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OSNABR ¨ UCKER SCHRIFTEN ZUR MATHEMATIK Reihe V Vorlesungsskripten EHeft 8 Sommersemester 2001 Einf ¨ uhrung in die Algebra W. Bruns Fachbereich Mathematik/Informatik Universit¨ at Osnabr ¨ uck

OSNABRUCKER SCHRIFTEN¨ ZUR MATHEMATIK · Einselement) ist, heißt dieser Ring Nullring (und wird einfach mit 0 bezeichnet). Der Nullring ist der einzige Ring, in dem Null und Eins

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OSNABRUCKER SCHRIFTENZUR MATHEMATIK

Reihe V Vorlesungsskripten

EHeft 8 Sommersemester 2001

Einfuhrung in die Algebra

W. Bruns

Fachbereich Mathematik/Informatik

Universitat Osnabruck

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OSM Osnabrucker Schriften zur Mathematik

Marz 2002

Herausgeber Selbstverlag der Universitat OsnabruckFachbereich Mathematik/Informatik

49069 Osnabruck

Geschaftsfuhrer Prof. Dr. W. Bruns

Berater: Prof. Dr. P. Brucker (Angew. Mathematik)

Prof. Dr. E. Cohors-Fresenborg(Didaktik der Mathematik)

Prof. Dr. V. Sperschneider (Informatik)

Prof. Dr. R. Vogt (Reine Mathematik)

Druck Hausdruckerei der Universitat Osnabruck

Copyright bei den Autoren

Weitere Reihen der OSM:

Reihe D Mathematisch-didaktische Manuskripte

Reihe I Manuskripte der Informatik

Reihe M Mathematische Manuskripte

Reihe P Preprints

Reihe U Materialien zum Mathematikunterricht

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Einfuhrung in die Algebra

Winfried Bruns

Skript zur Vorlesung SS 2001

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Inhaltsverzeichnis

1. Ringe 1

2. Homomorphismen, Ideale und Restklassenringe 7

3. Korper und Integritatsbereiche 19

4. Teilbarkeitstheorie 23

5. Polynomringe 33

6. Irreduzibilitatskriterien fur Polynome 41

7. Algebraische Korpererweiterungen 45

8. Zerfallungskorper von Polynomen 51

9. Konstruktionen mit Zirkel und Lineal 57

10. Ordnung und Index 65

11. Operation von Gruppen 73

12. Normalteiler und Faktorgruppen 79

Literaturverzeichnis 87

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ABSCHNITT 1

Ringe

Wir erganzen in diesem Abschnitt die in der Linearen Algebra (im folgendenals [LA] zitiert) eingefuhrten Begriffe. Zunachst eine Abschwachungen des Be-griffs

”Gruppe“: Eine Menge H mit einer assoziativen Verknupfung nennt man

auch eine Halbgruppe, und wenn H ein neutrales Element hat, spricht man voneinem Monoid. Diese Begriffe sind so allgemein, daß es kaum moglich ist, eineTheorie ohne zusatzliche Einschrankungen an die betrachteten Halbgruppen oderMonoide aufzubauen. Immerhin konnen wir fur Monoide M folgendes feststellen:

(a) Das neutrale Element ist eindeutig bestimmt.(b) Wenn a ∈ M ein inverses Element besitzt, so ist dieses eindeutig bestimmt.(c) Wir konnen (bei multiplikativer Schreibweise der Verknupfung) Potenzen

der Elemente a ∈ M definieren: Wir setzen a0 = 1 und definieren rekursivan+1 = ana fur n ∈ N, n ≥ 1. Besitzt a ein Inverses a−1, so kann man an =(a−1)n fur n ∈ Z, n < 0, setzen.

(d) Es gelten die Potenzrechenregeln

am+n = aman, (am)n = amn,

und, falls ab = ba, (ab)n = anbn. Dabei sind a,b ∈ M und m,n ∈ N (odergegebenenfalls ∈ Z).

Bei additiver Schreibweise (dies impliziert in der Regel die Kommutativitat) sprichtman wie gewohnt von Vielfachen und schreibt analog na. (Vergleiche auch dazu[LA].)

Vektorraume sind abelsche Gruppen bezuglich ihrer Addition. Zusatzlich hatman eine – mit dieser Addition vertragliche – Multiplikation mit Skalaren. Et-was anders ist die Situation bei einem Korper K: Hier hat man auf K selbst zweiVerknupfungen, eine Addition und eine Multiplikation; bezuglich der Addition istK eine abelsche Gruppe, bezuglich der Multiplikation ist K \ {0} eine abelscheGruppe, und es gelten die Distributivgesetze (vgl. [LA]). Ahnlich hat man z.B. aufZ eine Addition und eine Multiplikation derart, daß (Z,+) eine abelsche Gruppeist und (Z, ·) immerhin ein kommutatives Monoid; außerdem gelten die gleichenDistributivgesetze wie bei einem Korper. Allerdings gibt es nicht zu jedem von 0verschiedenen Element aus Z ein Inverses bezuglich der Multiplikation. Wir ver-allgemeinern den Begriff

”Korper“ daher wie folgt:

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2 Abschnitt 1

Definition. Es sei R eine Menge, auf der zwei Verknupfungen erklart sind, eineAddition + und eine Multiplikation ·. Dann heißt (R,+, ·) ein Ring, wenn gilt:

(a) (R,+) ist eine abelsche Gruppe.(b) (R, ·) ist ein Halbgruppe mit neutralem Element.(c) Es gelten die Distributivgesetze:

a(b1 +b2) = ab1 +ab2, (a1 +a2)b = a1b+a2b

fur alle a,b1,b2,a1,a2,b ∈ R.

Ist (R, ·) kommutativ, dann heißt (R,+, ·) ein kommutativer Ring.

Bemerkung 1.1. Zur Vermeidung von Klammern vereinbart man, daß die Mul-tiplikation in einem Ring starker bindet als die Addition (ab + cd bedeutet dem-nach (ab) + (cd)). Ferner schreiben wir R statt (R,+, ·), wenn klar ist, um wel-che Ringstruktur auf R es sich handelt. Wie allgemein ublich bei additiv notierterGruppenverknupfung, bezeichnen wir das neutrale Element von (R,+) mit 0 undsprechen vom Nullelement oder der Null von R; das neutrale Element von (R, ·)heißt Eins oder Einselement und wird in der Regel mit 1 bezeichnet, zur besserenUnterscheidung manchmal auch mit 1R.

Beispiele. Wie oben schon gesagt, ist Z, versehen mit der ublichen Addition undMultiplikation, ein Ring. Jeder Korper ist ein Ring. Ein anderer aus [LA] bekannterRing ist der Polynomring K[X ] uber einem Korper K. (Polynomringe werden wirspater noch grundlich diskutieren.)

Jede einelementige Menge {a} laßt sich zu einem Ring machen: Man setzta+a = aa = a; da a notwendig das Nullelement dieses Ringes (naturlich auch seinEinselement) ist, heißt dieser Ring Nullring (und wird einfach mit 0 bezeichnet).Der Nullring ist der einzige Ring, in dem Null und Eins ubereinstimmen.

Interessanter ist der Ring M(n×n;K) aller (n×n)-Matrizen uber einem KorperK; Addition und Multiplikation sind hier die Matrizenaddition und Matrizenmulti-plikation. Fur n ≥ 2 ist dieser Ring nicht kommutativ – ein Paradebeispiel ebensowie der aus [LA] bekannte Schiefkorper H der Quaternionen.

Der Beweis der folgenden Regeln verlauft wortlich so wie der in [LA] gefuhrteBeweis bei einem Korper.

Satz 1.2 (Vorzeichenregeln). Es seien R ein Ring und a, b Elemente von R. Danngilt:

(a) a0 = 0a = 0;(b) a(−b) = (−a)b = −ab;(c) (−a)(−b) = ab.

Fur einen Ring R sind die ganzahligen Vielfachen der Elemente von R wohl-definiert, und zwar weil R bezuglich der Addition eine Gruppe ist. Dies haben wir

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Ringe 3

auch schon in [LA] diskutiert und oben noch einmal wiederholt. Eine zusatzlicheRegel fur Vielfache, bei der nun die Ringstruktur eingeht, ist

(mn)a = m(na).

Wir uberlassen den Beweis dem Leser.Zwischen den Korpern als den

”starksten“ Ringen und Ringen ganz allgemein

kann man viele Zwischenstufen betrachten. Eine besonders wichtige fuhren wirnun ein:

Definition. Das Element a des Ringes R heißt ein Nullteiler, wenn es ein Elementb ∈ R, b �= 0, gibt mit ab = 0 oder ba = 0. Besitzt R keine von 0 verschiede-nen Nullteiler, so heißt R nullteilerfrei. Ist R �= 0 ein nullteilerfreier, kommutativerRing, dann heißt R ein Integritatsbereich (oder Integritatsring).

In Integritatsberecihen kann man kurzen:

Satz 1.3. Ein kommutativer Ring R ist genau dann ein Integritatsbereich, wenn inihm die Kurzungsregel

ab = ac, a �= 0 =⇒ b = c

gilt.

Beweis. Ist a ein Nullteiler, ab = 0 fur b �= 0, so ist die Kurzungsregel wegen ab =a0 sicherlich verletzt. Fur die Umkehrung hat man nur zu beachten, daß a(b−c) =0, wenn ab = ac. �

Der Ring Z ist ein Integritatsbereich. Jeder Korper K ist ein Integritatsbereichund ebenso der Polynomring K[X ]. Hingegen ist der Matrizenring M(n×n;K) furn ≥ 2 nicht nullteilerfrei. (Jede Matrix vom Rang < n ist ein Nullteiler. Beweis?)

R �= 0 sei ein Ring. Die invertierbaren Elemente in dem Monoid (R, ·) heißenEinheiten von R. Naturlich sind Einheiten niemals Nullteiler. Die Menge aller Ein-heiten von R ist offensichtlich eine Gruppe bezuglich der Multiplikation von R, dieEinheitengruppe R∗ von R. Beispielsweise ist Z∗ = {−1,1} und M(n× n;K)∗ =GL(n;K). Bei kommutativem R gilt genau dann R∗ = R\{0}, wenn R ein Korperist.

Eine unscheinbare, aber nicht unwichtige Aussage:

Satz 1.4. Jeder endliche Integritatsbereich R ist ein Korper.

Beweis. Fur a ∈ R, a �= 0, betrachten wir die Abbildung µa : R → R, µa(b) = ab.Die Kurzungsregel besagt gerade, daß µa injektiv ist. Da R endlich ist, ist µa dannauch surjektiv. Es gibt also ein b mit 1 = µa(b) = ab. �

Wir verallgemeinern nun den in [LA] eingefuhrten Begriff der Charakteristik.

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4 Abschnitt 1

Definition. Es sei R ein Ring. ord+ a bezeichne die Ordnung des Elementes a ∈ Rin der Gruppe (R,+). Unter der Charakteristik von R versteht man die naturlicheZahl

charR =

{0, falls ord+ a = ∞ fur alle a ∈ R,a �= 0,

min{ord+ a | a ∈ R,a �= 0} andernfalls .

Es ist klar, daß die Charakteristik eines Ringes R immer von 1 verschieden ist.Es sei p = charR > 0. Dann gibt es ein b ∈ R, b �= 0, mit pb = 0. Wenn p = mngilt mit positiven ganzen Zahlen m,n, so hat man 0 = pb = (mn)b = m(nb). NachDefinition der Charakteristik folgt hieraus n = p oder n = 1, d.h. p ist Primzahl.

Satz 1.5. Die Charakteristik eines Ringes R ist entweder 0 oder eine Primzahl. IstR ein Integritatsbereich und charR > 0, so gilt charR = ord1R und (charR)a = 0fur alle a ∈ R.

Beweis. Es sei R ein Integritatsbereich, p = charR > 0 und b ∈ R, b �= 0, mit pb =0. Es ist pb = p(1Rb) = (p1R)b. Da R ein Integritatsbereich und b �= 0 ist, giltp1R = 0 und damit auch pa = p(1Ra) = (p1R)a = 0 fur alle a ∈ R. �

Die Ringe Z, Q, R, C sind Beispiele fur Integritatsbereiche der Charakteristik 0.Ein einfaches Beispiel fur einen Korper der Charakteristik 2 ist der wohlbekannteKorper mit 2 Elementen.

Ahnlich wie der Begriff Untergruppe wird der Begriff des Unterringes ein-gefuhrt.

Definition. Eine Teilmenge S des Ringes R heißt ein Unterring von R, wenn gilt:

(a) 1R ∈ S;(b) Addition und Multiplikation von R lassen sich auf S beschranken, und S ist

bezuglich dieser induzierten Verknupfungen ein Ring.

Offenbar ist S genau dann ein Unterring des Ringes R, wenn gilt: Es ist 1R ∈ S,und fur alle a, b ∈ S liegen sowohl a− b als auch ab wieder in S. Der BegriffTeilkorper wird entsprechend eingefuhrt.

Der einzige Unterring von Z ist Z selbst. M(n× n;R) ist ein Unterring vonM(n× n;C). Q ist Teilkorper von R. Jeder Korper ist Unterring von K[X ] (wobeiwir Elemente von K mit den konstanten Polynomen identifizieren.)

In Analogie zur direkten Summe von Vektorraumen definiert man das direkteProdukt R1 ×R2 von Ringen R1,R2, indem man fur Elemente (a1,a2),(b1,b2) deskartesischen Produkts R1 ×R2 definiert:

(a1,a2)+(b1,b2) = (a1 +b1,a2 +b2), (a1,a2)(b1,b2) = (a1b1,a2b2).

Mit R1 und R2 ist auch R1 ×R2 kommutativ. Es ist aber fast nie ein Integritatsbe-reich (ausgenommen welche Situation?). Man beachte, daß die Einbettung R1 →R1 ×R2, r �→ (r,0), den Ring R1 nicht zu einem

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Unterring von R1×R2 macht, ausgenommen R2 ist der Nullring: 1R1×R2= (1,1)

liegt nicht in der betrachteten Teilmenge.

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ABSCHNITT 2

Homomorphismen, Ideale und Restklassenringe

Definition. Eine Abbildung ϕ: R → R′ von Ringen heißt ein (Ring-) Homomor-phismus, wenn fur alle a,b ∈ R gilt:

ϕ(a+b) = ϕ(a)+ϕ(b), ϕ(ab) = ϕ(a)ϕ(b) und ϕ(1R) = 1R′.

Ein bijektiver Homomorphismus ϕ ist ein (Ring-)Isomorphismus. Der Ring R heißtisomorph zum Ring R′, wenn es einen Isomorphismus von R auf R′ gibt.

Bemerkung 2.1. Sei ϕ: R→R′ ein Homomorphismus von Ringen. Dann ist ϕ ins-besondere ein Homomorphismus der Gruppe (R,+) in die Gruppe (R′,+). Hierausfolgt z.B. ϕ(0) = 0, und ϕ ist genau dann injektiv, wenn Kernϕ = {0} gilt.

In Analogie zu Gruppenhomomorphismen (vgl. dazu [LA]) gilt: die Komposi-tion von Homomorphismen ergibt wieder einen Homomorphismus. Die Umkehr-abbildung eines Isomorphismus ist ein Homomorphismus und daher ein Isomor-phismus. Die Isomorphie von Ringen ist folglich eine Aquivalenzrelation.

Die Begriffe (Ring-)Endomorphismus und (Ring-)Automorphismus werden ana-log den entsprechenden Begriffen in der Linearen Algebra eingefuhrt.

Beispiele. (a) Es seien R und R′ Ringe. Das Bild eines Homomorphismus von Rin R′ ist ein Unterring von R′. Eine Teilmenge R ⊂ R′ ist genau dann ein Unterringvon R′, wenn die naturliche Injektion R → R′ ein Homomorphismus ist.

(b) Sei K ein Korper und V ein K-Vektorraum. Wir haben in [LA] gesehen, daßdie Summe und die Komposition zweier Endomorphismen von V (also linearenAbbildungen V → V ) wieder Endomorphismen sind. Ferner ist End(V ) sogar einK-Vektorraum, also (End(V ),+) bestimmt eine abelsche Gruppe. Da idV neutralist bezuglich der Komposition und die Distributivgesetze gelten, ist (End(V ),+,◦)ein Ring.

Wir nehmen nun an, daß dimV = n < ∞ und v1, . . . ,vn eine Basis von V ist.Jedem Endomorphismus sei seine Matrix bezuglich v1, . . . ,vn zugeordnet. DieseZuordnung ist mit Addition und Multiplikation vertraglich, und stellt sich als einIsomorphismus End(V ) → M(n×n,K) heraus.

(c) Die Zuordnung n �→ n1R ist fur jeden Ring R ein Homomorphismus Z → R.Dies folgt aus den Rechenregeln fur Vielfache.

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8 Abschnitt 2

(d) Wir konnen das Beispiel (c) noch etwas ausbauen, indem wir die Regeln furdas Rechnen mit Vielfachen in einer abelschen Gruppe (G,+) als Homomorphie-Eigenschaft einer Abbildung interpretieren. Sei R = End(G). Wie bei Vektorrau-men folgt, daß (End(G),+,◦) ein Ring ist. (Die Vektorraum-Struktur fehlt natur-lich.)

Wir definierenΦ : Z → R durch Φ(n)(a) = na

fur alle n ∈ Z und alle a ∈ G. In der Tat ist Φ(n) fur jedes n ∈ Z ein Element vonR, weil n(a + b) = na + nb fur n ∈ Z und a,b ∈ G gilt. Die Regel (mn)a = m(na)bedeutet einfach, daß Φ die Bedingung Φ(mn) = Φ(m)Φ(n) erfullt, und schließlichbesagt (m+n)a = ma+na, daß auch Φ(m+n) = Φ(m)+Φ(n) ist. Also ist Φ einHomomorphismus von Ringen. Genau dann ist Φ injektiv, wenn jedes Element vonG endliche Ordnung hat.

Es sei ϕ : R → R′ ein Homomorphismus von Ringen. Dann ist naturlich Kernϕeine Untergruppe von (R,+). Es gilt aber noch mehr: Fur beliebige Elemente r ∈ Rund a ∈ Kernϕ ist sowohl ra als auch ar wieder ein Element von Kernϕ , dennϕ(a) = 0 impliziert ϕ(ra) = ϕ(r)ϕ(a) = ϕ(r)0 = 0, und ebenso ist ϕ(ar) = 0.

Definition. Es sei R ein Ring. Eine nichtleere Teilmenge I von R heißt ein (zwei-seitiges) Ideal, wenn gilt:

(a) Mit a,b ∈ I ist auch a−b ∈ I;(b) Mit a ∈ I und r ∈ R hat man auch ra ∈ I und ar ∈ I.

Ein Ideal im Ring R ist also eine Untergruppe von (R,+), fur die zusatzlich dieBedingung (b) der Definition erfullt ist. Als erstes Beispiel haben wir: Kerne vonRinghomomorphismen sind Ideale. Weitere einfache Beispiele sind das Nullideal0 von R, das nur aus der Null besteht, und R selbst, das sogenannte Einsideal. EineTeilmenge des Ringes Z ist genau dann ein Ideal, wenn sie eine Untergruppe von(Z,+) ist, d.h. von der Form Zm mit einem m∈Z. (Im allgemeinen ist das naturlichnicht richtig; Beispiel?)

Bedingung (a) kann man durch die folgende Bedingung ersetzen (weshalb?):

(a′) Mit a, b ∈ I gilt auch a+b ∈ I.

Ist R kommutativ, dann genugt es statt (b) zu fordern:

(b′) Mit a ∈ I und r ∈ R gilt auch ra ∈ I.

Im allgemeinen ist (b′) jedoch schwacher als (b): Die Teilmenge J = {(ai j) ∈M(2× 2;R) | a12 = a22 = 0} von M(2× 2;R) genugt den Bedingungen (a) und(b′), ist aber kein Ideal in diesem Ring.

Es sei R ein Ring und (I j) j∈J eine Familie von Idealen in R. Dann ist sofort zusehen, daß auch

⋂j∈J Ij wieder ein Ideal in R ist. Ist insbesondere M eine beliebige

Teilmenge von R, dann ist der Durchschnitt I(M) aller M umfassenden Ideale von

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Homomorphismen, Ideale und Restklassenringe 9

R ebenfalls ein Ideal in R, das von M erzeugte Ideal von R. Es ist dies das kleinsteM umfassende Ideal von R. Offenbar gilt I( /0) = 0. Gilt M �= /0, dann besteht I(M)aus allen Summen

a1 f1b1 + · · ·+an fnbn

mit aj, bj ∈ R, f j ∈ M. Die Teilmenge M von R heißt ein Erzeugendensystem desIdeals I, wenn I(M) = I gilt.

Fur Ideale I1, I2 konnen wir wie fur Untervektorraume die Summe

I1 + I2 = {r1 + r2 : r1 ∈ I1,r2 ∈ I2}betrachten. Sie ist wieder ein Ideal, und zwar gilt I1 + I2 = I(I1 ∪ I2). Wie Durch-schnitte kann man auch Summen ∑ j∈J Ij einer Familie von Idealen bilden.

Eine weitere nutzliche Operation fur Ideale ist das Produkt

I1I2 = I({r1r2 : r1 ∈ I1,r2 ∈ I2}).Die Produktbildung konnen wir auf endlich viele Ideale erweitern.

Ein Beispiel: Sei R = Z, I1 = I(4), I2 = I(6). Dann ist

I1 + I2 = I(2), I1 ∩ I2 = I(12), I1I2 = I(24).

Wir werden die idealtheoretischen Operationen spater mit den zahlentheoretischenBegriffen

”großter gemeinsamer Teiler“ und

”kleinstes gemeinsames Vielfaches“

in Beziehung setzen (jedenfalls in Z und geeigneten anderen Ringen).Im kommutativen Fall, an dem wir hauptsachlich interessiert sind, verwenden

wir stets die Schreibweise

I( f1, . . . , fn) = R f1 + · · ·+R fn.

Dies macht offensichtlich Sinn.Zur Motivation der nun folgenden Konstruktion wollen wir den Anfang eines

zahlentheoretischen Problems betrachten, namlich der Frage nachgehen, welchen ∈ N sich in der Form x2 + y2 mit x,y ∈ Z darstellen lassen. Wir behaupten: Diesist sicher nicht moglich, wenn n bei Division durch 4 den Rest 3 laßt. Wir schreibendazu x = 4m+ r, y = 4n+ s, 0 ≤ r,s < 4. Dann ist

x2 + y2 = 16m2 +8mr + r2 +16n2 +8ns+ s2.

Wenn wir den Divionsrest von x2 +y2 ermitteln wollen, konnen wir alle Vielfachenvon 4 in der Summe vergessen. Wir brauchen also nur die 16 Summen r2 + s2 aufihre Divisonsreste hin durchprufen. Und selbst das laßt sich noch vereinfachen.Wir schreiben

r = 2a+b, s = 2c+d, a,b,c,d ∈ {0,1},und haben nun nur noch vier Summen b2 + d2 zu prufen. Diese haben aber nurdie Werte 0,1,2. Das angewandte Prinzip: Vielfache von 4 werden systematischvernachlassigt.

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10 Abschnitt 2

Eleganter konnte man so vorgehen. Angenommen, es gibt einen Ringhomo-morphismus π : Z → S mit folgender Eigenschaft: π(u) = π(v) genau dann, wennu− v ein Vielfaches von 4 ist, mit anderen Worten: wenn u− v im Ideal Z4 liegt.Dann konnen wir unser Problem in S losen, denn

π(x2 + y2) = π(x)2 +π(y)2,

und wenn wir zeigen konnen, daß die rechte Seite stets ungleich π(3) ist, habenwir das gewunschte Ergebnis. Der gesuchte Homomorphismus muß einfach dieBedingung Kernπ = Z4 erfullen.

Wie wir jetzt sehen werden, ist es fur jeden Ring R und jedes Ideal I moglich,einen Ring S und einen Homomorphismus π : R → S mit Kernπ = I zu konstru-ieren. Wir wissen aus [LA], daß im Fall I = Kernπ das Urbild von π(x) unter πdurch

π−1(π(x)) = x+Kernπ = x+ I

gegeben ist, wenn I = Kernπ ist. Mit anderen Worten, es gilt:

π(x) = π(y) ⇐⇒ y ∈ x+ I. (∗)

Um dies zu erreichen, definieren wir eine neue Menge:

R/I = {x+ I : x ∈ R}.Die Elemente von R/I sind also Teilmengen von R. Diese zunachst

”schwierig“

anmutende Tatsache kann man nach Abschluß der Konstruktion wieder vergessen– es kommt nur auf die Eigenschaften des neu konstruierten Obkjekts an.

Wir betrachten nun die Abbildung π : R → R/I, π(x) = x + I, und weisenzunachst nach, daß sie die gewunschte Eigenschaft hat. Sei π(x) = π(y). Dies be-deutet nach Definition von π , daß x + I = y + I ist. Wegen 0 ∈ I gilt dann spezielly ∈ x+ I, womit eine Richtung von (∗) nachgewiesen ist.

Sei umgekehrt y ∈ x + I, y = x + a mit a ∈ I. Fur jedes b ∈ I ist dann y + b =x + a + b ∈ x + I, denn a + b ∈ I. Folglich gilt y + I ⊂ x + I. Fur die umgekehrteInklusion beachten wir, daß x = y− a ∈ y + I, denn −a ∈ I. Dies impliziert, wieschon gesehen, daß x+ I ⊂ y+ I, und insgesamt gilt x+ I = y+ I, also π(x) = π(y),so daß die Eigenschaft (∗) fur unsere Abbildung π tatsachlich erfullt ist.

Um π zu einem Ringhomomorphismus zu machen, brauchen wir noch eineRingstruktur auf R/I. Wir setzen dazu

(x+ I)+(y+ I) = (x+ y)+ I, (x+ I) · (y+ I) = xy+ I.

So glatt sich diese Definition liest: Sie hat einen Haken, denn wir definieren dieseVerknupfungen mittels ausgewahlter Elemente in x+ I und y+ I.

Eine ahnliche Situation ist uns schon aus der Schule bekannt: Um Summe undProdukt zweier Bruche zu definieren, mussen wir eine Darstellung des Bruchesmit Zahler und Nenner heranziehen. Summe und Produkt machen nur dann Sinn,

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Homomorphismen, Ideale und Restklassenringe 11

wenn das Ergebnis nur von den beteiligten Bruchen, nicht aber von der Auswahlder Zahler und Nenner abhangt.

Ahnliches gilt aber auch hier. Wenn x + I = x′ + I, y + I = y′ + I, x′ = x + a,y′ = y+b, mit a,b ∈ I, so folgt

x′ + y′ = (x+a)+(y+b) = x+ y+(a+b) ∈ (x+ y)+ I,

und wie bereits gezeigt, ergibt sich daraus (x′ + y′)+ I = (x+ y)+ I. Ferner ist

x′y′ = (x+a)(y+b) = xy+(xb+ay+ab),

und weil I nicht nur eine Untergrupppe von (R,+), sondern sogar ein Ideal ist, giltxb+ay+ab ∈ I, also x′y′ ∈ xy+ I, was wiederum x′y′+ I = xy+ I nach sich zieht.

Die Ringstruktur auf R/I ist definiert und π ist sogar ein surjektiver Homomor-phismus! Die Surjektivitat ist klar, denn x + I = π(x) und die Homomorphie folgtaus

π(x+ y) = (x+ y)+ I = (x+ I)+(y+ I) = π(x)+π(y),π(xy) = xy+ I = (x+ I)(y+ I) = π(x)π(y).

Dabei ergeben sich das erste und das dritte Gleichheitszeichen aus der Definitionvon π , das mittlere aus der Definition von Addition und Multiplikation in R/I.Offensichtlich ist 1+I das Einselement von R/I, also π(1) = 1. Ferner ist Kernπ =I, wie wir schon gesehen haben. Aber noch einmal: π(x) = 0 = π(0) genau dann,wenn x ∈ 0+ I, also x ∈ I.

An dieser Stelle kann man die konkrete Konstruktion von R/I (fast) vergessen.Man muß nur wissen: R/I ist ein Ring und es gibt einen surjektiven Homomor-phismus π : R → R/I mit Kernπ = I.

Satz 2.2. Es sei R ein Ring, I ein Ideal in R. Dann ist R/I mit den oben definiertenVerknupfungen ein Ring, und die Abbildung π : R → R/I, π(x) = x + I, ist einsurjektiver Ringhomomorphismus mit Kernπ = I. Ist R kommutativ, dann ist auchR/I kommutativ.

Die Aussage uber die Kommutativitat ist trivial.

Definition. R sei ein Ring und I ein Ideal in R. Der Ring R/I heißt Faktor- oderRestklassenring von R nach oder modulo I. Das Element x+ I heißt Restklasse vonx nach oder modulo I.

Wir haben oben gezeigt, ohne dies hervorzuheben, daß R disjunkte Vereinigungder Restklassen ist. Bei jeder Abbildung ϕ : R → S zerfallt der Definitionsbereichja in die Urbildmengen ϕ−1(ϕ(x)), x ∈ R. Man nennt ϕ−1(ϕ(x)) anschaulich dieFaser von x bezuglich ϕ . Man kann dies auch noch so beschreiben: Die Relationx ∼ y ⇐⇒ x− y ∈ I ist eine Aquivalenzrelation auf R, und die Restklassen sindgerade die Klassen von ∼.

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12 Abschnitt 2

Um die Definition von R/I in den Hintergrund treten zu lassen, sollte mandie Schreibweise x + I vermeiden, sondern einfach x verwenden. Der Nachteil istallerdings, daß man das Ideal I dann nicht mit auffuhren kann, so daß klar seinmuß, wie I gewahlt ist.

Wir kommen zuruck zu unserem Beispiel R = Z, I = Z4. Es gibt dann offen-sichtlich 4 Restklassen, namlich die von 0,1,2,3:

0 = 0+Z4 = {. . . ,−8,−4,0,4,8, . . .}1 = 1+Z4 = {. . . ,−7,−3,1,5,9, . . .}2 = 2+Z4 = {. . . ,−6,−2,2,6,10, . . .}3 = 3+Z4 = {. . . ,−5,−1,3,7,11, . . .}.

Ist allgemeiner m ∈ Z, m > 0, so besitzt Zm = Z/Zm genau m Elemente, namlichdie Restklassen von 0, . . . ,m− 1. Es ist aber haufig sinnvoll, nicht nur mit diesenReprasentanten zu arbeiten, sondern z.B. die Restklasse von −1 nicht durch m−1zu reprasentieren, sondern durch −1. An diesem Beispiel sehen wir, woher die Be-zeichnung

”Restklasse“ kommt: x und y haben genau dann die gleiche Restklasse,

wenn sie bei Division durch m den gleichen Rest lassen. In der Zahlentheorie (undnicht nur dort) schreibt man nach Gauß

x ≡ y mod m oder x ≡ y (m),

wenn x und y die gleiche Restklasse modulo m besitzen.Mittels der Ringe Z/Zm konnen wir interessante neue Beispiele konstruieren,

fur die es keine”naturlichere“ Beschreibung gibt.

Satz 2.3. Es sei m ≥ 2. Dann sind die folgenden Eigenschaften aquivalent:

(a) Zm ist ein Integritatsbereich.(b) Zm ist ein Korper.(c) m ist Primzahl.

Beweis. Da Zm endlich ist, sind (a) und (b) wegen Satz 1.4 aquivalent.Ist m keine Primzahl, dann gibt es a,b ∈ Z mit 1 < a, b < m und m = ab.

Bezeichnet π : Z → Zm die naturliche Projektion, so hat man π(a) �= 0 �= π(b),aber π(a)π(b) = π(m) = 0; Zm ist also kein Integritatsbereich. Umgekehrt sei mPrimzahl. Es gelte π(a)π(b) = 0 fur a,b ∈ Z, also π(ab) = 0. Dann heißt dasab ∈ Zm. Da m Primzahl ist, folgt: m teilt a oder m teilt b. Das bedeutet aberπ(a) = 0 oder π(b) = 0. Zm ist also Integritatsbereich.

Die soeben benutzte Eigenschaft von Primzahlen werden wir in Abschnitt 4noch aus der Division mit Rest herleiten. �

Es sei ϕ : R → R′ ein Homomorphismus von Ringen und I ein Ideal von R.Dann ist ϕ(I) naturlich eine Untergruppe von (R′,+) (sogar ein Unterring von R′),i.a. aber kein Ideal in R′ (Beispiel?). Immerhin ist ϕ(I) ein Ideal in R′, wenn ϕ

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Homomorphismen, Ideale und Restklassenringe 13

surjektiv ist. Hingegen gilt: Ist I′ ein Ideal in R′, dann ist ϕ−1(I′) ein Ideal in R;insbesondere ist Kernϕ = ϕ−1(0) ein Ideal in R.

Die folgenden Satze vergleichen die Restklassenringe mit den homomorphenBildern von R. Zunachst der Satz vom induzierten Homomorphismus:

Satz 2.4. Es seien ϕ : R → R′, ψ : R → R Homomorphismen von Ringen. ϕ seisurjektiv, und es gelte Kernψ ⊃ Kernϕ . Dann gibt es genau eine Abbildung ψ ′:R′ → R mit ψ ′ ◦ϕ = ψ . Es ist Bildψ = Bildψ ′. ψ ′ ist ein Homomorphismus, undes gilt ϕ(Kernψ) = Kernψ ′.

Ist ψ surjektiv, dann ist auch ψ ′ surjektiv. Bei Kernψ = Kernϕ ist ψ ′ injektiv.

Die Beziehung der Homomorphismen in Satz 2.4 bringt man auch so zum Aus-druck: Das Diagramm

� R

��

��

��

ϕ� �

��

��

ψ ′

R′

ist kommutativ. Damit meint man: Die Verkettung von Abbildungen langs Wegenmit gleichem Start und Ziel ergibt das gleiche, nur von Start und Ziel abhangendeResultat.

Beweis von Satz 2.4. Da das obige Diagramm kommutativ werden soll, gibt es nureine Moglichkeit, ψ ′ zu definieren. Sei dazu y ∈ R′. Da ϕ surjektiv ist, gibt es einx ∈ R mit y = ϕ(x). Wir mochten erreichen, daß ψ ′(y) = ψ ′(ϕ(x)) = ψ(x) gilt.Also mussen wir

ψ ′(y) = ψ(x)

setzen. Da die Auswahl eines Urbilds x von y im allgemeinen keineswegs eindeutigist, mussen wir uns uberzeugen, daß jede Wahl von x ∈ ϕ−1(y) das gleiche Resultatliefert. Das folgt aus der Voraussetzung uber die Kerne:

ϕ(x) = ϕ(x′) ⇐⇒ x− x′ ∈ Kernϕ =⇒ x− x′ ∈ Kernψ ⇐⇒ ψ(x) = ψ(x′).

Damit ist die Abbildung ψ ′ wohldefiniert (und eindeutig).Zum Testen der Homomorphie wahlen wir zu y,z ∈ R′ Urbilder w,x ∈ R. Dann

ist w+ x ein Urbild von y+ z und es folgt

ψ ′(y+ z) = ψ(w+ x) = ψ(w)+ψ(x) = ψ ′(y)+ψ ′(z).

Analog zeigt man ψ ′(yz) = ψ ′(y)ψ ′(z). Offensichtlich ist auch ψ ′(1) = ψ(1) = 1.Wenn ψ surjektiv ist, ist ψ ′ ◦ϕ surjektiv und damit auch ψ ′.

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14 Abschnitt 2

Wenn Kernϕ = Kernψ gilt, haben wir in der obigen Implikationskette uberallAquivalenz. Mit den bekannten Bedeutungen von w,x,y,z ergibt sich:

ψ ′(y) = ψ ′(z) ⇐⇒ ψ(w) = ψ(x) ⇐⇒ ϕ(w) = ϕ(x) ⇐⇒ y = z.

Dies aber ist gerade die Injektivitat von ψ ′. �Man nennt ψ ′ den induzierten Homomorphismus. Restklassenringe haben im

vorangegangenen Satz gar keine Rolle gespielt, aber er fordert seine Anwendungauf die Situation I = Kernψ , R′ = R/I geradezu heraus. Wir erhalten den Homo-morphiesatz oder ersten Isomorphiesatz fur Ringe.

Satz 2.5. Sei ψ : R → R ein surjektiver Homomorphismus von Ringen mit I =Kernψ . Dann ist der induzierte Homomorphsimus ψ ′ : R/I → R (fur die Restklas-senabbildung π : R → R/I = R′) ein Isomorphismus.

Dieser Satz ist ein Paradigma der modernen Algebra. Er betont das Isomorphie-prinzip: Es kommt nicht darauf an, welcher Natur die Elemente eines algebraischenObjektes sind. Entscheidend ist die Struktur, und isomorphe Objekte haben diegleiche Struktur.

Der Homomorphiesatz, der fur andere Klassen von Objekten analog gilt, sagt,daß wir mit den Restklassenringen alle Bilder von R bis auf Isomorphie kennen.

Eine Anwendung des Satzes vom induzierten Homomorphismus ist der chine-sische Restsatz. In seiner elementaren Fassung beschreibt er die Losung etwa derfolgenden Frage: Welche Zahlen n ∈ Z lassen bei Division durch 7 den Rest 3 undbei Divison durch 8 den Rest 5? Besitzt ein solches System simultaner Kongruen-zen, namlich

x ≡ 3 (7)x ≡ 5 (8)

uberhaupt stets eine Losung, wie findet man sie und wie kann man gegebenenfallsdie Losungsmenge beschreiben? Es ist sofort klar, daß die Losung bestenfalls mo-dulo 56 eindeutig bestimmt sein kann, denn wenn x ≡ y (56), dann x ≡ y (7) undx ≡ y (8).

Allgemeiner konnen wir fragen: Kann man zu Idealen I1, . . . , In eines Ringes Rstets ein Element x ∈ R finden, das modulo I1, . . . , In vorgegebene Restklassen hat?Der folgende Satz gibt eine Antwort. Wir nennen Ideale I1, I2 komaximal, wennI1 + I2 = R ist.

Satz 2.6. Sei R ein kommutativer Ring und seien I1, . . . , In Ideale von R, fur die Iiund Ij komaximal sind, wenn i �= j ist. Dann gilt:

(a) I1 ∩·· ·∩ In = I1 · · · In.(b) Der Homomorphismus

R → (R/I1)×·· ·× (R/In), x �→ (x+ I1, . . . ,x+ In),

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Homomorphismen, Ideale und Restklassenringe 15

ist surjektiv. Sein Kern ist I1∩·· ·∩In, und er induziert einen Isomorphismus

R/(I1 ∩·· ·∩ In) ∼= (R/I1)×·· ·× (R/In).

Beweis. (a) Wir beweisen dies durch Induktion uber n. Sei zunachst n = 2. Furbeliebige Ideale I1, I2 ist naturlich I1I2 ⊂ I1 ∩ I2. Ferner gilt

(I1 + I2)(I1 ∩ I2) ⊂ I1I2.

Fur a ∈ I1, b ∈ I2, c ∈ I1∩ I2 ist namlich (a+b)c ∈ I1I2, weil ac ∈ I1I2 und bc ∈ I1I2.Da nun I1 + I2 = R in unserem Fall, erhalten wir unmittelbar I1 ∩ I2 ⊂ I1I2, womitTeil (a) fur n = 2 bewiesen ist.

Es ist klar, daß daraus der allgemeine Fall folgt, wenn wir zeigen konnen, daßI1 und I2 · · · In komaximal sind. Da I1 + Ij = R fur j > 1, existieren u j ∈ I1, v j ∈ Ijmit 1 = uj + v j. Dann ist aber

1 = (u2 + v2) · · ·(un + vn) ∈ I1 + I2 · · · In

denn alle beim Ausmultiplizieren entstehenden Terme gehoren zu I1, mit Ausnah-me von v2 . . .vn, das aber in I2 · · · In liegt.

(b) Die Aussage uber den Kern des betrachteten Homomorphismus ist fur belie-bige Ideale richtig, denn die Bilder x+I j sind genau alle das jeweilige Nullelement,wenn x∈ Ij fur alle j. Damit hat man unabhangig von der Voraussetzung stets eineninduzierten injektiven Homomorphismus

� (R/I1)×·· ·× (R/In)�

��

��

�� ��

��

���

R/(I1 ∩·· ·∩ In)

Der entscheidende Punkt ist die Surjektivitat von π . Dann ist auch der induzierteHomomorphismus surjektiv.

Wir haben bereits in Teil (a) gesehen, daß fur jedes k die Ideale Ik und Jk =I1 · · · Ik−1Ik+1 · · · In komaximal sind. Wir wahlen nun uk ∈ Ik, vk ∈ Jk mit uk +vk = 1,k = 1, . . . ,n.

Sei ein Element (y1 +I1, . . . ,yn +In)∈ (R/I1)×·· ·×(R/In) gegeben. Wir setzennun

x = y1v1 + · · ·+ ynvn.

Fur k = 1, . . . ,n ist v j ∈ Ik sobald j �= k. Also

x+ Ik = ykvk + Ik = yk(1−uk)+ Ik = yk + Ik,

denn uk ∈ Ik. �

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16 Abschnitt 2

Im Fall R = Z sind Zm1 und Zm2 gerade dann komaxinal, wenn m1 und m2 tei-lerfremd sind. (Wir werden dies noch naher betrachten.) Zur Losung eines Systemssimultaner Kongruenzen x ≡ y1 (m1), x ≡ y2 (m2), also der Bestimmung des Ele-mentes x im obigen Beweis, muß man die Gleichung a1m1 +a2m2 = 1 losen. Dannist v1 = a2m2, v2 = a1m1. Die Losung x = y1v1 + y2v2 ist nach dem Satz modulom1m2 eindeutig bestimmt.

Im konkreten Beispiel ist (−1) ·7+1 ·8 = 1. Wir erhalten x = 3 ·8+5 · (−7) =−11 ≡ 45 (56).

Fur R = Z ziehen wir noch eine Folgerung von prinzipieller Bedeutung.

Satz 2.7. (a) Wenn u und v teilerfremd sind, so sind Zuv und Zu ×Zv als Ringeisomorph. Wenn u und v nicht teillerfremd sind, sind Zuv und Zu ×Zv nicht(einmal als additive Gruppen) isomorph.

(b) Sei m = pe11· · · per

r die Zerlegung von m in paarweise teilerfremde Prim-zahlpotenzen. Dann ist

Zm∼= Zp1

e1 ×·· ·×Zprer .

Beweis. Einzig zu zeigen ist nur noch, daß Zuv und Zu × Zv als additive Grup-pen nicht isomorph sind, wenn u und v nicht teilerfremd sind. Aber dann ist s :=kgV(u,v) < uv. In Zuv hat 1 die Ordnung uv bezuglich +, aber sowohl in Zu alsauch in Zv, und damit in Zu×Zv, wird jedes Element von s annuliert, so daß es dortkein Element der Ordnung uv gibt. �

Teil (b) zeigt, daß es fur das Verstandnis aller Restklassenringe von Z genugt,die Restklassenringe nach Primzahlpotenzen zu untersuchen. Dies kann man oftzur Vereinfachung von zahlentheoretischen Problemen heranziehen.

Anhang: Restklassenbildung bei Vektorraumen.

Sei K ein Korper, V ein K-Vektorraum und U ein Untervektoraum. Dann konnenwir in volliger Analogie den Restklassenvektorraum V/U erklaren. Wir setzen

V/U = {v+U ;v ∈V}und definieren die Restklassenabbildung π : V →V/U wieder durch π(v) = v+U .Die Vektorraumstruktur auf V/U wird erkart durch

(v+U)+(w+U) = (v+w)+U, r(v+U) = rv+U, v,w ∈V, r ∈ K.

Wieder hat man zu zeigen, daß diese Verknupfungen wohldefiniert sind, was ge-nauso geht wie bei Restklassenringen. Die Satze 2.2, 2.4 und 2.5 gelten analog,und wir verzichten darauf, diese fur Vektorraume zu formulieren.

Die Dimensionsformel liest sich nun so:

dimV = dimU +dimV/U.

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Homomorphismen, Ideale und Restklassenringe 17

Es lohnt sich, die Restklassen eines Untervektorraums U zu veranschaulichen. Siesind genau die

”Parallelen“ zu U , vgl. Abbildung 1.

U

ABBILDUNG 1

Die Restklassenbildung kann man in der Linearen Algebra umgehen, weil jederendlichdimensionale K-Vektorraum isomorph zu Kn, n = dimV , ist. Insofern fuhrtdie Restklassenbildung dort nicht zu strukturell neuen Objekten.

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ABSCHNITT 3

Korper und Integritatsbereiche

Wie man sich leicht uberlegt, ist der Durchschnitt von Teilkorpern eines Inte-gritatsringes R wieder ein Teilkorper von R.

Definition. Es sei R ein Integritatsbereich, der wenigstens einen Teilkorper ent-halt. Dann heißt der Durchschnitt aller Teilkorper von R der Primkorper von R.

Unter der Voraussetzung in der Definition ist der Primkorper von R der kleinsteTeilkorper von R, d.h. er ist in jedem Teilkorper von R enthalten. Jeder Korper hateinen Primkorper; z.B. ist Q Primkorper von R und von C (warum?). Der Ring Zenthalt keinen Teilkorper, hat also auch keinen Primkorper.

Satz 3.1. Es sei R ein Integritatsbereich der Charakteristik p > 0. Dann hat Reinen Primkorper. Dieser ist isomorph zu Zp.

Beweis. Es sei ψ : Z → R der Ring-Homomorphismus n �→ n ·1R. Wegen Satz 1.5gilt Zp ⊂ Kernψ . Also induziert ψ einen Ring-Homomorphismus ψ ′ : Zp → R(Satz 2.4). Da Zp ein Korper ist, muß ψ ′ injektiv sein (vgl. Ubungsaufgabe 8). �

Als Folgerung aus 3.1 erhalten wir:

Satz 3.2. Es sei K ein endlicher Korper der Charakteristik p > 0. Dann ist dieAnzahl der Elemente von K eine Potenz von p.

Beweis. Der Primkorper k von K hat nach Satz 3.1 genau p Elemente. Offenbar istK auf naturliche Weise ein (endlich-dimensionaler) k-Vektorraum. Folglich ist K(als k-Vektorraum) isomorph zu einem k-Vektorraum kn. Das beweist die Behaup-tung. �

Hat der Integritatsbereich R die Charakteristik 0, dann hat R im allgemeinenkeinen Primkorper, wie wir am Beispiel Z gesehen haben. Enthalt R hingegenmindestens einen Teilkorper, dann ist der Primkorper von R im betrachteten Fallisomorph zu Q, wie wir unten sehen werden.

Der Integritatsbereich R sei Unterring des Korpers K. Der Durchschnitt al-ler Teilkorper von K, die R umfassen, ist naturlich wieder ein R umfassenderTeilkorper von K.

Definition. Ist der Integritatsbereich R Unterring des Korpers K, dann heißt derDurchschnitt aller R umfassenden Teilkorper von K der Korper der Bruche oderQuotientenkorper von R in K.

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20 Abschnitt 3

Bemerkung 3.3. (a) Es seien R, K wie in der Definition und Q der Quotientenkor-per von R in K. Dann ist

Q = {ab−1 | a,b ∈ R, b �= 0}.Zum Beweis zeigt man, daß die rechts stehende Teilmenge von K ein R umfas-sender Teilkorper von K ist. Außerdem ist sie offenbar in jedem Teilkorper von Kenthalten, der R umfaßt.

(b) Die Integritatsbereiche R,R′ seien Unterringe von Korpern K bzw. K ′, undQ,Q′ seien die Quotientenkorper von R,R′ in K bzw. K ′. Dann laßt sich jeder in-jektive Ring-Homomorphismus ϕ : R → R′ auf genau eine Weise zu einem Ring-Homomorphismus Φ : Q → Q′ fortsetzen (der naturlich auch injektiv ist). Ist ϕ einIsomorphismus, dann ist auch Φ ein Isomorphismus.

Zum Beweis zeigt man zunachst, daß aus a,b, a, b ∈ R, b �= 0, b �= 0 mit ab−1 =ab−1 folgt: ϕ(a)ϕ(b)−1 = ϕ(a)ϕ(b)−1, d.h. das Produkt ϕ(a)ϕ(b)−1 ist unab-hangig von der Darstellung des Elementes ab−1. Durch die Zuordnung ab−1 �→ϕ(a)ϕ(b)−1 wird also eine Abbildung Φ: Q → Q′ definiert, die auf R offenbar mitϕ ubereinstimmt. Φ ist surjektiv, wenn dies fur ϕ gilt. Es ist unmittelbar zu sehen,daß Φ ein Homomorphismus ist. Im ubrigen folgt aus Φ(ab−1) = ϕ(a)ϕ(b)−1, daßΦ eindeutig bestimmt ist.

Aus Bemerkung 3.3(a) ergibt sich beispielsweise, daß Q der Quotientenkorpervon Z in Q (oder R oder C) ist. Ist der Integritatsbereich R Unterring eines Korpers,so konnen wir wegen Anmerkung 3.3(b) von dem Quotientenkorper von R spre-chen. Es folgt

Satz 3.4. Es sei R ein Integritatsbereich der Charakteristik 0, der wenigstens einenTeilkorper enthalt. Dann ist der Primkorper von R isomorph zum Korper Q derrationalen Zahlen.

Beweis. Wir betrachten den Homomorphismus ψ : Z→ R aus dem Beweis zu Satz3.1. ψ ist hier wegen charR = 0 injektiv. Bildψ ist in jedem Teilkorper von Renthalten. Das gilt dann auch fur den Quotientenkorper Q von Bildψ . Also ist Qder Primkorper von R. Nach Anmerkung 3.3(b) laßt sich ψ auf genau eine Weisezu einem Isomorphismus Ψ : Q → Q fortsetzen. �

Nun beweisen wir, daß jeder Integritatsbereich als Unterring eines Korpers auf-gefaßt werden kann, also einen Quotientenkorper besitzt.

Satz 3.5. Es sei R ein Integritatsbereich. Dann gibt es einen injektiven Homomor-phismus von R in einen Korper K.

Beweis. Die Konstruktion von K geschieht wie die Konstruktion der rationalenZahlen Q aus den ganzen Zahlen Z. Es sei

X = {(a,b) ∈ R×R | b �= 0}.

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Korper und Integritatsbereiche 21

Auf X definieren wir eine Aquivalenzrelation ∼ durch

(a,b) ∼ (c,d) ⇐⇒ ad = cb.

Es laßt sich ohne Muhe nachrechnen, daß ∼ tatsachlich eine Aquivalenzrelationist. Mit K bezeichnen wir die Menge der Aquivalenzklassen von X bezuglich ∼,und mit a/b die Aquivalenzklasse von (a,b). Die Abbildung a �→ a/1 nennen wirϕ; sie ist offenbar injektiv.

Addition + und Multiplikation · auf K erklaren wir durch

ab

+cd

=ad + cb

bd,

ab· c

d=

acbd

;

dabei sind a, b, c, d ∈ R und b �= 0, d �= 0, also auch bd �= 0. (Hier wird benutzt,daß R nullteilerfrei ist.) Naturlich hat man nachzuweisen, daß diese Definitionenreprasentantenunabhangig sind. Das ist aber problemlos moglich.

(K,+) ist eine abelsche Gruppe: Aus der Definition der Addition ersieht man,daß sie assoziativ und kommutativ ist. Neutrales Element bezuglich + ist 0/1, unddas Inverse von a/b bezuglich der Addition ist (−a)/b.

(K, ·) ist ein abelsches Monoid: Man sieht wieder sofort, daß die Multiplikationassoziativ und kommutativ ist und daß 1/1 bezuglich · neutral ist.

Der Nachweis der Distributivgesetze ist eine einfache Rechnung. (K,+, ·) istalso ein kommutativer Ring mit Einselement. Zum Beweis dafur, daß K sogar einKorper ist, sei a/b ∈ K, a/b �= 0/1. Das bedeutet a �= 0, und das Element b/a ∈ Kist offenbar invers zu a/b bezuglich der Multiplikation.

Daß ϕ ein Ring-Homomorphismus ist, rechnet man leicht nach. �Es ist in der Situation des letzten Satzes ublich (wie im Falle Z und Q), die

Elemente a ∈ R mit ihren ϕ-Bildern a/1 ∈ K zu identifizieren, R also als Unterringvon K zu betrachten. Nach Bemerkung 3.3 ist dann K der Quotientenkorper von R.

In einer Ubungsaufgabe wird die Konstruktion aus dem letzten Satz verallge-meinert.

Nachdem wir nun Teilkorper von Integritatsbereichen und umgekehrt Integri-tatsbereiche als Unterringe von Korpern diskutiert haben, wollen wir untersuchen,welche Ideale als Kerne von (surjektiven) Homomorphismen ϕ : R → S auftreten,wenn R kommutativ und S ein Integritatsbereich oder gar ein Korper ist.

Sei S ein Integritatsbereich. Fur Elemente a,b ∈ R mit ϕ(ab) = ϕ(a)ϕ(b) = 0folgt dann ϕ(a) = 0 oder ϕ(b) = 0. Mit anderen Worten gilt fur I = Kernϕ: ab ∈ I=⇒ a ∈ I oder b ∈ I.

Definition. Ein Ideal p �= R eines kommutativen Ringes R heißt Primideal, wennfur alle a,b ∈ R aus ab ∈ p folgt: a ∈ p oder b ∈ p.

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22 Abschnitt 3

Ist p ein Primideal, so sieht man sofort, daß R/p ein Integritatsbereich ist. Da-her sind die Primideale genau die Kerne von Ringhomomorphismen von R in Inte-gritatsbreiche S.

Sei nun K ein Korper und ϕ : R → K ein surjektiver Ringhomomorphismusmit Kern I. Da K nicht der Nullring ist, muß I �= R gelten. Andererseits

”paßt“

aber auch kein Ideal zwischen I und R. Es genugt dazu, daß I + Ra = R fur jedesElement a ∈ R\ I. Fur solches a gilt ϕ(a) �= 0. Da ϕ surjektiv ist, existiert ein b ∈ Rmit ϕ(b) = ϕ(a)−1. Es folgt ϕ(ab) = 1, also 1−ab ∈ I und 1 ∈ I +Ra.

Definition. Ein Ideal M �= R eines kommutativen Ringes R heißt maximal, wennkein Ideal I mit M � I � R existiert.

Die der Definition vorangegangene Uberlegung laßt sich auch umkehren, wieleicht zu uberprufen ist. Also gilt: R/M ist genau dann ein Korper, wenn M einmaximales Ideal ist.

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ABSCHNITT 4

Teilbarkeitstheorie

Jede von 0 verschiedene ganze Zahl laßt sich als Produkt von Primzahlen (undeventuell der Einheit −1) schreiben, und diese Darstellung ist im wesentlicheneindeutig. Wir wollen dies im Rahmen einer allgemeinen Teilbarkeitstheorie inRingen beweisen und analoge Aussagen fur eine großere Klasse von Ringen be-reitstellen.

In diesem Abschnitt sei R stets ein Integritatsbereich. Wie in Z sagt man, a ∈ Rsei ein Teiler von b ∈ R, in Zeichen a | b, wenn es ein c ∈ R mit b = ac gibt. Wirsagen dann auch, b sei Vielfaches von a.

Jedes Element a ∈ R besitzt triviale Teiler, z.B. 1 ∈ R und a selbst, und wenn a |b sogilt auch ea | b fur alle Einheiten e. Wir berucksichtigen dies in der folgendenTerminologie: a ist assoziiert zu b, wenn es eine Einheit e ∈ R mit b = ea gibt, unda ist ein echter Teiler von b, wenn a | b, aber a weder eine Einheit, noch assoziiertzu b ist.

Es lohnt sich, die genannten Beziehungen zwischen a und b idealtheoretisch zubeschreiben:

a ist Teiler von b ⇐⇒ Rb ⊂ Ra,

a assoziiert zu b ⇐⇒ Rb = Ra,

a echter Teiler von b ⇐⇒ Rb � Ra � R

In Korpern gibt es keine unzerlegbaren Elemente, und die von 0 verschiede-nen Elemente sind samtlich assoziiert. Im Ring Z sind genau diejenigen Elementeunzerlegbar, deren Betrag eine Primzahl ist. Die ganzen Zahlen m und n sind ge-nau dann assoziiert, wenn m = ±n ist. Vom Nullpolynom verschiedene Polynomef ,g ∈ K[X ] sind assoziiert genau dann, wenn es eine Konstante c ∈ K∗ mit g = c fgibt.

Die Primzahlen p und die Zahlen −p in Z sind diejenigen Elemente �= 0, dieselbst keine Einheiten sind, aber keine echten Teiler besitzen. Wir verallgemeinerndies wie folgt:

Definition. Eine Nichteinheit u �= 0 in R heißt irreduzibel oder unzerlegbar, wennu keine echten Teiler besitzt.

Neben den Primzahlen in Z sind irreduzible Polynome wie X 2 +1 ∈ R[X ] wei-tere Beispiele unzerlegbarer Elemente.

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24 Abschnitt 4

Es ist uns gelaufig, daß jedes n ∈ Z, n �= 0,±1 sich als Produkt irreduziblerElemente darstellen laßt, und dies ist ja auch sehr einfach einzusehen: Wenn nkeine echtenTeiler besitzt, ist es per Definition irreduzibel, also von der Form ±p,p Primzahl, und andernfalls gibt es eine Zerlegung n = rs mit echten Teilern r unds. Da dann |r|, |s| < |n|, konnen wir per Induktion weiterschließen.

Vollig analog sieht man, daß sich jedes Element f im Polynomring K[X ] ubereinem Korper K als Produkt irreduzible Polynme schreiben laßT: in diesem Fallbenutzt man den Grad fur die Induktion.

Es ist uns aber auch gelaufig, daß diese Darstellungen im wesentlichen eindeu-tig sind, und dies ist eine nichttriviale Feststellung, die

”aus dem Stand“ nicht so

einfach zu beweisen ist. Wir werden sie im folgenden fur eine großere Klasse vonRingen beweisen. Daß man sich bei der Forderung nach Eindeutigkeit naturlichenEinschrankungen unterwerfen muß, ist klar: Aus algebraischer Sicht kann man kei-ner der Darstellungen

6 = 2 ·3 = (−3) · (−2)einen Vorzug geben. Der folgende Satz beschreibt dies prazise und gibt ein Krite-rium fur die Eindeutigkeit der Darstellung:

Satz 4.1. Im Integritatsbereich R sei jede von 0 verschiedene Nichteinheit Produktvon unzerlegbaren Elementen. Dann sind folgende Eigenschaften aquivalent:

(a) Gilt u1 . . .ur = v1 . . .vs mit unzerlegbaren Elementen ui, v j ∈ R, dann giltr = s, und es gibt eine Permutation π ∈ Sr, so daß vi und uπ(i) assoziiertsind fur i = 1, . . . ,r.

(b) Fur jedes unzerlegbare Element u in R gilt:

u | ab =⇒ u | a oder u | b.

Beweis. (a) =⇒ (b): Wenn u | ab, so existiert ein c ∈ R mit uc = ab. Wir zerlegena,b,c in Produkte unzerlegbarer Elemente und erhalten eine Gleichung

ut1 · · ·tk = v1 · · ·vmw1 · · ·wn

Nach (a) muß u zu einem der Elemente vi oder wj assoziiert sein, also a oder bteilen.

(b) =⇒ (a): Wir stellen sofort per Induktion fest, daß sich die in (b) genannteEigenschaft auf Produkte aus mehr als zwei Elementen ausdehnt: Wenn u | a1 · · ·an,so u | ai fur ein i.

Es sei u1 . . .ur = v1 . . .vs mit unzerlegbaren Elementen ui, v j ∈ R. Wir beweisen(b) durch Induktion uber r. Da vs das Produkt u1 . . .ur teilt, gibt es ein ui, das vonvs geteilt wird. Weil ui unzerlegbar ist, sind ui und vs assoziiert. Insbesondere ists = 1 bei r = 1. Bei r > 1 gestattet die Behauptung immerhin, die Reihenfolge derFaktoren zu verandern, d.h. wir durfen i = r annehmen. Es gilt dann u1 . . .ur−1 =v1 . . .(vs−1e) mit einer Einheit e∈R. Mit der Induktionsvoraussetzung folgt r−1 =

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Teilbarkeitstheorie 25

s−1, also r = s, und nach eventueller Vertauschung der Faktoren ist u j assoziiertzu v j fur j = 1, . . . ,r−1. �

Ringe, in denen der Satz von der Eindeutigkeit der Primfaktorzerlegung analoggilt, erhalten einen speziellen Namen:

Definition. Ein Integritatsbereich, in dem sich jede von 0 verschiedene Nichtein-heit im wesentlichen eindeutig als Produkt von unzerlegbaren Elementen darstellenlaßt, heißt faktoriell.

Satz 4.1 macht klar, was wir fur die Eindeutigkeit der Primfaktorzerlegung in Zoder der Zerlegung in irreduzible Polynome zu zeigen haben, namlich die Eigen-schaft (a) unzerlegbarer Elemente. Auch ihr geben wir einen Namen:

Definition. Eine von 0 verschiedene Nichteinheit u ∈ R heißt Primelement, wennfolgende Bedingung erfullt ist: Sind a,b ∈ R und teilt u das Produkt ab, dann teiltu mindestens einen der Faktoren a oder b.

Wir konnen nun die Definition von”faktoriell“ kompakter auch so formulieren:

R ist faktoriell, wenn sich jede von 0 verschiedene Nichteinheit als Produkt vonPrimelementen schreiben laßt. Offensichtlich ist jedes Primelement unzerlegbar.

Daß die Unterscheidung von unzerlegbaren Elementen und Primelementen not-wendig ist, zeigt folgendes

Beispiel. Die Teilmenge

D ={

a+bi√

5∣∣ a,b ∈ Z

}ist ein Unterring von C (insbesondere ein Integritatsbereich), wie man leicht nach-pruft. Wir setzen

N(a+bi

√5)

:=∣∣a+bi

√5∣∣2 = a2 +5b2

(a,b ∈ Z). Es gilt offenbarN(xy) = N(x)N(y)

fur alle x, y∈D, und ein Element x∈D ist genau dann eine Einheit, wenn N(x) = 1gilt, d.h. wenn x = ±1. Daraus folgt, daß N(a) < N(b), falls a ein echter Teilervon b ist, und man sieht sofort, daß jedes Element von D Produkt unzerlegbarerElemente ist.

Aber nicht jedes unzerlegbare Element ist ein Primelement, wie sich aus fol-gender Gleichung ergibt: (

1+ i√

5)(

1− i√

5)

= 2 ·3.

Das Element 2 ist unzerlegbar: Aus 2 = xy mit Elementen x, y ∈ D folgt 4 =N(x)N(y). Da N(x) = 2 offenbar nicht moglich ist, muß N(x) = 1 oder N(x) = 4gelten. Entsprechend ist x oder y eine Einheit. 2 teilt jedoch keines der Elemente

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26 Abschnitt 4

1± i√

5: Aus 1± i√

5 = 2 · x mit x ∈ D folgt 6 = 4N(x), was nicht sein kann. 2 istalso kein Primelement. Speziell ist D nicht faktoriell.

Der Leser stellt leicht fest, daß wir auch das”kleinere Beispiel“ E = Z+Zi

√3

hatten betrachten konnen. Dies hat einen guten Grund, der an dieser Stelle aberschwer zu erklaren ist.

Wie wir gleich sehen werden, lohnt es sich, Unzerlegbarkeit und Primeigen-schaft idealtheoretisch zu beschreiben, wobei sich auch eine Rechtfertigung dieserTerminologie ergibt:

Satz 4.2. Sei R ein Integritatsbereich und u �= 0 eine Nichteinheit.

(a) u ist irreduzibel genau dann, wenn es kein Ideal Rv mit Ru � Rv � R gibt.(b) u ist Primelement ganau dann, wenn Ru ein Primideal ist.

Beweis. (a) Die echten Teiler von u sind genau diejenigen Elemente v, die Haupt-ideale Rv mit Ru � Rv � R erzeugen. Das Fehlen solcher Hauptideale ist alsoaquivalent zum Fehlen echter Teiler.

(b) Ist u ein Primelement, dann gilt nach Definition Ru �= 0 und Ru �= R. Esseien a, b ∈ R mit ab ∈ Ru. Dann ist u Teiler von ab. Also teilt u einen der Faktorena oder b, und dementsprechend gilt a ∈ Ru oder b ∈ Ru.

Ist umgekehrt Ru ein von 0 verschiedenes Primideal, dann ist u naturlich einevon 0 verschiedene Nichteinheit. Sind a, b ∈ R und teilt u das Produkt ab, alsoab ∈ Ru, dann gilt nach Voraussetzung a ∈ Ru oder b ∈ Ru, und das wiederumheißt: u teilt a oder b. �

Als nun leichte Folgerung erhalten wir:

Satz 4.3. Der Ring Z der ganzen Zahlen ist faktoriell.

Beweis. Einzig zu zeigen ist noch, daß Primzahlen p in Z wirklich Primelementesind. Da p keine echten Teiler besitzt, gibt es kein Ideal Zn mit Zp � Zn � Z. Danun aber in Z jedes Ideal von der Form Zn ist, folgt: Zp ist ein maximales Ideal,und damit ein Primideal. Also ist p ein Primelement. �

In beliebigen kommutativen Ringen S nennt man die von einem Element er-zeugten Ideale S f Hauptideale. Der Beweis von Satz 4.3 zeigt an, daß die Teilbar-keitstheorie dann besonders einfach ist, wenn jedes Ideal in R ein Hauptideal ist,und dies trifft in der Tat zu.

Definition. Ein Integritatsbereich, dessen Ideale alle Hauptideale sind, heißt einHauptidealbereich (auch Hauptidealring).

Beispiele fur Hauptidealbereiche sind alle Euklidischen Ringe:

Definition. Der Integritatsbereich R heißt Euklidisch, wenn es eine Abbildung

grad : R\{0} −→ N

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Teilbarkeitstheorie 27

gibt (die sogenannte Gradfunktion) mit folgender Eigenschaft: Sind a, b∈R, b �= 0,dann gibt es Elemente q, r ∈ R, so daß gilt:

a = qb+ r, wobei entweder r = 0 oder gradr < gradb.

Beispiele. (a) Bekanntestes Beispiel fur einen Euklidischen Ring ist Z versehenmit der Betragsfunktion als Gradfunktion.

(b) Ein weiteres uns bekanntes Beispiel ist der Polynomring R = K[X ] ubereinem Korper. Wir werden dieses Beispiel in den nachsten Abschnitten noch aus-fuhrlich diskutieren.

(c) Auch der Unterring

G = Z+Zi = {a+bi | a,b ∈ Z}der komplexen Zahlen ist ein Euklidischer Ring, wie wir gleich sehen werden. Mannennt ihn den Ring der ganzen Gaußschen Zahlen. Er wird von den ganzzahligenPunkten der komplexen Ebene gebildet, siehe Abbildung 1.

1

qq

ABBILDUNG 1. Die ganzen Gaußschen Zahlen

Seien a,b ∈ G, b �= 0. Um q und r zu bestimmen, setzen wir q := a/b ∈ C undwahlen q ∈ G, so daß

|q− q| = min{|q− c| : c ∈ G}.Dann ist |q−q| ≤ (1/2)

√2 (siehe Abbildung 1). Fur r := a−bq gilt

|r| = |a−bq| = |b| |q−q| ≤ |b| · 12

√2 < |b|.

Satz 4.4. Jeder Euklidische Ring ist ein Hauptidealbereich.

Beweis. Es sei R ein Euklidischer Ring, grad seine Gradfunktion und I ein von 0verschiedenes Ideal in R. Es sei a ∈ I, a �= 0, derart, daß grad(a) in grad(I \{0})minimal ist. Wir behaupten, daß I = Ra gilt.

Zum Beweis sei b ∈ I. Nach Voraussetzung gibt es dann q, r ∈ R mit

b = qa+ r, wobei entweder r = 0 oder gradr < grada.

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28 Abschnitt 4

Mit b gehort auch r = b− qa zu I. Nach Wahl von a muß dann r = 0 gelten. Esfolgt b ∈ Ra. �

Es gibt aber Hauptidealbereiche, die nicht Euklidisch sind. Dies nachzuweisen,ist nichttrivial, und wir verzichten auf die Diskussion eines Beispiels.

Satz 4.5. In einem Hauptidealbereich R gilt:

(a) Jede von 0 verschiedene Nichteinheit ist Produkt unzerlegbarer Elemente.(b) Fur eine von 0 verschiedene Nichteinheit u sind aquivalent:

(i) u ist irreduzibel.(ii) Ru ist ein maximales Ideal.

(iii) Ru ist ein Primideal.(iv) u ist ein Primelement.

(c) Insbesondere ist R faktoriell.

Beweis. Wir haben zu zeigen, daß die Menge

S = {a ∈ R | a �∈ R∗, a �= 0 , a ist nicht Produkt unzerlegbarer Elemente}leer ist. Angenommen S �= /0, a ∈ S. Wir behaupten: Dann gibt es Elemente a0,a1, · · · ∈ S mit

Ra0 � Ra1 � Ra2 � . . . (∗)

Zum Beweis dieser Behauptung setzen wir a0 = a. Sind a0,a1, . . . ,ai bereits ge-funden, dann hat ai eine Zerlegung ai = ai+1bi+1 mit echten Teilern ai+1,bi+1, vondenen zumindest einer in S sein muß, etwa ai+1 ∈ S. Insbesondere gilt Rai � Rai+1,und die Behauptung ist bewiesen.

Die Teilmenge ∪∞i=0Rai ist ein Ideal in R, wie man sofort sieht, also ∪∞

i=0Rai =Rb mit einem b ∈ R. Es gibt dann ein n mit b ∈ Ran. Folglich ist Rb = Ran undweiter Rai = Ran fur i ≥ n, was (∗) widerspricht.

Es sei noch einmal betont, daß man in Ringen wie Z, K[X ], D und G die Eigen-schaft (a) einfacher nachweisen kann, wie wir schon gesehen haben.

(b) Die Implikationen (ii) =⇒ (iii) =⇒ (iv) =⇒ (i) gelten in allen Inte-gritatsbereichen. Fur die Implikation (i) =⇒ (ii) argumentiert man genau so, wiewir es oben fur Z getan haben. �

Im nachsten Abschnitt werden wir faktorielle Ringe kennenlernen, die keineHauptidealbereiche sind.

Im zweiten Teil dieses Abschnitts verallgemeinern wir nun die aus der Schu-le bekannten Begriffe

”großter gemeinsamer Teiler“ und

”kleinstes gemeinsames

Vielfaches“ auf beliebige Integritatsbereiche und untersuchen sie insbesondere infaktoriellen Ringen und Hauptidealbereichen.

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Teilbarkeitstheorie 29

Definition. (a) Das Element d ∈ R heißt ein gemeinsamer Teiler (gT) derElemente a1, . . . ,an ∈ R, wenn d jedes ai teilt, d.h. wenn es zu jedemi = 1, . . . ,n ein bi ∈ R gibt mit ai = bid.

(b) Das Element v ∈ R heißt ein gemeinsames Vielfaches (gV) der Elementea1, . . . ,an ∈ R, wenn v Vielfaches eines jeden ai ist, d.h. wenn es zu jedemi = 1, . . . ,n ein ci ∈ R gibt mit v = ciai.

Bemerkung 4.6. Mit den Bezeichnungen der Definition hat man offenbar:

(a) d ist genau dann gT von a1, . . . ,an ∈ R, wenn Rd ⊃ Ra1 + · · ·+Ran gilt.(b) v ist genau dann gV von a1, . . . ,an ∈ R, wenn Rv ⊂ Ra1 ∩·· ·∩Ran gilt.

Definition. (a) Die Elemente a1, . . . ,an ∈R heißen teilerfremd, wenn jeder ge-meinsame Teiler von a1, . . . ,an eine Einheit ist.

(b) d ∈ R heißt ein großter gemeinsamer Teiler (ggT) von a1, . . . ,an ∈ R, wennd ein gT von a1, . . . ,an ist und von jedem gT dieser Elemente geteilt wird.

(c) v ∈ R heißt ein kleinstes gemeinsames Vielfaches (kgV) von a1, . . . ,an ∈ R,wenn v ein gV von a1, . . . ,an ist und jedes gV von a1, . . . ,an teilt.

Die Beweise der folgenden Bemerkungen ergeben sich alle unmittelbar aus denDefinitionen.

Bemerkung 4.7. Es seien a1, . . . ,an ∈ R. Dann gilt fur d, d′, v, v′ ∈ R:

(a) Ist d ein ggT von a1, . . . ,an und sind d,d ′ assoziiert, dann ist auch d ′ einggT von a1, . . . ,an. Umgekehrt: Sind d,d ′ ggT von a1, . . . ,an, dann sindd,d′ assoziiert.

(b) Ist v ein kgV von a1, . . . ,an und sind v,v′ assoziiert, dann ist auch v′ einkgV von a1, . . . ,an. Umgekehrt: Sind v,v′ kgV von a1, . . . ,an, dann sindv,v′ assoziiert.

(c) Sind a1, . . . ,an nicht alle 0, ist d ein ggT von a1, . . . ,an und gilt ai = da′i fur

i = 1, . . . ,n mit Elementen a′i ∈ R, dann sind a′

1, . . . ,a′n teilerfremd.

Satz 4.8. R sei ein faktorieller Ring, a1, . . . ,an seien Elemente von R. Dann besit-zen a1, . . . ,an einen ggT und ein kgV.

Beweis. Wir durfen annehmen, daß a1, . . . ,an von 0 verschiedene Nichteinheitensind. Nach Satz 4.1 gibt es unzerlegbare, paarweise nicht zueinander assoziierteElemente u1, . . . ,ur ∈ R und zu jedem i = 1, . . . ,n naturliche Zahlen k1(ai), . . . ,kr(ai) und Einheiten ei ∈ R, derart daß

ai = eiuk1(ai)1

· · ·ukr(ai)r .

Setzt man fur ρ = 1, . . . ,r

sρ = min{kρ(ai) | i = 1, . . . ,n}, tρ = max{kρ(ai) | i = 1, . . . ,n},dann ist us1

1· · ·usr

r ein ggT und ut11· · ·utr

r ein kgV von a1, . . . ,an. �

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30 Abschnitt 4

Bemerkung 4.9. Ist Q Quotientenkorper des faktoriellen Ringes R, dann hat we-gen Satz 4.8 jedes von 0 verschiedene Element aus Q eine Darstellung ab−1 mitteilerfremden Elementen a,b ∈ R. Man nennt dies dann eine gekurzte Darstellung.

Satz 4.10. Es sei R ein Hauptidealbereich, a1, . . . ,an seien Elemente von R. Ist dein ggT von a1, . . . ,an, so gilt Rd = Ra1 + · · ·+ Ran. Insbesondere sind a1, . . . ,an

genau dann teilerfremd, wenn R = Ra1 + · · ·+Ran ist.

Beweis. Es ist wegen 4.6 lediglich Rd ⊂ Ra1 + · · ·+ Ran zu zeigen. Nach Voraus-setzung ist Ra1 + · · ·+ Ran ein Hauptideal, also Ra1 + · · ·+ Ran = Rc mit einemc ∈ R. Dann ist insbesondere c ein gT von a1, . . . ,an, also auch ein Teiler von d.Das bedeutet aber Rd ⊂ Rc. �

Aus Satz 4.10 ergibt sich beispielsweise, daß es zu zwei teilerfremden ganzenZahlen m, n stets ganze Zahlen x, y gibt mit xm+ yn = 1.

In Euklidischen Ringen berechnet man d = ggT(a,b) mit dem EuklidischenAlgorithmus, der uberdies auch Koeffizienten x und y fur die Darstellung d = xa+yb mitliefert.

Sei r0 := a, r1 := b �= 0. Nach Voraussetzung gibt es q1,r2 ∈ R mit

r0 = q1r1 + r2, und r2 = 0 oder ϕ(r2) < ϕ(r1).

Falls r2 = 0, ist offensichtlich r1 = ggT(r0,r1). Andernfalls ist immerhin nochggT(r0,r1) = ggT(r1,r2), denn jeder Teiler von r0 und r1 ist ein Teiler von r1 undr2, und umgekehrt. Also fahrt man fort:

r1 = q2r2 + r3, . . . , rn−1 = qnrn + rn+1, rn = qn+1rn+1.

Dabei seien r1, . . . ,rn+1 �= 0, und es gelte ϕ(rk) < ϕ(rk−1) fur k ≥ 2. Daher brichtdieses Verfahren stets nach endlich vielen Schritten ab, und liefert, wie oben bereitsbegrundet, in rn+1 den ggT von a und b. Um eine Darstellung rn+1 = xa + yb zuerhalten, beachtet man:

r0 = a = x0a+ y0b mit x0 := 1 und y0 := 0,

r1 = b = x1a+ y1b mit x1 := 0 und y1 := 1,

r2 = r0 −q1r1 = x2a+ y2b mit x2 := x0 −q1x1 und y2 := y0 −q1y1,

......

...

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Teilbarkeitstheorie 31

Beispiel. Zu bestimmen ist ggT(705,423) in Z.

x0 = 1 y0 = 0

x1 = 0 y1 = 1

r0 = 705 = 1 ·423+282 x2 = 1 y2 = −1

r1 = 423 = 1 ·282+141 x3 = −1 y3 = 2

r2 = 282 = 2 ·141

Also ist ggT(705,423) = 141 = −705+2 ·423.

Das soeben beschriebene Verfahren zur Bestimmung von d = ggT(a,b) undeiner Darstellung d = xa + yb ist fur das Rechnen in Restklassenringen wichtig,weil es uns erlaubt, multiplikativ inverse Elemente zu bestimmen. Zunachst einmalkonnen wir leicht beschreiben, welche Elemente Inverse besitzen:

Satz 4.11. Sei R ein Hauptidealbereich und a,u∈ R. Genau dann ist a eine Einheitin R/Ra, wenn a und u teilerfremd sind.

Beweis. Seien zunachst a und u teilerfremd. Dann existieren b,v∈ R mit ba+vu =1. Mithin ist ba = 1.

Umgekehrt: Es gelte ba = 1. Das heißt: 1− ba ∈ Ru. Also existiert ein v ∈ Rmit 1−ba = vu, aquivalent ba+ vu = 1. �

Der Beweis zeigt uns, wie wir in Euklidischen Ringen mittels des EuklidischenAlgorithmus die Invertierbarkeit von a testen und zugleich das Inverse bestimmenkonnen: diese Daten sind in der Gleichung ggT(a,u) = by+ vu enthalten.

Damit haben wir auch den Schlußstein zur Losung simultaner Kongruenzengemaß dem chinesichen Restsatz gefunden, denn dabei benotigt man ja eine Dar-stellung 1 = xm+ yn fur teilerfremde m,n ∈ Z.

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ABSCHNITT 5

Polynomringe

Der Polynomring K[X ] uber einem Korper K wurde schon in [LA] eingefuhrt.Seine Elemente haben die Form

a0 +a1X + · · ·+anXn

und wir rechnen mit Ihnen nach den ublichen Regeln. Insbesondere sollen zweiPolynome genau dann gleich sein, wenn sie die gleichen Koeffizienten besitzen.Ein Problem, vor dem wir uns in [LA] gedruckt haben, ist eine formal korrekteKonstruktion von K[X ]. Es ist ja nicht offensichtlich, ob es uberhaupt einen RingS ⊃ K und ein Element X ∈ S gibt, so daß zwei

”Ausdrucke“ a0 +a1X + · · ·+anXn

und b0 +b1X + · · ·+bnXn nur dann ubereinstimmen, wenn ai = bi fur i = 0, . . . ,n.Wir wollen die Konstruktion des Polynomrings nun durchfuhren und ersetzen denKoeffizientenkorper K dabei gleich durch einen kommutativen Ring R. Die Kon-struktion ist sehr einfach: Wir betrachten das Polynom einfach als die Folge seinerKoeffizienten!

Es lohnt sich, gleich einen Ring zu konstruieren, der noch großer als der Poly-nomring ist. Sei dazu

R� die Menge aller Folgen (an) = (a0,a1, . . .) mit an ∈ R.

Wir versehen R� mit einer Addition:

(an)+(bn) = (an +bn), (∗)

d.h. zwei Folgen werden addiert, indem man entsprechende Folgenglieder addiert.Es ist sofort klar, daß (R� ,+) eine abelsche Gruppe ist. Wir definieren ferner eineMultiplikation auf R� :

(an)(bn) =

(n

∑i=0

aibn−i

), (∗∗)

d.h. das n-te Glied des Produktes ist ∑ni=0 aibn−i. Die Multiplikation ist kommutativ,

dan

∑i=0

aibn−i =n

∑i=0

bn−iai =n

∑i=0

bian−i.

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34 Abschnitt 5

Sie ist assoziativ; denn

((an)(bn)

)(cn) =

(n

∑j=0

ajbn− j

)(cn) =

(n

∑i=0

(i

∑j=0

ajbi− j

)cn−i

),

n

∑i=0

(i

∑j=0

ajbi− j

)cn−i

= (a0b0)cn +(a0b1 +a1b0)cn−1 + · · ·+(a0bn + · · ·+anb0)c0

= a0(b0cn + · · ·+bnc0)+a1(b0cn−1 + · · ·+bn−1c0)+ · · ·+an(b0c0)

=n

∑i=0

ai

(n−i

∑j=0

bjc(n−i)− j

)

und (n

∑i=0

ai

(n−i

∑j=0

bjc(n−i)− j

))= (an)

((bn)(cn)

).

Offenbar ist (1,0,0, . . .) neutrales Element bezuglich der Multiplikation. Es ist fer-ner unschwer einzusehen, daß die Distributivgesetze gelten. Man hat also:

Satz 5.1. R� ist, versehen mit der durch (∗) definierten Addition und der durch (∗∗)definierten Multiplikation, ein kommutativer Ring. Die Abbildung a �→ (a,0,0, . . .)von R in R� ist ein injektiver Ringhomomorphismus.

Beweis. Der erste Teil der Aussage ist bereits klar, der zweite sehr leicht zu zeigen.�

Auf Grund der letzten Aussage konnen wir R als Unterring von R� auffassen.Dementsprechend schreiben wir fur die Elemente (a,0,0, . . .) von R� einfach a.

Der Ring R� enthalt zum Beispiel das Element

(1,1,1, . . .),

in dem alle Folgenglieder 1 sind. Diese Folge ist offenbar nicht die Koeffizienten-folge (an) eines Polynoms p, denn es sollte ja ak = 0 fur k > grad p gelten.

Wir sondern jetzt die”Polynome“ in R� aus: Sei

R(�) ={(an) ∈ R� | an = 0 fur fast alle n

}.

Dabei heißt”fast alle“: mit nur endlich vielen Ausnahmen. Man sieht sofort:

Satz 5.2. R(�) ist ein Unterring von R� und R ein Unterring von R(�) .

Fur X := (0,1,0,0, . . .) ∈ R(�) gilt

X2 = (0,0,1,0, . . .), X3 = (0,0,0,1,0, . . .)

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Polynomringe 35

usw. Also hat jedes (an) ∈ R(�) eine (eindeutige) Darstellung als Linearkombinati-on von Potenzen von X mit Koeffizienten aus R,

(an) = ∑n

anXn, (∗∗∗)

wobei die”unendliche“ Summe Sinn macht, denn nur endlich viele Summanden

sind �= 0.

Definition. Der Ring R(�) heißt der Ring der Polynome uber R in der Unbestimm-ten X und seine Elemente entsprechend Polynome uber R in X . Ubliche Bezeich-nung fur R(�) ist R[X ]. In der Darstellung (∗∗∗) heißen die an die Koeffizientendieses Polynoms. Die Elemente aus R nennt man konstante Polynome.

Die Addition zweier Polynome geschieht nach (∗) koeffizientenweise. Fur dasProdukt von f = ∑anXn und g = ∑bnXn gilt gemaß (∗∗):

f g = ∑n

(n

∑i=0

aibn−i

)Xn.

Es ist ubrigens ublich, die Schreibweise (∗∗∗) fur alle Elemente von R� zu uber-nehmen: Fur f = (an) ∈ R� ist am der Koeffizient bei Xm. Die Elemente von R�

nennt man deshalb auch formale Potenzreihen uber R in der Unbestimmten X undschreibt statt R� meist R[[X ]].

Definition. Es sei R ein Ring und f ∈ R[X ], f = ∑anXn. Ist f �= 0, dann heißt diegroßte Zahl n mit an �= 0 der Grad von f , Bezeichnung: grad( f ). Der Koeffizientagrad( f ) heißt Leitkoeffizient von f . Ist der Leitkoeffizient von f gleich 1, dann heißtf normiert. Fur das Nullpolynom 0 setzt man grad(0) = −∞.

Bemerkung 5.3. Seien R ein kommutativer Ring und f ,g ∈ R[X ]. Dann gilt:

(a) grad( f +g) ≤ max{grad( f ),grad(g)}.(b) grad( f g) ≤ grad( f )+grad(g).(c) Sind f ,g �= 0, sind a,b die Leitkoeffizienten von f bzw. g und gilt ab �= 0,

dann ist grad( f g) = grad( f )+grad(g) (Gradformel).(d) Ist R ein Integritatsbereich, dann ist auch R[X ] ein Integritatsbereich, und

es gilt (R[X ])∗ = R∗.

Beweis. Die ersten drei Aussagen sind sehr einfach zu beweisen. Den ersten Teilvon (d) bekommt man mit (c). (Im ubrigen gilt sogar: Ist R ein Integritatsbereich,dann ist auch R[[X ]] ein Integritatsbereich.) Naturlich ist jede Einheit in R auchEinheit in R[X ], d.h. es gilt (immer) R∗ ⊂ (R[X ])∗. Ist umgekehrt (R ein Inte-gritatsbereich und) f ∈ (R[X ])∗, dann gibt es ein g ∈ R[X ] mit f g = 1. Mit derGradformel erhalt man grad( f ) + grad(g) = 0, also grad( f ) = grad(g) = 0. Dasbedeutet f ,g ∈ R. �

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36 Abschnitt 5

Der zweite Teil von Aussage (d) gilt nicht fur beliebige Ringe. Fur das Polynomf = 1+2X ∈ Z4[X ] gilt z.B. f 2 = 1.

Die folgende Aussage ist die uns gelaufige Division mit Rest:

Satz 5.4. R sei ein kommutativer Ring, g ∈ R[X ], g �= 0, und der Leitkoeffizient bvon g sei eine Einheit in R. Dann gibt es zu jedem f ∈ R[X ] eindeutig bestimmtePolynome q, r ∈ R[X ] mit

f = qg+ r und grad(r) < grad(g).

Beweis. Der Fall f = 0 ist trivial. Es sei also f �= 0. Den Existenzbeweis fur q,r fuhren wir durch Induktion uber n = grad( f ). Es sei n = 0, also f ∈ R. Beigrad(g) > 0 setzen wir q = 0 und r = f . Bei grad(g) = 0, also g = b, sei q = f b−1

und r = 0. Es sei jetzt n > 0. Bei n < grad(g) setzen wir wieder q = 0 und r = f .Bei n ≥ grad(g) = m, f = anXn + · · ·+a1X +a0, ist

grad( f −anb−1Xn−mg) < n.

Nach Induktionsvoraussetzung existieren also Polynome q1, r ∈ R[X ] mit

f −anb−1Xn−mg = q1g+ r und grad(r) < grad(g).

Wir setzen dann q = anb−1Xn−m +q1.Fur den Eindeutigkeitsbeweis nehmen wir an, daß es qi, ri ∈ R[X ] gibt mit

f = q1g+ r1 und grad(r1) < grad(g),f = q2g+ r2 und grad(r2) < grad(g).

Dann ist (q1 −q2)g = r2 − r1. Insbesondere ist

grad(q1 −q2)+grad(g) = grad(r2 − r1) < grad(g).

Das kann nur bei q1 = q2 und r1 = r2 gelten. �Die algorithmische Bestimmung von Quotient q und Rest r laßt sich wie bei

den ganzen Zahlen durchfuhren. Z.B. ist

(X4 +3X3 +2X2 −X +4) : (X2 −1) = X2 +3X +3 (= q)−(X4 − X2)

3X3 +3X2 −X +4−(3X3 −3X)

3X2 +2X +4−(3X2 −3)

2X +7 (= r).

Satz 5.5. Ist K ein Korper, dann ist K[X ] ein Euklidischer Ring, insbesondere alsoein Hauptidealbereich.

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Polynomringe 37

Wir definieren im folgenden einen (aus der Analysis oder der Linearen Alge-bra) in Spezialfallen wohlbekannten Begriff, den Wert eines Polynoms an einerStelle des Koeffizientenringes. Die Moglichkeit, fur X

”einzusetzen“, ist die struk-

turell entscheidende Eigenschaft des Polynomrings. Die Bedeutung des nachstenSatzes ist mit der des Homomorphiesatzes vergleichbar. Die Konstruktion des Po-lynomrings wird dann zur Nebensache.

Satz 5.6. Es sei τ : R → S ein Homomorphismus von Ringen und b ∈ S. Dann gibtes genau einen Ringhomomorphismus τ∗ : R[X ] → S mit τ∗(X) = b und τ∗|R = τ .

Beweis. Es sei f = ∑anXn ∈ R[X ]. Wir setzen

τ∗( f ) = ∑τ(an)bn.

Es bereitet keine Muhe zu zeigen, daß τ∗ die im Satz genannten Eigenschaften hat.Uberdies folgt aus der Homomorphie-Eigenschaft, daß unsere Definition von τ∗

die einzig mogliche ist. �Wir halten einige Anwendungen von 5.6 fest.

Bemerkung 5.7. (a) Es sei R ein Unterring des Ringes S, ι : R → S die naturlicheInjektion, b ∈ S. Das Bild von R[X ] unter ι∗ bezeichnet man mit R[b]. Fur f ∈ R[X ]heißt f (b) = ι∗( f ) der Wert von f an der Stelle b. Man sagt auch: R[b] entsteht ausR durch Adjunktion von b und f (b) aus f durch Substitution von b.

Insbesondere ist damit erklart, was der Wert f (b) eines Polynoms f ∈ R[X ] ander Stelle b ∈ R ist. Gilt f (b) = 0, dann heißt b eine Nullstelle von f (in R). Wirbetrachten die Abbildung

α : R[X ] −→ Abb(R,R),

die jedem f ∈ R[X ] die Abbildung x �→ f (x) von R in R zuordnet. α ist offenbar einHomomorphismus von Ringen, der – wie das Beispiel zu Beginn des Abschnittszeigt – i.a. nicht injektiv ist.

(b) Es sei τ : R → S ein Homomorphismus von Ringen. Nach 5.6 gibt es genaueinen Ringhomomorphismus ϕ: R[X ] → S[X ] mit ϕ(X) = X und ϕ(a) = τ(a) furalle a ∈ R. Es ist

ϕ(∑anXn) = ∑τ(an)Xn,

die Koeffizienten der Polynome uber R werden also durch ihre τ-Bilder ersetzt.Ist insbesondere R Unterring von S, dann konnen wir nach der vorangegange-

nen Uberlegung R[X ] als Unterring von S[X ] auffassen. In der Tat ist ϕ injektiv,wenn dies fur τ gilt.

Eine weitere Anwendung erfahrt Satz 5.6 im Beweis der folgenden Aussage,die wir sehr haufig benutzen werden.

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38 Abschnitt 5

Satz 5.8. R sei ein Ring, I ein Ideal in R und I das von I in R[X ] erzeugte Ideal.Dann gilt:

(a) I∩R = I;(b) R[X ]/I ∼= (R/I)[X ];(c) I ist genau dann ein Primideal in R[X ], wenn I ein Primideal in R ist.

Beweis. Man uberlegt sich leicht, daß I gerade die Menge derjenigen Elemente vonR[X ] ist, deren Koeffizienten zu I gehoren. Damit ist (a) klar. Es sei π: R → R/I dienaturliche Projektion. Nach 5.6 gibt es einen (surjektiven) Homomorphismus π∗:R[X ] → (R/I)[X ] mit π∗(X) = X und π∗|R = π . Genau dann ist π∗( f ) = 0, wenndie Koeffizienten von f zu I gehoren. D.h. Kern(π∗) = I. Es folgen (b) und (c). �

Mittels der Division mit Rest (Satz 5.4) konnen wir zeigen, daß Linearfaktorenzu Nullstellen abspalten:

Satz 5.9. R sei ein Ring, f ∈ R[X ], a ∈ R. Genau dann ist a Nullstelle von f (d.h.f (a) = 0), wenn f = g · (X −a) fur ein g ∈ R[X ] gilt.

Beweis. Es sei a Nullstelle von f . Nach 5.4 ist f = g · (X − a) + r mit r ∈ R[X ],grad(r) ≤ 0. Wegen f (a) = 0 ist r(a) = 0, also r = 0. �

Satz 5.10. R sei ein Ring und f ∈ R[X ] nicht konstant. Hat f wenigstens eineNullstelle in R, so gibt es eine Darstellung

f = (X − x1)m1 · · ·(X − xr)mrg (∗)

mit paarweise verschiedenen xi ∈ R und positiven ganzen Zahlen mi und einemg ∈ R[X ], das keine Nullstelle in R hat. Insbesondere gilt ∑r

i=1 mi ≤ grad( f ).Ist R ein Integritatsbereich, dann hat f folglich hochstens grad( f ) verschiedene

Nullstellen. In diesem Fall ist {x1, . . . ,xr} die Gesamtheit der Nullstellen von f inR, und die Faktoren in der Darstellung (∗) sind eindeutig bestimmt.

Beweis. Die Darstellung (∗) erhalt man sofort mittels Satz 5.9 durch Induktionuber den Grad von f unter Verwendung der Gradformel, aus der dann auch ∑r

i=1 mi≤ grad( f ) folgt.

R sei jetzt ein Integritatsbereich. Ist a ∈ R eine Nullstelle von f , dann mußwegen g(a) �= 0 einer der ubrigen Faktoren auf der rechten Seite von (∗) in a ver-schwinden. Das bedeutet aber a ∈ {x1, . . . ,xr}. Ebenso erhalt man, daß der FaktorX − xi in jeder Darstellung von f der Form (∗) vorkommen muß. Die behaupteteEindeutigkeit ergibt sich hieraus mittels der Kurzungsregel. �

Satz 5.11. R sei ein Integritatsbereich. Dann ist ein von 0 verschiedenes Poly-nom uber R eines Grades ≤ m schon durch seine Werte auf m + 1 verschiedenen

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Polynomringe 39

Elementen von R eindeutig bestimmt. Insbesondere ist der in 5.7 (a) definierte Ho-momorphismus α : R[X ] → Abb(R,R) injektiv, wenn R unendlich viele Elementeenthalt.

Beweis. Die zweite Aussage ergibt sich sofort aus der ersten. Zum Beweis derersten betrachte man von 0 verschiedene Polynome f und g uber R eines Grades≤m, deren Werte auf m+1 verschiedenen Elementen von R ubereinstimmen. Dannhat auch f −g einen Grad ≤m und uberdies m+1 verschiedene Nullstellen. WegenSatz 5.10 folgt f −g = 0. �

Nachdem wir Polynomringe uber einem Ring konstruiert haben, kann man dieKonstruktion iterieren, speziell also den Polynomring

(R[X ])[Y ]

betrachten usw. Wir kommen so zu den Polynomringen in mehreren Unbestimm-ten, die in dieser Vorlesung aber keine Rolle spielen. Eine andere (und bessere)Moglichkeit, Polynomringe in mehreren Unbestimmten zu definieren, bekommtman, wenn man in der Konstruktion N durch Nn in geeigneter Weise ersetzt.

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ABSCHNITT 6

Irreduzibilitatskriterien fur Polynome

Wie wir in den folgenden Abschnitten noch sehen werden, ist es oft wichtig zuentscheiden, ob ein Polynom irreduzibel ist. Diese Aufgabe ist wesentlich schwie-riger zu losen als die, eine gegebene naturliche Zahl als Primzahl nachzuweisen,wo wenigstens ein elementarer Algorithmus auf der Hand liegt.

Von besonderem Interesse ist die Irreduzibilitat von Polynomen mit ganzzahli-gen Koeffizienten im Ring Q[X ]. Wie wir sehen werden, kann man dies im wesent-lichen schon in Z[X ] entscheiden, was eine wesentliche Vereinfachung bedeutet.Hier kann man Z durch einen beliebigen faktoriellen Ring ersetzen und Q durchden Korper Q(R) der Bruche von R.

Sehr einfach zu sehen ist, was mit den Primelementen und irreduziblen Ele-menten von R in R[X ] geschieht:

Satz 6.1. R sei Integritatsbereich, u ∈ R.

(a) Genau dann ist u Primelement in R, wenn u Primelement in R[X ] ist.(b) Genau dann ist u irreduzibel in R, wenn u irreduzibel in R[X ] ist.(c) Ist der Ring R[X ] faktoriell, dann ist auch R faktoriell.

Beweis. Aussage (a) ist aquivalent zu: Genau dann ist Ru ein Primideal in R, wennR[X ]u ein Primideal in R[X ] ist. Sie ergibt sich also direkt aus Satz 5.8 (c).

(b) folgt sofort aus der Gradformel: Jeder Teiler von u in R[X ] muß Grad 0haben.

(c) folgt aus (a) und der Gradformel. �Auch die Umkehrung von (c) ist richtig und ein wichtiger Satz. Wir werden ihn

unten beweisen. Eine erste Aussage in dieser Richtung ist

Satz 6.2. Sei f = Xn +an−1Xn−1 + · · ·+a1X +a0 ∈ R[X ] ein normiertes Polynomuber dem faktoriellen Ring R mit Quotientenkorper Q. Dann liegt jede Nullstellex0 ∈ Q von f schon in R und teilt dort a0.

Beweis. Wir wahlen eine Darstellung x0 = r/s mit teilerfremden r,s ∈ R. NachMultiplikation der Gleichung f (x0) = 0 mit sn ergibt sich

rn +an−1rn−1s+ · · ·+a1rsn−1 +a0sn = 0.

Also ist rn durch s teilbar, was der Teilerfremdheit widerspricht, es sei denn, s isteine Einheit. Mithin gilt x0 ∈ R und x0 | a0. �

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42 Abschnitt 6

Als kleine Anwendung beweisen wir, daß das Polynom f = X 3 + X2 + 2X + 1irreduzibel uber Q ist. Andernfalls hat es eine Nullstelle x0 ∈ Q. Diese muß nachdem Satz in Z liegen und ein Teiler von 1 sein; also x0 = ±1. Keine der Zahlen ±1ist aber Nullstelle von f .

Auch wenn man haufig an normierten Polynomen interessiert ist, lohnt es sich,diesen Begriff etwas zu verallgemeinern.

Definition. R sei ein Integritatsbereich. Dann heißt f ∈ R[X ] primitiv, wenn dieKoeffizienten von f teilerfremd sind. Mit anderen Worten: f hat keinen echtenTeiler aus R.

Insbesondere sind normierte Polynome primitiv. Wir beweisen nun das Lemmavon Gauß.

Satz 6.3. R sei ein faktorieller Ring, Q der Quotientenkorper von R und f ∈ R[X ]ein irreduzibles Polynom. Dann gilt:

(a) f ist auch in Q[X ] irreduzibel (und damit ein Primelement).(b) Wenn f primitiv ist, ist es ein Primelement in R[X ].

Beweis. (a) Angenommen, es gilt f = gh mit g, h∈Q[X ], grad(g)≥ 1, grad(h)≥ 1.Es gibt dann a, b ∈ R \ {0} mit ag, bh ∈ R[X ]. Betrachte ab f = (ag)(bh). ab istkeine Einheit in R, da andernfalls f in R[X ] zerlegbar ware, ab kann aber auchkeine Nichteinheit in R sein: Andernfalls ware ab Produkt von Primelementen ausR. Jeder Primfaktor u von ab in R (ist auch Primelement in R[X ] und) teilt agoder bh. Durch sukzessives Kurzen erhalt man also eine Gleichung f = g0h0 mitg0, h0 ∈ R[X ], wobei g und g0 bzw. h und h0 sich nur um Faktoren ( �= 0) aus Runterscheiden. Insbesondere ist grad(g0) ≥ 1, grad(h0) ≥ 1. Widerspruch!

(b) Zunachst ist klar, daß f ein Primelement in Q[X ] ist, denn irreduzible Ele-mente eines Hauptidealbereiches sind prim.

Seien g,h ∈ R[X ], und f teile gh in R[X ]. In Q[X ] gilt: f teilt g oder f teilt h,etwa f teilt g, also g = f g1 mit g1 ∈ Q[X ]. Es sei a ∈ R mit a �= 0 und ag1 ∈ R[X ].Wir setzen g2 = ag1. Dann ist f g2 = ag. Bei a ∈ R∗ sind wir fertig. Ist a keineEinheit in R und u Primfaktor von a in R, dann gilt: u teilt g2 in R[X ], da f primitivist. Folglich laßt sich a gegen einen Faktor von g2 kurzen, also: f teilt g in R[X ]. �

Bevor wir Satz 6.3 zur Untersuchung der Irreduzibilitat konkreter Polynomeanwenden, ziehen wir eine Konsequenz von prinzipieller Bedeutung.

Satz 6.4. Ist der Ring R faktoriell, so ist auch R[X ] faktoriell.

Beweis. Es sei f ∈ R[X ], f �= 0, f keine Einheit. d sei ein ggT der Koeffizientenvon f in R. Dann ist f = dg mit einem primitiven Polynom g ∈ R[X ]. Da d inR (und damit in R[X ]) Produkt von Primelementen ist, mussen wir wegen 6.3 le-diglich noch zeigen, daß jedes primitive Polynom aus R[X ] Produkt unzerlegbarer

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Irreduzibilitatskriterien fur Polynome 43

Elemente von R[X ] ist. Es sei f ∈ R[X ] ein primitives Polynom und f = gh mitNichteinheiten g, h ∈ R[X ]. Dann sind offenbar auch g und h wieder primitiv, undes gilt grad(g), grad(h) < grad( f ). Die behauptete Faktorisierung laßt sich somitdurch Induktion uber den Grad von f beweisen. �

Mit Hilfe des letzten Satzes konnen wir jetzt leicht einen faktoriellen Ring an-geben, der kein Hauptidealbereich ist: Z ist faktoriell, nach 6.4 ist dann auch Z[X ]faktoriell. Z[X ] ist aber kein Hauptidealbereich.

Mit Satz 6.3 kann man zum Beispiel die Irreduzibilitat von Polynomen in Q[X ]uber Z testen. Ein klassisches Kriterium, das dann manchmal anwendbar ist, ist dasKriterium von Eisenstein:

Satz 6.5. R sei ein Integritatsbereich und f ∈ R[X ] ein primitives Polynom, f =∑n

i=0 aiXi, n = grad( f ) ≥ 1. Es gebe ein Primelement u in R mit den folgenden

Eigenschaften:

(a) u teilt ai fur i = 0, . . . ,n−1;(b) u2 ist kein Teiler von a0.

Dann ist f irreduzibel.

Beweis. Angenommen f = gh mit g, h ∈ R[X ], r = grad(g) ≥ 1, s = grad(h) ≥ 1,g = b0 + · · ·+ brXr, h = c0 + · · ·+ csXs. Wegen a0 = b0c0 ist u Teiler von b0 odervon c0. Im ersten Fall sei bk der erste Koeffizient von g, der nicht von u geteiltwird. Da g wie f primitiv ist, ist bk wohlbestimmt. Es ist ak = b0ck + · · ·+bkc0. Dab0, . . . ,bk−1 und auch ak (wegen k ≤ r < n) von u geteilt werden, ist u Teiler vonbkc0, also von c0. Folglich ist u2 Teiler von a0 im Widerspruch zu (b). �

Ist der Ring R im Eisenstein-Kriterium faktoriell, dann ist – unter den dortangegebenen Voraussetzungen – das Polynom f nach Satz 6.3 sogar irreduzibeluber dem Quotientenkorper von R. Man erhalt so zum Beispiel sofort, daß dasPolynom X4 +6X3 +2X2 +2 irreduzibel uber Q ist.

Ein Kunstgriff ist das Anwenden einer geeigneten Substitution X �→ X + a miteinem geeigneten a ∈ R. Sei g = f (X +a). Dann gilt f = g(X −a), und f ist genaudann irreduzibel, wenn g es ist. Wir zeigen damit:

Satz 6.6. Es sei p eine Primzahl und f = 1+X + · · ·+X p−1. Dann ist f irreduzibelin Q[X ].

Beweis. Es ist (X −1) f = X p −1. Mittels der Substitution X �→ X + 1 erhalt manaus dieser Gleichung Xg = (X +1)p −1, g = 1+(X +1)+ · · ·+(X +1)p−1, also

Xg = X p +(

p1

)X p−1 + · · ·+

(p

p−1

)X = X

(X p−1 + pX p−2 + · · ·+

(p

p−1

)).

Auf g laßt sich das Eisenstein-Kriterium mit u = p anwenden: g ist irreduzibel uberZ und damit auch uber Q. �

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44 Abschnitt 6

Haufig kann man das folgende Reduktionsverfahren benutzen, insbesonderedann, wenn der Ring R/P endlich ist, wie etwa im Fall R = Z, P = Zp.

Satz 6.7. Es sei R ein Integritatsbereich, f ∈ R[X ] ein primitives Polynom und Pein Primideal in R derart, daß der Leitkoeffizient von f nicht in P liegt. π : R→R/Psei die kanonische Projektion und π∗ : R[X ] → (R/P)[X ] die Fortsetzung von πgemaß 5.7 (b). Dann gilt: Ist π∗( f ) irreduzibel, so ist auch f irreduzibel.

Dies ist offensichtlich: Wenn f = gh mit Polynomen g,h, deren Grad kleiner istals der von f , so ist π∗( f ) = π∗(g)π∗(h), und π∗( f ) hat nach Voraussetzung dengleichen Grad wie f . Dies ergibt einen Widerspruch zur Irreduzibilitat von π∗( f ).

Als Beispiel betrachten wir f = X5 + X2 + 1 ∈ Q[X ]. Zunachst ist klar, daßwir die Irreduzibilitat nur uber Z testen mussen. Wir betrachten nun π : Z → Z2.Dann ist π∗( f ) = X5 + X2 + 1. Dieses Polynom hat keine Nullstelle in Z2. Wennes uberhaupt zerfallt, dann in der Form gh, wobei gradg = 2, gradh = 3 und g undh irreduzibel. Nun gibt es aber nur ein einziges irreduzibles Polynom des Grades 2uber Z2, namlich X2 + X + 1. Man stellt sofort fest, daß es X5 + X2 + 1 nicht teilt,und hat insgesamt die Irreduzibilitat von f (uber Q) bewiesen.

Das Kriterium von Eisenstein kann man als Verfeinerung von Satz 6.7 ansehen.Die Voraussetzung dort, angewandt auf das Ideal P = Rp, ergibt, daß π∗( f ) = aXn

ist mit a ∈ R/P, a �= 0. Das Polynom aXn hat aber nur Zerlegungen in der Form(bXr)(cXs), und bei einer eventuellen Zerlegung f = gh in R[X ] muß π∗(g) = bXr,π∗(h) = cXs sein. Dann aber sind samtliche Koeffizienten von g und h außer denLeitkoeffizienten durch p teilbar, und der konstante Term von f durch p2, waseinen Widerspruch ergibt.

Schließlich sollte man noch die Methode der unbestimmten Koeffizienten er-wahnen. Bei ihr macht man einen Ansatz f = gh, wobei die Koeffizienten von gund h als Unbestimmte gewahlt werden. Man zeigt dann, daß das durch Koeffizi-entenvergleich entstehende Gleichungssystem nicht losbar ist.

Hierzu ein einfaches Beispiel (bei dem man allerdings besser mit der Methodeder Nullstellen argumentieren sollte): f = 1 + 5X + 4X 2 + X3 ∈ Z[X ]. Angenom-men, f ist reduzibel, also f = gh mit g,h ∈ Z[X ], grad(g) = 2, grad(h) = 1. Mandarf g und h als normiert annehmen. Mit g = X 2 + aX + b, h = X + c, erhalt mandas Gleichungssystem

bc = 1

ac+b = 5

a+ c = 4.

Ganze Zahlen a,b,c, die diesen Gleichungen genugen, gibt es aber nicht. Also istf irreduzibel.

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ABSCHNITT 7

Algebraische Korpererweiterungen

Nach dem Fundamentalsatz der Algebra besitzt jedes nichtkonstante Polynomf ∈ C[X ] eine Nullstelle in C. Speziell gilt dies fur Polynome f ∈ Q[X ] und all-gemeiner fur Polynome f ∈ K[X ], wenn K ein Teilkorper von C ist. Wann immerpolynomiale Gleichungen zu losen sind, muß man wissen, daß man zu einem gege-benen Polynom f ∈ K[X ] eine Nullstelle wenigstens in einem ErweiterungskorperL von K finden kann, wenn schon in K selbst keine exisiert. Wie wir gerade gese-hen haben, ist die Existenz einer solchen Nullstelle fur K ⊂ C gesichert.

Ganz anders ist die Situation etwa, wenn K ein endlicher Korper ist. Uns istkeine solche K umfassende

”Universalerweiterung“ wie C fur Q bekannt. Eine

geeignete Erweiterung muß vielmehr erst konstruiert werden. Dies ist – mit denMitteln der modernen Algebra – sehr einfach.

Satz 7.1. K sei ein Korper und f ein nicht konstantes Polynom uber K. Dann gibtes einen K enthaltenden Korper, in dem f eine Nullstelle hat.

Beweis. Wir zerlegen f in irreduzible Faktoren. Da jede Nullstelle eines irredu-ziblen Faktors von f auch Nullstelle von f ist, durfen wir annehmen, daß f selbstirreduzibel ist.

Dann ist K[X ] f ein maximales Ideal in K[X ], L = K[X ]/K[X ] f also ein Korper.Es bezeichne π : K[X ] → L die kanonische Projektion. Da (K[X ] f )∩K das Null-ideal ist, ist π|K injektiv. Wir konnen also K vermoge π als Unterkorper von L undf als Polynom uber L auffassen (vgl. 5.7 (a)). Dann ist 0 = π( f ) = f (π(X)). DasElement π(X) ist also Nullstelle von f in L. �

Die Struktur des Korpers L wird von dem irreduziblen Polynom f bestimmt.Daher ist es wichtig, Polynome auf Irreduzibilitat untersuchen zu konnen. Dafurhaben wir im vorangegangenen Abschnitt einige Hilfsmittel bereitgestellt.

Man kann die Struktur des im Beweis von Satz 7.1 konstruierten Korpers sehrleicht konkret so beschreiben, daß man in ihm gut rechnen kann. Wir durfen an-nehmen, daß f normiert ist, f = Xn +an−1Xn−1 + · · ·+a0. Fur x = π(X) gilt dannxn = −(an−1xn−1 + · · ·+a1x+a0).

Sei g ∈ K[X ]. Mittels Division mit Rest hat man

g = q f + r, gradr < n,

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46 Abschnitt 7

so daß die Restklasse von g vom Divisionsrest r reprasentiert wird. Andererseitsliegen verschiedene Polynome r,s mit gradr,grads < n niemals in der gleichenRestklasse. Die Abbildung

Kn → L, (bn−1, . . . ,b0) �→ bn−1xn−1 + · · ·+b1x+b0,

bildet Kn bijektiv auf L ab, und sie ist sogar K-linear. Damit ist L als K-Vektorraumbeschrieben.

Die Multiplikation fuhren wir aus, indem wir bn−1xn−1 + · · ·+ b1x + b0 undcn−1xn−1 + · · ·+ c1x+ c0 nach den gewohnten Regeln multiplizieren, und dann diePotenzen xm mit m ≥ n mittels der Gleichungen

xm = −(an−1xm−1 + · · ·+a0xm−n)

sukzessiv ersetzen. (Dies lauft naturlich auf die Division durch f mit Rest hinaus.)Das Endergebnis hat dann die Form dn−1xn−1 + · · ·+d1x+d0, wie gewunscht.

Die Irreduzibilitat von f hat bisher keine Rolle gespielt, aber fur die Division inL ist sie naturlich wichtig. Zu bn−1xn−1 + · · ·+b0 �= 0 betrachten wir das Polynomg = bn−1Xn−1 + · · ·+ b0 ∈ K[X ]. Da f irreduzibel ist, sind g und f teilerfremd. Esgibt also Polynome u und v mit

1 = u f + vg.

Die Restklasse von v ist dann das Inverse von g in L.Nachdem wir uns der Existenz von Nullstellen von Polynomen durch die Kon-

struktion von Erweiterungskorpern versichert haben, kehren wir die Situation ingewisser Weise um: Wir starten mit einem Erweiterungskorper L von K und inter-essieren uns vor allem dafur, ob und welche Elemente von L Nullstelle eines Poly-noms f ∈ K[X ] sind. Man nennt dann L : K (oder L/K) eine Korpererweiterung.

Beispiele. Bei der Korpererweiterung C : R ist jede komplexe Zahl a+bi, a, b∈R,Nullstelle eines nicht konstanten Polynoms aus R[X ], namlich von X2−2aX +a2 +b2. Anders ist die Situation bei R/Q: Es gibt reelle Zahlen, die nicht Nullstelle einesPolynoms �= 0 uber Q sind. Zum Beweis dieser Aussage zeigen wir, daß die Menge

A = {x ∈ C : f (x) = 0 fur ein f ∈ Q[X ] , f �= 0}.der algebraischen Zahlen abzahlbar ist – im Gegensatz zu R. Fur jedes n ∈ N istnamlich Qn+1 bijektiv abbildbar auf die Menge der Polynome vom Grad ≤ n; manordne jedem (a0,a1, . . . ,an) ∈ Qn+1 das Polynom a0 + a1X + · · ·+ anXn zu. Alsoist die Menge der Polynome vom Grad ≤ n abzahlbar. Als Vereinigung abzahlbarvieler abzahlbarer Mengen ist dann auch Q[X ] abzahlbar. Da jedes Polynom �= 0aus Q[X ] nur endlich viele Nullstellen hat, ist A eine Vereinigung abzahlbar vie-ler endlicher Mengen, also wieder abzahlbar. (Es ist schwierig, fur eine gegebenereelle Zahl nachzuweisen, daß sie nicht Nullstelle eines Polynoms �= 0 uber Q ist;bekannte Beispiele dafur sind die Kreiszahl π und die Eulersche Zahl e.)

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Algebraische Korpererweiterungen 47

Definition. Es sei L Erweiterungskorper des Korpers K. Dann heißt α ∈ L alge-braisch uber K, wenn es ein Polynom f ∈ K[X ], f �= 0, gibt mit f (α) = 0. An-dernfalls heißt α transzendent uber K. Ist jedes Element von L algebraisch uber K,dann heißt L : K eine algebraische Korpererweiterung.

Naturlich ist jedes α ∈ K algebraisch uber K. Zum Beispiel ist C : R eine alge-braische Korpererweiterung, R : Q hingegen nicht.

L : K sei eine Korpererweiterung und α ∈ L. Mit K(α) bezeichnen wir denQuotientenkorper von K[α] in L. (Wir erinnern daran, daß K[α] aus allen Summender Form a0 +a1α + · · ·+anαn mit n ∈ N und a0, . . . ,an ∈ K besteht.)

Satz 7.2. Es sei L : K eine Korpererweiterung und α ∈ L. Dann sind die folgendenAussagen aquivalent:

(a) α ist algebraisch uber K.(b) Der Substitutionshomomorphismus K[X ] → L, X �→ α , ist nicht injektiv.(c) K[α] ist ein Korper.(d) Es ist K[α] = K(α).(e) Der Kern des Substitutionshomomorphismus K[X ] → L, X �→ α , wird von

einem irreduziblen normierten Polynom fα ∈ K[X ] erzeugt.

Ist α algebraisch uber K, dann ist das Polynom fα unter (e) eindeutig bestimmt.

Beweis. Die Aquivalenz von (a) und (b) folgt unmittelbar aus der Definition oben.Das Bild K[α] des Substitutionshomomorphismus ϕ : K[X ] → L, X �→ α , ist

ein Integritatsbereich, so daß sein Kern P in jedem Falle ein Primideal ist.Der Homomorphismus ϕ ist genau dann nicht injektiv, wenn P nicht das Null-

ideal, im Hauptidealring K[X ] also maximal ist. Dies wiederum ist aquivalent dazu,daß K[α] ∼= K[X ]/P ein Korper ist. Dies ist gerade die Aquivalenz von (b) und (c).Jene von (c) und (d) ist trivial.

Die Aquivalenz von (c) und (e) folgt schließlich aus der Tatsache, daß ein Ideal�= 0 in einem Hauptidealring genau dann maximal ist, wenn es von einem irredu-ziblen Element erzeugt wird. Uberdies ist jedes irreduzible Polynom in K[X ] zueinem normierten Polynom assoziiert.

Da zwei normierte assoziierte Polynome uber K schon ubereinstimmen, sindwir mit dem Beweis fertig. �Definition. L : K sei eine Korpererweiterung und α ∈ L algebraisch uber K. Dannheißt das eindeutig bestimmte Polynom fα aus 7.2 das Minimalpolynom von αuber K.

In der Situation der Definition ist g ∈ K[X ] genau dann das Minimalpolynomvon α uber K, wenn g eine der beiden folgenden Eigenschaften erfullt:

(a) g ist ein irreduzibles, normiertes Polynom mit g(α) = 0.(b) g ist ein normiertes Polynom minimalen Grades mit g(α) = 0.

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48 Abschnitt 7

Beispielsweise ist X2 +1 das Minimalpolynom von i uber R und X2 −2 das Mini-malpolynom von

√2 uber Q. In der eingangs betrachteten Situation L = K[X ]/I( f )

mit einem irreduziblen normierten Polynom f ∈ K[X ] ist f das Minimalpolynomder Restklasse x von X .

Ist L : K eine Korpererweiterung, dann ist insbesondere L ein K-Vektorraum,dessen Dimension wir mit [L : K] bezeichnen und den Grad von L uber K nennen.Die Korpererweiterung L : K heißt endlich, wenn [L : K] < ∞ gilt. Direkt aus derDefinition ergibt sich:

[L : K] = 1 ⇐⇒ L = K.

Ein einfaches nichttriviales Beispiel ist [C : R] = 2, da 1, i bekanntlich eine Basisvon C uber R bilden. Es ist C = R(i) und 2 auch der Grad des Minimalpolynomsvon i uber R. Allgemein hat man (und das erklart die Wahl des Begriffes

”Grad“

einer Korpererweiterung):

Satz 7.3. Es sei L : K eine Korpererweiterung und α ∈ L algebraisch uber K. DasMinimalpolynom fα von α uber K besitze den Grad n. Die Substitution X �→ αinduziert einen Isomorphismus K[X ]/K[X ] fα ∼= K(α). Insbesondere ist K(α) : Keine endliche Korpererweiterung des Grades n, und die Potenzen 1,α, . . . ,αn−1

bilden eine K-Basis von K(α).

Beweis. Dies haben wir im wesentlichen ja schon in Satz 7.2 festgestellt. Mittelsdes Isomorphismus ubertragen sich die eingangs ermittelten Eigenschaften vonK[X ]/K[X ] fα auf K(α). �

Der Grad von Korpererweiterungen verhalt sich multiplikativ in folgendemSinne:

Satz 7.4. [Gradsatz] Es seien L : L′ und L′ : K endliche Korpererweiterungen.Dann ist auch L : K endlich, und es gilt: [L : K] = [L : L′] · [L′ : K].

Beweis. Es sei x1, . . . ,xn eine Basis von L uber L′ und y1, . . . ,ym eine Basis von L′

uber K. Es genugt zu zeigen, daß die Elemente xiy j, i = 1, . . . ,n, j = 1, . . . ,m, eineBasis von L uber K bilden.

Zum Beweis der linearen Unabhangigkeit uber K betrachten wir eine Gleichung∑i, j ai jxiy j = 0 mit ai j ∈ K. Wegen ∑i, j ai jxiy j = ∑i(∑ j ai jy j)xi und der linearenUnabhangigkeit von x1, . . . ,xn uber L′ folgt hieraus ∑ j ai jy j = 0 fur i = 1, . . . ,n.Wegen der linearen Unabhangigkeit von y1, . . . ,ym uber K folgt weiter ai j = 0 furi = 1, . . . ,n und j = 1, . . . ,m.

Es sei x ∈ L. Dann ist x Linearkombination der Produkte xiy j uber K: Zunachsthat man eine Darstellung x = ∑i aixi mit Elementen ai ∈ L′ und weiter Darstel-lungen ai = ∑ j bi jy j mit Elementen bi j ∈ K. Insgesamt erhalt man x = ∑i aixi =∑i(∑ j bi jy j)xi = ∑i, j bi jxiy j. �

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Algebraische Korpererweiterungen 49

Wir merken an, daß umgekehrt die Korpererweiterungen L : L′ und L′ : K na-turlich endlich sind, wenn dies fur L : K gilt. Bevor wir den zentralen Satz inder Theorie der endlichen Korpererweiterungen formulieren, fuhren wir noch ei-ne Schreibweise ein: Es sei L : K eine beliebige Korpererweiterung. Dann ist furElemente α1, . . . ,αn ∈ L der Unterring K[α1, . . . ,αn] von L wohldefiniert: Er be-steht aus allen Elementen f (α1, . . . ,αn) ∈ L mit f ∈ K[X1, . . . ,Xn]. Wir bezeichnenmit K(α1, . . . ,αn) den Quotientenkorper von K[α1, . . . ,αn] in L. Man beachte, daßK[α1, . . . ,αn] = K[α1, . . . ,αn−1][αn] und K(α1, . . . ,αn) = K(α1, . . . ,αn−1)(αn) bein ≥ 1.

Satz 7.5. Jede endliche Korpererweiterung ist algebraisch. Eine Korpererweite-rung L : K ist genau dann endlich, wenn es endlich viele uber K algebraischeElemente α1, . . . ,αn ∈ L gibt, so daß L = K(α1, . . . ,αn) gilt.

Beweis. Die Korpererweiterung L : K besitze den Grad n < ∞. Es sei α ∈ L. Dan+1 Elemente aus L uber K linear abhangig sind, gilt eine Gleichung a0 +a1α +· · ·+ anαn mit Elementen a0, . . . ,an ∈ K, die nicht alle verschwinden. Das vonNull verschiedene Polynom a0 +a1X + · · ·+anXn ∈ K[X ] hat also α als Nullstelle.Folglich ist α algebraisch uber K.

Ist die Korpererweiterung L : K endlich vom Grad n, dann gibt es eine Basisα1, . . . ,αn von L uber K. Insbesondere ist L ⊂ K[α1, . . . ,αn] ⊂ K(α1, . . . ,αn). DaL ein K und die Elemente α1, . . . ,αn enthaltender Korper ist, gilt trivialerweiseK(α1, . . . ,αn) ⊂ L. Aus dem ersten Teil des Satzes und dem Gradsatz folgt ferner,daß α1, . . . ,αn uber K algebraisch sind.

Umgekehrt gebe es endlich viele uber K algebraische Elemente α1, . . . ,αn ∈ L,so daß L = K(α1, . . . ,αn) gilt. Fur n = 1 folgt die zu beweisende Aussage dannaus 7.3. Es sei n > 1. Nach Induktionsvoraussetzung ist K(α1, . . . ,αn−1) : K ei-ne endliche Korpererweiterung. Da das Element αn algebraisch ist uber K, istes erst recht algebraisch uber K(α1, . . . ,αn−1). Folglich ist die KorpererweiterungK(α1, . . . ,αn−1)(αn) : K(α1, . . . ,αn−1) endlich. Nach dem Gradsatz ist dann auchK(α1, . . . ,αn−1)(αn) : K, d.h. L : K eine endliche Korpererweiterung. �

Aus Satz 7.5 ergibt sich die Transitivitat der Eigenschaft von Korpererweite-rungen, algebraisch zu sein:

Satz 7.6. Es seien L : L′ und L′ : K Korpererweiterungen. Genau dann ist dieKorpererweiterung L : K algebraisch, wenn L : L′ und L′ : K algebraisch sind.

Beweis. Ist L : K algebraisch, dann sind naturlich L : L′ und L′ : K algebraisch.Es sei dies umgekehrt der Fall und α ∈ L. Da L : L′ algebraisch ist, gilt eineGleichung b0 + b1α + · · ·+ bnαn = 0 mit Elementen b0, . . . ,bn ∈ L′, die nicht alleverschwinden. Insbesondere ist α algebraisch uber dem Korper K(b0, . . . ,bn) undK(b0, . . . ,bn)(α) : K(b0, . . . ,bn) endlich (nach Satz 7.3). Da die Elemente b0, . . . ,bn

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50 Abschnitt 7

nach Voraussetzung algebraisch sind uber K, ist K(b0, . . . ,bn) : K nach Satz 7.5 ei-ne endliche Korpererweiterung. Mit dem Gradsatz erhalten wir schließlich, daßK(b0, . . . ,bn)(α) : K eine endliche Korpererweiterung ist. Dann ist aber – nach derersten Aussage von Satz 7.5 – α algebraisch uber K. �

Eine weitere wichtige Folgerung aus Satz 7.5 ist

Satz 7.7. Es sei L : K eine Korpererweiterung und Ha(L : K) die Gesamtheit al-ler uber K algebraischen Elemente von L. Dann ist Ha(L : K) ein K enthaltenderUnterkorper von L.

Beweis. Sind α,β ∈ L algebraisch uber K, dann ist K(α,β ) : K nach Satz 7.5 einealgebraische Korpererweiterung. Insbesondere sind die Elemente α ±β und α ·βsowie, falls β �= 0, α · β−1 wieder algebraisch uber K. Das beweist bereits dieBehauptung. �

Hieraus ergibt sich zum Beispiel, daß die zu Beginn dieses Abschnitts betrach-tete Menge A der algebraischen Zahlen ein Q enthaltender Unterkorper von C ist.A : Q ist nicht endlich: Fur jedes n ∈ N, n ≥ 1, ist f = Xn −2 ein irreduzibles Po-lynom in Q[X ] (warum?). Folglich ist f das Minimalpolynom von n

√2 uber Q und

[Q( n√

2) : Q] = n (nach Satz 7.3). Nach dem Gradsatz kann A : Q nicht endlich sein.

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ABSCHNITT 8

Zerfallungskorper von Polynomen

Es sei K ein Korper und f ein nicht konstantes Polynom in K[X ]. WegenSatz 7.1 gibt es einen Erweiterungskorper L von K, uber dem f in Linearfakto-ren zerfallt; denn wenn dies uber K noch nicht der Fall sein sollte, erweitern wir Keinfach durch Adjunktion einer Nullstelle. Spatestens nach grad f solchen Erweite-rungen haben wir unser Ziel erreicht. Sind α1, . . . ,αn die verschiedenen Nullstellenvon f in L, dann zerfallt f naturlich schon uber dem Teilkorper K(α1, . . . ,αn) vonL in Linearfaktoren. Da jeder K umfassende Teilkorper von L, uber dem f in Li-nearfaktoren zerfallt, die Elemente α1, . . . ,αn enthalten muß, ist K(α1, . . . ,αn) derkleinste K umfassende Teilkorper von L, uber dem f in Linearfaktoren zerfallt.

Definition. K sei ein Korper und f ein nicht konstantes Polynom uber K. Ein Er-weiterungskorper L von K heißt Zerfallungskorper von f (uber K), wenn f uberL in Linearfaktoren zerfallt und L = K(α1, . . . ,αn) gilt, wobei α1, . . . ,αn die Null-stellen von f in L sind.

Wir betrachten dazu folgende

Beispiele. (a) Sei f = X3 −1 = (X −1)(X2 +X +1) ∈ Q[X ]. Dieses Polynom hatdie Nullstellen 1, ζ1 = (1+ i

√3)/2 und ζ2 = ζ 2

1 . Folglich liegt ζ2 ∈ L = Q[ζ1], undf zerfallt uber L in Linearfaktoren.

Das konnen wir leicht verallgemeinern: Wenn g ein irreduzibles Polynom desGrades 2 uber K ist und L = K[α] fur eine Nullstelle α von g, dann zerfallt g uberK[α] naturlich in Linearfaktoren, und der Zerfallungskorper ist gefunden.

(b) Sei nun f = X3 − 2. Dieses Polynom hat keine Nullstelle in Q und ist da-her irreduzibel. Sei K = Q[ 3

√2]. Dann gilt [K : Q] = 3. Keineswegs aber ist K der

Zerfallungskorper, denn K ⊂ R, und f hat ja zwei nichtreelle Nullstellen, namlichρ1 = 3

√2ζ1 und ρ2 = 3

√2ζ2 (mit den Bezeichnungen aus (a)). Sei f = (X − 3

√2)g.

Dann hat g ∈ K[X ] den Grad 2, und wenn wir L = K[ζ1] setzen, haben wir denZerfallungskorper von f gefunden. Da [L : K] = 2, folgt nach dem Gradsatz insge-samt [L : Q] = 6. (Man sieht ubrigens leicht, daß Q[ζ1] ⊂ L, namlich wie?)

Naturlich sind Zerfallungskorper immer endlich uber dem Grundkorper. DieExistenz von Zerfallungskorpern ist, wie wir gesehen haben, gesichert. Wir wid-men uns jetzt dem Eindeutigkeitsproblem, d.h. wir wollen zeigen, daß die Zerfal-

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52 Abschnitt 8

lungskorper, die man in verschiedenen Korpern uber dem Grundkorper konstruie-ren kann, auf naturliche Weise zueinander isomorph sind.

Sind L und L Erweiterungskorper des Korpers K, dann nennt man einen Ho-momorphismus von L in L, der die Elemente von K fest laßt, einen K-Homomor-phismus. Offenbar ist ein Ring-Homomorphismus ψ: L → L genau dann ein K-Homomorphismus, wenn ψ gleichzeitig eine K-lineare Abbildung im Sinne derlinearen Algebra ist. Die Begriffe K-Isomorphismus und K-Automorphismus wer-den entsprechend eingefuhrt.

Satz 8.1. Seien K ein Korper, f ein irreduzibles Polynom uber K und α,β Null-stellen von f in Erweiterungskorpern von K. Dann gibt es genau einen K-Isomor-phismus ψ : K[α] → K[β ] mit ψ(α) = β .

Beweis. Sei grad f = n. Nehmen wir an, ein K-Homomorphismus ψ mit ψ(α) = βsei gefunden. Dann gilt fur alle c0, . . . ,cn−1 ∈ K:

ψ(cn−1αn−1 + · · ·+ c0) = cn−1β n−1 + · · ·+ c0.

Dies zeigt unmittelbar, daß ψ ein Isomorphismus sein muß und eindeutig bestimmtist, denn αn−1, . . . ,1 und β n−1, . . . ,1 sind Basen der K-Vektorraume K[α] undK[β ]. Wir konnten ψ direkt durch die obige Gleichung definieren, mussten dannaber zeigen, daß es wirklich ein Ringhomomorphismus ist. Das ist nicht schwer,aber wir wollen stattdessen den Satz vom induzierten Homomorphismus heranzie-hen, und zwar schon deshalb, um seine Anwendung zu uben.

Wir betrachten die Substitutionshomomorphismen π : K[X ]→K[α], π(X) = α ,und ϕ : K[X ]→K[β ], ϕ(X) = β . Beide sind surjektiv und haben den gleichen KernP = K[X ] f (siehe Satz 7.2). Nach dem Satz vom induzierten Homomorphismuskonnen wir dann einen Homomorphismus ψ : K[α] → K[β ] mit ψ ◦π = ϕ finden.

Da π(x) = x = ϕ(x) fur alle x ∈ K gilt, trifft dies auch auf ψ zu, denn ψ(x) =ψ(π(x) = ϕ(x) = x. Ferner ist ψ(α) = ψ(π(X)) = ϕ(X) = β . �

Der letzte Satz ist der wesentliche Schritt beim Beweis von

Satz 8.2. Seien L und L Erweiterungen von K, die beide Zerfallungskorper desPolynoms f uber K sind. Dann gibt es einen K-Isomorphismus ϕ : L → L mitϕ|K = idK.

Beweis. Wir beweisen die Behauptung durch Induktion uber den (endlichen) Gradvon L : K. Bei [L : K] = 1 ist L = L = K, und man setze ϕ = idK .

Es sei [L : K] > 1. Es gibt einen irreduziblen Faktor g von f mit gradg ≥ 2.Dieser hat in L eine Nullstelle α , in L eine Nullstelle β . Nach Satz 8.1 gibt eseinen K-Isomorphismus ψ : K[α] → K[β ] mit ψ(α) = β . Wir durfen K[α] undK[β ] mittels ψ identifizieren, also annehmen, daß K = K[α] in L enthalten ist undα = β gilt.

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Zerfallungskorper von Polynomen 53

Nun sind L und L Zerfallungskorper von f auch als Polynom aus K[X ]. Da[L : K] < [L : K], konnen wir die Induktionsvoraussetzung anwenden und erhalteneinen K-Isomorphismus L ∼= L. Dieser ist auch ein K-Isomorphismus. �

Satz 8.2 erlaubt es uns, von dem Zerfallungskorper des Polynoms f uber demKorper K zu sprechen. Man sollte aber beachten, daß der Isomorphismus in Satz8.2 keineswegs eindeutig bestimmt ist. Dies wurde ja im Fall L = L insbesonde-re bedeuten, daß der einzige K-Automorphismus von L die Identitat ist, was nunkeineswegs zutrifft. Wir diskutieren dazu zwei Beispiele.

Beispiele. (a) Sei [L : K] = 2, etwa L = K[α] mit Minimalpolynom f vom Grad 2.Wir setzen voraus, daß charK �= 2. Dann gilt β �= α fur die zweite Nullstelle β vonf . Nach Satz 8.1 gibt es also einen K-Automorphismus ϕ von L mit ϕ(α) = β ,

ϕ(x+ yα) = x+ yβ ,

fur alle x,y ∈ K. Wegen ϕ(α) = β �= α ist ϕ �= idL. Mann nennt ϕ ublicherweisedie Konjugation auf L (bezuglich K), denn im Spezialfall K = R, L = C ist ϕ diekomplexe Konjugation.

Andererseits ist jeder K-Automorphismus ψ von L durch seinen Wert auf αbestimmt, denn jedes Element von L hat die Form x+yα mit x,y ∈ K. Da nun aberauch ψ(α) Nullstelle von f sein muß, gilt ψ(α) = α oder ψ(α) = β . Es folgtψ = idL oder ψ = ϕ .

(b) Wir betrachten noch einmal den Zerfallungskorper L des Polynoms f =X3 −2 uber Q. Wir wissen, daß L = K[α] mit K = Q[ 3

√2], α = 3

√2ζ1, ζ 3

1 = 1, ist.Da [L : K] = 2, gibt es nach (a) einen K-Automorphismus ϕ von L mit ϕ(α) =β = 3

√2ζ 2

1 . Wegen Q ⊂ K ist ϕ ein Q-Automorphismus mit ϕ( 3√

2) = 3√

2. ϕ ist dieEinschrankung der komplexen Konjugation von C auf L.

Wir konnen analog Automorphismen konstruieren, die eine der anderen beidenNullstellen α und β von f festhalten und die dritte mit 3

√2 vertauschen. Wenn wir

dann noch Kompositionen dieser drei Automorphismen betrachten, sehen wir, daßsich jede Permutation der 3 Nullstellen durch Q-Automorphismen von L realisierenlaßt. Damit besitzt L mindestens 6 Q-Automorphismen. Mehr konnen es anderer-seits nicht sein, denn jeder solche Automorphismus ist durch seine Werte auf den 3Nullstellen eindeutig bestimmt: Jedes Element von L ist Q-Linearkombination vonProdukten ihrer Potenzen.

Mit der genaueren Untersuchung der Automorphismen von Korpern beschaftigtsich die Galois-Theorie.

Am Schluß dieses Abschnitts wollen wir auf das Existenz- und Eindeutigkeits-problem endlicher Korper eingehen. Dafur stellen wir noch einen Hilfssatz bereit.

Satz 8.3. Sei G eine (multiplikativ geschriebene) abelsche Gruppe der Ordnung n.Dann ist an = e fur alle a ∈ G.

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54 Abschnitt 8

Beweis. Die Multiplikation mit a ist eine bijektive Abbildung von G auf sichselbst. Daher, und weil G abelsch ist, ist

∏b∈G

b = ∏b∈G

ab = an ∏b∈G

b.

Kurzen von ∏b∈G b liefert an = e. �Wie wir bereits wissen, ist die Machtigkeit eines endlichen Korpers immer eine

Primzahlpotenz. Wir konnen als erstes zeigen, daß es bis auf Isomorphie hochstenseinen endlichen Korper mit p Elementen gibt.

Satz 8.4. Es sei p eine Primzahl, n eine positive ganze Zahl und L ein Korpermit pn Elementen. Dann ist L Zerfallungskorper des Polynoms X pn −X uber demPrimkorper Zp von L.

Beweis. Die Einheitengruppe L∗ von L hat pn − 1 Elemente. Nach Satz 8.3 giltfolglich apn−1 = 1 fur alle a ∈ L∗, also apn − a = 0 fur alle a ∈ L. Damit sind alleElemente von L Nullstellen des Polynoms X pn − X ∈ K[X ], wobei K ∼= Zp denPrimkorper von L bezeichne, vgl. Satz 3.1. Da der Grad dieses Polynoms pn ist,zerfallt es uber L in Linearfaktoren; L ist folglich Zerfallungskorper von X pn −Xuber K. �

Wir wollen jetzt umgekehrt zeigen, daß der Zerfallungskorper von X pn −X uberZp genau pn Elemente enthalt. Hierzu benotigen wir als Beweis-Instrument denBegriff der (formalen) Ableitung eines Polynoms. Im folgenden sei R stets einkommutativer Ring mit Einselement.

Definition. Es sei f = ∑ni=0 aiX

i ∈ R[X ]. Dann heißt das Polynom

f ′ =

{0, falls f konstant ist,

∑ni=1 iaiX

i−1 andernfalls,

die Ableitung von f .

Mit diesem Ableitungsbegriff konnen wir so umgehen, wie wir das aus derAnalysis gewohnt sind:

Satz 8.5. Fur alle f ,g ∈ R[X ], a ∈ R und n ∈ N, n > 0, gilt:

(a) ( f +g)′ = f ′ +g′;(b) (a f )′ = a f ′;(c) ( f g)′ = f ′g+ f g′;(d) ( f n)′ = n f n−1 f ′.

Der Beweis erfolgt durch Nachrechnen. Mit Hilfe der Ableitung konnen wirkontrollieren, ob ein gegebenes Polynom f ∈ R[X ], f �= 0, mehrfache Nullstellenin R hat.

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Zerfallungskorper von Polynomen 55

Satz 8.6. Es sei f ∈ R[X ], f �= 0. Genau dann hat f in a ∈ R eine einfache Null-stelle, wenn f (a) = 0 und f ′(a) �= 0 gilt.

Beweis. f (a) = 0 ist gleichbedeutend mit f = (X − a)g, g ∈ R[X ] (Satz 5.9). Hatf in a ∈ R eine einfache Nullstelle, dann ist g(a) �= 0. Wegen f ′ = g +(X − a)g′

gilt dann f ′(a) �= 0. Hat f in a eine mehrfache Nullstelle, so gilt f = (X −a)2h miteinem h ∈ R[X ] und f ′ = 2(X −a)h+(X −a)2h′, also f ′(a) = 0. �Satz 8.7. Es sei p eine Primzahl und n eine positive ganze Zahl. Dann ist derZerfallungskorper des Polynoms X pn −X uber Zp bis auf Isomorphie der einzigeKorper mit pn Elementen.

Beweis. Das Polynom f = X pn −X hat wegen f ′ =−1 (beachte in Zp[X ]: (X pn)′ =

pnX pn−1 = 0) im Zerfallungskorper L uber Zp nur einfache Nullstellen.Es genugt zu zeigen, daß diese Nullstellen einen Teilkorper K von L bilden.

Wir wissen, daß die Abbildung F : L → L, F(x) = xp ein Endomorphismus vonL in sich ist (damit sogar ein Automorphismus, denn L hat nur endlich viele Ele-mente). Sei G die n-fache Komposition von F mit sich selbst. Dann ist auch G einEndomorphismus von L und die Teilmenge {x ∈ L : G(x) = x} ist ein Teilkorper.Nach Definition besteht er gerade aus den Nullstellen von f .

Nach Definition des Zerfallungskorpers gilt K = L. Die Eindeutigkeitsaussagehatten wir bereits bewiesen. �

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ABSCHNITT 9

Konstruktionen mit Zirkel und Lineal

Konstruktionen mit Zirkel und Lineal sind nach Platon solche, bei denen nurdie folgenden Konstruktionsschritte zulassig sind:

(a) Zeichnen einer Geraden durch zwei bereits vorhandene Punkte.(b) Zeichnen eines Kreises um einen bereits vorhandenen Punkt als Mittel-

punkt mit dem Abstand zweier vorhandener Punkte als Radius.(c) Hinzufugen der Schnittpunkte der so konstruierten Geraden und Kreise zu

den vorhandenen Punkten.

Wir wollen dies zunachst prazisieren. Dazu bezeichne E die euklidische Ebene,und fur M ⊂ E, |M| ≥ 2, sei G(M) die Menge der aus M mittels der Schritte (a)und (b) konstruierbaren Figuren. Also besteht besteht G(M) aus allen Geradendurch zwei Punkte in M und allen Kreisen, deren Mittelpunkt in M liegt und derenRadius der Abstand zweier Punkte aus M ist.

Definition. Der Punkt a ∈ E entsteht aus M durch Elementarkonstruktion, wenn aSchnittpunkt zweier Figuren aus G(M) ist.

Der Punkt a ∈ E ist aus M konstruierbar, wenn es Punkte a1, . . . ,an ∈ E gibtmit an = a, so daß a1 aus M und ai+1 fur i = 1, . . . ,n−1 aus M∪{a1, . . . ,ai} durchElementarkonstruktion entsteht.

Insbesondere sind die Punkte von M aus M (elementar) konstruierbar (wes-halb?). Wir vereinbaren noch folgende vereinfachende Sprechweise: Die Geradeg heißt aus M konstruierbar, wenn es auf g mindestens zwei verschiedene Punktegibt, die aus M konstruierbar sind. Leicht einzusehen sind die im folgenden haufigverwendeten Aussagen:

(a) Sind zwei Punkte aus M konstruierbar, dann ist auch der Mittelpunkt derVerbindungsstrecke aus M konstruierbar.

(b) Sind der Punkt P und die Gerade g aus M konstruierbar, dann ist auch dieSenkrechte zu g durch P aus M konstruierbar.

Zum Beweis von (a) seien P,Q aus M konstruierbar. Wir durfen P �= Q annehmen.Die Kreise um P und Q mit dem Abstand von P und Q als Radius schneiden sich inzwei verschiedenen Punkten; die Verbindungsgerade (ist die Mittelsenkrechte und)schneidet die Gerade durch P und Q im gesuchten Mittelpunkt. Bei (b) sei Q �= Pein aus M konstruierbarer Punkt von g und r der Abstand von P und Q. Der Kreis

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58 Abschnitt 9

um P mit dem Radius r schneidet die Gerade g in Q und einem weiteren Punkt Q′.Bei Q′ �= Q bestimmen die Kreise um Q,Q′ mit dem Abstand von Q und Q′ alsRadius die Senkrechte auf g durch P. Ist Q′ = Q, dann ist die Verbindungsgeradevon P und Q bereits die gesuchte Senkrechte.

Wir identifizieren jetzt E mit R2, um algebraische Methoden verwenden zukonnen. Dabei wahlen wir die Koordinaten in R2 so, daß die Punkte (0,0) und(1,0) in M liegen. Die Punkte (r,0) identifizieren wir wie ublich mit den Korper-elementen r ∈ R. Es gilt:

(c) Der Punkt (x,y)∈ R2 ist genau dann aus M konstruierbar, wenn x und y ausM konstruierbar sind.

Beim Beweis von (c) beachte man, daß die y-Achse nach (b) aus M konstruier-bar ist. Ist (x,y) aus M konstruierbar, dann sind es nach (b) auch die Senkrechtendurch (x,y) auf die x-Achse und die y-Achse. Also sind x,y aus M konstruierbar.Ist dies umgekehrt der Fall, dann ist offenbar auch (0,y) aus M konstruierbar. Da(x,y) Schnittpunkt der Lote durch x und (0,y) auf die x- bzw. y-Achse ist, sind wirfertig.

Satz 9.1. Es sei M ⊂ R2 mit 0,1 ∈ M. Dann gilt:

(a) Die Menge KM der aus M konstruierbaren Punkte von R ist ein (Q enthal-tender) Teilkorper von R.

(b) Ist r ∈ KM, r ≥ 0, dann ist auch√

r ∈ KM.

Beweis. (a) Wir wissen, daß 0 und 1 in KM liegen. Es seien x,y∈KM. Der Kreis umx mit dem Radius |y| schneidet R in den Punkten x±y. Also gilt x−y ∈ KM. Es seiy �= 0. Zum Beweis von xy−1 ∈ KM durfen wir x,y > 0 annehmen. Nach Aussage(c) oben sind auch (0,x),(1,x− y) aus M konstruierbar. Die Gerade durch (0,x)und (1,x− y) schneidet R nach dem Strahlensatz im Punkt xy−1.

(b) Der Punkt r−12 liegt wegen (a) in KM. Der Kreis um r−1

2 mit dem Radius r+12

schneidet die (positive) y-Achse in einem Punkt (0,s). Das von den Punkten −1, r,(0,s) gebildete Dreieck ist nach dem Satz des Thales in (0,s) rechtwinklig. Nachdem Hohensatz des Euklid gilt s2 = r. Also gilt

√r ∈ KM. �

Bevor wir das eigentliche Konstruierbarkeitskriterium formulieren, zwei Hilfs-aussagen:

Satz 9.2. Es sei M ⊂ R2 mit 0,1 ∈ M. K sei ein Teilkorper von R, der die Koordi-naten aller Punkte von M enthalt. Dann gibt es zu jedem durch Elementarkonstruk-tion aus M entstehenden Punkt (x,y) einen Teilkorper L von R mit L ⊃ K, x,y ∈ Lund [L : K] ≤ 2.

Beweis. Wir haben drei Falle zu betrachten:

1. (x,y) ist Schnittpunkt zweier Geraden g,g′ ∈ G(M).

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Konstruktionen mit Zirkel und Lineal 59

2. (x,y) ist Schnittpunkt einer Geraden g und eines Kreises k aus G(M).3. (x,y) ist Schnittpunkt zweier Kreise k,k′ ∈ G(M).

Wir untersuchen die drei Falle. 1. Fall: g und g′ seien gegeben durch Punkte(x1,y1), (x2,y2) und (x′1,y

′1), (x′2,y

′2) von M. Der Schnittpunkt (x,y) ist die eindeu-

tige Losung des linearen Gleichungssystems

(X − x1)(y2 − y1)− (Y − y1)(x2 − x1) = 0

(X − x′1)(y′2 − y′1)− (Y − y′1)(x

′2 − x′1) = 0.

Die Koeffizienten dieses Gleichungssystems gehoren zu K, also auch die Koordi-naten x,y der Losung. Setze in diesem Falle L = K.

2. Fall: Es sei g wie im 1. Fall. Der Kreis k ist gegeben durch den Mittelpunkt(x3,y3) ∈ M und den Radius r, wobei r2 = (x4 − x5)

2 + (y4 − y5)2 mit Punkten

(x4,y4), (x5,y5) ∈ M. (x,y) ist Losung des Gleichungssystems

(X − x1)(y2 − y1)− (Y − y1)(x2 − x1) = 0

(X − x3)2 +(Y − y3)

2 − r2 = 0,

dessen Koeffizienten wieder zu K gehoren. Setze L = K(x,y). Da sich eine derKoordinaten x,y mittels der Gleichung fur g durch die andere K-linear ausdruckenlaßt, wahlen wir L = K(x). Setzt man entsprechend in die Gleichung fur k ein, soerhalt man eine quadratische Gleichung (uber K) in x. D.h. [L : K] ≤ 2.

3. Fall: Der Kreis k sei gegeben wie im 2. Fall, der Kreis k′ entsprechend. (x,y)ist Losung des Systems der zugehorigen Kreisgleichungen. Durch Subtraktion die-ser Gleichungen erhalt man ein Gleichungssystem wie im 2. Fall. �

Der folgende Satz benutzt das Prinzip der quadratischen Erganzung, mittelsdessen wir die Losung von quadratischen Gleichungen auf das Wurzelziehen redu-zieren.

Satz 9.3. Sei K ein Korper mit von 2 verschiedener Charakteristik und L : K eineErweiterung des Grades 2. Dann gibt es ein r ∈ K mit L = K(

√r).

Beweis. Es sei α ∈ L \K. Dann ist K � K(α). Wegen [L : K] = 2 gilt K(α) = L.Insbesondere gilt eine Gleichung α2 + aα + b = 0 mit a,b ∈ K. Es ist dann α +a/2 = ±√

r mit r = a2/4−b ∈ K und folglich K(α) = K(α +a/2) = K(√

r). �Wir konnen nun ein algebraisches Konstruierbarkeitskriterium formulieren.

Satz 9.4. Es sei M eine Teilmenge von R2 mit 0,1 ∈ M. Q(M) bezeichne den klein-sten Teilkorper von R, der die Koordinaten aller Punkte von M enthalt. Genau dannist der Punkt (x,y) ∈ R2 aus M konstruierbar, wenn es eine Kette K0 ⊂ K1 ⊂ ·· · ⊂Kn von Teilkorpern von R gibt mit K0 = Q(M), [Ki+1 : Ki] ≤ 2 fur i = 0, . . . ,n− 1und x,y ∈ Kn.

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60 Abschnitt 9

Beweis. Der Punkt a = (x,y) ∈ R2 sei aus M konstruierbar. Dann gibt es Punktea1, . . . ,an ∈ R2 mit an = a, so daß a1 aus M und ai+1 aus M ∪ {a1, . . . ,ai}, i =1, . . . ,n− 1, elementar konstruierbar ist. Wir setzen K0 = Q(M) und nehmen an,wir haben bereits eine Kette K0 ⊂ ·· · ⊂ Kj, 0 ≤ j < n, von Teilkorpern von Rgefunden mit [Ki+1 : Ki] ≤ 2 fur 0 ≤ i ≤ j−1 und derart, daß die Koordinaten vona1, . . . ,aj in Kj liegen. Nach Satz 9.2 existiert dann ein Teilkorper Kj+1 von R mitKj+1 ⊃ Kj, [Kj+1 : Kj]≤ 2 und derart, daß die Koordinaten von a j+1 in Kj+1 liegen.

Umgekehrt existiere eine Kette von Teilkorpern von R wie in der Behauptungdes Satzes beschrieben. Es sei dann

KM = {x ∈ R : x ist aus M konstruierbar}.Dann ist KM nach Satz 9.1 ein Teilkorper von R. Da KM die Koordinaten samtlicherPunkte von M enthalt, gilt K0 = Q(M) ⊂ KM. Wegen [K1 : K0] ≤ 2 ist (K0 = K1oder) K1 = K0(

√r0) mit einem r0 ∈ K0, r0 ≥ 0 (Satz 9.3). Wieder nach Satz 9.1

gilt√

r0 ∈ KM, also K1 ⊂ KM. Indem man diesen Schluß iteriert, erhalt man nach nSchritten Kn ⊂ KM, insbesondere x,y ∈ KM. �

Eine unmittelbare Folgerung aus Satz 9.4 ist

Satz 9.5. M und Q(M) seien wie in der Voraussetzung von Satz 9.4. Ist der Punkt(x,y) ∈ R2 aus M konstruierbar, dann sind x,y algebraisch uber Q(M) und dieGrade der zugehorigen Minimalpolynome sind Potenzen von 2.

Beweis. Der Korper Kn in Satz 9.4 ist endlich uber K0 = Q(M) und sein Graduber Q(M) eine Potenz von 2. Also sind x,y ∈ Kn algebraisch uber Q(M) und[K0(x) : Q(M)], [K0(y) : Q(M)] als Teiler von [Kn : Q(M)] ebenfalls Potenzen von2. �

Aus dem ersten Teil von 9.5 erhalt man bereits die Unlosbarkeit einiger klassi-scher Konstruierbarkeitsprobleme:

(a) Die Quadratur des Kreises mit Zirkel und Lineal ist nicht moglich (d.h.es ist nicht moglich, zu einem gegebenen Kreis mit Zirkel und Lineal einflachengleiches Quadrat zu konstruieren).

Beweis. In einem geeigneten Koordinatensystem ist (0,0) der Mittelpunkt des ge-gebenen Kreises und sein Radius der Abstand der Punkte (0,0) und (1,0). Insbe-sondere liegt der Kreis in G(M) mit M = {(0,0),(1,0)}. Ein Quadrat ist gegebendurch seine Kantenlange. Ein Quadrat mit dem gleichen Flacheninhalt wie der vor-gegebene Kreis hat die Kantenlange

√π . Die Quadratur des vorgegebenen Kreises

wurde also bedeuten, daß sich zwei Punkte in R2 aus M konstruieren ließen, derenAbstand

√π ist. Dann ließe sich auch

√π aus M konstruieren und weiter π . Nach

Satz 9.5 ware dann π algebraisch uber Q(M) = Q. Widerspruch! �

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Konstruktionen mit Zirkel und Lineal 61

Einen Beweis dafur, daß π transzendent ist uber Q, findet man zum Beispiel inder Literatur.

(b) Das Delische Problem der Wurfelverdopplung ist nicht losbar. (D.h. es istnicht moglich, aus einem gegebenen Wurfel mit Zirkel und Lineal einenWurfel des doppelten Volumens zu konstruieren. Das Orakel hatte die Ein-wohner von Delos aufgefordert, einen wurfelformigen Altar des Apollonzu verdoppeln.)

Beweis. Bei geeigneten Koordinaten ist die Kantenlange l des gegebenen Wurfelsder Abstand der Punkte (0,0) und (1,0), also l = 1. Ein Wurfel mit doppeltemVolumen hatte dann die Kantenlange 3

√2. Einen solchen Wurfel aus dem gebe-

nen Wurfel mit Zirkel und Lineal zu konstruieren hieße, zwei Punkte in R2 ausM = {(0,0),(1,0)} zu konstruieren, deren Abstand 3

√2 ist. Dann ware auch 3

√2

aus M konstruierbar. Der Grad des Minimalpolynoms von 3√

2 uber Q ist aber, imWiderspruch zu Satz 9.5, keine Potenz von 2. �

(c) Es ist im allgemeinen nicht moglich, einen vorgegebenen Winkel mit Zirkelund Lineal in drei gleiche Teile zu zerlegen.

Beweis. Ein Winkel ist gegeben durch die Punkte (0,0),(1,0) und einen weiterenPunkt auf dem Einheitskreis. Es sei wieder M = {(0,0),(1,0)}. Dann ist der Punkta auf dem Einheitskreis, der den 60◦-Winkel bestimmt, offenbar aus M elementarkonstruierbar (als Schnittpunkt des Einheitskreises und des Kreises um (1,0) mitdem Radius 1). Den Winkel α = 60◦ dreiteilen hieße, den Punkt (cosβ ,sinβ ) mitβ = 20◦ aus M zu konstruieren. Dann ware auch c = 2cosβ aus M konstruierbar.Das ist aber wegen Satz 9.5 nicht moglich, da der Grad des Minimalpolynoms vonc uber Q gleich 3 ist, wie wir jetzt zeigen werden. Es ist

c3 −3c−1 = 2(4cos3 β −3cosβ )−1 = 2cosα −1 = 0,

da cos3x = 4cos3 x− 3cosx. Also ist c Nullstelle des Polynoms X3 − 3X − 1 ∈Q[X ]. Dieses ist irreduzibel uber Z, da es keine ganzzahlige Nullstelle hat. Also istes nach Satz 6.3 auch irreduzibel uber Q. �

Verwandt mit dem zuletzt diskutierten Problem ist das Problem, zu vorgegebe-nem positiven ganzen n ≥ 3 mit Zirkel und Lineal ein regulares n-Eck zu konstru-ieren: Es handelt sich um die n-Teilung des speziellen Winkels von 360◦. Offenbarist eine solche moglich fur n = 2m, da jeder vorgegebene Winkel mit Zirkel undLineal halbiert werden kann. Auch das regulare 3-Eck ist konstruierbar, da dies –wie wir wissen – fur das regulare 6-Eck gilt. Etwas komplizierter ist der Fall n = 5:Hier hat man den Einheitskreis-Punkt (cos72◦,sin72◦) aus M = {(0,0),(1,0)} zukonstruieren. Mit Hilfe der Additionstheoreme zeigt man

0 = sin5α = 16sin5 α −20sin3 α +5sinα

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62 Abschnitt 9

fur α = 72◦. sin72◦ ist also Nullstelle des Polynoms 16X4 − 20X2 + 5. Die Null-stellen

±12

√5±√

52

dieses Polynoms sind nach Satz 9.1 aus M konstruierbar. Insbesondere ist x =sin72◦ aus M konstruierbar und damit auch cos72◦ =

√1− x2.

Fur n = 7 ist eine entsprechende Konstruktion jedoch nicht moglich, wie diefolgende allgemeine Aussage zeigt. Wir benutzen darin einen neuen Begriff:

Definition. Eine Primzahl der Form 2k +1 heißt Fermatsche Primzahl.

Es ist leicht zu sehen, daß 2k +1 nur dann eine Primzahl sein kann, wenn k = 0oder eine Potenz von 2 ist. Man setzt Fm = 22m

+ 1. Dann sind F0, . . . ,F4 Prim-zahlen, eine weitere Fermatsche Primzahl ist aber noch nicht gefunden worden.Insbesondere ist nicht bekannt, ob es unendlich viele Fermatsche Primzahlen gibt.

Satz 9.6. Die Primfaktorzerlegung der positiven ganzen Zahl n enthalte eine Prim-zahl p ≥ 3, die keine Fermatsche Primzahl ist. Dann ist das regulare n-Eck nichtmit Zirkel und Lineal konstruierbar.

Beweis. Nehmen wir an, das regulare n-Eck sei konstruierbar. Dann ist der Punkt(cosα,sinα) mit α := 360◦/n aus M = {(0,0),(1,0)} konstruierbar. Naturlich istnun auch der Punkt (cosβ ,sinβ ) mit β := 360◦/p aus M konstruierbar. L sei derZerfallungskorper (in C) des Polynoms X p −1 uber Q. Die Potenzen von

ζp = cosβ + isinβ ,

sind offenbar Nullstellen dieses Polynoms, und das sind die p verschiedenen kom-plexen Zahlen coskβ + isinkβ , k = 1, . . . , p, die p-ten Einheitswurzeln. Es folgtL = Q(ζp). Mit ζp ist auch die konjugiert-komplexe Zahl ζp Nullstelle von X p−1.Folglich ist 2cosβ = ζp + ζp ∈ L und L = Q(cosβ )⊂ L. Wegen L ⊂ R gilt ζp /∈ L.Andererseits ist ζp Nullstelle von

g = (X −ζp)(X − ζp) = X2 −2cosβ ·X +1 ∈ L[X ].

Also ist g das Minimalpolynom von ζp uber L und [L : L] = 2. Da X p−1 = (X−1) fmit f = X p−1 + X p−2 + · · ·+ 1 und ζp �= 1, gilt f (ζp) = 0. Nach Satz 6.6 ist firreduzibel uber Q, also das Minimalpolynom von ζp uber Q. Folglich gilt [L : Q] =p−1 und [Q(cosβ ) : Q] = [L : Q] = (p−1)/2. Nach Voraussetzung ist (p−1)/2aber keine Potenz von 2, im Widerspruch zu Satz 9.5. �

Wir haben die Konstruierbarkeit nur fur Teilkorper von R formuliert. Wenn mansie stattdessen in C entwickelt, kann man naturlich direkt mit ζp argumentieren.

Fur n = 7,11,13 ist beispielsweise das regulare n-Eck nicht konstruierbar. Wieder Fall n = 9 zeigt, ist die Bedingung in Satz 9.6 zwar hinreichend, aber nicht

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Konstruktionen mit Zirkel und Lineal 63

notwendig: In der Primfaktorzerlegung von 9 kommt nur die Fermatsche Prim-zahl 3 vor; dennoch ist das regulare 9-Eck nicht konstruierbar. Andernfalls konnteman den Punkt (cos40◦,sin40◦) aus M = {(0,0),(1,0)} konstruieren und hierausden Punkt (cos20◦,sin20◦). Das ist aber – wie im Beweis von (c) gezeigt – nichtmoglich.

Wir geben noch ohne Beweis den folgenden Satz von Gauß an, der ein notwen-diges und hinreichendes Kriterium fur die Konstruierbarkeit des regularen n-Ecksenthalt.

Satz 9.7. Genau dann ist das regulare n-Eck mit Zirkel und Lineal konstruier-bar, wenn n = 2m p1 · · · pr gilt mit paarweise verschiedenen ungeraden FermatschenPrimzahlen p1, . . . , pr.

Einen Beweis dieses Satzes findet man in der Literatur. Die Konstruktion desregularen 17-Ecks war der erste mathematische Triumph von Gauß.

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ABSCHNITT 10

Ordnung und Index

Sei G eine Gruppe mit multiplikativ geschriebener Verknupfung. Wir erinnerndaran, daß |G| die Anzahl der Elemente von G bezeichnet und Ordnung von Ggenannt wird.

Nachdem wir in der Ringtheorie (und zuvor in [LA]) ausgiebig von Homomor-phismen Gebrauch gemacht haben, setzen wir sie auch in der Gruppentheorie ein,um Informationen zwischen Gruppen zu transportieren. Zur Wiederholung fassenwir einige wichtige Aussagen uber Gruppenhomomorphismen zusammen.

Satz 10.1. Seien G und H Gruppen mit den neutralen Elementen e und e′ undf : G → H ein Gruppenhomomorphismus. Dann gilt:

(a) Fur jede Untergruppe U von G ist f (U) eine Untergruppe von H.(b) Fur jede Untergruppe V von H ist f −1(V ) eine Untergruppe von G.(c) Speziell ist der Kern K = f −1(e′) von f eine Untergruppe von G.(d) Fur x,y ∈ G gilt

f (x) = f (y) ⇐⇒ xy−1 ∈ K ⇐⇒ y−1x ∈ K.

Ebenfalls ist die Ordnung eines Elementes schon betrachtet worden:

Definition. Falls an �= e fur alle n ∈ Z, n > 0, hat a unendliche Ordnung. Andern-falls ist

min{n > 0 : an = e}die Ordnung von a. Wir schreiben dafur orda.

Diese Definition der Ordnung eines Elementes hat nicht nur dem Namen nachmit der Ordnung einer Gruppe zu tun. In der Tat ist orda die Ordnung der Unter-gruppe

〈a〉 = {an : n ∈ Z}von G, wie wir gleich sehen werden. Offensichtlich ist 〈a〉 die kleinste a enthalten-de Untergruppe von G.

Satz 10.2. Sei G eine Gruppe und a ∈ G ein Element.

(a) Ist orda = ∞, so sind die Potenzen ak, k ∈ Z, paarweise verschieden.(b) Ist orda = m < ∞, so ist orda = |〈a〉|. Fur r,s ∈ Z gilt ar = as genau dann,

wenn r ≡ s mod m.

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66 Abschnitt 10

Beweis. Wegen der Potenzrechenregel au+v = auav ist f : (Z,+) → G, f (k) = ak,ein Homomorphismus. Nach Definition ist 〈a〉 = Bild f . Sei U = Kern f . Wir wis-sen aus [LA], daß U eine Untergruppe von Z ist und daher ein n∈Z, n≥ 0, existiertmit U = Zn.

Im Fall (a) muß n = 0 gelten, denn ak �= e fur alle k ≥ 1. Folglich ist f injektiv,und die Potenzen ak sind paarweise verschieden.

Im Fall (b) ist n die Ordnung von a gemaß deren Definition. Der Homomorphis-mus f ist surjektiv, und fur r,s ∈ Z gilt f (r) = f (s) genau dann, wenn r− s ∈ U .Dies ist genau dann der Fall, wenn r ≡ s mod n. Insbesondere hat 〈a〉 genau soviele Elemente, wie es Restklassen modulo n gibt, namlich n. �

Die Anwendung des Homomorphismus f”verbirgt“ in diesem Beweis die di-

rekte Anwendung der Potenzrechenregeln und die Division mit Rest. Wir wollenzum Vergleich (b) direkt damit beweisen. Sei zunachst r ≡ s mod m. Dann giltr = s+mk mit einem k ∈ Z. Es folgt

ar = as+mk = asamk = as(am)k = asek = as.

Sei umgekehrt ar = as. Dann ist ar−s = e, und wir haben zu zeigen, daß at = enur dann gilt, wenn t = mk mit einem k ∈ Z ist. Wir schreiben t = mk + w, wobei0 ≤ w < m. Dann folgt aw = e, und nach Definition der Ordnung von a muß w = 0sein.

Es lohnt sich fur das Folgende, daß wir die Erkenntnis aus dem Beweis vonSatz 10.2 noch einmal abstrakt formulieren:

Satz 10.3. Sei G eine Gruppe, a ∈ G ein Element und f : Z → G, f (k) = ak, die

”Exponentialabbildung“.

(a) Ist orda = ∞, so ist f : Z → 〈a〉 ein Isomorphismus.(b) Ist orda = m < ∞, so induziert f einen Isomorphismus f : (Zm,+) → 〈a〉.Wir wollen nun eine Beziehung herstellen zwischen der Ordnung einer endli-

chen Gruppe G und den Ordnungen der Elemente a∈ G, allgemeiner: den Ordnun-gen der Untergruppen von G.

Sei G eine Gruppe und H eine Untergruppe. Fur a ∈ G setzen wir

Ha = {ba : b ∈ H}und nennen Ha eine Rechtsklasse von H mit Reprasentanten a. Analog kann mandie Linksklasse aH von H definieren.

Dieser Begriff verallgemeinert den Begriff der Restklasse von Idealen: Fur einIdeal I eines Ringes R ist die Linksklasse a + I (in der Gruppe (R,+)) gerade dieRestklasse von a bezuglich I. In diesem Fall, und allgemeiner in abelschen Grup-pen, stimmen Links- und Rechtsklassen uberein, denn es ist dann aH = Ha. Inbeliebigen Gruppen gilt diese Gleichung aber nicht, wie wir an einem sehr einfa-chen Beispiel noch sehen werden.

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Ordnung und Index 67

Satz 10.4. Sei G eine Gruppe, H eine Untergruppe von G.

(a) Fur a,b ∈ G gilt: Ha �= Hb ⇒ Ha∩Hb = /0.(b) Fur jedes a ∈ G ist die Abbildung µa : H → Ha, µa(h) = ha, bijektiv.

Beweis. (a) Seien a,b ∈ G mit Ha∩Hb �= /0. Wir mussen zeigen: Ha = Hb. Dazuwahlen wir c ∈ Ha∩Hb.

Es existiert ein h ∈ H mit c = ha. Fur alle h′ ∈ H gilt also h′c = h′ha = (h′h)a ∈Ha, folglich Hc ⊂ Ha. Und fur d ∈ Ha, d = h′′a, hat man

d = h′′a = h′′h−1ha = (h′′h−1)(ha) = h′′′c ∈ Hc,

weil h′′′ = h′′h−1 ∈ H. Insgesamt zeigt dies: Ha = Hc. Genauso folgt Hb = Hc.(b) Nach Definition von Ha ist µa surjektiv. Die Injektivitat folgt aus der Kur-

zungsregel. �Als Folgerung aus 10.4 erhalten wir den Satz von Lagrange, der die gesuchte

Beziehung zwischen der Ordnung einer Gruppe und den Ordnungen ihrer Unter-gruppen herstellt. In ihm verwenden wir die Bezeichnung

[G : H]

fur die Anzahl der Rechtsklassen von G bezuglich der Untergruppe H. Man nennt[G : H] den Index von H in G.

Satz 10.5. Sei G eine endliche Gruppe und H eine Untergruppe. Dann ist

|G| = |H| · [G : H].

Beweis. Seien R1, . . . ,Rm, m = [G : H], die verschiedenen Rechtsklassen von Gbezuglich H. Jedes g ∈ G gehort zu einer Rechtsklasse, namlich zu Hg. Also ist

G =m⋃

i=1

Ri.

Nach 10.4 (a) sind R1, . . . ,Rm paarweise disjunkt, und nach 10.4 (b) gilt |Ri| = |H|fur alle i. Also ist

|G| = m · |H|. �Die Gleichung im Satz von Lagrange zeigt, daß wir den Index auch mittels der

Linksnebenklassen hatten definieren konnen.Als Folgerung aus Satz 10.5 erhalten wir den sogenannten Kleinen Fermatschen

Satz:

Satz 10.6. Sei G eine endliche Gruppe und a ∈ G. Dann gilt: orda teilt |G|, und

a|G| = e.

Beweis. Anwendung von 10.5 auf die Untergruppe 〈a〉 ergibt die erste Behaup-tung. Daß dann a|G| = e ist, haben wir beim Beweis von 10.2 schon gesehen. �

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68 Abschnitt 10

Fur abelsche Gruppen haben wir diesen Satz schon auf anderem Wege bewiesen(siehe Satz 8.3).

Ein einfaches Beispiel fur die Anwendung der vorangegangenen Satze ist dieBestimmung der Untergruppen der Gruppe S3. Diese hat 6 Elemente, namlich

id =(

1 2 31 2 3

), ζ1 =

(1 2 33 1 2

), ζ2 =

(1 2 32 3 1

),

σ1 =(

1 2 31 3 2

), σ2 =

(1 2 33 2 1

), σ3 =

(1 2 32 1 3

).

Man sieht sofort:

〈ζi〉 = {id,ζ1,ζ2}, i = 1,2,

〈σi〉 = {id,σi}, i = 1,2,3.

Sei nun U eine Untergruppe, U �= G,{id}. Dann gilt |U |= 2 oder |U |= 3 nachSatz 10.5. Im Fall |U | = 2 enthalt U ein Element der Ordnung 2 und damit istU = 〈σi〉 fur ein i. Im Fall |U | = 3 enthalt U ein Element der Ordnung 3, also istU = {id,ζ1,ζ2}.

Es gilt ζiU �= Uζi fur jede Untergruppe U der Ordnung 2 von S3. Dies zeigt,daß im allgemeinen Links- und Rechtsklassen einer Untergruppe nicht uberein-stimmen.

Ein wesentliches Ziel der Gruppentheorie ist es, aus der Ordnung einer endli-chen Gruppe moglichst viel uber ihre Struktur zu schließen. Sehr einfach ist diesfur Gruppen von Primzahlordnung.

Satz 10.7. Die Ordnung der Gruppe G sei eine Primzahl p. Dann gilt G = 〈a〉 furjedes a ∈ G, a �= e. Speziell ist G zu (Zp,+) isomorph.

Beweis. Da |〈a〉| > 1 und p der einzige Teiler > 1 von p ist, gilt |〈a〉| = p. Daß Gzu (Zp,+) isomorph ist, haben wir schon in Satz 10.3 festgestellt. �

Die Gruppen von Primzahlordnung gehoren damit zu den zyklischen Gruppen:

Definition. Eine Gruppe G heißt zyklisch, wenn es ein a ∈ G mit 〈a〉 = G gibt.

Satz 10.3 beschreibt die zyklischen Gruppen bis auf Isomorphie. Man sollteaber fur die endlichen zyklischen Gruppen noch mindestens drei weitere

”Modelle“

vor Augen haben:

Beispiele. (a) Die zyklischen Permutationen

ζk =(

1 2 . . . k k +1 k +2 . . . nn− k +1 n− k +2 . . . n 1 2 . . . n− k

)∈ Sn

bilden eine zyklische Gruppe der Ordnung n, die von ζ1 erzeugt wird und die Ord-nung n hat. Es gilt ζk = ζ k

1 .

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Ordnung und Index 69

(b) Die Drehungen ρk des R2 mit Drehzentrum 0 und Drehwinkel αk = 2πk/nbilden eine Untergruppe der Isometrien der Ebene, die von ρ1 erzeugt wird. Einen

1

65

4

3 2

ABBILDUNG 1

Isomorphismus dieser Gruppe zu der in (a) genannten Gruppe von Permutationenerhalten wir, wenn wir die von den Drehungen bewirkten Permutationen der imUhrzeigersinn numerierten Ecken eines regelmaßigen n-Ecks mit Zentrum 0 be-trachten. Abbildung 1 veranschaulicht die Situation fur n = 6.

(c) Die Menge {z ∈ C : zn = 1} der n-ten Einheitswurzeln ist eine Untergruppevon C∗, die von ζ = cos(2π/n) + isin(2π/n) erzeugt wird. Wir erhalten einenIsomorphismus zu der in (b) betrachteten Gruppe von Drehungen, wenn wir jederEinheitswurzel ζ k die durch Multiplikation mit ζ k bewirkte Drehung der Ebenezuordnen.

Satz 10.8. Sei G = 〈a〉 eine zyklische Gruppe. Dann gilt:

(a) Im Fall |G| = ∞ ist jede Untergruppe von der Form 〈am〉, m ≥ 0, und dieseUntergruppen sind paarweise verschieden.

(b) Im Fall |G|= n < ∞ gibt es zu jedem Teiler d von n genau eine UntergruppeU der Ordnung d. Sie wird von an/d erzeugt.

Beweis. (a) Die Abbildung f : Z→G, f (k) = ak, ist ein Isomorphismus von Grup-pen (Satz 10.3). Daher ist U ⊂ Z genau dann eine Untergruppe von Z, wenn f (U)eine Untergruppe von G ist. Die Untergruppen von Z sind aber genau die Teilmen-gen Zm, m ∈ Z, m ≥ 0. Es ist f (Zm) = 〈am〉.

(b) Das Element an/d hat Ordnung d, denn (an/d)k �= e fur 0 < k < d und(an/d)d = e. Also erzeugt an/d eine Untergruppe der Ordnung d.

Umgekehrt sei U eine Untergruppe der Ordnung d. Wir betrachten den Ho-momorphismus f wie in (a). Dieser hat aber den Kern Zn, und f −1(U) ist eineUntergruppe von Z, die Zn umfaßt. Es gilt U = Zm fur genau ein m ≥ 0, und m istein Teiler von n, weil n ∈ Zm. Mithin gibt es hochstens so viele Untergruppen vonG, wie n Teiler hat.

Da es zu jedem Teiler d von n aber auch mindestens eine Untergruppe derOrdnung d gibt, existiert zu jedem Teiler d genau eine Untergruppe mit d Elemen-ten. �

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70 Abschnitt 10

Es gilt auch die Umkehrung von Satz 10.8 (b), die wir aber nur fur abelscheGruppen beweisen.

Satz 10.9. Sei G eine endliche abelsche Gruppe.

(a) Fur Elemente x,y ∈ G teilerfremder Ordnungen m und n ist ord(xy) = mn.(b) Sei E = max{ord(x) : x ∈ G}. Dann gilt ord(x) | E fur alle x ∈ G.(c) Wenn es zu jedem Teiler d von |G| hochstens eine Untergruppe U der Ord-

nung d in G gibt, ist G zyklisch.

Beweis. (a) Sei (xy)k = e mit k > 0. Dann gilt xk = y−k, weil die Elemente x und yvertauschbar sind. Also ist z = xk ∈ 〈x〉∩〈y〉. Speziell gilt ord(z) | m und ord(z) | n.Da m und n aber teilerfremd sind, muß ord(z) = 1 sein; mithin ist z = e. Diesimpliziert m | k und n | k. Wir nutzen die Teilerfremdheit noch einmal aus underhalten mn | k.

Andererseits ist (xy)mn = (xm)n(yn)m = e, so daß insgesamt ord(xy) = mn ist.(b) Wir wahlen ein Element y ∈ G mit ordy = E. Fur x ∈ G sei dann k =

ggT(E,ordx), q = ord(x)/k und z = xk. Dann gilt, wie wir oben gesehen haben,ord(z) = q. Da q und E teilerfremd sind, hat yz nach Teil (a) die Ordnung qE.Nach Voraussetzung ist qE ≤ E, was aber nur bei q = 1 moglich ist. Es folgtk = ord(x) | E.

(c) Wir wahlen wieder y ∈ G mit ordy = E. Sei x ∈ G. Dann erzeugt x eineUntergruppe der Ordnung m = ordx. Nach (b) ist m ein Teiler von E, und 〈y〉enthalt nach Satz 10.8 eine Untergruppe U der Ordnung m. Nach Voraussetzungist U = 〈x〉. Dies zeigt x ∈ 〈y〉. Mithin ist G zyklisch und erzeugt von y. �

Man nennt die Zahl E den Exponenten von G (daher die Wahl des Buchsta-bens). Bereits die Gruppe S3 zeigt, daß die Teile (a) und (b) fur nicht abelscheGruppen nicht ohne weiteres gelten; bei (a) genugt es aber vorauszusetzen, daß xund y vertauschbar sind. Teil (c) gilt allgemein, muß dann aber anders (und etwasunangenehmer) bewiesen werden.

Die wichtigste Folgerung aus Satz 10.9 ist

Satz 10.10. Sei K ein Korper. Dann ist jede endliche Untergruppe G von K∗ zy-klisch. Insbesondere sind die Einheitengruppen endlicher Korper zyklisch.

Beweis. Sei U eine Untergruppe von K∗, |U | = m. Dann ist xm = 1 fur alle x ∈U .Also besteht U genau aus den Nullstellen des Polynoms X m − 1, denn einerseitsist jedes der m Elemente von U eine solche Nullstelle, und andererseits gibt eshochstens m Nullstellen. Dies zeigt, daß G zu jedem Teiler m von |G| hochstenseine Untergruppe der Ordnung m besitzt. Nach Satz 10.9 ist G zyklisch. �

Man nennt jedes erzeugende Element der Einheitengruppe eines endlichen Kor-pers K eine Primitivwurzel von K.

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Ordnung und Index 71

Fur einen endlichen Korper K der Charakteristik p und eine Primitivwurzel xvon K ist offensichtlich K = Zp(x). Daraus folgt, daß es zu jedem n ∈ N, n ≥ 1, einirreduzibles Polynom des Grades n uber Zp gibt.

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ABSCHNITT 11

Operation von Gruppen

Sei G eine Gruppe und X eine Menge.

Definition. Eine Operation von G auf X ist eine Abbildung G×X → X , (g,x) �→gx, die folgende Regeln erfullt:

ex = x und g(hx) = (gh)x

fur alle g,h ∈ G, x ∈ X .

Das Standardbeispiel dafur ist die Operation der symmetrischen Gruppe S(X)auf X . (Zur Erinnerung: S(X) ist die Gruppe aller Permutationen von X , also allerbijektiven Abbildungen X → X .) Dieses Beispiel enthalt in gewisser Weise auchalle anderen. Sei dazu eine Operation einer Gruppe G auf einer Menge X gegeben.Die Abbildung

µg : X → X , µg(x) = gx,

ist ja bijektiv, denn sie hat µg−1 als Umkehrabbildung:

µg−1(µg(x)) = g−1(gx) = (g−1g)x = ex = x

fur alle x ∈ X . Ebenso ist µg(µg−1(x)) = x. Also gilt µg ∈ S(X) fur alle g ∈ G, unddie zweite Regel in der Definition konnen wir nun so interpretieren:

µgµh = µgh.

Dies ist gerade die Homomorphiebedingung fur die Abbildung ϕ : G → S(X),ϕ(g) = µg. Die Operation von G ist also im wesentlichen eine Operation der Un-tergruppe ϕ(G) ⊂ S(X) auf X .

Wir konnen uns vorstellen, daß die Gruppe G die Elemente von X bewegt.Dementsprechend sind die folgenden Begriffe gewahlt:

Definition. Die Gruppe G operiere auf der Menge X . Dann heißt

Gx = {gx : g ∈ G} ⊂ X

die Bahn von x unter G. Die Untergruppe

Gx = {g ∈ G : gx = x} ⊂ G

heißt die Standgruppe von x.

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74 Abschnitt 11

Wie schon bei Links- bzw. Rechtsklassen, oder durch Einfuhrung einer geeig-neten Aquivalenzrelation auf X , zeigt man: Zwei Bahnen Gx und Gy sind entwedergleich oder disjunkt. D.h. die Menge X wird durch die Operation von G in Teil-mengen (namlich die Bahnen) zerlegt.

Bahn und Standgruppe eines Elementes x ∈X stehen in einer engen Beziehung:

Satz 11.1. Sei x ∈ X. Die Abbildung G → Gx, g �→ gx, induziert eine Bijektionzwischen der Menge der Linksklassen von Gx und der Bahn Gx:

gx = hx ⇐⇒ g ∈ hGx.

Dies ist trivial, und wir konnen es auch so ausdrucken: g und h haben genaudann die gleiche Wirkung auf x, wenn die Linksklassen gGx und hGx ubereinstim-men. Eine unmittelbare Folgerung:

Satz 11.2. Die Gruppe G operiere auf der Menge X.

(a) Fur alle x ∈ X ist |Gx| = [G : Gx].(b) X sei endlich und zerfalle in die disjunkten Bahnen Gx1, . . . ,Gxm. Dann

gilt:

|X | =m

∑i=1

[G : Gxi].

Dieser Satz enthalt ein sehr wirksames kombinatorisches Prinzip, also eine Me-thode zum Zahlen der Elemente von X . Das erste Beispiel, das wir schon ken-nengelernt haben, ist der Satz von Lagrange: Die Rolle von X wird jetzt von derGruppe G selbst gespielt, und eine Untergruppe H ubernimmt die von G. DieOperation H ×G → G ist einfach die Multiplikation (h,g) �→ hg. In diesem Fallsind die Bahnen die Rechtsklassen Hg, und alle Standgruppen sind trivial, dennhg = g ⇐⇒ h = e. Aus Teil (b) von Satz 11.2 ergibt sich unmittelbar |G| = m|H|,wobei m die Anzahl der Bahnen, also der Rechtsklassen von H ist.

Die zweite wichtige Operation innerhalb der Gruppentheorie ist die Konjugati-on:

Satz 11.3. Sei G eine Gruppe.

(a) Fur jedes g ∈ G ist die Abbildung

κg : G → G, κg(h) = ghg−1,

ein Automorphismus von G.(b) Die Zuordnung g �→ κg ist ein Homomorphismus von G in Aut(G), insbe-

sondere definiert (g,h) �→ ghg−1 eine Operation von G auf G.

Beweis. (a) Es giltκg−1(κg(x)) = g−1gxg−1g = x

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Operation von Gruppen 75

fur alle x ∈ G, und genauso gilt κg(κg−1(x)) = x. Also ist κg bijektiv. Wegen

κg(xy) = g(xy)g−1 = gxg−1gyg−1 = κg(x)κg(y)

fur x,y ∈ G ist κg ein Automorphismus.(b) Nachzuweisen ist die Gleichung

κgh = κgκh.

Fur alle x ∈ G ist aber

κgh(x) = (gh)x(gh)−1 = g(hxh−1)g−1 = κg(κh(x)). �Definition. Die Abbildung κg heißt Konjugation mit g. Zwei Elemente x,y ∈ Gheißen konjugiert, falls es eine Konjugationsabbildung κg gibt mit κg(x) = y, d.h.falls es ein g ∈ G gibt mit gxg−1 = y. Dementsprechend heißen zwei UntergruppenU,V ⊂ G konjugiert, falls es ein g ∈ G gibt mit gUg−1 = V , d.h. mit gU = Vg.

Die Bahn eines Elementes x ∈ G unter der Konjugationsoperation heißt dieKonjugationsklasse von x und wird mit C(x) bezeichnet:

C(x) = {gxg−1 : g ∈ G}.Sie besteht genau aus den zu x konjugierten Elementen von G. Das Zentrum einerGruppe G schließlich ist

Z(G) = {g ∈ G : gh = hg fur alle h ∈ G}.Fur abelsche Gruppen hat die Konjugation naturlich keine Bedeutung, denn

dann ist ghg−1 = h fur alle g,h ∈ G. Fur die Untersuchung von Gruppen im allge-meinen ist sie aber ein wichtiges Hilfsmittel.

Wir konnen das Zentrum auf folgende Weisen beschreiben: (i) Es besteht ausallen Elementen, deren Standgruppe unter der Konjugation ganz G ist. (ii) Es istder Kern des Homomorphismus G → AutG : g �→ κg. Die Beschreibung (ii) zeigt,daß das Zentrum eine Untergruppe ist, was man naturlich auch sehr leicht direktbegrundet. Die Beschreibung (i) ergibt durch Kombination von Satz 11.2 und Satz11.3 die Klassengleichung:

Satz 11.4. Sei G eine endliche Gruppe und seien C1, . . . ,Cm die verschiedenenKonjugationsklassen von G, die mindestens 2 Elemente enthalten. Dann gilt

|G| = |Z(G)|+ |C1|+ · · ·+ |Cm|,wobei |Ci| fur i = 1, . . . ,m der Index einer Untergruppe von G und insbesonderejeder der Summanden ein Teiler von |G| ist.

Beweis. Offensichtlich ist Z(G) die Vereinigung der einelementigen Bahnen unterder Konjugation. �

Besonders wirkungsvoll ist die Klassengleichung dann, wenn |G| nur wenigeTeiler hat, zum Beispiel eine Primzahlpotenz ist.

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76 Abschnitt 11

Satz 11.5. Sei p eine Primzahl und G eine Gruppe der Ordnung pn, n ≥ 1. Dannist |Z(G)| > 1. Speziell ist eine Gruppe der Ordnung p2 stets abelsch.

Beweis. In der Klassengleichung

|G| = |Z(G)|+ |C1|+ · · ·+ |Cm|sind die linke Seite und die Summanden |Ci| durch p teilbar. Also gilt dies auch fur|Z(G)|, was |Z(G)| = 1 ausschließt.

Sei nun |G| = p2. Wir haben die Annahme |Z(G)| = p zum Widerspruch zufuhren. (Denn dann folgt |Z(G)| = p2, also Z(G) = G.) Sei a ∈ G, a /∈ Z(G). Dievon Z(G) und a erzeugte Untergruppe U muß dann ganz G sein, denn ihr Indexist einerseits ein Teiler von p2, andererseits kleiner als der Index p von Z(G). Alsobesitzt jedes Element von G eine Darstellung za j mit z ∈ Z(G) und j ∈ Z. ZweiElemente za j, z′ak kommutieren aber miteinander. Es folgt, daß G abelsch ist, imWiderspruch zur Annahme |Z(G)| = p. �

Wir wollen uns nun noch einmal mit den Permutationen von {1, . . . ,n} befassenund eine neue, wichtige Darstellung fur sie gewinnen. Wir erinnern an einige aus[LA] bekannte Aussagen:

(a) Die Gruppe Sn = S({1, . . . ,n}) hat die Ordnung n!.(b) Jede Permutation ist Produkt von Transpositionen τi j, i < j, (mit τi j(i) = j,

τi j( j) = i, τi j(k) = k fur k �= i, j).(c) Es gibt einen Homomorphismus sign : Sn → {±1} mit sign(τi j) = −1 fur

alle Transpositionen τi j. Man nennt sign(π) das Signum von π .(d) Die Untergruppe An = Kernsign der geraden Permutationen hat n!/2 Ele-

mente und heißt die alternierende Gruppe.

Wir lassen im folgenden das Zeichen ◦ bei der Komposition von Permutationenaus.

Jeder Permutation π ordnen wir ihren Wirkungsbereich

W (π) = {x : π(x) �= x}zu. Der Wirkungsbereich besteht also aus allen Nichtfixpunkten von π . Offensicht-lich gilt:

W (π)∩W (ρ) = /0 =⇒ πρ = ρπ.

Man sagt, daß π und ρ disjunkt sind, wenn W (π)∩W (ρ) = /0. Unter der Bahn vonx unter π verstehen wir die Bahn von x unter der von π erzeugten Untergruppe vonSn, also die Menge

B(π,x) = {π j(x) : j ∈ Z}.Wir verfolgen einmal eine Bahn

x,π(x), . . . ,πm−1(x),πm(x)

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Operation von Gruppen 77

so weit, bis sich beim Exponenten m zum ersten Mal ein Element wiederholt. Dannist πm(x) = x, denn aus πm(x) = πk(x) folgt πm−k(x) = x. Ferner folgt

π j(x) = π r(x) fur r ≡ j mod m,

so daß B(π,x) = {x,π(x), . . . ,πm−1(x)}. Anschaulich konnen wir die Wirkung vonπ auf x so darstellen:

x = πm(x)

π(x)π2(x)

πm−2(x) πm−1(x)

ABBILDUNG 1

Man nennt ζ ∈ Sn einen Zykel der Lange m, wenn W (ζ ) aus genau einer Bahnmit m Elementen besteht oder ζ = id ist. (Der Identitat ordnen wir die Lange 1 zu.)Man schreibt in diesem Fall

ζ = (x1 . . . xm),wobei x1 ∈W (ζ ), x2 = ζ (x1), . . . , xm = ζ (xm−1), ζ (xm) = x1. Zum Beispiel ist

ζ =(

1 2 3 44 2 1 3

)∈ S4

der Zykel ζ = (1 4 3) der Lange 3.Fur das Rechnen mit Permutationen ist der folgende Satz von grundlegender

Bedeutung:

Satz 11.6. Jede Permutation π ∈ Sn ist Produkt paarweise disjunkter Zykel. Bisauf die Reihenfolge und Zykel der Lange 1 sind diese eindeutig bestimmt.

Beweis. Wir zerlegen die Menge {1, . . . ,n} in ihre Bahnen B(π,x). Diese seienB1, . . . ,Bq. Fur j = 1, . . . ,q definieren wir eine Permutation ζ j ∈ Sn: Wir setzenζ j(x) = π(x) fur x ∈ Bj und ζ j(x) = x fur x /∈ Bj. Hierdurch wird wirklich eine Per-mutation ζ j definiert, weil π(B j) = Bj. Ferner ist ζ j ein Zykel, weil B j = B(ζ j,x) =W (ζ j) fur jedes x ∈ Bj ist. Es gilt π = ζ1 · · ·ζq.

Die Eindeutigkeit der Zerlegung folgt einfach daraus, daß jede Bahn von π miteiner Bahn B(ζ j,x) ubereinstimmt, wenn die Wirkungsbereiche der Zykel ζ j ineiner Produktdarstellung π = ζ1 · · ·ζq von π disjunkt sind. �

Wir sehen uns ein kleines Beispiel an: Die Permutation

π =(

1 2 3 4 5 6 74 7 5 2 3 6 1

)∈ S7

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78 Abschnitt 11

hat die disjunkte Zykelzerlegung π = (1 4 2 7)(3 5)(6). Hat man einmal die Zer-legung einer Permutation in disjunkte Zykel bestimmt, so kann man leicht ihreOrdnung, ihr Inverses und viele andere Daten bestimmen: In unserem Beispielist π = ζ1ζ2 mit ζ1 = (1 4 2 7) und ζ2 = (3 5), also ist ordπ = ordζ1 = 4 undπ−1 = ζ−1

1 ζ−12 = (1 7 2 4)(3 5).

Auch die Konjugationsklasse laßt sich aus der disjunkten Zykelzerlegung leichtablesen. Sei

ζ = (x1 . . . xm)ein Zykel der Lange m. Fur jedes ρ ∈ Sn ist dann

ρζ ρ−1 = (ρ(x1) . . . ρ(xm))

wieder ein Zykel gleicher Lange: Es gilt ja

ρζ ρ−1(ρ(xi)) = ρ(ζ (xi)) = ρ(xi+1),

wobei der Index i modulo m zu lesen ist, und fur x /∈ ρ({x1, . . . ,xm}) ist ρζ ρ−1(x) =x. Ist also π = ζ1 · · ·ζq, so ist ρπρ−1 = ζ ′

1 · · ·ζ ′q Produkt disjunkter Zykel ζ ′

j =ρζ jρ−1, wobei ζ j und ζ ′

j, j = 1, . . . ,q, die gleiche Lange haben.Sei π ∈ Sn. Wir schreiben {1, . . . ,n} als disjunkte Vereinigung von π-Bahnen

B1, . . . ,Bq, wobei wir |B1| ≥ |B2| ≥ · · · ≥ |Bq| annehmen. Dann heißt das q-Tupel(|B1|, . . . , |Bq|)∈Nq der Zerlegungstyp von π . Das oben angegebene Beispiel aus S7hat dann den Zerlegungstyp (4,2,1), und id∈ Sn hat den Zerlegungstyp (1, . . . ,1)∈Nn. Wie wir oben gesehen haben, besitzt eine Permutation π des Zerlegungstyps(b1, . . . ,bq) eine disjunkte Zykeldarstellung π = ζ1 · · ·ζq, wobei ζi die Lange bi hat,i = 1, . . . ,q.

Satz 11.7. Zwei Permutationen π,π ′ ∈ Sn sind genau dann konjugiert, wenn sieden gleichen Zerlegungstyp besitzen.

Beweis. Die Implikation”

=⇒ “ haben wir schon bewiesen. Fur die Implikati-on

”⇐=“ betrachten wir Permutationen π und π ′ mit gleichem Zerlegungstyp

(b1, . . . ,bq), π = ζ1 · · ·ζq und π ′ = ζ ′1 · · ·ζ ′

q, wobei die Zykel ζi und ζ ′i beide die

Lange bi haben (fur i = 1, . . . ,q). Sei ζi = (xi1 . . . xibi), ζ ′

i = (x′i1 . . . x′ibi).

Nun definiert man ρ ∈ Sn mittels ρ(xi j) = x′i j, i = 1, . . . ,q, j = 1, . . . ,bi. DieseDefinition erfaßt alle Elemente von {1, . . . ,n}, weil dies die Vereinigung der Bah-nen von π ist; sie ist widerspruchsfrei, weil die Zykel ζi paarweise disjunkt sind;und sie ist bijektiv, weil {1, . . . ,n} disjunkte Vereinigung der Bahnen von π ′ ist.Wie wir oben bereits gesehen haben, ist ρπρ−1 = π ′. �

Hieran kann man zahlreiche kombinatorische Uberlegungen anschließen, diewir in den Ubungsaufgaben weiter verfolgen.

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ABSCHNITT 12

Normalteiler und Faktorgruppen

Wir haben fur einen Ring R und ein Ideal I den Restklassenring R/I konstru-iert. Seine Elemente sind die Restklassen x+ I, x ∈ R. Fur die Struktur der Gruppe(R/I,+) spielt die Multiplikation auf R gar keine Rolle. Wir konnen also versu-chen, die gleiche Konstruktion fur eine Gruppe G und eine Untergruppe H aus-zufuhren. Ohne weiteres geht das aber nicht, und bei genauem Nachprufen stelltman fest, daß beim Beweis der Wohldefiniertheit der Addition auf R/I die Glei-chung

x+ I = I + x

fur alle x ∈ R benotigt wird. Da (R,+) kommutativ ist, ist sie trivialerweise erfullt.Fur eine beliebige Untergruppe H einer Gruppe G und x ∈ G ist im allgemeinenaber xH �= Hx, wie wir an einem Beispiel gesehen haben, so daß die Konstrukti-on von G/H nur fur spezielle Untergruppen H moglich sein kann. Die naturlicheAbbildung π : G → G/H soll ja auch ein Gruppenhomomorphismus mit Kern Hwerden, und dies erzwingt ebenfalls die Gleichung xH = Hx fur alle x ∈ G:

Satz 12.1. Seien G,G′ Gruppen, ϕ : G → G′ sei ein Homomorphismus und H =Kernϕ . Dann gilt fur alle a ∈ G:

aH = ϕ−1(ϕ(a)) = Ha.

Beweis. Fur h ∈ H ist ϕ(ah) = ϕ(a)ϕ(h) = ϕ(a), also ah ∈ ϕ−1(ϕ(a)).Ist umgekehrt b ∈ ϕ−1(ϕ(a)), so gilt ϕ(b) = ϕ(a), mithin ϕ(a−1b) = e′ und

a−1b ∈ H. Somit istb = a(a−1b) ∈ aH.

Genauso zeigt man ϕ−1(ϕ(a)) = Ha. �

Definition. Sei G eine Gruppe, H eine Untergruppe von G. Man nennt H einenNormalteiler, wenn fur alle a ∈ G gilt: aH = Ha. Haufig schreibt man die Bedin-gung aH = Ha zweckmaßig in der Form

aHa−1 = H.

Spatestens an dieser Stelle wollen wir fur Teilmengen K,L ⊂ G die sogenannteKomplexmultiplikation

KL = {kl : k ∈ K, l ∈ L}

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80 Abschnitt 12

einfuhren. Besteht K nur aus einem Element k, so schreibt man auch kL fur KL. DieKomplexmultiplikation ist in offensichtlicher Weise assoziativ, und es gilt k−1kL =L = Lkk−1 fur alle k ∈ G, L ⊂ G.

Ist die Gruppe G abelsch, so ist jede Untergruppe ein Normalteiler. Die Umkeh-rung ist falsch: Es gibt eine Gruppe mit 8 Elementen, die zwar diese Eigenschaftbesitzt, aber nicht abelsch ist. Wichtige Beispiele von Normalteilern sind:

Beispiele. (a) Die alternierende Gruppe An ist ein Normalteiler in der symmetri-schen Gruppe Sn, denn An ist ja der Kern des Signums sign : Sn →{±1}.

(b) Die Gruppe SL(n,K), die aus allen (n× n)-Matrizen der Determinante 1uber einem Korper K besteht, ist ein Normalteiler von GL(n,K), denn sie ist derKern der Determinantenfunktion.

(c) Das Zentrum einer Gruppe G ist stets ein Normalteiler, denn fur alle g ∈ Ggilt offensichtlich gZ(G) = Z(G)g. Ebenso ist jede Untergruppe des Zentrums einNormalteiler von G (und nicht nur von Z(G)!).

(d) Jede Untergruppe U vom Index 2 in der Gruppe G ist ein Normalteiler.Denn fur jedes g ∈ G \U ist G = U ∪ gU = U ∪Ug, wobei beide Vereinigungendisjunkt sind. Z.B. ist An auch aus diesem Grund normal in Sn.

(e) Ist U die einzige Untergruppe der Ordnung n = |U | in der Gruppe G, so istU normal in G. Denn fur alle g ∈ G muß die Untergruppe gUg−1 der Ordnung ndann mit U ubereinstimmen.

Satz 12.1 konnen wir jetzt auch so formulieren: Der Kern eines Homomorphis-mus ist ein Normalteiler. Das wesentliche Ziel dieses Abschnitts ist die Umkehrungdieser Aussage, mit der wir aber wegen unserer Vorubung mit den Ringen wenigMuhe haben.

Sei N Normalteiler der Gruppe G. Wir durfen statt Links- oder Rechtsklasseneinheitlich von Nebenklassen sprechen und bezeichnen mit G/N die Menge derNebenklassen nach N. Seien a,b ∈ G. Dann gilt

(aN)(bN) = (aN)(Nb) = a(NN)b = aNb = abN.

Das in naheliegender Weise gebildete (Komplex-)Produkt zweier Nebenklassen istalso wieder eine Nebenklasse.

Satz 12.2. Sei G eine Gruppe und N ein Normalteiler in G.

(a) Mit dem soeben eingefuhrten Produkt ist G/N eine Gruppe.(b) Die Abbildung π : G → G/N, π(a) = aN, ist ein surjektiver Gruppenho-

momorphismus. Es gilt Kernπ = N.

Beweis. (a) Die Assoziativitat der Multiplikation auf G/N ist einfach die Assozia-tivitat der Komplexmultiplikation. Offensichtlich ist N = eN das neutrale Elementin G/N und a−1N die zu aN inverse Nebenklasse.

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Normalteiler und Faktorgruppen 81

(b) Die Homomorphie ist noch einmal die Gleichung (aN)(bN) = (ab)N:

π(a)π(b) = (aN)(bN) = (ab)N = π(ab).

Die Surjektivitat von π ist offensichtlich, und ebenso, daß Kernπ = N ist. �

Definition. Man nennt G/N die Faktorgruppe von G nach N und π : G → G/Nden naturlichen Homomorphismus.

Die Anwendung des naturlichen Homomorphismus π : G → G/N bezeichnetman wie bei Ringen oft mit einem Querstrich, schreibt also a statt π(a).

Wie schon bei den Restklassenringen gilt: Man sollte sich die Elemente vonG/N nicht als Mengen vorstellen, sondern einfach als Elemente einer neuen Grup-pe, in der man nach den Regeln der Gruppentheorie genauso rechnet wie in G.

In Analogie zur Situation bei den Ringen gilt auch bei Gruppen der Satz vominduzierten Homomorphismus.

Satz 12.3. Es seien ϕ : G → G′, ψ : G → G Homomorphismen von Gruppen. ϕsei surjektiv, und es gelte Kernψ ⊃ Kernϕ . Dann gibt es genau eine Abbildungψ ′ : G′ → G mit ψ ′ ◦ϕ = ψ . Es ist Bildψ = Bildψ ′. ψ ′ ist ein Homomorphismus,und es gilt ϕ(Kernψ) = Kernψ ′.

Ist ψ surjektiv, dann ist auch ψ ′ surjektiv. Bei Kernψ = Kernϕ ist ψ ′ injektiv.

Die Beziehung der Homomorphismen in Satz 12.3 bringt man wieder so zumAusdruck: Das Diagramm

� G

��

��

��

ϕ� �

��

��

ψ ′

G′

ist kommutativ. Der Beweis des Satzes ist vollig analog zum Satz vom induziertenHomomorphismus fur Ringe, so daß wir uns ersparen, ihn auszufuhren.

Ebenso gilt in der Gruppentheorie der Homomorphiesatz:

Satz 12.4. Sei ψ : G → G ein surjektiver Homomorphismus von Gruppen mitI = Kernψ . Dann ist der induzierte Homomorphismus ψ ′ : G/I → G (fur die Ne-benklassenabbildung π : G → G/I = G′) ein Isomorphismus.

Sei G eine endliche Gruppe und N ein Normalteiler. Nach dem Satz von La-grange ist |G/N| = |G|/|N|. Wir erganzen diese Aussage noch etwas, zu einem oftsehr wirkungsvollen Zahlprinzip:

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82 Abschnitt 12

Satz 12.5. Seien G,H endliche Gruppen und ϕ : G → H ein Homomorphismus.

(a) Fur jede Untergruppe U von G ist

|U | = |ϕ(U)| · |U ∩Kernϕ|.(b) Wenn ϕ surjektiv ist, dann gilt fur jede Untergruppe V von H:

|ϕ−1(V )| = |V | · |Kernϕ|.Beweis. (a) Wir setzen ϕ0 = ϕ|U . Dann ist ϕ0 : U → ϕ(U) ein surjektiver Homo-morphismus mit Kernϕ0 = U ∩Kernϕ . Nach dem Homomorphiesatz ist

ϕ(U) ∼= U/Kernϕ0.

Also gilt nach dem Satz von Lagrange:

|ϕ(U)| = [U : (U ∩Kernϕ)] = |U |/|U ∩Kernϕ|.(b) Wir setzen U = ϕ−1(V ). Da ϕ surjektiv ist, folgt V = ϕ(U). Ferner ist

Kernϕ ⊂U , so daß (b) aus (a) folgt. �Als erste Anwendung der Konstruktion von Faktorgruppen beweisen wir den

Satz von Cauchy – eine Aussage uber die Existenz von Elementen vorgegebenerOrdnung, die wir dann noch erheblich verscharfen werden.

Satz 12.6. Sei G eine endliche abelsche Gruppe und p ein Primteiler von |G|.Dann existiert in G ein Element der Ordnung p.

Beweis. Wir fuhren eine Induktion uber |G| mit dem trivialen Induktionsbeginn|G| = p.

Sei nun |G| > p. Wir wahlen a ∈ G, a �= e. Falls p die Ordnung von a teilt,enthalt die zyklische Gruppe 〈a〉 gemaß Satz 10.8 ein Element der Ordnung p.

Wir durfen also annehmen: p � orda. Wegen

|G| = (orda) · [G : 〈a〉]teilt p dann [G : 〈a〉]. Da G abelsch ist, ist 〈a〉 ein Normalteiler, mithin ist

[G : 〈a〉] = |G/〈a〉|.Auf die Gruppe G/〈a〉 konnen wir die Induktionsvoraussetzung anwenden. Es exi-stiert also ein b ∈ G mit ordb = p. Sei m = ordb. Dann ist

bm

= bm = e.

Also teilt ordb = p die Ordnung m von b in G, und wir haben wie oben einezyklische Untergruppe gefunden, deren Ordnung von p geteilt wird. �

Die Satze von Sylow sind die ersten substantiellen Resultate in jeder Vorle-sung uber Gruppentheorie. Wir werden einen dieser Satze beweisen, auch um dieWirksamkeit der Konstruktion von Faktorgruppen zu demonstrieren.

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Normalteiler und Faktorgruppen 83

Am Beispiel der Gruppe A4 sieht man, daß es zu einem Teiler d der Gruppen-ordnung im allgemeinen keine Untergruppe der Ordnung d gibt: A4 enthalt keineUntergruppe der Ordnung 6. Wenn d aber von spezieller Gestalt ist, kann man einesolche Existenzaussage doch machen. Dies besagt der erste Satz von Sylow:

Satz 12.7. Sei G eine endliche Gruppe, p eine Primzahl und pm ein Teiler derOrdnung von G. Dann gibt es eine Untergruppe der Ordnung pm in G.

Beweis. Wir fuhren einen Induktionsbeweis uber die Ordnung von G. Da der Fallm = 0 trivial ist, durfen wir m ≥ 1 annehmen.

Die kleinste dann fur G in Frage kommende Ordnung ist p. In diesem Fall istG selbst die gesuchte Untergruppe. Fur den Induktionsschritt betrachten wir zweiFalle:

(a) p | |Z(G)|,(b) p � |Z(G)|.(a) In diesem Fall gibt es nach Satz 12.6 ein Element z ∈ Z(G) der Ordnung p.

Die Untergruppe 〈z〉 ist wie jede Untergruppe des Zentrums ein Normalteiler vonG. Ferner gilt

pm−1 | |G/〈z〉|.Nach Induktionsvoraussetzung existiert eine Untergruppe V von G/〈z〉 der Ord-nung pm−1. Sei π : G → G/〈z〉 der naturliche Homomorphismus und U = π−1(V ).Nach Satz 12.5 ist |U | = |V | · |Kernπ| = pm.

(b) Im Fall p � |Z(G)| betrachten wir die Klassengleichung

|G| = |Z(G)|+r

∑i=1

Ci.

Die Zahl |G| ist durch p teilbar, |Z(G)| nicht. Also muß es unter den ZahlenC1, . . . ,Cr eine nicht durch p teilbare geben. Sei dies etwa C1. Nach Satz 11.4 gibtes eine Untergruppe H mit

C1 = [G : H].

Zunachst notieren wir, daß H wegen C1 ≥ 2 eine echte Untergruppe von G ist.Sodann schließen wir aus der Gleichung

|G| = |H| ·C1,

daß |H| durch pm teilbar ist. Wir konnen also die Induktionsvoraussetzung auf Hanwenden. �

Definition. Sei p eine Primzahl. Wenn pm die Ordnung von G teilt, pm+1 abernicht, so heißt eine Untergruppe der Ordnung pm eine p-Sylow-Untergruppe vonG.

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84 Abschnitt 12

Der erste Satz von Sylow, den wir gerade bewiesen haben, besagt also insbe-sondere, daß eine endliche Gruppe stets eine p-Sylow-Untergruppe besitzt. DieserExistenzsatz wird wirkungsvoll erganzt durch den zweiten und dritten Satz vonSylow:

Satz 12.8. Sei p eine Primzahl, G eine endliche Gruppe, U eine Untergruppe,deren Ordnung eine Potenz von p ist, und H eine p-Sylow-Untergruppe. Dannexistiert ein g ∈ G mit gUg−1 ⊂ H. Speziell sind alle p-Sylow-Untergruppen kon-jugiert zueinander.

Satz 12.9. Sei p eine Primzahl, G eine endliche Gruppe und s die Anzahl ihrerp-Sylow-Untergruppen. Dann ist s ≡ 1 mod p.

Ein wesentliches Ziel der Gruppentheorie ist es, die Struktur der endlichenGruppen auf die Kenntnis moglichst weniger Gruppen zuruckzufuhren. Ist N einNormalteiler der Gruppe G, so konnen wir uns G in gewisser Weise aus N undG/N zusammengesetzt denken (wobei freilich die Isomorphieklasse von G im all-gemeinen nicht nur von den Isomorphieklassen von N und G/N abhangt). EineGruppe G ist in diesem Sinn nicht aus kleineren Gruppen zusammensetzbar, wennes außer G und {e} keine Normalteiler in G gibt.

Definition. Eine Gruppe G heißt einfach, wenn sie keine nichttrivialen Normaltei-ler besitzt.

Es ist der großte Triumph der Gruppentheorie, daß es vor etwa 20 Jahren gelun-gen ist, alle endlichen einfachen Gruppen zu beschreiben. Diese treten in 4 Serienmit je unendlich vielen Elementen auf, und als sogenannte sporadische Gruppen,deren großte das Monster ist. Es gibt auch noch ein Babymonster. Zwei der Serienkann man sehr einfach beschreiben, namlich die zyklischen Gruppen von Prim-zahlordnung (sie enthalten als einzige Gruppen uberhaupt keine nichttrivialen Un-tergruppen) und die alternierenden Gruppen An, n ≥ 5.

Wir wollen zum Abschluß der Vorlesung folgenden Satz beweisen:

Satz 12.10. Die alternierende Gruppe A5 ist einfach.

Beweis. Die Idee des Beweises (die man allerdings kaum auf alle n ≥ 6 ubertragenkann) ist sehr einfach. Sei N ein Normalteiler einer Gruppe G und x ∈ N. Dann giltgxg−1 ∈ N fur alle g ∈ G. Daher enthalt N mit jedem Element gleich die ganzeKonjugationsklasse und ist damit (disjunkte) Vereinigung von Konjugationsklas-sen.

Wir behaupten: Die Klassengleichung von A5 hat die Form

60 = 1+15+20+12+12.

Wenn N ein Normalteiler von A5 ist, muß |N| sich aus Summanden der rechtenSeite zusammensetzen, wobei jeder Summand hochstens einmal vorkommt, und

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die 1 ganz bestimmt. (In diesem Sinn betrachten wir die beiden Summanden 12als verschieden.) Wie man aber auch immer die Summe bildet: Die einzigen Teilervon 60, die so entstehen, sind 1 und 60.

Zum Beweis der Klassengleichung mussen wir die Konjugationsklassen in A5bestimmen. Naturlich setzt sich A5 als Normalteiler von S5 selbst aus Konjugati-onsklassen von S5 zusammen, und letztere entsprechen genau den Zerlegungstypen

(5), (4,1), (3,2), (3,1,1), (2,2,1), (2,1,1,1), (1,1,1,1,1).

Da ein Zyklus genau dann eine gerade Permutation ist, wenn er ungerade Langehat, folgt, daß sich A5 aus den S5-Konjugationsklassen zu den Zerlegungstypen (5),(3,1,1), (2,2,1) und (1,1,1,1,1) zusammensetzt. Wir mussen nun untersuchen,wie sich diese S5-Konjugationsklassen weiter aufspalten, wenn wir die Gruppe zuA5 einschranken.

Nichts zu zeigen ist fur (1,1,1,1,1). Diese Klasse besteht nur aus id. Ebensosehen wir leicht, daß auch zwei Permutationen

π = (ab)(cd)(e) und π ′ = (pq)(r s)(t)

des Zerlegungstyps (2,2,1) bereits in A5 konjugiert sind. Ist namlich ρπρ−1 = π ′,so gilt auch (ρτ)π(ρτ)−1 = π ′ mit τ = (ab), weil diese Transposition mit π kom-mutiert. Eine der Permutationen ρ oder ρτ ist aber gerade. Es gibt 15 Permuta-tionen π des Typs (2,2,1), denn man kann als Wirkungsbereich 5 verschiedene4-elementige Teilmengen von {1, . . . ,5} auswahlen und jeden dieser moglichenWirkungsbereiche auf 3 Arten in 2-elementige Teilmengen zerlegen.

Wenn die Konjugation mit ρ die Permutation π = (abc)(d)(e) des Zerlegungs-typs (3,1,1) in π ′ = (pqr)(s)(t) uberfuhrt, so tut dies auch die Konjugation mitρτ , τ = (d e), und wir konnen analog argumentieren. Es gibt 20 Permutationenvom Typ (3,1,1), denn man kann als Wirkungsbereich eine der 10 3-elementigenTeilmengen von {1, . . . ,5} wahlen, und zu jedem dieser Wirkungsbereiche gibt esgenau zwei 3-Zykel.

Den einzig schwierigeren Fall bilden die 5-Zykel vom Typ (5). Wir stellen ersteinmal fest, daß es davon 60−1−15−20 = 24 gibt. Da die S5-Konjugationsklasse24 Elemente hat, muß die Standgruppe jedes einzelnen 5-Zykels ζ genau |S5|/24 =5!/4! = 5 Elemente haben. Dies sind dann naturlich die Potenzen id,ζ ,ζ 2,ζ 3,ζ 4.Mithin hat ζ in A5 die gleiche Standgruppe wie in S5. Da diese in A5 den Index60/5 = 12 hat, besteht die A5-Konjugationsklasse nur noch aus 12 Elementen. Dasbedeutet: Die S5-Konjugationsklasse spaltet in zwei A5-Konjugationsklassen zu je12 Elementen. �

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Literaturverzeichnis

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