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Otto Bauer - Die Österreichische Revolution (Vorschau)

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Otto Bauer (1881–1938) gilt als der bedeutendste Theoretiker des Austromarxismus, einer politischen Strömung am linken Flügel der internationalen Sozialdemokratie, die ihre größte Wirkung vom frühen 20. Jahrhundert bis zum Vorabend des Zweiten Weltkrieges entfaltete.“Die österreichische Revolution” entstand zu einem Zeitpunkt, als die Sozialdemokratische Arbeiterpartei ihren Zenit bereits überschritten und als Oppositionspartei zusehends mit dem eigenen politischen Überleben zu kämpfen hatte. Otto Bauer zeichnet darin den Aufstieg der österreichischen Sozialdemokratie in einer vom Zerfall bedrohten Monarchie, die Erfolge der Arbeiterbewegung, die Ursachen, Wirren und Auswirkungen des Ersten Weltkrieges sowie jene politischen Wendungen nach, welche zur Gründung der Ersten Republik führten.

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  • caesarpress wien 2015 1. Auflage

    Bibliografische Informationen dieser Publikation verzeichnet die sterreichische Nationalbibliothek unter http://www.onb.ac.at

    Schlagworte: Austromarxismus; Erste Republik; Otto Bauer; sterreich; Sozialdemokratie.

    Verwendete Texte Otto Bauers sind gemeinfrei und wurden sorgfltig per Hand vom jeweiligen angegebenen Original transkribiert. Irrtmer und Druckfehler vorbehalten.

    Kein Teil vorliegenden Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfltigt oder verbreitet werden.

    Umschlaggestaltung & Satz: Thomas GimesiStrichgrafik lizensiert von iStockphoto.comVerwendete Schriften: Gill Sans & Lyon

    ISBN 978-3-902890-02-3 (Paperback)

    Weitere Informationen zum Verlag und dem aktuellen Programm finden Sie unterhttp://www.caesarpress.com

  • INHALT

    vorwort des herausgebers v

    vorwort 3

    krieg und revolution 5

    1. Die Sdslawen und der Krieg 5

    2. Die Tschechen und das Reich 24

    3. Die Polen und die Mittelmchte 41

    4. Deutschsterreich im Kriege 53

    der umsturz 75

    5. Die Bildung der Nationalstaaten 75

    6. Die Auflsung des Reiches 89

    7. Die deutschsterreichische Republik 99

    8. Nationale und soziale Revolution 114

    die vorherrschaft der arbeiterklasse 121

    9. Revolutionre und konterrevolutionre Krfte 121

    10. Zwischen Imperialismus und Bolschewismus 135

    11. Die Revolution in den Betrieben 166

    12. Der Staat und die Arbeiterklasse 187

    die zeit des gleichgewichts der klassenkrfte 201

    13. Wirtschaftliche Umwlzung und soziale Umschichtung 201

    14. Der Kampf um die Institutionen der Republik 218

    15. Der Kampf gegen die Konterrevolution 230

    16. Die Volksrepublik 248

    die restauration der bourgeoisie 255

    17. Die Whrungskatastrophe 255

    18. Der Genfer Vertrag 269

    19. Die Ergebnisse der Revolution und die Aufgaben der Sozialdemokratie 281

    literatur 299

  • seiten vxii sind nicht teil der vorschau

  • DIE STERREICHISCHE REVOLUTION

    OTTO BAUER

  • original Die sterreichische Revolution Verlag der Wiener Volksbuchhandlung Wien 1923

  • VORWORT

    Ich widme dieses Buch den Vertrauensmnnern der sterreichischen Arbeiter-schaft: den Tausenden, die whrend des Krieges bluttrunkenen Militrgewalten tapfer die Stirn boten; den Tausenden, deren Einsicht, deren Verantwortungsgefhl, deren Mut in der Revolutionszeit die sterreichische Arbeiterschaft aber- und aber-mals gerettet hat vor den Versuchungen des Hungers, der Verzweiflung, der Illusi-onen in den eigenen Reihen; den Tausenden, die heute im zhen Abwehrkampfe gegen einen verstndnislosen, haerfllten Feind ringen. Mge dieses Buch diesen Tausenden helfen, den Kleinkrieg, den sie alle, jeder in seinem Betriebe, in seiner Gemeinde, in seiner Organisation, gefhrt haben, im groen geschichtlichen Zusam-menhange zu begreifen und aus solchem Verstehen neue Einsicht, neue Kraft, neue Zuversicht zu schpfen fr die Kmpfe, denen wir entgegengehen!

    Ich widme dieses Buch den Kameraden im sterreichischen Heere: den sozialde-mokratischen Offizieren, Unteroffizieren und Soldaten. Sie haben jetzt den schwers-ten Kampf zu bestehen; einen Kampf, der an ihre berzeugungstreue, an ihre Z-higkeit, an ihre Klugheit die hchsten Anforderungen stellt. Mge dieses Buch ihnen sagen, da der Gegenstand des Kampfes der Opfer des Kampfes wert ist!

    Ich widme dieses Buch den sterreichischen Intellektuellen, den Ingenieuren, den rzten, den Lehrern, den jungen Studenten zumal, die den Befreiungskampf der Ar-beiterklasse verstehen lernen wollen. Mge es ihnen helfen, das Netz zu zerreien, in das, aus unzhligen Zeitungsblttern, von unzhligen Kathedern auf sie einredend, Klassenvorurteil, Klassenha, Klassenlge sie verstricken!

    Aber ich wage es, dieses Buch auch Marxens Schule in aller Welt zu widmen. Denn auch ihr will es einiges sagen.

    Der wissenschaftliche Sozialismus ist aus der Verarbeitung zweier groer Er-fahrungen entstanden: der Erfahrung der industriellen Revolution des neunzehnten Jahrhunderts und der Erfahrung der politischen Revolutionen von 1789 bis 1871. Die Welt, die Marx und Engels erforscht haben, ist durch Krieg und Revolution vllig umgewlzt worden. Nur durch die Verarbeitung der Flle neuer Erfahrungen, die wir im Kriege und in der Revolution erworben haben, kann sich der wissenschaftliche Sozialismus der vern- {i} derten Umwelt anpassen. Nur aus der wissenschaftlichen Verarbeitung dieser neuen Erfahrungen kann sich der Sozialismus des zwanzigsten Jahrhunderts entwickeln. Ein kleiner Beitrag zu dieser groen Arbeit will dieses Buch sein. Die Wechselwirkungen zwischen nationaler und sozialer Revolution; die Wand-lungen des Staates, der Demokratie, der Beziehungen der Arbeiterklasse zum Staat und zur Nation, die sich in der und durch die Revolution vollziehen; die Entwicklung eigenartiger Staatstypen in einer Entwicklungsphase in der die Krfte der Klassen

  • 4 DIE STERREICHISCHE REVOLUTION

    einander das Gleichgewicht halten; die Funktion vorbergehender Kooperation der Klassen im Entwicklungsgange der Klassenkmpfe; die Wechselwirkungen der Wirt-schaft, der Gewalt und des Geistes im Entwicklungsgange revolutionren Klassen-kampfes das sind Probleme von hchstem allgemeinen Interesse und zur Klrung dieser Probleme kann, so hoffe ich, die Geschichte der sterreichischen Revolution manches beitragen.

    Wien, 6. Mai 1923Otto Bauer{ii}

  • Erster Abschnitt

    KRIEG UND REVOLUTION

    1. Die Sdslawen und der Krieg

    Das Ultimatum sterreich-Ungarns an Serbien hat den Weltkrieg herbeigefhrt. Seine unmittelbare Ursache war der Zusammensto des habsburgischen Impe-riums mit dem Freiheits- und Einheitsdrang des sdslawischen Volkes.

    Im Verlauf des 19. Jahrhunderts hatte sich aus den sdslawischen Bauernstm-men das sdslawische Brgertum entwickelt. Unter der Fhrung ihres Brgertums standen die sdslawischen Stmme im Kampfe gegen den Zustand der nationalen Fremdherrschaft und der nationalen Zersplitterung, die der Feudalismus in Jugosla-wien begrndet hatte. Dieser Kampf war die brgerliche Revolution der Jugoslawen. Sein Ziel war die Liquidierung der feudalen Herrschaftsverhltnisse auf sdslawi-schem Boden. Diese nationale Revolution der Jugoslawen war der Ausgangspunkt des Krieges. Sie leitete die nationale Revolution ein, der die Habsburgermonarchie erlegen ist.

    Schon im 9. Jahrhundert sind die Slowenen der nordwestliche Stamm des sdslawischen Volkes unter deutsche Fremdherrschaft gefallen. In ganz Sloweni-en wurden die slawischen Bauern deutschen Grundherren zins- und fronpflichtig. Deutsch war der Herrenhof, slowenisch das Bauerndorf. Den deutschen Grundher-ren folgten deutsche Brger. Sie begrndeten die Stdte im Wendenland; die Stdte waren deutsch, die Drfer blieben windisch. So fielen hier Klassenscheidung und nationale {1} Scheidung zusammen. Noch im 19. Jahrhundert klagte der krainische Dichter Franc Peeren:

    Deutsch sprechen in der Regel hierzulande Die Herrinnen und Herren, die befehlen; Slowenisch die, so von dem Dienerstande.

    So war ein Jahrtausend lang die slowenische Sprache bloe Bauernmundart, das slowenische Volk eine geschichtslose Nation. Ein slowenisches Schulwesen konnte nicht entstehen; denn Schulen gab es nur fr die Shne der deutschen Grundherren und Brger, nicht fr die der slawischen Bauern. Eine slowenische Literatur konnte sich nicht entwickeln; denn wer htte in einer Sprache, die nur die unwissenden, analphabetischen Bauern sprachen, Bcher schreiben wollen? Als in den Sturmta-gen der Reformation protestantische Prdikanten auch den Bauern das Evangelium predigen wollten, stellte einer von ihnen, Primo Trubar, fest, da kein Brief oder Register, noch weniger ein Buch in unserer windischen Sprache zu finden war; denn

  • 6 DIE STERREICHISCHE REVOLUTION

    man hielt dafr, die windische Sprache wre so grob und barbarisch, da man sie weder schreiben noch lesen knne. Trubar und Juri Dalmatin, die die Bibel in die slawische Bauernsprache bertrugen, muten hunderte Wrter fremden Sprachen entlehnen; denn die slowenische Sprache hatte Bezeichnungen nur fr Begriffe des buerlichen Lebens. Habsburgs blutige Gegenreformation bereitete auch diesen ers-ten Versuchen, eine slowenische Literatursprache zu schaffen, ein schnelles Ende: Trubars ketzerische Schriften wurden verbrannt; und wiederum verschwand fr zwei Jahrhunderte die slowenische Sprache aus der Literatur.

    Und wie an allem hheren Kulturleben, so hatte auch an allem staatlichen Le-ben das slowenische Bauernvolk ein Jahrtausend lang keinen Anteil. Denn nur die Grundherrenklasse, nicht die Bauernschaft war in diesem Jahrtausend Trgerin des staatlichen Lebens. Mit der Unterwerfung unter die deutschen Grundherren fielen die slowenischen Bauern unter die Herrschaft des deutschen Herzogtums Karan-tanien; mit den Lndern, in die das Herzogtum zerfiel, fielen sie an das deutsche sterreich. ber den Grundherrschaften, in denen die slowenischen Bauern den deutschen Feudalherren fronten, baute sich die politische Herrschaft des deutschen sterreich ber den slowenischen Volksstamm auf.

    Ein halbes Jahrtausend spter als der nordwestliche verfiel der sdstliche Zweig des jugoslawischen Volkes hnlichem Schicksal. Nach der Niederlage am Amselfeld (1389) wurden die serbischen Frsten zu Vasallen der trkischen Groherren; nach der Katastrophe von Varna (1444) wurden die serbischen Lnder zu trkischen Pro-vinzen. Das serbische Volk wurde zur geknechteten ausgebeuteten Rajah. Die Stdte wurden zu trkischen Festungen; nur die Drfer blieben serbisch. Und ber die ser-bischen Bauern herrschten die trkischen Spahis und die griechischen Priester. Nur in Bosnien behauptete sich ein Teil des nationalen Adels; aber er behauptete Besitz und Wrde nur um den Preis, da er den Islam annahm und damit in dem herrschen-den Osmanentum aufging. So war auch das serbische Volk unter Fremdherrschaft gefallen.

    Nur im Zentrum des Siedlungsgebietes der Sdslawen, in Kroatien, hat sich ein nationales Staatswesen behauptet. Nur dort lebte das Volk unter {2} der Herrschaft nicht eines fremden, sondern eines nationalen Adels. Aber auch dort ging in furcht-baren Strmen ein Stck nationaler Selbstndigkeit nach dem andern verloren. Von den Trken bedroht, war das dreieinige Knigreich nicht imstande, Dalmatien gegen die Venezianer zu schtzen. So verfiel dieses slawische Land italienischer Fremd-herrschaft. Kroatien selbst aber warf die Trkennot zuerst den Habsburgern in die Arme. Dann, nach der Zurckdrngung der Trken, strzte sich der kroatische Adel, vom habsburgischen Absolutismus im Besitz seiner stndischen Privilegien be-droht, Ungarn in die Arme, um, sei es auch um den Preis des Verzichts auf staatliche Selbstndigkeit, mit dem mchtigeren magyarischen Adel vereint, die stndischen Rechte zu verteidigen. So verlor, zwischen Trken und Venetianern, zwischen s-terreich und Ungarn, der kroatische Adel nationale und staatliche Selbstndigkeit. Viele Adelsfamilien wurden in den Trkenkriegen ausgerottet. Andere endeten in