänge in der gleichen Zeit“ erledigen zu müssen, führt zu einem

fundamental veränderten Zeitgefühl der Arbeiten – gespeist von der

Erfahrung, nicht alle Vorgänge erledigen zu können.

• Permanente Verbesserungsprozesse (KVP) bedeuten eine

grundlegende Umwertung der Subjektivität der Beschäftigten: Diese

gilt nicht mehr, wie im Zeitalter der tayloristischen Produktionsweise,

als ′Störgröße′, die die rigide Kontrolle betrieblicher Prozesse auf der

Basis wissenschaftlichen Managementwissens erforderte, vielmehr

werden die individuellen Selbstentwürfe und

Selbstverwirklichungsansprüche aktiviert und gezielt zur

Prozessoptimierung eingesetzt (vgl. auch Bröckling 2000, S. 142).

• Teamarbeit und Entscheidungsdezentralisierung z. B. im Rahmen von

lean production appellieren an soziale und kulturelle Merkmale von

Arbeitskraft.

• Beschäftigte müssen sich einpassen in veränderte Hierarchien und

reagieren teilweise mit Unsicherheiten bei ′entgrenzten′

Arbeitsabläufen bzw. Funktionsbereichen.

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• Fragen entstehen für das arbeitende Subjekt bei Zielvereinbarungen:

Das Ziel ist zwar formuliert, wie aber soll es erreicht werden? Wenn

dieses zwischen Management und Beschäftigten ausgehandelt wird,

wird man es innerhalb von Qualitätszirkeln oder KVP-Gruppen

erreichen können?

• Führungskräfte erhalten vermehrt Experten-, Planungs- und

Kontrollfunktion, fühlen sich durch Marktdruck und Konkurrenz unter

Druck gesetzt, müssen ′Vermarktlichungs-Strategien′ in Bezug auf sich

selbst erst lernen; auch werden Aushandlungs- und

Abstimmungsbeziehungen nicht von jeder/von jedem beherrscht.

• Arbeitende im Dienstleistungsbereich sind gezwungen, zunehmend

prozess- anstatt ergebnisorientiert zu denken.

• Ein neuer Innovationsmodus gehört in die Denk- und

Verarbeitungsschemata eingebaut: stets ist man im Rahmen seiner

alltäglichen Arbeit und auf der Grundlage seiner spezifischen

qualifikatorischen Ressourcen (Wissen, Erfahrung) in den

betrieblichen Produktionsprozess involviert.

• Zunehmende Autonomieeinschränkung aufgrund von bspw.

Shareholder-Value-Gesichtspunkten verwirrt Manager zunehmend, wo

doch sonst eher Ausweitungen der Autonomiefelder konstatiert werden

können.

Die folgenden Kapitel sollen sich nun auf weiterreichende Auswirkungen auf die

Subjektstrukturen der Beschäftigten aufgrund veränderter Arbeitsanforderungen

beziehen, also auf Sphären und Bereiche, die über die bloße Sphäre ′Arbeit′ (s. o.)

hinausgehen.

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4.2 WEITERREICHENDE AUSWIRKUNGEN

4.2.1 EIN NEUER TRANSFORMATIONSMODUS

Der Transformationsbegriff sei zunächst durch Pries (1998) verdeutlicht:

„Der Terminus Transformation soll deutlich machen, daß sich die

Handlungseinheit Betrieb durch den doppelten Prozeß der stofflichen und

sozialen „Überführung“ von betriebsinterner und betriebsexterner

Wirklichkeit durch Arbeitshandeln auszeichnet. Der betriebliche

Produktionsprozeß wird also in dieser Perspektive nicht als quasi

mechanistischer „Leistungsvollzug“, sondern als konstruktiver Prozeß der

stofflichen und sozialen Gestaltung von Wirklichkeit aufgefaßt.“ (Pries

1998, S. 160)

Ein derartig verstandener Transformationsbegriff charakterisiert also den

Übergang bzw. das ′Übersetzen′ von Arbeitsvermögen in Arbeitshandeln. Pries

macht weiter darauf aufmerksam, dass betriebliches Arbeitshandeln in der

westdeutschen Industriesoziologie im Kontext betrieblicher Macht- und

Herrschaftsbeziehungen (klassisch: Marx und Weber, später: Crozier/Friedberg

1979), im Zusammenhang (veränderter) betrieblicher Kooperationsbeziehungen

(Braverman 1977, Edwards 1981; Jürgens 1984)

18

und schließlich in der

Qualifikationsforschung (Braczyk 1982) thematisiert worden sei (vgl. ebd., S. 182

f.).

Türk (1995) geht es im Kern um die Frage, ob sich die Entwicklung

gesellschaftlicher Arbeit in den letzten 150 Jahren als ein Prozess zunehmender

′reeller Subsumtion′ interpretieren lasse und falls ja, in welcher Weise sich die

Modi und Instrumente reeler Subsumtion verändert hätten (vgl. Türk 1995, S. 77).

Türk macht auf Braverman (1977) aufmerksam, der in Bezug auf die Entwicklung

der Arbeitsbedingungen im unmittelbaren Produktionsprozess herausgearbeitet

habe, wie zunächst unter der produktivistischen Herrschaftsideologie des

18

In der „Labor Process Debate“ hatte die dyadische Machtbeziehung zwischen den beiden

kollektiven Akteuren Arbeit und Kapital im Mittelpunkt gestanden (vgl. Deutschmann 2002,

S. 121).

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Taylorismus die aufkommende Arbeitswissenschaft die Arbeiter enteigne und

degradiere. Ihre von ihnen selbst entwickelten Arbeitsfähigkeiten und ihr

Produktionswissen würden erkundet, untersucht, ′optimiert′, um sie ihnen dann als

verwissenschaftlichte Arbeitstechnologie (Taylors „Wissenschaftliche

Betriebsführung“), der sie sich zu fügen hätten, entgegenzusetzen. Im Zuge

„systemischer Rationalisierung“ (vgl. Kap. 2.2.3), so folgert Türk, würden die

Arbeiter nicht mehr ihres Erfahrungswissens enteignet, sondern der Prozess kehre

sich um: Heute entwickle sich Erfahrungswissen nur noch als sekundär-

abgeleitetes in Abhängigkeit von vorgesetzten Arbeitssystemen (vgl. ebd., S. 80

f.).

Türk fährt fort, dass sich frühere – eben tayloristisch-orientierte ′autoritäre′ –

Herrschaftskonzepte, und dies ist im Zusammenhang mit dem Thema dieser

Arbeit relevant, im Zuge neuer Formen der Organisation von Erwerbsarbeit

verändert hätten und sich somit in den Nutzungsformen menschlichen

Arbeitsvermögens erhebliche Umbrüche ereigneten:

• ganzheitliche Nutzung eines Teils der Beschäftigten durch so genannte

„Neue Produktionskonzepte“ (vgl. Kap. 2.2.2);

• „Flexibilisierung“ von Produktion bei gleichzeitig verschärfter

Kontrolle der Rahmenbedingungen;

• zügige „Höherqualifizierung“ der Arbeitenden bei immer schnellerer

Entwertung der individuellen Arbeitsvermögen;

• Gewährung von Spielräumen „verantwortlicher Autonomie“ (vgl.

Kap. 4.2.3) bei gleichzeitiger Einschwörung auf die

„Unternehmenskultur“ (vgl. ebd., S 83).

Deutschmann (2002) führt nun aus, dass im Anschluss an obige Umbrüche die

Kritik autoritär-bürokratischer Muster des Managementhandelns seither ein

Gemeinplatz geworden sei: statt dessen würden Leitbilder, die sich auf die Pflege

der „Humanressource“, die „lernende Organisation“, den Vorgesetzten als

„Kommunikator“ oder als „charismatische“ Führungspersönlichkeit beziehen,

proklamiert (vgl. Deutschmann 2002, S. 133). In der Praxis allerdings erwiesen

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sich die genannten Formeln meist als nicht sonderlich hilfreich. Sie lösten das

Dilemma des Vorgesetzten, zwar über Macht, nicht aber über Autorität zu

verfügen, nicht, sondern brächten es nur zum Ausdruck. Die geforderten sozialen

und psychologischen Qualifikationen seien nicht in gleicher Weise lernbar und

objektivierbar wie fachliche Fertigkeiten und formale Kompetenzen und eigneten

sich daher nicht zur Begründung stabiler Formen von Autorität. Gerade beim

mittleren Management klaffe zwischen der offiziellen „Intrapreneur“-Rhetorik

und den faktisch nach wie vor eng begrenzten Entscheidungsspielräumen oft eine

beträchtliche Lücke (vgl. ebd., S. 133 f.). Unter dem Einfluss der

Beratungsindustrie, so fährt Deutschmann fort, würden darüber hinaus

„Organisationskulturen“ inszeniert und die Mitarbeiter entsprechend durch

Betriebszeitungen, Schulungen, Ensemble etc. indoktriniert (vgl. ebd.).

Doch funktioniert der ′Zugriff′ auf den ′ganzen Menschen′? M. E. drückt diese

Frage den Kern des neuen Transformationsmodus aus. Hierzu erneut

Deutschmann wörtlich:

„Der Anspruch der Organisationsentwickler und Personaltrainer, die

Persönlichkeit der Mitarbeiter auf die Belange der Organisation hin

zurechtzuformen, kollidiert mit den Realitäten einer funktional

differenzierten Gesellschaft, in der, wie Neuberger (1984) mit Recht

betont, Organisationen und Unternehmen keinen Zugriff auf den „ganzen

Menschen“ haben können. Das Ansinnen, das Verhalten der Beschäftigten

über die Inszenierung einer bestimmten „Kultur“ des Unternehmens zu

steuern, ignoriert die Differenzierungen zwischen Arbeitswelt, Familien-

und Privatsphäre und die Pluralität der Rollensysteme, in die das

Individuum einbezogen ist. Ignoriert wird auch die Tatsache, dass das

Individuum bereits [über] eine durch primäre und sekundäre Sozialisation

erworbene soziale Identität verfügt, bevor es in die Firma eintritt.“ (ebd.,

S. 134 f.)

Die Organisationskultur-Programme zielen auf eine umfassende Indienstnahme

der Subjektivität der Arbeitenden, indem sie ihr Denken und ihre Persönlichkeit

zu homogenisieren suchen und die uneingeschränkte motivationale und zeitliche

Verfügbarkeit der Mitarbeiter für die Firma zur Norm erheben. Deutschmann

folgert hierzu:

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„Es geht eben doch darum, der Firma den Zugriff auf die Fähigkeiten des

ganzen Menschen zu öffnen und auch die privaten Lebenszusammenhänge

der Beschäftigten in die Firma einzubinden.“ (ebd., S. 135)

Diesem Zusammenhang des veränderten Verhältnisses zwischen ′Arbeit′ und

′Leben′ – einschließlich der Frage, was sich für subjektstrukturelle Auswirkungen

aus ihm ableiten lassen – soll in Kap. 4.2.7 nachgegangen werden.

4.2.2 DIE „BESCHRÄNKTE RATIONALITÄT“ DER RATIONALISIERUNG

Moldaschl (1994) problematisiert im Hinblick auf veränderte

Arbeitsanforderungen im Zuge betrieblicher Rationalisierungsprozesse den

Rationalisierungsbegriff: Ein Verständnis von Rationalisierung als quasi

stromlinienförmiger Prozess rationaler Planung und Durchführung technischer,

organisatorischer und personalwirtschaftlicher Maßnahmen zur

Effizienzsteigerung stoße sich in mehrfacher Hinsicht an der Realität (vgl.

Moldaschl 1994, S. 106 f.). Zum einen lasse sich nicht die eine Rationalität finden

im Sinne eines Leitkriteriums des Handelns, das Ziel und Weg zum

Unternehmenserfolg weise, denn in der Praxis konkurrierten technische,

kaufmännische und soziale Handlungsrationalitäten mit jeweils eigenen Zielen

und Logiken, die in eine Gesamtrationalität zu überführen, das Kernproblem für

das Management darstelle (vgl. ebd.). Zum anderen, so Moldaschl weiter, sei

Rationalität im Sinne von Planung eine notwendig „beschränkte Rationalität“

(Simon 1957 zit. nach Moldaschl ebd.): Akteure können prinzipiell kein

vollständiges Wissen in ihrem Handlungsfeld erlangen und vermögen nur eine

begrenzte Zahl von Schritten vorauszuplanen. Je weiter sie planen, desto mehr

nehmen die nicht erkannten Handlungsbedingungen und die nicht intendierten

Handlungsfolgen überhand (vgl. ebd.). Deshalb muss die Planung rekusriv sein,

d. h. offen für die Verarbeitung auch unerwarteter Rückwirkungen und für die

eigene Revision (vgl. ebd.).

Im Weiteren macht Moldaschl auf einen entscheidenden Unterschied

aufmerksam: Während arbeitsorientierte Rationalisierung die Delegation und

Verantwortung als zentrales Mittel zur Einsparung von Arbeit entdeckt, indem das

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Erfahrungswissen der Beschäftigten anerkannt wird und ohne Umwege direkt in

die Prozessoptimierung einfließen soll, beschäftigt sich die

organisationszentrierte Rationalisierung mit den wettbewerbsentscheidenden

aufbau- und ablauforganisatorischen Strukturen: Reorganisation wird aufgefasst

als rational geplanter und beherrschter Prozess, in dem durchaus die Betroffenen

zu Wort kommen und ihre Interessen und Bedürfnisse einbringen sollen, in dem

aber ein wesentlich anderer als der geplante Verlauf nicht vorstellbar ist. Das

Management bleibt Hauptakteur und Subjekt der Rationalisierung. Arbeitskraft

wird weiterhin im wesentlichen als Produktionsfaktor und als Objekt der

Rationalisierung behandelt (vgl. ebd., S. 109 f.).

Moldaschl resümiert, dass das arbeitsorientierte Modell der Rationalisierung

effizienter sei, indem es aufgrund seiner selbstreflexiven Prinzipien

organisatorisches Lernen erleichtere und stärker auf prozessuale Problemlösung

ausgerichtet sei als auf Planung. Es biete ferner mehr Chancen für die

Arbeitskräfte: beim Erwerb neuer Qualifikationen, bei der Mitbestimmung über

die eigenen Arbeitsbedingungen und bei der aktiven Bewältigung von

Belastungen. Den Chancen stünden allerdings auch Risiken gegenüber,

manifestiert bspw. in der Tatsache, dass die kreativen Potenzen des

Arbeitsvermögens sowohl auf seine eigene Rationalisierung, als auch auf die

Rationalisierung der Arbeit anderer gerichtet würden (vgl. ebd., S. 149).

Deutlich schärfer formuliert Türk bereits gegen Ende der 1980-er Jahre, dass

(damals) neuere Ansätze der Organisationstheorie von der Rationalität als einem

in Theorie und Praxis wohlgepflegten ′Mythos′ sprächen (vgl. Türk 1989,

S. 33). Grundsätzliche Kritik am Rationalitätsparadigma, so Türk weiter, beziehe

sich auf folgende Dimensionen:

• Auf das Modell zweckrationalen Organisations- und

Entscheidungshandelns;

• auf das Disziplinmodell;

• auf das systemtheoretische Modell.

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Allen Modellen würden Alternativen gegenübergestellt: Dem erstgenannten

Modell das des situativen Zufalls, dem zweiten das der Macht, dem Dritten ein

solches, was lebensweltliche Orientierungen beinhalte – Türk erscheint es

allerdings wichtig, nicht einfach den Begriff der Rationalität völlig aufzugeben,

vielmehr müsse der Begriff in seiner Semantik untersucht werden; dazu eigne sich

Perrow (1978), der – auf die Frage, warum (rationalistische)

Organisationstheorien in der Praxis nicht funktionierten – geantwortet habe: die

Theorien mystifizieren die Wirklichkeit, sie verschleiern damit die wirkliche

Funktion von Organisationen, sie errichten eine (Schein-)Gegenrealität. Es sei ein

bloßer Mythos, dass Organisationen rationale Instrumente für erklärte Ziele seien

(Organisationen täuschten dieses bloß vor). Organisationen hätten Wichtigeres zu

tun, als erklärten Zielen nachzustreben; diese dienten bloß der Legitimation –

tatsächlich seien Organisationen Orte, an denen Machtkämpfe ausgetragen werden

(vgl. Türk ebd., S. 33 f.). Vor diesem Hintergrund kann auch die

institutionalistische Theorie des ,Neo-Institutionalismus′ von Meyer/Rowan

(1977) gesehen werden, wenn jene Organisationen als ′mythische

Rationalitätsfassaden′ titulieren (vgl. Türk 1995, S. 32). Wenn derartige

′Rationalitätsmythen′ in die Organisationskultur aufgenommen werden

(′Isomorphismus′) und organisationsintern durch ′Rituale′ und ′Zeremonien′

übernommen werden, sind die Hauptaussagen der neoinstitutionalistischen

Organisationstheorie zusammengefasst (vgl. Elsik 1996, S. 333). Rationalität ist

demnach kein Wesensmerkmal von Organisationen, sondern

„ (...) findet ihren Ausdruck in den in der Umwelt/Gesellschaft

existierenden, ungeprüften Annahmen und Zuschreibungen. Sie enthalten

Aussagen darüber, wie Organisationen strukturiert sein sollen, welche

Verfahren sie zu verwenden haben, wenn ihnen Rationalität zugeschrieben

werden soll. Beispiele dafür sind Vorstellungen über Hierarchie,

Arbeitsteilung, Abteilungsbildung, Planungsverfahren,

Personalbeurteilungssysteme, Buchhaltungssysteme und vieles andere

mehr. Formale, zweckrational gestaltete Organisationsstrukturen stellen

symbolische Repräsentationen von gesellschaftlich akzeptierten und

instrumentalisierten Handlungsorientierungen und Situationsdeutungen

dar.“ (ebd., S. 336; Herv. nicht i. Orig.)

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4.2.3 HERRSCHAFT DURCH AUTONOMIE? – ZUR KONSTITUTION

WIDERSPRÜCHLICHER ARBEITSANFORDERUNGEN

Stellt man nun Moldaschls Überlegungen (2001) bzgl. der Bewertungen der sich

aufgrund neuer Formen von Arbeitsorganisation ergebenen Arbeitsanforderungen

an die Beschäftigten in einen Zusammenhang, so kann festgehalten werden, dass

„moderne“ (Moldaschl 2001, S. 133) Arbeit neue Verhältnisse von Freiheit und

Zwang mit sich bringen, die sich den am Taylorismus geeichten arbeits- und

sozialwissenschaftlichen Analysekategorien entziehen (vgl. ebd.). Dazu sei es

notwendig, so der Autor weiter, sich der „neuen“ Widersprüche der Autonomie

bewusst zu werden, denn jahrelang, so bspw. in den Arbeiten von Kern/Schumann

im Rahmen der „Reprofessionalisierungsdebatte“ (vgl. Kap. 2.2.2), sei ein

Automatismus angenommen worden, der mit der Zunahme von Qualifizierung

einen erweiterten Handlungsspielraum bzw. „selbstgesteuerte

Kontrollbedingungen“ für z. B. qualifizierte Automationsarbeiter unterstellte (vgl.

ebd., S. 134). Die Analyse neuer widersprüchlicher Entwicklungen von

Autonomie in neuen Arbeitsformen konzentriert sich auf folgende Kritikpunkte

(vgl. ebd., S. 136 f):

• Autonomie ist keine absolute – anthropologische – Kategorie, sondern

sie ist stets kulturell-historisch, also gesellschaftlich, bedingt. Freiheit

und Zwang ergeben sich für jedes Individuum aus diesem Kontext.

Autonomie muss also stets bewertet werden unter Bezugnahme auf das

konkrete Verhältnis von Handlungsanforderungen und

Handlungsmöglichkeiten.

• Es ist zwischen Handlungs- und Verhandlungsautonomie zu

unterscheiden: Handlungsautonomie in der Arbeit bezieht sich auf

Möglichkeiten, eigene Ziele und Teilziele zu bestimmen, selbständig

über Mittel und Wege zu entscheiden etc. (= Selbstbestimmung in der

Arbeit) Verhandlungsautonomie bezeichnet das Ausmaß des

Einflusses, den die Beschäftigten individuell und kollektiv auf

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Maßnahmen betrieblicher Arbeits- und Personalpolitik entfalten

können. Moldaschls These ist nun, dass sich eine sehr

widersprüchliche Entwicklung zwischen diesen beiden

Autonomiefeldern feststellen lasse: Es sei nicht nur eine Tendenz der

Entkopplung zwischen beiden Feldern zu beobachten, sondern sogar

eine Umkehrung: Handlungsautonomie werde erweitert, während

Verhandlungsautonomie schrumpfe. In bestimmten Kontexten (z. B.

Dezentralisierung in Form von Outsourcing; vgl. Kap. 2.2.6) werde

das zum Kennzeichen eines neuen Rationalisierungsmodus.

• Die Frage „Herrschaft oder Autonomie“ ist ebenfalls umgekehrt zu

stellen: Ist Herrschaft durch Autonomie möglich? Konzepte

zunehmender Dezentralisierung und Vermarktlichung (vgl. Kap. 2.2.6)

erfordern vermehrt Selbstregulation von den Beschäftigten auch auf

unteren Hierarchieebenen. Arbeitskräfte sind mehr und mehr

gezwungen, Unbestimmtheit zu reduzieren, das heißt, Ziele und

Bedingungen permanent auszuhandeln. Somit findet eine Entgrenzung

statt: bürokratische Koordniationsprinzipien werden durch

Marktprinzipien ersetzt. Der Arbeitende wird Subjekt und Objekt der

Rationalisierung zugleich. Die Forderung nach Selbstregulation tritt

ihm als fremder Zwang entgegen, gleichsam als erzwungene Freiheit.

• Das spezifische Spannungsverhältnis von Fremdbestimmung und

gewährtem Handlungsspielraum kennzeichnet „widersprüchliche

Arbeitsanforderungen“ als auslösendes Moment für psychische

Belastungen: „Jemand muss, um seine Aufgabe zu erfüllen, etwas tun,

was er oder sie „eigentlich“ nicht tun darf, nicht tun soll oder (aufgrund

äußerer Bedingungen) nicht tun kann.“ (ebd.) Arbeitende werden also

zunehmend autonomer und stehen gleichzeitig unter Druck (vgl. ebd.).

Dieses Ambivalenzempfinden der Arbeitenden bezeichnet Moldaschl

als „rekursiv instrumentalisierte“ Autonomie (vgl. ebd.).

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Stolz und Türk (1992) machen darauf aufmerksam, dass in Bezug auf die

Möglichkeitsbedingungen von Herrschaft stets zu berücksichtigen sei, dass

Herrschaft in letzter Instanz immer auf einer „gewaltförmigen Trennung der

kooperativen Subjekte von der Kontrolle über Bedingungen und Resultate ihrer

produktiven Lebenstätigkeit sowie der Fremndaneignung ihrer Arbeitsverträge

durch die sich genau hierdurch definierenden Herrschenden“ (Stolz/Türk 1992, S.

132; Herv. i. Orig.) beruhe. Vor diesem Hintergrund würde ich also über das oben

beschriebene Ambivalenzempfinden in Verbindung mit Herrschaft und

Autonomie hinausgehen wollen: Es mag zwar sein, dass die arbeitenden Subjekte

ein derart ambivalentes Gefühl bei der Ausübung ihrer Arbeit haben, so muss

doch aber klar herausgestellt werden, dass sich vielleicht der Herrschaftsmodus,

nicht aber der Herrschaftscharakter ändert – wenngleich an dieser Stelle angefügt

werden muss, dass „bedauerlicherweise ... die ganze Sache mit der Herrschaft

aber noch etwas komplizierter“ (Türk 1995, S. 90) ist. Denn es kommt darauf an

hervorzuheben, dass „gesellschaftliche Arbeit als organisierte Arbeit nicht nur

Herrschaftsstrukturen reproduziert, sondern im Handeln Herrschaft auch

vollzieht, (...) (ebd., S. 90 f.; Herv. i. Orig.). Hierdurch soll deutlich werden, dass

der Begriff der Herrschaft von Max Weber – als Chance auf Befehle bei einem

angebbaren Personenkreis Gehorsam zu finden – an sich zu kurz greift: Ist nicht

in empfundener Autonomie auch stets ein Stück Affirmation – eben der

Herrschaftsförmigkeit des Arbeitsverhältnisses – enthalten? Vertieft nicht gerade

′Autonomie′ als „Differenzerfahrung“ (ebd., S. 88) „zu irgendeiner Vorstellung,

einem Empfinden, einer Intuition, einer Utopie oder schlicht einem Wunsch nach

Nicht-Herrschaft“ (ebd.) den Herrschaftscharakter von bspw. Betrieben? Mit

dieser Frage wird der Bereich der „Dualität von Struktur“ angesprochen, der in

Bezug auf seine subjektstrukturelle Relevanz vertieft in Kap. 5.1 behandelt wird,

gleichwohl aber hier m. E. erwähnt werden muss. Zur Dualität von Struktur in

diesem Kontext sei noch einmal abschließend Türk zitiert:

„Vielmehr verkörpert sich organisationale Herrschaft im ko-ordinierten

Handeln der Akteure selbst; diese sind nicht bloß als Objekte, sondern als

Subjekte in den Reproduktionsprozeß organisationaler Herrschaft

involviert.“ (ebd., S. 90)

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4.2.4 SUBJEKTIVIERENDES ARBEITSHANDELN ALS EINE FORM VON

′COMPLIANCE′

Böhle und Schulze (1997) weisen in ihrer Darstellung des „subjektivierenden

Arbeitshandelns“ darauf hin, dass die Umbrüche in der Arbeitsorganisation (wie

oben beschrieben in Kap. 2) in Bezug auf die veränderten Arbeitsanforderungen

zwei grundsätzliche Charakteristika herausbildeten: die Ausweitung von

Arbeitsinhalten und die Stärkung der Eigenverantwortung. Der Arbeitende trete

zunehmend nur als ′gespaltenes′ Subjekt in Erscheinung:

„Auch wenn von ′menschenwürdiger Arbeit′ und der Berücksichtigung der

Arbeitenden als ′autonome, selbstverantwortliche Subjekte′ gesprochen

wird, so bleiben dennoch wesentliche Teile, die den Menschen als Subjekt

ausmachen, aus der Arbeitstätigkeit ausgegrenzt. Subjektivität, soweit

diese Empfinden, Erleben, Fühlen u. a. umfaßt, ist als Bestandteil des

Arbeitshandelns nicht vorgesehen."“(Böhle/Schulze 1997, S. 29)

Damit wendet sich das Konzept gegen die durch das Modell eines rein zweck-

rationalen bzw. objektivierenden Handelns vorgezeichnete Spaltung des Subjekts.

Beim subjektivierenden Handeln geht es nicht nur darum, dass der Arbeitende als

Subjekt bzw. so genannte subjektive Faktoren wie Gefühl, Empfinden und Erleben

berücksichtigt werden, entscheidend ist vielmehr, dass der Subjektivität ein

fundamental anderer Stellenwert beigemessen wird. Das Konzept

subjektivierenden Handelns richtet sich in erster Linie gegen die Annahme, dass

die Wahrnehmung und Erkenntnis der Welt ′so wie sie ist′ und die für die

Lebensbewältigung notwendigen und nützlichen Aktivitäten nur auf dem Wege

eines ′rational′ geleiteten Handelns möglich. Dem subjektivierenden Handeln wird

in gleicher Weise wie dem objektivierenden Handeln eine kognitive und

strategische Kompetenz zuerkannt (vgl. ebd., S. 32).

Pfeiffer (1999) beschreibt vier Aspekte, die für das Konzept des subjektivierenden

Arbeitshandelns als prägend gelten können:

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(1) Eine komplexe sinnliche Wahrnehmung und imaginative

Vorstellungen (schließt Bewegungen des Körpers ein; sinnliche

Abstraktion und Strukturierung; etc.);

(2) assoziatives und intuitives Wissen, Denken und Gefühl (gleichsam

gegenstands- und prozessbezogen wie verhaltens- und

erlebnisbezogen; emphatisch; etc.);

(3) eine dialogisch-interaktive Vorgehensweise (Einheit von Planung

und Ausführung; explorativ; laufende Anpassung an jeweils

erreichtes Arbeitsergebnis; etc.) und

(4) eine persönliche Beziehung zu technischen Objekten, Produkt und

Prozess (Beziehung zu technischen Anlagen und Systemen;

Fähigkeit zum Einfühlen und Nachvollziehen technischer Abläufe;

Umwelt existiert nicht unabhängig vom Subjekt) (vgl. Pfeiffer 1999,

S. 28).

Diese vier Ebenen verbindet, dass es immer um die konkrete Handlung innerhalb

der Stofflichkeit des Arbeitsprozesses geht. Zentrale These der Autorin ist, dass

die Komplexität der EDV-Technologie als herausragender Grund für die

Erfordernis neuartiger Kompetenzen – i. S. der Fähigkeiten des subjektivierenden

Arbeitshandelns – gesehen werden könne; des weiteren nimmt Pfeiffer an, dass

speziell Aspekte subjektivierenden Arbeitshandelns das souveräne und effektive

Zurechtfinden innerhalb der IuK-Technologien erst ermögliche (vgl. ebd., S. 37).

Als Beispiel führt Pfeiffer für den Bereich der Produktionsarbeit (vgl. Kap. 2.2.2)

AnlagenfahrerInnen aus, die sich zwar auf dem Fundament ihres

(unverzichtbaren) Fachwissens bewegten, jedoch erst durch die subjektivierenden

Anteile in ihrem Arbeitshandeln in die Lage versetzt worden seien, sich in den

beiden gegensätzlich miteinander verbundenen Triaden von Automatisierung,

Planbarkeit und Objektivierbarkeit (′objektivierendes Arbeitshandeln′) sowie auf

der anderen Seite nicht-erfassbare Komplexität, Nicht-Beschreibbarkeit und

Unwägbarkeit (′subjektivierendes Arbeitshandeln′) derart souverän zu bewegen,

dass ein Funktionieren der technischen Anlagen ohne Störfall oder größere

Störungen gewährleistet werden könne (vgl. ebd., S. 34). Selbst in Teilen der

Dienstleistungsarbeit, wo ausschließlich der Umgang mit abstrakten

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Informationen gefordert wird, wie etwa dem Informations-Broking, geht es

offenbar darum, bei Anfragen ′zwischen den Zeilen′ zu lesen und das Abstrakte

mit real konkreten Vorstellungen bis hin zu bildhaften, erlebnis- und

sinnesbezogenen Repräsentationen ständig auf Neue zu vermitteln und einen

′Spürsinn′ bei der Suche von Informationen zu entwickeln (vgl. ebd., S. 93 f.).

Zusammenfassend kann mit Böhle und Schulze festgehalten werden: Das Konzept

subjektivierenden Arbeitshandelns richtet sich darauf, nicht nur Abweichungen

vom Typus zweck-rationalen Handelns ins Blickfeld zu rücken, sondern diese

kategorial und empirisch als Erscheinungsform einer eigenständigen und

abgrenzbaren Handlungsform bzw. -methode zu bestimmen (vgl. ebd., S. 33).

Bei einem Versuch, das Konzept des subjektivierenden Arbeitshandelns in seiner

Relevanz für die Bewertung veränderter Arbeitsanforderungen aufgrund sich

wandelnder Organisation erwerbsförmiger Arbeit einzuordnen, gelange ich zu der

Auffassung, dass zwar die Einbeziehung von Faktoren wie Gefühl, Empfinden

und Erleben als Formen von Arbeitshandeln erhellend und notwendig ist, aber

einen bestimmten Aspekt nicht hinreichend kenntlich macht, hierzu Türk (1984):

„Diese Konzepte [die zu stark kognitivistischen mit

Anforderungskategorien ′rational′, ′perzeptiv-routinisiert′,

′sensumotorisch′ oder ′Denkanforderungen′] beziehen sich damit mehr auf

den Aspekt der reinen Produktionsverfassung von Betrieben als auf den

der Sozialverfassung. Soziologisch interessanter wäre es aber m. E., die

Frage nach Qualifikationen oder Qualifikationskomponenten zu stellen,

die vorhanden sein müssen, um der spezifischen sozio-ökonomischen

Verfaßtheit organisierter Arbeitssysteme zu entsprechen.“ (Türk 1984, S.

47; Herv. i. Orig. unterstrichen)

Somit ist die Unterscheidung zwischen offiziellen und tatsächlichen

Qualifikationskriterien angesprochen: Den offiziellen Qualifikationen wären eher

die o. g. kognitivistischen, den tatsächlichen dagegen eher „motivational-

affektive“ bzw. „sozial-interaktive“ bzw. „sprachlich-kommunikative“, also

„behavioral qualifications“ (ebd., S. 48) zuzurechnen. Grundsätzlich fordert Türk

im Weiteren zunächst die Entwicklung eines „soziologischen“

Qualifikationsbegriffs, der sich dadurch auszeichne, dass Qualifikation als „das

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strukturelle und verhaltensmäßige Vermögen von Personen, eine Konformität mit

Sozialsystemen, hier: mit Arbeitssystemen, zu leisten“ (ebd.; Herv. i. Orig.

unterstrichen) aufgefasst werden müsse. Diese Bindung des Qualifikationsbegriffs

an den Begriff der Konformität begründet Türk damit, dass die modernen

Arbeitsorganisationen unserer Gesellschaft typischerweise nicht auf Konsens,

sondern auf Mechanismen zur Sicherung von Konformität seien, denn Konsens

meine eine Übereinstimmung, die man mit anderen Menschen gewonnen habe,

konform dagegen gehe man mit vorgeformten Programmen, Strukturen und

Normen (vgl. ebd., S. 51 f.). Erste Hinweise auf eine subjektstrukturelle

Konsequenz sich wandelnder Arbeitsanforderungen – spezieller formuliert in

Kap. 4 – formuliert Türk im Folgenden, wenn er fragt, welche „psychisch-

qualifikatorische Form“ eine „Persönlichkeitsstruktur“ annehmen müsse, „um der

sozial-objektifizierten Form von Arbeitsorganisation zu entsprechen“ (vgl. ebd.,

S. 52 f.). Neben den Leistungsansprüchen und -qualifikationen, die an die

Arbeitenden gestellt werden, sind also die Ansprüche sozial-normativer Art, die

sich nicht auf die berufliche Arbeitsqualifikation oder Leistung in rein technischer

Hinsicht beziehen, sondern auf die Akzeptanz, Duldung oder Vertretung

organisationskultureller Werte, Standards, Ziele, Rollen, Verhaltensmuster etc.

gemeint –, also bspw. auf Fügsamkeit, Loyalität und Motivstruktur (vgl. hierzu

speziell Ende Kap. 2.3). Somit werden Voraussetzungen für berufliche

Qualifikationen, man könnte sie ′Meta-Qualifikationen′ nennen, thematisiert (vgl.

ebd.). Der von Etzioni (1967) eingeführte Begriff ′Compliance′ i. S. v.

Fügsamkeit bzw. Willfährigkeit wird von Türk (1995) definiert als „ ... diejenigen

Qualifikationsanforderungen, die an die Person des Arbeitenden gestellt werden,

um den normativen Anforderungen des Sozialsystems entsprechen zu können“

(vgl. Türk 1995, S. 26). Allerdings bleiben diese Anforderungen – man könnte

sie die compliance-bezogenen Anforderungen nennen – nicht auf persönlichen

Gehorsam fokussiert, sondern fordern generelle Fügsamkeit der Subjekte in

Bezug auf die Organisationsnormen sowie einen Wandel von Erfordernissen

persönlicher Treue und Ergebenheit zu abstrakter System- oder

Organisationsloyalität unabhängig von den je herrschenden Personen – womit der

Aspekt der „Versachlichung von Herrschaft“ (vgl. Türk 1984, S. 55) in den

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Mittelpunkt rückt. Um nun zu zeigen, wie die compliance-bezogenen

Arbeitsanforderungen – heute würden in diesem Zusammenhang schnell Begriffe

wie ′Soft Skills′ oder ′Schlüsselqualifikationen′ genannt – in die

Persönlichkeitsstruktur der Subjekte eindringen – internalisiert werden – zitiert

Türk Erich Fromm (vgl. hierzu ausdrücklich Kap. 3.2.2):

„Wenn eine Gesellschaft gut funktionieren soll, müssen sich ihre

Mitglieder einen Charakter aneignen, aus dem heraus sie so handeln

wollen, wie sie aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu dieser Gesellschaft oder

einer besonderen Klasse innerhalb dieser handeln müssen. Sie müssen

genau das zu tun wünschen, was sie notwendigerweise tatsächlich zu tun

haben. Äußerer Druck wird durch inneren Zwang ... ersetzt.“ (Fromm zit.

nach Türk ebd., S. 59; Herv. i. Orig. unterstrichen)

Somit kann festgehalten werden, dass mit dem Verinnerlichen von äußeren

Zwängen – somit der Verlagerung von sozialer Kontrolle in die Subjekte hinein –

eine wesentliche Konsequenz dessen dargestellt ist, dass Konzepte wie bspw. das

des ′subjektivierenden Arbeitshandelns′ als vermeintlich positive, stärker zu

berücksichtigende Faktoren bei der Bewertung neuer Anforderungsprofile

eingefordert werden.

4.2.5 DIE ZUNEHMENDE NORMATIVE SUBJEKTIVIERUNG DER ARBEIT

Baethge (1990) formuliert:

„Die neuere Diskussion ist beherrscht von der Frage, wie weit die Arbeit

noch den Lebenszusammenhang prägt.“ (Baethge 1990, S. 260)

Er geht also der Frage nach, wie weit die Kontinuität des Lebenslaufs noch über

Erwerbsarbeit verbürgt ist (vgl. ebd. und spezieller Kap. 4.2.7). Der Autor ist der

Auffassung, dass es in hochentwickelten Arbeitsgesellschaften zu einer

zunehmenden normativen Subjektivierung des unmittelbaren Arbeitsprozesses

komme: Gemeint ist damit, dass nicht etwa eine gezielte Anpassung der

Organisation von Erwerbsarbeit an die subjektiven Bedürfnisse der Beschäftigten

seitens des betrieblichen Managements stattfindet. Vielmehr geht es darum, dass

die Ansprüche der Beschäftigen selbst, die diese an Erwerbsarbeit haben, von den

Arbeitnehmern zunehmend in die Arbeit eingebracht werden (vgl. ebd., S. 261).

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′Normativ′ soll in diesem Zusammenhang im Sinne der Geltendmachung

persönlicher Ansprüche, Vorstellungen und Forderungen in der Arbeit – im

Gegensatz zu solchen, die sich aus dem funktionalen Interesse des

Arbeitsprozesses speisen – verstanden werden. Als Beispiel führt Baethge den

von mit in Kap. 2.2.2 beschriebenen Typus des Facharbeiters (gemäß

Kern/Schumann) an: Dieser Typus entwickele Stolz und Selbstbewusstsein aus

der Tatsache heraus, einen komplexen Produktionsprozess zu beherrschen. Des

weiteren gelte für die Facharbeiter, dass, wenn sie über ihre Arbeit redeten, sie

ihnen Spaß mache, es sei ihre Arbeit im Sinne selbstverantwortlichen Handelns

und diese diene der Entfaltung eigener Qualifikationen und der

Kompetenzerweiterung. Den Arbeitern sei wichtig, dass sie einen Expertenstatus

erlangt uns sich ′einen Namen′ gemacht hätten und ′keine Nummer′ seien (vgl.

ebd., S. 261).

Beathge macht im Weiteren deutlich, dass sich die Geltendmachung subjektiver

Bedürfnisse in der Arbeit nicht nur auf Facharbeiter beschränke: auch im

Angestellten-Bereich (vgl. Kap. 4.2.5 und 4.2.8) seien derartige Tendenzen

feststellbar. Gerade die Angestellten in den Dienstleistungsberufen, seien

diejenigen, die die guten, in der vorberuflichen Sozialisation angeeigneten

intellektuellen und kommunikativen Fähigkeiten nun in der Arbeit in

kooperativen Vollzügen anwenden wollten, sachlich nicht begründete

Autoritätsverhältnisse ablehnten, die die Arbeit auch als Gelegenheit ansähen,

sich weiterzuentwickeln und ein Gefühl der Kompetenz und Unabhängigkeit zu

gewinnen; zugleich kalkulierten sie sehr genau, wieweit sie sich auf die Arbeit

einließen: sie wollten sich von der Arbeit nicht auffressen lassen, da das Bedürfnis

nach einem befriedigenden Privatleben bestehe (vgl. ebd., S. 263).

Baethge stellt fest:

„Neu ist nicht, daß derartige subjektbezogene Ansprüche an Arbeit

artikuliert werden, bei bestimmten Berufs- und Beschäftigungsgruppen

haben sie immer eine große Rolle gespielt. Neu erscheint mir die Breite

ihrer Streuung, die Offenheit und Selbstverständlichkeit ihrer Artikulation

und die Verbindlichkeit und Hartnäckigkeit, mit der sie individuell sowohl

als Lebensperspektive als auch gegenüber der betrieblichen Arbeitsumwelt

verfolgt werden.“ (ebd.)

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Baethge stellt damit die Beck´sche These aus den 1980-er Jahren

19

in Frage, dass

sich persönliche Identität aus der Berufsrolle herauszulösen beginne und

konstatiert eine entgegengesetzte Dynamik: dass die Berufsrolle eine integrale

Funktion für die persönliche Identitätskonstruktion wie für deren Stabilisierung

gewinnt bzw. weiterhin hat (vgl. ebd.).

Als Ursachen eine zunehmenden Subjektivierung der Arbeit sieht der Autor

folgende drei strukturelle Momente:

• der Strukturwandel der Beschäftigung in seiner doppelten Ausprägung

als Tendenz zu Dienstleistungstätigkeiten und zur zunehmenden

Wissens- und Qualifikationsabhängigkeit moderner Produktions- und

Dienstleistungsarbeit;

• der Wandel der Rationalisierungs- und Organisationskonzepte in der

Arbeit selbst, der auf eine Zurücknahme von rigider Arbeitsteiligkeit

und auf komplexe Tätigkeitszuschnitte zum Inhalt hat;

• schließlich die zunehmende Erwerbsbeteiligung der Frauen (vgl. ebd.,

S. 265).

Die Konsequenzen, die sich aus der zunehmenden normativen Subjektivierung der

Arbeit für die Subjektstrukturen der Beschäftigten ergeben könnten, sei der Autor

erneut wörtlich zitiert:

„Wer nicht vordringlich äußere Reproduktionsaspekte, sondern

persönliche Sinnkriterien an die Arbeit anlegt, wer also die Arbeit auf sich

und nicht sich auf die Arbeit bezieht – in welch prekärer Verkennung der

tatsächlichen Machtverhältnisse diese mentale Subjektsetzung im

Einzelfall auch immer vollzogen werden mag –, der scheut sich nicht

lange, sein Investment und Verhalten in der Arbeit zu überprüfen und zu

revidieren, wenn seine Ansprüche nicht erfüllt werden. Sei es, er sucht sich

einen anderen Arbeitsplatz, sei es, er verlagert sein Aktivitätspotential auf

andere Bereiche (z. B. Freizeit, Weiterbildung, außerbetriebliche

Tätigkeiten) und geht in der Arbeit innerlich auf Tauchstation, wenn die

äußeren Bedingungen einen Betriebswechsel nicht möglich oder zu

kostspielig erscheinen lassen.“ (ebd., S. 264; Herv. i. Orig.)

19

Artikuliert in: Beck, U.: Perspektiven einer kulturellen Evolution der Arbeit, in; MittAB

1/1984, S. 52 - 62.

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Abschließend sei darauf hingewiesen, dass Baethge in Bezug auf die ′Antwort′

der Unternehmen auf die zunehmende normative Subjektivierung der Arbeit der

Auffassung ist, dass sich auch die Ausbreitung der „neuen Produktionskonzepte“

(vgl. Kap. 2.2.2) vermutlich zu einem nicht geringen Anteil als Reaktion auf

Veränderungen im Anspruchs- und Qualifikationsniveau der Arbeitnehmer

begreifen lasse.

4.2.6 NACH DEM BERUF ERODIERT DIE BERUFLICHKEIT

Baethge/Baethge-Kinsky (1998) vertreten die These, dass der Beruf als jene

spezifische Verbindung von (Berufs-)Fachlichkeit und sozialer Orientierung und

Integration, welche die deutsche Tradition der Berufskategorie ausmache,

zunehmend fragwürdig werde und erodiere (vgl. Baethge/Baethge-Kinsky 1998a,

S. 461).

In Anlehnung an Schelsky formulieren die Autoren die ′Berufs′-Definition nicht

als Bündel oder Kombination von erlernten Qualifikationen und erworbenen

Arbeitserfahrungen, sondern als jene komplexe Kategorie sozialer Integration des

Individuums, als welche der Beruf in die deutsche Berufs- und Industriesoziologie

eingegangen sei: als Medium sozialer Verortung, als Raum für wesentliche

Sozialkontakte und zentrale Instanz für „Umweltstabilisierung“ und

„Innenstabilisierung der Person“ über eine spezifische Form qualifizierter

Erwerbsarbeit (Schelsky zit. nach ebd.). Wenn nun unterstellt wird, dass der Beruf

als lebenslanger Orientierungsrahmen für individuelle Erwerbs- sowie soziale

Integrationsperspektiven insbesondere bei den nicht-akademischen Gruppen am

Arbeitsmarkt weitgehend erodiert ist und generell weiter erodieren wird, so muss

das nicht bedeuten, dass gleiches auch für Beruflichkeit als ökonomisches und

soziales Organisationsprinzip gilt: Selbst wenn nachdem die Kontinuität des

Lebenslaufes nicht mehr gegeben ist, bliebt die Beruflichkeit bzw. das

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Berufsprinzip als institutionelle Regulationsform in der Ausbildung, der Betriebs-

und Arbeitsorganisation sowie den sozialen Sicherungssystemen weitgehend

unangetastet (vgl. ebd., S. 462). Es gibt allerdings einige ′Aufweichungen′ (s.

dazu weiter unten).

Welches die (idealtypischen) Stärken einer funktions- bzw. berufsbezogenen

Arbeitsorganisation waren bzw. sind, die das Beruflichkeitsprinzip in weiten

Teilen einer fordistisch-tayloristisch organisierten Industrie – zum Teil bis heute –

hat bestehen lassen, sei im Folgenden überblicksartig aufgeführt:

• auf der Ebene der Unternehmens- bzw. der Betriebsstruktur ein

vergleichsweise stabiles und vertikal hochintegriertes Leistungsprofil;

• eine nach dem Fachabteilungsprinzip konstruierte Aufbauorganisation;

• ein nach berufstypischen Qualifikationen geschnittenes Muster der

Arbeitsteilung;

• ein Kooperationsmuster von Über- und Unterordnung entlang vertikal

gestaffelter Befugnisse (Prinzip „Dienstweg“);

• ein entlang formaler Kompetenzen vertikal hochdifferenziertes Muster

der Statusorganisation;

• ein am „Normalarbeitstag“ ausgerichtetes, relativ starres

Arbeitszeitregime (vgl. ebd., S. 463).

Im Zuge der arbeitsorganisatorischen Reorganisation in den 1990-er Jahren, die

ich im Kapitel 2 ausführlich beschrieben habe, bildeten sich – erneut idealtypische

– Kennzeichen einer prozessorienteirten Gestaltung der Betriebs- und

Arbeitsorganisation heraus:

• ein dynamisches Leistungsprofil mit einer flexiblen Handhabung von

Out- und Insourcingprozessen;

• die Aufgliederung der Unternehmen in multi-funktionale Einheiten

(Dezentralisierung);

• eine kunden- bzw. prozessbezogene Arbeitsteilung;

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• eine querfunktionale Kooperation auf der gleichen Hierarchiestufe

bzw. über Hierarchiestufen hinweg;

• eine partiell dehierarchisierte Statusorganisation mit reduzierten

hierarchischen Stufen und Positionen sowie

• die Flexibilisierung des Arbeitsregimes (z. B. „Gleitzeit“) (vgl. ebd.,

S. 464 f.).

Vor diesem Hintergrund lässt sich die eingangs erwähnte These, dass der Beruf

als jene spezifische Verbindung von (Berufs-)Fachlichkeit und sozialer

Orientierung und Integration sowie gesellschaftlichem Status zunehmend

fragwürdig geworden sei, weiter begründen, allerdings als Paradoxon formuliert:

trotz der Reorganisation sowohl im Produktions- als auch im

Dienstleistungssektor und der damit verbundenen gestiegenen

Qualifikationsanforderungen (vgl. Kap. 2.3 und 4.1), erodieren jene Momente

sozialer Orientierung, Sicherheit und Entwicklungsperspektive, welche die

deutsche Tradition der Berufskategorie ausmachten, da die Kernpunkte der neuen

Arbeitsorganisation Prozessorientierung und Flexibilisierung sind. Denn solange

Berufswechsel tatsächlich im Rahmen von beruflich gegliederten

Beschäftigungsverhältnissen vollzogen wurden, war die Orientierungsfunktion

des Berufs nicht ernsthaft in Gefahr. Der wechselseitige Zusammenhang von

organisationeller und persönlicher Orientierung war in tayloristisch-fordistisch

organisierten – funktionsbezogenen – Arbeitsorganisationen relativ eng. Im

Rahmen prozessorientierter Arbeitsorganisation werden individuelle

Planungskonzepte, die auf Verlässlichkeit und Kontinuität setzen – und das macht

die subjektstrukturelle Konsequenz aus –, sukzessive unterminiert (vgl. ebd., S.

470).

4.2.7 DIE RESTRUKTURIERUNG DES VERHÄLTNISSES ZWISCHEN ARBEIT UND

LEBEN

Voß (1998) interessiert sich vor allem für die Wechselbeziehungen zwischen dem

Wandel der Organisationsbedingungen von Arbeit und dem privaten

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Lebenshintergrund von Erwerbstätigen (vgl. Voß 1998, S. 473). Der Autor betont

seine Forschungsperspektive im Rahmen des Forschungsprojektes zum Wandel

„alltäglicher Lebensführung“ infolge sich ändernder Arbeitsverhältnisse: Es sei

nötig, eine „subjektorientierte“ Perspektive einzunehmen, denn eine solche setze

nicht primär an den technisch-organisatorischen Bedingungen gesellschaftlicher

Arbeit an, sondern folge der Handlungsperspektive der Arbeitenden und beziehe

dabei ihren gesamten Lebensbezug mit ein (vgl. ebd.).

Im Wesentlichen, so Voß´ Argumentation, lasse sich der Wandel

organisatorischer Bedingungen gesellschaftlicher Arbeit als „Flexibilisierung“

bezeichnen, denn ganz gleich, ob es um Deregulierung von Arbeits- und

Beschäftigungsverhältnissen auf gesellschaftlicher Ebene (vgl. Kap. 2.2.13) gehe,

um Outsourcing-Strategien (vgl. Kap. 2.2.6), Profit-Center-Konzepte (vgl. Kap.

2.2.6) oder um die Nutzung von Gruppenkonzepten, Projektarbeitsformen und

entstandardisierten Arbeitszeiten (vgl. Kap. 2.2.13), Ziel sei es stets, etablierte

Strukturen aufzubrechen und mehr oder weniger dauerhaft zu dynamisieren und

zu verflüssigen (vgl. ebd., S. 474). In diesem Zusammenhang wird oft der Begriff

„Entgrenzung“ (vgl. auch Kap. 4.2.9) als Charakteristikum einer zentralen

Qualität des aktuellen sozioökonomischen Wandels gebraucht. Voß führt pointiert

aus, dass „Entgrenzung“ sich zumeist bisher auf drei Konfigurationen bezogen

habe: erstens auf das Durchlässigwerden von nationalen Sozial- und

Ökonomiegrenzen (Stichwort: Globalisierung – vgl. Kap. 2.2.9), zweitens auf die

verstärkte Dynamik betriebsorganisatorischer Grenzen (Stichworte:

Dezentralisierung und Outsourcing – vgl. Kap. 2.2.6). Wichtig sei allerdings, dass

„Entgrenzung“ wesentlich umfassender als leitende Tendenz der derzeitigen

Veränderung der Arbeitsverhältnisse insgesamt verstanden werden müsse, die alle

sozialen Ebenen der Verfassung von Arbeit betreffe: übernationale und

gesamtgesellschaftliche Strukturen, die Betriebsorganisation nach außen und

innen, Arbeitsplatzstrukturen und das unmittelbare Arbeitshandeln sowie

schließlich insbesondere auch die Arbeitssubjekte, d. h. ihre

Persönlichkeitseigenschaften (v. a. die Qualifikationen) sowie ihre

Lebensverhältnisse (vgl. ebd.). Auf die Entgrenzungen, die sich auf das direkte

Arbeitshandeln beziehen, wurde bereits in Kap. 2.3 eingegangen. Welche

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Konsequenzen sich nun aus der Entgrenzung zwischen ′Arbeit′ und ′Leben′ für

den gesamten Lebenshintergrund der Arbeitenden ergeben, sei mit Hilfe folgender

Punkte, von Voß als „Sozialdimensionen“ bezeichnet, dargestellt (vgl. hierzu

ebd., S. 479):

• Zeit

Arbeit zu wechselnden Zeiten, exzessive Gleitzeit, regelmäßige

informelle Mehrarbeit, Zeitkonten, Arbeit nach Abruf etc. erzeugen

Verwischungen und immer wieder neu zu definierende Abgrenzungen

zwischen Erwerbstätigkeit und anderen Lebenssphären;

• Raum

Teleheimarbeiter, Home-Offices, Nachbarschaftsbüros, kontinuierliche

Mobil- und Außendienstarbeit, häufig wechselnde Einsatzorte bei

Projektarbeit, virtuelle Unternehmensstrukturen, Scheinselbständigkeit

etc. lösen eine Bindung an feste Arbeitsorte auf und verwischen dabei

auch die lokalen Grenzen zur Nicht-Arbeit;

• Hilfsmittel/Technik

Zunehmend private Hilfsmittel (z. B. KFZ, EDV- und

Kommunikationssysteme) und Einrichtungen (Mobiliar, Räume)

werden aufgrund raum-zeitlicher Entgrenzung von Arbeit für die

Erwerbstätigkeit genutzt, aber auch dienstlich gestellte Mittel gelangen

in den Bereich der privaten Nutzung;

• Arbeitsinhalt/Qualifikation

Die Grenzen zu anderen Tätigkeiten und Lebenssphären werden auch

sachlich verwischt: Aktivitäten mit unklarem inhaltlichen Status wie

Arbeitswege und Reisen, Geschäftsessen, private Kontakte zu

Kollegen und Geschäftspartnern, Vor- und Nachbereitungen von

Tätigkeiten etc. nehmen einen immer größeren Raum ein;

• Sozialorganisation

Diffuse Sozialformen und -normen zwischen Arbeit und Privatleben

(z. B. bei dienstlichen Sozialevents, der Aufwertung persönlicher

Kontakte in der Arbeit, bei der Nutzung privater Beziehungen für

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berufliche Zwecke, bei der Kontaktpflege) nehmen aufgrund stark auf

Selbstorganisation beruhender Arbeitsformen (Gruppen- und

Teamarbeit, Projektorganisation, virtuelle Betriebsstrukturen,

Heimarbeit etc.) an Bedeutung zu;

• Sinn/Motivation

Arbeits- und Lebensmotivationen durchmischen sich: zum

Einkommens- und Karrieremotiv kommt wesentlich stärker als in eng

strukturierten Arbeitsformen eine ganze Reihe möglicher individueller

Zielsetzungen und sinnhafter Identifikationen hinzu (Sozialkontakte,

fachliche Faszination und Begeisterung, soziale und sogar politische

Ziele, gewachsene Loyalitäten und soziale Bindungen, emotionale

Bindungen an eine Unternehmenskultur usw.).

Welche Muster der Lebensführung sich für die Subjekte aus diesen

Entgrenzungen ergeben, fassen Moldaschl/Voß (2002) prägnant zusammen:

„Auf der einen Seite kommt es zu Mustern der Lebensführung, die

wesentlich stärker und systematischer als früher aktiv zweckrational

durchorganisiert werden müssen („strategische Lebensführung“), so daß

man davon sprechen kann, daß solche Alltage die Form von

durchorganisierten „Betrieben“ bekommen. Auf der anderen Seite kann es

aber auch dazu kommen, daß Gruppen von Betroffenen neuartige Muster

flexibler und dynamischer Alltage („situative Lebensführung“) entwickeln,

mit denen sie versuchen, die Anforderungen hoch kontingenter und

unsicherer Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisse zu bewältigen.“

(Moldaschl/Voß 2002, S. 70).

20

4.2.8 NEUE IDENTITÄTEN VON ARBEITERN, ANGESTELLTEN UND MANAGERN

Der Grundkonflikt des Kapitalismus zwischen Arbeit und Kapital, so formuliert

Deutschmann (2002) habe es notwendig gemacht, sich der aus der

Ständegesellschaft überlieferten sozialen Institutionen und Identitäten zu

20

Bröckling bemerkt zum Aspekt der Unsicherheit: „Ungewissheit erscheint nicht mehr

ausschließlich als Bedrohung, die mittels rationaler Planung, minutiöser Reglementierung und

um- fassender Kontrolle des Verhaltens auszuschalten ist, sondern als Freiheitsspielraum und

damit als Ressource, die es zu erschließen gilt.“ (Bröckling 2000, S. 133). Somit sei eine

konsequente Übertragung des Marktmodells auf alle sozialen Beziehungen angedeutet (vgl.

ebd.).

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bedienen. Zunächst treten Betrachtern nicht einfache Unterscheidungen zwischen

Kapitalisten und Lohnarbeitern entgegen, vielmehr zeigt sich ein differenzierteres

Bild: Auf der einen Seite befindet sich der Fabrikherr, auf der anderen Seite

manifestiert sich eine nach der Nähe zum Fabrikherren gegliederte Hierarchie von

abhängig Beschäftigten: Privatbeamte, Meister, gelernte Arbeiter, ungelernte

Arbeiter, Heimarbeiter, Tagelöhner. Heue lassen sich diese Differenzierungen

noch an Einteilungen wie „white collar“ und „blue collar“ (z. B. in den USA) –

gewandelt – wiederfinden (vgl. Deutschmann 2002, S. 199). Deutschmann zeigt

anhand einer historischen Rekonstruktion auf, wie sich ständische Muster in

Deutschland seit Mitte des 19. Jahrhunderts in die Arbeitshabitus sowohl der

Arbeiter als auch der Unternehmerschaft hineinverlagerten: So rekrutierte bspw.

die Druck- und Maschinenindustrie ihre Arbeiterschaft hauptsächlich aus dem

Handwerk, so dass die Arbeiter mit ihrem Übertritt in die Fabrik das ihnen

vertraute Arbeitsmilieu mitbrachten. Damit wurden auch die traditionellen

Formen der Qualifizierung, Arbeitsorganisation und Leistungskontrolle zunächst

reproduziert (vgl. ebd., S. 200). Auch die Unternehmerschaft wurde geprägt durch

die Identifizierung des deutschen Bürgertums mit der Tradition des Adels: Sie

waren an feudale und zünftige Autorität gewöhnt (vgl. ebd., S. 202). Diese

jeweiligen neuen Identitätsmodi bei

Arbeitern, Angestellten und Managern bildeten sich wir folgt dargestellt heraus

uns bleiben bis heute in Bezug auf ihre subjektstrukturelle Prägefunktion relevant.

ARBEITER

Mit der Verbreitung neuer Produktions- und Organisationskonzepte, so folgert

Deutschmann, erodiert nun die Klassenidentität der Arbeiterschaft: Der männliche

Facharbeiter hat zwar eine deutliche Verbesserung seines Status und seiner

Dispositionsspielräume erfahren (vgl. Kap. 2.2.2), aber diese Vorteile werden

erkauft mit erhöhtem Leistungsdruck und verringerten Aufstiegschancen. Die

hauptsächlich von Beck formulierte Individualisierungsthese kann, ohne explizit

auf das Arbeiterbewusstsein als Identitäts-Komponente eingegangen zu sein, als

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Ausdruck einer gewandelten Arbeiteridentität gedeutet werden: die allgemeine

Tendenz zur Freisetzung der Individuen aus lokalen und ständischen Bindungen,

die Erosion von Klassenstrukturen, die Pluralisierung von Lebensverläufen, die

dem Individuum ein früher nicht gekanntes Maß von Selbstverantwortung für das

eigene Schicksal zuweist, eröffnet den Arbeitern nicht nur neue

Mobilitätschancen, sondern beinhaltet auch Risiken des sozialen Abstiegs. Wenn

Identität sich zu einem nicht unwesentlichen Anteil auch aus dem Vergleich mit

anderen ergibt, so bleibt festzuhalten: Arbeiter sind auch heute noch hinsichtlich

Bildung, Einkommen, sozialer Sicherheit, materieller Lebensqualität deutlich

benachteiligt (vgl. ebd., S. 218).

ANGESTELLTE

Forschungen in Deutschland untersuchten z. B. die Auswirkungen technisch-

organisatorischer Rationalisierung auf Arbeitssituation,

Beschäftigungsperspektive, Qualifikationsanforderungen sowie Aus- und

Weiterbildung kaufmännischer Angestellter (z. B. Baethge/Oberbeck 1986: „Die

Zukunft der Angestellten“). Die beiden Autoren, so betont Deutschmann, hätten

einen Trend zur Abspaltung der innerbetrieblichen Administrationsfunktionen von

den marktbezogenen Funktionsbereichen sowie eine fachübergreifende Steigerung

der Komplexität und zugleich Verdichtung der Arbeit festgestellt. Dies führe aber

nur bei den EDV-Arbeiten zu einer „Taylorisierung geistiger Arbeit“, insofern

der EDV-Einsatz hier zu einer konsequenten Technisierung von Abwicklungs-,

Prüf- und Dokumentationsaufgaben führe (vgl. ebd., S. 229). So kann in Bezug

auf den veränderten – identitätsbegründeten – Arbeitshabitus von Angestellten mit

Beginn des Einsatzes neuer Produktionskonzepte ein zunehmender Trend zur

Verinnerlichung und zugleich Anonymisierung betrieblicher Herrschaft

festgestellt werden.

In den 1990-er Jahren kann durch Prozesse der Dezentralisierung und

Vermarktlichung (vgl. Kap. 2.2.6 ) eine Fortsetzung dieser „indirekten“

Herrschaftsformen konstatiert werden: In Zeiten des „Arbeitskraftunternehmers“

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(vgl. Kap. 2.3 und 5.3), der Selbstzweifel und Angstgefühle durch konsequentes

„Selbstmangement“ überwindet, werden negative Aspekte, z. B. der scheinhafte

Charakter der individualisierenden, Konkurrenz statt Kooperation stimulierenden

Charakter der Leistungsbewertungssysteme, ausgeblendet, so dass sich in Bezug

auf die Identitäten von Angestellten – manifestiert in Status, Qualifikation,

betriebliche Position, erwartetem und praktiziertem Arbeitshabitus – auch heute

noch ein hoch differenziertes Bild darstellt (vgl. ebd., S. 230 f.).

MANAGER

Manager heben sich aus der Schicht der Angestellten dadurch heraus, dass sie

dispositive Vollmachten besitzen und einen entsprechend gehobenen Status

beanspruchen (vgl. ebd., S. 232). Da sich in den deutschen Unternehmen eine

stark bürokratisierte, andererseits aber auch durch berufliche Elemente geprägte

Struktur der Unternehmensführung herausgebildet hatte, gehörte der interne

Aufstieg in Unternehmen bis in die 1970-er Jahre zum festen Bild von

Managerkarrieren; die Manager konnten aufgrund dessen eine ausgeprägte

Identifikation mit dem Unternehmen entwickeln. Seit den 1990-er Jahren scheint

das gesamte Managementgefüge einer Umwälzung zu unterliegen: Die

Einführung von Gruppenarbeit (vgl. Kap. 2.2.8), Outsourcingprozesse (vgl. Kap.

2.2.6) oder überhaupt prozess- anstatt funktionsbezogene Arbeitsorganisationen

machten zahlreiche Führungspositionen überflüssig. Auch die zunehmende

„Shareholder-Value-Orientierung“ (vgl. Kap. 2.2.12) wird seit Mitte der 1990-er

Jahre vorangetrieben: Unternehmensentscheidungen werden unter das Primat der

Erzielung eines möglichst hohen Börsenwerts gestellt (vgl. ebd., S. 239). Die

Cost- und Profit-Center-Bildung und Dezentralisierung der Organisation (vgl.

Kap. 2.2.6) dient auch den Kontrollinteressen der Eigentümer; das Management

als Herrschaftsträger wird zwar nicht völlig demontiert, allerdings lässt sich

festhalten, dass durch derartige Maßnahmen seine bisherige soziale Homogenität

und seine bis weit in das mittlere Management hinein relativ geschlossene

kollektive Identität erodiert. Deutschmann prognostiziert abschließend, dass die

Macht und der Reichtum der Spitzenmanager noch wachsen werde, sich aber die

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Lage vieler mittlerer und unterer Führungskräfte ungeachtet ihrer nach wie vor

überdurchschnittlichen Bezahlung der normaler Arbeitnehmer annähere; vielleicht

lasse sich bald am unteren Ende der sozialen Skala eine „Schar“ von Managern

beobachten, die „frustriert, gedemütigt, abgehalftert oder schon arbeitslos“ seien

(vgl. ebd., S. 240).

4.2.9 AMBIVALENZEN POSTMODERNER IDENTITÄT IM RAHMEN ALLTÄGLICHER

IDENTITÄTSARBEIT

Wenn Identität als eine Antwort auf die Frage „Wer bin ich?“ und somit als eine

Fähigkeit der Subjekte eines ,Zu-Sich-Selbst-Verhalten-Könnens′ gelten kann, so

scheint es geboten, im Rahmen der Fragestellung dieser Arbeit zu untersuchen,

wie sich Identitätskonzepte – als ein Basiselement der Subjektstruktur – aufgrund

der Erosion der strukturellen Verortung von Erwerbsarbeit verändern. Keupp

(2000) ist der Auffassung, dass Hineinwachsen in diese Gesellschaft bis in die

Gegenwart hinein bedeute, sich in einem vorgegebenen „Identitätsgehäuse“ der

Moderne einzurichten – dieses Gehäuse sei geprägt durch Begriffe, die

Biographie und Identität, wenn sie als geglückt betrachtet werden sollten, als

etwas Stabiles, Dauerhaftes und Unverrückbares darstellten (vgl. Keupp 2000, S.

5) – so könnte man Identität als das ständige ′Sich-Selbst-Gleich-Bleiben′, als

einen „subjektiven Konstruktionsprozess“ (Keupp et al. 1999, S. 7) bezeichnen,

„in dem Individuen eine Passung von innerer und äußerer Welt suchen“ (ebd.).

Keupps zentrale These ist nun, dass dieses moderne Identitätsgehäuse seine

Passformen für unsere Lebensbewältigung zunehmend verliere. Viele Menschen

erlebten dies als Verlust, als „Unbehaustheit“, als Unübersichtlichkeit, als

Orientierungslosigkeit und Diffusität. Daraus resultiere der Wunsch vieler

Menschen nach Klarheit, Überschaubarkeit und Einfachheit. So ist es Keupp

wichtig, darauf hinzuweisen, dass sich mit der Erosion rigider Identitätsformen

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auch Entfaltungsmöglichkeiten für Lebenssouveränität eröffnen, sich allerdings

auch neue Rigiditäten und Identitätszwänge ergeben: „Die Befreiung von

Zwängen und die Einrichtung neuer Abhängigkeiten greifen ineinander,

vermischen sich zu einem Selbstzwang zur Standardisierung der eignen Existenz“

(Beck/Beck-Gernsheim zit. nach Keupp 1994a). In den sozialwissenschaftlichen

Diskursen wird bei dem Versuch, diese Ambivalenzsituation der Subjekte –

zwischen Enttraditionalisierung, Entgrenzung, Pluralisierung einerseits und neuen

Identitätszwängen andererseits – einer Gesellschaftsformation ′zuzuordnen′21

,

häufig die Gesellschaftsformation ′Postmoderne′ benannt. Das, was Postmoderne

ausmacht, kennzeichnet ein Zitat von Eagleton:

„Wir befinden uns in einem Prozeß des Erwachens aus dem Alptraum

der Moderne mit ihrer manipulativen Vernunft und ihrem Fetisch der

Totalität – des Erwachens aus der Moderne in den lässigen

Pluralismus der Postmoderne, jenes heterogene Sortiment von Lebens-

Stilen und Sprachspielen, das auf den nostalgischen Drang verzichtet,

zu totalisieren und sich selbst zu legitimieren.“ (Eagleton zit. nach

Keupp ebd., S. 233; Herv. nicht i. Orig.)

Wird vor allem in philosophischen Diskursen die Postmoderne mit Etiketten wie

′Das Ende der Eindeutigkeiten′ oder ′Das Ende der Meta-Erzählungen′ für

sozialwissenschaftliche Verhältnisse eher vage umschrieben, lenkt Keupp seinen

Blick auf die Erfahrungen der Subjekte in postmodernen Zeiten – soweit hier die

Komponente der Erfahrung als identitätskonstituierend verstanden werden kann,

erscheint es plausibel, zunächst die Alltagserfahrungen der Subjekte näher zu

beschreiben. Keupp (2000) thematisiert zehn Erfahrungskomplexe:

1. Subjekte fühlen sich „entbettet“:

In Anlehnung an den ′Entbettungs′-Begriff von Giddens (1988) sind

hiermit Erfahrungskomplexe der Individuen gemeint, innerhalb derer

die individuelle Lebensführung eben nicht in einen stabilen kulturellen

21

Im Unterschied zu einem sozialtheoretischen Ausgangspunkt, der die Sozialität der Subjekte

im allgemeinen analysiert, ist die Fragestellung nach der ′Zuordnung′ eher eine

gesellschaftstheoretische – wenn Übereinstimmung darüber besteht, dass Gesellschaftstheorie

stets die Besonderheiten einer bestimmten historischen Gesellschaftsformation in den Fokus

des Interesses rückt: in diesem konkreten Fall die historische Gesellschaftsformation der so

genannten „Postmoderne“ (vgl. auch zum Unterschied zwischen Sozial- und

Gesellschaftstheorie Ortmann et al. 1997, S. 33 f.).

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Rahmen von verlässlichen Traditionen, Sicherheit und Klarheit

′eingebettet′ ist. ′Entbettung′ bedeutet eine Art „ontologische

Bodenlosigkeit“ und somit den Zwang für die Subjekte, nach eigenen

Lösungswegen zu suchen (vgl. Keupp 2000, S. 6).

2. Entgrenzung individueller und kollektiver Lebensmuster:

Die Schnittmuster, nach denen Menschen sich biographisch entwerfen,

haben ihre Prägekraft verloren. Die Tugend des klugen Arrangements

verliert in einer „multioptionalen Gesellschaft“ (ebd.) an

Normalitätswert. Es fällt den Subjekten zunehmend schwerer, sich auf

Brüche und Diskontinuitäten einzustellen. Selbstverständliche

moralische Werte erodieren. Die Figurationen unserer Alltagswelten

werden dadurch entgrenzt, d. h. sie verlieren ihre bisherigen stabilen

Rahmungen.

3. Erwerbsarbeit wird als Basis von Identität brüchig:

Die psychologischen Folgen (Unsicherheit, Ohnmacht, Kokurrenz- und

Zukunftsangst), die sich aus einer ebenfalls ′entbetteten′ Verankerung

in die Institution Erwerbsarbeit ergeben, haben Auswirkungen auf

Ansehen, Anerkennung, Zukunftssicherung und somit auf die

persönliche Identität. So bleibt zu fragen: Wie könnten soziale

Einbindungen aussehen, in denen soziale Anerkennung erfahren

werden kann, die nicht durch den beruflichen Status vermittelt ist (vgl.

ebd., S. 7)?

4. „Multiphrene Situation“ wird zur Normalerfahrung:

Die wachsende Komplexität von Lebensverhältnissen führt zu einer

Fülle von Erlebnis- und Erfahrungsbezügen, die nicht mehr unbedingt

ein Gesamtbild ergeben, vielfältige Spaltungs- und

Zerrissenheitsgefühle kommen auf – eine „multiphrene Situation“

(ebd.) – entsteht.

5. „Virtuelle Welten“ als neue Realitäten:

Die Subjekte erfahren Zweifel an dem Realitätsprinzip durch den

Entstehung von „virtuellen Welten“ (ebd.), die sich durch die

weltweite Vernetzung computergebundener Kommunikationswege

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ergeben – es kann soweit gehen, dass viele Wirklichkeiten

wahrgenommen werden, die miteinander konkurrieren, nebeneinander

existieren und sich miteinander auf komplexe Art durchdringen (vgl.

ebd.).

6. Zeitgefühl erfährt „Gegenwartsschrumpfung“:

Das Zeitempfinden der Subjekte, d. h. die subjektiven Bezüge zu

Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, verändert sich – bis hin zur

„Gegenwartsschrumpfung“ (ebd.) dramatisch, die

Veralterungsgeschwindigkeit des Wissens nimmt in dynamischen

Zivilisationen – die nun mal zu einem erheblichen Teil auf

Wissensaneignung und -gebrauch basieren – erheblich zu.

7. Pluralisierung von Lebensformen:

Das moderne Subjekt kann nicht nur, es muss unter modernen

pluralisierten Bedingungen sogar entscheiden. Da es immer weniger

Selbstverständlichkeiten gibt, kann der Einzelne nicht mehr auf fest

etablierte Verhaltens- und Denkmuster zurückgreifen, sondern muss

sich für eine Möglichkeit entscheiden.

8. Erhebliche Veränderung der Geschlechterrollen:

Durch veränderte Geschlechterrollen entstehen neue Arrangements von

Arbeitsteilung, Kindererziehung und Sexualität. Traditionelle Männer-

und Frauenbilder bzw. -identitäten geraten in Bewegung.

9. Individualisierung verändert das Verhältnis vom einzelnen zur

Gesellschaft.

Das, was den gesellschaftlichen Zusammenhalt in der Moderne bisher

ausmachte, waren Strukturen, die auf Zwang, Tradition, Ab- und

Ausgrenzung basierten sowie religiöse Bindungen. All diese

Mechanismen verlieren an Bindekraft, Verbindlichkeit und

Überzeugungskraft. Die Solidargemeinschaft wird durch eine

individualisierte „Ego-Gesellschaft“ durchsetzt (vgl. ebd., S. 8).

10. Individualisierte Formen der Sinnsuche:

Die traditionellen Instanzen der Sinnvermittlung verlieren an

Bedeutung, Weltanschauungen verlieren an Prägekraft, denn die

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Erfahrungsvielfalt und der Pluralismus von Deutungen können nicht

mehr zu einem Bild zusammengefügt werden bzw. nicht mehr ′auf

einen Nenner gebracht werden′. Der Einzelne ist der Konstrukteur

seines eigenen Sinnsystems (vgl. ebd., S. 9).

Krömmelbein (1996) merkt zum Identitätskonzept an, dass Identität über Krisen

hinweg die individuelle Handlungsfähigkeit auf Basis interaktiv erworbenen

biographischen Wissens erhalte (vgl. Krömmelbein 1996, S. 10). Identität wird als

Resultat der Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Institutionen verstanden,

die in ihrem kulturellen und sozialen Kontext subjektiv erfahren (s. o.),

interpretiert und in ein umfassendes Selbst- und Lebenskonzept übersetzt werden.

Nicht selten kann die Auseinandersetzung zwischen den äußeren Anforderungen

und den individuellen Vorstellungen über das eigene Leben und die eigene

Persönlichkeit zu Identitätskonflikten oder auch zum Zerbrechen bisheriger

Identitäten führen. Und: Das Selbstbewusstsein des Subjekts, also das

Bewusstsein über seine Identität, ist immer an eine Anerkennung, d. h. eine

Interaktion mit einem Publikum, gebunden. Paradoxerweise bildet sich also die

Autonomie der Akteure nur im Rahmen des kommunikativen Handelns mit

anderen heraus. Ich-Identität kommt erst zum Vorschein, wenn das Subjekt mit

seinen Wünschen, Ansprüchen, Dienstleistungen und Erzählungen usw. von

einem Auditorium anerkannt wird (vgl. Hettlage 1997, S. 7).

Wie nun angesichts der oben beschriebenen – wenn auch zunehmend

pluralisierten – Erfahrungskomplexe der alltägliche Herstellungsprozess von

Identität als ein offener Prozess konzeptualisiert werden kann, den die Subjekte

erleben aber auch steuern, und wie damit der Frage nachgegangen werden kann,

welche „Spuren bzw. Strukturen die Interaktionsprozesse mit seiner [der des

Subjekts] Umwelt“ (Keupp et al. 1999, S. 189) identitätsbezogen in den Subjekten

hinterlassen, soll im Folgenden nachgegangen werden.

Der erste und zentrale Schritt der Subjekte im Herstellungsprozess von Identität

ist ein Verknüpfungs- und Differenzierungsschritt, der dem Subjekt hilft, sich im

Strom der eigenen Erfahrungen – wie gesagt: seien sie multipel, fragmentiert,

diskontinuierlich und widersprüchlich –, selbst zu begreifen. Dabei ordnet das

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Subjekt sein Selbsterfahrungen zum einen einer zeitlichen Perspektive unter

(verknüpft Vergangenes mit Gegenwärtigem und Zukünftigem). Zum zweiten

verknüpft es die Selbsterfahrungen unter bestimmten lebensweltlichen

Gesichtspunkten (Erfahrungen von einem selbst als Lebenspartner, als

Berufstätiger, als Sportler, etc.). Drittens stellt das Subjekt Verknüpfungen auf der

Ebene von Ähnlichkeit und Unterschiedlichkeit her, also zwischen

Selbsterfahrungen, die bereits vorhandenen widersprechen, oder solchen, die

′einfach neu′ sind (vgl. ebd., S. 190). In diesem Zusammenhang scheint eine

interessante Frage zu sein: Wie verknüpft das Subjekt widersprüchliche

Erfahrungen?

Der zweite Schritt geht von der Prämisse aus, dass Identität als Passungsprozess

an der Schnittstelle von Innen und Außen entsteht: Wie also transferiert ein

Subjekt die in seiner Person und seiner Umwelt vorhandenen Ressourcen in

subjektive Identitätsprozesse? Und: In welcher Form verhandelt das Subjekt seine

Identität mit anderen und damit auch mit sich selbst (vgl. ebd., S. 191)?

Bei der Versuch, Antworten auf diese Fragen im Rahmen der Fragestellung dieser

Arbeit zu geben, besteht die Schwierigkeit „der Bestimmung des Verhältnisses

von objektiven Einflüssen der institutionell gewandelten Erwerbsarbeit und der

biographisch geronnen Identität eines Menschen“ (Krömmelbein ebd., S. 81). Die

Schlussfolgerungen Sennetts (1998), die er in „Der flexible Mensch“ gezogen

hat, können hilfreich sein: Sennett – so kann analog zu Baethge (1999)

zusammengefasst werden – weist darauf hin, dass sich der Inhalt von Subjektivität

selbst im flexiblen Kapitalismus wandelt und ein neuer individualisierter

Sozialcharakter im Entstehen begriffen ist, der immer weniger Loyalitäten zu

Organisationen/Betrieben entwickeln kann und dessen soziale und letztendlich

auch persönliche Identität immer brüchiger wird (vgl. Baethge 1999, S. 41). Der

Gewinn an Selbständigkeit, an Dispositionsspielraum gegenüber Zeit und Raum

wird danach mit erhöhter innerer Unsicherheit und Diskontinuität in den sozialen

Beziehungen erkauft. Kurzfristigkeit und Wechselhaftigkeit (Beschleunigung)

von Arbeitsverhältnissen führen zum Verlust länger dauernder Freundschafts-

oder Nachbarschaftsbeziehungen. Die Herrschaft des short-terminism greift von

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der Erwerbssphäre in das Privat- und Familienleben über. In beiden ist die

Maxime „nichts Langfristiges“ ein verhängnisvolles Rezept für die Entwicklung

von Vertrauen, Loyalität und gegenseitiger Verpflichtung. Am Beispiel eines

erfolgreichen Consultant- und Managerpaares demonstriert Sennett, wie gerade

jene Verhaltensweisen, die ihren beruflichen Erfolg ausmachen, sie im

Privatleben belasten und ihre Identität und die Beziehung zu ihren Kindern zu

zerstören drohen (vgl. ebd.). Sennett hierzu:

„Vielleicht ist die Zerstörung des Charakters eine unvermeidliche Folge.

′Nichts Langfristiges′ desorientiert auf lange Sicht jedes Handeln, löst die

Bindungen von Vertrauen und Verpflichtung und untergräbt die

wichtigsten Elemente der Selbstachtung.“ (Sennett 1998, S. 38)

Das nächste Kapitel soll noch einmal die Merkmale sich gewandelter

Subjektstrukturen zusammenfassen.

4.2.10 ZUSAMMENFASSUNG

Veränderte Subjektstrukturen als sich wiederholende Verarbeitungs- und

Interpretationsmuster bilden sich nicht nur direkt im Zuge sich wandelnder

Arbeitsanforderungen (Kap. 4.1) aus, sondern wie dargestellt auch darüber

hinaus. Hier noch einmal zusammengefasst die zentralen Erkenntnisse22

:

• Ein neuer Transformationsmodus zeichnet sich ab: Beschäftigte müssen

fertig werden mit der Tatsache, dass Organisationskultur-Programme auf

eine umfassende Indienstnahme ihrer Subjektivität vermittels

Homogenisierung ihres Denkens und Handeln zielen.

• Beschäftigte versuchen zunehmend, ihre Ansprüche, die sie an die

Erwerbsarbeit haben, in den Arbeitsprozess einzubringen: es erfolgt eine

zunehmende ′normative Subjektivierung′ der Arbeit. ′Normativ′ soll in

diesem Zusammenhang im Sinne der Geltendmachung persönlicher

22

Eine Anmerkung zur Formulierung: Ich versuche eine integrative Formulierung, d. h.: im Rah-

men der Beschreibung der veränderten Subjektstrukturen aufgrund der Re-Organisation von

Erwerbsarbeit wird stets versucht, den Kern der Veränderung so zu formulieren, dass das

′Neue′ Bezug nimmt zum ′Alten′. Dies geschieht deshalb, um nicht eine lineare ′Vorher-

Nachher-Aufzählung′ zu präsentieren.

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Ansprüche, Vorstellungen und Forderungen in der Arbeit – im Gegensatz

zu solchen, die sich aus dem funktionalen Interesse des Arbeitsprozesses

speisen – verstanden werden.

• Im praktischen Arbeitsprozess gibt es mehrere soziale

Handlungsrationalitäten: Arbeitende können prinzipiell kein vollständiges

Wissen in ihrem Handlungsfeld erlangen und vermögen nur eine begrenzte

Zahl von Schritten vorauszuplanen. Je weiter sie planen, desto mehr

nehmen die ′unintendierten Folgen absichtsvollen Handelns′ zu – deshalb

wird den Subjekten zunehmend eine rekursive Planung abverlangt, d. h.

eine solche, die unerwartete Rückwirkungen mit einplant.

• Die Subjekte realisieren zunehmend, dass sie zwar ihre Bedürfnisse in den

Rationalisierungsprozess einbringen können, aber auch gleichzeitig, dass

ihre kreativen Potentiale des Arbeitsvermögens sich vermehrt auf ihre

eigene Rationalisierung richten.

• Freiheit und Zwang ergeben sich für jedes Individuum aus dem

gesellschaftlichen Kontext: Autonomie wird von den Arbeitenden sowohl

innerhalb der Handlungsanforderungen als auch innerhalb der

Handlungsmöglichkeiten erlebt – diese Widersprüchlichkeit wird zur

Regelmäßigkeit in Form einer zweigeteilten Struktur.

• Das Spannungsverhältnis von Fremdbestimmung und gewähltem

Handlungsspielraum führt zu psychischen Belastungen bei den Subjekten

(z. B. ständig etwas zu tun müssen, was man ′eigentlich′ nicht tun kann

oder darf).

• Selbst wenn man dem subjektivierenden Arbeitshandeln, also dem

Einbringen so genannter subjektiver Faktoren wie Gefühl, Empfinden und

Erleben, in gleicher Weise wie objektivierendes Handeln eine kognitive

und strategische Kompetenz zubilligt, muss man konstatieren, dass die

„Persönlichkeitsstruktur“ (Türk) von Individuen eine psychisch-

qualifikatorische Form annehmen muss, innerhalb derer abstrakte

Fügsamkeit und Willfährigkeit als so genannte „compliance-bezogene“

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Qualifikationen gefordert sind und die neben den offiziellen – so könnte

man formulieren – die informellen Qualifikationen darstellen.

• Das zunehmende Einbringen von persönlichen Sinnkriterien in die Arbeit,

also das Auf-Sich-Beziehen anstelle des Auf-die-Arbeit-Beziehen, bewirkt

in den Subjekten auch ein Evalutations- bzw. Selbstkontroll-Verhalten,

was bedeutet, dass Arbeitende ihr Verhalten in der Arbeit überprüfen und

ggfs. revidieren.

• Die Berufskategorie, die die Individuen jahrzehntelang als Medium

sozialer Verortung diente und als spezifische Verbindung von

Berufsfachlichkeit und sozialer Orientierung und Integration bezeichnet

werden konnte, erodiert; das muss nicht heißen, dass – obwohl

Lebensorientierungen und -verläufe an Diskontinuität zunehmen –,

Beruflichkeit als soziales und ökonomisches Organisationsprinzip –

sozusagen als Ausdruck funktionaler Differenzierung – für die Subjekte

keine Rolle mehr spiele. Es erfolgt aber eine Aufweichung, die sich nicht

zuletzt an der Zunahme so genannter ′atypischer′

Beschäftigungsverhältnisse (vgl. Kap. 2.2.13) ablesen lässt.

• In Bezug auf Zeit (Gleitzeit, wechselnde Arbeitszeiten), Raum (Telearbeit,

wechselnde Arbeitsorte, Dezentralisierung, Projektarbeit), technische

Hilfsmittel (Nutzung von Privat-Mobiliar), und Arbeitsinhalt (Trennung

zwischen Geschäftlichem und Privatem) finden Entgrenzungen statt, die

von den Individuen bewältigt werden müssen. Oft führen diese

Entgrenzung dazu, dass sich Arbeits- und Lebensmotivationen

durchmischen, vielleicht sogar verwischen und somit Möglichkeiten der

sinnhaften Identifikation und sozialen Bindung erschwert – u. U. sogar

nicht identifizierbar – werden. Auch die ′Alltage′ der Subjekte werden

′durchorganisiert′, strategische Lebensführung wird normal. Allerdings

ergeben sich auch situative (i. S. v. kontingenten) Charakter-Muster, die in

der Lage sind, sich auf Diskontinuität und Durchmischung einzustellen.

• Arbeiter haben durch die Einführung neuer Produktions- und

Organisationskonzepte eine deutliche Verbesserung ihres Status und ihrer

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Dispositionsspielräume erfahren, so dass von einer starken Erosion ihrer

Klassenidentität ausgegangen werden kann. In puncto Bildung und

materieller Lebensqualität sind Arbeiter aber nach wie vor benachteiligt.

Es wäre eine empirische Frage, ob deshalb Arbeiter auch heute noch –

bspw. in der BRD – gemäß der Bourdieu´schen These in den „feinen

Unterschieden“ den ′Geschmack′ des Bildungsbürgertums nachzuahmen

versuchen.

• Der veränderte – identitätsbegründete – Arbeitshabitus der Angestellten

aufgrund der Einführung neuer Produktionskonzepte lässt einen Trend zur

Verinnerlichung und zugleich zur Anonymisierung betrieblicher

Herrschaft erkennen.

• Das Management als Herrschaftsträger wird zwar in Shareholder-Value-

Zeiten nicht vollständig demontiert, es lässt sich allerdings eine Erosion

der kollektiven Magager-Identität ausmachen, die zu Frust, Demütigung

oder sogar Arbeitslosigkeit führen kann.

• Allgemein verliert Identität, als Sammelbegriff für dauerhafte und stabile

Orientierung der Individuen an Bedeutung: die Menschen erleben

Unsicherheit, Diskontinuität und Pluralisierung als einerseits als Verlust,

andererseits bieten Enttraditionalisierung und Ungewissheit neue

Identitätschancen, die allerdings wiederum mit neuen Zwängen, bspw. zur

Standardisierung, verbunden sind. Dieses Ambivalenzgefühl erzeugt

′Entbettungs′-Empfinden, Ohnmacht, Konkurrenz- und Zukunftsangst.

• ′Multiphrene′ Erlebnissituationen prägen zunehmend die Erfahrungswelt

der Subjekte: Spaltungs- und Zerrissenheitsgefühle kommen aufgrund

komplexerer Lebensverhältnisse auf; ′virtuelle Welten′ nehmen den

Stellenwert neuer realer Welten ein.

• Das Zeitempfinden der Individuen erfährt eine ′Gegenwartsschrumpfung′,

wenn Vergangenheit oder Zukunft keine tauglichen Relationen mehr sind.

• Die Möglichkeit der Subjekte, sich zwischen Alternativen – sei es

innerhalb der Arbeit oder im Privatleben – entscheiden zu können, verlangt

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ihnen aber auch eine Entscheidung ab (sie müssen entscheiden!); somit

verlieren fest etablierte Verhaltens-, Denk- und Entscheidungsmuster an

Gewicht.

• Erhebliche Veränderungen der Geschlechterrollen in Bezug auf Arbeit

und Leben lassen traditionelle Frauen- und Männeridentitäten in

Bewegung geraten.

• Der Einzelne wird zum Konstrukteur seines eigenen – individualisierten –

Sinnsystems, da ideologische Sinnvermittlungsinstanzen brüchig werden.

• Der alltägliche Herstellungsprozess von Identität verlangt vom Individuum

Verknüpfungs- und Differenzierungsschritte (in Bezug auf die Zeit bzw. in

Bezug auf Andere/Anderes überhaupt), die zunehmend nicht mehr einfach

hergestellt werden können: Wenn Kurzfristigkeit und Wechselhaftigkeit in

Arbeitsverhältnissen zum Verlust von Freundschafts- und

Nachbarschaftsbeziehungen führen, fallen Möglichkeiten, sich selbst eine

Projektionsfläche für Selbstbezug und -achtung zu bieten, weg.

Wie nun von diesen veränderten Merkmalen (von Subjektstrukturen) zum

rekursiven Charakter der Subjektstrukturen gelangt werden kann, zeigt das

folgende Kapitel auf.

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5. DER REKURSIVE CHARAKTER VON SUBJEKTSTRUKTUREN

Wie bereits in der Einleitung erwähnt, versteht sich diese Arbeit als ein Beitrag –

auch im Sinne der Münchner ′Subjektorientierten Soziologie′ um Bolte, Voß und

Pongratz –, nicht nur die Wirkungen und ′Bedeutungen′ sozialer Strukturen (hier:

Institution ′Erwerbsarbeit′) für die Subjekte zu analysieren, sondern auch die

Aufmerksamkeit darauf zu lenken, „daß (...) die Mitwirkung der Subjekte das

Soziale mitprägt, ja sogar als eigenständige Größe im Gesellschaftsprozeß

struktur-bildend wirkt.“ (Voß/Pongratz 1997, S. 22). Zur Beantwortung der Frage,

welche Theorie am ehesten in der Lage ist, diesem Fakt – dem wechselseitigen

Bedingungs- und Konstitutionsprozess von Handlung und Struktur – gerecht zu

werden, ist also eine Theorie vonnöten, die mit klassischen Dualismus-

Vorstellungen bricht. Meines Erachtens ist das die Strukturationstheorie von

Anthony Giddens einerseits, andererseits eignet sich auch die Habitus-Theorie

von Pierre Bourdieu, den ′Gegensatz′ von – so wird es auch oft genannt – Mikro-

und Makro-Theorie zu überwinden. Daher werde ich zunächst diese beiden

Theorien im Folgenden vorstellen, anschließend werde ich Aspekte ihrer

Brauchbarkeit für den Komplex der Rekursivität von Subjektstrukturen aufzeigen.

5.1 DIE DUALITÄT VON HANDELN UND STRUKTUR NACH

GIDDENS

Wenn der in Kap. 3.1 ausgeführte Subjektstruktur-Begriff von einer Struktur-

Definition ausgeht, die Verarbeitungs- und Interpretationsmuster der Subjekte

meint, soll an dieser Stelle noch einmal verdeutlicht werden, dass ein

soziologischer Struktur-Begriff gemeint ist. Türk (1996) führt aus, dass der

Strukturbegriff geradezu der Hauptbegriff der Organisationsforschung, ja sogar

der „heimliche Hauptbegriff der Soziologie überhaupt“ (Türk 1996b, S. 5) sei.

Eigentlich aus dem Bereich des Bauens stammend – dort meint er das Ergebnis

einer Aufbau- oder Errichtungstätigkeit, den stofflich umgesetzten Bauplan

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(lateinisch structuare = bauen) –, eignet sich diese Bau- bzw. Gebäude-Metapher

für die Sozialwissenschaften nicht: Sich wiederholende Muster von Verarbeitung

und Interpretation der Subjekte, mit dem Wandel von Erwerbsarbeit

′fertigzuwerden′, Verhaltens- und Denkschemata, Identitäts- und Lebensentwürfe,

Selbstpositionierungen und Erwartungshaltungen sind keine stofflich-materiellen

Dinge. Subjektstrukturen existieren nur, solange konkrete Menschen sie

hervorbringen, sie sind nur als Muster rekonstruierbar, „Muster sich

wiederholender Interaktionen“ (vgl. ebd.). Zudem müssen wir noch unterstellen,

dass sich Strukturen im Zeitablauf bilden: keine ′Momentaufnahme′ ermöglicht

das Feststellen einer Wiederholung, sondern nur das Beobachten über die Zeit

hinweg. Wenn es nun das Ziel von Anthony Giddens ist, eine Theorie zu

entwickeln, „die die grundlegenden Merkmale menschlichen Handelns erfaßt“

(Treibel 1997, S. 236), muss an dieser Stelle auf das Verhältnis von Handeln und

Struktur im Rahmen der Giddens´schen Theorie der Strukturierung eingegangen

werden, hierzu Giddens:

„Die Begriffe ′Struktur′ und ′Handeln′ bezeichnen so die allein analytisch

unterschiedenen Momente der Wirklichkeit strukturierter

Handlungssysteme. Strukturen selbst existieren gar nicht als eigenständige

Phänomene räumlicher und zeitlicher Natur, sondern immer nur in Form

von Handlungen oder Praktiken menschlicher Individuen. Struktur wird

immer nur wirklich in den konkreten Vollzügen der handlungspraktischen

Strukturierung sozialer Systeme, weshalb ich auch meinen Ansatz ′Theorie

der Strukturierung′ genannt habe.“ (Giddens 1988b, S. 290; Herv. i. Orig.)

Somit sind also Handeln und Struktur zwei Dimensionen derselben Sache und

keine radikalen Gegenbegriffe. Handeln ist nicht immer zielgerichtete, aber

kompetente Aktivität von Individuen. Strukturen sind nicht gleichbedeutend mit

Zwang, was dem Handelnden extern wäre, sondern sie stellen die institutionellen,

dauerhaften Gegebenheiten dar, mit denen die Individuen konfrontiert werden, in

denen sie sich bewegen und mit denen sie ′leben′ und sich auseinandersetzen

müssen (vgl. Treibel ebd., S. 238 f.). Strukturen sind zwar durch die

„Abwesenheit des Subjekts“ (Giddens 1988a, S. 77) gekennzeichnet, sind den

Individuen aber dennoch nicht äußerlich; vielmehr werden die Strukturen erst im

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Handeln real. Die Akteurinnen und Akteure beziehen die Strukturen in ihr

Handeln mit ein, die Strukturen verleihen dem Handeln auch Sicherheit und

Kontinuität (vgl. Treibel ebd.). Somit ist das Phänomen der Dualität von

„Handlung und Struktur“ (Giddens 1988a, S. 215), Giddens spricht auch nur von

der ′Dualität von Struktur′, benannt. Nachvollziehbare Erklärungsversuche für

dieses Phänomen liefert auch Türk (1996):

„Muster sozialer Handlungen sind stets zugleich Produzenten und

Produkte menschlichen Verhaltens. Strukturen sind gemäß diesem

Konzept Produzenten von Verhalten, weil der Mensch ohne strukturelle

Orientierungen, die er erlernt hat und in konkreten Situationen anwendet,

gar nicht handlungsfähig wäre, keine sinnvollen Handlungswahlen treffen

könnte, sich gar nicht an anderen zu orientieren in der Lage wäre. (...)

Strukturen sind Produkte wiederum in zweifacher Hinsicht: Einmal sind

sie natürlich prinzipiell Ergebnis menschlicher Aktionen – woher sollten

sie sonst stammen. Darüber hinaus aber wirkt auch jede Einzelhandlung an

der Reproduktion der jeweiligen Struktur mit. (...) (Türk ebd., S. 7 f.;

Herv. im Orig., teilw. fett-gdruckt)

Wenn nun der Beitrag des Subjekts für die ′Produktion′ bzw. ′Reproduktion′ von

Strukturen – gemäß des Themas dieser Arbeit und unter Berücksichtigung der

Dualität von Struktur – schlüssig erfasst werden soll, also man z. B. fragen will,

inwieweit der Umgang der Individuen mit entgrenzten Arbeitsorganisationen auf

die Organisationsform ′Entgrenzung′ zurückwirkt, muss ein Zusatzgedanke

einbezogen werden: Die Handlungen der Subjekte sind nicht generell – etwa

gemäß der Rational-Choice-Theorie – Resultate bewusster und freier

Entscheidungen, sondern sie finden stets innerhalb einer ′bedingten Freiheit′ statt.

Zur Erklärung dessen soll im Folgenden das Bourdieu´sche Habitus-Konzept

herangezogen werden.

5.2 DAS HABITUS-KONZEPT NACH BOURDIEU

Um der Frage nachzugehen, wie der Vollzug einer praktischen Handlung zu

erklären ist (vgl. Neckel 2000, S. 20), eignet sich die wichtigsten Entdeckung des

französischen Soziologen Pierre Bourdieu: seine Lehre vom Habitus. Nun ist der

Habitus des wissenschaftlichen Sprachgebrauch zwar schon lange bekannt, erst

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Bourdieu hat ihm jedoch als soziologischem Begriff theoretische Trennschärfe

verliehen: ein Ensemble der durch soziale Erfahrungen erworbenen und bis in den

Körper eingeschriebenen Dispositionen, die Akteure an Herkunft und Lebenslauf

binden und ihnen gleichermaßen als kreative Organisationsprinzipien nicht

vollständig determinierbarer Handlungspotentiale dienen (vgl. ebd.).

Das Ziel der Bourdieu ´schen Gesellschaftstheorie hebt Müller (1986) hervor, es

sei: die Konstitution und Reproduktion sozialen Lebens zu verstehen und die

Mechanismen aufzudecken, die dabei wirksam seien. Um den Fallstricken von

Objektivismus und Subjektivismus, „Philosophie ohne Subjekt“ und

„Subjektphilosophie“, mechanistischer Strukturtheorie und voluntaristischer

Handlungstheorie zu entgehen, die seit Emilie Durkheims Zeiten das

epistemologische Feld Frankreichs beherrscht hätten, knüpfe Bourdieu am

Praxiskonzept des frühen Marx an und entwickle seinen theoretischen Ansatz als

Ökonomie der Praxis (vgl. Müller 1986, S. 163). Diese praxeologische

Perspektive beruht im Kern auf der allgemeinen Reproduktionsformel Struktur –

Habitus – Praxis und der Annahme einer Universalität von Status- und

Klassenkämpfen. Denn es ist ein allgemeines Axiom der „allgemeinen

Wissenschaft der Ökonomie praktischer Handlungen ..., alle Handlungen und

selbst noch jene, die sich als interessenlose oder zweckfreie, also von der

Ökonomie befreitet verstehen, als ökonomische, auf die Maximierung materiellen

oder symbolischen Gewinns ausgerichtete Handlungen zu begreifen“ (Bourdieu

1982, S. 356 f.)

23

. Müller hilft weiter, wie man sich obigen Reproduktionsprozess

vorzustellen habe:

„Vereinfacht ist der Reproduktionsprozeß so vorzustellen, daß eine

Struktur (Verwandtschaft oder Klasse) bestimmte Dispositionen (bei

Individuen oder Gruppen) ausprägt, die zu praktischen Handlungen und

23

In diesem Zusammenhang wird oft in Bezug auf die Reproduktionsformel ′Struktur – Habitus

– Praxis′ als einem agonalen, d. h. einem wettkampfmäßigen, Modell (bzw. vom agonischen

Engagement der Akteure) gesprochen.

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einer strategischen Praxis führen, so daß die ursprüngliche Struktur

wiederhergestellt und der Zirkel geschlossen wird. Diese Vermittlung

zwischen Struktur und Praxis leistet der Habitus. Er ist definiert als ein

System von Dispositionen, die als Denk-, Wahrnehmungs- und

Beurteilungsschemata

24

im Alltagsleben fungieren und deren Prinzipien

sozialer Klassifikation als Klassenethos zum Ausdruck kommen. (Müller

ebd.)

In Bourdieus Augen ist daher der Habitus als praktischer Operator „die Lösung

des Paradoxons vom objektiven Sinn ohne subjektive Absicht“ (Bourdieu et al.

1981, S. 170), denn seine äußere Erscheinungsweise erinnert an das

mechanistische Handlungsmodell, seine innere Funktionsweise ähnelt eher dem

voluntaristischen Modell: Er ist ein reproduktives Prinzip und somit „strukturierte

Struktur“, insofern die individuellen Praxisformen den sozial strukturierten

Dispositionen gemäß gewählt werden und so zur Aufrechterhaltung der

ursprünglichen strukturellen Konstellationen beitragen; er ist zugleich ein

generatives Prinzip und somit „strukturierende Struktur“, insofern er sozial

strukturierte Praxisformen hervorbringt, die im Laufe der Zeit durch individuelle

Einverleibung gesellschaftlicher Strukturen – in Bourdieu´scher Terminologie

′Felder′ genannt – und die Ausbildung dauerhafter Dispositionen ermöglicht

werden. Der Habitus ist Produkt kollektiver Geschichte und individueller

Erfahrung, stimmt objektive Chancen und subjektive Aspirationen aufeinander ab,

stiftet Realitätssinn und den Sinn für die eigenen Grenzen und integriert

klassenspezifische Verhaltensformen mit nutzenorientierten Strategien (vgl.

Müller ebd.). Der fungierende Habitus ist durch Implizitheit charakterisiert.

Obgleich sozial und historisch entstanden, werden die im Habitus inkorporierten

Strukturen zu einer Art „zweiter Natur“ der Akteure, deren Genese gerade in

Vergessenheit gerät. Bourdieu spricht von einem praktischen Wissen, das in praxi

und nicht im Bewusstsein der Akteure auffindbar ist, von einer quasi-körperlichen

24

Wahrnehmungschemata: sie strukturieren die alltägliche Wahrnehmung der sozialen Welt

(sensueller Aspekt der praktischen Erkenntnis); Denkschemata: zu ihnen sind (a) die Alltags-

′Theorie′ und Klassifikationsmuster zu zählen, mit deren Hilfe die Akteure die soziale Welt

interpretieren und kognitiv ordnen, (b) ihre impliziten ethischen Normen zur Beurteilung

gesellschaftlicher Handlungen, d. h. ihr ′Ethos′ und (c) ihre ästhetischen Maßstäbe zur

Bewertung kultureller Objekte und Praktiken, kurz ihr „Geschmack“; Handlungsschemata:

sie bringen die (individuellen und kollektiven) Praktiken der Akteure hervor (vgl. Schwingel

1998, S. 56).

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Weltsicht, von begriffslosem Erkennen, von einem praktischen Sinn, der die

Operationsweise des Habitus beschreibt. Kritisiert werden hier rationalistische

Handlungstheorien („rational choice“), die Handlungen als das Resultat bewusster

Entscheidungen darstellen, und es wird ihnen der Habitus als nicht gewähltes

Prinzip aller Wahlen entgegengesetzt (vgl. Bohn/Hahn ebd., S. 259).

Um nun auf eine ähnliche Konfiguration der Dualität von Strukturen wie die von

Giddens zu verweisen, soll nun die Verbindung des ′Habitus′- mit dem ′Feld′-

Begriff aufgezeigt werden: Die beiden Begriffe ′Habitus′ und ′Feld′ sind in dem

Sinne relational, dass die nur in Verbindung miteinander richtig funktionieren.

Habitus und Feld werden von Bourdieu auch als zwei Existenzweisen des Sozialen

bezeichnet: „Leibgewordene und dinggewordene Geschichte, objektiviert in

Sachen, in Gestalt von Institutionen – dafür steht der Begriff ′Feld′ –, inkorporiert,

leibhaftig geworden in Gestalt eines Systems dauerhafter, übertragbarer

Dispositionen – dafür steht der Begriff ′Habitus′ (vgl. Bourdieu/Wacquant 1996,

S. 146). Dadurch wird der – bereits oben erwähnte – Gegensatz zwischen

Subjektivismus und Objektivismus zugunsten einer integrativen Perspektive zu

überwinden versucht.

Somit kann also auch die Sozialtheorie Bourdieus als ein Versuch gewertet

werden, einem Strukturdeterminismus entgegenzuwirken, der zum einen

menschliches Verhalten als durch ′äußere′ Strukturen kausal bewirkt beschreibt

und zum anderen objektive, sprich: gesellschaftliche, Strukturen als quasi

gegebene, unveränderbare Muster charakterisiert.

Wie nun neben dem Modell von Giddens auch das Habitus-Konzept Bourdieus

einen Beitrag leisten kann, die rekursive Wirkung von Subjektstrukturen auf die

Institution Erwerbsarbeit zu verdeutlichen, soll im folgenden Kapitel dargestellt

werden.

5.3 DIE REKURSIVE WIRKUNG VON SUBJEKT-

STRUKTUREN AUF DIE INSTITUTION ERWERBSARBEIT

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In diesem Kapitel werde ich mich ausführlicher mit der Rückwirkung veränderter

Subjektstrukturen auf die Institution Erwerbsarbeit beschäftigen. Hierzu Braczyk

(1997):

„Wenn sich nun bei relevanten Gruppen von Beschäftigten die

Voraussetzungen ändern, unter denen sie zur Einordnung in betriebliche

Machtbeziehungen und Herrschaftsformen bereit sind, dann dürfte dies

den Zuschnitt dieser Beziehungen und Formen selbst betreffen, und damit

wäre man erneut im Zentrum betrieblicher Organisationsstrukturen

angelangt.“ (Braczyk 1997, S. 550)

Die ′veränderten Voraussetzungen′ habe ich in Kap. 2.3 beschrieben, ebenso bin

ich auf die Konsequenzen für die Subjekte in Bezug auf ihre veränderten

Arbeitsanforderungen sowie ihre gewandelten Subjektstrukturen im Sinne ihrer

Verarbeitungs- und Interpretationsmuster eingegangen (vgl. Kap. 4). Unter

Einbeziehung sowohl der Giddens´schen als auch der Bourdieu´schen Theorie soll

nun im Vordergrund stehen, wie Rückwirkungsprozesse sich – teilweise

hypothetisch – fassen lassen. Die Ausgangsargumente sollen zunächst neben

Braczyk (1997) erneut von Voß (1998) geliefert werden, dann schließen sich

eigene Schlussfolgerungen an:

• Die Tendenz zur Entgrenzung von bisher die Arbeit vieler Menschen

leitenden (zeitlichen, räumlichen, medialen, sachlichen, sinnhaften

usw.) sozialen Regulierungen und Formen ist als eine systematische

De-Strukturierung der Arbeitskontexte zu sehen: die Entgrenzung von

Arbeitsverhältnissen bedeutet sowohl einen (vielleicht begrüßten)

Abbau von potentiell immer behinderden Beschränkungen, als auch

eine (potentiell problematische) Zerstörung von bisher hilfreichen

Orientierungen (vgl. Voß 1998, S. 476).

• Mit der De-Strukturierung von bisher verbindlichen Regelungen,

Standardisierungen und Begrenzungen von Handlungsmöglichkeiten in

der Arbeit kann betriebsseitig nicht mitgehalten werden: Es werden

„keine neuen Kanäle für das Handeln der Betroffenen“ (ebd.)

geschaffen; d. h., selbst wenn sich die Arbeitenden an die

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veränderten Bedingungen ihres Arbeitens anpassen, die Strukturen,

innerhalb derer sie das tun, ′hinken hinterher′.

• Hinzu kommt, dass die aus solchen (Re-)Strukturierungsleistungen

entstehenden Handlungsformen häufig nicht im gleichen Maße wie

bisherige Strukturen in stabile Regelungen eingehen und

unproblematisch routinisiert zukünftiges Arbeiten leiten können. Mehr

noch: Oft wird nicht nur der Grad der betrieblichen Strukturierung

dauerhaft gesenkt, sondern die von Beschäftigten neu geschaffenen

Strukturen werden betrieblich tendenziell immer wieder neu entgrenzt

(Stichwort: ′lernende Organisation′) (vgl. ebd., S. 477).

• Die Leitlinie der Gestaltung von Erwerbsarbeit und somit die

gesellschaftliche Organisation derselben wird im Zuge entgrenzter

neuer Arbeitsformen qualitativ verändert: Leitlinie der Gestaltung von

Arbeit ist immer weniger die möglichst dichte strukturierende

Begrenzung von Handlungsoptionen, um Tätigkeiten auf detailliert

disponierte Abläufe und Ziele auszurichten, sondern immer mehr das

Gegenteil: die Vorgabe von eher diffusen Handlungsrahmen mit

deutlich reduzierter Strukturierungswirkung, die nun von den

Arbeitenden mit eigenverantwortlichen Strukturierungsleistungen zur

Erreichung von oft erst zu präzisierenden, aber verschärft beurteilten

Ergebnissen genutzt werden müssen (vgl. ebd.).

• Somit lassen bisher feste Arbeitsstrukturen, die bisher meist als

herrschaftliche und autonomes Handeln behindernde Vorgaben gelten

konnten, nun zunehmend handlungsermöglichende, entlastende und

beschützende Konturen erkennen: die wachsende Erwartung an eine

autonome Selbststrukturierung der Arbeit wird als heteronome

Anforderung mit eigener Belastungsqualität erkennbar (vgl. ebd.); es

spricht einiges für die Schlussfolgerung Voß´, dass sich ein „Leittypus

der gesellschaftlichen Verfassung von Arbeitskraft“ (ebd., S. 478) – als

Struktur der Organisation von Erwerbsarbeit – mit den Merkmalen

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′Selbst-Ökonomisierung′, ′Selbstvermarktlichung′ und

′Verbetrieblichung′ mit der Voß´schen Bezeichnung des

„Arbeitskraftunternehmers“ herausbildet.

• Veränderte und weitreichende Ansprüche von Arbeitnehmern an die

Autonomie und das Niveau der Arbeit, an die Erfüllung von

gesellschaftlichen Standards von Umwelt- und Sozialverträglichkeit

mögen bestehende Machtbeziehungen und Herrschaftsformen

aufbrechen. Mit den Formen, in denen diese Ansprüche befriedigt bzw.

abgewehrt werden, werden die Machtbeziehungen und

Herrschaftsformen allenfalls umgeformt, aber sie verschwinden nicht.

Doch was passiert mit den Machtbeziehungen und Herrschaftsformen,

wenn das Abnorme Standard wird? Wird Erwerbsarbeit betriebsförmig

in (organisierten) Gemeinschaften organisiert, die wesentlich von den

Ansprüchen vornehmlich jüngerer Beschäftigter getragen werden (vgl.

Braczyk ebd., S. 550 f.)?

• Wird sich durch neue Lebensformen eine veränderte sektorale und

funktionale Differenzierung ergeben, die sich auf vornehmlich

unternehmensbezogene Dienstleistungen und auf Tätigkeiten, die

normalerweise eine höhere Bildung und Ausbildung voraussetzen,

stützt (vgl. ebd.)?

• Wenn bisher der Taylorismus den Ordnungsrahmen – bestehend aus

einem Ensemble von Prämissen, Regeln und Normativen – für die

Unternehmen bot, und damit jede und jeder am arbeitspolitischen

Diskurs Teilnehmende(r) wusste oder meinte zu wissen, was gemeint

war, somit jeder und jedem eine eigene Interpretationsfolie seines

intraorganisationalen Handelns gegeben wurde, bleibt zu fragen, wie

in ′nach-tayloristischen′ Zeiten, in denen organisationales Handeln im

Prinzip ergebnisoffen und immer auch anders ausfallen kann,

betriebliche Ordnungen aussehen sollen (vgl. ebd.).

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• Die Organisationskultur-Programme unterliegen einem spürbaren

Reformulierungsdruck: Wenn Beschäftigte zunehmend ihre

subjektiven Bedürfnisse und Ansprüche als ′normative

Subjektivierung′ in die Arbeit mit einbringen, und sie dies höchst

individuell tun, wird eine stark heterogene Anspruchsstruktur

generiert, die einheitliche Programme und Konzepte organisationaler

Kultur schwer realisierbar erscheinen lässt.

• Wird von den Subjekten vermehrt eine rekursive Planung abverlangt,

d. h., sollen so viele erwartete und unerwartete Rückwirkungen des

eigenen Handelns berücksichtigt werden, bleibt zu vermuten, dass

diese Anforderung ′quer′ zu Kreativitäts-Imperativen, wie bspw. dem

′impliziten Innovationsmodus′ (vgl. Kap. 2.2.10) verläuft und

Widersprüchlichkeiten produziert werden: In den Unternehmen wird

damit vielleicht mehr Vorsichts- und Zurückhaltungs-Struktur denn

Innovation gefördert.

• Wenn neben den offiziellen und kodifizierten Regeln und

Anforderungen auch vor allem ′compliance-bezogene′

Arbeitsanforderungen als ′informelle′ Anforderungen die

Persönlichkeitsstruktur prägen, könnte die Annahme berechtigt sein,

dass die Formen, innerhalb derer sich die Organisation von

Erwerbsarbeit manifestiert, selbst mehr und mehr informellen

Charakter annehmen, z. B. kann sich eine Organisationsstruktur auch

als institutionalisiertes und inkorporiertes Wissen (im Sinne

Bourdieus) bspw. darüber, wie man sich fügt und beim Vorgesetzten

gut ankommt, herausbilden.

• Was folgt aus der Erosion der Berufskategorie als, so könnte man

formulieren, Organisationsform von Erwerbsarbeit ′par excellence′?

Muss ein Umdenken in Bildungs- und Ausbildungssystemen

stattfinden, um dem Aufweichen funktional-differenzierter, kategorial

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gesteuerter Berufsklassen entgegenzuwirken, wenn ja, wie sieht dieses

Umdenken aus?

• Das ′Entbettungs-Empfinden′ der Subjekte aufgrund mangelnder

Identitäts- und Inklusionsmöglichkeiten korrespondiert mit einem

′kollektiven Klima′, welches von Exklusion und Unsicherheit,

möglicherweise abzulesen am Diskurs um ′nationale Identität′, geprägt

ist.

• Wenn virtuelle Welten zunehmend die realen Erlebnis- und

Erfahrensräume der Subjekte verdrängen und eine

′Gegenwartsschrumpfung′ verursachen, könnte es nicht sein, dass reale

Probleme, die sich im Erleben der Organisation von Erwerbsarbeit

ergeben (z. B. Arbeitslosigkeit) gar nicht mehr als reale

wahrgenommen werden und somit Erwerbsarbeits-Strukturen als

virtuelle Strukturen manifest werden?

• Wie dargestellt wurde, werden Kurzfristigkeit, Unstetigkeiten und

Wechselhaftigkeit zum individuellen und inkorporierten

Verarbeitungsmuster der Subjekte, was dazu führen kann, dass

derartige Imperative zum gesellschaftlichen Regulationsmodus werden

und zugleich Prozess- und Dauerhaftigkeit als normativ ′nicht

wünschenswert′ bzw. ′ineffizient′ stigmatisiert werden.

• Der Bourdieu´sche Habitus-Begriff ist unter Berücksichtigung seiner

Rekursivitätswirkungen zu hinterfragen: Janning (1991) merkt an, dass

durchaus umbruchartige Entwicklungen in den „objektiven Strukturen“

(Janning 1991, S. 33) – also im Sinne der von mir beschriebenen

Veränderungen der Organisation von Erwerbsarbeit – eintreten

könnten, so dass die Instanz des Habitus mit einer Wirklichkeit

konfrontiert werde, auf die sie nur mangelhaft, mit ′veralteten′

Handlungskonzepten, reagieren könne. Die relative Unabhängigkeit

der Praktiken von unmittelbaren Sinn- und

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Gesellschaftszusammenhängen und die permanente Aktualisierung von

Verhaltensweisen, die einem vergangenen sozialen System

angemessen waren, wirkten sich hier als Moment der Trägheit aus und

zeigten die grundlegende Unflexibilität des Habitus (vgl. ebd.). Wenn

die Definition des Habitus vor allem enthält, dass es sich um

′dauerhafte′ und ′übertragbare Dispositionen′ handelt, welche

Auswirkungen werden sich auf den ′Feldern′, sprich: den

Ausprägungen – bisher – institutionalisierter Formen von organisierter

Erwerbsarbeit, ergeben? Folgen aus ′trägen′ Habitus ′träge′ Strukturen

eines reproduzierenden Prinzips im Sinne einer ′reaktionären′

Systembestätigung? Außerdem, ein Widerspruch wird deutlich: Wenn

der Habitus auch als Ensemble der kognitiven Muster, die

verhaltensleitend sind, gelten kann, kann auch in anderer Richtung

gefragt werden: Was bedeutet es eigentlich, wenn die Habitus aus

praktischen Erwägungen stets anderen Zielen (z. B. aufgrund von

Flexibilisierungs- und Rationalisierugszwängen, die die Subjekte selbst

zum Gegenstand von beidem macht; vgl. Kap. 2.3) angepasst werden?

• Auch die Giddens´sche Figur der Strukturen, die erst im Handeln der

Akteure wirksam würden, dennoch den Handelnden nicht äußerlich

seien, muss reflektiert werden: Werden die neuen Strukturen, in denen

sich die Re-Organisation von Erwerbsarbeit widerspiegelt, nicht durch

verunsicherte, unstete, identitätssuchende Subjekte – die zudem noch

verschleierten Macht- und Rationalitätsfassaden unterworfen sind – in

ihrer dennoch gleichbleibenden Macht- und Ungleichheits-

Pointiertheit ′unsichtbar′ im Sinne der Verdeckung eben ihres

Herrschafts-Charakters?

Welche Themen sich an diese Rekursivitäts-Thematik anschließen könnten, soll

im folgenden (Kurz-)Kapitel angedeutet werden.

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- 143 -

SCHLUSS: MÖGLICHE ANSCHLUSS-THEMATISIERUNG

Zum Abschluss meiner Arbeit versuche ich, einige Thematisierungen

aufzuzeigen, die sich an das von mir behandelte Thema anschließen könnten.

Denkbar wären perspektivische und konzeptionelle Weiterungen: Perspektivische

Anschlüsse könnten z. B. von einer umfassenderen, ′substantielleren′

Aufarbeitung soziologischer Subjektivitäts-Theorie hergestellt werden. Dies

konnte aus Gründen der Beschränkung auf Ausschnitte von Subjektivität, die sich

auf die Verarbeitung und Interpretation bestimmter – zunächst als rein exogen

wahrgenommene und in der Literatur thematisierte – Faktoren (Wandel der

Organisation von Erwerbsarbeit) stützte, und deshalb mit dem Begriff

′Subjektstrukturen′ belegt wurde, nicht ausführlicher erfolgen. Zudem wurde eine

strukturtheoretische Perspektive gewählt. Prozesse auf der Meso- und

Makroebene wurden demgegenüber nur als ′Bedingungen′ bzw. funktionale

Anforderungen an die Subjekte thematisiert. Konzeptionell erscheinen

makrokulturelle bzw. im Foucault´schen Sinne ′diskursive′ Wandlungsprozesse,

die zu Veränderungen in der Vergesellschaftungsform von Subjekten führen, von

anschlussfähiger Bedeutung (vgl. Moldaschl/Voß 2002, S. 90). Vorstellbar wären

bspw. diskursanalytische Fragestellungen, die ihren Fokus auf das „Verhältnis

von Herrschaftstechniken und Selbsttechnologien in ihrer diskursiven

Erzeugtheit“ (ebd.) legen. Aber auch könnten Anschlussfelder im Bereich eher –

diskursanalytischer – politikwissenschaftlicher Ansätze liegen, die Diskurse auf

(kollektive) Akteure in politischen Arenen zurückführen, d. h. es könnten Fragen

nach der Definitionsmacht z. B. des Wandels der Arbeit bzw. der Wirkungen und

Rückwirkungen von arbeitenden Subjekten thematisiert werden. Letztlich könnte

auch eine verstärkt arbeitswissenschaftliche Fokussierung, die einen

umfassenderen Blick auf die Ebene der konkreten Arbeitsausführung ermöglicht,

von Anschluss-Interesse sein.

LITERATURVERZEICHNISABENDROTH, C. / FILIPPETTI, S. / HENDRIX, U. / MATYS, T. / WEHRS, A. /

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ERKLÄRUNG

Hiermit versichere ich, diese Arbeit selbständig und ohne unerlaubte Hilfsmittel

angefertigt zu haben.

Thomas Matys

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ANLAGE

In der Anlage ist eine CD-ROM beigefügt, die eine Version der Diplomarbeit im

MS-Word-Format sowie ′Spiegelungen′ der Internetseiten enthält, aus denen die

drei verwendeten – ausschließlich im Internet verfügbaren – Aufsätze entnommen

wurden.