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 Ernst Wolfgang Orth Die unerfüllte Rolle Descartes• in der Phänomenologie Das Verhälmis der Phänomenologie zu Descutes ist von einer merkwürdigen Vieldeutigkeit, ja Unausgcwogcnheit besrimmt. Das könnte zunächst darin motiviert sein, daß die Phänomeno als Richtungen, Autoren und Phasen glieden. So scheint es nahezu liegen, der älteren, rationaleren Phänomenologie ein positiveres Descartes-Bild 1u unterstellen als der jüngeren, die entschiedene Kritik am Rationali smus und an der konstiruri ve n Subjektivitäts theorie übt. Hier ließen sich beispielsweise Husserl und Heidegger gegeneinander stellen. Bei genauerem Hinsehen zeigen sich jedoch beim einzelnen phänomenologischen Autor selbst Unausgewo genheiten und Spannunge n, was die Dcscanes-Auff assung betrif ft. Ich kann mich deshalb hier auf den Begründer und immer noch paradigmatischen Repräsentanten der phänomenologischen Be wegung , auf Husserl selbst beziehen, um Descartes eigentümliche Rolle für die Phänomenologie und in der Phänomenologie zu beleuchten. Für Husserl, der 1929 seine eigen e Philosophie in einem Sorbonne Vonrag unter dem Titel •Cane sian ische Meditationen« {v gl . Hua 1 \ Ortrug, ist Descartes einerseits der Kron ze uge der phänomeno logischen Bewußtseinsphilosophi e als Erster Philosophie, ander er seits aber auch der lnaugurator für•all das große Unheile Hua vu, S. 73) in der neueren Philosophie und Kultur.  In seine r Vorlesung •Erste Philosophie: Erster Tei1. Kritische Ideengeschichte< von 1923/z4 nennt Husserl drei Philosophen, die ihm •im Rückblick auf die gesamte Historie der europäischen Philosoph ie v or all em entgegenleuchten•, •es sind die Namen der größten Anfänger, Wegeröffner der Philosophie. An erster Stel le nenne ich Platon, Husserl wird hier nach der bisher 3obandigeo Gesamtausgabe HMSSer- lia114 Edmund Husstrl Gesammelte Werke die 1950 Archiv/löwen publiziert wird, als Hua mit lateinischer Banduhl und arab isch er Seiten7.ahl zitiert. 286 oder vielmehr da s unvergleichliche Doppelgestirn Sokrates-Pla ton«. n zwei ter Stelle nenne ich Descartes. Seine Meditationes de prima philosophia bedeuten in der Geschich te der Philosophie dadurch einen völlig neuen Anfang, daß sie in einem bis dahin unerhörten Radikalismus den Versuch machen, den absolut not wendigen Anfang der Philosophie zu entdecken und dabei diesen Anfang aus der absoluten und völlig reinen Selbsterkenntnis zu schöpfen. Von diesen denkwürdigen •Besinnungen über die Erste Philosophie < stammt die durch die ganze Neuzeit hindurchge hende Tendenz zur Neugestaltung aller Philosophie in eine Tran s zendentalphilosophie. Damit ist aber nicht nur ein Grundcharak ter der Phi l osophie der Neuzeit, sondern, wie nicht mehr zu be zweifeln ist, derjenige aller wissenschaftlichen Philosophie überhaupt und für alle Zukunft beze ichn et« (Hu a v11, S. 7, 8). In derselben Vorlesung jedoch wird Husserl Descanes auch bald scharf kritisieren: •Descartes ist vor der von ihm eröffneten Pfone der transzendentalen Philosophie, der allein wahrhaft radikalen Philosophie, stehen gebli eben; den Gang in das nie betretene aber sehr wohl zu betrete nde •Reich der Mütter• hat er nicht angetreten. Sein philosophischer Radikalismus versagte. Seine überzeugung, man müsse auf die Urgr ünde aller Erkenntn is in der transzenden talen Subjektivität zurückgehen, brachte für ihn und die Folgezeit nicht die rechte Frucht, weil er es eben nicht vermochte, dem tieferen Sinn eines solchen Radikalismus genug zu tun. Er miß versteht seinen eigenen guten Anfang, weil er die klärende Be sinnung nicht bis zum erfüllenden Ende forttrei bt. Daher erliegt er alsbald Problemen, die für ihn sonst als widersinnige erkennbar gewesen wären. Eben damit hä ngt all das große Unheil zusammen, das Descartes in eins mit den neuen und segens reichen lmpulsen der neueren Philosophie gebracht hat. Seine Unklarheiten, seine Scheinprobleme, seine verkehrte Zwei-Substan Zen-Lehre, auf dem Untergrunde einer nicht minder verkehrten e g r ü ~ d u n g d~r ma themarischen W1Ssenschaften, bestimmen und beirren die Zu kunft. Sowenig wird Descartes zum Begründer einer auf dem transzendentalen Boden, dem ego cogito, gebauten u n ~ d nn wirklich transzendentalen Philosophie, daß er durchaus am ob jektivistischen Vorurt eil befangen bleibt• (Hu a VII, S. 73). Man kann in diesem Text den Anspruch eines Canesiancrs er kennen, der behauptet, Descartes Entdeckung besser e r s t n d ~ n zu haben und angemessener zu nutzen als dieser selbst. Ludwig 287

Orth descartes. Ñañara, quimbombo

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  • Ernst Wolfgang Orth Die unerfllte Rolle Descartes

    in der Phnomenologie

    Das Verhlmis der Phnomenologie zu Descutes ist von einer merkwrdigen Vieldeutigkeit, ja Unausgcwogcnheit besrimmt. Das knnte zunchst darin motiviert sein, da die Phnomeno-logie als sogenannte Bewegung sich in durchaus differierende Richtungen, Autoren und Phasen glieden. So scheint es nahezu-liegen, der lteren, rationaleren Phnomenologie ein positiveres Descartes-Bild 1u unterstellen als der jngeren, die entschiedene Kritik am Rationalismus und an der konstiruriven Subjektivitts-theorie bt. Hier lieen sich beispielsweise Husserl und Heidegger gegeneinander stellen. Bei genauerem Hinsehen zeigen sich jedoch beim einzelnen phnomenologischen Autor selbst Unausgewo-genheiten und Spannungen, was die Dcscanes-Auffassung betrifft. Ich kann mich deshalb hier auf den Begrnder und immer noch paradigmatischen Reprsentanten der phnomenologischen Be-wegung, auf Husserl selbst beziehen, um Descartes' eigentmliche Rolle fr die Phnomenologie und in der Phnomenologie zu beleuchten. Fr Husserl, der 1929 seine eigene Philosophie in einem Sorbonne-Vonrag unter dem Titel Canesianische Meditationen {vgl. Hua 1) \'Ortrug, ist Descartes einerseits der Kronzeuge der phnomeno-logischen Bewutseinsphilosophie als Erster Philosophie, anderer-seits aber auch der lnaugurator frall das groe Unheile (Hua vu, S. 73) in der neueren Philosophie und Kultur.1 In seiner Vorlesung Erste Philosophie: Erster Tei1. Kritische Ideengeschichte< von 1923/z4 nennt Husserl drei Philosophen, die ihm im Rckblick auf die gesamte Historie der europischen Philosophie vor allem entgegenleuchten, es sind die Namen der grten Anfnger, Wegerffner der Philosophie. An erster Stelle nenne ich Platon,

    1 Husserl wird hier nach der bisher 3obandigeo Gesamtausgabe HMSSer-lia114. Edmund Husstrl Gesammelte Werke, die seit 1950 vom Husscrl-Archiv/lwen publiziert wird, als Hua mit lateinischer Banduhl und arabischer Seiten7.ahl zitiert.

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    oder vielmehr das unvergleichliche Doppelgestirn Sokrates-Pla-ton. An zweiter Stelle nenne ich Descartes. Seine Meditationes de prima philosophia bedeuten in der Geschichte der Philosophie dadurch einen vllig neuen Anfang, da sie in einem bis dahin unerhrten Radikalismus den Versuch machen, den absolut not-wendigen Anfang der Philosophie zu entdecken und dabei diesen Anfang aus der absoluten und vllig reinen Selbsterkenntnis zu schpfen. Von diesen denkwrdigen Besinnungen ber die Erste Philosophie< stammt die durch die ganze Neuzeit hindurchge-hende Tendenz zur Neugestaltung aller Philosophie in eine Trans-zendentalphilosophie. Damit ist aber nicht nur ein Grundcharak-ter der Philosophie der Neuzeit, sondern, wie nicht mehr zu be-zweifeln ist, derjenige aller wissenschaftlichen Philosophie berhaupt und fr alle Zukunft bezeichnet (Hua v11, S. 7, 8). In derselben Vorlesung jedoch wird Husserl Descanes auch bald scharf kritisieren: Descartes ist vor der von ihm erffneten Pfone der transzendentalen Philosophie, der allein wahrhaft radikalen Philosophie, stehen geblieben; den Gang in das nie betretene aber sehr wohl zu betretende Reich der Mtter hat er nicht angetreten. Sein philosophischer Radikalismus versagte. Seine berzeugung, man msse auf die Urgrnde aller Erkenntnis in der transzenden-talen Subjektivitt zurckgehen, brachte fr ihn und die Folgezeit nicht die rechte Frucht, weil er es eben nicht vermochte, dem tieferen Sinn eines solchen Radikalismus genug zu tun. Er mi-versteht seinen eigenen guten Anfang, weil er die klrende Be-sinnung nicht bis zum erfllenden Ende forttreibt. Daher erliegt er alsbald Problemen, die fr ihn sonst als widersinnige erkennbar gewesen wren. Eben damit hngt all das groe Unheil zusammen, das Descartes in eins mit den neuen und segensreichen lmpulsen der neueren Philosophie gebracht hat. Seine Unklarheiten, seine Scheinprobleme, seine verkehrte Zwei-SubstanZen-Lehre, auf dem Untergrunde einer nicht minder verkehrten Begr~dung d~r ma-themarischen W1Ssenschaften, bestimmen und beirren die Zu-kunft. Sowenig wird Descartes zum Begrnder einer auf dem transzendentalen Boden, dem ego cogito, gebauten un~ dann wirklich transzendentalen Philosophie, da er durchaus am ob-jektivistischen Vorurteil befangen bleibt (Hua VII, S. 73). Man kann in diesem Text den Anspruch eines Canesiancrs er-kennen, der behauptet, Descartes' Entdeckung besser verstand~n zu haben und angemessener zu nutzen als dieser selbst. Ludwig

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  • Landgrcbes Formel von Husserls Abschied \'Om Canesianismusc in der spteren Entwicklung seiner Phnomenologie ist deshalb eher irritic:rc:nd.i Das, was Husserl fr Descartes' Entdeckung bh, wird er stets als entscheidend und fundamental ansehen; und die Ansicht, entdecken und fallen lassen seien bei Descartes eines-, findet sich schon in Husscrls frher Vorlesung von 1907 Die Idee der Phnomenologie (Hua 11, S. 10). Ja, man knnte umgekehrt die These wagen, Husserl sei in seiner Sptphilosophie von Mo-mcn eingeholt worden, die er bei Descartes als Abweichungen vom Cogiro-Gedanken angesehen hane. Was ist nun Descartes' Entdeckung? Sie besteht darin, da WISCtt Bemhungen, die Wirklichkeit angemessen zu erfassen, uns auf die Unbcrspringbarkeit einer die Wirklichkeit erfassenden Instanz fhren, die: im sogenannten Bewutsein, im Erleben, eben im ichlichen Cogito (in den Cogitationes) besteht. Dabei wird die Wirklichkeit dieser Instanz selbst als - in bestimmten Grenzen -unleugbar und insofern als gewi betrachtet, resp. erwiesen. Wich-tig ist, da Descartes die Sicherheit dieses Cogito nicht in jeder Hinsicht fr garantiert hlt und sowohl die bedingte Reichweite der in Anspruch genommenen Evidenz diskutiert als auch ande-res, zunchst nicht im punktueU Ichlichen liegendes, in Erw-gung zieht, um die Mglichkeit einer konsistenten Wirklichkeits-

    erf~sung zu erffnen. Das ist wichtig festzuhalten, weil Husscrls Kri~k genau in diese Richtung zielt. In emc:r noch unverffentlichten Vorlesung Einleitung in ~ Pbi-losoph1e von 1922/i 3 unterstreicht Husserl noch einmal die groSe

    ~c:utung von Descanes' Entdeckung des ego cogito und nenDI sie zugleich die trivialste Trivialitt fr den philosophisch Blin-den, aber das Wunder aUer Wunder fr den philosophisch Se-henden und Verstehenden. Aber Descartes habe hier nur einen archimedischen Punkte, sozusagen als Ankergrunde gesehen. In Wlfklichkeit handle es sich aber um einen Boden im Sinne eines umfassenden Arbeitsfeldes. J Husserl bezieht sich mit dieser Kritik 2 Vgl. Ludwig Landgrebc:: Dtr Wtg der Phnomenologie. D.s Problrm

    t'mer 11_npninglicben Erfabnmg, Gucersloh 1963, dort Nr. vm Husserls Abschied vom Cartesianismusc, S.123-2o6.

    3 VgL_NachW!manuskript MS F 1 29, 16b und Hua Y, S. 161. Zitiert nach Ullnch Melle: Apodiktische Reduktion: Die Kritik der cran.szcnden

    ~m Erfahrung und die Cartesianische Idee der Philosophie. lo: Cog-nitio H11m.114 - Dynamik dts Wissens 11nd der Werte. xwt. De.ucber

    auf seine Reduktionsmethode und das sogen.mnte Korrelations-Apriori. Diese beiden methodischen Gesichcspunkte ~gen, da der Rckgang auf das Cogico durchaus nicht eine Vernichtung der Weh bedeute. Vielmehr bleiben aUe Weltgehalte als imm.inente (auch >transzendent immanente) Korrelate der Cogitationes er-halten und knnen in einer entsprechenden Bedeutungsmodifika-tion als Phnomene der konkreten phnomenologischen For-schung zugnglich gemacht werden (\"gl. Hua m, S. 3 f.). Hitr trifft Descartes ein Vorwurf, den Husserl generell gegen den neu-zeitlichen Idealismus richtet= Aber der Idealismus war immer zu schnell mit seinen Theorien und konnte sich zumeist nicht von geheimen objekti\-istisc:ben ~oraussetzun~en freimachen_. od.e~ er bersprang als spekulattver die Aufgabe:, die tuelle Sub1ekm1u1 als aktuelle phnomenale Welt in Anschaulichkeit in Geltung habende:, konkret und analytisch zu befragen - was recht \"erstan den nichts anderes ist, als phnomenologische Reduktion voll-ziehen und transzendentale Phnomenologie ins Spiel 5t'tzen (Hua VI, s. 272). . In der Tat, Descartes stand fr die Auslegung des ego cog110 mcht das phnomenologische Theorem \'On der lntentio?alitit. das fr Husserl entscheidend ist, zur Verfgung. Aber da die Entdeckung des cogito isoliert in seinem Werk sunde, ohne es im ~usammenhang anderer Motive, von denen die Phnomc:nol~1c ubngens immer wieder eingeholt wurde und wird, zu sehen, ist unzumt fend. . Um das zu erlutern wiU ich vier Lehrstcke Descartes' in Erm-nerung rufen, deren 'Probleme alle in der Phnomenologie wi~ksam sind, obwohl nur eines ernsthaft, aber oft ungenau zur Dis-kussion gestellt wird, nmlich das cogito sum. Es handelt sich um folgende vier Themen "d 1) die Lehre von der moralt par prO'IJis1on und der Unterschet ung von scitnt1a und artts, 2) das cogito sum, 3) die Gonesbeweise, 4) die zwei Substanzen und die Funktion der Ausdehnu?& r h Ad 1 ). Im drinen Teil des Discours pldiert Descartes - eigent ic

    Kongren r;;r Pbiloso'flbie Leipzig 1996. WorkshopBenrage Bd. i, hnh_g. I' !' . , B 1 ,,,J. S 6J.o-6r. l(r

    von Chnstoph Hub1g und Hans Poser. er in 1;rr ' S.621.

  • zur Verwunderung der szientifischen Cogito-Cartesianer - fr eine mo:-11e par provis!onc.4 Es hande~t sich um eine vorliufige und Maxunen-Moral, die auf selbstgewisse Lerzcbegrndung zu-nchst gerade verzichtet. Descartes scheint geradezu von Odo Marquard belehrt. Er empfiehlt, sich an den bchlceiten zu orientieren (d. h. natrlich am wohlbekannten bon sense des 17. Jahrhundens). ~icht der letzte Sinn wird in Anspruch genom-men, sondern - wieder Marquard: Der Sinn - und dieser Satz steht fest - ist stets der Unsinn, den man ltc.5 Aber auch am spteren Husserl htte Descartes sich orientiert haben knnen, der in der :Krisis< von 1.936 in einer Art letzten Hoffnung in der yerzwei.fl~g formuliert: Der Mensch des alltglichen Lebens ist doch mcht vemunfdos, er ist ein denkendes Wesen, er hat das katholou gegenber dem lier, er hat daher Sprache, Beschrei-bung, er schliet, er stellt Wahrheitsfragen .. " usw. (Hua v1, S. 270). Es gehe Descartes wie Husserl darum a cultiver ma raison,6 aber er erkenne - frher als Husserl in seinem philo-sophischen Leben -, da die Vernunft in der durchschnittlichen Menschenwelt immer schon kultiviert ist und da wir auch als l~tztausweisende Wissenschaftler auf diese Vorgaben angewiesen ~md! auc.h we~n wir sie noch nicht voll transparent gemacht haben, J~ v1ell_e1cht rue machen werden. Kurz: hier kndige sich authen-nsch d1e Problematik an, die Husserl spt mit dem Lebenswelt-problem zu erfassen sucht, wobei er zu glauben scheint, Descanes entschieden berboten zu haben. Auch die in den Regulae< (1, 1) getroffene Unterscheidung zwi-sc~en. den sci.e~tiae, die letztlich in der einen (philosophischen) soena~ ~l~eren, und .den anes, die als mannigfaltige prakti-sche Fh1gke1ten unterschiedlichster Dimension im menschlichen Leben anzusehen sind, gehrt in diesen Zusammenhang.7 Die artes, d. h. Kunstfertigkeiten und praktische Kundigkeiten, wer-den von Descartes durchaus nicht negativ gewenet; sie sind sozu-

    s~gen natu~chsig etablierte und jeweils so oder so dimensio-nierte praktische Orientierungsfonnen im menschlichen Leben. -4 Discours de la Methode. In: CE1wres de Deroirtes (ed. Charles Adam et

    Paul Tannery), Vol. vi, Paris i96s, P 22 S Vgl. Odo Marquard: Apolog~ des Zuflligen. Phil-Osophisenswclt ab unvenne1 -9 u usscr s c: enswe ~~ he liehe lllusion? Husserls Lebensweichegriff und scme k~ltu~lulSC n

    _L _ _. p (Hrsg\. Proto10ziolo1ne im Kon-Weuerungen, m: GemMU reyer e.a. I o texL lebmstDtlt 1111d .System ur PbJosopbK 1mJ Soziologie, Wurz.burg 1996, s. 28-40.

  • originren Gehalt der Cogitationen jene Korrelation an, auf die Husserl so groen Wert legt. Denn einerseits ist die idea Zustand der Cogitationes selbst, andererseits ist sie der Anspruch auf Er-fassung (und Reprsentation) mogJjcher Wrrklichkeit. Sie ist in Husserls Worten Transzendenz. in der Immanenz; und sie ist wie bei Husser~ doppclsin_nige !ranszendenz.: einmal in Richtung auf auenweltl1che Wirkl1chke1t, zum anderen in Richtung auf eine

    ~eiterung des menschlichen Bewucseinsbegriffs-hin auf einen umversaleren Bcwutseinsbegriff, der sieb selbst trgt. Diese letz-tere Transzendenz weist bei Descartes auf Gott, bei Husserl auf die sogenannte konkrete transzendentale lntersubjektivitt, der er in seiner Sptphilosophie gelegentlich theologische Konnotationen verleiht. Auch das Zeitproblem als Beunruhigung der Sicherheit des Ich e~td~ckt Descartes, wenn. er die Sicherheit des Cogito vom tat ~achhchen ~ollzug abhngig macht. So oft (quocies) ich denke, bin ich. Und dies kann man als mentis intuitus und in konkreter

    Pr~enz nur ~ei sieb erfahren

  • geradezu . traditionell~ substanzmetaphysischer Sprache fgt Husserl hmzu: Das unmaoente Sein ist also zweifellos in dem Sinne absolutes Sein, da es prinzipiell nulla >re< indiget ad exi-stendum (Hua 111, S. J 1 s ). Es handelt sich dabei nicht nur um ein logisch erdachtes, sondern aktuelles Bewutsein (ebd., S. u6).U Aber Husserl benennt nicht die - auch schon Canesische - Mehr-

    fac_hmotiv~enheit seiner Einsicht, nmlich die Verbindung einer philosophischen Reflexion (sozusagen mitten im menschlichen Leben) mit einer logischen oder mathematikanalogen Problem-

    s~ung und.einem unsimulierbaren tatschlichen Vollzug.14 Da es Steh um eine >ausgezeichnete Sachlage< handelt, kann man so-~usag~n l_ogisch einsehen, man kann sich sogar formal die Mg-lichkeit emer solchen Sachlage als Problem ausdenken; die authen-tisch~ Sicherheit aber- und auch die Bedeutung dieser Sicherheit-vermtttelt erst der vorgngige oder der nachtrgliche tatschliche Vollzug. Husserl htt~ also. durchaus die Spannungen in seinem eigenen Vernunftbegnff bei Descanes paradigmatisch studieren knnen. Zu den drei Formen von Vernnftigkeit (oder Rationalitt) -reflexive Besinnung, logisch-mathematische resp. formale Pro-blemstellungskompetenz und aktueller Vollzug (oder Innesein) -kom~t allerdings noch als eine viene Form die Aufrichtigkeit oder verac1tas. Ad 3). Das fhn uns zum dritten Punkt, den Gottesbeweisen. Ich ~ill hier ~ic_ht J?es~anes' Gottesbeweise vorfhren und gar auf ihre Tr~higkeu hm berprfen. Auch die offenkundige, sozu-sagen wissenschaftstheoretische Funktion, die diese Beweise ne-ben mglichen anderen Funktionen haben, nmlich die szientili-sche Konsistenz des Cogito abzusichern, will ich hier nicht nher

    J 3 ~nlich argumenrien schon R. H. Lotze: Gnmdziige der Psycholog~. Diltt1tte ""!den Vorlrs1mgen, Leipzig 1881, 1889, S. 47, der die Selbst-gcgebcnhen des Ich von allen anderen Gegebenheiten auch denen des

    ~u und Er untcrscheideL Vgl. E. W. Onh: Psyche und Psychologie bei Rudolph l lermann Lotzc, in: Peter A. Schmid/Simooe Zurbuchen (Hrsg.): Grmun der ltritischrn Vnnunft. Helmut Holzbey zum 6o. Gebunstag, Basel 1997, S. 117-13z, hier S. 128 ff.

    14 Hier lie~t a~ch die Motivation dafr, das Problem des Anfangs ganz untersch1~hch aufzufassen. So ist eines der tatsichlich vollzogene Anfang, ein nderes der Entschlu zum Anfang resp. das Problemari-sieren des Anfangens.

    diskutieren. Der Hinweis ist allerdings geboten, da viele neuere Auffassungen von der universalen Tragweite der Wissenschaft und Philosophie einen gottesbeweis-analogen Charakter in bezug auf Wissenschaft und Philosophie haben (in einem zunchst ganz unpolemischen Sinne kartn von der Vergottung der Idee d~r Wis-senschaft resp. der Philosophie gesprochen werden. Das galt auch von manchen Anti-Cancsianem). Ich will nun vier Motive des Gottesbeweises nennen, die fr die Plnomenologie von Interesse sein mssen: a) das Problem der Veracitas, b) das Problem der Authentizitt, c) das Problem der Substancialitat, d) das Problem der lntersubjcktivitL . . a) Das Problem der Aufrichtigkeit bringt die Rolle der Freiheit und des Voluntativen ins Spiel. In den Ideen von 1913 begrndet Husserl die Mglichkeit der Reduktionsmeth~e, e~n ~ein Ve~fabren der Selbstvergewisserung und der Mghchkett einer uni-versalen rationalen Philosophie auf der Fhigkeit des Zwei~els, d.h. der epoche. Und dieser Zweifelsversuch gehn nach ihm in das Reich unserer vollkommenen Freiheit (Hua 111, S. 64). ln der Krisis von 1936 sagt Husserl, die Evidenz des ich b~ knne der Mensch nur haben in Form des Ringens ... darum, sich selbst wahrzumachen (Hua v1, S. 11). Die Mglichkeit sol~her Freiheit und solcher Veracitas hatte Husserl in den Ideen gar mcht und bis zur Krisis nur sehr eingeschrnkt crnen. Ebe.n desh~b konnte Heidegger 1929 in seinem Beitrag zur Husserl-Festschri_ft Vom Wesen des Grundes Husserls Transzendcntalphnomenologic mit dem Aufweis der Abgrndigkcit der Freiheit aushebeln.15 Mit Descanes hne es Heidegger schwerer gehabt. Denn Descanes siedelt das Veracitas-Problem das auch fr ihn sozusagen an der Voraussetzbarkeit von Aufrichtigkeit beim Menschen aufb~c?c, i~ Gottesproblem an. Weniger theologisch gesprochen: die Fahigke1t des Menschen zur Aufrichcigkeit mu in einem zwar von dem menschlichen Cogito indizienen, aber ber dieses hina~gehenden Zusammenhang diskutien werden. So knnte man:-~m cm m~~rnes< Paradigma zu whlen - beispielsweise auch dte mnere Verl-lichkeit der Evolution, aus welcher der Mensch herausgewachsen

    1s Vgl. Manin Heidcgger. Vom Wesen des Grundes (1929), jetzt in: ~egm.rr*en, GA Bd. 9, Frankfun 1976, S. 1_i3-1n, bes. S. 16_3 ff. D~c mgliche lkdeutung Dcscartcs' in diesen Uberlcgungen bleibt Hes-dcgger verborgen.

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  • ist und in der er steht, als Tuschungsquelle ansehen, sozusagen als eine Fehlprogrammienheit. Der genius malignus kann auch als das Maligne eines Prozesses oder einer Situation, in welcher der Mensch steht, verstanden werden.16 b) Was ich Authentizitt nenne, eine eher der Phnomenologie zuzuweisende Begrifflichkeit, ist nur die Kehrseite der veracitas. Das Erkennen der Wirklichkeit und seiner selbst ist weder bei Husserl noch bei Descartes ein blo konstruktivistisches Spiel oder eine An pragmatischer Heuristik. Vielmehr manifestien sich in ihm ein verbindliches Ethos. Es gebt dabei nicht darum, diese oder jene Erkennmis als absolut sicher auszuweisen, sondern zu verbrgen, da wissenschaftliches Erkennen im Ganzen das prinzipiell sinnvolle Verfahren ist (und nicht trgt). Und schon in Texten im Bereich der Vorlesung zur >Ersten Philosophie< wird Husserl erkenntnistheoretische Phnomenologie, Ontologie und Ethik unter dem Titel der universalen Selbstverantwonung zu-sammenfassen (vgl. Hua VIII, S. 193-274). Dabei gewinnt selbst das Thema >Weltanschauung als universelle Weltanschauung eine positive Note (Hua vm, S. 225). c) Da in dieser Authentizitt eine Art Substantialitt implizien wird, ist trotz Husserls dauernder Kritik an der traditionellen Substanz-Metaphysik offenkundig. Diese Substantialitt bekun-det sich in der Charakterisierung des transzendentalphnomeno-logiscben Bewutseins als immanentes Sein - und schlielich dessen als absolutes Sein (Hua m, S. 150), das alle brigen Realittsbegriffe erst sinnvoll machen kann (vgl. Hua m, S.135). Allerdings versucht Husserl hier einen Substanzdualismus zu ver-meiden. Seine alle Momente phnomenologisch umfassende Seins-region des transzendentalen Bewutseins erinnert allerdings an Spinozas Substanzenlehre, der sich bekanntlich auf eine und auf eine alles umfassende Substanz einrichtet, die eben Gon heit. d) Fr den Bezug auf Descanes' Gottesbeweise ergiebiger ist allerdings der Blick auf Husserls Intersubjektivittslebre. Die Er-nerung der Inter-Subjektivitt gegenber der egologischen Sub-

    16 Zum genius malignus vgl. Mcditationes ... , CF.Mv res Vol. v11, p. 22. Den Terminus veraciw benutzt Descartes im genannten Zusammenhang nicht. Das Veraciw-Problem wird aber als Himerg.rund sichtbar durch die Diskussion eines Gottes, der weder tuschen kann noch tuschen will, weil er 2llgtig ist.

    jektivitt hat bei Husserl eine hnliche Funktion wie bei Descartes die Sicherung der Mglichkeiten des Cogito durch den Ausblick auf Gon, der ja als und durch eine Idee des Cogito greifbar wird, ohne sich freilich in dieser Ideenvermineltheit zu erschpfen. Gon ist sozusagen das erste und paradigmatische alter ego. Descartes kennt also durchaus das lntersubjektivittsproblem; er fat es nur am anderen Ende an, an welches Husserl erst sehr spt - aber doch offenbar unvermeidlich - gelangt. Man mag das blo Analogische dieses Vergleichs kritisieren. Doch bereits Hclmuth Plcssner, der der Phnomenologie nahesteht und Husscrls Konzeption durch eine konkretere Fassung des Subjektiven (nmlich als natrlicher Mensch in exzentrischer Positionalitt) zu frdern sucht, erkennt im egologischen Subjekt eine konstitutive Angclcgtheit auf den Anderen, den er als Doppelgnger bezeichnet. Der Doppelgnger kommt bei Plessner zum einen in den mitmenschlichen Anderen zur Gelrung, zum anderen in Gon.17 Gott ist hier gleichsam die Extrapolation der menschlichen Subjektivitt (als Person in Rol-len) hin auf eine perfekte Form derselben (sozusagen die Rolle aller Rollen). Plessners philosophisch-anthropologische These heit: Der Mensch braucht den Theomorphismus fr die Organisation seines eigenen Selbst- und Welrverstndnisses, auch wenn die theologische Extrapolation durch keine Form rnn Realisierung einholbar ist. Husserl kommt zu durchaus hnlichen Ergebnissen auf dem Wege seiner Intentional-Analyse. Das menschliche Welt- und Selbstver-stndnis im Sinne einer Stabilisierung von Objektivitt (Husserl spricht von Urphnomenen der Objektivitt, Hua 1, S. 153) erfordert, da Lntentionen des einzelnen Menschen imme.r schon mit Intentionen anderer Menschen verflochten sind. ber seine lntersubjektivittslehre modifizien Husserl so auch seine Lehre von der Intentionalitt zu einer Lehre von der lnter-lntentionali-tt.11 Damit ist aber ein eigentmlicher Wandel des phnomeno-

    17 Vgl. Helmuth Plessncr. Die Stufen des Org2nischcn und der Mensch. Einleitung in die philosophische Anthropologie (1928), Gesammelte Schriften Bd. 1v, Frankfurt 1981, S. 4Z4 ders.: Die Frage nach der Conditio Huma.n2 (1961). Gesammt!lte Schnften Bd. vm, Frankfurt 1983, s. 198 ff., 203. 212 f.

    18 Vgl. E. W. Orth: lnterkulrurafit und lnrer-lmentioiulitt. Zu Hus-serls Ethos der Erneuerung in seinen jap2nischcn Kaizo-Artikeln. in: Zs.fphos.Forschg. Bd. 47 (1993), S. HJ-H 1 .

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  • logischen Iduls der Selbstgebung verbunden. Das Ich kann zwar den Zusammenhang aller mglichen Intentionen zu denken ver-suchen, ja in philosophischer Einstellung mu es dies run; es kann aber diesen Zusammenhang nicht mehr in phnomenologischer Selbstgebung prsentieren, exekutieren oder beherrschen. Deshalb spricht Husserl hinsichtlich der sogenannten konkreten transzen-dentalen lntersubjektivitt 1931/ 32 ausdrckch nur noch \'On auslegender Konstruktion der transzendentalen Intersubjektivi-tt (Hua xv, S. 384). In den Cartesianischen Meditationen (ab 1929) spricht Husserl nur von den universalen Strukturfor-men (Hua 1, S. 133), die in der Selbstauslegung des Cogito im Rahmen der lntersubjektivitt herausgearbeitet werden (eben in diesem Sinne konstruiert hatte auch Descartes!). Diese konkrete transzendentale 1ntersubjektivitt ist nun allerdings gerade in dem Mae, als sie konkret heit, d. h. keiner Fundierungen bedarf (nmlich deren ex definitione nicht mehr bedrftig ist}, wahrhaft absolut: Wie bei Hegel so ist auch bei Husserl das wahrhaft Konkrete das Absolute - und zwar ex definitione. Immer wieder wird Husserl in seiner Sptphilosophie die theologischen Konno-tationen dieser lntersubjektivitt und Inter-Intentionalitt insinu-ieren (Hua xv, Hua xxtx). In einem Text vom August 1936 wird Husserl schlielich auf dem Hintergrund der lntersubjekrivitt zwar nicht die Unsterblichkeit des Menschen, wohl aber diejenige des transzendental unmJichen Lebens wenn nicht zu beweisen, so doch aufzuweisen suchen (Hua xx1x, S. 338). Soweit dieses transzendentale Leben sich gem der Husserl-

    s~hen Sptphilosophie aber unvermeidlich konkret in einer orga-mschen Welt, mgen deren physische Individuen auch sterblich s~in, ma~ifes~ert, ergibt sich aus dieser Auffassung ein eigcnrm-licher SpmoZISmus, den Husserl natrlich nie ausdrcklich in Er-wgung gezogen hat. Das transzendentale Leben bekundet sich als die eine,. alles un:ifassende (intentional zusammenhngende) Sub-stanz, die allerdmgs nach ihren unterschiedlichen Anributen -z. B. rein geistiger Intentionalitt gegenber hyletischen Feldern - und auch nach ihren vielfltigen Modi differenziert werden kann. Ad 4 Das fhrt uns zum \ierten und letzten Punkt Descartes' Substanzlehre und seine Unterscheidung der zwei Substanzen res C.'Ctensa und res cogitans. Husserl kritisiert diese Lehre wie die meisten neueren Philosophen der unterschiedlichsten Provenienz

    - und zwar tnit guten Grnden. Er kritisiert sie natrlich nicht, weil Descartes es unterlassen hat, hinsichtlich des Substanzpro-blcrns die Spinozistische Option zu whlen. Doch gerade ein Blick auf diese Unterlassung ist geeignet - sozusagen wenigstens ph-nomenologisch - ein gewisses Verst.indnis fr Descanes' Zwei-Substanzen-Lehre zu entwickeln. auch wenn sie in der vorliegen-den Gestalt nicht haltbar sein mag. Es htte nmlich im !Wunen der berlegungen Descartes', der ja neben den zwei Substanzen res extensa und res cogitans noch den Gottesbegriff einfhrt, nahegelegen, res extensa und res cogitans in Gott als einer einzigen und umfassenden Substanz aufzuheben. Wenn Descartes dies nicht tut, d. h. die Spinozistische Option unterlt, so gibt es dafr Motive, die gerade in der Modernitt der Cancsianischcn Positio-nen liegen. Ein Motiv ist offensichtlich Descartes' Absicht, die Philosophie nicht einfach in einem thcologoumenon mnden zu lassen und sie dabei in eine spekulative Theologie zu transformie-ren (die letzte Bestimmung Gones gehrt fr Descartes in die Religion und nicht in die Philosophie). - Ein anderes Motiv ist. wenn auch ein ontologisches, so doch ein modern onto-logisches, nmlich eigentlich ein erkenntnistheoretisches. Die Uberschrift der zweiten Meditation drckt es aus: De natura mentis humanae: quod ipsa sit notior quam corpus. Von der Natur des menschlichen Geistes: da er selbst erkennbarer sei als der Krper. 19 Genau dieser Gedanke ist es, dem sich das Cancsianischc Motiv zur Substanzenunterscheidung verdankt und der noch bei Husserls Lehrer, Franz Brentano, zu der fr die Phnomenologie folgen-reichen Unterscheidung zwischen psychischen und physischen Phnomenen fhrt. Und so ist es auch dieser Descartes in Gestalt der Brentanoschen Theorie mit ihrer Hervorhebung des Vorranges der inneren Wahrnehmung, der Husserl zu seinem ersten Verweis auf Descartes' Befund der Cogitationes in den Loguchen Unter-suchungen fhrt (LU u/z, Hua x1x/z, S. 771), hier allerdings unter Einbeziehung von Lockes acts or opcrations of mind. Nur so ist es auch verstndlich, wieso H usserl spter Descartes mit dem so hoch eingeschtzten Doppelgestirn Sokrates-Platon in einem Atemzug nennen konnte (Hua vu, S. 7 f.). Auch deren Leistung war ja die Entdeckung der Eigenmacht des Geistes. Bei Dilthey, Brcntanos Zeitgenossen, htte das Husserl historisch

    19 Mediuuorm ..

  • genauer studieren knnen. Der Vorrang des Geistes vor dem Krper drckt sich bei ihm, ganz unmetaphysisch und in ganz und gar methodologischer Absicht in dem sogenannten >Satz der Phnomenalitt aus, bei dem jedoch alles darauf ankomme, ihn wohlverstanden zu interpretieren.z::i Aber noch in einer anderen Hinsicht mte Descartes' Unter-scheidung zwischen rcs cogitans und rcs extcnsa fr die Phno-menologie von Interesse sein. Schon in den Regulae (nmlich in der x1v. Regel) hat Descartes der Ausdehnung (extensio) eine Funktion zugesprochen, die sozusagen quer zu der ontologisch-metaphysischen Gliederung in zwei Substanzen liegt. Obwohl die Ausdehnung stets am Ausgedehnten, d. h. am Krperlichen vor-kommt, kann sie als eine eigenstndige Dimension aufgefat wer-de~: Per dimensionem, nihil aliud intelligirnus, quam modum et rauonem, secundum quam aliquod subjecrum considerarur esse mensurabile.21 Solche Dimensionalitt rumt Mebarkeit ber Proportionalisierung von Gren ein, ohne auf bloe Quantitt festgelegt zu sein. In diesem Cartesianischen Lehrstck kommt das Erfordernis formaler Objektivierbarkeit alles Rationalen zur Gel-rung, das in Husserls Verwendung des Wesensbegriffs, des Eideti-schen durch sein ganzes Werk hindurch bestimmend ist. Die Entwicklung der Phnomenologie weist Lehrstcke auf in denen die Rolle der Ausdehnung, d. h. des medialen Subsrrats,fr die Ermglichung (Fundierung) von Sinnhaftem (Geistigem, Be-deutsamem, Mentalem) zustzlich forcien wird. Auch bei Husserl findet man sie in der Unterscheidung von Ausdruck und Bedeu-rung/2 bei der ~orrelation der Stifrung geistiger Gter und ihrer

    ~amfcsten Trad1erbarkeit23 und in der Verknpfung von inten-tionalen Noesen mit hyletischcn Feldern oder von historischen Intentionen mit Organismusstrukruren.2 Man kann diese Motive

    20 Vgl. Wilhelm Dil~cT GeS1Unme/u Schnftm x1x. Bd.(hrsg. von Hel-mut Joh~ch u. Fnch1of Rodi), Gningen 1982, S. 9 f., 1;r, vgl. S. s2 f 407. sowie Ges~mmelu Schnften V. Bd., S. 126 f. Auch bei Dilchcy geht es- gut uncs1sch. wenn auch den Cartesianismus modifizierend- um den archimedischen Punkte.

    21 Rcgula XI\', Regubc .

  • auch in der neueren Phnomenologie gibt es - gleichsam als Kehr-seite des Spinozismus - eine An spekulativer Naturphilosophie, gem_ d_er die materielle Natur sich ber die Entwicklung von Orgaruzttt selbst als Intentionalitt entfalteL Die neuere Phno-menologie operiert hier gerne mit zwei Transzendenzen: der Tran-szendenz des Bewutseins wird die Transzendenz des Sinnlichen, die sich freilich nie selbst thematisieren kann, vorgeschaltet. Die phnomenologische Descartes-Kritik - sei sie als Polemik

    ~er als Analyse verstanden - hat einen eigentmlichen Mangel. Dieser Mangel besteht nicht sosehr in Defiziten an historischer Kundigkeit oder geschichtlichem Sinn. Was Husserl betrifft, so versumt er es, seine eigene lntentionalittslehre auf seinen ver-meintlichen Diskurs mit Descartes anzuwenden. Denn es gehrt zu ~en groen Errungenschaften der Husserlschen phnomeno-

    log1sche~ Intentionalittstheorie, den systematischen Anspruch des Cog1to ber das zunchst akzentuierte Problem der imma-nenten Zeitlichkeit durch Verknpfung mit den intersubjektiven Intentionen auf die unvermeidlich geschichtliche Entfaltung der lntemi~nalitt ausge~eitet zu haben. Da Descartes als Philosoph selb~ e1~ Platzhalter mnerhalb einer solchen geschichtlichen In-tenuonal1ttskonstellation ist, die eine komplexe intentionale In-

    ~rpretatio_n von Problemzusammenhngen verlangt, hat Husserl sich so mcht mehr klargemacht. Husserl hat seinen eigenen