Upload
others
View
1
Download
0
Embed Size (px)
Citation preview
Organisation von Erwerbsarbeit
im Umbruch –
Auswirkungen auf die Anforderungen der Beschäftigten
und deren Subjektstrukturen
Diplomarbeit
zur Erlangung des akademischen Grades eines
Diplom-Sozialwissenschaftlers
durch den Fachbereich Wirtschafts- und Sozialwissenschaften
der Bergischen Universität –
Gesamthochschule Wuppertal
vorgelegt von
Thomas Matys
Jülicher Str. 2
42117 Wuppertal
Gutachter: Prof. Dr. Günther Wachtler
Prof. Dr. Klaus Türk
Abgabetermin: 10.07.2002
___________________
gemäß der Prüfungsordnung für den integrierten Studiengang Sozialwissenschaften genehmigt
durch den Erlass des Ministers für Wissenschaft und Forschung des Landes NW vom 26.06.1995.
Bergische Universität –
Gesamthochschule Wuppertal
Fachbereich 6 –
Wirtschafts- und Sozialwissenschaften
- 2 -
Inhaltsverzeichnis
2.1 DIE ABLÖSUNG DES ARBEITSPARADIGMAS INDUSTRIELLER
GESELLSCHAFTEN ....................................................................................9
2.1.1 STRUKTUR- UND ENTWICKLUNGSANNAHMEN DES
ARBEITSPARADIGMAS IN INDUSTRIELLEN GESELLSCHAFTEN .9
2.1.2 EIN NEUES, „POST-INDUSTRIELLES“ PARADIGMA
GESELLSCHAFTLICHER ERWERBSARBEIT ...................................12
2.2 NEUE FORMEN DER ORGANISATION VON ERWERBSARBEIT ...17
2.2.1 TERTIARISIERUNG AUF DER SEKTORALEN EBENE ....................18
2.2.2 DIE „NEUEN PRODUKTIONSKONZEPTE“ ....................................20
2.2.3 DAS KONZEPT DER „SYSTEMISCHEN RATIONALISIERUNG“ ....22
EXKURS 1: DIE „INFORMATISIERUNG DER ARBEIT“ ALS
SYSTEMISCHER PROZESS .................................................................28
2.2.4 DAS KONZEPT DER „SCHLANKEN“ PRODUKTIONSWEISE: LEAN
PRODUCTION .....................................................................................33
2.2.5 DAS KONZEPT DER „FLEXIBLEN SPEZIALISIERUNG“ ...............35
2.2.6 DEZENTRALISIERUNG UND VERMARKTLICHUNG .....................37
2.2.7 VIRTUELLE ORGANISATIONEN UND (STRATEGISCHE)
NETZWERKE .......................................................................................41
2.2.8 GRUPPENARBEIT ..............................................................................44
2.2.9 INTERNATIONALISIERUNG UND GLOBALISIERUNG ..................48
2.2.10 INNOVATION ....................................................................................50
EXKURS 2: WISSENSARBEIT .....................................................................53
2.2.11 TELEARBEIT .....................................................................................56
2.2.12 SHAREHOLDER-VALUE-ORIENTIERUNG ....................................59
2.2.13 WANDEL DER BESCHÄFTIGUNGSFORMEN ..............................61
2.3 MERKMALE VERÄNDERTER ARBEITSANFORDERUNGEN AN DIE
BESCHÄFTIGTEN .....................................................................................67
3.1 ZUR UNTERSCHEIDUNG VON SUBJEKT, SUBJEKTIVITÄT UND
SUBJEKTSTRUKTUREN ..........................................................................79
3.2 KLASSISCHE KONZEPTE ALS ¢VORLÄUFER¢ VON
SUBJEKTSTRUKTUREN ..........................................................................83
3.2.1 DIE PERSÖNLICHKEITSSTRUKTUR BEI ELIAS .............................83
3.2.2 DER GESELLSCHAFTSCHARAKTER BEI FROMM .........................84
3.2.3 DER SOZIALCHARAKTER BEI KERN/SCHUMANN ........................85
3.3 DER BEGRIFF ¢INSTITUTION¢ UND SEINE POLYVALENTE
BEDEUTUNG FÜR DIE KONSTITUTION VON
SUBJEKTSTRUKTUREN ..........................................................................87
3.4 BASISELEMENTE VON SUBJEKTSTRUKTUREN ..............................89
4.1 AUSWIRKUNGEN AUFGRUND SICH WANDELNDER
ARBEITSANFORDERUNGEN ................................................................91
4.2 WEITERREICHENDE AUSWIRKUNGEN .............................................93
4.2.1 EIN NEUER TRANSFORMATIONSMODUS .....................................93
4.2.2 DIE „BESCHRÄNKTE RATIONALITÄT“ DER RATIONALISIERUNG
..............................................................................................................96
- 3 -
4.2.3 HERRSCHAFT DURCH AUTONOMIE? – ZUR KONSTITUTION
WIDERSPRÜCHLICHER ARBEITSANFORDERUNGEN .................99
4.2.4 SUBJEKTIVIERENDES ARBEITSHANDELN ALS EINE FORM VON
¢COMPLIANCE¢ ...............................................................................102
4.2.5 DIE ZUNEHMENDE NORMATIVE SUBJEKTIVIERUNG DER
ARBEIT ...............................................................................................106
4.2.6 NACH DEM BERUF ERODIERT DIE BERUFLICHKEIT .............109
4.2.7 DIE RESTRUKTURIERUNG DES VERHÄLTNISSES ZWISCHEN
ARBEIT UND LEBEN ........................................................................111
4.2.8 NEUE IDENTITÄTEN VON ARBEITERN, ANGESTELLTEN UND
MANAGERN ......................................................................................114
4.2.9 AMBIVALENZEN POSTMODERNER IDENTITÄT IM RAHMEN
ALLTÄGLICHER IDENTITÄTSARBEIT ...........................................118
4.2.10 ZUSAMMENFASSUNG ...................................................................124
5.1 DIE DUALITÄT VON HANDELN UND STRUKTUR NACH GIDDENS
...................................................................................................................129
5.2 DAS HABITUS-KONZEPT NACH BOURDIEU ...................................131
5.3 DIE REKURSIVE WIRKUNG VON SUBJEKT-STRUKTUREN AUF
DIE INSTITUTION ERWERBSARBEIT ...............................................134
- 3 -
VERZEICHNIS DER ABKÜRZUNGEN
Abb. Abbildung
BRD Bundesrepublik Deutschland
bzw. beziehungsweise
bspw. beispielsweise
ders. derselbe
dies. dieselbe(n)
ebd. ebenda
ebfs. ebenfalls
EDV Elektronische Datenverarbeitung
etc. et cetera
ggfs. gegebenenfalls
f. folgende (Seite)
ff. fortfolgende (Seite)
H. Heft
Herv. Hervorhebung
i. im
i. S. (v.) im Sinne (von)
IuK Informations- und Kommunikationstechnologien
i. w. S. im weiteren Sinne
Jg. Jahrgang
Kap. Kapitel
m. a. W. mit anderen Worten
m. E. meines Erachtens
o. g. oben genannten/genanntes/genannter
Orig. Original
s. siehe
S. Seite
s. u./s. o. siehe unten/siehe oben
Tab. Tabelle
teilw. teilweise
u. a. unter anderem
usw. und so weiter
u. U. unter Umständen
v. a. vor allem
- 4 -
- 4 -
vgl. vergleiche
EINLEITUNG
Das Thema meiner Diplomarbeit lautet „Organisation von Erwerbsarbeit im
Umbruch – Auswirkungen auf die Anforderungen der Beschäftigten und deren
Subjektstrukturen“. Meine Arbeit soll sich von der These leiten lassen, dass nicht
automatisch von einem Kausalzusammenhang zwischen sich wandelnden
Organisationsformen von Erwerbsarbeit und den Wirkungen auf die
Anforderungen und Qualitätsprofile der Beschäftigten – und dem zufolge deren
Subjektstrukturen i. S. dauerhafter, regelmäßiger Lebens- und Berufsverläufe –
ausgegangen werden kann. Dafür fehlt es an ausreichend eindeutig empirisch
belegten Indikatoren. Vielmehr ist meine Art der Beschreibung und Analyse eine,
die zeigt, dass der Zusammenhang eher als ein Interpretations- und
Verarbeitungszusammenhang bezeichnet werden kann, den sowohl
Wissenschaftler, die über diesen Zusammenhang schreiben, als auch die
arbeitenden Subjekte selbst, im Zuge von Wahrnehmungs- und
identitätsstiftenden Prozessen vornehmen bzw. handelnd (mit-) produzieren.
Ausgehend von der Nachzeichnung, wie sich die Institutionalisierung von
Erwerbsarbeit als moderne Vergesellschaftungsinstanz herausgebildet hat (Kap.
1), soll die Analyse objektiver – institutioneller – Strukturen neuer Formen der
Organisation von Erwerbsarbeit unter besonderer Fokussierung veränderter
Arbeitsanforderungen an die Beschäftigten (Kap. 2) dazu dienen
herauszuarbeiten, inwieweit „die Kontinuität des Lebenslaufs noch über
Erwerbsarbeit verbürgt ist“ (Baethge 1991, S. 260). Des weiteren sollen
Phänomene beschrieben werden, welche als „Prozesse der zunehmenden
normativen Subjektivierung der Arbeit“ (vgl. ebd.) oder sich wandelnde Formen
von Arbeitshandeln und Identitätsentwürfen postuliert werden (Kap. 4). Um das
Verhältnis von neuen Formen der Organisation von Erwerbsarbeit und (sich
wandelnden?) Subjektstrukturen, i. S. spezifischer, von den Subjekten aktiv
- 5 -
hergestellter Interpretations- und Handlungsmuster (Kap. 3), zu bestimmen und
somit auch bspw. „das Verhältnis von Arbeit und Leben“ (Voß 1998) zu
ergründen, sollen strukturtheoretische Modelle sowohl von Pierre Bourdieu
(„Habitus-Konzept“), als auch von Anthony Giddens („Dualität von Struktur“)
(Kap. 5) verwendet werden. Letzteres geschieht vor allem deswegen, weil das
Ergebnis meiner Arbeit m. E. nicht nur die gewandelten Subjektstrukturen
(einschließlich der neuen Arbeitsanforderungen an die Beschäftigten) aufgrund
neuer Formen von Erwerbsarbeitsorganisation aufzeigt, sondern auch den
rekursiven Charakter dieser Subjektstrukturen, also ihre zirkuläre
Rückwirkungskraft und -funktion auf Strukturen der Organisation von
Erwerbsarbeit, belegt.
Meine Ergebnisse dienen in Bezug auf ihre Verwendungsfähigkeit im weitesten
Sinne der Anwendung strukturtheoretischer Modelle von Giddens und Bourdieu,
die beide bemüht sind, den Dualismus von Subjektivismus und Objektivismus,
man könnte auch sagen von Handlung und Struktur – oder noch anders, fast
klassisch: von Individuum und Gesellschaft – aufzuheben. Mein besonderer Fokus
liegt auf der ′Erhellung′ der subjektiven Verarbeitungsleistungen, die innerhalb
dieses rekursiv-reflexiven Konstitutionsprozesses sich wechselseitig bedingender
Strukturen (seien es die Subjekt- oder Erwerbsarbeitsstrukturen) den Subjekten
zunehmend abverlangt werden.
- 6 -
1. DIE INSTITUTIONALISIERUNG VON ERWERBSARBEIT ALS
MODERNE VERGESELLSCHAFTUNGSINSTANZ
Galt in vormodernen Gesellschaften Arbeit ursprünglich allein als schwere
körperliche Arbeit (die grundsätzlich negativ bewertet wurde), die z. B. in der
griechischen Antike von Knechten, Sklaven und bezwungenen Feinden geleistet
werden musste (vgl. Bonß 1999, S. 145), so kann für das späte Mittelalter eine
schleichende Ausweitung des Arbeitsbegriffs festgestellt werden: Arbeit war
weniger schwere körperliche Tätigkeit, sondern sie umfasste zunehmend auch
geistige Anstrengungen. Parallel dazu zeichnet sich eine sukzessive Relativierung
der Gleichsetzung von Arbeit mit Zwang und Bestrafung ab (vgl. ebd., S. 146).
Zwar bleibt Arbeit mühselig und in der Regel unfreiwillig, aber zugleich gewinnt
ihre Interpretation als moralische Verpflichtung an Boden. Der aktiv arbeitende
bürgerliche Mensch ist der bestimmte Typus, der sich über die Arbeits- und
Leistungsorientierung definiert. Er emanzipiert sich zunehmend selbstbewusst
vom feudalistischen Adel. Verkoppelt mit Kompetenz und Leistung ist Arbeit für
ihn nicht Zwang und Bestrafung, sondern produktiv-aktive Naturaneignung,
erfolgreiche Naturbeherrschung und Mittel zur Wertschöpfung (vgl. ebd.).
Es werden allerdings keineswegs alle Formen produktiv-aktiver Naturaneignung
als Arbeit begriffen, sondern vor allem die bezahlen Tätigkeiten – eine
Akzentsetzung, die dazu führt, dass sich die bürgerliche Arbeitsgesellschaft in
einer spezifischen Form, nämlich der Erwerbsarbeitsgesellschaft, konstituiert
(vgl. ebd.). In ihr wird Arbeit immer häufiger – jedoch niemals in Gänze – als
′Erwerbsarbeit′ verstanden. Erwerbsarbeit meint Arbeit, die zur Herstellung von
Gütern oder Erbringung von Leistungen zum Zweck des Tausches auf dem Markt
dient, mit der man ein Einkommen erzielt, von der man lebt: sei es in abhängiger
oder selbständiger Stellung oder in einer der vielen Zwischenstufen, sei es mit
manueller oder nicht-manueller, mit mehr oder weniger qualifizierter Tätigkeit
(vgl. Kocka 2000, S. 481). Somit spiegelt sich im ′aufgeklärten′ Verständnis von
Arbeit eine Dichotomie: Zum einen formuliert Hegel, dass es „das unendliche
Recht des Subjekts [ist], daß es sich selbst in seiner Tätigkeit und Arbeit
befriedigt“ (Hegel 1975 zit. nach Hahne 2001, S. 1) fühle, zum anderen hat z. B.
- 7 -
- 7 -
Marcuse die Selbstentfremdung durch den Entäußerungsprozess in der Arbeit als
zwangsläufig beschrieben:
„In der Arbeit geht es immer zuerst um die Sache selbst und nicht um den
Arbeitenden. (...) In der Arbeit wird der Mensch immer von seinem
Selbstsein fort auf ein anderes verwiesen, ist er immer bei Anderem und
für Andere.“ (Marcuse 1933 zit. nach Hahne ebd.)
In der industriellen Kultur heißt das Leitbild von Arbeiten ökonomisch abhängige,
technisch und sozial hochgradig organisierte und in der Regel räumlich
konzentrierte Erwerbsarbeit und darauf bezogene Motivierung und
Interessenorientierung wirtschaftlich orientierten Handelns. Als Ausdruck der
Institutionalisierung von Erwerbsarbeit kann m. E. die Herausbildung des (in
erster Linie männlichen) „Normalarbeitsverhältnisses“ gelten, welches durch
folgende Merkmale gekennzeichnet ist: abhängige und unbefristete
Vollzeitarbeits-Verträge; stabile Vergütung, betriebsförmige Organisation der
Arbeit, möglichst beim selben Arbeitgeber erwerbslebenlang ausgeübt, je
qualifizierter, um so besser, weitgehende Unkündbarkeit, generöse soziale
Absicherung im Falle der Arbeitslosigkeit oder vorzeitigen Verrentung. Die
Bedeutung von Erwerbsarbeit lässt sich nicht nur rechtlich und quantitativ-realiter
(über Statistiken geleisteter bezahlter Arbeitsstunden o. ä.) bestimmen, sondern
Erwerbsarbeit ist auch kulturell-symbolisch besetzt, z. B. über einen geltenden
gesellschaftlichen Status, Sozialprestige, Nationenvergleich in puncto
Wirtschaftskraft bis hin zu unterschiedlichen Modalitäten der Identifizierung mit
„Helden der Arbeit“ (vorwiegend in sozialistischen Ländern). Nicht-
Erwerbsarbeit (z. B. Hausarbeit, Kindererziehung, Pflege von Verwandten oder
′Schwarzarbeit′) ist andere Arbeit (vgl. Schmidt 1999, S. 12 f.).
Im oben skizzierten Sinne – so kann mit Baethge (1991) konstatiert werden – war
die Erwerbsarbeit das Feld von Vergesellschaftung – als Sozialität herstellender
- 8 -
Identitätsprozess – par excellence: Die arbeitenden Subjekte ′erfuhren′
Erwerbsarbeit als die zentrale Instanz, durch die sie ihre Identität und
Subjektivität als Arbeitende herstellen und begreifen konnten. Dieser Umstand
brachte in der Arbeiterbewegung nicht nur die politisch folgenreichste
Assoziation für die Entwicklung von bürgerlicher Gesellschaft und Staat hervor,
sondern ließ auch unterhalb der politischen Organisationsebene im Alltag eine
Fülle sozialer Kommunikations- und Identitätsformen entstehen. Diese
Feststellung führt zu einem Verständnis von Vergesellschaftung als „Ausdruck
kommunikativen und interessenbezogenen Handelns von Individuen“ (Baethge
1991, S. 268), in dem die Individuen ihre soziale Identität als „Zugehörigkeit zur
symbolischen Realität einer Gruppe“ (Habermas 1976 zit. nach ebd.) erfahren und
zugleich manifestieren. Die objektive Basis dieser Vergesellschaftung bildet der
Siegeszug der Lohnarbeit, die kapitalistische Vereinheitlichung der
Arbeitsverhältnisse unter dem Zepter der abstrakten Arbeit (Marx). Als
subjektiver, identitätsstiftender Prozess vollzieht sich Vergesellschaftung unter
den Bedingungen entfremdeter Arbeit vor allem als Protest aufgrund gemeinsamer
Leiderfahrungen in der Arbeit. Dieser Protest der so entstandenen Arbeiterklasse
manifestiert sich maßgeblich in Form von Gemeinschaftlichkeit herstellenden
Kommunikationsformen im betrieblichen Alltag und unverwechselbaren
Symbolen der Zusammengehörigkeit, die mit der Gegensätzlichkeit zu anderen
Gesellschaftsgruppen zugleich das Gefühl der eigenen Stärke vermitteln (vgl.
ebd.). Obwohl, wie ich im Verlauf der Arbeit zeigen werde, Arbeit offensichtlich
für die Identitätskonstruktion der Subjekte eine erhebliche Bedeutung behalten
hat, so ist dennoch auf die realen strukturellen Veränderungen in den
Arbeitsprozessen und Beschäftigungsverhältnissen selbst einzugehen, die das
traditionelle – auf der ′Institution′1
Erwerbsarbeit basierende –
Vergesellschaftungsmodell ′ausgehebelt′ haben (vgl. ebd.)
2
, d. h.
identitätsstiftende Bezüge für die Arbeitenden sich auch außerhalb der Sphäre
′Arbeit′ etabliert haben. Diese Veränderungen werde ich in den folgenden
Kapiteln näher analysieren.
1
Zur polyvalenten Bedeutung des Institutionen-Begriffs für die Konstitution von Subjekt-
strukturen s. Kap. 3.3.
2
Gleichwohl muss an dieser Stelle m. E. erwähnt werden, dass gerade unter
geschlechtsspezifischer Betrachtung nicht gerade von einer ′Aushebelung′ des traditionalen
Vergesellschaftungsmodus, nämlich Vergesellschaftung über Erwerbsarbeit, gesprochen werden
kann: Der gestiegene Anteil von Frauen an der Erwerbsquote (vor allem ab den 1980-er Jahren)
belegt doch aus- drücklich eine Orientierung am – bisher verstärkt männlichen –
Vergesellschaftungsmodus (über Arbeit).
- 9 -
2. DIE ORGANISATION VON ERWERBSARBEIT IM UMBRUCH
Die Auffassung von Pries (1998), dass wir Zeugen eines tiefgreifenden und
qualitativen Wandels des ökonomisch-technischen Systems, des Wandels von
Produkten, Produktion und Arbeitsbedingungen seien, teile ich. Allerdings sind
ganz offensichtlich die traditionellen wissenschaftlichen – und das heißt vor
allem: die industriesoziologischen – Interpretationen dieser Wandlungsprozesse
veränderungsbedürftig (vgl. Pries 1998, S. 25): Ob der Wandel allerdings mit
Schlagworten wie „Dritte Industrielle Revolution“, „Umbruch von Technik und
Arbeit“, „Ende des Taylorismus“, „Das Ende der Arbeitsteilung“, „Neue
Produktionskonzepte“, „Mikroelektronische Revolution“ oder „Neuer Typ
systemischer Rationalisierung“ hinreichend bezeichnet oder charakterisiert wird,
bleibt fraglich – zumal dann, wenn obige Schlagworte mit
gesellschaftstheoretischen Modellen, wie etwa „Von der Industriegesellschaft zur
Risikogesellschaft“ (Beck 1986), „Das Ende der Arbeit“ (Rifkin 1995) oder
„Arbeit zwischen Misere und Utopie“ (Gorz 2000) verbunden werden (vgl. Pries
ebd., S. 26). Daher folge ich zunächst – neben anderen – hauptsächlich Burkart
Lutz, um dem Umbruch der Organisation von Erwerbsarbeit eine angemessene
Eingangssystematik zu geben.
2.1 DIE ABLÖSUNG DES ARBEITSPARADIGMAS
INDUSTRIELLER GESELLSCHAFTEN
2.1.1 STRUKTUR- UND ENTWICKLUNGSANNAHMEN DES ARBEITSPARADIGMAS
IN INDUSTRIELLEN GESELLSCHAFTEN
Burkart Lutz (2001) geht davon aus, dass man sich einen „essentiellen
Paradigmenwechsel“ in der sozialwissenschaftlichen Sicht von organisierter
Erwerbsarbeit in Erinnerung rufen müsse: Das bisherige Paradigma von Arbeit in
industriellen Gesellschaften sei einem neuen gewichen, welches seit Beginn der
1980-er Jahre zahlreiche Veränderungen beinhaltete, die mit den grundlegenden
Annahmen der herkömmlichen Sicht von Arbeit in Industriegesellschaften –
- 10-
- 10 -
gemeint sind Formen tayloristisch-fordistischer Produktion – nicht mehr in
Einklang zu bringen seien (vgl. Lutz 2001, S. 2 ff.).
Doch zunächst skizziere ich die Struktur- und Entwicklungsannahmen3
des
Arbeitsparadigmas in industriellen Gesellschaften4
, in der das Leitbild der
′wissenschaftlichen Betriebsführung′, also des Taylorismus vorgeherrscht hat (vgl.
zu beidem ebd. und zu Ersterem auch Baethge 2001). Die grundlegenden
Strukturen sind vor allem:
• Auf hierarchische und funktionale Arbeitsteilung gegründete Formen der
Betriebsorganisation sichern die weitaus höchste Effizienz bei der
Produktion von Gütern und der Bereitstellung von Leistungen; sie sind
insofern essenzielle Voraussetzungen von Prosperität.
• Vertikal hochintegrierte und stark hierarchisch organisierte Groß- und
Mittelbetriebe sind hoch autark und von anderen Betrieben oder
Organisationen weitgehend unabhängig.
• Ein Produktionskonzept der Standardisierung von Produkten und der
Rationalisierung von Prozessen mit den entsprechenden Anforderungen an
Disziplin und Ordnung, um die economics of scale
5
zu nutzen, herrscht
vor.
• Lohnarbeit – in der statistischen Definition ′abhängiger Beschäftigung′ –
ist als der Normalfall von Erwerbsarbeit institutionalisiert (vgl. Kap. 2);
untrennbar damit verbunden ist eine strikte Trennung zwischen Arbeit und
Nicht-Arbeit (Familie, Freizeit o. ä.).
3
Diese ′Annahmen′ sind nicht solche im Sinne von Hypothesen bzw. Vermutungen, sondern
haben eher deskriptives Niveau, d. h., viele ′Annahmen′ gelten ja bereits bzw. konstituieren das
Arbeitsparadigma industrieller Gesellschaften.
4
Baethge (2001) kennzeichnet das Arbeitsparadigma industrieller Gesellschaften als
„Industrialismus“ – diesen wiederum definiert er als „institutionelle Verfasstheit von Arbeit“
(Baethge 2001, S. 30), die in einer für Deutschland typischen Ausprägung spezifische Merkmale
sowohl auf der Unternehmensebene als auch auf gesellschaftlicher Ebene aufweise. Die
Merkmale habe ich in obige Auflistung integriert.
5
Selten ist für diesen in der Literatur viel zitierten Begriff eine Definition zu finden: am ehesten
trifft es wohl ein ′Einhalten der unternehmerischen Erfolgskennzahlen′.
- 11 -
• Die Berufsbildung orientiert sich am Facharbeiterprofil bzw. am Profil
des Fachangestellten, sie ist im Wesentlichen durch ihre Einbindung in die
betrieblichen Arbeitsprozesse bestimmt. Hierdurch entsteht bereits in
früher Jugend eine Sozialisation – in Gestalt betriebsförmiger Ausbildung
– in das Arbeits-, Organisations- und Normengefüge industrieller Arbeit.
Zudem definiert auch die Stellung des Individuums in der betrieblichen
Struktur funktional-hierarchischer Arbeitsteilung seine Position und
zumindest seine materiellen Chancen (und die seiner Familie) in allen
anderen gesellschaftlichen Lebensbereichen und Sphären.
• Der Arbeitsmarkt ist das zentrale Medium, das über die Vermittlung der
von Individuen angebotenen und von den Betrieben nachgefragten
Arbeitsbefähigung zugleich rationale, das heißt ökonomisch effiziente,
und dem Prinzip der Chancengleichheit entsprechende Form der
Arbeitskräfteallokation und der Zuweisung von Lebenslagen sichert.
• Erziehung, Bildung und Ausbildung in den hierfür spezialisierten
Institutionen haben die Aufgabe, die Arbeitsbefähigungen des
Individuums so weit wie möglich zu entwickeln, um ihm auf diese Weise
optimale Voraussetzungen zur Wahrung der sich am Arbeitsmarkt
bietenden Chancen zu sichern.
• Der Staat hat hauptsächlich die Aufgabe, durch normative Regelungen
gleiche Handlungschancen für alle Arbeitsmarktpartner sicherzustellen
und dafür zu sorgen, dass ausreichende Subsistenzmittel bereitstehen,
wenn kein zur Sicherung des Lebensunterhalts ausreichendes
Arbeitseinkommen erzielt werden kann. Öffentliche Arbeitsmarktpolitik
bleibt im Wesentlichen auf Versuche zur indirekten Beeinflussung
ökonomischer Parameter des Arbeitsmarktes (z. B. durch
Investitionsförderung, Subventionen etc.) beschränkt.
• Der Familientypus industrieller Gesellschaften weist einen männlichen
Haupternährer und eine klare Rollenteilung zwischen Mann und Frau auf:
der Mann verdient das Geld, die Frau ist für Haus und Familie zuständig.
- 12 -
• Das Sozialversicherungssystem, das die Höhe der Renten an die geleistete
Arbeitszeit bindet und Vollzeitarbeit begünstigt, ist an das (Normal)-
Arbeitsverhältnis gebunden.
Die zentralen Entwicklungsannahmen6
lassen sich in zwei Thesen resümieren:
• Technischer Fortschritt ist der zentrale Entwicklungs- und
Veränderungsimpuls von Arbeit, und zwar in doppelter Hinsicht:
einerseits direkt durch die mit technischem Fortschritt verbundenen
Innovationen von Produkt und Produktionsverfahren; andererseits indirekt
über die ökonomischen Wirkungen der von ihnen ermöglichten
Steigerungen von Produktivität und Wohlstand, die ihrerseits einen
tiefgreifenden Wandel von Nachfrage- und Produktionsstruktur (z. B.
wachsende Bedeutung des „tertiären Sektors“) verursachen.
• Die oben skizzierten Annahmen über die charakteristischen Strukturen von
Arbeit setzen sich im Prozess gesellschaftlicher Modernisierung
sukzessive gegen zunächst noch starke, dann aber zunehmend
residualisierte Strukturen durch, die den Produktions- und Lebensweisen
früherer historischer Stadien entsprechen. Erst am Ende einer längeren
Übergangszeit sind die typischen Merkmale von Arbeit in industriellen
Gesellschaften in reiner, unvermischter Form zu beobachten.
Der Frage, ob und wie sich ein neues ′post-industrielles′ Paradigma
herausgebildet hat, soll im nächsten Kapital nachgegangen werden.
2.1.2 EIN NEUES, „POST-INDUSTRIELLES“ PARADIGMA GESELLSCHAFTLICHER
ERWERBSARBEIT
Die Veränderungen, die verantwortlich sein könnten, ein neues – ′post-
industrielles′ – Paradigma gesellschaftlicher Erwerbsarbeit zu konstituieren,
machen im Weiteren Lutz (ebd.), aber auch Moldaschl/Sauer (2000), Sauer et al.
(2001), Pries (1998) und Baethge (2001) – wiederum in Form von Annahmen –
6
Vgl. Fußnote 2.
- 13 -
deutlich, indem sie die gravierenden Umbruchprozesse in den Unternehmen
benennen:
• Mit der organisatorischen Dezentralisierung großer Unternehmen auf der
einen und der unternehmensübergreifenden Vernetzung, der zunehmenden
organisatorischen Verselbständigung und Auslagerung – verstärkt durch
das Globalisierungsphänomen – auf der anderen Seite erodieren die
Grenzen zwischen Unternehmen und ihrem Umfeld, was der These von
der „Auflösung des Unternehmens“ entspricht
7
. Somit wird ein neues
Verhältnis von „Innen“ und „Außen“ definiert (vgl. Moldaschl/Sauer
2000, S. 205). Zumindest die innerbetrieblichen Integrations- und
Vernetzungstendenzen sind im Laufe der 1980er-Jahre, vor allem in den
Versuchen einer zunehmenden datentechnischen Beherrschung
gesamtbetrieblicher Abläufe (CIM-Systeme), klarer hervorgetreten und
haben den systemischen Charakter betrieblicher Rationalisierung – welche
auf eine nachhaltige Reorganisation tendenziell aller inner- und
überbetrieblichen Prozesszusammenhänge zielt – weitgehend bestätigt
(vgl. Sauer et al. 2001, S. 183).
• Es entstehen zunehmend Käufermärkte; Innovationszyklen werden kürzer:
Hierdurch verändert sich das strategische Gewicht der betrieblichen
Funktionsbereiche zueinander; die Innovation generierenden und die den
Markt organisierenden Abteilungen treten in den Vordergrund und aus
dem „Schlepptau“ der Produktion. Dies erfordert eine höhere
Spezialisierung und Professionalisierung dieser Bereiche (vgl. Baethge
2001, s. 33.).
• Die Struktur von Markt und Hierarchie, von Kooperation und Wettbewerb
gestaltet sich neu: einerseits durch den Einzug marktlicher Prinzipien in
die planwirtschaftliche Binnenstruktur der Unternehmen (Internalisierung
des Marktes; Vermarktlichung); andererseits werden in den sich
7
Hierzu bemerkt Funder (2000), dass die vollständige „Auflösung“ organisationaler Grenzen
jedoch fraglich erscheine, wohl aber könne von einer Neuordnung gesprochen werden (vgl.
Funder 2000, S. 21).
- 14 -
herausbildenden Produktions- und Dienstleistungsnetzen die bislang
zwischen den Unternehmen vorherrschenden externen, marktförmigen
Austauschbeziehungen durch hierarchisch strukturierte Formen der
Steuerung und Kontrolle abgelöst (vgl. Moldaschl/Sauer ebd., S. 206).
• Die Formen der Nutzung von Arbeitskraft und der Gestaltung von
Arbeitsverhältnissen verändern im Rahmen einer Neubestimmung des
Verhältnisses zwischen Arbeit und Kapital das Ziel moderner
arbeitskraftbezogener Rationaliserungsstrategien: Das Ziel ist, unter den
Stichworten Flexibilisierung und Selbstorganisation, ein grundsätzlich
erweiterter Zugriff auf das Arbeitsvermögen. Es kommt damit zu einer
inhaltlichen, zeitlichen und sozialen Entgrenzung von Arbeit, mit der auch
die Scheidelinien zwischen der Nutzung von Arbeit im Arbeitsprozess
sowie der individuellen und gesellschaftlichen Reproduktion von
Arbeitskraft („Arbeit und Leben“) neu gezogen werden (vgl. ebd.).
• Vor allem aufgrund des Vordringens mikroelektronischer Informations-
und Steuerungstechnik in Fertigung, Verwaltung und Dienstleistung
werden zunehmend neue Formen der Arbeitsorganisation eingeführt, die
eine jahrzehntelange Tendenz zu vertiefter horizontaler, funktionaler und
hierarchischer Arbeitsteilung zumindest partiell rückgängig machen (vgl.
Lutz ebd., S. 4).
• Der Großbetrieb, der bisher als Prototyp effizienter Nutzung von Technik
und rationeller Organisation galt, beherrschte die bisherige Sicht von
Arbeit in Industriegesellschaften. Allerdings wird mehr und mehr deutlich,
dass sich zunehmend eine neue Art von Betrieben mit deutlich vom
großbetrieblichen Modell abweichenden Organisationsformen herausbildet
(vgl. ebd., S. 4 f.).
• Ein weiterer Fokus muss auf die Veränderungen der
Tätigkeitsanforderungen und Qualifikationsstrukturen gerichtet werden:
Wandelt sich das Verhältnis zwischen körperlicher und geistiger Arbeit
- 15 -
grundlegend und besteht die Tendenz bzw. Chance einer umfassenden
Reprofessionalisierung von Industriearbeit (vgl. Pries 1998, S. 26)?
• Kontrollansprüche und Herrschaftsstrukturen wandeln sich, allerdings:
„Versachlichen“ sich die betrieblichen Kooperationsbezüge durch den
Einsatz neuer Informations- und Steuerungstechniken, oder steuern wir auf
die totale Verhaltenskontrolle Orwell´schen Zuschnitts zu (vgl. ebd.)?
• Die Frage, wer die „Rationalisierungsgewinner“ und die
„Rationalisierungsverlierer“ sind, rückt in den Vordergrund: Erleben wir
eine generelle Entwertung körperlicher Arbeit, z. B. sensumotorischer
Fertigkeiten sowie der hiermit verbundenen Berufe, wird Ingenieursarbeit
immer mehr zur „normalen“ Sachbearbeitertätigkeit (vgl. ebd., S. 27)?
• Es gibt kaum Zweifel, dass auch in Deutschland spätestens seit den 1980-
er Jahren der tertiäre Sektor der wirtschaftlich dominierende ist (vgl.
Baethge ebd., S. 24). Zudem waren in Deutschland bereits 1996 71
Prozent der Tätigkeiten Dienstleistungstätigkeiten (vgl. ebd., S. 26).
• Im Gefolge des demografischen Sprungs im letzten Jahrhundert und des
demografischen Übergangs Anfang der 1970-er Jahre „wandern“ sehr
unterschiedlich starke Kohorten durch die Alterspyramide – bei deutlicher
Alterung von Erwerbstätigen und vor allem von Nichterwerbstätigen (vgl.
ebd., S. 37).
• Die Pluralisierung von Haushalts- und Familienformen führt zu
veränderten Reproduktionsbedingungen, die nicht ohne Folgen im
Erwerbssystem bleiben (z. B. Vordringen von
Doppelerwerbstätigenhaushalten und weniger [männliche] Haupternährer-
Familien; mehr Alleinlebenden- bzw. Alleinerzieherhaushalte) (vgl. ebd.).
• Ein insgesamt deutlich gestiegenes (Aus-)Bildungsniveau führt neben
veränderten Ansprüchen an Arbeit auch zu komplexeren gesellschaftlichen
Teilhabe- und Selbstentfaltungsansprüchen (vor allem bei Frauen und
- 16 -
Jüngeren) – gleichzeitig verstärken sich für die weniger leistungsfähigen
Personen vielfältige Exklusionsrisiken (vgl. ebd.).
• Mit den Emanzipationsansprüchen und dem gestiegenen Wohlstand gehen
Verschiebungen in den Bedürfnissen einher, die bestehende institutionelle
Arrangements zu überfordern drohen und Veränderungen derselben
nahelegen (vgl. ebd.).
Welche neuen Formen der Organisation von Erwerbsarbeit innerhalb des post-
industriellen Paradigmas m. E. von Bedeutung sind, bestimmt die Struktur des
nächsten Kapitels (des Kapitels 2).
- 17 -
2.2 NEUE FORMEN DER ORGANISATION VON
ERWERBSARBEIT
Deutschmann (2002) geht davon aus, dass man resümieren könne, wenn es in der
Geschichte der Industriesoziologie ein zentrales erkenntnisleitendes Konzept
gegeben habe, so sei es das der „Massenproduktion“ (vgl. Deutschmann 2002,
S. 27). Noch bis in die 1970-er Jahre hinein habe es als Leitmotiv historischer
Interpretation der Rationalisierungsprozesse, beispielsweise des amerikanischen
Managements, gedient. In seinem Zentrum stand die Annahme einer
kapitalistischen Logik fortschreitender Organisierung und Technisierung.
Arbeitsprozesse und soziale Strukturen werden nach dem Prinzip der „economics
of scale“ umgestaltet und geraten damit in immer stärkere Abhängigkeit von
technischen Funktionszusammenhängen (vgl. ebd.). Deutschmann geht im
Weiteren davon aus, dass, da das technische Kontrollsystem „economics of
scale“ in den Großbetrieben des sekundären Sektors am weitestgehendsten
realisiert schien, eben diese Betriebe innerhalb des Produktionssektors im
Brennpunkt der Aufmerksamkeit der empirischen Industriesoziologie gestanden
hätten. Die im folgendem Kapitel dargestellten Konzepte und Modelle setzen alle
an der bereits in der Einleitung erwähnten Kritik an der Allgemeingültigkeit des
Massenproduktions-Modells an: Vor allem die Tatsache, dass sich die Akteure der
unternehmerischen Praxis in wachsender Zahl auf eine gänzlich andere Logik der
Reorganisation bzw. Rationalisierung einließen, zwingt heute dazu, den durch das
Massenproduktions-Paradigma analytisch ausgeblendeten Phänomenen neue
Aufmerksamkeit zu schenken (vgl. ebd.).
Hauptsächlich ausgeblendet bleibt zumeist das Phänomen der Tertiarisierung. In
welcher Gestalt sich die beiden zentralen Formen der Tertiarisierung, die auf der
Ebene der Wirtschaftsstruktur (meint den wachsenden Anteil des
Dienstleistungssektors) und die auf der Ebene der Organisationen (beinhaltet die
zunehmende relative Bedeutung der tertiären Funktionsbereiche in Unternehmen,
wie z. B. Management, Verwaltung, Marketing, Stäbe, Servicefunktionen), seit
ca. Beginn der 1980-er Jahre manifestieren – und welche Auswirkungen auf die
Anforderungen an die Beschäftigten sich jeweils aus ihnen ergeben – soll
- 18 -
- 18 -
Leitpunkt des folgenden Kapitels sein. Meine Darstellungssystematik konzentriert
sich in Bezug auf die Abfolge zunächst auf Konzepte, die dem
Produktionsbereich zuzuordnen sind, es folgen Konzepte, die sich eher auf
Dienstleistungsarbeit beziehen. Ansätze, die als ′querliegend′ zu den genannten
Konzepten begriffen werden können („Informatisierung“ oder „Wissensarbeit“),
werden in Form eines Exkurses dargestellt.
Am jeweiligen Kapitelende folgt ein Hinweis darauf, welche
Qualifikationsdimensionen mit der Etablierung der jeweiligen ′neuen Form′ der
Organisation von Erwerbsarbeit entstehen. Dies soll deshalb erfolgen, um mit
allen in Kap. 2 genannten ′Konzepten′ und ′neuen Formen′ unter Zuhilfenahme
dieser Qualifikations- und Anforderungsdimensionen zu Schlüsselkategorien
hinzuführen, aus denen sich dann die in Kap. 3 dargestellten Subjektstrukturen
entwickeln lassen.
2.2.1 TERTIARISIERUNG AUF DER SEKTORALEN EBENE
Vieles deutet darauf hin, dass die sektorale Einteilung in ′Land- und
Forstwirtschaft′, ′Produktion′ und ′Dienstleistungen′ starke Verschiebungen
erfährt bzw. auch von der Emergenz eines vierten Sektors, ′Information und
Wissen′, ausgegangen werden kann. Betrug bspw. im 18. Jahrhundert der Anteil
der Beschäftigten im Landwirtschaftssektor 80 Prozent der Gesamtbevölkerung –
und bezeichnet man heute diese Epoche deshalb als ′Agrargesellschaft′ –, so sind
heute nur noch 2,6 Prozent der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft tätig (vgl.
Willke 1999, S. 48). Der Anteil des Produktiossektors wuchs im Zuge der
Industrialisierung enorm (bis hin zur ′Industriegesellschaft′), nahm allerdings
durch technischen Wandel und Rationalisierung seit Beginn der 1970-er Jahre
kontinuierlich ab und ließ die so genannte ′Dienstleistungsgesellschaft′ entstehen,
in die der größte Teil der im industriellen Sektor freigesetzten Arbeitskräfte
aufgenommen wurde (vgl. ebd., S. 48 f.). Es bleibt also festzuhalten, dass sich
nicht alle Arbeitsprozesse in der Wirtschaft nach den Prinzipien der
- 19 -
Massenproduktion organisieren lassen – daher wirkt der technische Fortschritt
nicht in allen Sektoren in gleicher Weise, denn der Absatz von Massengütern aus
der landwirtschaftlichen, aber auch der industriellen Produktion, lässt sich von
einem bestimmten Punkt an nicht weiter steigern. Damit wirkt der technische
Fortschritt nicht weiter produktionssteigernd, sondern führt zu einer – wie oben
erwähnt – relativen Verringerung der in dem sekundären Sektor beschäftigten
Arbeitskräfte (vgl. Deutschmann ebd., S. 29).
Da nun allerdings zu befürchten steht, dass auch die Dienstleistungsproduktion –
und somit auch die Beschäftigung in diesem Sektor – durch zunehmende
Rationalisierung an ihre Grenzen stößt, scheint ein vierter Sektor, man könnte ihn
Wissenssektor nennen, in dem Information und Wissen als Quelle der
Wertschöpfung identifiziert werden können, längst entstanden zu sein. Nun kann
man einwenden, dass auch die Produktion bzw. Nutzung von Wissen eine
Dienstleistung sei, allerdings erscheint die Teilung zwischen Dienstleistungs- und
Wissenssektor sinnvoll, weil mit der Ausdifferenzierung eines Wissenssektors
unterstrichen wird, dass bei dieser Form von Dienstleistung das Wissen zum
zentralen zukünftigen Wertschöpfungsfaktor geworden ist (vgl. ebd.). Welche
ausdifferenzierten Dienstleistungen Kern des Wissenssektors sein könnten bzw.
längst sind, sei im Folgendem aufgeführt:
• Hochschulen, Akademien, Forschungseinrichtungen, Labors,
beratende Berufe, Software-Häuser, Verlage, etc. („Wissens-
Industrien“)
• Museen, Theater, Opern- und Musical-Häuser, Multimedia-Zentren
(„Kunst- und Kultur-Industrien“)
• Religionsgemeinschaften, Sekten, Esoterikzentren („Ethik-Industrie“)
• Agenturen, Studien- und Trainingszentren, Kur- und Tagungsstätten,
Coaching-Institute, Wellness-Studios, etc. („Selbstfindungs- und
Selbstverbesserungs-Industrie“) (vgl. ebd.).
Welche Konsequenzen sich aus der Verschiebung von Erwerbsarbeit innerhalb
der Sektoren auf die Strukturen der Beschäftigungsverhältnisse ergeben, sei in
Kap. 2.2.13 dargestellt.
- 20 -
Unter Berücksichtigung des Tertiarisierungs-Phänomens sollen nun in den
folgenden Kapiteln neue ′Konzepte′ der Organisation von Erwerbsarbeit
vorgestellt werden
2.2.2 DIE „NEUEN PRODUKTIONSKONZEPTE“
Kern/Schumann (1984) unterstellen für die 1980-er Jahre eine grundlegend
gewandelte Rationalisierungssituation: Die Perfektionierung der Mikroelektronik
–durch Entwicklung funktionsreicher, billig herstellbarer Mikroprozessoren, die
sich durch vielfältige Verwendungsmöglichkeiten auszeichnen und die in der
Fertigung für die verschiedensten Zwecke der Steuerung und Regelung eingesetzt
werden können –, weist in eine neue Richtung. Durch die Mikroelektronik wird
jene bereits in den 1950-er Jahren beginnende Automation, die zunächst nur für
Großbetriebe mit Massenfabrikation Bedeutung gewinnen konnte – weil sie die
große Serie, den durchstandardisierten Produktionsprozess und hohe Kapitalkraft
voraussetzte – durch eine Lösung komplettiert, die Automation und Flexibilität zu
kompatiblen Größen werden lässt (vgl. Kern/Schumann 1984, S. 15 f.). Durch die
gegebene Flexibilität der neuen Systeme sind Vernetzungen mit ursprünglichen
(tayloristischen) Prozessen möglich geworden, so dass die Funktionsbreite der
Produktionsmittel sehr viel größer wird. Die neue „Technik kann in nicht
standardisierte Prozesse vordringen [...] die wegen der geforderten Vielfalt und
Variabilität bisher als Reservat menschlicher Arbeit galten“ (ebd., S. 47).
In Bezug auf die Organisationsstrukturen ist anzuführen, dass die Veränderungen
innerhalb der Produktionstechnologien mit der Zeit auch eine Debatte um die
Auflösung der starren tayloristischen Trennung in die klassischen
Funktionsbereiche von Produktion und Fertigung, Instandhaltung und
Qualitätskontrolle und nicht zuletzt auch um die generell praktizierte Trennung
von dispositiven und ausführenden Tätigkeiten ausgelöst hat. Nicht nur in den
Bereichen der Technik soll modernisiert werden, auch die
Organisationsphilosophie erfährt einen Wandel, so dass man von einem Trend
weg von hochgradiger Arbeitsteilung und Spezialisierung hin zu einer Integration
und Ganzheitlichkeit in den Arbeitsabläufen sprechen kann. Dies kommt auch
- 21 -
darin zum Ausdruck, dass die Bildung von dezentralen, eher autonomen
Produktionszentren, in denen integrierte Teams arbeiten sollen, die die
Verantwortung für die Verfügbarkeit von Maschinen oder einer Produktionslinie
übernehmen, gebildet werden. Diese Neuerung hat neben einem positiven Effekt
auf die sozialen und beruflichen Kompetenzen der Arbeitnehmer auch Vorteile für
die Unternehmen: sie versprechen sich hiervon eine Verkürzung der Standzeiten,
z. B. im Falle eines Maschinenausfalls.
Mit Hilfe der reformierten Konzepte werden die Arbeiter zum ersten Mal in
deutlich feststellbarem Umfang wieder ′freier′, denn durch Gruppenbildung,
gruppendynamisches Training, Abbau von verkrusteten Hierarchien, stärkeren
Blick auf die Qualifizierung der Arbeiter – manifestiert durch „mehr Facharbeiter
in der Produktion“ (ebd., S. 50) –, der Entkopplung des Arbeitstaktes vom
Fließband und nicht zuletzt den breiteren Zuschnitt der Arbeitsplätze verbessert
sich die Lage der Arbeitnehmer sehr stark. Die Motivation für die Unternehmen
ist nach Kern und Schumann dreifacher Art, da die Produktion mehr Flexibilität,
mehr Produktivität und letztendlich auch mehr Qualität durch die integrierten
Strukturen erbringen wird. Alle diese Entwicklungen stellen einen beachtlichen
Wandel der Bedeutung und Verwertung menschlicher Arbeit innerhalb der
Kernsektoren der deutschen Industrie dar.
Die beiden Autoren sprechen in diesem Zusammenhang der Reorganisation und
Requalifizierung der Industriearbeit von der „Neoindustrialisierung“ und einem
entscheidenden „Paradigmenwechsel“ innerhalb der Industrie – oftmals in der
späteren Industriesoziologie als Reprofessionalisierung der Industriearbeit
bezeichnet –, der im Credo der neuen Produktionskonzepte zum Ausdruck
komme:
„Das Credo der neuen Produktionskonzepte lautet:
a) Autonomisierung des Produktionsprozesses gegenüber lebendiger
Arbeit durch Technisierung ist kein Wert an sich. Die weitestgehende
Komprimierung lebendiger Arbeit bringt nicht per se das
wirtschaftliche Optimum.
b) Der restringierende Zugriff auf Arbeitskraft verschenkt wichtige
Produktivitätspotentiale. Im ganzheitlichen Aufgabenzuschnitt liegen
keine Gefahren, sondern Chancen; Qualifikationen und fachliche
- 22 -
Souveränität sind auch Produktivkräfte, die es verstärkt zu nutzen gilt.“
(ebd., S. 19)
Die neuen Produktionskonzepte produzieren drei Kategorien von Mitarbeitern:
Zuerst können in erster Linie Produktionsfacharbeiter und
Instandhaltungsspezialisten als „Rationalisierungsgewinner“ bezeichnet werden:
Ihre Arbeitsgrundlage ist nicht mehr die überkommene, am Taylorismus
orientierte Arbeitsteilung, sondern es rücken zunehmend breiter zugeschnittene
und Qualifikationen umfassender nutzende Arbeitsplätze in den Vordergrund. Mit
ihnen zeigt sich ein verändertes Rationalisierungsverständnis: Die Arbeitskraft,
bislang potenzieller Störfaktor, die über eine restriktive Arbeitsgestaltung zu
ersetzen ist, gewinnt nunmehr eine herausgehobene Bedeutung mit Blick auf ihre
besonderen Qualitäten (vgl. Raehlmann 1996, S. 111 f.). Die Gruppe der
„Rationalisierungsdulder“ ist aufgrund von Merkmalen wie fortgeschrittenes
Alter, Fehlen polyvalenter Qualifikationen oder Zugehörigkeit zur Gruppe der
Frauen und Ausländer den Herausforderungen, die von den neuen
Rationalisierungsmustern ausgehen, nicht gewachsen. Sie verbleiben im Betrieb
aufgrund gewisser Schutzmaßnahmen ohne inner- oder überbetriebliche
Perspektive. Eine weitere Gruppe arbeitet in krisengeschüttelten Branchen, wo die
Beschäftigungsperspektiven unsicher sind. Deutlicher noch als diese Gruppe sind
die Erwerbslosen zu den „Rationalisierungsverlierern“ zu rechnen (vgl.
Kern/Schumann ebd., S. 22 f.).
Als Qualifizierungsdimension für die „Neuen Produktionskonzepte“ kann
festgehalten werden: Integrierte und ganzheitliche Einsatzbereitschaft in der
Arbeit.
2.2.3 DAS KONZEPT DER „SYSTEMISCHEN RATIONALISIERUNG“
Arbeitssoziologisch ist nicht nur die Entwicklung der Verschiebung von der
Produktion zur Dienstleistung bzw. der erhöhten Aufmerksamkeit der
Betrachtung vom Arbeiter- zum Angestellten-Block interessant, sondern vielmehr
muss m. E. der Blick auf die internen Veränderungen innerhalb der ′Blöcke′
- 23 -
gerichtet werden. Welcher ′Teil′ der lohnabhängig Beschäftigten als Profiteur des
sich anbahnenden Wechsels gelten kann, macht folgendes Zitat deutlich:
„Dass den Angestellten die Zukunft gehören werde, und dass sie zur
größten Gruppe der abhängig Beschäftigten avancieren würden, galt seit
den Theorien Clarks (1940) und Fourastiès (1954) in
sozialwissenschaftlichen Diskussionen als ausgemachte Sache.“
(Baethge/Oberbeck 1986, S. 15)
Obige Autoren definieren zu Beginn der 1990-er Jahre wie folgt:
„Systemische Rationalisierung in Dienstleistungsunternehmen heißt, dass
technische und organisatorische Maßnahmen nicht länger punktuell, auf
einzelne betriebliche Aufgaben hin betrieben werden, sondern dass von
den Unternehmen verstärkt auf die integrierte, technisch-soziale
Gestaltung von Arbeits-, Betriebs- und Marktstrukturen gezielt wird.“
(Baethge/Oberbeck 1990, S. 150)
In den 1980-er Jahren hatten sie bereits ausgeführt, dass systemische
Rationalisierungsprozesse dadurch gekennzeichnet seien, dass unter Nutzung
neuer, mikroelektronisch basierter Datenverarbeitungs- und
Kommunikationstechnik der betriebliche und überbetriebliche Informationsfluss,
die Kommunikation über die Kombination von Daten, die Organisation der
Betriebsabläufe und die Steuerung der unterschiedlichen Funktionsbereiche in
einer Verwaltung bzw. in einem Unternehmen in einem Zug neu gestaltet würden
(vgl. Baethge/Oberbeck 1986, S. 22).
Systemische Rationalisierung hat die Optimierung der Organisierung von Markt-
und Austauschprozessen zum Ziel. Deren begrenzte Durchschaubarkeit besser in
den Griff zu bekommen, Informationsvorteile herauszuschlagen, Kunden und
Lieferanten in ihren Verhaltensdispositionen und Interessen besser transparent zu
machen, um sie dauerhafter ans Unternehmen zu binden oder rechtzeitig
abzustoßen, seien die zentralen Rationalisierungsziele (vgl. ebd.). Interessant ist,
dass Personalkostenreduzierung offenbar nur eine strukturell nachgeordnete Rolle
spielt. Rationalisierung im Dienstleistungssektor heiße in erster Linie verbesserte
- 24 -
Antizipation von Marktentwicklungen und – wenn möglich – Erhöhung der
Kapazität zur Marktsteuerung, nicht vorrangig Weiterentwicklung von Technik
zur Kompensation menschlicher Arbeit (vgl. ebd.).
Auf die überbetriebliche Dimension systemischer Rationalisierung machen
Altmann et al. ebenfalls Mitte der 1980-er Jahre aufmerksam:
„Der „Neue Rationalisierungstyp“ macht in seinem systemischen
Charakter nicht an den Grenzen des Betriebes halt.
Rationalisierungsmaßnahmen dieses Typs beziehen die außerbetrieblichen
Liefer-, Bearbeitungs- und Distributionsprozesse mit ein. Mit der
datentechnischen Integration auch betriebsexterner Prozesse deuten sich
Veränderungen in der zwischenbetrieblichen Arbeitsteilung und in der
Struktur traditionell marktvermittelter Beziehungen zwischen den
Betrieben an, die die bislang erfaßte Reichweite gesellschaftlicher Folgen
beim Einsatz von Computertechnologien bei weitem übersteigen.“
(Altmann et al. 1986, S. 192)
Der Einsatz „Neuer Technologien“ sei die entscheidende Voraussetzung
betrieblicher Ökonomisierungs- und Flexibilisierungsstrategien. Damit sei die
Technik das zentrale Elastizitätspotential betrieblicher Rationalisierungsstrategien
– einhergehend mit einem zunehmenden Bedeutungsverlust von Arbeitskraft als
elastische Potenz (vgl. ebd., S. 196).
Bezugspunkt von Unternehmens- und Rationalisierungsstrategien wird die
Produktions- und Wertschöpfungskette sowie deren Effektivierung und
Flexibilisierung. Dies bedingt eine Ausrichtung von der horizontalen
Arbeitsteilung (klassischer Fordismus) hin zu der Ausschöpfung der Potentiale
der vertikalen Arbeitsteilung. „Der sachliche Zusammenhang einer
Produktionskette konstituiert sich neu über die organisatorische Ausgliederung
(Segmentierung) und Zusammenführung (Integration) von Teilprozessen in neue
organisatorische Einheiten.“ (Sauer/Döhl 1994, S. 199). Hierdurch werden
zum einen organisatorische, technische und arbeitskraftbezogene Vorteile in der
Spezialisierung, Flexibilität und Standardisierung einzelner und unterschiedlicher
- 25 -
Produktionssegmente innerhalb der Produktionskette genutzt, zum anderen wird
das eigenständige Produktivitäts- und Flexibilitätspotential der gesamten Kette
ausgeschöpft – überbetriebliche Arbeitsteilung und Kooperation werden zu einer
neuen Quelle der Wertschöpfung.
Wichtig erscheint in diesem Zusammenhang, auf den Wesensunterschied zur
′einzelfunktionsbezogenen Rationalisierung′ hinzuweisen: Bisherige
Rationalisierungsmaßnahmen wurden im Prinzip von unten und vom
Arbeitsmittel her, d. h. einzelfunktionsbezogen und mit nur begrenztem
Blickwinkel für Zusammenhänge mit angrenzenden Aufgabengebieten gedacht
und durchgeführt. Dagegen „werden Rationalisierungskonzepte jetzt eher von
oben, von der Organisation des gesamten Funktionsprozesses her, d. h. mit der
Perspektive der Veränderung von komplexen Funktionszusammenhängen und der
Realisierung mehrerer Wirkungspotentiale ... entwickelt und durchgesetzt.“
(Baethge/Oberbeck 1986, S. 23)
In Bezug auf die Folgen „systemischer Rationalisierung“ ist folgendes zu
bemerken: Es ist ein Wandel im Arbeitshabitus auszumachen. Dass Systemische
Rationalisierung allerdings automatisch dequalifizierende Auswirkungen auf die
Angestellten habe, könne lt. Baethge und Oberbeck als zweifelhaft angesehen
werden. Eine Dequalifizierungsprognose scheine ihnen nur für jene begrenzten
Teilgruppen kaufmännischer Angestellter in dispositiven Funktionen
wahrscheinlich, die mit Hilfs-, Kontroll- und Zuarbeitstätigkeiten befasst seien,
und für bestimmte Gruppen unterer und mittlerer Führungskräfte, deren
herkömmliche Kontrollfunktionen auf das System übertragen würden (vgl. ebd.,
S. 34).
Die Autoren sind weiter der Auffassung, dass als Haupttendenz aber die
Weiterentwicklung der EDV für die Kerngruppen der kaufmännischen
Angestellten eher in die Richtung einer dichteren Aktualisierung der ihnen im
betrieblichen Arbeitsalltag abgeforderten Qualifikationen gehe, da sie von
schematischen Rechenoperationen, Routineprüfungen und zeitaufwendiger
Informationsbeschaffung entlastet und auf die fachinhaltlichen Zentren ihrer
- 26 -
Arbeit konzentriert seien, das heiße für viele konkret, mehr Fälle oder Vorgänge
in der gleichen Zeit zu bearbeiten als früher (vgl. ebd.).
Weiter führen Baethge/Oberbeck aus, dass durch den Wechsel des Informations-
trägers vom Papier zum Mikrochip sich zwangsläufig die Umgangsformen des
Angestellten mit den Informationen änderten:
„Papier ist – verglichen mit dem Bildschirm – geduldig, gemächlich
und von kompakter Anschaulichkeit. Die Interaktion mit dem EDV-
System verlangt demgegenüber einen Arbeitsstil, der durch eine
Verbindung von Reaktionsschnelligkeit, Abstraktionsfähigkeit,
Konzentrationsfähigkeit und Genauigkeit gekennzeichnet ist.“ (ebd.,
S. 33)
Grundsätzlich gehen mit dem Einzug von „systemischer Rationalisierung“ zwei
zentrale Tendenzen der Veränderung einher:
a) die Veränderung der betrieblichen Macht- und Entscheidungsstrukturen:
zentrale Steuerungs- und Kontrollpotentiale werden stärker, dezentrale
Betriebseinheiten werden schwächer;
b) Hierarchien werden gefestigt, Prozesse der Demokratisierung bleiben
zurück.
Dem Begriff der „integrativen Organisationskonzepte“ kommt eine zentrale
Bedeutung zu: Er meint eine Integration der Geschäftsaktivitäten eines Kunden in
der Hand eines Sachbearbeiters. Ermöglicht werden diese Konzepte durch die
technisch neue Kapazität der Datenverarbeitung. Heterogene Aufgaben, die
vorher auf mehrere Arbeitsstellen bzw. Abteilungen verteilt waren, werden nun
von einem Sachbearbeiter (gebündelt) erledigt (vgl. Baethge/Oberbeck 1986, S.
29 f.).
In der Auseinandersetzung mit diesen neuen Konzepten der systemischen
Rationalisierung bezeichnen die Autoren Sauer und Döhl die
unternehmensübergreifende Produktion zu weitverzweigten
Produktionsnetzwerken auch als „Arbeit an der Kette“. Die Basis für die
Entstehung unternehmens- und länderüberschreitender Produktionsverbünde
bildet die Ausrichtung der systemischen Rationalisierung an Produktions- und
- 27 -
Wertschöpfungsketten. Die Konsequenzen, die sich aus diesen wirtschaftlichen
Umstrukturierungen ergeben, sind sehr vielseitig und ambivalent.
Es fällt auf, dass die breitere Nutzung menschlicher Arbeit und die Herausbildung
spezifischer Funktionen für das Funktionieren vernetzter Produktionsketten von
besonderer Bedeutung geworden ist. Im Zuge dessen werden die Arbeitskräfte
erneut versachlichten Zwängen unterworfen, was unter dem Strich für die
Mehrzahl der Beschäftigten zu einer Verschlechterung der Arbeitssituation führt.
Dieser Aspekt erscheint allerdings durch die Verlagerung von
Arbeitskräfteproblemen verschleiert und wird lediglich an den
Segmentationslinien (hochentwickelte Industriestaaten – Schwellenländer –
industrielle Billiglohnländer) erkennbar.
Kritik an der wissenschaftlichen Konzeptualisierung systemischer
Rationalisierung übt vor allem Ortmann:
„ ... systematisch ausgeblendet bleiben bei einer solchen rationalistischen
Focussierung alle möglichen Unklarheiten, Kontingenzen, Ambiguitäten,
immanenten Widersprüchlichkeiten, Irrationalitäten, betrieblichen
Besonderheiten, kulturellen Orientierungen [an Interpretationsmustern,
Leitbildern, Technikgläubigkeit etc.] [...].“ (Ortmann 1990, S. 99)
Denn auch noch so scharfer ökonomischer Druck führe erst via Wahrnehmung,
Interpretation, Kommunikation, kultureller und normativer Orientierung und
mikropolitischer Bezugnahme zu – zum Beispiel – Prozessen systemischer
Rationalisierung (vgl. ebd., S. 102).
Ortmann nimmt weiter – vermutlich eine Giddens-Analogie – mit dem Begriff der
„Dialektik systemischer Kontrolle“ den Macht- und Herrschaftsaspekt auf:
„Dialektik systemischer Kontrolle“ meine die Tatsache, dass Machtstrukturen
Ressourcen – er [Ortmann] würde hinzufügen: und Regeln – zur Verfügung
stellten, mit denen die Machtunterworfenen ihrerseits eine gewisse Macht über die
Mächtigen ausüben könnten (vgl. ebd., S. 113).
Als Qualifizierungsdimension für das Konzept der „Systemischen
Rationalisierung“ kann festgehalten werden: Dichte Aktualisierung von
- 28 -
Fachwissen, Fähigkeit zur überbetrieblichen Arbeitsteilung und Kooperation
sowie zur Bewältigung von heterogenen Aufgabenbündeln.
EXKURS 1: DIE „INFORMATISIERUNG DER ARBEIT“ ALS SYSTEMISCHER
PROZESS
Schmiede (1996) thematisiert den Prozess der systemischen Rationalisierung
unter dem besonderen Aspekt der ′Informatisierung der Arbeit′. Er führt aus, dass
die fortschreitende Informatisierung auf qualitativ neuartigem Niveau (also dem
Niveau der Mikroelektronik, manifestiert bspw. in den ′Neuen
Produktionskonzepten′, s. Kap. 2.2.2) und ihre zunehmende systemische
Einbindung (vgl. Kap. 2.2.3 zur ′Systemischen Rationalisierung′) die bis in den
1980-er Jahre dominanten Parameter der Entwicklung überforme: Die
organisatorische Zerlegung der Arbeit nach tayloristischen Prinzipien und die
Maschinisierung derselben werden transformiert und mit neuen Formen der
Informatisierung und Einbindung der Arbeit ′vermischt′ (vgl. Schmiede 1996, S.
145). Schmiede geht weiter davon aus, dass die Bedeutung der Informationsarbeit
weiter zunehmen werde. Dies gelte in quantitativer Hinsicht sowohl für die
Ausdehnung der Beschäftigtengruppen, die ausschließlich mit der Verarbeitung
von Informationen befasst seien, als auch für den Anteil der Informationsarbeit an
der Arbeit aller Beschäftigungsgruppen. Ebenso aber gelte es in qualitativer
Hinsicht: Je wirkungsvoller sich die Produktionsprozesse über die informatorische
Ebene steuern ließen, desto mehr werde die Informationsarbeit an Bedeutung
gegenüber der Arbeit auf der stofflich-energetischen Ebene des
Produktionsprozesses gewinnen (vgl. ebd.).
Unter dem Eindruck dieser Randbedingungen kann mit Schmiede konstatiert
werden: Arbeit wird unter dem Eindruck ihrer systemischen Einbindung reflexiv
i. S. v. verändernd auf sich selbst bezogen; sie macht sich zum Gegenstand ihrer
selbst:
„Arbeit benötigt in der Informationsgesellschaft eine neuartige, nämlich
reflexive Fachlichkeit. Die einfache, von der Dominanz der stofflichen
Ebene der Produktion bestimmte Fachlichkeit des Taylorismus-Fordismus
erodiert unter dem Eindruck sich beschleunigender Innovationsprozesse
- 29 -
und computergestützter Informatisierung der Arbeit; sie verliert darüber
hinaus in schwach strukturierten, „systemischen“ Aufgabenzuweisungen
ihre traditionellen funktionalen Grenzen. Gleichzeitig erfordert das
Eingebundensein in systemisch organisierte Kooperationszusammenhänge
von den Arbeitenden die Fähigkeit, sich in ihrem spezifischen fachlichen
Beitrag in Verhältnis zu den spezifischen Beiträgen anderer setzen zu
können. Mehr denn je ist also die fachliche Identität notwendig, um hier
agieren zu können.“ (Schmiede ebd., S. 146)
Diese geforderten Reflexionsleistungen der Arbeit sind ihrerseits nur als Ergebnis
eines subjekthaften Bezugs des Individuums auf die Bedingungen des
Arbeitshandelns denkbar, weil die prinzipielle Kontingenz dieser
Handlungssituation ein regelhaftes Handeln unmöglich macht; Subjektivität ist für
das Agieren in systemisch strukturierten Produktionsprozessen unverzichtbar (vgl.
Boes 1996, S. 109 ff.).
Mit dem Übergang zur „systemischen Rationalisierung“, so argumentiert nun
Schmiede weiter, erfolge gemeinsam mit der Schaffung einer systematischen
Interdependenz der organisatorischen Teilprozesse eine Parallelisierung von
Innovations- und Arbeitsprozess. Ein Weiteres kommt hinzu: Der arbeitende
Mensch ist in seiner Realitätskonstruktion zunehmend auf Informationssysteme
verwiesen, die scheinbar vollständig alle wesentlichen Aspekte des
Produktionsprozesses erfüllen. Seine Wahrnehmung ist zunehmend von der
Auseinandersetzung mit hochabstrakten, formalisierten Objekten bestimmt, nicht
mehr ausschließlich durch den Produktionsprozess selbst (vgl. Schmiede ebd.).
Begreift man nun die oben beschriebene Informatisierung der Arbeit in Form
eines systemischen Prozesses als Teil eines grundlegenden gesellschaftlichen
Wandels in Richtung „Informationsgesellschaft“ (Baukrowitz/Boes 1998), so
stellt sich folgende zentrale Frage: Wie verändern sich die Qualifikationen der
Beschäftigten im Übergang zur Informationsgesellschaft? Baukrowitz und Boes
geben keine ausführliche Auflistung aller sich wandelnder Einzelqualifikationen,
vielmehr kommt es ihnen darauf an, den Wandel des fachlichen Kerns von
Berufen und Tätigkeitsfeldern zu erfassen, das heißt, die beiden Autoren gehen
- 30 -
der Frage nach, welche grundlegenden Qualifikationsentwicklungen mit der
Informatisierung verbunden sind, die letztlich den gesamten fachlichen
Qualifikationszuschnitt verändern (vgl. Baukrowitz/Boes 1998, S. 1). Zunächst
unterscheiden sie – mit Rekurs auf Reich (1991)
8
– drei Hauptkategorien, die im
Folgenden ausgeführt werden sollen (vgl. hierzu ebd., S. 1 f.):
• Routinemäßige Produktionsdienste
Hierunter werden die monotonen Routinetätigkeiten gefasst, die in
den Unternehmen der Massenproduktion anfallen. Dieses sind
allerdings nicht allein die ausführenden Tätigkeiten der Produktion.
Vielmehr weisen auch routinemäßige Aufsichtstätigkeiten von
Managern der unteren und mittleren Ebene, große Anteile der
Programmierung von Software und vor allem die Arbeit der
Datentypisten, die sozusagen den Rohstoff der
Informationsgesellschaft, die Berge von Rohdaten, eingeben und
verarbeiten, diese Eigenschaften auf. Kennzeichnend für diese
Tätigkeiten ist, dass sie vorgegebenen Standardprozeduren folgen.
• Kundenbezogene Dienste
Diese Tätigkeiten bestehen aus einfachen, stereotypen Tätigkeiten, die
allerdings von Person zu Person erbracht werden und deshalb nicht
weltweit vermarktet werden können. Z. B. gehören
Krankenschwestern, aber auch Sekretärinnen zu dieser Gruppe.
• Symbolanalytische Dienste
Diese Dienste bestehen vor allem aus Tätigkeiten der Problemlösung,
-identifizierung und strategischen Vermittlung. Wissenschaftler,
Ingenieure, Berater, Werbemanager, Schriftsteller, Journalisten und
auch Musiker gehören in diese Gruppe. Diese „Symbol-Analytiker“
lösen, identifizieren und vermitteln Probleme, indem sie Symbole
manipulieren. Sie reduzieren die Wirklichkeit auf abstrakte Bilder, die
sie bearbeiten und mit denen sie experimentieren, die sie an andere
Spezialisten weiterreichen und die sie zurück in die Wirklichkeit
8
Reich, R. B.: Die neue Weltwirtschaft: das Ende der nationalen Ökonomien. Frankfurt am Main
1991 (mittlerweile in der Auflage von 1996 erhältlich).
- 31 -
verwandeln können. Dabei setzen sie Methoden wie mathematische
Algorithmen, juristische Argumente, wissenschaftliche Regeln und
andere Techniken als Werkzeuge ein. Die Arbeitssituation ist oft
durch Teamwork, auch in weltweiten Netzwerken, geprägt sowie
durch die Offenheit der Anforderungen, die an diese Gruppe gestellt
werden.
Die Autoren weisen im Weiteren darauf hin, dass diese von Reich so skizzierte
Differenzierung hauptsächlich auf die USA zutreffe, für die BRD erscheine die
Abgrenzung zwischen diesen Gruppen keineswegs so eindeutig: Viele
Beschäftigte, die in den USA den routinemäßigen oder den kundenorientierten
Diensten zugeordnet würden, wiesen in der BRD erhebliche symbolanalytische
Tätigkeitsanteile auf (vgl. ebd.). Zudem müsse für die BRD berücksichtigt
werden, dass, wolle man den Wandel innerhalb der Qualifikationsstruktur der
Beschäftigten erfassen, man ein insgesamt breiteres Feld von Beschäftigten in den
Blick nehmen müsse, was bedeute, in den Bereichen ′kundenorientierte Dienste′
sowie ′routinemäßige Produktionsdienste′ neben den Anteilen an hochgradig
standardisierten Tätigkeiten einen wachsenden Anteil von problemlösenden und
entscheidenden Tätigkeiten anzuerkennen; so könne man dann auf einem hohen
Abstraktionsniveau folgende Qualifikationsanforderungen bestimmen:
• Abstraktionsfähigkeit
Hiermit ist nicht nur die Fähigkeit zum Umgang mit gegebenen
Abstraktionen gemeint, sondern vor allem die Fähigkeit, einerseits
selbst Ereignisse und Vorfälle so zu interpretieren, dass sie im
Rahmen formaler Systeme bearbeitbar werden, und andererseits
abstrakte formalisierte Aussagen wieder in die Realität umzusetzen,
das heißt etwa für Kunden zu ′übersetzen′.
• Systemdenken
War bisher die modellhafte Vorstellung vom Arbeitsbereich auf einen
bestimmten Funktionsausschnitt beschränkt, so besteht heute die
Notwendigkeit, Einzelaspekte von dem Hintergrund eines ganzen
Geschäftsprozesses einzuordnen und zu interpretieren.
- 32 -
• Experimentieren
Moderne Arbeitssituationen sind häufig durch wirklich offene
Probleme gekennzeichnet, deren Lösungen es durch ′Experimentieren′
zu ′entdecken′ gilt.
• Zusammenarbeit
Die Fähigkeit zur Zusammenarbeit und zur Kommunikation erhält
sowohl im Kontakt zur Unternehmensumwelt als auch in den internen
Abläufen eine immer größere Bedeutung (vgl. ebd., S. 5).
Die Autoren betonen, dass es allerdings nicht bei dieser allgemeinen Bestimmung
von Qualifikationen bleiben dürfe: Es sei notwendig, von diesen allgemeinen
Qualifikationen den Wandel des fachlichen Kerns in den verschiedenen
Tätigkeitsfeldern zu erkennen und zu analysieren. Sie trennen dabei in
′Fertigungsbereich industrieller Produktion′ (vgl. hierzu bspw. mein Kap. 2.2.2 )
und ′Büroarbeit′ (vgl. hierzu bspw. mein Kap. 2.2.3): Für den Fertigungsbereich
konstatieren sie einen „Gewährleistungsarbeiter“ als einen „Facharbeiter neuen
Typs“ (ebd., S. 3), der sich durch die Fähigkeit zur theoretisch abstrakten
Modellbildung einerseits und die Fähigkeit zu empirischen Beobachtungen der
Anlage andererseits auszeichnet. Der Gewährleistungsarbeiter bringt also
theoretisches Basiswissen und Erfahrungswissen zusammen. Neue Büroarbeit
zeichnet sich durch eine Aufspaltung in Routinearbeit und qualifizierte
Sachbearbeitung aus. Diese Trennung ist hauptsächlich auf die zunehmende
Ausbreitung und Weiterentwicklung der Computertechnik zurückzuführen. Die
„Routinearbeiter“ erleben einen Trend zur Dequalifizierung; die „PC-Arbeiter“
sind sehr stark an die Kenntnis bestimmter – durch Innovation ständig
weiterentwickelter – technischer EDV-Systeme gebunden (vgl. ebd., S. 4 f.).
Als Qualifizierungsdimension für die „Informatisierung der Arbeit“ kann
festgehalten werden: Kommunikative Kooperationskompetenz in Verbindung mit
reflexiver fachlicher Identität, Gewährleistungsarbeit und komplexerer EDV-
Bedienung.
- 33 -
2.2.4 DAS KONZEPT DER „SCHLANKEN“ PRODUKTIONSWEISE: LEAN
PRODUCTION
Schmidt (1996) führt aus, dass ′lean′ zunächst einmal unmissverständlich schlank,
und das bedeutet ökonomisch und ästhetisch etwas Positives, meine (vgl. Schmidt
1996, S. 124). Teamarbeit und Entscheidungsdezentralisierung werden als
Kernstücke von lean production in der Fertigung immer wieder genannt (vgl.
ebd.). Darüber hinaus geht es um: Abbau von Hierarchie und Reduzierung von
bürokratischer Kontrolle, Abstimmung und Interessenausgleich durch
formalisierte informelle Meetings, die Pflege von Organisationskultur, die
Einführung von diversen Beratungsformen, Aufbau von multifunktionalen
Entwicklungsteams und die Forcierung des so genannten ´simultanen Entwickelns
und simultaner Erforschung´ sowie um die Institutionalisierung von Prozessen
permanenter Verbesserung („KVP“ = Kontinuierlicher Verbesserungsprozess;
„Kaizen“) (vgl. ebd.). Somit bedeutet lean production also mehr als ein
spezifisches Konzept der Arbeitsorganisation oder mehr als ein Fabrikmodell: Es
zielt auf innerorganisatorische Mechanismen und Regelungen von
Arbeitskrafteinsatz und -nutzung, auf zwischenbetriebliche Modi von Kooperation
und Distinktion ab (vgl. ebd.). Diese Aspekte, die anzeigen, dass das Konzept lean
production über den Bereich der Fertigung hinausreicht, belegt folgendes Zitat:
„Lean production läßt sich jedoch gerade nicht als ein Produktionsmodell
im engeren Sinne verstehen. Hier wird mindestens die gesamte
betriebliche Wertschöpfungskette, also Marketing und Entwurf ebenso wie
Entwicklung, Konstruktion und Produktion, Beschaffung und Absatz, zum
Rationalisierungsobjekt. (...) Lean production greift auch die bereichs- und
funktionsübergreifende Kooperation, die gesamtbetriebliche Steuerung
sowie die Beziehungen zu Kunden und Lieferanten als
Gestaltungsproblem auf.“ (Braczyk/Schienstock zit. nach Schmidt ebd., S.
126)
Schmidt ist im Weiteren der Auffassung, dass die Formel lean production einen
Charakter eines objektiven Leitbildes, einer Philosophie, eines Metaprinzips habe.
Nun ist zu fragen, inwieweit dieses Leitbild als neue Rationalisierungsstrategie in
Bezug auf neue Anforderungen an Arbeitskräfte zu interpretieren ist: Der Ansatz
- 34 -
von lean production ist verknüpft mit Strategien sozialer Rationalisierung, mit der
ökonomisch verwertungsrelevanten Umsetzung des Interesses an Berechenbarkeit
und – erweiterter – Beherrschbarkeit sozialer und kultureller Merkmale von
Arbeit(skraft) (vgl. ebd., S. 131). Dies sei spezifiziert durch folgendes Zitat:
„Auf der Interaktionsebene geht es vor allem um eine qualitative
Ausweitung der Nutzung von Arbeitskraft – etwa um notwendige,
erzwungene Ausrichtung auf Kooperation und Commitment. Die
Anreizvokabeln Kontingenz, Diskontinuität und Selbstorganisation
verweisen auf die vielfältigen Anstöße zur Freilegung und Nutzung von
still-liegenden oder qua Organisation und Policy – häufig nicht intendiert –
still-gelegten Ressourcen individueller Arbeitskraft und auf ökonomisch
sensibleren – intelligenteren! – Einsatz von Kooperation und
Koordination. Determinierung von Handlungsautonomie durch
Kontrollabbau, organisierte Kooperation zwischen unterschiedlich
qualifizierten Beschäftigten, Durchsetzung individuell flexibel nutzbarer
Zeitsysteme etwa – dies können wirksame Maßnahmen im Sinne von
´leaning of production´ sein.“ (Schmidt ebd., S. 136; Herv. i. Orig.)
Deutschmann (1996) macht mit Blick auf die Konsequenzen eines vermehrten
Einsatzes von lean production als Rationalisierungskonzept auf zwei sich
verändernde Institutionen aufmerksam: auf die Institutionen ′Beruf′ und
′unternehmensinterne Karriere′. In Bezug auf ′Beruf′ konstatiert er, dass Berufe
gesellschaftlich standardisierte Fähigkeitsprofile seien, die nicht auf die
funktionale Arbeitsteilung in einer Organisation, sondern auf einen
berufsfachlichen Arbeitsmarkt zugeschnitten seien (vgl. Deutschmann 1996, S.
144). Der Autor begreift nun Statusdenken und Abteilungsegoismus nicht als
individuelle Unzulänglichkeiten, sondern argumentiert, dass jene Eigenschaften in
tätigkeitsbezogener Form sozialer Identität – eben durch den Beruf – vermittelt
würden. Soll nun im Zuge von lean-production-Prozessen die Bereitschaft zur
Kooperation und Integration in den organisationsinternen Arbeitszusammenhang
und zu permanentem Lernen gefördert werden, wird ein möglichst breites
Qualifikationsprofil aller Mitarbeiter, das das Verständnis für die Verzahnung der
Tätigkeiten bewusst werden lässt, gefordert. Wirkt man auf diese Weise der
Ausbildung individuellen Statusdenkens – gleichsam automatisch – entgegen,
kann von der Erosion der Institution „Beruf“ als identitätsstiftende
Statusmarkierung ausgegangen werden (vgl. ebd., S. 145; speziell zu ′Beruf′ auch
- 35 -
Kap. 4.2.6). Nicht minder brüchig, so Deutschmann weiter, werde die
unternehmensinterne Karriere als Grundlage von Betriebsloyalität und
Arbeitsmoral. Gerade in Folge von lean production dürfte die Zahl der
Führungspositionen deutlich sinken; auch die für die soziale Integration der
Produktionsarbeiterschaft so wichtige Chance des Aufstiegs aus der Werkstatt in
die indirekten (d. h. in die nicht direkt produktionstechnischen) Bereiche und
technischen Büros dürfte erheblich eingeschränkt werden. Generalisierter
Austausch in der vertikalen Sozialdimension, überkontraktuelles Engagement als
´Investition´ in einem später zu erreichenden höheren Status dürfte deshalb als
Konsensformel in der ´verschlankten´ Produktion immer weniger zum Tragen
kommen (vgl. ebd., S. 152 f.).
Als Qualifizierungsdimension für das „lean production“-Konzept kann
festgehalten werden: Intraorganisationale Kooperation und Commitment in
Verbindung mit der Bereitschaft zu überkontraktuellem Engagement.
2.2.5 DAS KONZEPT DER „FLEXIBLEN SPEZIALISIERUNG“
Brandt (1986) führt in Bezug auf die Studie von Priore/Sabel, „Das Ende der
Massenproduktion“ (1985), aus, dass es den Autoren im Kern um die These
gegangen sei, dass sich in den entwickelten Industriegesellschaften Westeuropas
und der Vereinigten Staaten während der letzten ein oder zwei Jahrzehnte [also im
Zeitraum von Mitte der 1960-er bis Mitte der 1980-er Jahre; Anm. d. Verf.]
alternative Produktionsformen herausgebildet hätten, die der Massenproduktion
angesichts der von dieser nicht bewältigten veränderten ökonomischen
Rahmenbedingungen den Rang streitig machten und zur dominanten
Produktionsform aufrücken könnten (vgl. Brandt 1986, S. 109). Gedacht sei dabei
an alte und neue Formen der Craft Production
9
, die in Klein- und Mittelbetrieben
angesiedelt seien und aufgrund ihrer spezifischen Strukturmerkmale den
dargestellten Herausforderungen fortgeschrittener Industriegesellschaften eher zu
begegnen imstande seien als die großbetrieblichen Formen der Massenproduktion
9
Nach Auffassung Brandts nicht einfach mit „handwerklicher Produktion“ zu übersetzen, statt
dessen eher als klein- und mittelbetriebliche Formen industrieller Produktion bezeichnet.
- 36 -
(vgl. ebd.). Gemeinsames Merkmal dieser Produktionsformen ist das Prinzip der
′flexiblen Spezialisierung′, das anders als die Herstellung standardisierter
Produkte mit spezialisierten Ressourcen mittels Prinzip der Massenproduktion
(angelernte Arbeiter mit spezialisierten Maschinen) auf die Produktion
spezialisierter Produkte mit nicht-spezialisierten Ressourcen (qualifizierte
Arbeitskräfte und universale, programmierbare Maschinen) angelegt ist (vgl.
Sabel zit. nach Brandt ebd.).
Was das Konzept der flexiblen Spezialisierung für die arbeitenden Subjekte
bedeuten könnte, führt Sabel selbst aus:
„Die Massenproduktion basiert also auf der zunehmenden Trennung von
Planung und Ausführung, die flexible Spezialisierung dagegen auf ihrer
Integration. Das heißt, die Massenproduktion ist ein System mit geringer
Verantwortung, bei dem die Untergebenen nur das machen sollen, was
ihnen gesagt wird, während flexible Spezialisierung eine System mit hoher
Verantwortung ist: gerade weil keine Zeit bleibt, die Konstruktion neuer
Produkte in einfache Tätigkeit zu zerlegen, müssen sich die Vorgesetzen
darauf verlassen können, daß ihre Untergebenen allgemeine Instruktionen
umsetzen und ausführen können.“ (Sabel 1986, S. 45 f.)
Auf die ausführliche Kritik Brandts an der These von Priore/Sabel zum Ende der
Massenproduktion soll hier nur insofern eingegangen werden, als der
Hauptvorwurf in der „Vernachlässigung der Kontextbedingungen der von den
Autoren registrierten Veränderungen der Produktionsstruktur ...“, mit der Folge,
„... diese Veränderungen in ihrem Stellenwert und in ihrer Bedeutung nicht
adäquat interpretiert...“ (Brandt ebd., S. 103 f.) zu haben, liegt. Brandt ist der
Auffassung, dass sich die empirischen Belege von Piore/Sabel nicht auf klein- und
mittelbetriebliche, sondern auf großbetriebliche Produktionsformen bezögen.
Selbst die klein- und mittelbetrieblichen Formen der Craft Production mit
Kleinserien- und Einzelfertigung stellten kaum eigenständige Produktionsformen
und damit ein Gegenmodell zur Massenproduktion dar, so dass gemäß diesem
Verständnis Craft Production und flexible Spezialisierung ein komplementäres
Strukturprinzip repräsentieren, das zwar eine Flexibilisierung der überkommenen
Formen der Massenproduktion bedeutet, jedoch der Kontrolle der Großbetriebe
unterliegt und die Grundstruktur der Massenproduktion nicht in Frage stellt (vgl.
ebd., S. 112 ff.).
- 37 -
Als Qualifizierungsdimension für das Konzept der „flexiblen Spezialisierung“
kann festgehalten werden: Hohe Verantwortungsbereitschaft und
Integrationsfähigkeit in Bezug auf Planung und Ausführung.
2.2.6 DEZENTRALISIERUNG UND VERMARKTLICHUNG
Wenn sich Faust et al. in ihrem Aufsatz „Das neue Paradigma der reflexiven
Rationalisierung als Prozess der Reintegration von Dienstleistungsarbeit in die
herstellende Arbeit“ mit dem Dezentralisierungsphänomen auseinandersetzen,
machen sie innerhalb der Debatte um die Rationalisierungspraxis der 1990-er
Jahre einen ′Stilwechsel′ aus: Reflexivität, in früheren Phasen tayloristisch-
fordistischer Rationalisierung nicht verwirklicht – zumindest nicht beachtet –,
könne als ein wesentliches Merkmal heutiger (1990-er Jahre) Rationalisierung
identifiziert werden (vgl. Faust et al. 1995, S. 200). Anschlussfähig – an
′wissenschaftliche Betriebsführung′, ′Massenproduktion′ oder ′tayloristische
Rationalisierung′ – wird das Dezentralisierungsparadigma als neuer Trend, wenn
man es in das in Kap. 2.2.3 beschriebene Konzept der ′systemischen
Rationalisierung′ hineindenkt: die ihrerseits nicht nur die Formen der
Produktionsarbeit verändert, sondern organisatorisch verfestigte Formen der
Abtrennung indirekter, ′dienstleistender′ Arbeit sowie eine ausdifferenzierte
funktionale und hierarchische Gliederung der industriellen Organisationen und
darauf aufbauende und positionale Selbstverständnisse wie auch spezifische
Berufs- bzw. Karriereverläufe herausbildet (vgl. ebd.). Seit den ′neuen
Produktionskonzepten′ von Kern/Schumann (vgl. Kap. 2.2.2) allerdings, so fassen
die Autoren zusammen, könne von Folgendem ausgegangen werden: Der
„Technikdeterminismus“ der älteren Industriesoziologie, der von einer nicht
weiter reflektierten Prämisse der Identität betrieblichen
Rationalisierungshandelns mit den objektiven „Sachgesetzen“ des technisch-
wissenschaftlichen Fortschritts ausgegangen ist, sei passé. Anstelle technischer
Verwertungslogiken, die Maßnahmen technisch-ökonomischer
Effizienzsteigerung unmittelbar bestimmten, seien „Konzepte“ und
- 38 -
„Paradigmen“ getreten, die in jedem Fall entscheidungs- und akteursbezogene
Strukturierungen kennzeichneten (vgl. ebd., S. 10).
Folgendes Grundmerkmal kann in Bezug auf Dezentralisierung festgehalten
werden: Eine Reintegration von Herstellungs- und industrieller
Dienstleistungsarbeit wird angestrebt – diese Reorganisation kann in
verschiedenen Formen erfolgen: Einmal vornehmlich in Form der Reintegration
unmittelbar in herstellende Arbeitstätigkeiten (arbeitsorganisatorische
Reintegration im engeren Sinn) und zum anderen vornehmlich in Form der
Reintegration in dezentrale Produktionseinheiten (betriebsorganisatorische Form).
Auch kombinierte Formen (Qualitätszirkel, Kontinuierlicher
Verbesserungsprozess, Projektorganisation) sind möglich (vgl. ebd., S. 201).
Beide Entwicklungen können in Reorganisationsprojekte einmünden, bei denen
die größere funktionale Gliederung der Organisation aufgehoben oder
durchlässiger gemacht wird und insbesondere die funktionale Ausgliederung
spezialisierter, zentraler Stäbe auf Fabrikebene oder auf Unternehmensebene
teilweise zurückgenommen wird. Wird ein Betriebsteil oder eine Funktion
ausgelagert – in Verbindung mit dem Rückkauf der vormals dort erstellten
Leistungen –, spricht man von ′Outsourcing′ (vgl. Abendroth et al. 2002, S. 98.).
Faust et al. geben einen Ausblick über die Wirkungen, die ein Strukturwandel in
Richtung ′Dezentralisierung′ mit sich bringen würde:
• Die Reduzierung von Hierarchieebenen führt zu einer Verringerung
von Aufstiegspositionen in der ′Linie′, was unter ansonsten
unveränderten Bedingungen (Leitungsspanne) einen verringerten
Bedarf an Führungskräften zur Folge hat.
• Der Abbau von Arbeitsplätzen und Führungspositionen in den
indirekten, produktionsnahen Bereichen und auch in zentralen
Stabsbereichen ist zu erwarten.
• Führungskräfte in der Linie und auf den mittleren und unteren Ebenen
werden mit deutlichen Veränderungen der Anforderungen konfrontiert,
- 39 -
z. B. entstehen Typisierungen wie „Moderator der Selbstorganisation“
oder „Intrapreneur“.
• Ein Neuzuschnitt von Vorgesetztenrollen kann zu einem
Verdrängungswettbewerb führen: traditionelle Führungskräfte aus der
Produktion („Aufsteiger“, Meister) geraten im Vergleich zu jüngeren
Führungskräften ins Hintertreffen, da den Älteren Eigenschaften, wie
Flexibilität, Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit, abgesprochen
werden.
• Die produktionsnahen Bereiche und auch die zentralen Stäbe erfahren
einen veränderten Aufgabenzuschnitt: Führungskräften in diesen
Bereichen kommt die zentrale Experten-, Planungs- und
Kontrollfunktion zu; sie werden zunehmend auf die Rolle von
„Dienstleistern“ für die Produktion bzw. für den gesamten
Leistungserstellungsprozess verwiesen.
• Aus den organisatorischen Veränderungen erwächst eine Krise
traditioneller Karriere- und Aufstiegswege. Einerseits werden generell
an Führungskräfte erhöhte Anforderungen nach beruflicher
Einsatzflexibilität gestellt, andererseits werden technische
Fachqualifikationen in neuer Weise mit betriebswirtschaftlichen,
„quasi-unternehmerischen“ Funktionen verkoppelt. Schließlich
gewinnen auch sozial-kommunikative Fähigkeiten an Bedeutung.
Traditionelle Aufstiegswege von Facharbeitern aus der Produktion in
die technischen Büros und auf untere und mittlere Führungspositionen
werden verbaut oder doch zumindest durch die zugleich ansteigende
Konkurrenz mit akademisch gebildeten Arbeitskräften deutlich in ihrer
Bedeutung zurückgenommen (vgl. ebd., S. 202 f.).
Zusammenfassend bewerten die Autoren den bereits oben genannten Begriff der
„reflexiven Rationalisierung“ insofern als hilfreich, als er auf den Umstand
aufmerksam mache, dass vorgängige Macht- und Interessenstrukturen „um- und
rückgebaut“ sowie kognitive und normative Konzepte, die instrumentell verankert
seien und in individuellen Biographien angeeignet worden seien, – z. B. mit Hilfe
- 40 -
von Konzepten wie „organisationales Lernen“ – neu bewertet werden müssten
(vgl. ebd., S. 204).
Sauer und Döhl (1997) sehen in Bezug auf die Auswirkungen von
Dezentralisierungsmaßnahmen einen direktem Zusammenhang mit einem anderen
– sich im Grunde parallel entwickelnden – Phänomen: der Vermarktlichung.10
Dieser Begriff meint ein Koordinations- und Steuerungsprinzip durch den
Markt: die Öffnung der Unternehmen zum Markt, marktliche Sanktion anstelle
hierarchischer Kontrolle (marktorientierte Anreizsysteme), faktische oder fiktive
Konkurrenz von Unternehmenseinheiten (Cost-, Profit-Center) (vgl. Sauer/Döhl
1997, S. 22). In Bezug auf die marktbezogenen Maßstäbe der
Leistungsbeurteilung wird ausgeführt, dass diese die Möglichkeit eröffnen,
Verhalten und Strukturen auf Effizienz überprüfbar und hinsichtlich ihres
konkreten Beitrags zum Unternehmenserfolg (Rendite) bewertbar zu machen. Bei
den Beschäftigten soll das Bewusstsein durch unmittelbare Konfrontation mit den
marktlichen Alternativen (Konkurrenten) dafür geschärft werden, dass durch
mangelnde Effizienz der Bestand des Unternehmens und der Arbeitsplätze
gefährdet ist. In diesem Sinne bedeuten „Selbstorganisation“ und
„Eigenverantwortung“ die Ablösung der auf Macht und Anweisungsbefugnissen
beruhenden Herrschaftsstrukturen durch einen nicht minder harten und
wirkungsvollen, sich jedoch hinter den „Sachgesetzlichkeiten“ des Marktes
versteckenden Marktdruck (vgl. ebd., S. 26). Welche Probleme bei der
Motivierung der Beschäftigten im Zuge von Vermarktlichungsstrategien entstehen
können – und in ihrer Konsequenz ebenso auch Probleme für die Beschäftigten
bedeuten – sei durch folgendes Zitat belegt:
„Daß diese Art der Einbindung der Mitarbeiter offensichtlich so einfach
nicht funktioniert, zeigt die in den Restrukturierungskonzepten so
herausgehobene Bedeutung der „Vermarktlichung“ der Beziehungen von
dezentralen Einheiten. Marktdruck und Konkurrenz als Stimulanz für
Leistung und Leistungsbereitschaft verlängern das allgemeine Gebot, die
Gesetze des Marktes bei Strafe des Untergangs (hier Auslagerung,
Verkauf oder Schließung) zu befolgen, in das Unternehmen hinein und
10
Moldaschl/Sauer (2000) kennzeichnen beide Phänomene, Dezentralisierung und
Vermarktlichung, mit dem Begriff „ökonomische Dezentralisierung“ (Moldaschl/Sauer 2000,
S. 207).
- 41 -
ersetzen Motivation letztendlich durch Angst (vor Verlust des
Arbeitsplatzes). Insofern ist auch die zeitliche Koinzidenz von
Personalabbaumaßnahmen bislang unbekannten Ausmaßes und damit
verbundener Massenarbeitslosigkeit und der forcierten Durchsetzung
marktorientierter Organisationsmodelle sicher kein Zufall. Zumindest
wirkt die drohende Gefahr der Arbeitslosigkeit stark „motivierend“, sich
dem innerbetrieblichen Konkurrenzdruck auszusetzen.“ (ebd., S. 42)
So kann in Bezug auf die Vermarktlichung mit Sauer und Döhl geschlussfolgert
werden: Marktvermittelter Konkurrenzdruck setzt zwar möglicherweise die
gewünschten Leistungsreserven frei, sichert jedoch noch keineswegs, dass sie
auch im Sinne des Gesamtunternehmens eingesetzt werden (vgl. ebd.).
Als Qualifizierungsdimension für „Dezentralisierung und Vermarktlichung“ kann
festgehalten werden: Selbstorganisation in dezentralisierten reintegrierten
Herstellungs- und Dienstleistungsbereichen in Verbindung mit der Freisetzung
ungenutzter Leistungsreserven. Diese werden erzeugt durch marktvermittelten
Konkurrenzdruck.
2.2.7 VIRTUELLE ORGANISATIONEN UND (STRATEGISCHE) NETZWERKE
Müller (1998) beschreibt das virtuelle Unternehmen als einen temporären,
projektbezogenen Zusammenschluss von Unternehmen. Für die jeweiligen
Aufträge und Kundenwünsche werden speziell darauf abgestimmte Teams von
Experten zusammengestellt. Die Beziehungen lösen sich nach dem erfolgreichen
Abschluss eines Projektes auf. Laut Picot et al. sind virtuelle Unternehmen
dynamische Netzwerke, deren Verknüpfung sich flexibel und problembezogen
konfiguriert (vgl. Picot et al. 2001, S.422).
So lassen sich folgende Merkmale für die Bestimmung virtueller Unternehmen
anführen: ein klar definiertes Ziel, das Experten erfordert, die zeitliche
Begrenzung der Aufgabe (max. zwei Jahre arbeiten die Teams an einem Projekt),
die eine schnelle Vernetzung der einzelnen Unternehmen ermöglicht. Virtuelle
Unternehmen haben in der Regel keinen Namen und keine Rechtsform, aber
gegenüber dem Großkunden treten sie wie ein Unternehmen auf (vgl. ebd.).
- 42 -
Dass es sich bei einem virtuellen Unternehmen nicht um ein Unternehmen
handelt, führen auch Bullinger et al. (1995) an, wenn sie ein virtuelles
Unternehmen als „temporäre horizontale und/oder vertikale standortübergreifende
Kooperationen von unterschiedlichen Unternehmen“ beschreiben, „das sich nach
außen (aus Kundensicht) hin zur Erfüllung eines Auftrages als Einheit
präsentiert“, das intern jedoch „aus einem flexiblen, projektabhängigen Verbund
von unterschiedlichen Unternehmen(-seinheiten)“ besteht (Bullinger et al. 1995,
S. 377). Als Organisationsprinzipien werden sowohl formale (Verträge) als auch
informelle (Vertrauen) herangezogen (vgl. ebd.).
Darüber hinaus weisen Bullinger et al. (ebd.) noch darauf hin, dass sich virtuelle
Unternehmen durch ein hohes Maß an Autonomie kennzeichnen lassen: aus ihrer
Sicht handelt es sich um egalitäre Austauschbeziehungen selbständiger
Partnerunternehmen – im Gegensatz zu wirtschaftlicher Abhängigkeit wie bei
einem Subunternehmen oder rechtlicher Abhängigkeit wie bei einer Filiale.
In Bezug auf die Konsequenzen der Bildung virtueller Organisationen für
Mitarbeiter und Management führen Picot et al. (ebd.) aus, dass statische
Zuständigkeitsabgrenzungen und relativ dauerhafte Zuordnungen von Kompetenz
und Verantwortung zugunsten einer dynamischen, anforderungsspezifischen
Kompetenz-Allokation aufgegeben würden (vgl. Picot et al. ebd., S. 445 f.).
Genau definierte Aufgaben vordefinierten Stellen mit exakten Stellenprofilen
zuzuordnen, fällt in virtuellen Unternehmen zunehmend schwerer, vielmehr
entstehen konkrete Kombinationen von Problemlösungskompetenzen.
Netzwerke stellen eine Organisationsform dar, in der mehr als zwei
Organisationen durch ein wiederholtes, dauerndes Austauschverhältnis
zueinander in Beziehung stehen (vgl. Abendroth et al. 2002, S. 123). Dabei
bleiben die einzelnen Organisationen selbständig und sind nicht vollständig von
einander abhängig. Es gibt viele Formen von Partnerschaften, die
Unternehmensgrenzen verwischen, m. a. W.: ′entgrenzen′: Joint Ventures,
Kooperationen, strategische Allianzen, Franchise, Forschungskonsortien,
- 43 -
Outsourcing-Abkommen und zwischenbetriebliche Clans (vgl. Picot et al. ebd., S.
294). Ausgeschlossen sind dagegen reine Marktbeziehungen (Netzwerke sind
nicht so stark formalisiert wie reine Marktbeziehungen) oder isolierte, bilaterale
Abkommen. Zwei Indikatoren weisen auf den Netzwerk-Charakter von (sozialen)
Beziehungen
11
hin: Wiederholte Transaktionen bzw. Interaktionen und eine über
einen längeren Zeitraum stabile Beziehung.
Eine strategische Kooperation stellen Netzwerke gegenüber einfachen Zuliefer-
Beziehungen insofern dar, als dass sie gekennzeichnet sind durch die bewusste
Entscheidung zur Zusammenarbeit und damit durch ihren intentionalen Charakter.
Dies bedeutet, dass durch die Kooperation eine gemeinsame Wertschöpfung
erreicht werden soll:
„Die als strategisches Netzwerk bezeichnete Organisationsform verbindet
rechtlich selbständige, wirtschaftlich aber interdependente
Unternehmungen, die sich auf Teilaspekte einer Wertschöpfungskette
spezialisiert haben und gemeinschaftliche (kollektive) Strategien
verfolgen.” (Sydow 1992 [Bresser]: V)
Solche Kontraktbeziehungen können um so eher als strategische
Netzwerkbeziehung bezeichnet werden, desto langfristiger, organisierter und
strategischer sie aus der Sicht zumindest eines der beteiligten Unternehmen sind
(ebd., S. 62). Des weiteren versteht Sydow strategische Netzwerke als
„eine auf die Realisierung von Wettbewerbsvorteilen zielende,
polyzentrische, gleichwohl von einer oder mehreren Unternehmungen
strategisch geführte Organisationsform ökonomischer Aktivitäten
zwischen Markt und Hierarchie, die sich durch komplex-reziproke, eher
kooperative denn kompetitive und relativ stabile Beziehungen zwischen
rechtlich selbständigen, wirtschaftlich jedoch zumeist abhängigen
(Netzwerk-) Unternehmungen auszeichnet” (Sydow 1992: 315; Herv. i.
Orig.).
Das Management hat innerhalb strategischer Netzwerke die originäre Aufgabe, die
für derartige „symbiotische Arrangements“ (Picot et al. ebd.) erforderlichen
unternehmensinternen Infrastrukturen (technischer Art: z. B. ISDN-Telefonnetze;
institutioneller Art: z. B. Unternehmensrecht, Wettbewerbsrecht, Arbeits- und
11
Diese Indikatoren beziehen sich sowohl auf Beziehungen zwischen Individuen als auch
zwischen Betrieben.
- 44 -
Eigentumsrecht; personeller Art: z. B. Hochschulwesen) so weit wie möglich
aufzubauen, den Zugang zu den erforderlichen öffentlichen Infrastrukturen
sicherzustellen sowie ständig nach neuen, möglicherweise günstigeren
Organisationsformen für die symbiotische Aufgabenerfüllung in Zusammenarbeit
mit andern Unternehmen zu suchen (vgl. Picot et al. ebd., S. 327 ff.).
Als Qualifizierungsdimension für Tätigkeiten innerhalb virtueller Organisationen
und (strategischer) Netzwerke kann festgehalten werden: Dynamische
Kompetenzprofile in Verbindung mit dem Beherrschen „symbiotischer
Arrangements“.
2.2.8 GRUPPENARBEIT
Zimolong/Windel kennzeichnen Gruppenarbeit als
„Arbeitsorganisationskonzept“, mit welchem in der Praxis primär wirtschaftliche,
in zweiter Hinsicht erst humane Ziele verfolgt würden (vgl. Zimolong/Windel
1996, S. 141). In der wissenschaftlichen Diskussion stellen teilautonome
Arbeitsgruppen (TAG) ein Konzept dar, das vornehmlich unter humanen
Aspekten wie der Erweiterung des Handlungs- und Entscheidungsspielraums, der
personellen Flexibilität, Selbstregulation, Kooperation und Kommunikation,
Qualifizierung sowie Motivation und Selbstbestimmung (soziale Ziele der
Unternehmen) als sozialverträglich und positiv bewertet wird. Unter
Leistungsgesichtspunkten sollen durch die Gruppenarbeit Mitarbeiterpotentiale
besser genutzt und durch die interne Gruppensteuerung und -kontrolle Ressourcen
in der Arbeitsgruppe effektiver ausgeschöpft werden. Durch Veränderung in der
Ablauforganisation und die Integration von Aufgaben aus angrenzenden
Bereichen lassen sich Personalkapazitäten einsparen und/oder Funktionen
umwidmen (ökonomische Ziele der Unternehmen) (vgl. ebd.). In diesem
Zusammenhang ist wichtig, dass zwischen den ökonomischen und sozialen
Zielsetzungen eine Wechselwirkung besteht: So führt die Funktions- und
Aufgabenintegration (ökonomisches Ziel) zu einer Bereicherung der Arbeit
(soziales Ziel) und zu einer möglichen Ausweitung der Kommunikations- und
Kooperationsbeziehungen. Auf der anderen Seite ermöglichen erst eine
- 45 -
umfassende fachliche Weiterbildung und die Förderung außerfachlicher
Kompetenzen (soziale Zielsetzung) die Nutzung vorhandener
Mitarbeiterpotentiale (ökonomische Zielsetzung). In Bezug auf die Überprüfung
obiger Zielsetzungen der Unternehmen führen Zimolong und Windel
verschiedene empirische Ergebnisse – im Produktionsbereich – an, die sich in
drei Kategorien einteilen lassen:
a) Auswirkungen auf die Leistungen
Zusammenfassend zeigte sich, dass die Art der Einführung von
Gruppenaktivitäten, die Partizipation der von der Maßnahme Betroffenen,
die Art und Intensität von Trainingsmaßnahmen sowie die Einbindung in
die Gesamtaktivitäten der Unternehmung die größte Bedeutung für die
Effizienz der Gruppenaktivitäten hatte (vgl. ebd., S. 157).
b) Auswirkungen auf die subjektive Bewertung der Betroffenen
Angestrebte Verbesserungseffekte, wie z. B. verbesserte horizontale und
vertikale Zusammenarbeit aufgrund eines verstärkten Kooperationsbedarfs
innerhalb von Gruppenarbeit, konnten nicht erzielt werden. Die Bewertung
der Arbeit von Mitarbeitern der Gruppenarbeit-Schicht fiel sogar
schlechter aus als die derer, die die gleiche Tätigkeit in Form von
Einzelarbeit verrichteten (vgl. ebd., S. 158). In weiteren Studien wurde
deutlich, dass sich Mitarbeiter hinsichtlich ihres Handlungsspielraums
sowie hinsichtlich ihrer Arbeitszufriedenheit sehr wenig von
Einzelmitarbeitern unterschieden. Die Gruppenmitarbeiter schätzten aber
die soziale Struktur am Arbeitsplatz, die Bedeutung der Aufgabe und die
Anwendbarkeit der eigenen Qualifikationen besser ein als ihre Kollegen an
Einzelarbeitsplätzen (vgl. ebd., S. 159).
c) Auswirkung auf die Belastung und Beanspruchung
Werden Einzelarbeiten z. B. am Fließband meistens in Form kritischer
Beurteilungswerte, wie z. B. Ermüdung, Monotonie, Sättigung und Stress,
gemessen, so zeigt sich nach Einführung von teilautonomen
Arbeitsgruppen, dass die Mitarbeiter ihre Aufgaben als durchschaubarer
- 46 -
und als weniger restriktiv charakterisierten, des weiteren begrüßen sie
erhöhte Denk- und Lernanforderungen, die an sie gestellt werden (vgl.
ebd., S. 160).
Im Angestellten-Bereich der groß- und mittelständischen Unternehmen verweisen
die Autoren darauf, dass die Belastungen bei Einzelarbeit nicht höher, sondern
deutlich niedriger sind als bei Arbeit in Gruppenarbeit (vgl. ebd., S. 161). Ein Teil
des deutlichen Unterschieds zwischen Einzel- und Gruppenarbeitern lasse sich
aufgrund der Erweiterung des Tätigkeitsspektrums bei Gruppenarbeit erklären.
Hierdurch steige die Notwendigkeit der Abstimmung, womit potentielle
Belastungen wie Missverständnisse und Meinungsverschiedenheiten verbunden
seien. Die Mitglieder der Gruppenarbeit erklären weiterhin, so die Autoren, dass
durch Abstimmungs- und Planungsprozesse Zeit benötigt werde, die bei der
konkreten Aufgabenbearbeitung fehle und zu Zeitnot führe (vgl. ebd.).
Als Kritik am Konzept der Gruppenarbeit führt Vormbusch (1999) aus, dass
Gruppenarbeit z. B. im Kontext von „lean production“ (vgl. Kap. 2.2.4) nicht nur
auf die Rationalisierung des individuellen Arbeitshandelns – also auf die
kostengünstigere, flexible und fertigungsnahe Steuerung des
Produktionsprozesses – ziele, sondern in einer spezifischen Weise auf die
Gestaltung betrieblicher Muster der sozialen Interaktion. Letzteres manifestiere
sich in der Erwartung an die Beschäftigten, sich kontinuierlich an Innovationen zu
beteiligen. Gegenstände betrieblichen Lernens sind zunächst einmal Produkte und
Produktionsprozesse: im Hinblick auf Design, Zuverlässigkeit, Instandhaltbarkeit,
Einfachheit der Produktion, Robustheit und Marktgängigkeit. In dieser
Perspektive richten sich die Lernanstrengungen vor allem auf einen den
Individuen äußerlichen Fertigungsprozess (vgl. Vormbusch 1999, S. 263 ff.).
Vormbusch fährt fort, dass auch das Subjekt dieses Lernprozesses selbst
zunehmend zum Objekt betrieblichen Lernens werde. Es sei nun vonnöten, nach
den inneren Widersprüchen partizipativen Managements anhand solcher
betrieblicher Lernprozesse zu fragen, die mit der Einübung einer ´statusneutralen´
Form der sozialen Interaktion am Arbeitsplatz neue Partizipationsmöglichkeiten
eröffnen und zugleich Prozesse der Exklusion und der „horizontalen“ Kontrolle
- 47 -
durch die Arbeitsgruppe selbst in Gang setzen. Statusneutrale Kooperation wird
als das widersprüchliche Kennzeichen von Gruppenarbeit begriffen: Einerseits
wird Statusneutralität als Ausweis neuer Partizipationsmöglichkeiten begriffen.
Im Rahmen einer gestiegenen Gruppenautonomie und -verantwortlichkeit stellt
diese Form der „gleichen“ Teilnahme Aller am kollektiven Entscheidungsprozess
der Gruppe neuartige Emanzipationsmöglichkeiten dar. Andererseits ermöglicht
die statusneutrale Kooperation in der Gruppe gleichzeitig eine neue Qualität von
Rationalisierung (vgl. ebd.). Diese bedeutet nicht nur eine Beschleunigung
prozessbezogener Innovationsarbeit, sondern ist für die Beschäftigten durch eine
Dynamik der Exklusion und eine ausgeweitete Form gruppengestützter Kontrolle
(peer group pressure) gekennzeichnet (vgl. ebd.).
Der Autor formuliert weiter, dass die Gruppenarbeit auf der Ebene der sozialen
Interaktion eine produktivitätsorientierte Form des Zusammenhandelns darstelle,
in der der gruppengestützte Innovations- und Rationalisierungsprozess selbst
thematisch, d. h. im engeren Sinne reflexiv werde (vgl. ebd.).
Rationalisierungsergebnisse werden nicht lediglich zum Ausgangspunkt weiterer
Rationalisierungsschritte; vielmehr wird der soziale Mechanismus
„Gruppenarbeit“, mittels dessen Rationalisierungserfolge erzielt werden, selbst
zum Gegenstand betrieblicher Lernprozesse, die von der Human-Resource-
Abteilung, aber auch von den Mitarbeitern strukturiert werden. Diese soziale
Interaktion in Arbeitsgruppen ist sowohl Medium als auch Gegenstand
betrieblichen Lernens. Vormbusch folgert als Konsequenz:
„Auf der individuellen Ebene zielen die aktuellen
Rationalisierungsstrategien auf die ´ganze Person´ der Beschäftigten.
Damit wird die im Taylorismus noch funktionale Trennung zwischen der
Berufsrolle und der persönlichen Identität zunehmend in Frage gestellt,
und die Beschäftigten mit neuen, für sie selbst schwer eingrenzbaren
Anforderungen konfrontiert, die gesellschaftlich etablierte
Grenzziehungen zwischen beruflich und privat, „Arbeit und Leben“ (Voß
1994), Produktion und Reproduktion zunehmend in Frage stellen ...“
(Vormbusch ebd.)
- 48 -
Als Qualifizierungsdimension für „Gruppenarbeit“ kann festgehalten werden:
Aktivierung prozessbezogener Interaktion bei gleichzeitiger statusneutraler
Kooperation.
2.2.9 INTERNATIONALISIERUNG UND GLOBALISIERUNG
Bonß (1999) greift den Aspekt auf, dass im Zuge der Debatte um die Krise der
Vollbeschäftigungsgesellschaft (vgl. Kap. 2.2.13 zum Wandel der
Beschäftigungsformen) ein neues „Zauberwort“ (S. 154) auftauche, nämlich das
der Globalisierung. Quer durch alle politischen Lager gelte die Globalisierung als
größte Herausforderung und Synonym für einen nachhaltigen Strukturwandel
(vgl. ebd.). Ganz allgemein, so folge ich Bonß weiter, bezeichnet Globalisierung
keinen Zustand, sondern einen Prozess, in dessen Verlauf irgend etwas – seien es
nun Produkte, Strategien oder Probleme – überall auf der Welt Bedeutung
verlangt (vgl. ebd.). Der Autor zitiert im Weiteren Giddens, der Globalisierung
dementsprechend als eine „Intensivierung weltweiter sozialer Beziehungen, durch
die entfernte Orte in einer solchen Weise miteinander verbunden werden, daß
Ereignisse an einem durch Vorgänge geprägt werden, die sich an einem viele
Kilometer entfernten Ort abspielen und umgekehrt“ (Giddens zit. nach Bonß ebd.,
S. 155). Bonß argumentiert weiter, dass die Dynamik von Technik und
Arbeitsteilung, also der zunehmenden Verfestigung von industriellen Produktions-
und Konsummustern, zwar keineswegs die ganze Welt erfasst habe; gleichwohl
seien diese Muster in einer noch vor wenigen Jahrzehnten kaum denkbaren Weise
internationalisiert worden (vgl. ebd., S. 159). Inwieweit sich die Erwerbsarbeit im
Zuge des Globalisierungsprozesses auf die Beschäftigungssituation der Subjekte
auswirkt, wird anhand von vier Charakteristika globalisierter
Erwerbsgesellschaften (vgl. ebd., S. 168 f.) gezeigt:
1. Eine verstärkte Unsicherheit und Offenheit der Arbeitssituation als
Resultat der globalisierungsbedingten Flexibilisierung und
Verflüssigung steht zu erwarten: Vom Einzelnen wird angesichts der
weiteren Ausdehnung von Beschäftigungsverhältnissen, die weder
zeitlich noch örtlich von Dauer sind (vgl. Kap. 2.2.13) – quer durch
- 49 -
alle Branchen –, erwartet, dass er weder mit einer bestimmten Arbeit
noch mit einem bestimmten Ort allzu fest zusammenwächst, sondern
hochmobil bleibt und die Unsicherheit der eigenen Situation möglichst
positiv besetzt;
2. Eine Angleichung der Arbeitsvollzüge in unterschiedlichen Branchen
steht zu erwarten: Die konkrete Produktion geht gegenüber der
Planung und Arbeitsvorbereitung immer weiter zurück – dieselben
Computer können in den verschiedensten Branchen höchst
unterschiedliche Probleme lösen, sofern die Mitarbeiter entsprechend
geschult werden (Stichwort: ′Schlüsselqualifikationen′); so dürften
traditionelle Differenzen zwischen den Berufen verschwinden;
3. Eine Veränderung der Gestalt der Fabrik ist absehbar: Immer weniger
Unternehmen kommen mit immer weniger Beschäftigten aus, geben
immer mehr Arbeiten nach ′außen′ (Stichwort: ′Outsourcing′) oder
kaufen sich für jedes einzelne Projekt die elektronischen Dienste von –
räumlich oft weit entfernten – Fachleuten ein (Stichwort: Telearbeit,
vgl. Kap. 2.2.11);
4. Eine wachsende Individualisierung der Beschäftigung tritt ein: Eine
flexible Ausrichtung der Unternehmen am Auftragseingang hat sehr
wahrscheinlich eine Umwälzung des Unternehmensrisikos auf die
Arbeitenden in Form flexibler Beschäftigungsverhältnisse zu Folge
(vgl. ebenfalls Kap. 2.2.13).
Bonß resümiert, dass, wenn die Globalisierung als Verflüssigung und
Heterogenisierung sozialer Strukturen im Sinne Giddens verstanden werde, so
schlage sich dies im Bereich Erwerbsarbeit in nachhaltig steigenden Mobilitäts-,
Flexibilitäts- und Unsicherheitsanforderungen an die Beschäftigten nieder (vgl.
ebd., S. 169). Dazu führt Schimany (1997) näher aus, dass Globalisierung auch in
den OECD-Staaten, wo weite Teile der Erwerbsbevölkerung durch die
Auslagerung von Industrien und daraus resultierender und sich verfestigender
struktureller Arbeitslosigkeit bei gleichzeitigem Sozialabbau gesellschaftlich
- 50 -
abstiegen, zunehmend zu einer Polarisierung des Arbeitsmarktes auf
internationaler wie auf nationaler Ebene führe (vgl. Schimany 1997, S. 146).
Als Qualifizierungsdimension in „internationalisierten und globalisierten“
Arbeitszusammenhängen kann festgehalten werden: verstärkte
Mobilitätsbereitschaft manifestiert in erhöhter Fähigkeit zur Nicht-Bindung an die
Arbeit.
2.2.10 INNOVATION
Baethge/Baethge-Kinsky fragen (1998), inwieweit der Wandel von Produktion
und Arbeitsorganisation seit ca. Ende der 1980-er Jahre etwas darüber aussagen
kann, was die Autoren den „Innovationsmodus“ nennen (vgl. Baethge/Baethge-
Kinsky 1998b, S. 101). Unter Innovation verstehen sie zunächst sehr allgemein
„die Gesamtheit von betrieblichen Aktivitäten, die zur Optimierung oder
Erneuerung von Produkten und Prozessen im Interesse der Verbesserung der
Absatzchancen getätigt werden: sie reichen von einfachen Rationalisierungs- oder
(Produkt-)Verbesserungsvorschlägen bis zur Einführung völlig neuer Produkte
oder Verfahren“ (ebd., S. 101 f.). Die Autoren unterscheiden im Weiteren
zwischen expliziter Innovation – diese meint seitens des Managements intendierte
Maßnahmen – und impliziter Innovation: Hier sind dagegen unentdeckte
innovationsrelevante Handlungen und Organisationsformen gemeint, die sich in
allgemeinen Verhaltensmustern und eingeschliffenen informellen
Kommunikationsweisen manifestieren (vgl. ebd.). Leitende These der Autoren ist
nun, dass wie auch immer geartete Produktionsmodelle oder -formen durch
institutionalisierte Organisations-, Kommunikations- und Verhaltensstrukturen
definiert sind. Diese Strukturen weisen über das jeweilige Produktionsmodell
hinaus und setzen Bedingungen für Veränderungen und Innovationen, z. B.
etablierten Formen der Arbeitsteilung und der Kooperation, Muster der
Personalstrukturierung und -entwicklung oder eingeschliffene Denktraditionen
von Management und Mitarbeitern (vgl. ebd.).
- 51 -
Um der Frage nachzugehen, inwieweit der Wandel von Arbeitsorganisation mit
einem bestimmten Maß an Innovation einhergeht, sollen zunächst drei
wesentliche Ebenen betrieblicher Organisation vorgestellt werden:
• Das Kompetenzmodell: es gibt Auskunft darüber, welche
Beschäftigungsgruppen welche Funktionen wahrzunehmen haben und
welche Qualifikationen für die Ausübung unterschiedlicher Funktionen
im Regelfall vorausgesetzt werden.
• Das Kooperationsmodell: hier stehen die betrieblich
institutionalisierten Regeln und eingeschliffenen Gewohnheiten der
Alltagskommunikation, also die Festlegung, wer mit wem in welcher
Weise zu kooperieren hat, im Fokus der Betrachtung.
• Das Statusmodell drückt als abgestuftes System von Privilegien und
Belohnungen (Einkommen, Aufstieg) aus, welche betriebliche
Wertschätzung welche Tätigkeiten bzw. Tätigkeitsgruppen erfahren
und welche Macht welche Akteursgruppen im beruflichen Alltag
haben (vgl. ebd., S. 103).
Wiesen etwa „tayloristische Betriebsorganisationen“ oder später folgende Phasen
der „diversifizierten Qualitätsproduktion“ in Bezug auf die obigen Dimensionen
bspw. hierarchisch geprägte Kooperation und hochgradige Statusdifferenzierung
aus, so sei Merkmal neuer Formen der Arbeitsorganisation – mit den „neuen
Produktionskonzepten“ (vgl. Kap. 2.2.2) beginnend – dass sie sich grundlegend an
der Fähigkeit zur schnellen Reagibilität der Organisation auf veränderte
Marktkonstellationen und sich verändernde Kundenwünsche orientierten (vgl.
ebd., S. 127). Die neue Qualität der arbeitsorganisatorischen Konzepte liegt darin,
dass sie Produktionsarbeit als Aufgabe fortwährender Innovation definiert.
Formen querfunktionaler Kooperation werden betont (anstelle vertikaler und
horizontaler Abgrenzungen). Des weiteren wird durch diese Form der
„innovationszentrierten Produktion“ ein neues Kompetenzmodell installiert: In
diesem Modell sind alle Beschäftigten im Rahmen ihrer alltäglichen Arbeit und
auf der Grundlage ihrer spezifischen qualifikatorischen Ressourcen (Wissen,
- 52 -
Erfahrung) in die betrieblichen Innovationsprozesse involviert. Aktiviert werden
neben den technischen Qualifikationen auf der Basis von kognitiv-theoretischem
(Ingenieur)-Wis-sen, den ökonomischen Qualifikationen der Kaufleute auch
das als Produktionsintelligenz bezeichnete „Amalgam von technisch-fachlichen
und sinnlich-erfahrungsbasierten Bestandteilen der (Fach-
)Arbeiterqualifikationen“ (ebd., S. 130). So sollen durch die zunehmende
Erschließung dieser subjektiven Innovationspotentiale „verborgene
Wissensschätze“ („tacit skills“) der Beschäftigten erschlossen werden (vgl. ebd.).
Dieses neue Kompetenzmodell bildet die Basis für ein ebenfalls verändertes
Kooperationsmodell: die bislang nach Machtaspekten strukturierten Über- und
Unterordnungsverhältnisse werden reduziert. An deren Stelle tritt nun im Rahmen
innovationszentrierter Produktion ein Konzept aufgabenbezogener horizontaler
Kooperationsverhältnisse. So bleibt noch, ein neues Statusmodell zu betrachten:
Die funktionale Aufweichung der traditionellen beruflichen Demarkations- und
Statuslinien erweitert für einzelne Beschäftigungsgruppen berufliche und
betriebliche Entfaltungschancen. Auf der anderen Seite schafft sie breitflächig
neue Unsicherheit. War z. B. innerhalb der diversifizierten Qualitätsproduktion
durch die exklusive Zuordnung von beruflicher Kompetenz zu Funktionen eine
gewisse Sicherheit für beruflich einschlägige Beschäftigungsgruppen gegeben, so
weichen die am Berufsprinzip orientierten Allokations-, Arbeitsorganisations- und
Karrieremuster tendenziell auf (vgl. Kap. 4.2.6). Die Zuordnung von bestimmten
Kompetenzen zu Funktionen von Positionen und Laufbahn zu Qualifikationstypen
verliert an Stabilität. Betroffen hiervon sind neben den Produktionsarbeitern auch
die bislang auf der mittleren Ebene eingesetzten Beschäftigten mit Meister- und
Technikerqualifikation (vgl. ebd., S. 134). Baethge/ Baethge-Kinsky
generalisieren die neuen Qualifikationsanforderungen an die in der Produktion
Beschäftigten insofern, als sie der Auffassung sind, dass auf der einen Seite die
generelle Erhöhung des Gewichts von Abstraktions- und Analysefähigkeit sowie
eine kontinuierlich selbständige Erweiterung der eigenen Kompetenzen im
Qualifikationsprofil stehe, auf der anderen Seite verändere sich die fachliche
Kompetenzbasis in Richtung auf Verbreiterung beruflicher Spezialkenntnisse
(vgl. ebd.).
- 53 -
Als Qualifizierungsdimension für das Konzept der „Innovation“ kann festgehalten
werden: Ständiges, automatisches Involviertsein in betriebliche
Innovationsprozesse in Verbindung mit erhöhter Arbstraktions- und
Analysefähigkeit sowie ′Selbstqualifizierung′ in Breite und Tiefe.
EXKURS 2: WISSENSARBEIT
Im Rahmen der industriesoziologischen Thematisierung der Rationalisierung von
Arbeit hat die Frage nach den Wissenselementen von Arbeit immer ihren
Stellenwert gehabt (vgl. Schumm 1999, S. 153). Einige Autoren sehen sogar den
Übergang in eine neue Gesellschaftsformation: Im Prozess der sukzessiven
Restrukturierung vor allem ökonomischer Prozesse könnten Produktions- und
Dienstleistungsarbeit im bisherigen Sinne durch ganz andere Formen von
Tätigkeiten ersetzt werden, deren gemeinsamer Kern sich als Wissensarbeit
beschreiben ließe. Zudem scheint die Frage interessant, inwieweit die neue
Gesellschaftsformation als ′Wissensgesellschaft′ bezeichnet werden kann. Die
meisten Autoren, die dieser Frage nachgehen, interessieren sich für das Verhältnis
neuer IuK-Technologien zum Bedeutungswandel von Organisation, Arbeit und
Wissen (vgl. ebd., S. 154).
In diesem Zusammenhang müssen Aspekte, die die „Konstruktionsbedingungen
von Wissen“ und damit in Zusammenhang stehende Veränderungen in der
Reproduktion und der Verteilung von Wissen berücksichtigen, in den Vordergrund
gerückt werden: Gegenüber der ursprünglichen Funktion des Wissens als
Deutungs- und Orientierungswissen ist einerseits eine enorme Ausweitung des
Wissens im Sinne seiner Bedeutung als ,kultureller Ressource“ (Stehr 1994 zit.
nach Schumm ebd., S. 156) zu beobachten. Die verschiedenen Symbolsysteme
wie Sprache, Schreiben, Drucken, Datenspeicher etc., in denen Wissensinhalte
sich darstellen, sind „sozial relevante Mechanismen“ (Stehr zit. nach ebd.) – über
Wissen im Sinne wissenschaftlich generierten Wissens zu verfügen, werde immer
mehr – so folgt Schumm Stehr weiter – zur Voraussetzung für die Fähigkeit zum
sozialen Handeln. Andererseits habe Wissenschaft sich seit dem Beginn der
- 54 -
Industrialisierung immer stärker zur unmittelbaren Produktivkraft entwickelt und
damit neben dem Deutungswissen eine zusätzliche Aufgabe in der Gesellschaft
übernommen. Im Zeitalter automatisierter Produktion allerdings habe sich diese
Funktion als unmittelbare Produktivkraft verändert, die Wissenschaft in ihrer
produktiven Funktion werde immer stärker von lebendiger, direkter Arbeit
unabhängig; menschliche Arbeit entwickle sich im Verlauf dieses Prozesses
immer mehr zu schöpferischer regulierender Arbeit, eben zu Wissensarbeit (vgl.
ebd.). Interessant für die Fragestellung dieser Arbeit ist Stehrs Schluss, den
Schumm zitiert: dass nämlich die neuen Realitäten der Wissensarbeit neu
gewonnene Handlungskapazitäten der Akteure, die Flexibilität, Heterogenität,
Volatilität sozialer Strukturen und Einfluss auf die Gestaltung von Strukturen
betonen, bedeuten (vgl. ebd.). Als Ursache kann ein neuer Blick auf soziale
Ungleichheiten gesehen werden: Wurden soziale Ungleichheiten – als Prozesse
gesellschaftlicher Differenzierung – innerhalb herkömmlicher Erklärungen von
der vertikalen Verteilung nach den Kriterien Einkommen, Beruf und Eigentum
bewertet, so muss konstatiert werden, dass sich soziale Ungleichheiten in der
Wissensgesellschaft weniger kohärent, eindimensional, teilweise sogar
unsichtbarer manifestieren (vgl. ebd., S. 158). Welches sind aber nun die neu
gewonnenen Handlungskapazitäten? Schumm nennt sie im Weiteren:
• Anwendungswissen: Kenntnis abstrakter technischer
Funktionszusammenhänge; der Anatomie und Geographie technischer
Einrichtungen; der Bedienungs- und Wirkungsweise von Apparaten
und Maschinen – diese Qualifikationen sind prozessgebunden und
werden durch praxisorientiertes Lernen oder Arbeitserfahrung
erworben;
• technische Intelligenz: Fähigkeiten zum kausalen, abstrahierenden und
hypothetischen Denken;
- 55 -
• technische Sensibilität: Flexibilität, Perzeption,
Wahrnehmungsfähigkeit, Einfühlungsvermögen und
Anpassungsbereitschaft des Facharbeiters gegenüber technischen
Zusammenhängen (vgl. ebd., S. 162)
12
.
Wie bereits angedeutet, ist für mich die Rekursivität von Strukturen zentral. Wenn
also davon auszugehen ist, dass die Mischung aus technischer Intelligenz und
strategischem oder innovativem Wissen sich darin manifestiert, dass bei den
Facharbeitern Lösungen von Aufgaben sowohl auf der Basis vorgegebenen
„betrieblichen“ Wissens wie des eigenen, in einer längeren Ausbildung
erworbenen Erfahrungswissens übernommen werden, muss folgender Aspekt in
den Vordergrund rücken: Schumm weist darauf hin, dass seit Mitte der 1980-er
Jahre in der Industrie- und Organisationssoziologie eine Debatte um den
„Kreislauf“ des Wissens, oder zutreffender, um die „Wissensspirale“ im
Unternehmen geführt werde, in dem ein fortlaufender Prozess von
Wissensgenerierung, Objektivierung und Wissensrückkehr stattfinde. In diesem
Prozess bildet die Tätigkeit qualifizierter Arbeitskräfte einen zentralen
Bezugspunkt. Ihr Produktionswissen umfasst Lösungskompetenzen und
Anwendungswissen, die auf technische Aufgaben und in ihnen enthaltenes
objektiviertes Wissen bezogen sind, die aber gleichzeitig an das Subjekt
gebundene Momente von „tacit knowledge“ und Anpassungsverhalten erfordern,
die mit Arbeitserfahrungen erworben werden (vgl. ebd., S. 163 f.).
Schumm macht allerdings darauf aufmerksam, dass der Begriff des „Wissens“
insofern nicht geeignet sei, die beschriebenen rekursiven Prozesses zu bezeichnen,
weil dieser Begriff den Blick stärker auf Bestände von Kenntnissen, auf kognitive
Strukturen und durch sie konstituierte Handlungsfähigkeit richte und die im
Subjekt verankerten Elemente von Kommunikations- und Handlungsfähigkeit
oder sinnliche Wahrnehmungsfähigkeit vernachlässige (vgl. ebd., S. 180).
12
An dieser Stelle fällt die inhaltliche Nähe der beschriebenen neuen Anforderungen in der
„Wissensgesellschaft“ zu den später in Kap. 4.2.4 genannten Anforderungen an das
„subjektivierende Arbeitshandeln“ sicher auf, womit erneut gezeigt werden kann, dass dieselben
Inhalte unter Betonung anderer Kontexte (bzw. Überschriften) dargestellt werden können.
- 56 -
Als Qualifizierungsdimension im Rahmen von „Wissensarbeit“ kann festgehalten
werden: Technische Intelligenz (Fähigkeit, abstrakt, kausal und hypothetisch
denken zu können) und technische Sensibilität (u. a. Wahrnehmungs- und
Einfühlungsvermögen) rücken neben reines Anwendungswissen.
2.2.11 TELEARBEIT
Telearbeit kann zunächst einmal als „Sammelbegriff für informations- und
kommunikationstechnisch gestützte Arbeitstätigkeit, die räumlich entfernt vom
Auftraggeber verrichtet wird“ (Büssing/Aumann 1996 zit. nach Pfeiffer 1999,
S. 40 f.; Herv. nicht i. Orig.), gelten. Andere Autoren heben hervor, dass sie eine
Art von Arbeit sei, „die Mitarbeiter außerhalb der Firmenräume, in der Wohnung,
in Nachbarschafts- oder Satellitenbüros, unter Nutzung von öffentlichen
Kommunikationsmitteln und entsprechenden technischen Geräten zur Erledigung
ihres Arbeitsvertrages verrichten“ (Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft,
Forschung und Technologie zit. nach ebd.). In Bezug auf die quantitative
Verbreitung von Telearbeitsplätzen stellt Pfeiffer fest, dass sich 1994 im Bereich
der BRD gerade einmal 150.000 Telearbeitsplätze finden ließen (vgl. ebd.). Diese
quantitative Diskrepanz im Vergleich bspw. zu den USA, so spekuliert Pfeiffer
weiter, könne mit der stärkeren Ausprägung geschützter Arbeitsverhältnisse in der
Bundesrepublik zusammenhängen. Als vorherrschende Einsatzgebiete von
Telearbeit können die Bereiche, in denen einfache Bürotätigkeiten und
Programmierung zu verrichten sind, gezählt werden.
Zur Frage der organisatorischen Einbindung der Telearbeit nennt Dostal (1999)
fünf Typen:
• Teleheimarbeit
Alleiniger Ort der Arbeitsverrichtung ist die Wohnung des
Telearbeiters/der Telearbeiterin.
• Alternierende Telearbeit
- 57 -
Der Telearbeiter/die Telearbeiterin wechselt in der Regel zwischen
den Arbeitsorten Büro und der eigenen Wohnung, evtl. auch dritten
Orten, bspw. unterwegs.
• Arbeit in Telearbeitszentren
- Satellitenbüro
dezentrales Arbeitszentrum eines Unternehmens, ausgelagertes
Büro
- Nachbarschaftsbüro
von mehreren Unternehmen betriebenes Arbeitszentrum in
Wohnnähe der Mitarbeiter/innen
- Telehaus/Teleservicezentrum
stellen Telekommunikationsinfrastruktur für die lokale Wirtschaft
bereit und bieten eine Mischung aus Service und Telearbeitsplätzen
an
• Virtuelle Unternehmen
Zusammenschluss von telearbeitenden Einzelpersonen und/oder
Kleinstunternehmen zu einem als Einheit auftretenden Unternehmen.
• Mobile Telearbeit
- Temporärer Arbeitsplatz
Mobile Beschäftigte arbeiten häufig an einem nicht fest
eingerichteten dritten Ort, bspw. beim Kunden, im Hotel oder auf
Baustellen.
- Beweglicher Arbeitsplatz
Arbeit in der Bahn, im Flugzeug oder im Auto mit entsprechender
Telekommunikation (vgl. Dostal 1999, S. 67 ff.).
Unter den Qualifikationsanforderungen bei Telearbeitern wird zunächst die
„Telearbeitskompetenz“ genannt: im Wesentlichen umfasst sie Eigenorganisation,
Selbstmanagement und soziale Kompetenz zur effektiven Zusammenarbeit mit
virtuell organisierten Vorgesetzen und Kollegen (vgl. ebd., S. 86). Parallel dazu,
so führt Dostal weiter aus, werde die Idealfigur des Telearbeiters/der
Telearbeiterin beschrieben: Hohe Selbstmotivation und Selbstdisziplin,
- 58 -
Zielorientiertheit, Unabhängigkeit von Störungen durch das Wohn- und
Familienumfeld, Verantwortungsbewusstsein, Einsicht in die eigenen Grenzen –
also nahezu alle auch in konventionellen Arbeitsstrukturen positiv bewertete
Faktoren werden auch für die Telearbeiter hoch geschätzt (vgl. ebd.). Die
Aufgaben von Telearbeitern lassen sich grob in zwei Kategorien einteilen: auf der
einen Seite gibt es Aufgaben, bei denen eine ständige Bereitschaft ohne eine
kontinuierliche Auslastung erforderlich ist (z. B. Auskunftsarbeitsplätze:
Bedienung von Hotlines oder Notrufnummern), auf der anderen Seite gibt es
Projektarbeiten, deren zeitliche Allokation weitgehend in das Belieben des
Projektbearbeiters/der Projektbearbeiterin gestellt werden kann: es geht um die
Erstellung von kompletten Produkten oder Dienstleistungen, bei denen das
Ergebnis im Vordergrund steht. Die für die Zielerreichung erforderliche
Arbeitszeit ist in diesem Fall nicht vorgegeben und wird auch im Nachhinein nicht
gemessen oder bewertet (vgl. ebd., S. 88 f.).
Als Konsequenz für die Beschäftigten zeigt Dostal vor allem die
Statusverschiebung durch Telearbeit auf: offensichtlich komme es zu einer
Konvergenz selbständiger und abhängiger Arbeit, indem die selbständige Arbeit
durch Telekommunikation stärker angebunden werde, während sich abhängige
Arbeit durch Telekommunikation weiter öffne (vgl. ebd., S. 93). Wie sich
innerhalb dieser ′Grauzone′ zwischen abhängiger und selbständiger Arbeit die
Statusverschiebungen spezifizieren – und somit eine neue Form der Organisation
von Erwerbsarbeit begründen –, sei mittels folgender Aspekte dargelegt:
• Die Aufgaben werden geschlossen auf das Ziel hin definiert und
ausgehandelt. Die einzelnen Schritte werden zwar besprochen, bleiben
aber offen. Lediglich bei eng verzahnten Arbeiten ist die
Koordinierung auch während der Projektabwicklung enger. Aus dem
Management wird eine Moderation.
• Die Verantwortlichkeiten werden klar festgelegt. Aus
Managementvorgaben werden Vertragsbestandteile. Die Partner sind
nicht mehr in einem klaren Leitungs- und Untergebenenverhältnis,
sondern weitgehend gleichberechtigt.
- 59 -
• Die Leistungsbewertung erfolgt nach den Vereinbarungen inhalts- und
ergebnisbezogen und nur in Ausnahmefällen über die benötigte Zeit.
Dazu ist es aber nötig, die Vorgaben zuvor sehr genau auszuhandeln
und festzulegen (vgl. ebd., S. 94).
Als Qualifizierungsdimension für „Telearbeit“ kann festgehalten werden:
Selbstmotivation und Selbstdisziplin, Zielorientiertheit und ständige
Einsatzbereitschaft in Verbindung mit der Fähigkeit, in inhalts- und
ergebnisbezogenen Projekten zu arbeiten.
2.2.12 SHAREHOLDER-VALUE-ORIENTIERUNG
Mit der „Shareholder-Value“-Orientierung verbindet sich ein seit längerem
umstrittenes Managementkonzept, das auf die möglichst weitgehende
Realisierung der Renditeinteressen von Aktionären zielt. Damit wird deutlich,
dass die Unternehmensstrategien an ihrem voraussichtlichen ökonomischen Ertrag
ausgerichtet werden sollen, den sie für Aktienbesitzer schaffen und der im Falle
einer börsengehandelten Kapitalgesellschaft sich in Dividendenzahlungen und
Kurswertsteigerungen der Aktien niederschlägt (vgl. Hirsch-Kreinsen 1998, S.
197). Es kann davon ausgegangen werden, dass das Konzept des Shareholder
Value als Moment jener generell beobachtbaren Tendenz begriffen werden kann,
die als Vermarktlichung der Steuerungsprozesse von Unternehmen bezeichnet
werden (vgl. ebd., S. 196). Es sollen Managemententscheidungen unmittelbar an
die Bedingungen des Kapitalmarktes und die Interessen der Anleger gebunden
werden. Hirsch-Kreinsen verweist im Weiteren darauf, dass die Durchsetzung des
Shareholder- Value-Konzepts zweifelsohne erhebliche Konsequenzen vor allem
für das Unternehmensmanagement habe: Zunächst werden die bisherigen
Autonomie- und Entscheidungsspielräume des Unternehmensmanagements stark
eingeschränkt. Werden nämlich, wie oben ausgeführt, die
Managemententscheidungen stärker an die Renditekriterien des Kapitalmarktes
rückgebunden, fällt es den Managern schwerer, partikulare „strategische“ bzw.
allgemein-unternehmerische Ziele oder Visionen durchzusetzen (vgl. ebd., S.
- 60 -
202). Die zweite Konsequenz für die Manager ist der Druck, dem sie seitens der
„Fond-Manager“ zunehmend ausgesetzt werden: Letztere versuchen mit
spektakulären Bestrafungsaktionen, die Manager zu entsprechenden
Kursänderungen zu bringen. „So sollen aus so genannten ´Underperformer´
endlich Wertschaffer werden.“ (Nöltig zit. nach Hirsch-Kreinsen ebd., S. 203)
Neu ist für die Manager auch, dass ihre Gehälter an die Entwicklung von
Unternehmenswert und Anlagerendite gekoppelt werden: Hierdurch soll die
Bindung der Manager an die Erfordernisse des Shareholder-Value-Konzepts
sichergestellt werden.
Was nun die Shareholder-Value-Orientierung auf der Ebene der Strukturierung
der Arbeitsorganisation und des Personaleinsatzes bedeutet, lässt sich nicht
eindeutig beantworten (vgl. ebd., S. 207). Zweifellos verbinden sich in
quantitativer Hinsicht teilweise massive Freisetzungseffekte mit der Durchsetzung
des neuen Konzepts. Hiervon betroffen seien, so führte Hirsch-Kreinsen aus – wie
eine ganze Reihe von Unternehmensfällen zeige –, nicht nur Produktionsarbeiter,
sondern auch Büroangestellte, gut bezahlte technische Angestellte und vor allem
Managementvertreter der unterschiedlichsten Hierarchieebenen, die mehrheitlich
in früheren Jahren auf einen obligatorischen Aufstieg mit teilweise beträchtlichen
Gehaltszuwächsen hätten bauen können (vgl. ebd., S. 207 f.).
Als Kritik am Shareholder-Value-Konzept formuliert Schumann (1998): „Frißt die
Shareholder-Value-Ökonomie die Modernisierung der Arbeit?“ (Schumann 1998,
S. 19) Die Antwort liefert Schumann eingebunden in eine Argumentkette, die
Anzeichen für die Rückkehr zu tayloristischen Prinzipien verdeutlicht:
Eigeninitiative, Partizipation, Verantwortlichkeit und diskursive Zielfindung
werden obsolet, Produktivitätszugewinn wird über die Wiedereinführung von
Hierarchie, Kontrolle und Exklusion gesucht (vgl. ebd., S. 30). Schumann
schlussfolgert:
„Da im Kalkül der Kurzfrist-Ökonomen Investitionen in das
Arbeitsvermögen nicht lohnen, hat bei ihnen eine Modernisierung der
Arbeit, für die die Weiterbildung der Human Ressourcen konstitutiv ist,
ihre Zukunft verspielt.“ (Schumann 1998 ebd.)
- 61 -
Als Qualifizierungsdimension für die „Shareholder-Value-Orientierung“ kann
festgehalten werden: Aushalten erneuter Hierarchisierungs-, Kontroll- und
Exklusionstendenzen in Verbindung mit absoluter Bindung an das Shareholder-
Value-Konzept.
2.2.13 WANDEL DER BESCHÄFTIGUNGSFORMEN
War bislang ein reguläres Beschäftigungsverhältnis für die überwiegende
Mehrheit der – männlichen – Erwerbstätigen als feste, tariflich geregelte
Vollzeitanstellung im erlernten Beruf definiert, so hat sich die Lage inzwischen
beträchtlich verändert: Autoren wie Willke (1999) verweisen darauf, dass heute
nur noch rund 2/3 aller Erwerbstätigen „regulär“ beschäftigt seien (vgl. Willke
ebd., S. 144). Dagegen stünden bereits 35 - 40 Prozent in nicht-regulären
Beschäftigungsverhältnissen, wie z. B. Teilzeitarbeit, befristete Anstellungen,
Projektmitarbeit, geringfügige Beschäftigung („630-DM-Jobs“), Heimarbeit,
Telearbeit, Zeitarbeit und auch Formen der „neuen Selbständigkeit“ (vgl. ebd.).
Berufsarbeit als auf Dauer angelegte, qualifizierte Erwerbsarbeit, die der
Sicherung des Lebensunterhalts dient, wird es zwar auch weiterhin geben, sie
wird jedoch zunehmend ergänzt durch andere Formen der Arbeit, die heute noch
als „atypische“ Formen der Beschäftigung bezeichnet werden, aber vermutlich
schon bald zur Normalität einer sich wandelnden Arbeitswelt gehören dürften.
Eine Abfolge unterschiedlicher Erwerbstätigkeiten dürfte immer mehr zum
„typischen“ Verlauf einer Erwerbsbiographie gehören (vgl. ebd.).
Als Gründe für diesen Wandel der Beschäftigungsformen werden oft mehrere der
in den vorangegangenen Kapiteln dargestellten Reorganisationsmaßnahmen in
den Unternehmen angegeben: Im Zuge der Durchsetzung
unternehmensübergreifender Rationalisierungsstrategien steigen die
Anforderungen an die Disponibilität der Arbeitskräfte durch diskontinuierlichen
Arbeitseinsatz und die Flexibilisierung der Arbeitszeitstrukturen deutlich an.
Innerhalb der Unternehmen wird schärfer zwischen einer zahlenmäßig geringen
Kernbelegschaft und einer größeren Randbelegschaft polarisiert.
Selektionskriterien bei der Rekrutierung der zur Kernbelegschaft gehörenden
- 62 -
Arbeitskräfte sind in erster Linie vielfältige Einsetzbarkeit und ein hohes
Qualifikationsniveau. Daneben kann die zur Randbelegschaft zählende Gruppe
von Beschäftigten flexibel gehalten werden, sowohl hinsichtlich ihrer Anzahl als
auch ihres Qualifikationsniveaus, indem vermehrt ArbeitnehmerInnen mit
kurzfristigen Arbeitsverträgen und LeiharbeiterInnen beschäftigt werden. Deutlich
zeichnet sich damit ab, dass sich im Zuge der Durchsetzung
unternehmensübergreifender Rationalisierungsstrategien Organisations- und
Beschäftigungsformen etablieren, die dazu führen, dass „das Verhältnis von
„innen“ – den Betriebsangehörigen – und „außen“ – den formal externen, aber
funktional integrierten Arbeitskräften – neubestimmt wird“ (Brose zit. nach
Bertram et al. 1999, S. 8). Letztendlich erfährt das Verhältnis von Kern- und
Randbelegschaft, von qualifizierten und weniger qualifizierten, flexiblen und
eingeschränkt flexiblen Arbeitskräften im Kontext dieser Strategien insgesamt
eine Neuordnung, die über die Betriebsgrenzen hinausreicht (vgl. ebd.).
Es bleibt auch festzuhalten, dass die unternehmensübergreifende
Rationalisierungslogik den Kontext erweitert, in dem Personaleinsatzpolitik
stattfindet. Der Kanon an Personaleinsatzstrategien wird um das Konzept der
Verlagerung von Arbeitskräfteproblemen auf die kooperierenden Unternehmen
vergrößert (vgl. ebd.). Die administrativen und sozialen sowie die zeitlichen und
örtlichen Bindungen der Arbeitenden an ein Unternehmen scheinen dadurch mehr
und mehr gelockert bzw. aufgelöst zu werden. Vermutlich geraten hierdurch nicht
nur die Grenzen zwischen intern und extern beschäftigten Arbeitskräften in
Bewegung. Es deutet sich vielmehr an, dass die Arbeitsorganisation immer
weniger als eindeutig identifizierbarer Ort des Arbeitens erkennbar wird; sie
verliert ihre strukturelle Stabilität und ihre ′institutionelle Fixierung′ und damit
ihren Sicherheitscharakter mit weitreichenden Konsequenzen für die unter solchen
Bedingungen beschäftigten Arbeitskräfte. ′Kontingenz′, ′Unsicherheit′ und
′Selbststeuerung′ (vgl. ebd., S. 9 sowie Kap. 2.3) sind die Stichworte, mit denen
diese Situation beschrieben werden kann.
- 63 -
Im Folgendem werden die neuen Beschäftigungsformen, die sich im Zuge von
Reorganisationsmaßnahmen herausbilden, spezifiziert.13
Teilzeitbeschäftigung
Die Zahl der erwerbstätigen Menschen ist von 11,6 Prozent 1985 auf 18,7 Prozent
in 1998 gestiegen (vgl. Schmid ebd., S. 271). Diese Form der Beschäftigung gilt
schon lange als ein wesentliches Instrument zur quantitativen Flexibilisierung im
Sinne der ArbeitgeberInnen bzw. als wesentliches Element betrieblicher
Beschäftigungspolitik zur Anpassung an Schwankungen der Auslastung,
Anpassung an Leerzeiten und damit zugleich zur Kostendämpfung (vgl. ebd.).
Unter Berücksichtigung des sozialversicherungsrechtlichen Status kann
Teilzeitbeschäftigung eine ′Brücke′ zur vollwertigen Beschäftigung darstellen,
aber genauso gut auch Merkmal einer verfestigten Arbeitsmarktsegmentation sein
(vgl. ebd., S. 11). Weniger Aufstiegs- und Weiterbildungsmöglichkeiten, relativ
zur Arbeitszeit gesehen geringerer Verdienst, ein meist nicht existenzsicherndes
Einkommen, kaum qualifizierte Teilzeitarbeit, Konzentration auf einzelne
Branchen und Berufe sind Merkmale, welche letztendlich die teilzeitbeschäftigten
Arbeitskräfte als Risiko zu tragen haben. Teilzeit birgt ein hohes
Anpassungspotential hinsichtlich Dauer und Verteilung der durchschnittlich
vereinbarten Arbeitszeiten und besitzt in der betrieblichen Praxis, insbesondere in
Klein- und Mittelbetrieben, eine große Verbreitung (vgl. ebd.).
Befristete Beschäftigung
Unter ungünstigen wirtschaftlichen Bedingungen gehen die Firmen verstärkt dazu
über, Einstellungen generell nur noch befristet vorzunehmen (vgl. Willke ebd.,
S. 148). Der wichtigste arbeitsrechtliche Unterschied zwischen unbefristeten und
befristeten Arbeitsverträgen bezieht sich auf den Kündigungsschutz. So endet ein
befristetes Arbeitsverhältnis automatisch zum vorher bestimmten Zeitpunkt, d. h.
der gesetzliche Kündigungsschutz kommt nicht zum Tragen. Seit 1985 ist eine
Befristung unter bestimmten Voraussetzungen auch ′ohne sachliche Gründe′
möglich. So gelten wirtschaftliche Gründe – als typisches ArbeitgeberInnenrisiko
13
Die Darstellungs- und Argumentationsweise schließt sich stark an die von Bertram et al.
(1999) an, die die neuen Formen der Beschäftigung im Rahmen eines Antrages an die
Deutsche Forschungsgemeinschaft – m. E. sehr gelungen – herausgearbeitet hatten.
- 64 -
verstanden – nunmehr als legitime Begründung zur Befristung von
Arbeitsverträgen. Befristete Beschäftigung fordert zu wiederholter Stellensuche
heraus mit allen Risiken, die damit verbunden sind (vgl. Bertram et al. ebd., S.
12).
Leiharbeit
Schmid (2000) macht darauf aufmerksam, dass das Phänomen der Leiharbeit
Zuwachsraten zwischen 20 und 25 Prozent aufweise und somit zur Erosion des
Normalarbeitsverhältnisses beitrage (vgl. Schmid ebd., S. 271 f.). Mit Leiharbeit
wird ein dreiseitiges Arbeitsverhältnis begründet, das heißt, das rechtliche
Arbeitsverhältnis deckt sich nicht mit dem faktischen Beschäftigungsverhältnis.
VerleiherInnen übernehmen also eine ArbeitgeberInnenfunktion in dem Sinne,
dass sie mit den Beschäftigten befristete oder unbefristete Arbeitsverträge
abschließen, sie aber nicht in eigenen Arbeitsstätten einsetzen, sondern an andere
Betriebe ′entsenden′ (vgl. Bertram et al. ebd., S. 13). Dabei ist die konkrete
Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen vom Arbeitsvertrag weitgehend gelöst.
Direktionsrecht wie Fürsorgepflicht des/der Arbeitgeber(s)In (VerleiherIn) sind
auf den/die ′NutzerIn′ (Entleihbetrieb) übergegangen, womit die
Arbeitsbedingungen von Dritten bestimmt werden. ArbeitgeberIn und Betrieb, in
dem der Arbeitseinsatz erfolgt, fallen also auseinander. Leiharbeit gilt dabei als
′Reinform′ überbetrieblicher Beschäftigung.
Aus betrieblicher Sicht wird mit Leiharbeit eine kurzfristige Personalanpassung
möglich. Analytisch findet hier eine Risikoverlagerung des
Transformationsproblems (vgl. Kap. 4.2.1) statt. So trägt die Leiharbeitsfirma das
Risiko für die Leistung der Arbeitskräfte, die sie verleiht. Die Beschäftigten sind
mit ständig wechselnden Arbeitsorten und -zeiten, d. h. auch mit ständig
wechselnden KollegInnen konfrontiert, wobei im betrieblichen Interaktionsgefüge
auch Interessenkollisionen auftreten können (z.B. innerbetriebliche Konkurrenz)
(vgl. Bertram et al. ebd.).
- 65 -
„Neue Selbständige“, „FreiberuflerInnen“, „abhängig Selbständige“,
„Scheinselbständige“
Seit Mitte der 1980-er Jahre lässt sich ein geringer Anstieg der Selbständigkeit
ausmachen (vgl. Willke ebd., S. 149). Zugenommen haben die Selbständigen,
deren Quote sich auf über 9 Prozent erhöht hat, insbesondere im Bereich der
privaten Dienstleistungen: Zwei von drei Selbständigen erbringen
Dienstleistungen, wobei der Bereich der unternehmensorientierten
Dienstleistungen die höchsten Zuwachsraten aufweist (vgl. ebd.). Unter diesen
Selbständigen befindet sich auch jene Gruppe, die als „scheinselbständig“
bezeichnet wird. Mit Scheinselbständigen sind „Ein-Personen-Unternehmen“
gemeint, welche die wirtschaftlichen Aktivitäten allein erbringen und dies im
Regelfall für einen/eine AuftraggeberIn. Darüber hinaus ist der
Dispositionsspielraum des/der AuftragnehmerIn erheblich eingeschränkt, d. h. es
besteht eine hohe persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeit, so daß die
„Ausführung der Tätigkeiten weitgehend der Situation von Arbeitnehmern
(ähnelt)“ (Dietrich zit. nach Bertram et al. ebd., S. 16). Formal erfolgt allerdings
eine Behandlung als Selbständige. Eine entsprechende Zuordnung und empirische
Erfassung ist allerdings deshalb recht problematisch, da diese Gruppe der
Erwerbstätigen typischerweise gleichermaßen Merkmale selbständiger und
abhängiger Erwerbsarbeit vereinen.
Für die Unternehmen ist insbesondere die Auftragsvergabe an eine mit den
betrieblichen Strukturen vertraute und mit betriebsspezifischem Wissen
ausgestattete Person im Vergleich mit der Vergabe an andere (fachspezifisch)
qualifizierte Einzelpersonen verständlicherweise von besonderem Vorteil. Welche
Konsequenzen die damit verbundene Übernahme der bisherigen Arbeitge-
14
In diesem Zusammenhang muss auf die wissenschaftliche Herausbildung von zwei
′idealtypischen Motivationsträgern′ der ′typischen Selbständigen′ hingewiesen werden: auf
diejenigen, die sich aus einer ′Ökonomie der Not′ selbständig machen und auf solche, die
dies aus einer ′Ökonomie des Wohlstands′ heraus tun, für die auch immaterielle Motive im
Vordergrund stehen können. Diese strikte Trennung wird durch eine ′neue Qualität der
neuen Selbständigkeit′ in Frage gestellt, da der Trend zur Existenzverunsicherung auch
solche Selbständigen trifft, die einen überdurchschnittlichen Fundus von Wissen und
Sozialkontakten haben (vgl. ebd., S. 17).
- 66 -
berrisiken durch die/den Ein-Personen-Selbständige/n für diese/n hat, ist nicht so
einfach zu bewerten. Wenn es sich ′schlicht′ um die ausschließliche
Risikoverlagerung der ArbeitgeberIn auf die/den ehemalige/n MitarbeiterIn
handelt, so scheint eine Beurteilung aus einer arbeitnehmenden Perspektive klar
auf der Hand zu liegen – die nun fehlende soziale Absicherung ohne die Vorteile
des Unternehmertums/der Selbständigkeit kennzeichnen eine eindeutige
Verschlechterung für die/den ehemalige/n MitarbeiterIn. Entspricht die ′neue
Selbständigkeit′ allerdings den Bedürfnissen dieser Auftragnehmenden z. B. nach
Selbstverwirklichung bzw. persönlicher Unabhängigkeit und nach höherem
Einkommen, besteht gleichzeitig tatsächlich keine einseitige Abhängigkeit (z. B.
bei gleichzeitigen vertraglichen Kontakten auch zu anderen Unternehmen), so
kann dieses neue Verhältnis auch als ein gelungenes Arrangement betrachtet
werden. Relevant sind also die Fragen, inwiefern der Schritt in die Selbständigkeit
aus freien Stücken oder mangels Alternative erfolgt und wie die tatsächliche
Ausgestaltung der Verträge aussieht.
14
Betriebliche Restrukturierungsmaßnahmen, die auf verflachte Hierarchien
abzielen, führen zu einer Dynamik, die für diese Thematik von Bedeutung ist.
Schließlich liefert die Reprofessionalisierung eines Teils der unmittelbaren
Produktionsarbeit nicht die früher mit Qualifizierung verbundenen
Aufstiegschancen (z. B. Facharbeiter), da die entsprechenden Positionen in genau
diesem Prozess weggefallen sind. So ist einerseits eine zunehmende ′Ver-
Selbständigung′ bei den Produktionsarbeitern zu erwarten. Ähnliches gilt für das
mittlere Management: auch hier ist eine zunehmende Ver-Selbständigung zu
erwarten, da sie in verflachten Hierarchien keine Aufstiegschancen mehr sehen
und statt dessen nun in diesen enthierarchisierten Unternehmungen auf einer
Ebene mit ihren ehemals Geführten kooperativ arbeiten sollen (vgl. ebd.).
Als Qualifizierungsdimension für die gewandelten Beschäftigungsformen kann
festgehalten werden: Bereitschaft zur Diskontinuität und Flexibilität,
Anpassungsfähigkeit und Risikobereitschaft in Verbindung mit ′Ver-
Selbständigungs′-Fähigkeit.
- 67 -
Im folgenden Kapitel sollen noch einmal die Merkmale veränderter
Arbeitsanforderungen zusammengefasst und generalisiert dargestellt werden.
2.3 MERKMALE VERÄNDERTER
ARBEITSANFORDERUNGEN AN DIE BESCHÄFTIGTEN
Bei allen Unterschieden der oben genannten Konzepte und Modelle, die neue
Formen der Organisation von Erwerbsarbeit kennzeichnen, lässt sich ein
durchziehendes gemeinsames Moment des Wandels der Arbeit, dass die bislang
weithin leitende, i. w .S. tayloristische, Logik der betrieblichen Organisation und
Rationalisierung zunehmend an strukturelle Grenzen stößt, konstatieren: Eine
weiter zunehmende horizontale und vertikale Differenzierung und formale
Regulierung der Nutzung von Arbeitskraft verspricht angesichts neuer
Marktanforderungen kaum mehr Effizienzgewinne. Im Gegenzug wird in immer
mehr Bereichen versucht, bisherige Strukturen und Organisationsprinzipien von
Arbeit und Betrieb mehr oder weniger tiefgehend und dauerhaft in fast allen
Dimensionen (zeitlich, räumlich, fachlich, sozial usw.) aufzubrechen, um neue
Dynamiken freizusetzen (vgl. Voß 2001, S. 289). Die Gründe für diese
Entwicklung werden kontrovers diskutiert, genauso wie ihre gesellschaftlichen
Ausmaße und Folgen. Als Merkmale veränderter Arbeitsanforderungen an die
Beschäftigten können festgehalten werden:
• Zum einen ist mit den „Neuen Produktionskonzepten“ ein neuer Typ
von Produktionsarbeit propagiert worden, der sich – in Abkehr vom
Taylorismus – durch breite Funktions- und Aufgabenintegration,
Lockerung der starren Arbeitsteilung und einer von Kern/Schumann
postulierten Reprofessionalisierung der Arbeitskraft auszeichnete (vgl.
Kap. 2.2.2). Aus heutiger Sicht ist die Kritik vor allem darauf zu
richten, inwieweit nicht auch die so genannten
„Rationalisierungsgewinner“ gefährdet seien aufgrund der Tatsache,
dass die Umstrukturierung der Arbeit mit Leistungsverdichtung
verbunden ist (vgl. Jäger 1989, S. 125). Der wirtschaftliche Zugewinn
der Neuen Produktionskonzepte für die Aktivierung brachliegender
Leistungspotentiale sei in den Unternehmen verlässlich nachweisbar
- 68 -
gewesen (Springer 1996 zit. nach Schumann/Gerst 1997, S. 159).
• Systemische Rationalisierung bedeutet für die Beschäftigten eine
Verlagerung von horizontaler zu vertikaler Arbeitsteilung. Die
Dequalifizierungsthese erscheint nur für Teilgruppen mittlerer
Führungskräfte im Angestellten-Bereich zuzutreffen (vgl.
Baethge/Oberbeck 1986, S. 34). Die Kerngruppe der kaufmännischen
Angestellten müssen aufgrund der Weiterentwicklung von EDV in
systemischen Zusammenhängen mit „mehr Vorgängen in der gleichen
Zeit“ (vgl. ebd.) rechnen. Vormals heterogene Aufgaben werden nun
von einem Sachbearbeiter (gebündelt) erledigt. Die „Dialektik
systemischer Kontrolle“ könnte bedeuten, dass die
Machtunterworfenen ihrerseits eine gewisse Macht über die Mächtigen
ausüben (vgl. Ortmann 1999, S. 113).
• Teamarbeit und Entscheidungsdezentralisierung bilden die Kernstücke
von lean production. Außerdem werden Hierarchien flacher und
bürokratische Kontrollen abgebaut, Prozesse permanenter
Verbesserung (KVP) werden institutionalisiert. Geleitet durch das
Interesse der Unternehmen, erweiterte Berechenbarkeit und
Beherrschbarkeit in Bezug auf die Nutzung sozialer und kultureller
Merkmale von Arbeitskraft zu erlangen, wird das lean-production-
Konzept angestrebt (vgl. Schmidt 1996, S. 131).
• Die Arbeitsorganisation wird im Zuge dessen zunehmend offener,
stärker prozessorientiert und insbesondere immer mehr auf
kontinuierlichen Wandel hin reguliert. Betriebliche Steuerung wird
dabei jedoch nicht grundsätzlich zurückgenommen, sondern die bisher
vorherrschende direkte und detailgenaue betriebliche Strukturierung
von Arbeit auf eine eher indirekte (und dabei meist wesentlich
gezielter eingesetzte) Rahmen- oder Kontextsteuerung (z. B. durch
- 69 -
EDV-basierte Controlling- und Produktionsplanungssysteme)
umgestellt, um dann im Vollzug von Arbeit eine größere Offenheit zu
ermöglichen (Heidenreich/Töpsch 1998). Ziel dessen ist zwar auch
eine Verringerung von Kosten durch Abbau von bürokratische
Steuerungsformen, vor allem aber geht es um die Maximierung von
Flexibilität im Prozess („flexible Spezialisierung“), bei gleichzeitiger
Minimierung der sich dadurch ergebenden Kontrolldefizite (vgl.
Voß/Pongratz 1998, S. 137).
• Der Prozess wird zunehmend als tiefgreifende und gesellschaftlich
folgenreiche strukturelle „Entgrenzung“ der bisherigen Arbeits- und
Betriebsverhältnisse beschrieben. Damit wird sowohl auf die
Ausdünnung von Arbeits- und Betriebsstrukturen, als auch auf das
zunehmende Verschwimmen von bisher charakteristischen
strukturellen Grenzziehungen (z. B. zwischen Hierarchieebenen und
Abteilungen, zwischen Betrieben und ihrer Umwelt, zwischen
betrieblichen Funktionsbereichen und Qualifikationsgruppen, zwischen
abhängigen und selbständigen Berufstätigen, zwischen „Arbeit“ und
„Leben“ usw.) hingewiesen (vg. ebd.).
• Für betroffene Arbeitskräfte hat dies, wie zunehmend thematisiert
wird, hoch ambivalente Folgen. Einerseits entstehen für sie aus der
Entgrenzung von Strukturvorgaben oft erheblich erweiterte
Gestaltungsfreiräume, so dass man durchaus von einer zunehmenden
„Autonomisierung“ (oder auch „Subjektivierung“) von Arbeit
sprechen kann (vgl. Kleemann/Matuschek/Voß 1999). Zugleich
bedeutet dies aber, dass die Arbeitenden die Ausdünnung von
Strukturvorgaben nicht nur kompensieren, sondern nun ihre Tätigkeit
immer häufiger aktiv „selbstorganisiert“ regulieren müssen. Doch
selbst ein derartiger Modus bleibt jedoch systematisch
„fremdorganisiert“ (Pongratz/Voß 1997), bedeutet keine wirkliche
Autonomie des Arbeitshandelns und hat nicht zuletzt die Funktion,
wesentlich umfassender als bisher, betrieblich auf Potentiale und
- 70 -
Leistungen der Arbeitskräfte zuzugreifen.
• Die stärkere Einbeziehung der Mitarbeiter beruht auf der Eröffnung
dezentraler Handlungs- und Entscheidungsspielräume. Von der
„Organisationsspitze“ werden nicht mehr konkrete
Handlungsanweisungen formuliert, sondern allgemeine Ziele
(monetärer Art: Profit Center bzw. bezogen auf Produktions- und
Innovationsziele: Zielvereinbarungen) formuliert. Werden bspw.
Zielvereinbarungen getroffen, bedeutet dies, dass die allgemeinen Ziele
und Rahmenbedingungen vorgegeben werden. Wie jedoch diese Ziele
zu erreichen sind, wird zwischen Management und Beschäftigten
ausgehandelt (vgl. Heidenreich/Töpsch ebd., S. 17). Das Management
beschränkt sich in so genannten „lernenden Organisationen“ auf die
Definition der allgemeinen Zielvorgaben und auf die Moderation und
Koordinierung von Gruppenprozessen. Diese neuen Management- und
Steuerungsprinzipien konkretisieren sich in einer Vielzahl von
Organisationsformen: Qualitätszirkel, Gruppenarbeit, KVP-Gruppen
und Projektgruppen (vgl. ebd.). Die produktionsnahen Bereiche und
auch die zentralen Stäbe erfahren innerhalb von
Dezentralisierungsprozessen einen veränderten Aufgabenzuschnitt:
Führungskräfte erhalten vermehrt Experten-, Planungs- und
Kontrollfunktion. Marktdruck und Konkurrenz werden als Stimulanz
für Leistung und Leistungsbereitschaft im Zuge so genannter
„Vermarktlichungs-“Strategien in den Unternehmen für jeden
Mitarbeiter von zentraler Bedeutung.
• An die Stelle der industriellen maschinen- und
organisationsgebundenen Zeitgestaltung rückt ein prozess- und
bedürfnisbezogenes Zeitregime, welches den kommunikativen
Charakter von Dienstleistungsarbeit verdeutlicht: Konnte der Maurer
noch seine Kelle Schlag 17.00 Uhr fallen lassen, das Fließband bei
definiertem Schichtende zum Stehen gebracht werden, müssen die
Altenpflegerin, die den Patienten betreut oder der Arzt, der einen
- 71 -
Kranken versorgt, ihre Zeitorganisation bis zu einem gewissen Grad
am Bedürfnis und Prozess orientieren (vgl. Baethge 2001, S. 35).
• Diese neuen Organisationsformen bedeuten nicht den Verzicht auf
hierarchische Koordinierungsformen. Vielmehr werden vertikale
Anweisungs- und Kontrollbeziehungen durch horizontale und
„diagonale“ Aushandlungs- und Abstimmungsbeziehungen (z. B.
innerhalb von Projektarbeit) ergänzt (vgl. ebd.).
• Nicht unerwähnt bleiben darf aber auch, dass Springer (1998) einen
partiellen „Roll back“, also eine Rückkehr zum Taylorismus, seit Mitte
der 1990-er Jahre – angestoßen durch weltweite Tendenzen in der
Automobilindustrie, die eine Reaktion darauf seien, dass sich die
Neuen Produktionskonzepte neben anderen Rationalisierungsstrategien
unter den verschärften Wettbewerbsbedingungen nicht bewährt hätten
– bei den deutschen Unternehmen angekommen sieht (vgl. Springer
1998, S. 159). Die Maßnahmen innerhalb dieses Roll-backs zielen
nicht nur auf höhere Leistung, sondern häufig zunächst einmal auf eine
Begrenzung der Kosten der Partizipation, also der Gesprächszeiten für
Mitarbeiter, des Qualifikationsaufwandes für erweiterte
Arbeitsaufgaben, der höheren Löhne für integrierte Tätigkeiten (vgl.
ebd.).
• Innerhalb von so genannten virtuellen Organisationen, die oft auch
strategische Netzwerke darstellen, weichen statische
Zuständigkeitsabgrenzungen und relativ dauerhafte Zuordnungen von
Kompetenz und Verantwortung zugunsten einer dynamischen,
anforderungsspezifischen Kompetenz-Allokation (vgl. Picot et al.
2001, S. 445 f.).
• Gruppenarbeit erweist sich sowohl im Produktions- als auch im
Angestellten-Bereich nicht unbedingt als effizienter als Einzelarbeit;
Statusneutrale Kooperation wird zum widersprüchlichen Kennzeichen
- 72 -
von Gruppenarbeit (vgl. Vormbusch 1999). Ein neuer
„Innovationsmodus“ setzt sich durch: alle Beschäftigten sind im
Rahmen ihrer alltäglichen Arbeit und auf der Grundlage ihrer
spezifischen qualifikatorischen Ressourcen (Wissen, Erfahrung) in die
betrieblichen Innovationsprozesse involviert (vgl. Baethge/Baethge-
Kinsky 1998b, S. 130).
• Autonomie- und Entscheidungsspielräume werden im Zuge der
„Shareholder-Value“-Orientierung vor allem für das Management
insofern stark eingeschränkt, als dass ihre unternehmerischen
Entscheidungen zunehmend an die Renditekriterien des Kapitalmarktes
rückgebunden werden. Damit werden Partizipation und Eigeninitiative
zugunsten von Wiedereinführung von Hierarchie und Kontrolle
zurückgedrängt (vgl. Schumann 1998, S. 30).
• Im Zuge der Durchsetzung unternehmensübergreifender
Rationalisierungsstrategien werden Organisations- und
Beschäftigungsformen (Teilzeitarbeit, Leih- und Zeitarbeit, Neue
Selbständigkeit etc.; vgl. Kap. 2.2.13) etabliert, die dazu führen, dass
das Verhältnis von „innen“ – den Betriebsangehörigen – und „außen“
– den formal externen, aber funktional integrierten Arbeitskräften –
neu bestimmt wird.
Generalisierend formuliert Voß, dass die meisten Entwicklungen innerhalb des
Wandels arbeitsorganisatorischer Bedingungen gesellschaftlicher Arbeit im
wesentlichen pauschal als „Flexibilisierung“ umschrieben werden können:
Gleichgültig, ob es um Deregulierung von Arbeits- und Beschäftigungsformen auf
gesellschaftlicher Ebene gehe, um Outsourcing-Strategien, Profit-Center-
Konzepte und Hierarchieausdünnungen auf betrieblicher Ebene oder um die
Nutzung von Gruppenkonzepten, Projektarbeitsformen und entstandardisierten
Arbeitszeiten auf der shop-floor-Ebene, Ziel sei es immer, etablierte Strukturen
aufzubrechen und mehr oder weniger dauerhaft zu dynamisieren und zu
verflüssigen (vgl. Voß 1998, S. 473 f.). Voß schlussfolgert weiter, nähmen diese
- 73 -
neuen Formen entgrenzter Arbeit zu, könnte dies langfristig eine Veränderung der
basalen Verfassung von Arbeitskraft in unserer Gesellschaft haben: Der bei uns in
den letzen Jahrzehnten als Grundform von Arbeitskraft vorherrschende
„berufliche Arbeitnehmer“ würde dabei durch einen neuartigen Typus ergänzt
oder sogar abgelöst werden, den man aufgrund seiner Eigenschaften
(Selbstorganisation, Selbstkontrolle, Selbstökonomisierung) als „Arbeitskraft-
Unternehmer“ – also als Unternehmer seiner eigenen Arbeitskraft – bezeichnen
kann, was ohne Zweifel eine neue Qualität der Ausrichtung des alltäglichen
Lebenshintergrundes an die Erfordernisse der Erwerbssphäre bedeute (vgl. ebd.,
S. 477 f.).
An dieser Stelle sollen zusammengefasst noch einmal die
Qualifikationsdimensionen der in den vorangegangenen Kapiteln dargestellten
Konzepte aufgezeigt werden, um sie dann einer Kategorisierung bzw.
Systematisierung zu unterziehen. Diese Dimensionen sollen als Grundlage dienen,
Elemente von Subjektivität bzw. Subjektstrukturen (vgl. Kap. 3.1 und 3.4) zu
entwickeln:
• ganzheitliche Einsatzbereitschaft
• verdichtete Aktualisierungsfähigkeit in Bezug auf Fachwissen
• kommunikative – vor allem vermehrt intraorganisationale –
Kooperationskompetenz, aber auch zur überbetrieblichen
Arbeitsteilung
• reflexiv-fachliche Identität
• Commitment
• erhöhte Verantwortungsbereitschaft
• Fähigkeiten zur Moderation und Selbstorganisation
• Inkorporierung von Marktmechanismen zwecks Ausschöpfung aller
Leistungsreserven
• Beherrschung ′symbiotischer Arrangements′
• Fähigkeit zu prozessbezogener Integration bei gleichzeitiger
- 74 -
statusneutraler Kooperation
• Verstärkte Mobilitätsbereitschaft
• Zunehmende Nicht-Bindung an vorgefertigte oder situative
Arbeitszuschnitte
• Permanente Innovationsbereitschaft
• Abstraktions- und Analysefähigkeit
• Selbstqualifizierungsbereitschaft
• Einbringung technischer Intelligenz und technischer Sensibilität
• Selbstmotivation und Selbstdisziplin, Zielorientiertheit und ständige
Einsatzbereitschaft
• inhalts- und ergebnisbezogene Projektarbeits-Fähigkeit
• Aushalten erneuter Hierarchisierungs-, Kontroll- und
Exklusionstendenzen
• Bereitschaft zur Diskontinuität und Flexibilität, Anpassungsfähigkeit
und Risikobereitschaft in Verbindung mit ′Ver-Selbständigungs′-
Fähigkeit.
Türk (1981) gelingt es m. E., den „Zusammenhang von Arbeitskontext und
Anforderungen“ (Türk 1981, S. 99) – auf meine Fragestellung gewendet: den
Zusammenhang von neuen Formen der Organisation von Erwerbsarbeit und den
veränderten Anforderungsprofilen der Beschäftigten – zu systematisieren bzw. zu
kategorisieren: Türks auf Brandenburg/Hetzler/Schienenstock zurückgehende
Bildung von Dimensionen „normativer Anforderungen“
15
unterscheidet vier
grundsätzliche Klassifizierungen (vgl. hierzu ebd., S. 99 ff.)
16
:
(1) Normen bezüglich des Leistungsverhaltens
Die hierunter fallenden Normen lassen sich anhand des Kriteriums
„Ausmaß an Eigenleistungen“ in aufsteigender Reihenfolge darstellen:
15
′Normativ′ soll in diesem Zusammenhang im Sinne „ ... für das Funktionieren und die
Effektivität von Organisationen erforderlich[er] individueller Verhaltensweisen ...“ (Türk
1981, S. 97) gemeint sein. Zur Unterscheidung von offiziellen und tatsächlichen
Arbeitsanforderungen vgl. auch Kap. 4.2.4.
16
Türk bemerkt zu dieser Aufstellung selbst, dass sie sowohl recht ′grob′ gehalten, als auch bei
weitem nicht vollständig sei.
- 75 -
- Vollzugsnormen
Die geforderten Leistungen werden weitestgehend durch die
Organisation des Arbeitsprozesses determiniert. Der Beschäftigte
kann im Prinzip nur noch ′ja sagen′. Solche Normen haben eine
rigide Wenn-dann-Form.
- Steuerungsnormen
Hiermit sind Leistungsnormen gemeint, die sich auf die
Steuerbarkeit und Schaltbarkeit von Apparaten und Maschinen
beziehen. Diese Normen enthalten für die Beschäftigten einen
gewissen dispositiven Spielraum.
- Qualitätsnormen
Die Vorstellung eines Produktes oder einer Aufgabenbewältigung
dient als Maßstab, wichtig ist, dass das Ziel so rationell wie
möglich erreicht wird, bzgl. der Mittel besteht relative
Handlungsfreiheit.
- Gestaltungsnormen
Hier ist die Eigenleistung am größten: es gibt kein vorgefertigtes
Konzept über das Arbeitsergebnis, sondern nur ein mehr oder
weniger definiertes Problem (typisch z. B. Forschungs- und
Entwicklungsaufgaben).
(2) Normen bezüglich der Fügsamkeit
Hier können zwei Arten unterschieden werden:
- Regulative Verfahrensnormen
Z. B. Pünktlichkeit, Achtung des fremden Eigentums in
Organisationen, Wahrung des Betriebsfriedens, kein Krankfeiern,
aufsichtsfreie Erledigung von Aufträgen etc.
- Soziale Verkehrsnormen
Fähigkeit zum Ein- und Unterordnen, widerspruchslosem
Akzeptieren, aber auch Hilfestellung und Aufopferung etc.
- 76 -
(3) Normen bezüglich der Leistungsorientierung
Hierunter lassen sich Erwartungen fassen, die bei den Beschäftigten
die Neigung zur Beschäftigung mit Aufgaben, die einen hohen
Herausforderungscharakter haben, wecken:
- Erfolgs- und Karrierestreben;
- Konkurrenzorientierung;
- Risikofreude.
(4) Normen bezüglich der Loyalität
Unter diese Normen lassen sich zwei Arten fassen:
- ′Repräsentationsbereitschaft′ als Bereitschaft zum
organisationspolitischen Engagement in Strategien- sowie
Interessenentwicklung, -auslegung, -vertretung, und -durchsetzung.
- Verantwortungsbereitschaft für organisationale Ergebnisse
Bei dem Versuch, die oben aufgeführten Qualifikationsdimensionen in diese
Klassifikationen einzuordnen, ergibt sich folgendes Bild:
• Leistungsverhaltensnormen
- Aktualisieren von Fachwissen
- Selbstqualifizierungsbereitschaft
- Zielorientiertheit
- Inhalts- und ergebnisbezogene Projektarbeitsfähigkeit
- Innovationsbereitschaft
• Fügsamkeitsnomen
- kommunikative Kooperationskompetenz
- Fähigkeit zu prozessbezogener Integration bei gleichzeitiger
statusneutraler Kooperation
- Mobilitätsbereitschaft
- Nicht-Bindungs-Fähigkeit
- 77 -
- Aushalten neuer Hierarchisierungs-, Kontroll- und
Exklusionstendenzen
• Leistungsorientierungsnormen
- Einsatzbereitschaft
- Commitment
- Inkorporierung von Marktmechanismen
- Flexibilität und Anpassungsfähigkeit
- Risikobereitschaft
- ′Ver-Selbständigungs-′Kompetenz
• Loyalitätsnormen
- Verantwortungsbereitschaft
- reflexiv-fachliche Identität
- Moderation und Selbstorganisation
- Abstraktions- und Analysefähigkeit
Meine Schlussfolgerung bzgl. einer Tendenz i. S. einer angebbaren Richtung der
Entwicklung der aus den Rationalisierungskonzepten abgeleiteten – sich
gewandelten – Qualifikations- und Anforderungsdimensionen lautet: Den
Chancen, die sich für die arbeitenden Subjekte aus neuen Formen der
Organisation von Erwerbsarbeit ergeben, wie z. B. Autonomie- und
Selbstverwirklichung, stehen gewaltige Risiken entgegen, m. a. W.: den
eingebrachten ′Investitionen′ stehen unsichere ′Erträge′ gegenüber: Den
Beschäftigten werden neue Anforderungen abverlangt, die über ihre bisherigen
hinausgehen; diese ′neuen′ Kompetenzen, Fähigkeiten und Bereitschaften, die die
Beschäftigten gar nicht per se innehaben, werden plötzlich von ihnen erwartet,
oftmals ohne Angaben darüber, wie diese Fähigkeiten überhaupt erlernt werden
sollen. Allenfalls wird der Hinweis auf ′Selbstlernen′ bzw. ′Selbstorganisation′
gegeben, doch selbst das muss m. E. erlernt und eingeübt werden.
Inwieweit die gewandelten Arbeitsanforderungen – aufgrund der in diesem
Kapitel beschriebenen neuen Formen der Organisation von Erwerbsarbeit –
veränderte Formen der Bewältigung dieser Umbruchsituation für die
- 78 -
Beschäftigten mit sich bringen, soll in Kap. 4 nachgegangen werden. Zunächst
soll aber im folgenden Kapitel der soziologische Begriff bestimmt werden, der –
bis dato war in der Soziologie der des ′Sozialcharakters′ der gebräuchliche –, die
Muster – sozusagen die kollektive Struktur – der Verarbeitung und Interpretation
der Umbrucherfahrungen der Subjekte am besten kennzeichnet: Meines Erachtens
eignet sich dafür der Begriff der ′Subjektstruktur′, der im folgende Kapitel
entfaltet werden soll.
- 79 -
3. SUBJEKTSTRUKTUREN: BEGRIFF UND ELEMENTE
3.1 ZUR UNTERSCHEIDUNG VON SUBJEKT,
SUBJEKTIVITÄT UND SUBJEKTSTRUKTUREN
Der Begriff ′Sub-jekt′, der in seiner Sprachwurzel sowohl ′Unterwerfung′ als auch
′Zugrundeliegendes′ ausdrückt, weist auf ein Spezifikum des modernen Subjekt-
Begriffs hin: Denn wenn davon auszugehen ist, dass moderne Subjekte ihre
Identität einerseits durch den Anspruch der Aufklärung, sich aus der
„selbstverschuldeten Unmündigkeit“ (Kant) zu befreien, herausbilden und somit
ihren eigenen authentischen Lebenssinn finden (vgl. Kap. 4.2.9), so sehen sie sich
andererseits einer neuen – etablierten – bürgerschaftlichen Herrschaftsordnung
gegenüberstehen, in der die Idee der Lebenssouveränität längst nicht für alle
Menschen gilt, sondern gesellschaftliche Differenzierungsprozesse, manifestiert in
konstruierten oder realen Ungleichheiten, Teil ihrer alltäglichen
Lebenszusammenhänge sind (vgl. Keupp 1999, S. 19). Es kann an dieser Stelle
nicht auf alle Formen und Wandlungen des modernen Subjekt-Begriffs detailliert
eingegangen werden
17
, sondern es sollen die groben Entwicklungslinien
aufgezeigt werden – mit Bruch (2000) soll aber festgehalten werden, „dass das
moderne Individuum inklusive seiner Subjektivität, begriffen als psycho-soziale
Identität, Resultat eines historischen Prozesses ist, der wesentlich ein Prozess der
Herrschaft ist.“ (Bruch 2000, S. 203: Herv. nicht i. Orig.). Prägte zunächst Max
Weber im Rahmen seiner Analyse des Protestantismus die Subjekt-Vorstellung,
dass Arbeitsbesessenheit aus dem Geist der Religion geboren worden sei – und
somit ein spezifischer Arbeitsethos (manifestiert in Askese und rationaler
Lebensführung) zum „stahlharten Gehäuse der Hörigkeit“ wurde, welches
wiederum dem modernen Berufsmenschen wie zur „zweiten Natur“ wurde –, so
wandte sich später vor allem Norbert Elias gegen die Vorstellung eines „homo
clausus“, also eines Individuums, dass zunächst als von der Gesellschaft getrennt,
m. a. W. der in sich eingeschlossene Mensch, gedacht wird, und setzte folglich
17
Das geschieht deshalb, um vermeintliche Vereinfachungen und Verkürzungen beim Versuch
der Bestimmung einer einheitlichen Definition von ′Subjekt′ - die es m. E. nicht sinnvoll
geben kann – zu vermeiden, weil nämlich das „Subjektproblem“ (Zima 2000) nur im
interdisziplinären Kontext, in dem Philosophie, Soziologie, Semiotik, Psychologie und
Literaturwissenschaft zusammenwirken, konkret zu erfassen ist (vgl. ebd., S. 3).
- 77 -
- 80 -
dieses Individuum zu dieser Gesellschaft in Beziehung (vgl. Keupp 1998, S. 171
ff.).
Um nun einen Begriff wie Subjektivität – als Hinführung zum später eingeführten
Begriff der ′Subjektstrukturen′ – zu definieren, seien zunächst im Anschluss an
Moldaschl und Voß (2002) zwei gegensätzliche Definitionsversuche
unternommen, die – wie so oft – innerhalb von Wissenschaftsdisziplinen
vorgenommen werden:
• zunächst die eher philosophisch orientierte Definition:
Sie geht davon aus, dass Subjektivität das je Eigene und Besondere
eines konkreten Individuums bezeichnet, das auf individuellen (z. B.
charakterlichen) Eigenschaften beruht. Die Fähigkeit zum
intentionalen auf der einen sowie zum situativen (kontingenten)
Handeln des Menschen auf der anderen Seite wird als gattungs-
konstituierend bezeichnet – die gesellschaftlich historische Bedingtheit
des subjektiven Handelns bleibt weitgehend unbeachtet (vgl.
Moldaschl/Voß 2002, S. 55);
• dann die eher sozialtheoretisch bzw. soziologische Definition:
Sie geht von einer Subjektivität aus, die eher als Produkt von
Gesellschaft, d. h. als Summe der kulturellen und sozialen Prägungen,
zu verstehen ist. Es geht um die „sozialen Rahmungen von Denk- und
Handlungsmöglichkeiten, wodurch mehr oder weit vorgegeben wird,
was in einer bestimmten gesellschaftlichen (und damit historischen)
Konstellation eine individuelles „Subjekt“ ist, kann und darf“ (ebd., S.
56; Herv. i. Orig.).
Auf die Tatsache, dass beide Definitionen defizitär seien, weisen die Autoren hin:
Aus phänomenologischer Sicht müsse ergänzt werden, dass Subjektivität als die
je situative Aktualisierung der zwar sozial geprägten, aber dennoch je individuell
besonderen Konstellationen von Wissen, Einstellungen, Motiven und Fertigkeiten
einer Person beschreiben werden müsse; somit Subjektivität zwar eine
„Eigenschaft von Personen“ anzeigt, allerdings kein Substanz-, sondern ein
- 81 -
Relationsbegriff ist, der es erlaubt, eine Person gesellschaftlich „zu verorten“ (vgl.
ebd.). Ergänze man nun, so die Autoren weiter, den Blickwinkel um eine
interaktionistischer Perspektive, erhalte man ein volleres Bild von Subjektivität:
Dann werde deutlich, dass das Selbst- und Umwelt-Verhältnis von Personen in
Auseinandersetzung mit ihrer sozialen Umwelt selbst hergestellt werde, indem sie
sich zu Anderen in bestimmten Relationen verorteten und von diesen zugleich
verortet würden (vgl. ebd., S. 56 f.). Somit stimme ich mit folgender Definition
von Subjektivität überein:
„Subjektivität ist somit ein (wandelbares) Produkt der Verbindung
zwischen Person und Gesellschaft, das die Person in ihrer sozialen Umwelt
positioniert. Subjektivität (...) verstanden als jeweilige Ausstattung mit
bestimmten Ressourcen bzw. Dispositionen, eröffnet der Person gewisse
Handlungsmöglichkeiten (und verschließt ihr zugleich andere). Insofern
wirkt Subjektivität handlungsbefähigend und handlungsleitend zugleich,
als (empirisch je unterschiedliches) Handlungspotential.“ (ebd., S. 57;
Herv. i. Orig.)
Um den Argumentationsstrang deutlich werden zu lassen, der langsam zu einem
Vorverständnis des für diese Arbeit zentralen Begriffs der ,Subjektstrukturen′
führt, zitiere ich erneut wörtlich:
„Die Relationalität von Subjektivität zu Anderen (und Anderem) verweist
auf die soziale Geprägtheit von Personen als Trägerinnen von
Subjektivität: auf Intersubjektivität im Sinne eines wechselseitigen
Konstitutionsverhältnisses zwischen Individuen. Zugleich deutet das
Selbst-Verhältnis, das Subjektivität notwendigerweise enthält, darauf hin,
daß Subjektivität nicht allein sozial (im Sinne einer Bestimmung durch
soziale Faktoren) erzeugt wird, sondern aktive und ‚kreative‘ Herstellungs-
Leistungen der Personen zur Grundlage hat.“ (ebd., Herv. i. Orig.)
Vergegenwärtigt man sich nun, dass bis weit in das 20. Jahrhundert hinein
Subjekt-Vorstellungen vorgeherrscht haben, die Biographie und Identität – zwei
Basiselemente des modernen Subjekt-Begriffs – wenn sie als geglückt betrachtet
werden sollten, als etwas Stabiles, Dauerhaftes und Unverrückbares aufzeigen,
und versucht man im Weiteren, dieses Faktum mit obiger Relationalität einerseits
sowie die aktiven Herstellungsleistungen der Subjekte andererseits miteinander
zu verbinden, gelangt man zu etwas, was man als ′Subjektstrukturen′ bezeichnen
- 82 -
könnte: Der Charakter des Menschen war bis zum Beginn der
Umbrucherfahrungen als „einheitliche, dauernde Struktur seines Wesens“
definiert (vgl. Keupp 1999, S. 22). Dieser Aspekt führt zu einem soziologischen
Verständnis von „Struktur“: (Subjekt-)Strukturen sind demnach sich
wiederholende, dauerhafte, wenn nicht gleich, so zumindest ähnlich verlaufende
Interpretations- und Verarbeitungsmuster der Subjekte, die sozusagen ihrem
Handeln einen „Sinn“ geben. Damit wird das Augenmerk auf die Funktionen von
Subjektivität, genauer: auf die Verwendungs- und Wirkungsweise personaler
Ausstattungen zum Handeln in bestimmten Interaktionssituationen (hier: der
Wandel der Organisation von Erwerbsarbeit) (vgl. Moldaschl/Voß ebd.) gerichtet.
Das moderne Ordnungsmodell in seinem Verständnis von Subjektstruktur als
etwas Dauerhaftem und Regelmäßigem unterstellt regelhaft-lineare
Entwicklungsverläufe, es unterstellt eine gesellschaftliche Kontinuität und
Berechenbarkeit, in der sich die subjektive Selbstfindung verlässlich einbinden
kann (vgl. Keupp ebd., S. 30). Allerdings zeigen Diskurse um Postmoderne,
Individualisierung, Pluralisierung und Globalisierung Entwicklungen an, die –
verbindet man sie mit in Kap. 2.1.2 verbundenen Aspekten der Umbruchsituation
industrieller Erwerbsgesellschaften – zunehmend Begriffe wie Kontingenz,
Diskontinuität, Fragmentierung, Bruch, Zerstreuung, Reflexivität oder Übergang
als Merkmale der Welterfahrung der Subjekte in den Vordergrund rücken lassen.
Die folgenden drei Kurz-Kapitel sollen die Begriffe und Konzepte aufzeigen, die,
wenn man den Begriff der Subjektstrukturen in der von mir vorgenommenen
Definition verwendet, zu berücksichtigen sind, um zu verdeutlichen, dass es
ähnliche Konzepte – allerdings m. E. mit enger gefassten Prämissen – bereits
gegeben hat bzw. noch gibt. Sicherlich gehört auch das Bourdieu´sche Habitus-
Konzept in diese Aufzählung. Da ich dieses jedoch in Kap. 5.2 mit stärkerer
Fokussierung auf die Dualität bzw. Rekursivität des Habitus darlege, sei dieses
Konzept an dieser Stelle ausgespart.
- 83 -
3.2 KLASSISCHE KONZEPTE ALS ′VORLÄUFER′ VON
SUBJEKTSTRUKTUREN
3.2.1 DIE PERSÖNLICHKEITSSTRUKTUR BEI ELIAS
Will man nun der Thematik der Rekursivität näherkommen, ist es notwendig,
zunächst Perspektiven aufzuzeigen, die eine – relativ – einseitige Sicht
beinhalteten: Die moderne Subjektivität als Resultat des Zivilisationsprozesses ist
nach Elias kein Produkt eines intentional betriebenen Prozesses, sondern das
Ergebnis geänderter gesellschaftlicher Bedingungen (vgl. Bruch ebd., S. 221). Ein
verändertes Verhältnis von Individuum und Gesellschaft konstituiert sich: Die
Grenzen zwischen diesen beiden Polen beginnen sich aufzulösen mit der
zunehmenden Verlagerung gesellschaftlicher Normen in das Individuum hinein,
was zur vielzitierten These der ′Verwandlung vom Fremd- zum Selbstzwang′
geführt hat. Es ist somit ein Mechanismus aufgezeigt, wie sich zunächst
gesellschaftlich isolierte Normen und Verhaltensweisen zu hegemonialen
entwickeln (vgl. ebd., S. 222 f.). Elias („Über den Prozeß der Zivilisation“, 1976)
benutzt den absolutistischen Hof um zu verdeutlichen, dass dieser ein
stilbildendes Zentrum darstellte, in dem jene Verhaltensweisen entwickelt
wurden, die als hegemoniale die abendländische Gesellschaft prägen sollten.
Damit ist der Begriff der Persönlichkeitsstruktur angesprochen: Die im Prozess
der Psychogenese stattfindenden Abläufe, nach denen die sozialen Institutionen
erst der Neuzeit den Menschen konditionieren zu einer Triebreduktion und
Selbstkontrolle, die rational-logisches Handeln ermöglicht. Elias versteht
Interdependenzen von Menschen als Sozialisationszusammenhänge, die
psychische Strukturen und Verhaltensweisen modellieren. Wenn sich diese
entwickelten Verhaltensnormen zu „Quasi-Institutionen“ (Bruch ebd., S. 223)
verdichten, verallgemeinern sie sich und lassen den Vermittlungsprozess von
individueller und gesellschaftlicher Transformation „zu Gunsten eines
harmonisierenden Korrespondenzmodells“ (ebd., S. 225) erscheinen, was einen
erheblichen Teil der Kritik an Elias ausgemacht hat; denn: die strenge
Verhaltensreglementierung, wie sie dem Individuum durch die Zivilisation
- 84 -
auferlegt werde, verschleiert den Herrschaftscharakter der Moderne, besser: die
starke Bedeutung religiös, ideologisch, staatlich und bürokratisch motivierten
Disziplinierungen innerhalb neuzeitlich funktional-differenzierter Gesellschaften
(vgl. ebd.).
3.2.2 DER GESELLSCHAFTSCHARAKTER BEI FROMM
Erich Fromm (1955) bezeichnet die gesellschaftlich signifikanten, im
Arbeitsprozess funktional verwertbaren Charakterstrukturen, die für die
Menschen einer Gesellschaft, Klasse, Schicht oder Bezugsgruppe typisch sind, als
social charakter bzw. Gesellschafts-Charakter (vgl. Bierhoff 2001, S. 5).
Entsprechend definiert er den Gesellschafts-Charakter als den
„Kern der Charakterstruktur, den die meisten Mitglieder ein und derselben
Kultur miteinander gemeinsam haben, im Unterschied zum individuellen
Charakter, in welchem sich die Menschen ein und derselben Kultur
voneinander unterschieden“ (Fromm 1955 zit. nach Bierhoff ebd.)
Fromm streift mit dieser Definition drei Betrachtungsweisen: die
anthropologische Perspektive (′Natur′ des Menschen), die personale Perspektive
(Einzigartigkeit, Individualität und Identität des Menschen) und die
sozialcharakterologische Perspektive (gesellschaftliche Normierung der
Persönlichkeit). Letztere scheint mir in Bezug auf diese Untersuchung interessant:
(Sozial-)Charakterbildung heißt bei Fromm, die gesellschaftlichen Erwartungen
und Notwendigkeiten zu internalisieren. An diesem Internalisierten ist abzulesen,
welche Anforderungen gesellschaftliche Strukturen (Arbeitsbereich,
Konsumsphäre) an die Menschen als Produktivkräfte stellen (vgl. ebd., S. 6).
Fromm interessiert sich also nicht für die Einzigartigkeit eines jeden Menschen,
sondern dafür, wie sich das gesellschaftliche Individuum angepasst verhält.
Fromm fragt also, warum das Subjekt die mit der Gesellschaftsstruktur
verbundenen Verhaltenserwartungen weitgehend und mit dem Gefühl der
Freiwilligkeit befolgt, so dass im Handeln der Menschen die objektiven
Gegebenheiten fortlaufend reproduziert und somit auf Dauer gestellt werden, in
- 85 -
der Folge schließlich als verlässliche und unumstößliche Wirklichkeit erscheinen
(vgl. ebd.).
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Fromm eine funktionalistische
– und damit einseitige – Perspektive einnimmt. Er erklärt die Charakterstrukturen
funktional von den Effekten her, die sie auslösen. Das heißt beispielsweise, es gibt
einen ′kapitalistischen Charakter′, weil dieser funktional die gesellschaftlichen
Erwartungen in Bezug auf Arbeit und Konsum erfüllt. Da ich aber gerade die
Rekursivität der Subjektstrukturen verdeutlichen möchte, gehen sicherlich
Bourdieu´sche und Giddens´sche Ansätze (vgl. Kap. 5.2 und 5.1) weiter und sind
von daher besser geeignet, auch einen Blick auf die geänderten
Gesellschaftsstrukturen – in meinem Fall auf die Strukturen der Veränderung der
Organisation von Erwerbsarbeit – zu werfen (s. hierzu Kap. 5.3).
3.2.3 DER SOZIALCHARAKTER BEI KERN/SCHUMANN
Die beiden Industriesoziologen Kern und Schumann thematisieren Arbeit und
Sozialcharakter in einem gleichnamigen Aufsatz-Titel (1983) und verweisen
damit auf das „Theorem des doppelten Bezugs auf Arbeit“ (Bierhoff ebd., S. 4)
mit dem folgendes gemeint ist: Bei Arbeitern werde
„ ... typischerweise die inhaltliche Beziehung zwischen Subjekt und Arbeit
über ein Arbeitsverhältnis hergestellt ..., in dem zwei verschiedene, auf
komplizierte Weise miteinander interagierende Bezüge auf Arbeit
enthalten sind: Arbeit aus der Perspektive des Lohnarbeiters und Arbeit
aus der Perspektive des Subjekts oder besser vielleicht des Produzenten.
Der Wertewandel gegenüber Arbeit sollte u. E. als historische
Veränderung der Art und Weise verstanden werden, in der sich dieser
doppelte Bezug auf Arbeit ausbildet und äußert.“ (Kern/Schumann 1983,
S. 351 f.)
Kurz zusammengefasst: Es geht den Autoren um den Unterschied von
funktionaler Arbeit und Werktätigkeit. Sie fragen nach den Produzentenbezügen,
die sich in der Arbeit heute realisieren, und diagnostizieren eine Verschiebung hin
zu einer Tätigkeit, die Werksinn und produktive Teilnahme an den
Arbeitsbezügen beinhaltet (vgl. Bierhoff ebd.). Ohne Rekurs auf Fromm zu
- 86 -
nehmen, sehen die Autoren den ′Sozialcharakter′ auf der gesellschaftlichen Ebene
angesiedelt (im Gegensatz zu bloßen Einstellungsänderungen) und definieren ihn
als die
„Grundhaltungen ..., die ein soziales Kollektiv in Auseinandersetzung mit
seinen Lebenserfahrungen typischerweise ausgebildet hat und sie sich im
Zuge dieses Kollektivs sedimentiert haben (Kern/Schumann ebd., S. 361).
Der analytische Vorteil eines so verstandenen Begriffs liegt darin, dass mit ihm
nach typischen Grundverhältnissen zur Arbeit gefragt wird. Als Konsequenz lässt
sich die Auflösung des „proletarische(n) Sozialcharakter(s)“ (ebd.) ableiten: Die
Charakterbildung erfolge – so die Autoren – „heute insgesamt weniger als früher
in und über Arbeit“ (ebd., S. 362). Ein neuer Arbeitstypus sei entstanden, der sich
weniger durch die Orientierung an Leid und Mühsal der Arbeit, sondern eher
durch Bedachtsamkeit, nüchterne und kritische Distanz und Bereitsein für
Unvorhergesehenes auszeichne (vgl. ebd., S. 363 f.).
Zusammenfassend lässt sich in Abgrenzung an den später (Kap. 3.1) ausgeführten
und von mir in dieser Arbeit verwendeten Begriff ′Subjektstrukturen′ festhalten,
dass der Begriff des ′Sozialcharakters′ in der Verwendung von Kern/Schumann
eine explizite Verknüpfung mit Arbeit beinhaltet, wobei mein Begriff der
Subjektstrukturen weiter gefasst ist, und zwar insofern, als er charakterologische
Muster aufzeigt, deren Ursprünge und Ausprägungen über die Arbeitssphäre
hinausgehen.
Bevor vor diesem Hintergrund die Basiselemente von Subjektstrukturen
herausgearbeitet werden, soll zunächst auf den in den Sozialwissenschaften
vieldeutig verwendeten Begriff ′Institution′ eingegangen werden, um
aufzuzeigen, dass er in einer spezifischen Form durchaus als Basisbegriff für die
Konstitution des (Subjekt-)Struktur-Begriffes gelten kann. Hierzu dient das
folgende Kapitel.
- 87 -
3.3 DER BEGRIFF ′INSTITUTION′ UND SEINE
POLYVALENTE BEDEUTUNG FÜR DIE KONSTITUTION
VON SUBJEKTSTRUKTUREN
Türk (1997) führt zum Begriff der Institution aus, dass für ihn gelte, dass er
hochgradig durch Inanspruchnahme von Theorien und Alltagspraxis belastet sei,
so dass er sich kaum mehr als eine soziologische Grundkategorie zu eignen
scheine, sondern eher als Gegenstand einer wissenssoziologischen oder
ideologiekritischen Analyse (vgl. Türk 1997, S. 125). So sei die Frage, was denn
′eigentlich′ Institutionen seien, ohne Sinn: die Kategorie der Institution sei nicht
kontextfrei definierbar, sondern könne einen Sinn nur im Rahmen einer
Gesellschaftstheorie gewinnen (vgl. ebd., S. 145). Krömmelbein (1996) weist nun
darauf hin, in welchen sozialwissenschaftlichen Kontexten der Begriff Institution
verwendet werde: Soziologisch können Institutionen als Manifestation der Härte
sozialer Tatsachen (Durkheim), als durch Normierung garantierte funktionale
Regelwerke, die auf gesamtgesellschaftliche Notwendigkeiten bezogen sind (u. a.
Parsons), anthropologisch als Entlastungsstrategien der Menschen (Gehlen),
handlungstheoretisch als Verfestigung von Gewohnheiten (Schelsky) oder auch
interaktionistisch als dauernder, sensibler Institutionalisierungsprozess
(Berger/Luckmann) betrachtet werden (vgl. Krömmelbein ebd., S. 18). In der
Ökonomie gelten Institutionen zum einen als Rahmenbedingungen ökonomischen
Handelns, zum anderen als grundlegende Steuerungs- und Regelungsprozesse, die
das Verhalten der Wirtschaftssubjekte koordinieren und damit erst definieren,
welche Handlungsparameter in der Ökonomie zum Tragen kommen (vgl. ebd.).
Gemeinsam ist diesen unterschiedlichen Ansätzen, dass als Institutionen
dauerhafte Einrichtungen in der Gesellschaft oder ihren subkulturellen Bereichen,
auf die sich alltagspraktisches Handeln orientierend beziehen kann, bezeichnet
werden (vgl. ebd., S. 18 f.).
Wenn davon auszugehen ist, dass bspw. staatliche Einrichtungen, der Staat,
verschiedene Akteursgruppen, soziale Beziehungsgeflechte (z. B. die Familie),
Regelungssysteme (z. B. das Rechtssystem), Ge- und Verbote, Normen,
Sanktionen, kulturelle Gewohnheiten oder sogar Kommunikationssysteme in
- 88 -
verschiedenen Kontexten alle samt als Institution bezeichnet werden, so bleibt
charakteristisch für den Institutionen-Begriff festzuhalten:
„Es handelt sich bei der wissenschaftlichen Kategorie der Institution um
einen Begriff, der die strukturelle Gemeinsamkeit dieser disparaten
Einrichtungen einer Gesellschaft erfassen möchte. Aus diesem Grunde
sind die ersten formalen Identitätsmerkmale einer Institution ihre zeitliche
Konsistenz, eine bestimmte Struktur, ein kulturelles Muster
zwischenmenschlicher Beziehungen und ihre Normengebundenheit.“ (ebd.,
S. 19; Herv. nicht i. Orig.)
Wichtig ist, dass nicht der Fehler begangen wird, nun Gegenstandsbereiche wie
bspw. Staat, Familie, Kultur etc. mit Institutionen gleichzusetzen. Institutionen
haben eine eigene Realität, sie „regeln Vollzüge“ (Lipp zit. nach Krömmelbein
ebd.), sie fallen nicht mit einem Gegenstandsbereich zusammen, sondern erhalten
eine gesellschaftliche Bedeutung, die hinter den oder durch die Einrichtungen
Familie, Herrschaft, Wirtschaft und Kultur existiert und diesen Teilbereichen der
gesellschaftlichen Realität einen besonderen gesellschaftlichen Charakter verleiht.
Die eigene Identität der Institutionen besteht in dem Verhältnis zu einer
komplexeren Sozialstruktur. Die Gemeinsamkeit der heterogenen
gesellschaftlichen Bereiche, die als Institution analysiert werden, besteht in dem
Verhältnis zur gesellschaftlichen Struktur auf der einen und zu den Individuen auf
der anderen Seite (vgl. ebd.).
An dieser Stelle soll auf einen Aspekt, den ich in Kap. 5.1 näher erläutere, bereits
hingewiesen werden, da er elementar für die Konstitution des Institutionen-
Begriffs zu sein schient: Der Doppelcharakter von Institution – ähnlich dem des
Bourdieu´schem Habitus-Begriff – manifestiert sich wie folgt: Institutionen sind
einerseits überinividuell und in der Sozialstruktur angesiedelt, sie sind aber
andererseits zwischen den Individuen und in ihrer Bewusstseinsstruktur verankert
(vgl. ebd.).
Auf den – zweifellos wesentlichen – Strukturierungscharakter von Institutionen
macht noch einmal Türk aufmerksam:
„Die Kategorie der Institution kann auch verwendet werden, um
Gesellschaftsformationen zu unterscheiden und zu identifizieren. Die
Institutionen verkörpern jeweils die wesentlichen Strukturelemente einer
- 89 -
Gesellschaft, indem sie Mechanismen der Reproduktion, d. h. der
Erzeugung von Persistenz gesellschaftlich dominanter Strukturen sind.
Institutionen werden als überindividuell begriffen, d. h. der Einzelne kann
sich ihnen nicht ohne weiters entziehen. Da sie auf Dauer gestellt sind,
sind sie von speziellen Situationen und Erfahrungen relativ unabhängig;
Raum und Zeit übergreifend entstammen sie nicht „lokaler Produktion“;
sie gelten sozusagen „kontrafaktisch“. (Türk ebd., S. 146)
Somit bleibt festzuhalten, dass der Begriff ′Institution′ in dieser spezifischen Form
im Anschluss an Türk für mich als Basisbegriff für die Konstitution des (Subjekt-
)Struktur-Begriffes gilt. Welches nun Basiselemente von Subjektstrukturen sein
können, werde ich im folgenden Kapitel darstellen.
3.4 BASISELEMENTE VON SUBJEKTSTRUKTUREN
Um im Folgenden die Basiselemente von Subjektstrukturen herauszuarbeiten, ist
zunächst an die Definition von Subjektstrukturen als Denk-, Verarbeitungs- und
Interpretationsmuster zu erinnern, welche die handelnden und erlebenden
Subjekte ′haben′. Diese Muster helfen den Subjekten, Erfahrungen – wie bspw.
institutionelle Umbrüche innerhalb der Organisation von Erwerbsarbeit,
gewandelte Anforderungsstrukturen, neue Identitäten und Lebensentwürfe – zu
verarbeiten und gegebenenfalls reflexiv auf ihr zukünftiges Leben zu beziehen.
Wie bereits in Kap. 3.1 angedeutet, geben diese Muster dem Handeln einen
„Sinn“ i. S. von Kontinuität und Berechenbarkeit.
Welches sind nun die Basiselemente von Subjektstrukturen, die in ihrer
Gesamtheit so etwas wie ein Subjektstruktur-Gebilde darstellen? Zunächst sollen
im Folgenden geeignete Elemente überblicksartig aufgeführt werden:
• Orientierung an Arbeitsinhalt und Arbeitsprozess (gespeist durch
protestantische Arbeitsethik Max Webers);
• Sozialstrukturelle(r) Verortung/Status über die Kategorie ′Beruf′
(Berufsidee ebfs. von Weber);
• Lebensstandard und Lebensstile;
• (psycho-soziale) Identität;
- 90 -
• Empfinden sozialer Bindung;
• Kommunikative Strukturen und soziale Interaktion;
• Selbstzwang als Ergebnis des Zivilisationsprozesses (à la Elias)
herausgebildet in Formen der Selbstkontrolle;
• Zeit-, Ort- und Raum-Empfinden;
• Eine unbewusste Verankerung von ′Institutionen′ (bspw. der Institution
Erwerbsarbeit mit all ihren Implikationen – einschließlich der
Trennung zwischen ′Arbeit′ und ′Leben′);
• Grundsätzliche Fähigkeit zur Reflexivität.
Mit dieser Aufzählung können die Dimensionen benannt werden, innerhalb derer
sich subjektstrukturelle Charakteristika herausbilden können. Was sich im
einzelnen hinter diesen ′Überschriften′ verbirgt bzw. wie sich die Implikationen,
die sich aus diesen Überschriften ableiten lassen, wandeln aufgrund sich
veränderter Bedingungen der Organisation von Erwerbsarbeit, soll im folgenden
Kapitel, dem Kap. 4, deutlich werden.
- 91 -
4. AUSWIRKUNGEN SICH WANDELNDER ERWERBSARBEIT
AUF DIE SUBJEKTSTRUKTUREN DER BESCHÄFTIGTEN
4.1 AUSWIRKUNGEN AUFGRUND SICH WANDELNDER
ARBEITSANFORDERUNGEN
In Kap. 2.3 sind die Merkmale der neuen Anforderungen an die arbeitenden
Subjekte zusammengefasst dargestellt worden. Nun wird auf die Auswirkungen,
die sich daraus auf die Subjektstrukturen – und zwar zunächst gespeist aus
veränderten Anforderungen in der Sphäre ′Arbeit′ – ergeben, in Form einer
Aufzählung eingegangen:
• Innerhalb der Prozesse der systemischen Rationalisierung „mehr
Vorgänge in der gleichen Zeit“ erledigen zu müssen, führt zu einem
fundamental veränderten Zeitgefühl der Arbeiten – gespeist von der
Erfahrung, nicht alle Vorgänge erledigen zu können.
• Permanente Verbesserungsprozesse (KVP) bedeuten eine
grundlegende Umwertung der Subjektivität der Beschäftigten: Diese
gilt nicht mehr, wie im Zeitalter der tayloristischen Produktionsweise,
als ′Störgröße′, die die rigide Kontrolle betrieblicher Prozesse auf der
Basis wissenschaftlichen Managementwissens erforderte, vielmehr
werden die individuellen Selbstentwürfe und
Selbstverwirklichungsansprüche aktiviert und gezielt zur
Prozessoptimierung eingesetzt (vgl. auch Bröckling 2000, S. 142).
• Teamarbeit und Entscheidungsdezentralisierung z. B. im Rahmen von
lean production appellieren an soziale und kulturelle Merkmale von
Arbeitskraft.
• Beschäftigte müssen sich einpassen in veränderte Hierarchien und
reagieren teilweise mit Unsicherheiten bei ′entgrenzten′
Arbeitsabläufen bzw. Funktionsbereichen.
- 89 -
- 92 -
• Fragen entstehen für das arbeitende Subjekt bei Zielvereinbarungen:
Das Ziel ist zwar formuliert, wie aber soll es erreicht werden? Wenn
dieses zwischen Management und Beschäftigten ausgehandelt wird,
wird man es innerhalb von Qualitätszirkeln oder KVP-Gruppen
erreichen können?
• Führungskräfte erhalten vermehrt Experten-, Planungs- und
Kontrollfunktion, fühlen sich durch Marktdruck und Konkurrenz unter
Druck gesetzt, müssen ′Vermarktlichungs-Strategien′ in Bezug auf sich
selbst erst lernen; auch werden Aushandlungs- und
Abstimmungsbeziehungen nicht von jeder/von jedem beherrscht.
• Arbeitende im Dienstleistungsbereich sind gezwungen, zunehmend
prozess- anstatt ergebnisorientiert zu denken.
• Ein neuer Innovationsmodus gehört in die Denk- und
Verarbeitungsschemata eingebaut: stets ist man im Rahmen seiner
alltäglichen Arbeit und auf der Grundlage seiner spezifischen
qualifikatorischen Ressourcen (Wissen, Erfahrung) in den
betrieblichen Produktionsprozess involviert.
• Zunehmende Autonomieeinschränkung aufgrund von bspw.
Shareholder-Value-Gesichtspunkten verwirrt Manager zunehmend, wo
doch sonst eher Ausweitungen der Autonomiefelder konstatiert werden
können.
Die folgenden Kapitel sollen sich nun auf weiterreichende Auswirkungen auf die
Subjektstrukturen der Beschäftigten aufgrund veränderter Arbeitsanforderungen
beziehen, also auf Sphären und Bereiche, die über die bloße Sphäre ′Arbeit′ (s. o.)
hinausgehen.
- 93 -
4.2 WEITERREICHENDE AUSWIRKUNGEN
4.2.1 EIN NEUER TRANSFORMATIONSMODUS
Der Transformationsbegriff sei zunächst durch Pries (1998) verdeutlicht:
„Der Terminus Transformation soll deutlich machen, daß sich die
Handlungseinheit Betrieb durch den doppelten Prozeß der stofflichen und
sozialen „Überführung“ von betriebsinterner und betriebsexterner
Wirklichkeit durch Arbeitshandeln auszeichnet. Der betriebliche
Produktionsprozeß wird also in dieser Perspektive nicht als quasi
mechanistischer „Leistungsvollzug“, sondern als konstruktiver Prozeß der
stofflichen und sozialen Gestaltung von Wirklichkeit aufgefaßt.“ (Pries
1998, S. 160)
Ein derartig verstandener Transformationsbegriff charakterisiert also den
Übergang bzw. das ′Übersetzen′ von Arbeitsvermögen in Arbeitshandeln. Pries
macht weiter darauf aufmerksam, dass betriebliches Arbeitshandeln in der
westdeutschen Industriesoziologie im Kontext betrieblicher Macht- und
Herrschaftsbeziehungen (klassisch: Marx und Weber, später: Crozier/Friedberg
1979), im Zusammenhang (veränderter) betrieblicher Kooperationsbeziehungen
(Braverman 1977, Edwards 1981; Jürgens 1984)
18
und schließlich in der
Qualifikationsforschung (Braczyk 1982) thematisiert worden sei (vgl. ebd., S. 182
f.).
Türk (1995) geht es im Kern um die Frage, ob sich die Entwicklung
gesellschaftlicher Arbeit in den letzten 150 Jahren als ein Prozess zunehmender
′reeller Subsumtion′ interpretieren lasse und falls ja, in welcher Weise sich die
Modi und Instrumente reeler Subsumtion verändert hätten (vgl. Türk 1995, S. 77).
Türk macht auf Braverman (1977) aufmerksam, der in Bezug auf die Entwicklung
der Arbeitsbedingungen im unmittelbaren Produktionsprozess herausgearbeitet
habe, wie zunächst unter der produktivistischen Herrschaftsideologie des
18
In der „Labor Process Debate“ hatte die dyadische Machtbeziehung zwischen den beiden
kollektiven Akteuren Arbeit und Kapital im Mittelpunkt gestanden (vgl. Deutschmann 2002,
S. 121).
- 94 -
Taylorismus die aufkommende Arbeitswissenschaft die Arbeiter enteigne und
degradiere. Ihre von ihnen selbst entwickelten Arbeitsfähigkeiten und ihr
Produktionswissen würden erkundet, untersucht, ′optimiert′, um sie ihnen dann als
verwissenschaftlichte Arbeitstechnologie (Taylors „Wissenschaftliche
Betriebsführung“), der sie sich zu fügen hätten, entgegenzusetzen. Im Zuge
„systemischer Rationalisierung“ (vgl. Kap. 2.2.3), so folgert Türk, würden die
Arbeiter nicht mehr ihres Erfahrungswissens enteignet, sondern der Prozess kehre
sich um: Heute entwickle sich Erfahrungswissen nur noch als sekundär-
abgeleitetes in Abhängigkeit von vorgesetzten Arbeitssystemen (vgl. ebd., S. 80
f.).
Türk fährt fort, dass sich frühere – eben tayloristisch-orientierte ′autoritäre′ –
Herrschaftskonzepte, und dies ist im Zusammenhang mit dem Thema dieser
Arbeit relevant, im Zuge neuer Formen der Organisation von Erwerbsarbeit
verändert hätten und sich somit in den Nutzungsformen menschlichen
Arbeitsvermögens erhebliche Umbrüche ereigneten:
• ganzheitliche Nutzung eines Teils der Beschäftigten durch so genannte
„Neue Produktionskonzepte“ (vgl. Kap. 2.2.2);
• „Flexibilisierung“ von Produktion bei gleichzeitig verschärfter
Kontrolle der Rahmenbedingungen;
• zügige „Höherqualifizierung“ der Arbeitenden bei immer schnellerer
Entwertung der individuellen Arbeitsvermögen;
• Gewährung von Spielräumen „verantwortlicher Autonomie“ (vgl.
Kap. 4.2.3) bei gleichzeitiger Einschwörung auf die
„Unternehmenskultur“ (vgl. ebd., S 83).
Deutschmann (2002) führt nun aus, dass im Anschluss an obige Umbrüche die
Kritik autoritär-bürokratischer Muster des Managementhandelns seither ein
Gemeinplatz geworden sei: statt dessen würden Leitbilder, die sich auf die Pflege
der „Humanressource“, die „lernende Organisation“, den Vorgesetzten als
„Kommunikator“ oder als „charismatische“ Führungspersönlichkeit beziehen,
proklamiert (vgl. Deutschmann 2002, S. 133). In der Praxis allerdings erwiesen
- 95 -
sich die genannten Formeln meist als nicht sonderlich hilfreich. Sie lösten das
Dilemma des Vorgesetzten, zwar über Macht, nicht aber über Autorität zu
verfügen, nicht, sondern brächten es nur zum Ausdruck. Die geforderten sozialen
und psychologischen Qualifikationen seien nicht in gleicher Weise lernbar und
objektivierbar wie fachliche Fertigkeiten und formale Kompetenzen und eigneten
sich daher nicht zur Begründung stabiler Formen von Autorität. Gerade beim
mittleren Management klaffe zwischen der offiziellen „Intrapreneur“-Rhetorik
und den faktisch nach wie vor eng begrenzten Entscheidungsspielräumen oft eine
beträchtliche Lücke (vgl. ebd., S. 133 f.). Unter dem Einfluss der
Beratungsindustrie, so fährt Deutschmann fort, würden darüber hinaus
„Organisationskulturen“ inszeniert und die Mitarbeiter entsprechend durch
Betriebszeitungen, Schulungen, Ensemble etc. indoktriniert (vgl. ebd.).
Doch funktioniert der ′Zugriff′ auf den ′ganzen Menschen′? M. E. drückt diese
Frage den Kern des neuen Transformationsmodus aus. Hierzu erneut
Deutschmann wörtlich:
„Der Anspruch der Organisationsentwickler und Personaltrainer, die
Persönlichkeit der Mitarbeiter auf die Belange der Organisation hin
zurechtzuformen, kollidiert mit den Realitäten einer funktional
differenzierten Gesellschaft, in der, wie Neuberger (1984) mit Recht
betont, Organisationen und Unternehmen keinen Zugriff auf den „ganzen
Menschen“ haben können. Das Ansinnen, das Verhalten der Beschäftigten
über die Inszenierung einer bestimmten „Kultur“ des Unternehmens zu
steuern, ignoriert die Differenzierungen zwischen Arbeitswelt, Familien-
und Privatsphäre und die Pluralität der Rollensysteme, in die das
Individuum einbezogen ist. Ignoriert wird auch die Tatsache, dass das
Individuum bereits [über] eine durch primäre und sekundäre Sozialisation
erworbene soziale Identität verfügt, bevor es in die Firma eintritt.“ (ebd.,
S. 134 f.)
Die Organisationskultur-Programme zielen auf eine umfassende Indienstnahme
der Subjektivität der Arbeitenden, indem sie ihr Denken und ihre Persönlichkeit
zu homogenisieren suchen und die uneingeschränkte motivationale und zeitliche
Verfügbarkeit der Mitarbeiter für die Firma zur Norm erheben. Deutschmann
folgert hierzu:
- 96 -
„Es geht eben doch darum, der Firma den Zugriff auf die Fähigkeiten des
ganzen Menschen zu öffnen und auch die privaten Lebenszusammenhänge
der Beschäftigten in die Firma einzubinden.“ (ebd., S. 135)
Diesem Zusammenhang des veränderten Verhältnisses zwischen ′Arbeit′ und
′Leben′ – einschließlich der Frage, was sich für subjektstrukturelle Auswirkungen
aus ihm ableiten lassen – soll in Kap. 4.2.7 nachgegangen werden.
4.2.2 DIE „BESCHRÄNKTE RATIONALITÄT“ DER RATIONALISIERUNG
Moldaschl (1994) problematisiert im Hinblick auf veränderte
Arbeitsanforderungen im Zuge betrieblicher Rationalisierungsprozesse den
Rationalisierungsbegriff: Ein Verständnis von Rationalisierung als quasi
stromlinienförmiger Prozess rationaler Planung und Durchführung technischer,
organisatorischer und personalwirtschaftlicher Maßnahmen zur
Effizienzsteigerung stoße sich in mehrfacher Hinsicht an der Realität (vgl.
Moldaschl 1994, S. 106 f.). Zum einen lasse sich nicht die eine Rationalität finden
im Sinne eines Leitkriteriums des Handelns, das Ziel und Weg zum
Unternehmenserfolg weise, denn in der Praxis konkurrierten technische,
kaufmännische und soziale Handlungsrationalitäten mit jeweils eigenen Zielen
und Logiken, die in eine Gesamtrationalität zu überführen, das Kernproblem für
das Management darstelle (vgl. ebd.). Zum anderen, so Moldaschl weiter, sei
Rationalität im Sinne von Planung eine notwendig „beschränkte Rationalität“
(Simon 1957 zit. nach Moldaschl ebd.): Akteure können prinzipiell kein
vollständiges Wissen in ihrem Handlungsfeld erlangen und vermögen nur eine
begrenzte Zahl von Schritten vorauszuplanen. Je weiter sie planen, desto mehr
nehmen die nicht erkannten Handlungsbedingungen und die nicht intendierten
Handlungsfolgen überhand (vgl. ebd.). Deshalb muss die Planung rekusriv sein,
d. h. offen für die Verarbeitung auch unerwarteter Rückwirkungen und für die
eigene Revision (vgl. ebd.).
Im Weiteren macht Moldaschl auf einen entscheidenden Unterschied
aufmerksam: Während arbeitsorientierte Rationalisierung die Delegation und
Verantwortung als zentrales Mittel zur Einsparung von Arbeit entdeckt, indem das
- 97 -
Erfahrungswissen der Beschäftigten anerkannt wird und ohne Umwege direkt in
die Prozessoptimierung einfließen soll, beschäftigt sich die
organisationszentrierte Rationalisierung mit den wettbewerbsentscheidenden
aufbau- und ablauforganisatorischen Strukturen: Reorganisation wird aufgefasst
als rational geplanter und beherrschter Prozess, in dem durchaus die Betroffenen
zu Wort kommen und ihre Interessen und Bedürfnisse einbringen sollen, in dem
aber ein wesentlich anderer als der geplante Verlauf nicht vorstellbar ist. Das
Management bleibt Hauptakteur und Subjekt der Rationalisierung. Arbeitskraft
wird weiterhin im wesentlichen als Produktionsfaktor und als Objekt der
Rationalisierung behandelt (vgl. ebd., S. 109 f.).
Moldaschl resümiert, dass das arbeitsorientierte Modell der Rationalisierung
effizienter sei, indem es aufgrund seiner selbstreflexiven Prinzipien
organisatorisches Lernen erleichtere und stärker auf prozessuale Problemlösung
ausgerichtet sei als auf Planung. Es biete ferner mehr Chancen für die
Arbeitskräfte: beim Erwerb neuer Qualifikationen, bei der Mitbestimmung über
die eigenen Arbeitsbedingungen und bei der aktiven Bewältigung von
Belastungen. Den Chancen stünden allerdings auch Risiken gegenüber,
manifestiert bspw. in der Tatsache, dass die kreativen Potenzen des
Arbeitsvermögens sowohl auf seine eigene Rationalisierung, als auch auf die
Rationalisierung der Arbeit anderer gerichtet würden (vgl. ebd., S. 149).
Deutlich schärfer formuliert Türk bereits gegen Ende der 1980-er Jahre, dass
(damals) neuere Ansätze der Organisationstheorie von der Rationalität als einem
in Theorie und Praxis wohlgepflegten ′Mythos′ sprächen (vgl. Türk 1989,
S. 33). Grundsätzliche Kritik am Rationalitätsparadigma, so Türk weiter, beziehe
sich auf folgende Dimensionen:
• Auf das Modell zweckrationalen Organisations- und
Entscheidungshandelns;
• auf das Disziplinmodell;
• auf das systemtheoretische Modell.
- 98 -
Allen Modellen würden Alternativen gegenübergestellt: Dem erstgenannten
Modell das des situativen Zufalls, dem zweiten das der Macht, dem Dritten ein
solches, was lebensweltliche Orientierungen beinhalte – Türk erscheint es
allerdings wichtig, nicht einfach den Begriff der Rationalität völlig aufzugeben,
vielmehr müsse der Begriff in seiner Semantik untersucht werden; dazu eigne sich
Perrow (1978), der – auf die Frage, warum (rationalistische)
Organisationstheorien in der Praxis nicht funktionierten – geantwortet habe: die
Theorien mystifizieren die Wirklichkeit, sie verschleiern damit die wirkliche
Funktion von Organisationen, sie errichten eine (Schein-)Gegenrealität. Es sei ein
bloßer Mythos, dass Organisationen rationale Instrumente für erklärte Ziele seien
(Organisationen täuschten dieses bloß vor). Organisationen hätten Wichtigeres zu
tun, als erklärten Zielen nachzustreben; diese dienten bloß der Legitimation –
tatsächlich seien Organisationen Orte, an denen Machtkämpfe ausgetragen werden
(vgl. Türk ebd., S. 33 f.). Vor diesem Hintergrund kann auch die
institutionalistische Theorie des ,Neo-Institutionalismus′ von Meyer/Rowan
(1977) gesehen werden, wenn jene Organisationen als ′mythische
Rationalitätsfassaden′ titulieren (vgl. Türk 1995, S. 32). Wenn derartige
′Rationalitätsmythen′ in die Organisationskultur aufgenommen werden
(′Isomorphismus′) und organisationsintern durch ′Rituale′ und ′Zeremonien′
übernommen werden, sind die Hauptaussagen der neoinstitutionalistischen
Organisationstheorie zusammengefasst (vgl. Elsik 1996, S. 333). Rationalität ist
demnach kein Wesensmerkmal von Organisationen, sondern
„ (...) findet ihren Ausdruck in den in der Umwelt/Gesellschaft
existierenden, ungeprüften Annahmen und Zuschreibungen. Sie enthalten
Aussagen darüber, wie Organisationen strukturiert sein sollen, welche
Verfahren sie zu verwenden haben, wenn ihnen Rationalität zugeschrieben
werden soll. Beispiele dafür sind Vorstellungen über Hierarchie,
Arbeitsteilung, Abteilungsbildung, Planungsverfahren,
Personalbeurteilungssysteme, Buchhaltungssysteme und vieles andere
mehr. Formale, zweckrational gestaltete Organisationsstrukturen stellen
symbolische Repräsentationen von gesellschaftlich akzeptierten und
instrumentalisierten Handlungsorientierungen und Situationsdeutungen
dar.“ (ebd., S. 336; Herv. nicht i. Orig.)
- 99 -
4.2.3 HERRSCHAFT DURCH AUTONOMIE? – ZUR KONSTITUTION
WIDERSPRÜCHLICHER ARBEITSANFORDERUNGEN
Stellt man nun Moldaschls Überlegungen (2001) bzgl. der Bewertungen der sich
aufgrund neuer Formen von Arbeitsorganisation ergebenen Arbeitsanforderungen
an die Beschäftigten in einen Zusammenhang, so kann festgehalten werden, dass
„moderne“ (Moldaschl 2001, S. 133) Arbeit neue Verhältnisse von Freiheit und
Zwang mit sich bringen, die sich den am Taylorismus geeichten arbeits- und
sozialwissenschaftlichen Analysekategorien entziehen (vgl. ebd.). Dazu sei es
notwendig, so der Autor weiter, sich der „neuen“ Widersprüche der Autonomie
bewusst zu werden, denn jahrelang, so bspw. in den Arbeiten von Kern/Schumann
im Rahmen der „Reprofessionalisierungsdebatte“ (vgl. Kap. 2.2.2), sei ein
Automatismus angenommen worden, der mit der Zunahme von Qualifizierung
einen erweiterten Handlungsspielraum bzw. „selbstgesteuerte
Kontrollbedingungen“ für z. B. qualifizierte Automationsarbeiter unterstellte (vgl.
ebd., S. 134). Die Analyse neuer widersprüchlicher Entwicklungen von
Autonomie in neuen Arbeitsformen konzentriert sich auf folgende Kritikpunkte
(vgl. ebd., S. 136 f):
• Autonomie ist keine absolute – anthropologische – Kategorie, sondern
sie ist stets kulturell-historisch, also gesellschaftlich, bedingt. Freiheit
und Zwang ergeben sich für jedes Individuum aus diesem Kontext.
Autonomie muss also stets bewertet werden unter Bezugnahme auf das
konkrete Verhältnis von Handlungsanforderungen und
Handlungsmöglichkeiten.
• Es ist zwischen Handlungs- und Verhandlungsautonomie zu
unterscheiden: Handlungsautonomie in der Arbeit bezieht sich auf
Möglichkeiten, eigene Ziele und Teilziele zu bestimmen, selbständig
über Mittel und Wege zu entscheiden etc. (= Selbstbestimmung in der
Arbeit) Verhandlungsautonomie bezeichnet das Ausmaß des
Einflusses, den die Beschäftigten individuell und kollektiv auf
- 100 -
Maßnahmen betrieblicher Arbeits- und Personalpolitik entfalten
können. Moldaschls These ist nun, dass sich eine sehr
widersprüchliche Entwicklung zwischen diesen beiden
Autonomiefeldern feststellen lasse: Es sei nicht nur eine Tendenz der
Entkopplung zwischen beiden Feldern zu beobachten, sondern sogar
eine Umkehrung: Handlungsautonomie werde erweitert, während
Verhandlungsautonomie schrumpfe. In bestimmten Kontexten (z. B.
Dezentralisierung in Form von Outsourcing; vgl. Kap. 2.2.6) werde
das zum Kennzeichen eines neuen Rationalisierungsmodus.
• Die Frage „Herrschaft oder Autonomie“ ist ebenfalls umgekehrt zu
stellen: Ist Herrschaft durch Autonomie möglich? Konzepte
zunehmender Dezentralisierung und Vermarktlichung (vgl. Kap. 2.2.6)
erfordern vermehrt Selbstregulation von den Beschäftigten auch auf
unteren Hierarchieebenen. Arbeitskräfte sind mehr und mehr
gezwungen, Unbestimmtheit zu reduzieren, das heißt, Ziele und
Bedingungen permanent auszuhandeln. Somit findet eine Entgrenzung
statt: bürokratische Koordniationsprinzipien werden durch
Marktprinzipien ersetzt. Der Arbeitende wird Subjekt und Objekt der
Rationalisierung zugleich. Die Forderung nach Selbstregulation tritt
ihm als fremder Zwang entgegen, gleichsam als erzwungene Freiheit.
• Das spezifische Spannungsverhältnis von Fremdbestimmung und
gewährtem Handlungsspielraum kennzeichnet „widersprüchliche
Arbeitsanforderungen“ als auslösendes Moment für psychische
Belastungen: „Jemand muss, um seine Aufgabe zu erfüllen, etwas tun,
was er oder sie „eigentlich“ nicht tun darf, nicht tun soll oder (aufgrund
äußerer Bedingungen) nicht tun kann.“ (ebd.) Arbeitende werden also
zunehmend autonomer und stehen gleichzeitig unter Druck (vgl. ebd.).
Dieses Ambivalenzempfinden der Arbeitenden bezeichnet Moldaschl
als „rekursiv instrumentalisierte“ Autonomie (vgl. ebd.).
- 101 -
Stolz und Türk (1992) machen darauf aufmerksam, dass in Bezug auf die
Möglichkeitsbedingungen von Herrschaft stets zu berücksichtigen sei, dass
Herrschaft in letzter Instanz immer auf einer „gewaltförmigen Trennung der
kooperativen Subjekte von der Kontrolle über Bedingungen und Resultate ihrer
produktiven Lebenstätigkeit sowie der Fremndaneignung ihrer Arbeitsverträge
durch die sich genau hierdurch definierenden Herrschenden“ (Stolz/Türk 1992, S.
132; Herv. i. Orig.) beruhe. Vor diesem Hintergrund würde ich also über das oben
beschriebene Ambivalenzempfinden in Verbindung mit Herrschaft und
Autonomie hinausgehen wollen: Es mag zwar sein, dass die arbeitenden Subjekte
ein derart ambivalentes Gefühl bei der Ausübung ihrer Arbeit haben, so muss
doch aber klar herausgestellt werden, dass sich vielleicht der Herrschaftsmodus,
nicht aber der Herrschaftscharakter ändert – wenngleich an dieser Stelle angefügt
werden muss, dass „bedauerlicherweise ... die ganze Sache mit der Herrschaft
aber noch etwas komplizierter“ (Türk 1995, S. 90) ist. Denn es kommt darauf an
hervorzuheben, dass „gesellschaftliche Arbeit als organisierte Arbeit nicht nur
Herrschaftsstrukturen reproduziert, sondern im Handeln Herrschaft auch
vollzieht, (...) (ebd., S. 90 f.; Herv. i. Orig.). Hierdurch soll deutlich werden, dass
der Begriff der Herrschaft von Max Weber – als Chance auf Befehle bei einem
angebbaren Personenkreis Gehorsam zu finden – an sich zu kurz greift: Ist nicht
in empfundener Autonomie auch stets ein Stück Affirmation – eben der
Herrschaftsförmigkeit des Arbeitsverhältnisses – enthalten? Vertieft nicht gerade
′Autonomie′ als „Differenzerfahrung“ (ebd., S. 88) „zu irgendeiner Vorstellung,
einem Empfinden, einer Intuition, einer Utopie oder schlicht einem Wunsch nach
Nicht-Herrschaft“ (ebd.) den Herrschaftscharakter von bspw. Betrieben? Mit
dieser Frage wird der Bereich der „Dualität von Struktur“ angesprochen, der in
Bezug auf seine subjektstrukturelle Relevanz vertieft in Kap. 5.1 behandelt wird,
gleichwohl aber hier m. E. erwähnt werden muss. Zur Dualität von Struktur in
diesem Kontext sei noch einmal abschließend Türk zitiert:
„Vielmehr verkörpert sich organisationale Herrschaft im ko-ordinierten
Handeln der Akteure selbst; diese sind nicht bloß als Objekte, sondern als
Subjekte in den Reproduktionsprozeß organisationaler Herrschaft
involviert.“ (ebd., S. 90)
- 102 -
4.2.4 SUBJEKTIVIERENDES ARBEITSHANDELN ALS EINE FORM VON
′COMPLIANCE′
Böhle und Schulze (1997) weisen in ihrer Darstellung des „subjektivierenden
Arbeitshandelns“ darauf hin, dass die Umbrüche in der Arbeitsorganisation (wie
oben beschrieben in Kap. 2) in Bezug auf die veränderten Arbeitsanforderungen
zwei grundsätzliche Charakteristika herausbildeten: die Ausweitung von
Arbeitsinhalten und die Stärkung der Eigenverantwortung. Der Arbeitende trete
zunehmend nur als ′gespaltenes′ Subjekt in Erscheinung:
„Auch wenn von ′menschenwürdiger Arbeit′ und der Berücksichtigung der
Arbeitenden als ′autonome, selbstverantwortliche Subjekte′ gesprochen
wird, so bleiben dennoch wesentliche Teile, die den Menschen als Subjekt
ausmachen, aus der Arbeitstätigkeit ausgegrenzt. Subjektivität, soweit
diese Empfinden, Erleben, Fühlen u. a. umfaßt, ist als Bestandteil des
Arbeitshandelns nicht vorgesehen."“(Böhle/Schulze 1997, S. 29)
Damit wendet sich das Konzept gegen die durch das Modell eines rein zweck-
rationalen bzw. objektivierenden Handelns vorgezeichnete Spaltung des Subjekts.
Beim subjektivierenden Handeln geht es nicht nur darum, dass der Arbeitende als
Subjekt bzw. so genannte subjektive Faktoren wie Gefühl, Empfinden und Erleben
berücksichtigt werden, entscheidend ist vielmehr, dass der Subjektivität ein
fundamental anderer Stellenwert beigemessen wird. Das Konzept
subjektivierenden Handelns richtet sich in erster Linie gegen die Annahme, dass
die Wahrnehmung und Erkenntnis der Welt ′so wie sie ist′ und die für die
Lebensbewältigung notwendigen und nützlichen Aktivitäten nur auf dem Wege
eines ′rational′ geleiteten Handelns möglich. Dem subjektivierenden Handeln wird
in gleicher Weise wie dem objektivierenden Handeln eine kognitive und
strategische Kompetenz zuerkannt (vgl. ebd., S. 32).
Pfeiffer (1999) beschreibt vier Aspekte, die für das Konzept des subjektivierenden
Arbeitshandelns als prägend gelten können:
- 103 -
(1) Eine komplexe sinnliche Wahrnehmung und imaginative
Vorstellungen (schließt Bewegungen des Körpers ein; sinnliche
Abstraktion und Strukturierung; etc.);
(2) assoziatives und intuitives Wissen, Denken und Gefühl (gleichsam
gegenstands- und prozessbezogen wie verhaltens- und
erlebnisbezogen; emphatisch; etc.);
(3) eine dialogisch-interaktive Vorgehensweise (Einheit von Planung
und Ausführung; explorativ; laufende Anpassung an jeweils
erreichtes Arbeitsergebnis; etc.) und
(4) eine persönliche Beziehung zu technischen Objekten, Produkt und
Prozess (Beziehung zu technischen Anlagen und Systemen;
Fähigkeit zum Einfühlen und Nachvollziehen technischer Abläufe;
Umwelt existiert nicht unabhängig vom Subjekt) (vgl. Pfeiffer 1999,
S. 28).
Diese vier Ebenen verbindet, dass es immer um die konkrete Handlung innerhalb
der Stofflichkeit des Arbeitsprozesses geht. Zentrale These der Autorin ist, dass
die Komplexität der EDV-Technologie als herausragender Grund für die
Erfordernis neuartiger Kompetenzen – i. S. der Fähigkeiten des subjektivierenden
Arbeitshandelns – gesehen werden könne; des weiteren nimmt Pfeiffer an, dass
speziell Aspekte subjektivierenden Arbeitshandelns das souveräne und effektive
Zurechtfinden innerhalb der IuK-Technologien erst ermögliche (vgl. ebd., S. 37).
Als Beispiel führt Pfeiffer für den Bereich der Produktionsarbeit (vgl. Kap. 2.2.2)
AnlagenfahrerInnen aus, die sich zwar auf dem Fundament ihres
(unverzichtbaren) Fachwissens bewegten, jedoch erst durch die subjektivierenden
Anteile in ihrem Arbeitshandeln in die Lage versetzt worden seien, sich in den
beiden gegensätzlich miteinander verbundenen Triaden von Automatisierung,
Planbarkeit und Objektivierbarkeit (′objektivierendes Arbeitshandeln′) sowie auf
der anderen Seite nicht-erfassbare Komplexität, Nicht-Beschreibbarkeit und
Unwägbarkeit (′subjektivierendes Arbeitshandeln′) derart souverän zu bewegen,
dass ein Funktionieren der technischen Anlagen ohne Störfall oder größere
Störungen gewährleistet werden könne (vgl. ebd., S. 34). Selbst in Teilen der
Dienstleistungsarbeit, wo ausschließlich der Umgang mit abstrakten
- 104 -
Informationen gefordert wird, wie etwa dem Informations-Broking, geht es
offenbar darum, bei Anfragen ′zwischen den Zeilen′ zu lesen und das Abstrakte
mit real konkreten Vorstellungen bis hin zu bildhaften, erlebnis- und
sinnesbezogenen Repräsentationen ständig auf Neue zu vermitteln und einen
′Spürsinn′ bei der Suche von Informationen zu entwickeln (vgl. ebd., S. 93 f.).
Zusammenfassend kann mit Böhle und Schulze festgehalten werden: Das Konzept
subjektivierenden Arbeitshandelns richtet sich darauf, nicht nur Abweichungen
vom Typus zweck-rationalen Handelns ins Blickfeld zu rücken, sondern diese
kategorial und empirisch als Erscheinungsform einer eigenständigen und
abgrenzbaren Handlungsform bzw. -methode zu bestimmen (vgl. ebd., S. 33).
Bei einem Versuch, das Konzept des subjektivierenden Arbeitshandelns in seiner
Relevanz für die Bewertung veränderter Arbeitsanforderungen aufgrund sich
wandelnder Organisation erwerbsförmiger Arbeit einzuordnen, gelange ich zu der
Auffassung, dass zwar die Einbeziehung von Faktoren wie Gefühl, Empfinden
und Erleben als Formen von Arbeitshandeln erhellend und notwendig ist, aber
einen bestimmten Aspekt nicht hinreichend kenntlich macht, hierzu Türk (1984):
„Diese Konzepte [die zu stark kognitivistischen mit
Anforderungskategorien ′rational′, ′perzeptiv-routinisiert′,
′sensumotorisch′ oder ′Denkanforderungen′] beziehen sich damit mehr auf
den Aspekt der reinen Produktionsverfassung von Betrieben als auf den
der Sozialverfassung. Soziologisch interessanter wäre es aber m. E., die
Frage nach Qualifikationen oder Qualifikationskomponenten zu stellen,
die vorhanden sein müssen, um der spezifischen sozio-ökonomischen
Verfaßtheit organisierter Arbeitssysteme zu entsprechen.“ (Türk 1984, S.
47; Herv. i. Orig. unterstrichen)
Somit ist die Unterscheidung zwischen offiziellen und tatsächlichen
Qualifikationskriterien angesprochen: Den offiziellen Qualifikationen wären eher
die o. g. kognitivistischen, den tatsächlichen dagegen eher „motivational-
affektive“ bzw. „sozial-interaktive“ bzw. „sprachlich-kommunikative“, also
„behavioral qualifications“ (ebd., S. 48) zuzurechnen. Grundsätzlich fordert Türk
im Weiteren zunächst die Entwicklung eines „soziologischen“
Qualifikationsbegriffs, der sich dadurch auszeichne, dass Qualifikation als „das
- 105 -
strukturelle und verhaltensmäßige Vermögen von Personen, eine Konformität mit
Sozialsystemen, hier: mit Arbeitssystemen, zu leisten“ (ebd.; Herv. i. Orig.
unterstrichen) aufgefasst werden müsse. Diese Bindung des Qualifikationsbegriffs
an den Begriff der Konformität begründet Türk damit, dass die modernen
Arbeitsorganisationen unserer Gesellschaft typischerweise nicht auf Konsens,
sondern auf Mechanismen zur Sicherung von Konformität seien, denn Konsens
meine eine Übereinstimmung, die man mit anderen Menschen gewonnen habe,
konform dagegen gehe man mit vorgeformten Programmen, Strukturen und
Normen (vgl. ebd., S. 51 f.). Erste Hinweise auf eine subjektstrukturelle
Konsequenz sich wandelnder Arbeitsanforderungen – spezieller formuliert in
Kap. 4 – formuliert Türk im Folgenden, wenn er fragt, welche „psychisch-
qualifikatorische Form“ eine „Persönlichkeitsstruktur“ annehmen müsse, „um der
sozial-objektifizierten Form von Arbeitsorganisation zu entsprechen“ (vgl. ebd.,
S. 52 f.). Neben den Leistungsansprüchen und -qualifikationen, die an die
Arbeitenden gestellt werden, sind also die Ansprüche sozial-normativer Art, die
sich nicht auf die berufliche Arbeitsqualifikation oder Leistung in rein technischer
Hinsicht beziehen, sondern auf die Akzeptanz, Duldung oder Vertretung
organisationskultureller Werte, Standards, Ziele, Rollen, Verhaltensmuster etc.
gemeint –, also bspw. auf Fügsamkeit, Loyalität und Motivstruktur (vgl. hierzu
speziell Ende Kap. 2.3). Somit werden Voraussetzungen für berufliche
Qualifikationen, man könnte sie ′Meta-Qualifikationen′ nennen, thematisiert (vgl.
ebd.). Der von Etzioni (1967) eingeführte Begriff ′Compliance′ i. S. v.
Fügsamkeit bzw. Willfährigkeit wird von Türk (1995) definiert als „ ... diejenigen
Qualifikationsanforderungen, die an die Person des Arbeitenden gestellt werden,
um den normativen Anforderungen des Sozialsystems entsprechen zu können“
(vgl. Türk 1995, S. 26). Allerdings bleiben diese Anforderungen – man könnte
sie die compliance-bezogenen Anforderungen nennen – nicht auf persönlichen
Gehorsam fokussiert, sondern fordern generelle Fügsamkeit der Subjekte in
Bezug auf die Organisationsnormen sowie einen Wandel von Erfordernissen
persönlicher Treue und Ergebenheit zu abstrakter System- oder
Organisationsloyalität unabhängig von den je herrschenden Personen – womit der
Aspekt der „Versachlichung von Herrschaft“ (vgl. Türk 1984, S. 55) in den
- 106 -
Mittelpunkt rückt. Um nun zu zeigen, wie die compliance-bezogenen
Arbeitsanforderungen – heute würden in diesem Zusammenhang schnell Begriffe
wie ′Soft Skills′ oder ′Schlüsselqualifikationen′ genannt – in die
Persönlichkeitsstruktur der Subjekte eindringen – internalisiert werden – zitiert
Türk Erich Fromm (vgl. hierzu ausdrücklich Kap. 3.2.2):
„Wenn eine Gesellschaft gut funktionieren soll, müssen sich ihre
Mitglieder einen Charakter aneignen, aus dem heraus sie so handeln
wollen, wie sie aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu dieser Gesellschaft oder
einer besonderen Klasse innerhalb dieser handeln müssen. Sie müssen
genau das zu tun wünschen, was sie notwendigerweise tatsächlich zu tun
haben. Äußerer Druck wird durch inneren Zwang ... ersetzt.“ (Fromm zit.
nach Türk ebd., S. 59; Herv. i. Orig. unterstrichen)
Somit kann festgehalten werden, dass mit dem Verinnerlichen von äußeren
Zwängen – somit der Verlagerung von sozialer Kontrolle in die Subjekte hinein –
eine wesentliche Konsequenz dessen dargestellt ist, dass Konzepte wie bspw. das
des ′subjektivierenden Arbeitshandelns′ als vermeintlich positive, stärker zu
berücksichtigende Faktoren bei der Bewertung neuer Anforderungsprofile
eingefordert werden.
4.2.5 DIE ZUNEHMENDE NORMATIVE SUBJEKTIVIERUNG DER ARBEIT
Baethge (1990) formuliert:
„Die neuere Diskussion ist beherrscht von der Frage, wie weit die Arbeit
noch den Lebenszusammenhang prägt.“ (Baethge 1990, S. 260)
Er geht also der Frage nach, wie weit die Kontinuität des Lebenslaufs noch über
Erwerbsarbeit verbürgt ist (vgl. ebd. und spezieller Kap. 4.2.7). Der Autor ist der
Auffassung, dass es in hochentwickelten Arbeitsgesellschaften zu einer
zunehmenden normativen Subjektivierung des unmittelbaren Arbeitsprozesses
komme: Gemeint ist damit, dass nicht etwa eine gezielte Anpassung der
Organisation von Erwerbsarbeit an die subjektiven Bedürfnisse der Beschäftigten
seitens des betrieblichen Managements stattfindet. Vielmehr geht es darum, dass
die Ansprüche der Beschäftigen selbst, die diese an Erwerbsarbeit haben, von den
Arbeitnehmern zunehmend in die Arbeit eingebracht werden (vgl. ebd., S. 261).
- 107 -
′Normativ′ soll in diesem Zusammenhang im Sinne der Geltendmachung
persönlicher Ansprüche, Vorstellungen und Forderungen in der Arbeit – im
Gegensatz zu solchen, die sich aus dem funktionalen Interesse des
Arbeitsprozesses speisen – verstanden werden. Als Beispiel führt Baethge den
von mit in Kap. 2.2.2 beschriebenen Typus des Facharbeiters (gemäß
Kern/Schumann) an: Dieser Typus entwickele Stolz und Selbstbewusstsein aus
der Tatsache heraus, einen komplexen Produktionsprozess zu beherrschen. Des
weiteren gelte für die Facharbeiter, dass, wenn sie über ihre Arbeit redeten, sie
ihnen Spaß mache, es sei ihre Arbeit im Sinne selbstverantwortlichen Handelns
und diese diene der Entfaltung eigener Qualifikationen und der
Kompetenzerweiterung. Den Arbeitern sei wichtig, dass sie einen Expertenstatus
erlangt uns sich ′einen Namen′ gemacht hätten und ′keine Nummer′ seien (vgl.
ebd., S. 261).
Beathge macht im Weiteren deutlich, dass sich die Geltendmachung subjektiver
Bedürfnisse in der Arbeit nicht nur auf Facharbeiter beschränke: auch im
Angestellten-Bereich (vgl. Kap. 4.2.5 und 4.2.8) seien derartige Tendenzen
feststellbar. Gerade die Angestellten in den Dienstleistungsberufen, seien
diejenigen, die die guten, in der vorberuflichen Sozialisation angeeigneten
intellektuellen und kommunikativen Fähigkeiten nun in der Arbeit in
kooperativen Vollzügen anwenden wollten, sachlich nicht begründete
Autoritätsverhältnisse ablehnten, die die Arbeit auch als Gelegenheit ansähen,
sich weiterzuentwickeln und ein Gefühl der Kompetenz und Unabhängigkeit zu
gewinnen; zugleich kalkulierten sie sehr genau, wieweit sie sich auf die Arbeit
einließen: sie wollten sich von der Arbeit nicht auffressen lassen, da das Bedürfnis
nach einem befriedigenden Privatleben bestehe (vgl. ebd., S. 263).
Baethge stellt fest:
„Neu ist nicht, daß derartige subjektbezogene Ansprüche an Arbeit
artikuliert werden, bei bestimmten Berufs- und Beschäftigungsgruppen
haben sie immer eine große Rolle gespielt. Neu erscheint mir die Breite
ihrer Streuung, die Offenheit und Selbstverständlichkeit ihrer Artikulation
und die Verbindlichkeit und Hartnäckigkeit, mit der sie individuell sowohl
als Lebensperspektive als auch gegenüber der betrieblichen Arbeitsumwelt
verfolgt werden.“ (ebd.)
- 108 -
Baethge stellt damit die Beck´sche These aus den 1980-er Jahren
19
in Frage, dass
sich persönliche Identität aus der Berufsrolle herauszulösen beginne und
konstatiert eine entgegengesetzte Dynamik: dass die Berufsrolle eine integrale
Funktion für die persönliche Identitätskonstruktion wie für deren Stabilisierung
gewinnt bzw. weiterhin hat (vgl. ebd.).
Als Ursachen eine zunehmenden Subjektivierung der Arbeit sieht der Autor
folgende drei strukturelle Momente:
• der Strukturwandel der Beschäftigung in seiner doppelten Ausprägung
als Tendenz zu Dienstleistungstätigkeiten und zur zunehmenden
Wissens- und Qualifikationsabhängigkeit moderner Produktions- und
Dienstleistungsarbeit;
• der Wandel der Rationalisierungs- und Organisationskonzepte in der
Arbeit selbst, der auf eine Zurücknahme von rigider Arbeitsteiligkeit
und auf komplexe Tätigkeitszuschnitte zum Inhalt hat;
• schließlich die zunehmende Erwerbsbeteiligung der Frauen (vgl. ebd.,
S. 265).
Die Konsequenzen, die sich aus der zunehmenden normativen Subjektivierung der
Arbeit für die Subjektstrukturen der Beschäftigten ergeben könnten, sei der Autor
erneut wörtlich zitiert:
„Wer nicht vordringlich äußere Reproduktionsaspekte, sondern
persönliche Sinnkriterien an die Arbeit anlegt, wer also die Arbeit auf sich
und nicht sich auf die Arbeit bezieht – in welch prekärer Verkennung der
tatsächlichen Machtverhältnisse diese mentale Subjektsetzung im
Einzelfall auch immer vollzogen werden mag –, der scheut sich nicht
lange, sein Investment und Verhalten in der Arbeit zu überprüfen und zu
revidieren, wenn seine Ansprüche nicht erfüllt werden. Sei es, er sucht sich
einen anderen Arbeitsplatz, sei es, er verlagert sein Aktivitätspotential auf
andere Bereiche (z. B. Freizeit, Weiterbildung, außerbetriebliche
Tätigkeiten) und geht in der Arbeit innerlich auf Tauchstation, wenn die
äußeren Bedingungen einen Betriebswechsel nicht möglich oder zu
kostspielig erscheinen lassen.“ (ebd., S. 264; Herv. i. Orig.)
19
Artikuliert in: Beck, U.: Perspektiven einer kulturellen Evolution der Arbeit, in; MittAB
1/1984, S. 52 - 62.
- 109 -
Abschließend sei darauf hingewiesen, dass Baethge in Bezug auf die ′Antwort′
der Unternehmen auf die zunehmende normative Subjektivierung der Arbeit der
Auffassung ist, dass sich auch die Ausbreitung der „neuen Produktionskonzepte“
(vgl. Kap. 2.2.2) vermutlich zu einem nicht geringen Anteil als Reaktion auf
Veränderungen im Anspruchs- und Qualifikationsniveau der Arbeitnehmer
begreifen lasse.
4.2.6 NACH DEM BERUF ERODIERT DIE BERUFLICHKEIT
Baethge/Baethge-Kinsky (1998) vertreten die These, dass der Beruf als jene
spezifische Verbindung von (Berufs-)Fachlichkeit und sozialer Orientierung und
Integration, welche die deutsche Tradition der Berufskategorie ausmache,
zunehmend fragwürdig werde und erodiere (vgl. Baethge/Baethge-Kinsky 1998a,
S. 461).
In Anlehnung an Schelsky formulieren die Autoren die ′Berufs′-Definition nicht
als Bündel oder Kombination von erlernten Qualifikationen und erworbenen
Arbeitserfahrungen, sondern als jene komplexe Kategorie sozialer Integration des
Individuums, als welche der Beruf in die deutsche Berufs- und Industriesoziologie
eingegangen sei: als Medium sozialer Verortung, als Raum für wesentliche
Sozialkontakte und zentrale Instanz für „Umweltstabilisierung“ und
„Innenstabilisierung der Person“ über eine spezifische Form qualifizierter
Erwerbsarbeit (Schelsky zit. nach ebd.). Wenn nun unterstellt wird, dass der Beruf
als lebenslanger Orientierungsrahmen für individuelle Erwerbs- sowie soziale
Integrationsperspektiven insbesondere bei den nicht-akademischen Gruppen am
Arbeitsmarkt weitgehend erodiert ist und generell weiter erodieren wird, so muss
das nicht bedeuten, dass gleiches auch für Beruflichkeit als ökonomisches und
soziales Organisationsprinzip gilt: Selbst wenn nachdem die Kontinuität des
Lebenslaufes nicht mehr gegeben ist, bliebt die Beruflichkeit bzw. das
- 110 -
Berufsprinzip als institutionelle Regulationsform in der Ausbildung, der Betriebs-
und Arbeitsorganisation sowie den sozialen Sicherungssystemen weitgehend
unangetastet (vgl. ebd., S. 462). Es gibt allerdings einige ′Aufweichungen′ (s.
dazu weiter unten).
Welches die (idealtypischen) Stärken einer funktions- bzw. berufsbezogenen
Arbeitsorganisation waren bzw. sind, die das Beruflichkeitsprinzip in weiten
Teilen einer fordistisch-tayloristisch organisierten Industrie – zum Teil bis heute –
hat bestehen lassen, sei im Folgenden überblicksartig aufgeführt:
• auf der Ebene der Unternehmens- bzw. der Betriebsstruktur ein
vergleichsweise stabiles und vertikal hochintegriertes Leistungsprofil;
• eine nach dem Fachabteilungsprinzip konstruierte Aufbauorganisation;
• ein nach berufstypischen Qualifikationen geschnittenes Muster der
Arbeitsteilung;
• ein Kooperationsmuster von Über- und Unterordnung entlang vertikal
gestaffelter Befugnisse (Prinzip „Dienstweg“);
• ein entlang formaler Kompetenzen vertikal hochdifferenziertes Muster
der Statusorganisation;
• ein am „Normalarbeitstag“ ausgerichtetes, relativ starres
Arbeitszeitregime (vgl. ebd., S. 463).
Im Zuge der arbeitsorganisatorischen Reorganisation in den 1990-er Jahren, die
ich im Kapitel 2 ausführlich beschrieben habe, bildeten sich – erneut idealtypische
– Kennzeichen einer prozessorienteirten Gestaltung der Betriebs- und
Arbeitsorganisation heraus:
• ein dynamisches Leistungsprofil mit einer flexiblen Handhabung von
Out- und Insourcingprozessen;
• die Aufgliederung der Unternehmen in multi-funktionale Einheiten
(Dezentralisierung);
• eine kunden- bzw. prozessbezogene Arbeitsteilung;
- 111 -
• eine querfunktionale Kooperation auf der gleichen Hierarchiestufe
bzw. über Hierarchiestufen hinweg;
• eine partiell dehierarchisierte Statusorganisation mit reduzierten
hierarchischen Stufen und Positionen sowie
• die Flexibilisierung des Arbeitsregimes (z. B. „Gleitzeit“) (vgl. ebd.,
S. 464 f.).
Vor diesem Hintergrund lässt sich die eingangs erwähnte These, dass der Beruf
als jene spezifische Verbindung von (Berufs-)Fachlichkeit und sozialer
Orientierung und Integration sowie gesellschaftlichem Status zunehmend
fragwürdig geworden sei, weiter begründen, allerdings als Paradoxon formuliert:
trotz der Reorganisation sowohl im Produktions- als auch im
Dienstleistungssektor und der damit verbundenen gestiegenen
Qualifikationsanforderungen (vgl. Kap. 2.3 und 4.1), erodieren jene Momente
sozialer Orientierung, Sicherheit und Entwicklungsperspektive, welche die
deutsche Tradition der Berufskategorie ausmachten, da die Kernpunkte der neuen
Arbeitsorganisation Prozessorientierung und Flexibilisierung sind. Denn solange
Berufswechsel tatsächlich im Rahmen von beruflich gegliederten
Beschäftigungsverhältnissen vollzogen wurden, war die Orientierungsfunktion
des Berufs nicht ernsthaft in Gefahr. Der wechselseitige Zusammenhang von
organisationeller und persönlicher Orientierung war in tayloristisch-fordistisch
organisierten – funktionsbezogenen – Arbeitsorganisationen relativ eng. Im
Rahmen prozessorientierter Arbeitsorganisation werden individuelle
Planungskonzepte, die auf Verlässlichkeit und Kontinuität setzen – und das macht
die subjektstrukturelle Konsequenz aus –, sukzessive unterminiert (vgl. ebd., S.
470).
4.2.7 DIE RESTRUKTURIERUNG DES VERHÄLTNISSES ZWISCHEN ARBEIT UND
LEBEN
Voß (1998) interessiert sich vor allem für die Wechselbeziehungen zwischen dem
Wandel der Organisationsbedingungen von Arbeit und dem privaten
- 112 -
Lebenshintergrund von Erwerbstätigen (vgl. Voß 1998, S. 473). Der Autor betont
seine Forschungsperspektive im Rahmen des Forschungsprojektes zum Wandel
„alltäglicher Lebensführung“ infolge sich ändernder Arbeitsverhältnisse: Es sei
nötig, eine „subjektorientierte“ Perspektive einzunehmen, denn eine solche setze
nicht primär an den technisch-organisatorischen Bedingungen gesellschaftlicher
Arbeit an, sondern folge der Handlungsperspektive der Arbeitenden und beziehe
dabei ihren gesamten Lebensbezug mit ein (vgl. ebd.).
Im Wesentlichen, so Voß´ Argumentation, lasse sich der Wandel
organisatorischer Bedingungen gesellschaftlicher Arbeit als „Flexibilisierung“
bezeichnen, denn ganz gleich, ob es um Deregulierung von Arbeits- und
Beschäftigungsverhältnissen auf gesellschaftlicher Ebene (vgl. Kap. 2.2.13) gehe,
um Outsourcing-Strategien (vgl. Kap. 2.2.6), Profit-Center-Konzepte (vgl. Kap.
2.2.6) oder um die Nutzung von Gruppenkonzepten, Projektarbeitsformen und
entstandardisierten Arbeitszeiten (vgl. Kap. 2.2.13), Ziel sei es stets, etablierte
Strukturen aufzubrechen und mehr oder weniger dauerhaft zu dynamisieren und
zu verflüssigen (vgl. ebd., S. 474). In diesem Zusammenhang wird oft der Begriff
„Entgrenzung“ (vgl. auch Kap. 4.2.9) als Charakteristikum einer zentralen
Qualität des aktuellen sozioökonomischen Wandels gebraucht. Voß führt pointiert
aus, dass „Entgrenzung“ sich zumeist bisher auf drei Konfigurationen bezogen
habe: erstens auf das Durchlässigwerden von nationalen Sozial- und
Ökonomiegrenzen (Stichwort: Globalisierung – vgl. Kap. 2.2.9), zweitens auf die
verstärkte Dynamik betriebsorganisatorischer Grenzen (Stichworte:
Dezentralisierung und Outsourcing – vgl. Kap. 2.2.6). Wichtig sei allerdings, dass
„Entgrenzung“ wesentlich umfassender als leitende Tendenz der derzeitigen
Veränderung der Arbeitsverhältnisse insgesamt verstanden werden müsse, die alle
sozialen Ebenen der Verfassung von Arbeit betreffe: übernationale und
gesamtgesellschaftliche Strukturen, die Betriebsorganisation nach außen und
innen, Arbeitsplatzstrukturen und das unmittelbare Arbeitshandeln sowie
schließlich insbesondere auch die Arbeitssubjekte, d. h. ihre
Persönlichkeitseigenschaften (v. a. die Qualifikationen) sowie ihre
Lebensverhältnisse (vgl. ebd.). Auf die Entgrenzungen, die sich auf das direkte
Arbeitshandeln beziehen, wurde bereits in Kap. 2.3 eingegangen. Welche
- 113 -
Konsequenzen sich nun aus der Entgrenzung zwischen ′Arbeit′ und ′Leben′ für
den gesamten Lebenshintergrund der Arbeitenden ergeben, sei mit Hilfe folgender
Punkte, von Voß als „Sozialdimensionen“ bezeichnet, dargestellt (vgl. hierzu
ebd., S. 479):
• Zeit
Arbeit zu wechselnden Zeiten, exzessive Gleitzeit, regelmäßige
informelle Mehrarbeit, Zeitkonten, Arbeit nach Abruf etc. erzeugen
Verwischungen und immer wieder neu zu definierende Abgrenzungen
zwischen Erwerbstätigkeit und anderen Lebenssphären;
• Raum
Teleheimarbeiter, Home-Offices, Nachbarschaftsbüros, kontinuierliche
Mobil- und Außendienstarbeit, häufig wechselnde Einsatzorte bei
Projektarbeit, virtuelle Unternehmensstrukturen, Scheinselbständigkeit
etc. lösen eine Bindung an feste Arbeitsorte auf und verwischen dabei
auch die lokalen Grenzen zur Nicht-Arbeit;
• Hilfsmittel/Technik
Zunehmend private Hilfsmittel (z. B. KFZ, EDV- und
Kommunikationssysteme) und Einrichtungen (Mobiliar, Räume)
werden aufgrund raum-zeitlicher Entgrenzung von Arbeit für die
Erwerbstätigkeit genutzt, aber auch dienstlich gestellte Mittel gelangen
in den Bereich der privaten Nutzung;
• Arbeitsinhalt/Qualifikation
Die Grenzen zu anderen Tätigkeiten und Lebenssphären werden auch
sachlich verwischt: Aktivitäten mit unklarem inhaltlichen Status wie
Arbeitswege und Reisen, Geschäftsessen, private Kontakte zu
Kollegen und Geschäftspartnern, Vor- und Nachbereitungen von
Tätigkeiten etc. nehmen einen immer größeren Raum ein;
• Sozialorganisation
Diffuse Sozialformen und -normen zwischen Arbeit und Privatleben
(z. B. bei dienstlichen Sozialevents, der Aufwertung persönlicher
Kontakte in der Arbeit, bei der Nutzung privater Beziehungen für
- 114 -
berufliche Zwecke, bei der Kontaktpflege) nehmen aufgrund stark auf
Selbstorganisation beruhender Arbeitsformen (Gruppen- und
Teamarbeit, Projektorganisation, virtuelle Betriebsstrukturen,
Heimarbeit etc.) an Bedeutung zu;
• Sinn/Motivation
Arbeits- und Lebensmotivationen durchmischen sich: zum
Einkommens- und Karrieremotiv kommt wesentlich stärker als in eng
strukturierten Arbeitsformen eine ganze Reihe möglicher individueller
Zielsetzungen und sinnhafter Identifikationen hinzu (Sozialkontakte,
fachliche Faszination und Begeisterung, soziale und sogar politische
Ziele, gewachsene Loyalitäten und soziale Bindungen, emotionale
Bindungen an eine Unternehmenskultur usw.).
Welche Muster der Lebensführung sich für die Subjekte aus diesen
Entgrenzungen ergeben, fassen Moldaschl/Voß (2002) prägnant zusammen:
„Auf der einen Seite kommt es zu Mustern der Lebensführung, die
wesentlich stärker und systematischer als früher aktiv zweckrational
durchorganisiert werden müssen („strategische Lebensführung“), so daß
man davon sprechen kann, daß solche Alltage die Form von
durchorganisierten „Betrieben“ bekommen. Auf der anderen Seite kann es
aber auch dazu kommen, daß Gruppen von Betroffenen neuartige Muster
flexibler und dynamischer Alltage („situative Lebensführung“) entwickeln,
mit denen sie versuchen, die Anforderungen hoch kontingenter und
unsicherer Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisse zu bewältigen.“
(Moldaschl/Voß 2002, S. 70).
20
4.2.8 NEUE IDENTITÄTEN VON ARBEITERN, ANGESTELLTEN UND MANAGERN
Der Grundkonflikt des Kapitalismus zwischen Arbeit und Kapital, so formuliert
Deutschmann (2002) habe es notwendig gemacht, sich der aus der
Ständegesellschaft überlieferten sozialen Institutionen und Identitäten zu
20
Bröckling bemerkt zum Aspekt der Unsicherheit: „Ungewissheit erscheint nicht mehr
ausschließlich als Bedrohung, die mittels rationaler Planung, minutiöser Reglementierung und
um- fassender Kontrolle des Verhaltens auszuschalten ist, sondern als Freiheitsspielraum und
damit als Ressource, die es zu erschließen gilt.“ (Bröckling 2000, S. 133). Somit sei eine
konsequente Übertragung des Marktmodells auf alle sozialen Beziehungen angedeutet (vgl.
ebd.).
- 115 -
bedienen. Zunächst treten Betrachtern nicht einfache Unterscheidungen zwischen
Kapitalisten und Lohnarbeitern entgegen, vielmehr zeigt sich ein differenzierteres
Bild: Auf der einen Seite befindet sich der Fabrikherr, auf der anderen Seite
manifestiert sich eine nach der Nähe zum Fabrikherren gegliederte Hierarchie von
abhängig Beschäftigten: Privatbeamte, Meister, gelernte Arbeiter, ungelernte
Arbeiter, Heimarbeiter, Tagelöhner. Heue lassen sich diese Differenzierungen
noch an Einteilungen wie „white collar“ und „blue collar“ (z. B. in den USA) –
gewandelt – wiederfinden (vgl. Deutschmann 2002, S. 199). Deutschmann zeigt
anhand einer historischen Rekonstruktion auf, wie sich ständische Muster in
Deutschland seit Mitte des 19. Jahrhunderts in die Arbeitshabitus sowohl der
Arbeiter als auch der Unternehmerschaft hineinverlagerten: So rekrutierte bspw.
die Druck- und Maschinenindustrie ihre Arbeiterschaft hauptsächlich aus dem
Handwerk, so dass die Arbeiter mit ihrem Übertritt in die Fabrik das ihnen
vertraute Arbeitsmilieu mitbrachten. Damit wurden auch die traditionellen
Formen der Qualifizierung, Arbeitsorganisation und Leistungskontrolle zunächst
reproduziert (vgl. ebd., S. 200). Auch die Unternehmerschaft wurde geprägt durch
die Identifizierung des deutschen Bürgertums mit der Tradition des Adels: Sie
waren an feudale und zünftige Autorität gewöhnt (vgl. ebd., S. 202). Diese
jeweiligen neuen Identitätsmodi bei
Arbeitern, Angestellten und Managern bildeten sich wir folgt dargestellt heraus
uns bleiben bis heute in Bezug auf ihre subjektstrukturelle Prägefunktion relevant.
ARBEITER
Mit der Verbreitung neuer Produktions- und Organisationskonzepte, so folgert
Deutschmann, erodiert nun die Klassenidentität der Arbeiterschaft: Der männliche
Facharbeiter hat zwar eine deutliche Verbesserung seines Status und seiner
Dispositionsspielräume erfahren (vgl. Kap. 2.2.2), aber diese Vorteile werden
erkauft mit erhöhtem Leistungsdruck und verringerten Aufstiegschancen. Die
hauptsächlich von Beck formulierte Individualisierungsthese kann, ohne explizit
auf das Arbeiterbewusstsein als Identitäts-Komponente eingegangen zu sein, als
- 116 -
Ausdruck einer gewandelten Arbeiteridentität gedeutet werden: die allgemeine
Tendenz zur Freisetzung der Individuen aus lokalen und ständischen Bindungen,
die Erosion von Klassenstrukturen, die Pluralisierung von Lebensverläufen, die
dem Individuum ein früher nicht gekanntes Maß von Selbstverantwortung für das
eigene Schicksal zuweist, eröffnet den Arbeitern nicht nur neue
Mobilitätschancen, sondern beinhaltet auch Risiken des sozialen Abstiegs. Wenn
Identität sich zu einem nicht unwesentlichen Anteil auch aus dem Vergleich mit
anderen ergibt, so bleibt festzuhalten: Arbeiter sind auch heute noch hinsichtlich
Bildung, Einkommen, sozialer Sicherheit, materieller Lebensqualität deutlich
benachteiligt (vgl. ebd., S. 218).
ANGESTELLTE
Forschungen in Deutschland untersuchten z. B. die Auswirkungen technisch-
organisatorischer Rationalisierung auf Arbeitssituation,
Beschäftigungsperspektive, Qualifikationsanforderungen sowie Aus- und
Weiterbildung kaufmännischer Angestellter (z. B. Baethge/Oberbeck 1986: „Die
Zukunft der Angestellten“). Die beiden Autoren, so betont Deutschmann, hätten
einen Trend zur Abspaltung der innerbetrieblichen Administrationsfunktionen von
den marktbezogenen Funktionsbereichen sowie eine fachübergreifende Steigerung
der Komplexität und zugleich Verdichtung der Arbeit festgestellt. Dies führe aber
nur bei den EDV-Arbeiten zu einer „Taylorisierung geistiger Arbeit“, insofern
der EDV-Einsatz hier zu einer konsequenten Technisierung von Abwicklungs-,
Prüf- und Dokumentationsaufgaben führe (vgl. ebd., S. 229). So kann in Bezug
auf den veränderten – identitätsbegründeten – Arbeitshabitus von Angestellten mit
Beginn des Einsatzes neuer Produktionskonzepte ein zunehmender Trend zur
Verinnerlichung und zugleich Anonymisierung betrieblicher Herrschaft
festgestellt werden.
In den 1990-er Jahren kann durch Prozesse der Dezentralisierung und
Vermarktlichung (vgl. Kap. 2.2.6 ) eine Fortsetzung dieser „indirekten“
Herrschaftsformen konstatiert werden: In Zeiten des „Arbeitskraftunternehmers“
- 117 -
(vgl. Kap. 2.3 und 5.3), der Selbstzweifel und Angstgefühle durch konsequentes
„Selbstmangement“ überwindet, werden negative Aspekte, z. B. der scheinhafte
Charakter der individualisierenden, Konkurrenz statt Kooperation stimulierenden
Charakter der Leistungsbewertungssysteme, ausgeblendet, so dass sich in Bezug
auf die Identitäten von Angestellten – manifestiert in Status, Qualifikation,
betriebliche Position, erwartetem und praktiziertem Arbeitshabitus – auch heute
noch ein hoch differenziertes Bild darstellt (vgl. ebd., S. 230 f.).
MANAGER
Manager heben sich aus der Schicht der Angestellten dadurch heraus, dass sie
dispositive Vollmachten besitzen und einen entsprechend gehobenen Status
beanspruchen (vgl. ebd., S. 232). Da sich in den deutschen Unternehmen eine
stark bürokratisierte, andererseits aber auch durch berufliche Elemente geprägte
Struktur der Unternehmensführung herausgebildet hatte, gehörte der interne
Aufstieg in Unternehmen bis in die 1970-er Jahre zum festen Bild von
Managerkarrieren; die Manager konnten aufgrund dessen eine ausgeprägte
Identifikation mit dem Unternehmen entwickeln. Seit den 1990-er Jahren scheint
das gesamte Managementgefüge einer Umwälzung zu unterliegen: Die
Einführung von Gruppenarbeit (vgl. Kap. 2.2.8), Outsourcingprozesse (vgl. Kap.
2.2.6) oder überhaupt prozess- anstatt funktionsbezogene Arbeitsorganisationen
machten zahlreiche Führungspositionen überflüssig. Auch die zunehmende
„Shareholder-Value-Orientierung“ (vgl. Kap. 2.2.12) wird seit Mitte der 1990-er
Jahre vorangetrieben: Unternehmensentscheidungen werden unter das Primat der
Erzielung eines möglichst hohen Börsenwerts gestellt (vgl. ebd., S. 239). Die
Cost- und Profit-Center-Bildung und Dezentralisierung der Organisation (vgl.
Kap. 2.2.6) dient auch den Kontrollinteressen der Eigentümer; das Management
als Herrschaftsträger wird zwar nicht völlig demontiert, allerdings lässt sich
festhalten, dass durch derartige Maßnahmen seine bisherige soziale Homogenität
und seine bis weit in das mittlere Management hinein relativ geschlossene
kollektive Identität erodiert. Deutschmann prognostiziert abschließend, dass die
Macht und der Reichtum der Spitzenmanager noch wachsen werde, sich aber die
- 118 -
Lage vieler mittlerer und unterer Führungskräfte ungeachtet ihrer nach wie vor
überdurchschnittlichen Bezahlung der normaler Arbeitnehmer annähere; vielleicht
lasse sich bald am unteren Ende der sozialen Skala eine „Schar“ von Managern
beobachten, die „frustriert, gedemütigt, abgehalftert oder schon arbeitslos“ seien
(vgl. ebd., S. 240).
4.2.9 AMBIVALENZEN POSTMODERNER IDENTITÄT IM RAHMEN ALLTÄGLICHER
IDENTITÄTSARBEIT
Wenn Identität als eine Antwort auf die Frage „Wer bin ich?“ und somit als eine
Fähigkeit der Subjekte eines ,Zu-Sich-Selbst-Verhalten-Könnens′ gelten kann, so
scheint es geboten, im Rahmen der Fragestellung dieser Arbeit zu untersuchen,
wie sich Identitätskonzepte – als ein Basiselement der Subjektstruktur – aufgrund
der Erosion der strukturellen Verortung von Erwerbsarbeit verändern. Keupp
(2000) ist der Auffassung, dass Hineinwachsen in diese Gesellschaft bis in die
Gegenwart hinein bedeute, sich in einem vorgegebenen „Identitätsgehäuse“ der
Moderne einzurichten – dieses Gehäuse sei geprägt durch Begriffe, die
Biographie und Identität, wenn sie als geglückt betrachtet werden sollten, als
etwas Stabiles, Dauerhaftes und Unverrückbares darstellten (vgl. Keupp 2000, S.
5) – so könnte man Identität als das ständige ′Sich-Selbst-Gleich-Bleiben′, als
einen „subjektiven Konstruktionsprozess“ (Keupp et al. 1999, S. 7) bezeichnen,
„in dem Individuen eine Passung von innerer und äußerer Welt suchen“ (ebd.).
Keupps zentrale These ist nun, dass dieses moderne Identitätsgehäuse seine
Passformen für unsere Lebensbewältigung zunehmend verliere. Viele Menschen
erlebten dies als Verlust, als „Unbehaustheit“, als Unübersichtlichkeit, als
Orientierungslosigkeit und Diffusität. Daraus resultiere der Wunsch vieler
Menschen nach Klarheit, Überschaubarkeit und Einfachheit. So ist es Keupp
wichtig, darauf hinzuweisen, dass sich mit der Erosion rigider Identitätsformen
- 119 -
auch Entfaltungsmöglichkeiten für Lebenssouveränität eröffnen, sich allerdings
auch neue Rigiditäten und Identitätszwänge ergeben: „Die Befreiung von
Zwängen und die Einrichtung neuer Abhängigkeiten greifen ineinander,
vermischen sich zu einem Selbstzwang zur Standardisierung der eignen Existenz“
(Beck/Beck-Gernsheim zit. nach Keupp 1994a). In den sozialwissenschaftlichen
Diskursen wird bei dem Versuch, diese Ambivalenzsituation der Subjekte –
zwischen Enttraditionalisierung, Entgrenzung, Pluralisierung einerseits und neuen
Identitätszwängen andererseits – einer Gesellschaftsformation ′zuzuordnen′21
,
häufig die Gesellschaftsformation ′Postmoderne′ benannt. Das, was Postmoderne
ausmacht, kennzeichnet ein Zitat von Eagleton:
„Wir befinden uns in einem Prozeß des Erwachens aus dem Alptraum
der Moderne mit ihrer manipulativen Vernunft und ihrem Fetisch der
Totalität – des Erwachens aus der Moderne in den lässigen
Pluralismus der Postmoderne, jenes heterogene Sortiment von Lebens-
Stilen und Sprachspielen, das auf den nostalgischen Drang verzichtet,
zu totalisieren und sich selbst zu legitimieren.“ (Eagleton zit. nach
Keupp ebd., S. 233; Herv. nicht i. Orig.)
Wird vor allem in philosophischen Diskursen die Postmoderne mit Etiketten wie
′Das Ende der Eindeutigkeiten′ oder ′Das Ende der Meta-Erzählungen′ für
sozialwissenschaftliche Verhältnisse eher vage umschrieben, lenkt Keupp seinen
Blick auf die Erfahrungen der Subjekte in postmodernen Zeiten – soweit hier die
Komponente der Erfahrung als identitätskonstituierend verstanden werden kann,
erscheint es plausibel, zunächst die Alltagserfahrungen der Subjekte näher zu
beschreiben. Keupp (2000) thematisiert zehn Erfahrungskomplexe:
1. Subjekte fühlen sich „entbettet“:
In Anlehnung an den ′Entbettungs′-Begriff von Giddens (1988) sind
hiermit Erfahrungskomplexe der Individuen gemeint, innerhalb derer
die individuelle Lebensführung eben nicht in einen stabilen kulturellen
21
Im Unterschied zu einem sozialtheoretischen Ausgangspunkt, der die Sozialität der Subjekte
im allgemeinen analysiert, ist die Fragestellung nach der ′Zuordnung′ eher eine
gesellschaftstheoretische – wenn Übereinstimmung darüber besteht, dass Gesellschaftstheorie
stets die Besonderheiten einer bestimmten historischen Gesellschaftsformation in den Fokus
des Interesses rückt: in diesem konkreten Fall die historische Gesellschaftsformation der so
genannten „Postmoderne“ (vgl. auch zum Unterschied zwischen Sozial- und
Gesellschaftstheorie Ortmann et al. 1997, S. 33 f.).
- 120 -
Rahmen von verlässlichen Traditionen, Sicherheit und Klarheit
′eingebettet′ ist. ′Entbettung′ bedeutet eine Art „ontologische
Bodenlosigkeit“ und somit den Zwang für die Subjekte, nach eigenen
Lösungswegen zu suchen (vgl. Keupp 2000, S. 6).
2. Entgrenzung individueller und kollektiver Lebensmuster:
Die Schnittmuster, nach denen Menschen sich biographisch entwerfen,
haben ihre Prägekraft verloren. Die Tugend des klugen Arrangements
verliert in einer „multioptionalen Gesellschaft“ (ebd.) an
Normalitätswert. Es fällt den Subjekten zunehmend schwerer, sich auf
Brüche und Diskontinuitäten einzustellen. Selbstverständliche
moralische Werte erodieren. Die Figurationen unserer Alltagswelten
werden dadurch entgrenzt, d. h. sie verlieren ihre bisherigen stabilen
Rahmungen.
3. Erwerbsarbeit wird als Basis von Identität brüchig:
Die psychologischen Folgen (Unsicherheit, Ohnmacht, Kokurrenz- und
Zukunftsangst), die sich aus einer ebenfalls ′entbetteten′ Verankerung
in die Institution Erwerbsarbeit ergeben, haben Auswirkungen auf
Ansehen, Anerkennung, Zukunftssicherung und somit auf die
persönliche Identität. So bleibt zu fragen: Wie könnten soziale
Einbindungen aussehen, in denen soziale Anerkennung erfahren
werden kann, die nicht durch den beruflichen Status vermittelt ist (vgl.
ebd., S. 7)?
4. „Multiphrene Situation“ wird zur Normalerfahrung:
Die wachsende Komplexität von Lebensverhältnissen führt zu einer
Fülle von Erlebnis- und Erfahrungsbezügen, die nicht mehr unbedingt
ein Gesamtbild ergeben, vielfältige Spaltungs- und
Zerrissenheitsgefühle kommen auf – eine „multiphrene Situation“
(ebd.) – entsteht.
5. „Virtuelle Welten“ als neue Realitäten:
Die Subjekte erfahren Zweifel an dem Realitätsprinzip durch den
Entstehung von „virtuellen Welten“ (ebd.), die sich durch die
weltweite Vernetzung computergebundener Kommunikationswege
- 121 -
ergeben – es kann soweit gehen, dass viele Wirklichkeiten
wahrgenommen werden, die miteinander konkurrieren, nebeneinander
existieren und sich miteinander auf komplexe Art durchdringen (vgl.
ebd.).
6. Zeitgefühl erfährt „Gegenwartsschrumpfung“:
Das Zeitempfinden der Subjekte, d. h. die subjektiven Bezüge zu
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, verändert sich – bis hin zur
„Gegenwartsschrumpfung“ (ebd.) dramatisch, die
Veralterungsgeschwindigkeit des Wissens nimmt in dynamischen
Zivilisationen – die nun mal zu einem erheblichen Teil auf
Wissensaneignung und -gebrauch basieren – erheblich zu.
7. Pluralisierung von Lebensformen:
Das moderne Subjekt kann nicht nur, es muss unter modernen
pluralisierten Bedingungen sogar entscheiden. Da es immer weniger
Selbstverständlichkeiten gibt, kann der Einzelne nicht mehr auf fest
etablierte Verhaltens- und Denkmuster zurückgreifen, sondern muss
sich für eine Möglichkeit entscheiden.
8. Erhebliche Veränderung der Geschlechterrollen:
Durch veränderte Geschlechterrollen entstehen neue Arrangements von
Arbeitsteilung, Kindererziehung und Sexualität. Traditionelle Männer-
und Frauenbilder bzw. -identitäten geraten in Bewegung.
9. Individualisierung verändert das Verhältnis vom einzelnen zur
Gesellschaft.
Das, was den gesellschaftlichen Zusammenhalt in der Moderne bisher
ausmachte, waren Strukturen, die auf Zwang, Tradition, Ab- und
Ausgrenzung basierten sowie religiöse Bindungen. All diese
Mechanismen verlieren an Bindekraft, Verbindlichkeit und
Überzeugungskraft. Die Solidargemeinschaft wird durch eine
individualisierte „Ego-Gesellschaft“ durchsetzt (vgl. ebd., S. 8).
10. Individualisierte Formen der Sinnsuche:
Die traditionellen Instanzen der Sinnvermittlung verlieren an
Bedeutung, Weltanschauungen verlieren an Prägekraft, denn die
- 122 -
Erfahrungsvielfalt und der Pluralismus von Deutungen können nicht
mehr zu einem Bild zusammengefügt werden bzw. nicht mehr ′auf
einen Nenner gebracht werden′. Der Einzelne ist der Konstrukteur
seines eigenen Sinnsystems (vgl. ebd., S. 9).
Krömmelbein (1996) merkt zum Identitätskonzept an, dass Identität über Krisen
hinweg die individuelle Handlungsfähigkeit auf Basis interaktiv erworbenen
biographischen Wissens erhalte (vgl. Krömmelbein 1996, S. 10). Identität wird als
Resultat der Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Institutionen verstanden,
die in ihrem kulturellen und sozialen Kontext subjektiv erfahren (s. o.),
interpretiert und in ein umfassendes Selbst- und Lebenskonzept übersetzt werden.
Nicht selten kann die Auseinandersetzung zwischen den äußeren Anforderungen
und den individuellen Vorstellungen über das eigene Leben und die eigene
Persönlichkeit zu Identitätskonflikten oder auch zum Zerbrechen bisheriger
Identitäten führen. Und: Das Selbstbewusstsein des Subjekts, also das
Bewusstsein über seine Identität, ist immer an eine Anerkennung, d. h. eine
Interaktion mit einem Publikum, gebunden. Paradoxerweise bildet sich also die
Autonomie der Akteure nur im Rahmen des kommunikativen Handelns mit
anderen heraus. Ich-Identität kommt erst zum Vorschein, wenn das Subjekt mit
seinen Wünschen, Ansprüchen, Dienstleistungen und Erzählungen usw. von
einem Auditorium anerkannt wird (vgl. Hettlage 1997, S. 7).
Wie nun angesichts der oben beschriebenen – wenn auch zunehmend
pluralisierten – Erfahrungskomplexe der alltägliche Herstellungsprozess von
Identität als ein offener Prozess konzeptualisiert werden kann, den die Subjekte
erleben aber auch steuern, und wie damit der Frage nachgegangen werden kann,
welche „Spuren bzw. Strukturen die Interaktionsprozesse mit seiner [der des
Subjekts] Umwelt“ (Keupp et al. 1999, S. 189) identitätsbezogen in den Subjekten
hinterlassen, soll im Folgenden nachgegangen werden.
Der erste und zentrale Schritt der Subjekte im Herstellungsprozess von Identität
ist ein Verknüpfungs- und Differenzierungsschritt, der dem Subjekt hilft, sich im
Strom der eigenen Erfahrungen – wie gesagt: seien sie multipel, fragmentiert,
diskontinuierlich und widersprüchlich –, selbst zu begreifen. Dabei ordnet das
- 123 -
Subjekt sein Selbsterfahrungen zum einen einer zeitlichen Perspektive unter
(verknüpft Vergangenes mit Gegenwärtigem und Zukünftigem). Zum zweiten
verknüpft es die Selbsterfahrungen unter bestimmten lebensweltlichen
Gesichtspunkten (Erfahrungen von einem selbst als Lebenspartner, als
Berufstätiger, als Sportler, etc.). Drittens stellt das Subjekt Verknüpfungen auf der
Ebene von Ähnlichkeit und Unterschiedlichkeit her, also zwischen
Selbsterfahrungen, die bereits vorhandenen widersprechen, oder solchen, die
′einfach neu′ sind (vgl. ebd., S. 190). In diesem Zusammenhang scheint eine
interessante Frage zu sein: Wie verknüpft das Subjekt widersprüchliche
Erfahrungen?
Der zweite Schritt geht von der Prämisse aus, dass Identität als Passungsprozess
an der Schnittstelle von Innen und Außen entsteht: Wie also transferiert ein
Subjekt die in seiner Person und seiner Umwelt vorhandenen Ressourcen in
subjektive Identitätsprozesse? Und: In welcher Form verhandelt das Subjekt seine
Identität mit anderen und damit auch mit sich selbst (vgl. ebd., S. 191)?
Bei der Versuch, Antworten auf diese Fragen im Rahmen der Fragestellung dieser
Arbeit zu geben, besteht die Schwierigkeit „der Bestimmung des Verhältnisses
von objektiven Einflüssen der institutionell gewandelten Erwerbsarbeit und der
biographisch geronnen Identität eines Menschen“ (Krömmelbein ebd., S. 81). Die
Schlussfolgerungen Sennetts (1998), die er in „Der flexible Mensch“ gezogen
hat, können hilfreich sein: Sennett – so kann analog zu Baethge (1999)
zusammengefasst werden – weist darauf hin, dass sich der Inhalt von Subjektivität
selbst im flexiblen Kapitalismus wandelt und ein neuer individualisierter
Sozialcharakter im Entstehen begriffen ist, der immer weniger Loyalitäten zu
Organisationen/Betrieben entwickeln kann und dessen soziale und letztendlich
auch persönliche Identität immer brüchiger wird (vgl. Baethge 1999, S. 41). Der
Gewinn an Selbständigkeit, an Dispositionsspielraum gegenüber Zeit und Raum
wird danach mit erhöhter innerer Unsicherheit und Diskontinuität in den sozialen
Beziehungen erkauft. Kurzfristigkeit und Wechselhaftigkeit (Beschleunigung)
von Arbeitsverhältnissen führen zum Verlust länger dauernder Freundschafts-
oder Nachbarschaftsbeziehungen. Die Herrschaft des short-terminism greift von
- 124 -
der Erwerbssphäre in das Privat- und Familienleben über. In beiden ist die
Maxime „nichts Langfristiges“ ein verhängnisvolles Rezept für die Entwicklung
von Vertrauen, Loyalität und gegenseitiger Verpflichtung. Am Beispiel eines
erfolgreichen Consultant- und Managerpaares demonstriert Sennett, wie gerade
jene Verhaltensweisen, die ihren beruflichen Erfolg ausmachen, sie im
Privatleben belasten und ihre Identität und die Beziehung zu ihren Kindern zu
zerstören drohen (vgl. ebd.). Sennett hierzu:
„Vielleicht ist die Zerstörung des Charakters eine unvermeidliche Folge.
′Nichts Langfristiges′ desorientiert auf lange Sicht jedes Handeln, löst die
Bindungen von Vertrauen und Verpflichtung und untergräbt die
wichtigsten Elemente der Selbstachtung.“ (Sennett 1998, S. 38)
Das nächste Kapitel soll noch einmal die Merkmale sich gewandelter
Subjektstrukturen zusammenfassen.
4.2.10 ZUSAMMENFASSUNG
Veränderte Subjektstrukturen als sich wiederholende Verarbeitungs- und
Interpretationsmuster bilden sich nicht nur direkt im Zuge sich wandelnder
Arbeitsanforderungen (Kap. 4.1) aus, sondern wie dargestellt auch darüber
hinaus. Hier noch einmal zusammengefasst die zentralen Erkenntnisse22
:
• Ein neuer Transformationsmodus zeichnet sich ab: Beschäftigte müssen
fertig werden mit der Tatsache, dass Organisationskultur-Programme auf
eine umfassende Indienstnahme ihrer Subjektivität vermittels
Homogenisierung ihres Denkens und Handeln zielen.
• Beschäftigte versuchen zunehmend, ihre Ansprüche, die sie an die
Erwerbsarbeit haben, in den Arbeitsprozess einzubringen: es erfolgt eine
zunehmende ′normative Subjektivierung′ der Arbeit. ′Normativ′ soll in
diesem Zusammenhang im Sinne der Geltendmachung persönlicher
22
Eine Anmerkung zur Formulierung: Ich versuche eine integrative Formulierung, d. h.: im Rah-
men der Beschreibung der veränderten Subjektstrukturen aufgrund der Re-Organisation von
Erwerbsarbeit wird stets versucht, den Kern der Veränderung so zu formulieren, dass das
′Neue′ Bezug nimmt zum ′Alten′. Dies geschieht deshalb, um nicht eine lineare ′Vorher-
Nachher-Aufzählung′ zu präsentieren.
- 125 -
Ansprüche, Vorstellungen und Forderungen in der Arbeit – im Gegensatz
zu solchen, die sich aus dem funktionalen Interesse des Arbeitsprozesses
speisen – verstanden werden.
• Im praktischen Arbeitsprozess gibt es mehrere soziale
Handlungsrationalitäten: Arbeitende können prinzipiell kein vollständiges
Wissen in ihrem Handlungsfeld erlangen und vermögen nur eine begrenzte
Zahl von Schritten vorauszuplanen. Je weiter sie planen, desto mehr
nehmen die ′unintendierten Folgen absichtsvollen Handelns′ zu – deshalb
wird den Subjekten zunehmend eine rekursive Planung abverlangt, d. h.
eine solche, die unerwartete Rückwirkungen mit einplant.
• Die Subjekte realisieren zunehmend, dass sie zwar ihre Bedürfnisse in den
Rationalisierungsprozess einbringen können, aber auch gleichzeitig, dass
ihre kreativen Potentiale des Arbeitsvermögens sich vermehrt auf ihre
eigene Rationalisierung richten.
• Freiheit und Zwang ergeben sich für jedes Individuum aus dem
gesellschaftlichen Kontext: Autonomie wird von den Arbeitenden sowohl
innerhalb der Handlungsanforderungen als auch innerhalb der
Handlungsmöglichkeiten erlebt – diese Widersprüchlichkeit wird zur
Regelmäßigkeit in Form einer zweigeteilten Struktur.
• Das Spannungsverhältnis von Fremdbestimmung und gewähltem
Handlungsspielraum führt zu psychischen Belastungen bei den Subjekten
(z. B. ständig etwas zu tun müssen, was man ′eigentlich′ nicht tun kann
oder darf).
• Selbst wenn man dem subjektivierenden Arbeitshandeln, also dem
Einbringen so genannter subjektiver Faktoren wie Gefühl, Empfinden und
Erleben, in gleicher Weise wie objektivierendes Handeln eine kognitive
und strategische Kompetenz zubilligt, muss man konstatieren, dass die
„Persönlichkeitsstruktur“ (Türk) von Individuen eine psychisch-
qualifikatorische Form annehmen muss, innerhalb derer abstrakte
Fügsamkeit und Willfährigkeit als so genannte „compliance-bezogene“
- 126 -
Qualifikationen gefordert sind und die neben den offiziellen – so könnte
man formulieren – die informellen Qualifikationen darstellen.
• Das zunehmende Einbringen von persönlichen Sinnkriterien in die Arbeit,
also das Auf-Sich-Beziehen anstelle des Auf-die-Arbeit-Beziehen, bewirkt
in den Subjekten auch ein Evalutations- bzw. Selbstkontroll-Verhalten,
was bedeutet, dass Arbeitende ihr Verhalten in der Arbeit überprüfen und
ggfs. revidieren.
• Die Berufskategorie, die die Individuen jahrzehntelang als Medium
sozialer Verortung diente und als spezifische Verbindung von
Berufsfachlichkeit und sozialer Orientierung und Integration bezeichnet
werden konnte, erodiert; das muss nicht heißen, dass – obwohl
Lebensorientierungen und -verläufe an Diskontinuität zunehmen –,
Beruflichkeit als soziales und ökonomisches Organisationsprinzip –
sozusagen als Ausdruck funktionaler Differenzierung – für die Subjekte
keine Rolle mehr spiele. Es erfolgt aber eine Aufweichung, die sich nicht
zuletzt an der Zunahme so genannter ′atypischer′
Beschäftigungsverhältnisse (vgl. Kap. 2.2.13) ablesen lässt.
• In Bezug auf Zeit (Gleitzeit, wechselnde Arbeitszeiten), Raum (Telearbeit,
wechselnde Arbeitsorte, Dezentralisierung, Projektarbeit), technische
Hilfsmittel (Nutzung von Privat-Mobiliar), und Arbeitsinhalt (Trennung
zwischen Geschäftlichem und Privatem) finden Entgrenzungen statt, die
von den Individuen bewältigt werden müssen. Oft führen diese
Entgrenzung dazu, dass sich Arbeits- und Lebensmotivationen
durchmischen, vielleicht sogar verwischen und somit Möglichkeiten der
sinnhaften Identifikation und sozialen Bindung erschwert – u. U. sogar
nicht identifizierbar – werden. Auch die ′Alltage′ der Subjekte werden
′durchorganisiert′, strategische Lebensführung wird normal. Allerdings
ergeben sich auch situative (i. S. v. kontingenten) Charakter-Muster, die in
der Lage sind, sich auf Diskontinuität und Durchmischung einzustellen.
• Arbeiter haben durch die Einführung neuer Produktions- und
Organisationskonzepte eine deutliche Verbesserung ihres Status und ihrer
- 127 -
Dispositionsspielräume erfahren, so dass von einer starken Erosion ihrer
Klassenidentität ausgegangen werden kann. In puncto Bildung und
materieller Lebensqualität sind Arbeiter aber nach wie vor benachteiligt.
Es wäre eine empirische Frage, ob deshalb Arbeiter auch heute noch –
bspw. in der BRD – gemäß der Bourdieu´schen These in den „feinen
Unterschieden“ den ′Geschmack′ des Bildungsbürgertums nachzuahmen
versuchen.
• Der veränderte – identitätsbegründete – Arbeitshabitus der Angestellten
aufgrund der Einführung neuer Produktionskonzepte lässt einen Trend zur
Verinnerlichung und zugleich zur Anonymisierung betrieblicher
Herrschaft erkennen.
• Das Management als Herrschaftsträger wird zwar in Shareholder-Value-
Zeiten nicht vollständig demontiert, es lässt sich allerdings eine Erosion
der kollektiven Magager-Identität ausmachen, die zu Frust, Demütigung
oder sogar Arbeitslosigkeit führen kann.
• Allgemein verliert Identität, als Sammelbegriff für dauerhafte und stabile
Orientierung der Individuen an Bedeutung: die Menschen erleben
Unsicherheit, Diskontinuität und Pluralisierung als einerseits als Verlust,
andererseits bieten Enttraditionalisierung und Ungewissheit neue
Identitätschancen, die allerdings wiederum mit neuen Zwängen, bspw. zur
Standardisierung, verbunden sind. Dieses Ambivalenzgefühl erzeugt
′Entbettungs′-Empfinden, Ohnmacht, Konkurrenz- und Zukunftsangst.
• ′Multiphrene′ Erlebnissituationen prägen zunehmend die Erfahrungswelt
der Subjekte: Spaltungs- und Zerrissenheitsgefühle kommen aufgrund
komplexerer Lebensverhältnisse auf; ′virtuelle Welten′ nehmen den
Stellenwert neuer realer Welten ein.
• Das Zeitempfinden der Individuen erfährt eine ′Gegenwartsschrumpfung′,
wenn Vergangenheit oder Zukunft keine tauglichen Relationen mehr sind.
• Die Möglichkeit der Subjekte, sich zwischen Alternativen – sei es
innerhalb der Arbeit oder im Privatleben – entscheiden zu können, verlangt
- 128 -
ihnen aber auch eine Entscheidung ab (sie müssen entscheiden!); somit
verlieren fest etablierte Verhaltens-, Denk- und Entscheidungsmuster an
Gewicht.
• Erhebliche Veränderungen der Geschlechterrollen in Bezug auf Arbeit
und Leben lassen traditionelle Frauen- und Männeridentitäten in
Bewegung geraten.
• Der Einzelne wird zum Konstrukteur seines eigenen – individualisierten –
Sinnsystems, da ideologische Sinnvermittlungsinstanzen brüchig werden.
• Der alltägliche Herstellungsprozess von Identität verlangt vom Individuum
Verknüpfungs- und Differenzierungsschritte (in Bezug auf die Zeit bzw. in
Bezug auf Andere/Anderes überhaupt), die zunehmend nicht mehr einfach
hergestellt werden können: Wenn Kurzfristigkeit und Wechselhaftigkeit in
Arbeitsverhältnissen zum Verlust von Freundschafts- und
Nachbarschaftsbeziehungen führen, fallen Möglichkeiten, sich selbst eine
Projektionsfläche für Selbstbezug und -achtung zu bieten, weg.
Wie nun von diesen veränderten Merkmalen (von Subjektstrukturen) zum
rekursiven Charakter der Subjektstrukturen gelangt werden kann, zeigt das
folgende Kapitel auf.
- 129 -
5. DER REKURSIVE CHARAKTER VON SUBJEKTSTRUKTUREN
Wie bereits in der Einleitung erwähnt, versteht sich diese Arbeit als ein Beitrag –
auch im Sinne der Münchner ′Subjektorientierten Soziologie′ um Bolte, Voß und
Pongratz –, nicht nur die Wirkungen und ′Bedeutungen′ sozialer Strukturen (hier:
Institution ′Erwerbsarbeit′) für die Subjekte zu analysieren, sondern auch die
Aufmerksamkeit darauf zu lenken, „daß (...) die Mitwirkung der Subjekte das
Soziale mitprägt, ja sogar als eigenständige Größe im Gesellschaftsprozeß
struktur-bildend wirkt.“ (Voß/Pongratz 1997, S. 22). Zur Beantwortung der Frage,
welche Theorie am ehesten in der Lage ist, diesem Fakt – dem wechselseitigen
Bedingungs- und Konstitutionsprozess von Handlung und Struktur – gerecht zu
werden, ist also eine Theorie vonnöten, die mit klassischen Dualismus-
Vorstellungen bricht. Meines Erachtens ist das die Strukturationstheorie von
Anthony Giddens einerseits, andererseits eignet sich auch die Habitus-Theorie
von Pierre Bourdieu, den ′Gegensatz′ von – so wird es auch oft genannt – Mikro-
und Makro-Theorie zu überwinden. Daher werde ich zunächst diese beiden
Theorien im Folgenden vorstellen, anschließend werde ich Aspekte ihrer
Brauchbarkeit für den Komplex der Rekursivität von Subjektstrukturen aufzeigen.
5.1 DIE DUALITÄT VON HANDELN UND STRUKTUR NACH
GIDDENS
Wenn der in Kap. 3.1 ausgeführte Subjektstruktur-Begriff von einer Struktur-
Definition ausgeht, die Verarbeitungs- und Interpretationsmuster der Subjekte
meint, soll an dieser Stelle noch einmal verdeutlicht werden, dass ein
soziologischer Struktur-Begriff gemeint ist. Türk (1996) führt aus, dass der
Strukturbegriff geradezu der Hauptbegriff der Organisationsforschung, ja sogar
der „heimliche Hauptbegriff der Soziologie überhaupt“ (Türk 1996b, S. 5) sei.
Eigentlich aus dem Bereich des Bauens stammend – dort meint er das Ergebnis
einer Aufbau- oder Errichtungstätigkeit, den stofflich umgesetzten Bauplan
- 126 -
- 130 -
(lateinisch structuare = bauen) –, eignet sich diese Bau- bzw. Gebäude-Metapher
für die Sozialwissenschaften nicht: Sich wiederholende Muster von Verarbeitung
und Interpretation der Subjekte, mit dem Wandel von Erwerbsarbeit
′fertigzuwerden′, Verhaltens- und Denkschemata, Identitäts- und Lebensentwürfe,
Selbstpositionierungen und Erwartungshaltungen sind keine stofflich-materiellen
Dinge. Subjektstrukturen existieren nur, solange konkrete Menschen sie
hervorbringen, sie sind nur als Muster rekonstruierbar, „Muster sich
wiederholender Interaktionen“ (vgl. ebd.). Zudem müssen wir noch unterstellen,
dass sich Strukturen im Zeitablauf bilden: keine ′Momentaufnahme′ ermöglicht
das Feststellen einer Wiederholung, sondern nur das Beobachten über die Zeit
hinweg. Wenn es nun das Ziel von Anthony Giddens ist, eine Theorie zu
entwickeln, „die die grundlegenden Merkmale menschlichen Handelns erfaßt“
(Treibel 1997, S. 236), muss an dieser Stelle auf das Verhältnis von Handeln und
Struktur im Rahmen der Giddens´schen Theorie der Strukturierung eingegangen
werden, hierzu Giddens:
„Die Begriffe ′Struktur′ und ′Handeln′ bezeichnen so die allein analytisch
unterschiedenen Momente der Wirklichkeit strukturierter
Handlungssysteme. Strukturen selbst existieren gar nicht als eigenständige
Phänomene räumlicher und zeitlicher Natur, sondern immer nur in Form
von Handlungen oder Praktiken menschlicher Individuen. Struktur wird
immer nur wirklich in den konkreten Vollzügen der handlungspraktischen
Strukturierung sozialer Systeme, weshalb ich auch meinen Ansatz ′Theorie
der Strukturierung′ genannt habe.“ (Giddens 1988b, S. 290; Herv. i. Orig.)
Somit sind also Handeln und Struktur zwei Dimensionen derselben Sache und
keine radikalen Gegenbegriffe. Handeln ist nicht immer zielgerichtete, aber
kompetente Aktivität von Individuen. Strukturen sind nicht gleichbedeutend mit
Zwang, was dem Handelnden extern wäre, sondern sie stellen die institutionellen,
dauerhaften Gegebenheiten dar, mit denen die Individuen konfrontiert werden, in
denen sie sich bewegen und mit denen sie ′leben′ und sich auseinandersetzen
müssen (vgl. Treibel ebd., S. 238 f.). Strukturen sind zwar durch die
„Abwesenheit des Subjekts“ (Giddens 1988a, S. 77) gekennzeichnet, sind den
Individuen aber dennoch nicht äußerlich; vielmehr werden die Strukturen erst im
- 131 -
Handeln real. Die Akteurinnen und Akteure beziehen die Strukturen in ihr
Handeln mit ein, die Strukturen verleihen dem Handeln auch Sicherheit und
Kontinuität (vgl. Treibel ebd.). Somit ist das Phänomen der Dualität von
„Handlung und Struktur“ (Giddens 1988a, S. 215), Giddens spricht auch nur von
der ′Dualität von Struktur′, benannt. Nachvollziehbare Erklärungsversuche für
dieses Phänomen liefert auch Türk (1996):
„Muster sozialer Handlungen sind stets zugleich Produzenten und
Produkte menschlichen Verhaltens. Strukturen sind gemäß diesem
Konzept Produzenten von Verhalten, weil der Mensch ohne strukturelle
Orientierungen, die er erlernt hat und in konkreten Situationen anwendet,
gar nicht handlungsfähig wäre, keine sinnvollen Handlungswahlen treffen
könnte, sich gar nicht an anderen zu orientieren in der Lage wäre. (...)
Strukturen sind Produkte wiederum in zweifacher Hinsicht: Einmal sind
sie natürlich prinzipiell Ergebnis menschlicher Aktionen – woher sollten
sie sonst stammen. Darüber hinaus aber wirkt auch jede Einzelhandlung an
der Reproduktion der jeweiligen Struktur mit. (...) (Türk ebd., S. 7 f.;
Herv. im Orig., teilw. fett-gdruckt)
Wenn nun der Beitrag des Subjekts für die ′Produktion′ bzw. ′Reproduktion′ von
Strukturen – gemäß des Themas dieser Arbeit und unter Berücksichtigung der
Dualität von Struktur – schlüssig erfasst werden soll, also man z. B. fragen will,
inwieweit der Umgang der Individuen mit entgrenzten Arbeitsorganisationen auf
die Organisationsform ′Entgrenzung′ zurückwirkt, muss ein Zusatzgedanke
einbezogen werden: Die Handlungen der Subjekte sind nicht generell – etwa
gemäß der Rational-Choice-Theorie – Resultate bewusster und freier
Entscheidungen, sondern sie finden stets innerhalb einer ′bedingten Freiheit′ statt.
Zur Erklärung dessen soll im Folgenden das Bourdieu´sche Habitus-Konzept
herangezogen werden.
5.2 DAS HABITUS-KONZEPT NACH BOURDIEU
Um der Frage nachzugehen, wie der Vollzug einer praktischen Handlung zu
erklären ist (vgl. Neckel 2000, S. 20), eignet sich die wichtigsten Entdeckung des
französischen Soziologen Pierre Bourdieu: seine Lehre vom Habitus. Nun ist der
Habitus des wissenschaftlichen Sprachgebrauch zwar schon lange bekannt, erst
- 132 -
Bourdieu hat ihm jedoch als soziologischem Begriff theoretische Trennschärfe
verliehen: ein Ensemble der durch soziale Erfahrungen erworbenen und bis in den
Körper eingeschriebenen Dispositionen, die Akteure an Herkunft und Lebenslauf
binden und ihnen gleichermaßen als kreative Organisationsprinzipien nicht
vollständig determinierbarer Handlungspotentiale dienen (vgl. ebd.).
Das Ziel der Bourdieu ´schen Gesellschaftstheorie hebt Müller (1986) hervor, es
sei: die Konstitution und Reproduktion sozialen Lebens zu verstehen und die
Mechanismen aufzudecken, die dabei wirksam seien. Um den Fallstricken von
Objektivismus und Subjektivismus, „Philosophie ohne Subjekt“ und
„Subjektphilosophie“, mechanistischer Strukturtheorie und voluntaristischer
Handlungstheorie zu entgehen, die seit Emilie Durkheims Zeiten das
epistemologische Feld Frankreichs beherrscht hätten, knüpfe Bourdieu am
Praxiskonzept des frühen Marx an und entwickle seinen theoretischen Ansatz als
Ökonomie der Praxis (vgl. Müller 1986, S. 163). Diese praxeologische
Perspektive beruht im Kern auf der allgemeinen Reproduktionsformel Struktur –
Habitus – Praxis und der Annahme einer Universalität von Status- und
Klassenkämpfen. Denn es ist ein allgemeines Axiom der „allgemeinen
Wissenschaft der Ökonomie praktischer Handlungen ..., alle Handlungen und
selbst noch jene, die sich als interessenlose oder zweckfreie, also von der
Ökonomie befreitet verstehen, als ökonomische, auf die Maximierung materiellen
oder symbolischen Gewinns ausgerichtete Handlungen zu begreifen“ (Bourdieu
1982, S. 356 f.)
23
. Müller hilft weiter, wie man sich obigen Reproduktionsprozess
vorzustellen habe:
„Vereinfacht ist der Reproduktionsprozeß so vorzustellen, daß eine
Struktur (Verwandtschaft oder Klasse) bestimmte Dispositionen (bei
Individuen oder Gruppen) ausprägt, die zu praktischen Handlungen und
23
In diesem Zusammenhang wird oft in Bezug auf die Reproduktionsformel ′Struktur – Habitus
– Praxis′ als einem agonalen, d. h. einem wettkampfmäßigen, Modell (bzw. vom agonischen
Engagement der Akteure) gesprochen.
- 133 -
einer strategischen Praxis führen, so daß die ursprüngliche Struktur
wiederhergestellt und der Zirkel geschlossen wird. Diese Vermittlung
zwischen Struktur und Praxis leistet der Habitus. Er ist definiert als ein
System von Dispositionen, die als Denk-, Wahrnehmungs- und
Beurteilungsschemata
24
im Alltagsleben fungieren und deren Prinzipien
sozialer Klassifikation als Klassenethos zum Ausdruck kommen. (Müller
ebd.)
In Bourdieus Augen ist daher der Habitus als praktischer Operator „die Lösung
des Paradoxons vom objektiven Sinn ohne subjektive Absicht“ (Bourdieu et al.
1981, S. 170), denn seine äußere Erscheinungsweise erinnert an das
mechanistische Handlungsmodell, seine innere Funktionsweise ähnelt eher dem
voluntaristischen Modell: Er ist ein reproduktives Prinzip und somit „strukturierte
Struktur“, insofern die individuellen Praxisformen den sozial strukturierten
Dispositionen gemäß gewählt werden und so zur Aufrechterhaltung der
ursprünglichen strukturellen Konstellationen beitragen; er ist zugleich ein
generatives Prinzip und somit „strukturierende Struktur“, insofern er sozial
strukturierte Praxisformen hervorbringt, die im Laufe der Zeit durch individuelle
Einverleibung gesellschaftlicher Strukturen – in Bourdieu´scher Terminologie
′Felder′ genannt – und die Ausbildung dauerhafter Dispositionen ermöglicht
werden. Der Habitus ist Produkt kollektiver Geschichte und individueller
Erfahrung, stimmt objektive Chancen und subjektive Aspirationen aufeinander ab,
stiftet Realitätssinn und den Sinn für die eigenen Grenzen und integriert
klassenspezifische Verhaltensformen mit nutzenorientierten Strategien (vgl.
Müller ebd.). Der fungierende Habitus ist durch Implizitheit charakterisiert.
Obgleich sozial und historisch entstanden, werden die im Habitus inkorporierten
Strukturen zu einer Art „zweiter Natur“ der Akteure, deren Genese gerade in
Vergessenheit gerät. Bourdieu spricht von einem praktischen Wissen, das in praxi
und nicht im Bewusstsein der Akteure auffindbar ist, von einer quasi-körperlichen
24
Wahrnehmungschemata: sie strukturieren die alltägliche Wahrnehmung der sozialen Welt
(sensueller Aspekt der praktischen Erkenntnis); Denkschemata: zu ihnen sind (a) die Alltags-
′Theorie′ und Klassifikationsmuster zu zählen, mit deren Hilfe die Akteure die soziale Welt
interpretieren und kognitiv ordnen, (b) ihre impliziten ethischen Normen zur Beurteilung
gesellschaftlicher Handlungen, d. h. ihr ′Ethos′ und (c) ihre ästhetischen Maßstäbe zur
Bewertung kultureller Objekte und Praktiken, kurz ihr „Geschmack“; Handlungsschemata:
sie bringen die (individuellen und kollektiven) Praktiken der Akteure hervor (vgl. Schwingel
1998, S. 56).
- 134 -
Weltsicht, von begriffslosem Erkennen, von einem praktischen Sinn, der die
Operationsweise des Habitus beschreibt. Kritisiert werden hier rationalistische
Handlungstheorien („rational choice“), die Handlungen als das Resultat bewusster
Entscheidungen darstellen, und es wird ihnen der Habitus als nicht gewähltes
Prinzip aller Wahlen entgegengesetzt (vgl. Bohn/Hahn ebd., S. 259).
Um nun auf eine ähnliche Konfiguration der Dualität von Strukturen wie die von
Giddens zu verweisen, soll nun die Verbindung des ′Habitus′- mit dem ′Feld′-
Begriff aufgezeigt werden: Die beiden Begriffe ′Habitus′ und ′Feld′ sind in dem
Sinne relational, dass die nur in Verbindung miteinander richtig funktionieren.
Habitus und Feld werden von Bourdieu auch als zwei Existenzweisen des Sozialen
bezeichnet: „Leibgewordene und dinggewordene Geschichte, objektiviert in
Sachen, in Gestalt von Institutionen – dafür steht der Begriff ′Feld′ –, inkorporiert,
leibhaftig geworden in Gestalt eines Systems dauerhafter, übertragbarer
Dispositionen – dafür steht der Begriff ′Habitus′ (vgl. Bourdieu/Wacquant 1996,
S. 146). Dadurch wird der – bereits oben erwähnte – Gegensatz zwischen
Subjektivismus und Objektivismus zugunsten einer integrativen Perspektive zu
überwinden versucht.
Somit kann also auch die Sozialtheorie Bourdieus als ein Versuch gewertet
werden, einem Strukturdeterminismus entgegenzuwirken, der zum einen
menschliches Verhalten als durch ′äußere′ Strukturen kausal bewirkt beschreibt
und zum anderen objektive, sprich: gesellschaftliche, Strukturen als quasi
gegebene, unveränderbare Muster charakterisiert.
Wie nun neben dem Modell von Giddens auch das Habitus-Konzept Bourdieus
einen Beitrag leisten kann, die rekursive Wirkung von Subjektstrukturen auf die
Institution Erwerbsarbeit zu verdeutlichen, soll im folgenden Kapitel dargestellt
werden.
5.3 DIE REKURSIVE WIRKUNG VON SUBJEKT-
STRUKTUREN AUF DIE INSTITUTION ERWERBSARBEIT
- 135 -
In diesem Kapitel werde ich mich ausführlicher mit der Rückwirkung veränderter
Subjektstrukturen auf die Institution Erwerbsarbeit beschäftigen. Hierzu Braczyk
(1997):
„Wenn sich nun bei relevanten Gruppen von Beschäftigten die
Voraussetzungen ändern, unter denen sie zur Einordnung in betriebliche
Machtbeziehungen und Herrschaftsformen bereit sind, dann dürfte dies
den Zuschnitt dieser Beziehungen und Formen selbst betreffen, und damit
wäre man erneut im Zentrum betrieblicher Organisationsstrukturen
angelangt.“ (Braczyk 1997, S. 550)
Die ′veränderten Voraussetzungen′ habe ich in Kap. 2.3 beschrieben, ebenso bin
ich auf die Konsequenzen für die Subjekte in Bezug auf ihre veränderten
Arbeitsanforderungen sowie ihre gewandelten Subjektstrukturen im Sinne ihrer
Verarbeitungs- und Interpretationsmuster eingegangen (vgl. Kap. 4). Unter
Einbeziehung sowohl der Giddens´schen als auch der Bourdieu´schen Theorie soll
nun im Vordergrund stehen, wie Rückwirkungsprozesse sich – teilweise
hypothetisch – fassen lassen. Die Ausgangsargumente sollen zunächst neben
Braczyk (1997) erneut von Voß (1998) geliefert werden, dann schließen sich
eigene Schlussfolgerungen an:
• Die Tendenz zur Entgrenzung von bisher die Arbeit vieler Menschen
leitenden (zeitlichen, räumlichen, medialen, sachlichen, sinnhaften
usw.) sozialen Regulierungen und Formen ist als eine systematische
De-Strukturierung der Arbeitskontexte zu sehen: die Entgrenzung von
Arbeitsverhältnissen bedeutet sowohl einen (vielleicht begrüßten)
Abbau von potentiell immer behinderden Beschränkungen, als auch
eine (potentiell problematische) Zerstörung von bisher hilfreichen
Orientierungen (vgl. Voß 1998, S. 476).
• Mit der De-Strukturierung von bisher verbindlichen Regelungen,
Standardisierungen und Begrenzungen von Handlungsmöglichkeiten in
der Arbeit kann betriebsseitig nicht mitgehalten werden: Es werden
„keine neuen Kanäle für das Handeln der Betroffenen“ (ebd.)
geschaffen; d. h., selbst wenn sich die Arbeitenden an die
- 136 -
veränderten Bedingungen ihres Arbeitens anpassen, die Strukturen,
innerhalb derer sie das tun, ′hinken hinterher′.
• Hinzu kommt, dass die aus solchen (Re-)Strukturierungsleistungen
entstehenden Handlungsformen häufig nicht im gleichen Maße wie
bisherige Strukturen in stabile Regelungen eingehen und
unproblematisch routinisiert zukünftiges Arbeiten leiten können. Mehr
noch: Oft wird nicht nur der Grad der betrieblichen Strukturierung
dauerhaft gesenkt, sondern die von Beschäftigten neu geschaffenen
Strukturen werden betrieblich tendenziell immer wieder neu entgrenzt
(Stichwort: ′lernende Organisation′) (vgl. ebd., S. 477).
• Die Leitlinie der Gestaltung von Erwerbsarbeit und somit die
gesellschaftliche Organisation derselben wird im Zuge entgrenzter
neuer Arbeitsformen qualitativ verändert: Leitlinie der Gestaltung von
Arbeit ist immer weniger die möglichst dichte strukturierende
Begrenzung von Handlungsoptionen, um Tätigkeiten auf detailliert
disponierte Abläufe und Ziele auszurichten, sondern immer mehr das
Gegenteil: die Vorgabe von eher diffusen Handlungsrahmen mit
deutlich reduzierter Strukturierungswirkung, die nun von den
Arbeitenden mit eigenverantwortlichen Strukturierungsleistungen zur
Erreichung von oft erst zu präzisierenden, aber verschärft beurteilten
Ergebnissen genutzt werden müssen (vgl. ebd.).
• Somit lassen bisher feste Arbeitsstrukturen, die bisher meist als
herrschaftliche und autonomes Handeln behindernde Vorgaben gelten
konnten, nun zunehmend handlungsermöglichende, entlastende und
beschützende Konturen erkennen: die wachsende Erwartung an eine
autonome Selbststrukturierung der Arbeit wird als heteronome
Anforderung mit eigener Belastungsqualität erkennbar (vgl. ebd.); es
spricht einiges für die Schlussfolgerung Voß´, dass sich ein „Leittypus
der gesellschaftlichen Verfassung von Arbeitskraft“ (ebd., S. 478) – als
Struktur der Organisation von Erwerbsarbeit – mit den Merkmalen
- 137 -
′Selbst-Ökonomisierung′, ′Selbstvermarktlichung′ und
′Verbetrieblichung′ mit der Voß´schen Bezeichnung des
„Arbeitskraftunternehmers“ herausbildet.
• Veränderte und weitreichende Ansprüche von Arbeitnehmern an die
Autonomie und das Niveau der Arbeit, an die Erfüllung von
gesellschaftlichen Standards von Umwelt- und Sozialverträglichkeit
mögen bestehende Machtbeziehungen und Herrschaftsformen
aufbrechen. Mit den Formen, in denen diese Ansprüche befriedigt bzw.
abgewehrt werden, werden die Machtbeziehungen und
Herrschaftsformen allenfalls umgeformt, aber sie verschwinden nicht.
Doch was passiert mit den Machtbeziehungen und Herrschaftsformen,
wenn das Abnorme Standard wird? Wird Erwerbsarbeit betriebsförmig
in (organisierten) Gemeinschaften organisiert, die wesentlich von den
Ansprüchen vornehmlich jüngerer Beschäftigter getragen werden (vgl.
Braczyk ebd., S. 550 f.)?
• Wird sich durch neue Lebensformen eine veränderte sektorale und
funktionale Differenzierung ergeben, die sich auf vornehmlich
unternehmensbezogene Dienstleistungen und auf Tätigkeiten, die
normalerweise eine höhere Bildung und Ausbildung voraussetzen,
stützt (vgl. ebd.)?
• Wenn bisher der Taylorismus den Ordnungsrahmen – bestehend aus
einem Ensemble von Prämissen, Regeln und Normativen – für die
Unternehmen bot, und damit jede und jeder am arbeitspolitischen
Diskurs Teilnehmende(r) wusste oder meinte zu wissen, was gemeint
war, somit jeder und jedem eine eigene Interpretationsfolie seines
intraorganisationalen Handelns gegeben wurde, bleibt zu fragen, wie
in ′nach-tayloristischen′ Zeiten, in denen organisationales Handeln im
Prinzip ergebnisoffen und immer auch anders ausfallen kann,
betriebliche Ordnungen aussehen sollen (vgl. ebd.).
- 138 -
• Die Organisationskultur-Programme unterliegen einem spürbaren
Reformulierungsdruck: Wenn Beschäftigte zunehmend ihre
subjektiven Bedürfnisse und Ansprüche als ′normative
Subjektivierung′ in die Arbeit mit einbringen, und sie dies höchst
individuell tun, wird eine stark heterogene Anspruchsstruktur
generiert, die einheitliche Programme und Konzepte organisationaler
Kultur schwer realisierbar erscheinen lässt.
• Wird von den Subjekten vermehrt eine rekursive Planung abverlangt,
d. h., sollen so viele erwartete und unerwartete Rückwirkungen des
eigenen Handelns berücksichtigt werden, bleibt zu vermuten, dass
diese Anforderung ′quer′ zu Kreativitäts-Imperativen, wie bspw. dem
′impliziten Innovationsmodus′ (vgl. Kap. 2.2.10) verläuft und
Widersprüchlichkeiten produziert werden: In den Unternehmen wird
damit vielleicht mehr Vorsichts- und Zurückhaltungs-Struktur denn
Innovation gefördert.
• Wenn neben den offiziellen und kodifizierten Regeln und
Anforderungen auch vor allem ′compliance-bezogene′
Arbeitsanforderungen als ′informelle′ Anforderungen die
Persönlichkeitsstruktur prägen, könnte die Annahme berechtigt sein,
dass die Formen, innerhalb derer sich die Organisation von
Erwerbsarbeit manifestiert, selbst mehr und mehr informellen
Charakter annehmen, z. B. kann sich eine Organisationsstruktur auch
als institutionalisiertes und inkorporiertes Wissen (im Sinne
Bourdieus) bspw. darüber, wie man sich fügt und beim Vorgesetzten
gut ankommt, herausbilden.
• Was folgt aus der Erosion der Berufskategorie als, so könnte man
formulieren, Organisationsform von Erwerbsarbeit ′par excellence′?
Muss ein Umdenken in Bildungs- und Ausbildungssystemen
stattfinden, um dem Aufweichen funktional-differenzierter, kategorial
- 139 -
gesteuerter Berufsklassen entgegenzuwirken, wenn ja, wie sieht dieses
Umdenken aus?
• Das ′Entbettungs-Empfinden′ der Subjekte aufgrund mangelnder
Identitäts- und Inklusionsmöglichkeiten korrespondiert mit einem
′kollektiven Klima′, welches von Exklusion und Unsicherheit,
möglicherweise abzulesen am Diskurs um ′nationale Identität′, geprägt
ist.
• Wenn virtuelle Welten zunehmend die realen Erlebnis- und
Erfahrensräume der Subjekte verdrängen und eine
′Gegenwartsschrumpfung′ verursachen, könnte es nicht sein, dass reale
Probleme, die sich im Erleben der Organisation von Erwerbsarbeit
ergeben (z. B. Arbeitslosigkeit) gar nicht mehr als reale
wahrgenommen werden und somit Erwerbsarbeits-Strukturen als
virtuelle Strukturen manifest werden?
• Wie dargestellt wurde, werden Kurzfristigkeit, Unstetigkeiten und
Wechselhaftigkeit zum individuellen und inkorporierten
Verarbeitungsmuster der Subjekte, was dazu führen kann, dass
derartige Imperative zum gesellschaftlichen Regulationsmodus werden
und zugleich Prozess- und Dauerhaftigkeit als normativ ′nicht
wünschenswert′ bzw. ′ineffizient′ stigmatisiert werden.
• Der Bourdieu´sche Habitus-Begriff ist unter Berücksichtigung seiner
Rekursivitätswirkungen zu hinterfragen: Janning (1991) merkt an, dass
durchaus umbruchartige Entwicklungen in den „objektiven Strukturen“
(Janning 1991, S. 33) – also im Sinne der von mir beschriebenen
Veränderungen der Organisation von Erwerbsarbeit – eintreten
könnten, so dass die Instanz des Habitus mit einer Wirklichkeit
konfrontiert werde, auf die sie nur mangelhaft, mit ′veralteten′
Handlungskonzepten, reagieren könne. Die relative Unabhängigkeit
der Praktiken von unmittelbaren Sinn- und
- 140 -
Gesellschaftszusammenhängen und die permanente Aktualisierung von
Verhaltensweisen, die einem vergangenen sozialen System
angemessen waren, wirkten sich hier als Moment der Trägheit aus und
zeigten die grundlegende Unflexibilität des Habitus (vgl. ebd.). Wenn
die Definition des Habitus vor allem enthält, dass es sich um
′dauerhafte′ und ′übertragbare Dispositionen′ handelt, welche
Auswirkungen werden sich auf den ′Feldern′, sprich: den
Ausprägungen – bisher – institutionalisierter Formen von organisierter
Erwerbsarbeit, ergeben? Folgen aus ′trägen′ Habitus ′träge′ Strukturen
eines reproduzierenden Prinzips im Sinne einer ′reaktionären′
Systembestätigung? Außerdem, ein Widerspruch wird deutlich: Wenn
der Habitus auch als Ensemble der kognitiven Muster, die
verhaltensleitend sind, gelten kann, kann auch in anderer Richtung
gefragt werden: Was bedeutet es eigentlich, wenn die Habitus aus
praktischen Erwägungen stets anderen Zielen (z. B. aufgrund von
Flexibilisierungs- und Rationalisierugszwängen, die die Subjekte selbst
zum Gegenstand von beidem macht; vgl. Kap. 2.3) angepasst werden?
• Auch die Giddens´sche Figur der Strukturen, die erst im Handeln der
Akteure wirksam würden, dennoch den Handelnden nicht äußerlich
seien, muss reflektiert werden: Werden die neuen Strukturen, in denen
sich die Re-Organisation von Erwerbsarbeit widerspiegelt, nicht durch
verunsicherte, unstete, identitätssuchende Subjekte – die zudem noch
verschleierten Macht- und Rationalitätsfassaden unterworfen sind – in
ihrer dennoch gleichbleibenden Macht- und Ungleichheits-
Pointiertheit ′unsichtbar′ im Sinne der Verdeckung eben ihres
Herrschafts-Charakters?
Welche Themen sich an diese Rekursivitäts-Thematik anschließen könnten, soll
im folgenden (Kurz-)Kapitel angedeutet werden.
- 141 -
- 142 -
- 143 -
SCHLUSS: MÖGLICHE ANSCHLUSS-THEMATISIERUNG
Zum Abschluss meiner Arbeit versuche ich, einige Thematisierungen
aufzuzeigen, die sich an das von mir behandelte Thema anschließen könnten.
Denkbar wären perspektivische und konzeptionelle Weiterungen: Perspektivische
Anschlüsse könnten z. B. von einer umfassenderen, ′substantielleren′
Aufarbeitung soziologischer Subjektivitäts-Theorie hergestellt werden. Dies
konnte aus Gründen der Beschränkung auf Ausschnitte von Subjektivität, die sich
auf die Verarbeitung und Interpretation bestimmter – zunächst als rein exogen
wahrgenommene und in der Literatur thematisierte – Faktoren (Wandel der
Organisation von Erwerbsarbeit) stützte, und deshalb mit dem Begriff
′Subjektstrukturen′ belegt wurde, nicht ausführlicher erfolgen. Zudem wurde eine
strukturtheoretische Perspektive gewählt. Prozesse auf der Meso- und
Makroebene wurden demgegenüber nur als ′Bedingungen′ bzw. funktionale
Anforderungen an die Subjekte thematisiert. Konzeptionell erscheinen
makrokulturelle bzw. im Foucault´schen Sinne ′diskursive′ Wandlungsprozesse,
die zu Veränderungen in der Vergesellschaftungsform von Subjekten führen, von
anschlussfähiger Bedeutung (vgl. Moldaschl/Voß 2002, S. 90). Vorstellbar wären
bspw. diskursanalytische Fragestellungen, die ihren Fokus auf das „Verhältnis
von Herrschaftstechniken und Selbsttechnologien in ihrer diskursiven
Erzeugtheit“ (ebd.) legen. Aber auch könnten Anschlussfelder im Bereich eher –
diskursanalytischer – politikwissenschaftlicher Ansätze liegen, die Diskurse auf
(kollektive) Akteure in politischen Arenen zurückführen, d. h. es könnten Fragen
nach der Definitionsmacht z. B. des Wandels der Arbeit bzw. der Wirkungen und
Rückwirkungen von arbeitenden Subjekten thematisiert werden. Letztlich könnte
auch eine verstärkt arbeitswissenschaftliche Fokussierung, die einen
umfassenderen Blick auf die Ebene der konkreten Arbeitsausführung ermöglicht,
von Anschluss-Interesse sein.
LITERATURVERZEICHNISABENDROTH, C. / FILIPPETTI, S. / HENDRIX, U. / MATYS, T. / WEHRS, A. /
- 144 -
WORRINGEN, A.: Das Gestalten von Grenzen.
Unternehmensübergreifende Kooperation und deren Folgen für die
Arbeitskräfte. Eine arbeitssoziologische Untersuchung am Beispiel des
Outsourcing. Zwischenbericht (DFG-Projekt). Wuppertal 2002
(unveröffentlicht)
ADORNO, T. W.: Individuum und Organisation, in: Neumark, F. (Hrsg.):
Individuum und Organisation. Darmstädter Gespräch. Darmstadt 1953,
S. 21 - 35.
ALTMANN, N. ET AL.: Ein "Neuer Rationalisierungstyp"- neue Anforderungen an
die Industriesoziologie, in: Soziale Welt, 37, H. 2/3, 1986, S. 189 - 208
BAETHGE, M: Abschied vom Industrialismus: Konturen einer neuen
gesellschaftlichen Ordnung. In: Baethge, M. / Wilkens, I. (Hrsg.): Die
große Hoffnung für das 21. Jahrhundert? Perspektiven und Strategien für
die Entwicklung der Dienstleistungsbeschäftigung. Opladen 2001, S. 23 -
44
DERS.: Subjektivität als Ideologie. Von der Entfremdung in der Arbeit zur
Entfremdung auf dem (Arbeits-)Markt? In: Schmidt, G. (Hrsg.): Kein
Ende der Arbeitsgesellschaft. Arbeit, Gesellschaft und Subjekt im
Globalisierungsprozess. Berlin 1999, S. 29 - 44
DERS.: Arbeit, Vergesellschaftung, Identität – zur zunehmenden normativen
Subjektivierung der Arbeit. In: Zapf, W. (Hrsg.): Die Modernisierung
moderner Gesellschaften. Frankfurt am Main/New York 1991, S. 260 -
278
DERS. / BAETHGE-KINSKY, V.: Jenseits von Beruf und Beruflichkeit? Neue
Formen von Arbeitsorganisation und Beschäftigung und ihre Bedeutung
für eine zentrale Kategorie gesellschaftlicher Integration. In: MittAB 3/98
(1998a), S. 461 - 472
DIES.: Der implizite Innovationsmodus. Zum Zusammenhang von betrieblicher
Arbeitsorganisation, human resource development und Innovation. In:
Lehner, F. et al. (Hrsg.): Beschäftigung durch Innovation,
München/Mering 1998b, S. 99 - 153
BAETHGE, M. / OBERBECK, H.: Systemische Rationalisierung von
Dienstleistungsarbeit und Dienstleistungsbeziehungen: Eine neue
Herausforderung für Unternehmen und wissenschaftliche Analyse. In:
Rock, R. / Ulrich, P. / Witt, F.: Strukturwandel der
Dienstleistungsrationalisierung, Frankfurt/New York 1990, S. 149 - 175
BALOG, A.: Neue Entwicklungen in der soziologischen Theorie. Auf dem Weg zu
einem gemeinsamen Verständnis der Grundprobleme. Stuttgart 2001
BARTELHEIMER, P.: Nichts mehr total normal - „Atypische“ Arbeitsverhältnisse
und „entstandardisierten“ Erwerbsverläufe. In: Institut für Sozial-
wissenschaftliche Forschung (Hrsg.): Jahrbuch Sozialwissenschaftliche
Technikberichterstattung 1998, Sonderband „Beobachtungsfeld Arbeit“.
München/Berlin, S. 165 - 207
- 145 -
BAUKROWITZ, A. / BOES, A.: Arbeit in der Informationsgesellschaft. Einige
Überlegungen aus einer (fast schon) ungewohnten Perspektive, in:
Schmiede, R. (Hrsg.): Virtuelle Arbeitswelten, Berlin 1996, S. 129 - 157
DIES.: Wider die Mär einer humanen Arbeit in der Informationsgesellschaft. In:
FifF Kommunikation, 4/97, S. 18 - 23
DIES.: Qualifikationswandel in der Informationsgesellschaft. Referat zum
Seminar „Arbeit in der Informationsgesellschaft – Entwicklung der
Qualifikationsanforderungen und der beruflichen Strukturen“ im Rahmen
des Weiterbildungsstudiums Arbeitswissenschaft an der Universität
Hannover, Marburg 1998, in: http://w2.wa.uni-hannover.de/Ref04-c.htm
BECK, U.: Wohin führt der Weg, der mit dem Ende der
Vollbeschäftigungsgesellschaft beginnt? In: Beck, U. (Hrsg.): Die Zukunft
von Arbeit und Demokratie, Frankfurt 2000, S. 7 - 66
BECKENBACH, N. / TREEK, W. V. (HRSG.): Umbrüche der gesellschaftlichen
Arbeit, Soziale Welt, Sonderband 9. Göttingen 1993
BERGER, P. L. / LUCKMANN, T.: Die gesellschaftliche Konstruktion der
Wirklichkeit: Eine Theorie der Wissenssoziologie. Frankfurt am Main
1980
BERTRAM, H. ET AL.: Das Gestalten von Grenzen. Ko-operative Formen
unternehmensübergreifender Zusammenarbeit und deren Folgen für die
Arbeitskräfte – Eine arbeitssoziologische Untersuchung am Beispiel des
Outsourcing. Antrag an die DFG, Wuppertal 1999 (unveröffentlicht)
BIERHOFF, B.: Zum Zusammenhang von Arbeit, Charakter und Erziehung. In:
http://www.erichfromm.de/lib_2/bierhoff01.html, 2001
BÖHLE, F.: Arbeit – Subjektivität und Sinnlichkeit. Paradoxien des modernen
Arbeitsbegriffs. In: Schmidt, G. (Hrsg.): Kein Ende der
Arbeitsgesellschaft. Arbeit, Gesellschaft und Subjekt im
Globalisierungsprozeß. Berlin 1999, S. 89 - 110
DERS. / SCHULZE, H.: Subjektivierendes Arbeitshandeln. Zur Überwindung einer
gespaltenen Subjektivität. In: Schachtner, C. (Hrsg.): Technik und
Subjektivität. Das Verhältnis zwischen Mensch und Computer aus
interdisziplinärer Sicht. Frankfurt am Main 1997, S. 26 - 46
BOES, A.: Subjektbedarf und Formierungszwang. Überlegungen zum
Emanzipationspotential der Arbeit in der „Informationsgesellschaft“. In:
Bulmahn, E. et al. (Hrsg.): Informationsgesellschaft, Medien, Demokratie.
Kritik, Positionen, Visionen. Marburg 1996, S. 109 - 124
BOHN, C. / HAHN, A.: Pierre Bourdieu. In: Kaesler, D. (Hrsg.): Klassiker der
Soziologie, Bd. 2: Von Talcott Parsons bis Pierre Bourdieu, München
1999, S. 252 - 271
BOLLINGER ET AL.: „Atypische“ Beschäftigung – Betriebliche Kalküle und
Arbeitnehmerinteressen. In: Semlinger, K. (Hrsg.): Flexibilisierung des
- 146 -
Arbeitsmarktes. Interessen, Wirkungen, Perspektiven. Frankfurt/New York
1991, S. 177 - 199
BONß, W.: Jenseits der Vollbeschäftigungsgesellschaft. Zur Evolution der Arbeit
in globalisierten Gesellschaften. In: Schmidt, G. (Hrsg.): Kein Ende der
Arbeitsgesellschaft. Arbeit, Gesellschaft und Subjekt im
Globalisierungsprozess. Berlin 1999, S. 145 - 175
DERS. ET AL.: Arbeitsmarkt. In: Allmendinger, J. et al. (Hrsg.): Soziologie des
Sozialstaats, München 2000, S. 109 - 144
BOURDIEU, P.: Sozialer Raum und ‚Klassen‘. Frankfurt am Main 1985
DERS.: Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital. In: Kreckel,
R.: Soziale Ungleichheiten, Göttingen 1983, S. 183 - 198
DERS. / WACQUANT, L. J. D.: Reflexive Anthropologie. Frankfurt am Main 1996
BRACZYK, H.-J.: Organisation in industriesoziologischer Perspektive. In:
Ortmann et al. (Hrsg.): Theorie der Organisation. Die Rückkehr der
Gesellschaft. Opladen 1997, S. 530 - 575
BRAND, G.: Das Ende der Massenproduktion – Wirklich? In: Erd, R. et al.
(Hrsg.): Strukturwandel in der Industriegesellschaft, Frankfurt 1986,
S. 103 - 122
BRÖCKLING, U.: Totale Mobilmachung. Menschenführung im Qualitäts- und
Selbstmanagement. In: Ders. et al. (Hrsg.): Gouvernementalität der
Gegenwart. Studien zur Ökonomisierung des Sozialen. Frankfurt am Main
2000, S. 131 - 167
BRUCH, M.: Herrschaft in der modernen Gesellschaft. Zur Bedeutung des
Organisationsverhältnisses in kritischen Theorien der Gesellschaft.
Wiesbaden 2000
BULLINGER, H. J. ET AL.: Das virtuelle Unternehmen – Konzept, Stand,
Aussichten. In: Gewerkschaftliche Monatshefte, H. 6/1995, S. 376 - 392
CONZE, W.: Arbeit. In: Brunner, O. et al. (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe.
Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache, Bd. 1., Stuttgart
1972, S. 154 - 215
DEUTSCHE FORSCHUNGSGEMEINSCHAFT (HRSG. V. BURKART LUTZ):
Entwicklungsperspektiven von Arbeit. Ergebnisse aus dem
Sonderforschungsbereich 333 der Universität München. Berlin 2001
DEUTSCHMANN, C.: Postindustrielle Industriesoziologie. Theoretische
Grundlagen, Arbeitsverhältnisse und soziale Identitäten. Weinheim und
München 2002
DERS.: Lean production: Der kulturelle Kontext. In: Bracyk, H. J. / Schienstock,
G. (Hrsg.): Kurswechsel in der Industrie – Lean Production in Baden-
Württemberg. Stuttgart 1996, S. 123 - 139
- 147 -
DOSTAL, W.: Telearbeit in der Informationsgesellschaft. Zur Realisierung offener
Arbeitsstrukturen in Betrieb und Gesellschaft. Göttingen 1999
ELIAS, N.: Über den Prozeß der Zivilisation. Sozio- und psychogenetische
Untersuchungen. 2 Bde. Frankfurt am Main 1976
ELSIK, W.: Zur Legitimationsfunktion neuer Produktions- und
Organisationskonzepte für das Personalmanagement. In: ZfP, 4/1996, S.
331 - 357
FAUST, M. ET AL.: Dezentralisierung von Unternehmen. Bürokratie- und
Hierarchieabbau und die Rolle betrieblicher Arbeitspolitik.
München/Mehring 1995
FUNDER, M.: Entgrenzung von Organisationen – eine Fiktion? In: Minssen, H.
(Hrsg.): Begrenzte Entgrenzungen. Wandlungen von Organisation und
Arbeit. Berlin 2000, S. 19 - 46
GIDDENS, A.: Die Konstitution der Gesellschaft. Grundzüge einer Theorie der
Strukturierung. Frankfurt am Main 1988a
DERS.: Die ′Theorie der Strukturierung′. Ein Interview mit Anthony Giddens
(geführt von Bernd Kießling). In: Zeitschrift für Soziologie, Jg. 17, 1988,
S. 286 - 295 (1988b)
GORZ, A.: Arbeit zwischen Misere und Utopie. Frankfurt am Main 2000
DERS.: Kritik der ökonomischen Vernunft. Sinnfragen am Ende der
Arbeitsgesellschaft. Hamburg 1994
HAHNE, A.: Zur Bedeutung der Arbeit in der Marktwirtschaft. In:
http://www.erichfromm.de/lib_2/hahne01.html, 2001
HEIDENREICH, M. / TÖPSCH, K.: Die Organisation von Arbeit in der
Wissensgesellschaft. In: Industrielle Beziehungen, 5. Jg., H. 1, 1998, S. 13
- 44
HETTLAGE, R.: Identitätsmanagement. Soziale Konstruktionsvorgänge zwischen
Rahmung und Brechung. In: WeltTrends Nr. 15, Sommer 1997, S. 7 - 23
IFS/INIFES/SOFI (HRSG.): Jahrbuch Sozialwissenschaftliche
Technikberichterstattung. Schwerpunkt Dienstleistungsarbeit. Berlin 1992
IFS/INIFES/ISF/SOFI (HRSG.): Jahrbuch Sozialwissenschaftliche
Technikberichterstattung. Schwerpunkt Produktionsarbeit. Berlin 1993
IFS/INIFES/ISF/SOFI (HRSG.): Jahrbuch Sozialwissenschaftliche
Technikberichterstattung 1996. Schwerpunkt Reorganisation. Berlin 1997
JÄGER, W.: Industrielle Arbeit im Umbruch. Zur Analyse aktueller
Entwicklungen. Weinheim 1989
JANNING, F.: Pierre Bourdieus Theorie der Praxis. Analyse und Kritik der
konzeptionellen Grundlagen einer praxeologischen Soziologie. Opladen
1991
- 148 -
KERN, H. / SCHUMANN, M.: Arbeit und Sozialcharakter: Alte und neue
Konturen. In: Matthes, J. (Hrsg.): Krise der Arbeitsgesellschaft?
Verhandlungen des 21. Deutschen Soziologentages in Bamberg 1982.
Frankfurt 1983, S. 353 - 365
DIES.: Das Ende der Arbeitsteilung? Rationalisierung in der industriellen
Produktion: Bestandsaufnahme, Trendbestimmung. München 1984
KEUPP, H.: Identitäten im gesellschaftlichen Umbruch. In:
PsychotherapeutenFORUM 1/2000, S. 5 - 12
DERS. (HRSG.): Der Mensch als soziales Wesen. Sozialpsychologisches Denken
im 20. Jahrhundert. Ein Lesebuch. München 1998
DERS.: Ambivalenzen postmoderner Subjektivität. In: Beck, U. / Beck-
Gernsheim, E.: Riskante Freiheiten. Frankfurt am Main 1994a, S. 336 -
349
DERS. (HRSG.): Zugänge zum Subjekt. Perspektiven einer reflexiven
Sozialpsychologie. Frankfurt am Main 1994b
KEUPP, H. ET AL.: Identitätskonstruktionen. Das Patchwork der Identitäten in der
Spätmoderne. Reinbek 1999
KLEEMANN, F. / MATUSCHEK, I. / VOß, G. G.: Zur Subjektivierung von Arbeit.
Veröffentlichungsreihe der Querschnittsgruppe Arbeit & Ökologie beim
Präsidenten des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung. Berlin
1999
KOCKA, J. / OFFE, C. (HRSG.): Geschichte und Zukunft der Arbeit. Frankfurt
2000
KRÖMMELBEIN, S.: Krise der Arbeit – Krise der Identität? Institutionelle
Umbrüche der Erwerbsarbeit und subjektive Erfahrungsprozesse in den
neuen Bundesländern. Berlin 1996
KUHN, T.: Vom Arbeitnehmer zum Mitunternehmer. Anmerkungen zur Intention,
Begründung und Umsetzung eines Transformationsvorhabens. In: ZfP,
2/97, S. 195 - 220
LUTZ, B.: Die Lösung aus einem bewährtem Paradigma: Herausforderungen und
Schwierigkeiten (Teil der Einleitung). In: Deutsche
Forschungsgemeinschaft (hrsg. v. Burkart Lutz):
Entwicklungsperspektiven von Arbeit. Ergebnisse aus dem
Sonderforschungsbereich 333 der Universität München. Berlin 2001, S. 2 -
9
MARX, K.: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, Band 1, MEW Bd. 23.
Berlin 1979
DERS.: Resultate des unmittelbaren Produktionsprozesses. Frankfurt am Main
1970
- 149 -
MEYER, J. W. / ROWAN, B.: Institutional organizations. Formal structure as
myth and ceremony. In: American Journal of Sociology, 83, 1977, S. 340 -
363
MINSSEN, H. (HRSG.): Begrenzte Entgrenzungen. Wandlungen von Organisation
und Arbeit. Berlin 2000
MOLDASCHL, M. / SAUER, D.: Internalisierung des Marktes – zur Dialektik von
Kooperation und Herrschaft. In: Minssen, H. (Hrsg.): Begrenzte
Entgrenzungen. Wandlungen von Organisation und Arbeit. Berlin 2000, S.
205 - 224
DERS. / VOß, G. G. (HRSG.): Subjektivierung von Arbeit. München und Mering
2002
MÜLLER, B.: Kooperation erhöht die Schlagkraft. In: Handelsblatt vom
11.03.1998
MÜLLER, H. P.: Kultur, Geschmack und Distinktion. Grundzüge der
Kultursoziologie Pierre Bourdieus, in: Neudhardt, F. et al. (Hrsg.): Kultur
und Gesellschaft. Sonderheft der Kölner Zeitschrift für Soziologie und
Sozialpsychologie, Opladen 1986, S. 162 - 190
NECKEL, S.: Die Mechanismen symbolischer Macht. Kabylen und Kapitalismus:
Zum 70. Geburtstag von Pierre Bourdieu. In: Frankfurter Rundschau vom
01. August 2000, S. 20 („Forum Humanwissenschaften“)
ORTMANN, G. / SYDOW, J. / TÜRK, K. (HRSG.): Theorien der Organisation. Die
Rückkehr der Gesellschaft. Opladen 1997
ORTMANN, G.: Formen der Produktion. Organisation und Rekursivität. Opladen
1995
DERS.: Mikropolitik und systemische Kontrolle. In: Bergstermann, I. / Brandher-
Böhmker, R.: Systemische Rationalisierung als sozialer Prozeß. Bonn
1990, S. 99 - 120
PFEIFFER, S.: Dem Spürsinn auf der Spur. Subjektivierendes Arbeitshandeln an
Internet-Arbeitsplätzen am Beispiel Information-Broking. München und
Mering 1999
DIES.: Wired: Telearbeit. In: Dies.: Dem Spürsinn auf der Spur. Subjektivierendes
Arbeitshandeln an Internet-Arbeitsplätzen am Beispiel Information-
Broking. München und Mering 1999, S. 40 - 48
PICOT, A. / REICHWALD, R. / WIGAND, R. T.: Die grenzenlose Unternehmung.
Information, Organisation und Management. Wiesbaden 2001
PIORE, M. / SABEL, CH.: Das Ende der Massenproduktion, Studie über die
Requalifizierung der Arbeit und die Rückkehr der Ökonomie in der
Gesellschaft. Berlin 1985
- 150 -
PRIES, L.: Betrieblicher Wandel in der Risikogesellschaft. Empirische Befunde
und konzeptionelle Überlegungen. München u. a. 1998
RAEHLMANN, I.: Entwicklung von Arbeitsorganisationen. Voraussetzungen,
Möglichkeiten, Widerstände. Opladen 1996
ROSENSTIEL VON, L. / MOLT, W. / RÜTTINGER, B.: Organisationspsychologie.
Stuttgart 1995
SABEL, CH.: Struktureller Wandel der Produktion und neue
Gewerkschaftsstrategien. In: PROKLA, Heft 62, März 1986, S. 41 - 60
SAUER, D. / DÖHL, V.: Die Auflösung des Unternehmens? – Entwicklungs-
tendenzen der Unternehmensreorganisation in den 90er Jahren, in:
IFS/INIFES/SOFI (Hrsg.): Jahrbuch Sozialwissenschaftliche
Technikberichterstattung. Schwerpunkt Reorganisation. Berlin 1997, S. 19
- 76
DIES.: Arbeit an der Kette. Systemische Rationalisierung
unternehmensübergreifender Produktion, in: Soziale Welt 45, 1994, S. 197
- 215
DIES.: Kontrolle durch Autonomie – Zum Formwandel von Herrschaft bei
unternehmensübergreifender Rationalisierung, in: Sydow, J. / Windeler, A.
(Hrsg.): Management interorganisationaler Beziehungen, Opladen 1992,
S. 258 - 274
SAUER ET AL.: Restrukturierung industrieller Produktion –
unternehmensübergreifende Rationalisierung und ihre Folgen für die
Arbeit. In: Deutsche Forschungsgemeinschaft (hrsg. v. Burkart Lutz):
Entwicklungsperspektiven von Arbeit. Ergebnisse aus dem
Sonderforschungsbereich 333 der Universität München. Berlin 2001, S.
183 – 212
SCHIMANK, U.: Handeln und Strukturen. Einführung in die akteurtheoretische
Soziologie. Weinheim 2000
SCHIMANY, P.: Globalisierung aus sozialwissenschaftlicher Perspektive. In:
Ders. / Seifert, M. (Hrsg.): Globale Gesellschaft? Perspektiven der Kultur-
und Sozialwissenschaft. Frankfurt am Main 1997, S. 137 - 168
SCHMID, G.: Arbeitsplätze der Zukunft. In: Kocka, J. / Offe, C. (Hrsg.):
Geschichte und Zukunft der Arbeit. Frankfurt 2000, S. 234 - 264
SCHMIEDE, R. (HRSG.): Virtuelle Arbeitswelten. Berlin 1996
DERS.: Informatisierung und Subjektivität. In: Konrad, W. / Schumm, W. (Hrsg.):
Wissen und Arbeit. Neuer Konturen von Wissensarbeit, Münster 1999,
S. 134 - 151
DERS. (HRSG.): Arbeit und Subjektivität. Beiträge zu einer Tagung der Sektion
Industrie- und Betriebssoziologie in der dt. Gesellschaft für Soziologie.
Bonn 1988
- 151 -
SCHMIDT, G. (HRSG.): Kein Ende der Arbeitsgesellschaft. Arbeit, Gesellschaft
und Subjekt im Globalisierungsprozess. Berlin 1999
DERS.: Lean-production – konzeptionelle Überlegungen zu einer Zauberformel,
in: Bracyk, H. J / Schienstock, G. (Hrsg.): Kurswechsel in der Industrie –
Lean Production in Baden-Württemberg. Stuttgart 1996, S. 123 - 139
SCHUMANN, M. / GERST, D.: Produktionsarbeit – Bleiben die
Entwicklungstrends stabil? In: IFS/INIFES/ISF/SOFI (Hrsg.): Jahrbuch
Sozialwissenschaftliche Technikberichterstattung 1996. Schwerpunkt
Reorganisation, Berlin 1997, S. 131 - 179
SCHUMM, W.: Kapitalistische Rationalisierung und die Entwicklung
wissensbasierter Arbeit. In: Konrad, W. / Schumm, W. (Hrsg.): Wissen
und Arbeit. Neuer Konturen von Wissensarbeit, Münster 1999, S. 153 -
183
SCHWINGEL, M.: Pierre Bourdieu zur Einführung. Hamburg 1998
SENNETT, R.: Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus. Berlin
2000
SYDOW, J.: Strategische Netzwerke. Evolution und Organisation. Wiesbaden
1992
TREIBEL, A.: Einführung in soziologische Theorien der Gegenwart. Opladen
1997
TÜRK, K.: Organisation als Institution der kapitalistischen
Gesellschaftsformation. In: Ortmann, G. / Sydow, J. / Türk, K. (Hrsg.):
Theorien der Organisation. Die Rückkehr der Gesellschaft. Opladen 1997,
S. 124 - 176
DERS.: Einblicke in die Soziologie der Organisation. Studienskript der
FernUniversität – Gesamthochschule Hagen. Kurseinheit 1:
Organisationen in der modernen Gesellschaft. Hagen 1996a
DERS.: Einblicke in die Soziologie der Organisation. Studienskript der
FernUniversität – Gesamthochschule Hagen. Kurseinheit 2: Die Strukturen
von Organisationen. Hagen 1996b
DERS.: "Die Organisation der Welt". Herrschaft durch Organisation in der
modernen Gesellschaft. Opladen 1995
DERS.: Neuere Entwicklungen in der Organisationsforschung. Ein Trend Report.
Stuttgart 1989
DERS.: Qualifikation und Compliance. In: mehrwert 24, 1984, S. 46 - 67
DERS.: Personalführung und soziale Kontrolle. Stuttgart 1981
VORMBUSCH, U.: Betriebliche Leistungsgruppen in der ´schlanken´ Fabrik.
´Statusneutrale´ Kooperation als Medium der Rationalisierung. In:
Zeitschrift für Soziologie, Jahrgang 28, Heft 4, August 1999, S. 263 - 280
- 152 -
VOß, G. G.: Auf dem Wege zum Individualberuf? Zur Beruflichkeit des
Arbeitskraftunternehmers. In: Kurz, T. (Hrsg.): Aspekte des Berufs in der
Moderne. Opladen 2001, S. 287 - 314
DERS.: Die Entgrenzung von Arbeit und Arbeitskraft – Eine subjektorientierte
Interpretation des Wandels der Arbeit. In: MittAB 3/1998, S. 473 - 487
DERS. / PONGRATZ, H. J.: Der Arbeitskraftunternehmer. Eine neue Grundform
der Ware Arbeitskraft? In: KZfSS, Jg. 50 (1), 1998, S. 131 - 158
DIES. (HRSG.): Subjektorientierte Soziologie. Karl Martin Bolte zum siebzigsten
Geburtstag. Opladen 1997
WACHTLER, G.: Humanisierung der Arbeit und Industriesoziologie. Eine
soziologische Analyse historischer Vorstellungen humaner
Arbeitsgestaltung. Stuttgart u. a. 1979
WEBER, M.: Wirtschaft und Gesellschaft. Tübingen 1985
DERS.: Die protestantische Ethik. Gütersloh 1984
WILLKE, G.: Die Zukunft unserer Arbeit. Frankfurt am Main/New York 1999
ZIMA, P. V.: Theorie des Subjekts. Subjektivität und Identität zwischen Moderne
und Postmoderne. Tübingen und Basel 2000
ZIMOLONG B. / WINDEL, A.: Mit Gruppenarbeit zu höherer Leistung und
humaneren Arbeitstätigkeiten? In: Zimolong, B. (Hrsg.):
Kooperationsnetze, flexible Fertigungsstrukturen und Gruppenarbeit.
Opladen 1996, S. 140 – 171
- 153 -
- 154 -
ERKLÄRUNG
Hiermit versichere ich, diese Arbeit selbständig und ohne unerlaubte Hilfsmittel
angefertigt zu haben.
Thomas Matys
- 155 -
ANLAGE
In der Anlage ist eine CD-ROM beigefügt, die eine Version der Diplomarbeit im
MS-Word-Format sowie ′Spiegelungen′ der Internetseiten enthält, aus denen die
drei verwendeten – ausschließlich im Internet verfügbaren – Aufsätze entnommen
wurden.