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Osorno 1. Rundbrief Merle Backmeyer
Lieber Solikreis,
Ich bin jetzt doch schon einige Zeit hier, habe meinen Alltag und meinen Platz soweit
gefunden. Und stehe vor der Herausforderung, dass was für mich mittlerweile eindeutig und
selbstverständlich ist, jemandem zu erklären, der an der Position steht, an der ich vor etwa 3
Monaten stand. Gar nicht so einfach! Und daran merke ich erst, wie viel sich bei mir schon
getan hat. Aber ich werde mein Bestes versuchen!
Zum Abschied aus Deutschland kann ich nur sagen, dass er mir nicht so schwer fiel, wie ihr
euch es vielleicht vorstellt, weil ich eine Person bin, die, wenn sie sich entschieden hat, etwas
zu tun, danach auch komplett dahinter steht. Und trotzdem habe ich vorher nicht darüber
nachgedacht, dass es echt komisch ist, etwas hinter sich zu lassen, was einem so vertraut ist,
wo man seinen sicheren Platz hat und was, wie alles, seine guten und schlechten Seiten hat,
für eine Zukunft mit großem Fragezeichen, wo ich keinen vorher kannte, nicht wirklich eine
Idee von Land, Ort oder Arbeit hatte. Das ist schon nochmal was anderes, was mir vorher
nicht so bewusst war.
Ich mache meinen Freiwilligendienst bei der Fundación Christo Joven, die von zwei
deutschen Pfarrern vor etwa 50 Jahren gegründet wurde, Padre Pedro und Padre Vincente. Sie
ist aufgeteilt in ein Jungen- und ein Mädcheninternat, ein Studentenwohnheim, auch nach
Geschlechtern getrennt, und eine Schule vom Kindergarten bis zum Abschluss. Ich arbeite im
Mädcheninternat mit, das eingerichtet wurde, um Mädchen, deren Familien auf dem Land
wohnen, ab der 8. Klasse die Möglichkeit auf einen Abschluss ihrer Schulausbildung zu
geben. Dies ist hier notwendig, da Städte in Chile im Vergleich zu Deutschland weiter
auseinander liegen und mit weniger ausgebauten Straßen verbunden sind. Dazwischen liegen
Dörfer, die keine weiterführende Schule haben. So reisen die meisten Mädchen sonntags
abends im Durchschnitt 2 Stunden mit dem Bus an. Vormittags assistiere ich im Unterricht
der Schule der Fundación.
Um euch einen Einblick in meine Motivation und Ansichten vor meiner Ankunft zu geben
folgt eine Art Poetry Slam, den ich während meinem Aufenthalt im Flughafen in Santiago
geschrieben habe. Während des Fluges erst ist mir bewusst geworden, warum ich gehe und
dass ich nicht fliehe, sondern dass ich nur gehen kann, weil ich in Deutschland vieles habe auf
das ich bauen und mich verlassen kann.
Fliegend Fliehen (angelehnt an den Song „Je vole“ von Louane)
Weg, weiter, schneller, fort, nur raus hier,
möglichst weit - Südhalbkugel, Chile, Neugier,
ein Meer dazwischen, viele Stunden Flug,
andere Sprache, das ist gut!
Fliege oder fliehe ich?
Für was, vor was, für wen, für mich?
Um mein Herz komplett auszutauschen
Oder um Neues nur zu erweitern?
Ja ich fliehe,
vor Schön-Wetter-Gesprächen
vor dem deutschen Tunnelblick
vor aufgesetzter Höflichkeit und gespielter Toleranz
vor der kleinen, perfekten Welt
vor Leuten, die auf und für alles ein Recht haben
vor Freunden, die berechnend sind
vor Leuten, die mir sagen, wer ich bin,
vor all dem, was „richtig“ ist!
Aber ich fliehe fliegend
Getragen von Erfahrungen
Von meiner Familie, meinen Freunden
Von warmen Worten
Von „Ich vermisse dich“ und von „Ich liebe dich“!
Von der Gewissheit ein Zuhause zu haben
Von dem Wissen niemals alleine zu sein
Von meinem Selbstbewusstsein!
Ich fliehe um meine kleine Welt nicht mit
Lügen, Behauptungen, Vermutungen zu füttern,
um zusammengebastelte, vereinfachte Weltbilder loszuwerden
zumindest um es zu versuchen, um etwas zu machen!
Und ich fliege für mich, für neue Erfahrungen,
für Geben und Nehmen, für Liebe und Hass
Freunde und Trauer,
ich fliege um zu leben!
Zunächst ein paar allgemeine Informationen, wo, wie und mit wem ich hier wohne. Angela ist
schon seit vielen Jahren die Leiterin des Mädcheninternats und ich wohne zusammen mit ihr
in einem Häuschen. Die Mädchen bewohnen 2 benachbarte Häuschen, jeweils zu zehnt.
Dann gibt es hier noch Maestros, das sind Handwerker der Fundacion, die Reparaturen
durchführen, die Grundstücke halten, etc. Mit ihnen esse ich zu Mittag, gemeinsam mit den
Padres.
Auf unserem Grundstück des Mädcheninternats gibt es verschiedene Cabañas für das Internat
und die Studentinnen, sowie eine Küche mit Essensraum. Zu Fuß bin ich in weniger als 10
Minuten an der Schule und in 15 Minuten mit dem Bus im Stadtzentrum.
Eine Erfahrung, die ich am Anfang und bis jetzt immer noch mache, ist die, der Unsicherheit.
Ein Gefühl, dass in meinem Leben bisher nicht so ausgeprägt war und was mich echt
weitergebracht und Verständnis gegeben hat.
Ich erinnere mich an einen Moment, wo Angela mir sagte, ich solle doch bitte den Tee
mitbringen – was sich ja echt einfach anhört. Aber es war schon eine Herausforderung für
mich. Ich war mir zuerst nicht sicher, ob ich sie richtig verstanden hatte, weil ich die Abläufe
noch nicht kannte und mir nicht erklären konnte, warum sie ausgerechnet jetzt Teebeutel
brauchte. Dann kam ich in unsere Cabaña und habe den Tee gesucht (wobei sie mir den Ort
vermutlich gesagt hatte) und dann wusste ich nicht, ob alle Beutel oder nur einen. So viele
kleine Entscheidungen, die man auf einmal treffen muss und bei jeder einzelnen diese
Unsicherheit. Und dann das Gefühl, wenn man zurück kommt und hofft alles richtig gemacht
zu haben. Das war echt eine ziemliche Umstellung für mich. Mir ist erst hier so stark
aufgefallen, wie schwer es mir fällt, etwas zu machen, bei dem ich mir unsicher bin und
gegebenenfalls etwas falsch mache, einfach weil ich vorher kaum damit konfrontiert wurde.
Und es hat mir ein Verständnis gegeben für „die andere Seite“. Wenn ich jemand etwas
erklärt habe, habe ich immer gesagt, wenn du was nicht verstehst, frag direkt – und wie viele
haben das nicht gemacht, dabei wäre eine Nachfrage für mich überhaupt kein Problem
gewesen. Jetzt habe ich mehr Verständnis dafür. Es ist nicht, weil dein Gegenüber ein
Problem mit der Frage hätte, im Gegenteil: Ich selbst fühle mich unwohl scheinbare
Selbstverständlichkeiten zu fragen und dann noch immer wieder. Und mit der Angst es dann
immer noch nicht zu verstehen. Ich bin echt dankbar diese Seite hier immer wieder erleben
und kennenlernen zu dürfen.
rechts unsere Cabaña, daneben die der Mädchen
Blick aus unserer Cabaña auf Osorno, Essensraum und Hof
Ich habe einen „Stundenplan“ von meinem Alltag erstellt, dass ihr euch etwa vorstellen könnt,
wie meine Wochen hier so aussehen.
Einige Sachen sind denke ich selbsterklärend, zu anderen werde ich ein paar Worte verlieren.
Meine Arbeit teilt sich in 2 Bereiche auf, die ich in grün und blau markiert habe.
In Grün sind alle Tätigkeiten in Zusammenhang mit dem Internat markiert. Damit fing mein
Alltag hier erstmal an sich aufzubauen. Ich weiß noch wie Angela mir an meinem ersten
Wochentag sagte, dass ich um 13 Uhr ungefähr runter zum Mittagessen gehen sollte. Das war
wieder eine der unsicheren Situationen. Wohin? Mit wem? Kann ich einfach reingehen? Wo
setze ich mich hin? Bekommt man das Essen? Wartet man mit dem Anfangen? Unsicherheit.
Dadurch, dass Angela bis Ende September eine Vertretungsstelle als Religionslehrerin hatte,
war ich die Vormittage alleine und habe erstmal versucht mich zu sortieren, Spanisch zu
lernen, Eindrücke zu sammeln und ordnen – anzukommen. Nachmittags war ich deswegen
häufig auch alleine mit den Mädchen, die jedoch ganz genau wussten, wie die Regeln sind
und auch meine Stellung als Freiwillige kannten. Dadurch hatte ich eigentlich nie
„Respektprobleme“. Das half mich schnell bei ihnen integrieren und habe schon sehr früh die
Rückmeldung von einigen bekommen, dass sie sich freuen, dass ich viel mit ihnen mache und
für mich ist es auch schön, weil sie nicht viel jünger sind und somit mir das Zusammensein in
gewisser Weise auch Zeit mit Freunden ersetzt. Das gilt natürlich nicht für alle, weil es auch
hier alle Personentypen gibt und manche lieber alleine ihre Sachen machen. Insgesamt sind
meine Nachmittage also sehr flexibel – manchmal mit mehr Zeit für mich, wenn die Mädchen
nach der Schule müde sind (was ich auch gut verstehen kann) und manchmal mit weniger.
Ab Mitte September habe ich dann auch angefangen im Gymnasium im Unterricht zu
assistieren. Wie ihr seht mache ich das vor allem in Mathe, Naturwissenschaften und
Englisch, Fächer, die ich mir ausgesucht habe. Die Klassenstufen entsprechen etwa denen in
Deutschland. Der frühe Anfang hat mir extrem geholfen mein Spanisch zu verbessern, weil
ich so quasi den ganzen Tag Spanisch gehört habe und auch reden musste. Zum Glück ähneln
viele Fachbegriffe in den Naturwissenschaften den deutschen oder englischen Bezeichnungen,
wodurch ich gut mithelfen kann. Meistens besteht die Hilfe daraus, Schülern im
Einzelgespräch den Stoff nochmal zu erklären oder Fragen zu beantworten. Das geht natürlich
nur, wenn die Schüler eigenständig Aufgaben bearbeiten müssen. Ansonsten höre ich auch
dem Lehrer zu und lerne entweder auch was Neues oder langweile mich, aber insgesamt habe
ich das Gefühl, dass meine „Arbeit“ dort den Schülern, aber auch mir hilft. So habe ich
Einblicke ins chilenische Schulsystem und Unterschiede zwischen deutschen und chilenischen
Schülern erhalten.
Zurück zu meinem Alltag, wo noch das Wochenende fehlt:
Etwa einmal im Monat ist eine „Jornada“ (dt. Workshop) mit den
Mädchen, die Freitagsabends beginnt und bis Samstagmittags
dauert. Dort wird ein soziales Thema mit den Mädchen bearbeitet,
meistens im Gespräch oder Gruppenübungen und einem Spielfilm,
der einigermaßen passt. Ich bin gerade die nächste zum Thema
„Erwachsen werden – mit Freiheiten und Verantwortungen“ am
Vorbereiten. Die Idee kommt daher, dass die Mädchen hier oft ihre
Freiheiten einfordern oder davon träumen, aber Verantwortungen
wie Müll, Putzen, Türen abschließen oder Lichter ausschalten
häufig vernachlässigen und wir dann die unbeliebten „Meckerlieseln“ sind, was für beide
Seiten unangenehm ist.
Meine freie Zeit am Wochenende habe ich bisher dafür genutzt mit Angela die Umgebung zu
erkunden. Am meisten beeindruckt hat mich dabei die unberührte Natur! Wo bei uns schon
längst ein riesiges „Entspannungs-/Kurhotel“ mit Beton-Tiefgarage stehen würde, ist hier
einfach eine große Weite. So enden Straßen dann in Schotterpisten und man wartet auf den
stündlichen Bus – das ist dann auch echte Entspannung! Vor allem jetzt im
Winter/Frühlingsanfang, wo noch keine Touristen und somit auch kein „Tourigeschäft“ ist.
Am Sonntagabend kommen die Mädchen dann wieder und wir haben entweder einen kleinen
Gottesdienst oder ich bereite eine kleine Reflexion vor, die aus dem Tagesevangelium und
meinen persönlichen Anmerkungen besteht. Und so startet dann wieder eine neue Woche.
Erfahrungen/Unterschiede
Schule
Wie schon gesagt, habe ich durch meine Arbeit in der Schule so einige Unterschiede in
den Schulsystemen (aber auch viele Gemeinsamkeiten, also alle Dinge die ich jetzt nicht
spezielle nenne, weil sie mir nicht anders auffallen) feststellen können. So sind Lehrer
hier nur für ein Fach in einem bestimmten „Klassenbereich“ (z.B. 5.&6.) zuständig.
Außerdem müssen sie am Anfang eines Schulhalbjahres eine konkrete Planung aller
Stunden einreichen, an die sie sich auch möglichst halten müssen. Auch gibt es eine
„Inspektoría“ mit einigen Mitarbeitern, die quasi für die Ordnung zuständig sind. Sie
machen die Hofaufsichten oder nehmen die Entschuldigungen an. Schüler, die zu spät
kommen oder sich nicht an die Regeln halten, werden dort hingeschickt und bekommen
Verwarnungen.
Noch zwei persönliche Erfahrung im Zusammenhang mit der Schule, die ich mit euch teilen
möchte:
Ein Schüler der 6. Klasse hat gesagt, dass er mit der neuen „tía“ (= dt. Tante; so werden hier
die Lehrer oder Aufsichtspersonen häufig genannt) viel besser Mathe versteht. Da war ich
echt stolz, vor allem weil ich erst wenige Stunden in der Klasse war.
Da das Colegio zu der katholischen Fundacion gehört betet die Klasse morgens zu Beginn
immer das Vater unser und das Ave Maria zusammen. Anschließend können die Schüler vor
der Klasse Fürbitte halten. Was mich wirklich berührt hat, ist wie offen die Schüler dort sind
und auch, dass einige in meiner ersten Stunde bei Ihnen, darum gebeten haben, dass ich mich
gut einlebe. Das hat mich echt sehr gefreut!
Offenheit
Generell habe ich den Eindruck, dass hier mit vielen in Deutschland als sensibel und
persönlich geltenden Daten offener umgegangen wird. So werden z.B. die Noten offen
vorgelesen oder es wird nach Notendurchschnitt gefragt, nicht nur unter Mitschülern. Auch
wissen zumindest Familien untereinander über ihr Gehalt Bescheid und reden auch wie
selbstverständlich darüber. Soweit mein Eindruck. So ist es mir zum Beispiel passiert, dass
das Gespräch beim Mittagessen (mit Padre Vincente, seiner Krankenpflegerin, der Köchin,
den Arbeitern) zum Thema Gewicht wechselt und man erfährt, was jeder so wiegt.
Chilenische Einladungen
…und immer wieder stößt man auf neue Sachen. So wurde ich von einem Freund zu seiner
Familie eingeladen. Und so habe ich die Bedeutung chilenischer Einladung kennengelernt:
Die meiste Zeit des Wochenendes war er arbeiten und ich habe mit seiner Nichte, die 6 Jahre
alt ist, gespielt und sie hat mir den Ort gezeigt. Ich war einfach in seinem Haus, ohne dass er
da war. Mit seinen Eltern gespielt, ausgeruht, gemacht, was ich wollte. Es war
selbstverständlich, dass ich da schlafen und mitleben kann, als würden sie mich schon lange
kennen. Und es war ein super schönes, entspanntes Wochenende. Den Spruch „Du kannst
jederzeit wiederkommen“ hört man hier oft und ist auch völlig ernst gemeint und trotzdem
fällt es mir bisher noch schwer ihn einfach so in Anspruch zu nehmen. Dabei wäre es für die
anderen wirklich kein Problem und sie würden, wenn du kommst, einfach alles genau so
weitermachen und du kannst einfach dabei sein, wo in Deutschland vermutlich schon alles
stehen und liegen gelassen würde und eine gezwungene Konversation am Tisch angefangen
hätte.
Konzerte
Ein weiterer wichtiger Part in meiner Zeit bisher, waren Konzerte. Gleich am Anfang
durfte ich bei einem musikalischen Treffen von Schülern aus ganz Chile die Probe der
Querflöten leiten und habe direkt Eindrücke chilenischer Musik und der chilenischen
Art von Konzerten bekommen. Eine Gruppe fing einfach an zu improvisieren, weil es
hier Namen für bestimmte Stile mit Rhythmen gibt, wo dann Fremde einfach
zusammenspielen können. Da die Schule den Schwerpunkt lateinamerikanische Kultur
hat, gibt es regelmäßig kostenlose Präsentationen, die immer von sehr hohem Niveau
sind. So waren Anfang Oktober zum Beispiel einige kubanische Bands zu Besuch oder
es gab Konzert zum Andenken an eine chilenische Folklore-Sängerin.
Zu Konzerten ist zu sagen, dass sie insgesamt deutlich offener und für alle sind. Es ist kein
Problem später zu kommen oder früher zu gehen und seine Kinder mit Spielzeugen
mitzubringen. Auch sind sie häufig politisch angehaucht, sodass spontane Zustimmungsrufe
normal sind. Und generell wird im Rhythmus mitgeklatscht.
Ultrakapitalismus
Ich erinnere mich als ich in einem Konzert saß und die Tickets für eine Feier am folgenden
Samstag angepriesen wurden. Ein Freund neben mir sagte: „Ohja, das ist ja billig, die werde
ich kaufen.“ Und ich erinnerte ihn nur irritiert daran, dass er über das Wochenende doch
heimfährt und gar nicht in Osorno ist. Darauf meinte nur: „Stimmt, aber ich bin Chilene.“
Und er hat Recht damit. Wenn man mit Kreditkarte zahlt, wird man direkt gefragt, in wie
vielen Raten, auch wenn es nur 50€ im Supermarkt sind.
Als ich letztens mit meiner Schwester telefoniert habe, war sie erstaunt darüber, dass Chile in
vielen Tabellen so gute Wirtschaftswerte hatte, wie sie im Erdkunde-Unterricht feststellte.
Und sie hat Recht: „Die Arbeitslosigkeit ist mit sechs Prozent ähnlich niedrig wie in
Deutschland, die Inflation ebenfalls nicht der Rede wert. Chiles Staatsanleihen sind gut
bewertet. Im Vergleich mit dem als chaotisch geltenden Umfeld in Lateinamerika gelten die
Chilenen als verlässliche Geschäftspartner. Die Infrastruktur funktioniert, es wird gebaut und
investiert, Nah- und Fernverkehr fließen“. (Spiegel-Artikel). Die auf die sozialistische
Demokratie unter Allende folgende Militärdiktatur Pinochets, die von 1973 bis 1990
andauerte, führte unter der Beratung von in den USA ausgebildeten Ökonomen und
Wirtschaftshilfen aus „dem Westen“ radikale Wirtschaftsreformen hin zum Kapitalismus
durch, die zu einem enormen Wirtschaftsaufstieg führten.
Gleichzeitig geht der Armutsforscher Thomas Piketty davon aus, dass 1% der Chilenen 35 %
des Reichtums besitzen, 81 % der erwachsenen Chilenen Schulden haben und 1/5 der
Einwohner laut aktuellen Studien mit seinen Ratenzahlungen im Verzug ist.
Man kann sich vorstellen, wie die Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse daraus folgend
aussehen. Die Mehrheit der Chilenen hängt von den Banken und den Reichen ab. Wer mehr
darüber wissen möchte, kann ich nur den folgenden Artikel empfehlen, den ich größtenteils
mit eigenen Erfahrungen bestätigen kann.
http://www.zeit.de/wirtschaft/2017-06/chile-neoliberalismus-armutsgrenze-wirtschaft-
reichtum/komplettansicht
So erstmal Gratulation, dass ihr es bis zum Ende durchgestanden habt und falls ihr immer
noch Kraft und Zeit habt, würde ich mich total über Fragen, Anregungen, Bemerkungen oder
Gespräche von eurer Seite freuen. Generell ist es immer schön unerwartete Nachrichten aus
Deutschland zu bekommen!!!
Zum Abschluss habe ich euch nochmal einen Poetry Slam von mir abgetippt, den ich hier
geschrieben habe (und damit von meinen Ideen hier inspiriert ist, aber keinen direkten
Zusammenhang mit Chile hat). Und natürlich noch ein paar wenige Bilder…
Ich liebe den Kontrast zwischen blauem Meer und weißen Vulkanen vom Grundstück einer Bekannten aus
pure Idylle: Parque Nacional Puyehue Schülerausflug nach Valdivia
Grenzen ein, grenzen aus,
grenzen an, grenzen ab,
Grenzen begrenzen
Ich wünsche Grenzen, brauche Grenzen Liebe Grenzen
Und Grenzenlosigkeit
Baumgrenze, Schallgrenze,
Sichtgrenze, Schmerzgrenze,
Altersgrenze, Stadtgrenze,
Grenzen in meinem Alltag
Grenzen mich ein, grenzen aus,
grenzen an, grenzen ab,
begrenzen
ich hasse
Obergrenzen Eingrenzung Leistungsgrenzen Begrenzung
Ländergrenzen Abgrenzung
Armutsgrenzen Ausgrenzung
Aber ich wünsche Grenzen, brauche Grenzen
Liebe Grenzen
Und Grenzenlosigkeit
Grenzen geben Richtung
Stabilität, Schutz und Orientierung Stärke, Halt und Sicherheit
Zusammengehörigkeit
Grenzen mich ein, grenzen aus, grenzen an, grenzen ab,
begrenzen
ja, eine Grenze begrenzt, schränkt ein,
setzt Etwas herab, aber gibt obendrein
die Fähigkeit von anderem zu unterscheiden,
gibt Möglichkeit nur selbst zu sein
Grenzen ein, lassen sein,
grenzen ab, nur du allein,
selber sein, anders sein
meist Kreation unserer Gedanken,
deswegen auch veränderbar, Definition lässt sie erst ent-
Und Verteidigung bestehen
Doch ich hasse Grenzkontrollen
Und Waffen, die dabei helfen sollen,
nur aus Verteidigung mit Gewalt
bekommt die Grenze ihren Halt?
Aber ich liebe Grenzen und Grenzenlosigkeit
Ich wünsche mir Grenzen, nicht zwischen Ländern, sondern Menschen,
nicht aus Gittern oder Stacheldraht,
sondern aus Würde und Respekt,
nicht verteidigt mit Waffen oder Gewalt,
sondern mit klaren, ehrlichen Worten.
Ich bin begrenzt,
meine Kraft, mein Können,
mein Mut, mein Kampfgeist,
meine Zeit, meine Wahrnehmung
Grenzen mich ein, grenzen aus, grenzen an, grenzen ab,
Grenzen begrenzen mich
Ich bin unbegrenzt
Mein Platz für Wissen und Erfahrung
Meine Vielfalt und Bedürfnisse Meine Gefühle, meine Liebe
mein Verlangen, meine Sehnsucht
Aber ich liebe Grenzenlosigkeit und Grenzen
Ich habe meine Grenzen,
brauche meinen Raum,
komm mir nicht zu nah, eng mich nicht ein,
lass mich in meinen Grenzen sein.
Grenzen ein, grenzen aus, grenzen an, grenzen ab,
Grenzen begrenzen
Ich wünsche Grenzen, brauche Grenzen Liebe Grenzen
Und Grenzenlosigkeit
Jeder Mensch hat seine schützende Grenze,
jeder Übergriff verletzt ein Menschenrecht.
Warum schützen wir die Grenzen des Staates So gut, und die der Menschen so schlecht?