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254 RZ 2009 Der objektive Rest- und Minderwert von beschädigten Kraftfahrzeugen A NNELIESE K ODEK , W OLFGANG P FEFFER *) 1. Einleitung Jahrzehntelang sprachen österreichische Gerichte in Kfz-Schadenersatzfällen die Re- paraturkosten einer Fachwerkstätte zu, un- abhängig davon, ob der Geschädigte eine gewerbliche Reparatur beabsichtigte oder nicht. Diese Rsp zu den „schrankenlosen” fiktiven Reparaturkosten führte in zuneh- mendem Maße dazu, dass die Geschädig- ten ihre Fahrzeuge außerhalb der Fachwerk- stätten billiger (aber mit vollem Reparatur- erfolg) reparieren ließen und die Differenz zum erhaltenen Reparaturbetrag als ver- mögenserhöhende Zuwendung lukrierten. Ein ähnlicher Effekt ließ sich auch beim Ver- kauf von Unfallfahrzeugen im beschädigten Zustand beobachten. Das Problem uferte derartig aus, dass in diesem Zusammenhang bereits davon gesprochen wurde, dass das Auto zur „gewinnbringenden Institution” werde und der Eigentümer „auf regelmäßi- ge Schädigung hoffen” könne. 1) Als Neben- effekt kam es zu einem Aufblühen der Schat- tenwirtschaft im Kfz-Reparaturbereich. Um diese Bereicherungseffekte zu ver- meiden, hat der OGH Mitte der 1980-er Jahre eine richtungsweisende Änderung der Judikatur eingeleitet, durch die der Begriff der objektiven Wertminderung (objektiver Minderwert) geprägt wurde. 2) Ziel dieser Änderung war es, dem Geschä- digten fortan nur jenen Wertverlust abzu- gelten, den er in seinem Vermögen tatsäch- lich erlitten hat. Obwohl sich dieser Grund- gedanke einfach darstellt, hat die Ermitt- lung des objektiven Minderwerts in der Praxis immer wieder zu Problemen und Un- sicherheiten geführt, deren Ursachen nicht zuletzt auch in einer unscharfen Verwen- dung der zugrunde liegenden Wertbegrif- fe lagen. Dazu kamen noch damit verbun- dene Rechtsfragen, wie etwa jene, inwie- fern ein konkretes Höchstanbot aus der Wrackbörse der Schadensbemessung zu- grunde zu legen ist. Im Sinne einer Vereinheitlichung wurde im Jahr 2008 ein Berechnungsschema zur Er- mittlung des objektiven Minderwerts erar- beitet, das erstmals in SV 2/2008 veröffent- licht und auch in die Neuauflage des im Juni 2008 erschienenen Handbuchs des Verkehrs- unfalls (2. Teil) übernommen wurde. 3) Nach mehreren Urteilen auf erstinstanzlicher Ebene wurde der Grundansatz des Berech- nungsschemas nunmehr auch durch ein Berufungsurteil des LGZ Wien bestätigt. 4) 2. Grundlagen Die Funktion des Schadenersatzrechts liegt vor allem darin, den entstandenen Scha- den vollständig auszugleichen. Nach § 1323 ABGB ist dieser Ausgleich primär durch Na- turalrestitution zu leisten. Bei Beschädi- gung einer Sache besteht der Naturalersatz entweder in der Verschaffung einer gleich- artigen und gleichwertigen Sache oder in deren Reparatur. Nur dann, wenn Natural- herstellung unmöglich oder untunlich ist, hat der Schädiger Geldersatz zu leisten. Bei Kfz-Schäden wird eine Naturalrestitutions- pflicht verneint, der Ersatzpflichtige (Versi- cherer des Schädigers) hat daher regel- mäßig nur Geldersatz zu leisten. 5) Der Zuspruch der (fiktiven) Kosten einer Re- paratur des Fahrzeugs in einer Fachwerk- stätte scheidet dann aus, wenn der Ge- schädigte sein Fahrzeug privat (und damit kostengünstiger) reparieren hat lassen. In diesem Fall ist ihm nur der tatsächliche Auf- wand zu ersetzen. 6) Ansonsten ist die Höhe des Geldersatzes zunächst davon abhängig, ob die Instand- setzung des beschädigten Fahrzeuges wirt- schaftlich sinnvoll ist oder ob ein Total- schaden eingetreten ist. Bei Vorliegen von Reparaturwürdigkeit hängt die Höhe des zu vergütenden Schadens im Wesentlichen davon ab, welche Dispositionen der Ge- schädigte beabsichtigt. Wenn kein Totalschaden vorliegt und die Reparatur durchgeführt wird, dann erfolgt in der Praxis normalerweise eine Direktver- rechnung des Reparaturbetriebes mit dem Haftpflichtversicherer des Schädigers, eine allenfalls eingetretene merkantile Wert- minderung wird an den Geschädigten aus- bezahlt. Hat der Geschädigte das Fahrzeug noch nicht reparieren lassen, sind ihm im Prozess dennoch die vollen gewerblichen Instandsetzungskosten als fiktive Reparatur- kosten zuzusprechen, sofern er dem Ge- richt seine Reparaturabsicht nachweist. 7) In den letzen Jahren werden im Auftrag der leistenden Haftpflichtversicherer zuneh- mend Nachbesichtigungen durchgeführt, um zu kontrollieren, ob bzw inwiefern die Reparatur durchgeführt wurde. Falls keine Reparatur in einer Fachwerkstätte erfolgt ist, kann der Haftpflichtversicherer die Dif- ferenz zum objektiven Minderwert im Re- gelfall erfolgreich als bereicherungsrecht- lichen Rückforderungsanspruch geltend machen. 8) 3. Die Ermittlung des objektiven Minderwerts Wenn durch das schädigende Ereignis ein wirtschaftlicher Totalschaden eingetreten ist, sowie wenn der Geschädigte das Unfall- fahrzeug, an dem kein Totalschaden einge- treten ist, ohne Reparatur weiter benutzt oder wenn seine Dispositionsabsichten un- klar sind, stehen ihm nach nunmehr stRsp die fiktiven Reparaturkosten nur bis zur Höhe des objektiven Minderwerts zu. 9) Die- ser stellt den Wertverlust des Fahrzeugs durch das Schadensereignis in der Vermö- genssphäre des Geschädigten dar und er- gibt sich im Sinne der Differenzmethode durch einen fiktiven Vergleich des Vermö- gens vor und nach dem Unfall. Grundsätzlich erfolgt die Ermittlung des objektiven Minderwerts durch eine Diffe- renzbildung zwischen dem gemeinen Wert iSd § 1332 ABGB vor und unmittelbar nach dem Schadensereignis. Unter dem gemeinen Wert ist der Verkehrswert zu verstehen. Abhängig davon, wozu der Geschädigte *) Dr. Anneliese Kodek, Richterin des LGZ Wien Dr. Wolfgang Pfeffer, Allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger, 1070 Wien w issenschaft

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Der objektive Rest- und Minderwertvon beschädigten Kraftfahrzeugen

AN N E L I E S E KO D E K, WO L F G A N G PF E F F E R*)

1. EinleitungJahrzehntelang sprachen österreichischeGerichte in Kfz-Schadenersatzfällen die Re-paraturkosten einer Fachwerkstätte zu, un-abhängig davon, ob der Geschädigte einegewerbliche Reparatur beabsichtigte odernicht. Diese Rsp zu den „schrankenlosen”fiktiven Reparaturkosten führte in zuneh-mendem Maße dazu, dass die Geschädig-ten ihre Fahrzeuge außerhalb der Fachwerk-stätten billiger (aber mit vollem Reparatur-erfolg) reparieren ließen und die Differenzzum erhaltenen Reparaturbetrag als ver-mögenserhöhende Zuwendung lukrierten.Ein ähnlicher Effekt ließ sich auch beim Ver-kauf von Unfallfahrzeugen im beschädigtenZustand beobachten. Das Problem ufertederartig aus, dass in diesem Zusammenhangbereits davon gesprochen wurde, dass dasAuto zur „gewinnbringenden Institution”werde und der Eigentümer „auf regelmäßi-ge Schädigung hoffen” könne.1) Als Neben-effekt kam es zu einem Aufblühen der Schat-tenwirtschaft im Kfz-Reparaturbereich.Um diese Bereicherungseffekte zu ver-meiden, hat der OGH Mitte der 1980-erJahre eine richtungsweisende Änderungder Judikatur eingeleitet, durch die derBegriff der objektiven Wertminderung(objektiver Minderwert) geprägt wurde.2)

Ziel dieser Änderung war es, dem Geschä-digten fortan nur jenen Wertverlust abzu-gelten, den er in seinem Vermögen tatsäch-lich erlitten hat. Obwohl sich dieser Grund-gedanke einfach darstellt, hat die Ermitt-lung des objektiven Minderwerts in derPraxis immer wieder zu Problemen und Un-sicherheiten geführt, deren Ursachen nichtzuletzt auch in einer unscharfen Verwen-dung der zugrunde liegenden Wertbegrif-

fe lagen. Dazu kamen noch damit verbun-dene Rechtsfragen, wie etwa jene, inwie-fern ein konkretes Höchstanbot aus derWrackbörse der Schadensbemessung zu-grunde zu legen ist.Im Sinne einer Vereinheitlichung wurde imJahr 2008 ein Berechnungsschema zur Er-mittlung des objektiven Minderwerts erar-beitet, das erstmals in SV 2/2008 veröffent-licht und auch in die Neuauflage des im Juni2008 erschienenen Handbuchs des Verkehrs-unfalls (2. Teil) übernommen wurde.3) Nachmehreren Urteilen auf erstinstanzlicherEbene wurde der Grundansatz des Berech-nungsschemas nunmehr auch durch einBerufungsurteil des LGZ Wien bestätigt.4)

2. GrundlagenDie Funktion des Schadenersatzrechts liegtvor allem darin, den entstandenen Scha-den vollständig auszugleichen. Nach § 1323ABGB ist dieser Ausgleich primär durch Na-turalrestitution zu leisten. Bei Beschädi-gung einer Sache besteht der Naturalersatzentweder in der Verschaffung einer gleich-artigen und gleichwertigen Sache oder inderen Reparatur. Nur dann, wenn Natural-herstellung unmöglich oder untunlich ist,hat der Schädiger Geldersatz zu leisten. BeiKfz-Schäden wird eine Naturalrestitutions-pflicht verneint, der Ersatzpflichtige (Versi-cherer des Schädigers) hat daher regel-mäßig nur Geldersatz zu leisten.5)

Der Zuspruch der (fiktiven) Kosten einer Re-paratur des Fahrzeugs in einer Fachwerk-stätte scheidet dann aus, wenn der Ge-schädigte sein Fahrzeug privat (und damitkostengünstiger) reparieren hat lassen. Indiesem Fall ist ihm nur der tatsächliche Auf-wand zu ersetzen.6)

Ansonsten ist die Höhe des Geldersatzeszunächst davon abhängig, ob die Instand-setzung des beschädigten Fahrzeuges wirt-schaftlich sinnvoll ist oder ob ein Total-schaden eingetreten ist. Bei Vorliegen vonReparaturwürdigkeit hängt die Höhe deszu vergütenden Schadens im Wesentlichendavon ab, welche Dispositionen der Ge-schädigte beabsichtigt.

Wenn kein Totalschaden vorliegt und dieReparatur durchgeführt wird, dann erfolgtin der Praxis normalerweise eine Direktver-rechnung des Reparaturbetriebes mit demHaftpflichtversicherer des Schädigers, eineallenfalls eingetretene merkantile Wert-minderung wird an den Geschädigten aus-bezahlt. Hat der Geschädigte das Fahrzeugnoch nicht reparieren lassen, sind ihm imProzess dennoch die vollen gewerblichenInstandsetzungskosten als fiktive Reparatur-kosten zuzusprechen, sofern er dem Ge-richt seine Reparaturabsicht nachweist.7)

In den letzen Jahren werden im Auftrag derleistenden Haftpflichtversicherer zuneh-mend Nachbesichtigungen durchgeführt,um zu kontrollieren, ob bzw inwiefern dieReparatur durchgeführt wurde. Falls keineReparatur in einer Fachwerkstätte erfolgtist, kann der Haftpflichtversicherer die Dif-ferenz zum objektiven Minderwert im Re-gelfall erfolgreich als bereicherungsrecht-lichen Rückforderungsanspruch geltendmachen.8)

3. Die Ermittlung desobjektiven MinderwertsWenn durch das schädigende Ereignis einwirtschaftlicher Totalschaden eingetretenist, sowie wenn der Geschädigte das Unfall-fahrzeug, an dem kein Totalschaden einge-treten ist, ohne Reparatur weiter benutztoder wenn seine Dispositionsabsichten un-klar sind, stehen ihm nach nunmehr stRspdie fiktiven Reparaturkosten nur bis zurHöhe des objektiven Minderwerts zu.9) Die-ser stellt den Wertverlust des Fahrzeugsdurch das Schadensereignis in der Vermö-genssphäre des Geschädigten dar und er-gibt sich im Sinne der Differenzmethodedurch einen fiktiven Vergleich des Vermö-gens vor und nach dem Unfall.Grundsätzlich erfolgt die Ermittlung desobjektiven Minderwerts durch eine Diffe-renzbildung zwischen dem gemeinen WertiSd § 1332 ABGB vor und unmittelbar nachdem Schadensereignis. Unter dem gemeinenWert ist der Verkehrswert zu verstehen.Abhängig davon, wozu der Geschädigte

*) Dr. Anneliese Kodek,Richterin des LGZ Wien

Dr. Wolfgang Pfeffer,Allgemein beeideter und gerichtlichzertifizierter Sachverständiger, 1070 Wien

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durch das Schadensereignis veranlasst wur-de, kann der gemeine Wert der Wiederbe-schaffungswertoder auch der Verkaufswertsein. Der Verkaufswert zwischen Privatenwird als Marktwert bezeichnet. Beim un-beschädigten Fahrzeug liegt der Markt-wert im Regelfall zwischen dem Wieder-beschaffungswert und dem Händlerein-kaufswert, weshalb er auch als Mittelwertbezeichnet wird. Beim beschädigten Fahr-zeug muss der Marktwert nicht zwingendhöher sein als der Händlereinkaufswert, dahier das Ertragspotential der Reparatur zuberücksichtigen ist, zudem unterliegt derHändler bei einem Wrack nicht den stren-gen Gewährleistungsnormen.10)

Während sich bei reparaturwürdigenSchäden der objektive Minderwert aus derMarktwertdifferenz vor und nach dem Un-fall ergibt, lässt sich dieser Ermittlungs-modus bei Totalschäden nicht aufrecht er-halten, da es hier zu einer Ersatzbeschaf-fung kommt und daher andere Werte zurBestimmung des Vermögensverlustes her-angezogen werden müssen. Es ist deshalbbei der Ermittlung des objektiven Minder-werts eine Differenzierung in zwei Grund-fälle erforderlich.

4. Unterscheidungin zwei Grundfälle- Fall 1:Wenn kein Totalschaden eingetreten ist, dhwenn die gewerblichen Reparaturkostenden Wiederbeschaffungswert nicht oderaber um maximal rund 10 % übersteigenund die Reparatur daher tunlich und mög-lich ist, wurde der Geschädigte durch dasSchadensereignis zu keiner Ersatzbeschaf-fung veranlasst. Wenn er keine Reparaturin der Fachwerkstätte beabsichtigt, dannbesteht der objektive Minderwert in derDifferenz zwischen dem Marktwert desunbeschädigten Fahrzeuges vor dem Un-fall und dem Marktwert des beschädigtenFahrzeuges unmittelbar danach (objektiverMinderwert durch Marktwertvergleich).

- Fall 2:Wenn hingegen die gewerblichen Repara-turkosten den Wiederbeschaffungswertübersteigen und der Geschädigte entwe-der von seinem Recht, bis zu einer Tunlich-keitsgrenze von ca. 10% in einer Fachwerk-stätte reparieren zu lassen, nicht Gebrauch

macht oder diese Tunlichkeitsgrenze über-schritten wurde, kann er zur Erreichungeiner gleichwertigen Ersatzlage eine Er-satzbeschaffung vornehmen. Nach der Rspdarf er sich dazu eines Fachhändlers be-dienen, er kann ein gleichwertiges Ersatz-fahrzeug bei einem Händler ankaufen unddas Unfallfahrzeug bei einem Händler ver-kaufen.11) Abweichend vom Fall 1 bestehtdaher die Vermögensschmälerung beimTotalschaden in der Differenz zwischendem Wiederbeschaffungswert des unbe-schädigten Fahrzeuges vor dem Unfall unddem Verkaufswert (Händlereinkaufswert)des beschädigten Fahrzeuges nach demSchadensereignis (objektiver Minderwertauf Ersatzbeschaffungsbasis).Diese Unterscheidung ist wichtig, da imersten Fall mangels Erfordernis einer Ersatz-beschaffung keine Händlerspanne bei derQuantifizierung des objektiven Minderwertsenthalten ist, wohingegen im zweiten Fallder marktübliche Verdienst des Wrack- bzwAltteilehändlers zu berücksichtigen ist.Außerdem spielt im Falle einer Händlerbe-teiligung bei der Schadensabwicklung dasErtragspotential der Reparatur eine wich-tige wertbildende Einflussgröße, die beider Wertschätzung vom Sachverständigenentsprechend kalkulatorisch berücksichtigtwerden muss.Das Fehlen dieser in der Literatur bisherkaum behandelten Trennung bei der Er-mittlung des objektiven Minderwerts inzwei Grundfälle hat in der Praxis bislang zuUnsicherheiten bei Wertverlustschätzungengeführt. In manchen Fällen wurden Rest-werte (Verkaufswerte) von beschädigtenFahrzeugen in Beziehung mit Wiederbe-schaffungswerten gesetzt, obwohl durchdas Schadensereignis gar keine Notwen-digkeit einer Ersatzbeschaffung geschaffenwurde und daher ein normaler Marktwert-vergleich zum richtigen Schätzergebnis ge-führt hätte.

4.1. Objektiver Minderwertdurch MarktwertvergleichIm Fahrzeughandel ist unbestritten, dassder durch einen Schaden entstandeneWertverlust, zumindest als Richtwert,durch die Höhe der Instandsetzungskostenbestimmt wird. Versetzt man sich in eineVerkäuferposition, dann wird der durch-schnittliche potentielle Kaufinteressent zur

Bemessung des Nachlasses wegen des Scha-dens zumindest überschlägig eine fiktiveWiederherstellung bzw die für ihn damitverbundenen Kosten kalkulieren und dieseseiner Anbotsberechnung zugrunde legen.Wenn kein Totalschaden vorliegt und derGeschädigte nicht in einer Fachwerkstättereparieren lassen will, dann ist entspre-chend den Verhältnissen in der Praxis davonauszugehen, dass er den Schaden kosten-sparend (privat) instandsetzen lassen will.Die Bemessung des objektiven Minder-werts orientiert sich daher in diesem Fall aneiner kostengünstigen Reparatur bzw andamit verbundenen reduzierten Repara-turkosten, die auch als Entschädigungs-Reparaturkosten bezeichnet werden.12) Da-mit ist der Vermögensschaden in einerMarktwertbetrachtung vollständig aus-geglichen. Wenn der Geschädigte keineReparatur durchführen lässt und seinFahrzeug weiter benutzt, dann ergibt eineVermögensstatusbetrachtung durch einenfiktiven Verkauf des beschädigten Fahr-zeuges an einen privaten Interessenten,dass dieser ebenfalls etwa den um die Ent-schädigungs-Reparaturkosten reduziertenMarktwert des Fahrzeugs vor dem Unfalldafür zu zahlen bereit wäre. Ein Fahrzeug-händler oder eine Werkstätte dürfen in

1) Welser, Aktuelle Fragen der zivilrechtlichen Haftung

aus Verkehrsunfällen, ZVR 1978 (Sonderheft), 30 (31).

2) JBl 1985, 41 [Apathy] = ZVR 1984/344; RIS-Justiz

RS0030312, RS0022844.

3) Pfeffer, Die Ermittlung des objektiven Minderwerts

von beschädigten Kraftfahrzeugen, SV 2/2008, 67;

Bürger/Pfeffer/Rauchecker/Sacher/Wielke, in Fucik

ua (Hrsg) Handbuch des Verkehrsunfalls, 2. Teil2

(2008), Rz 281 ff.

4) 36 R 372/08k; Näheres dazu siehe unten Punkt 6.

5) Danzl in KBB2, § 1323 ABGB Rz 1 und 5 je mwN.

6) Danzl in KBB2, § 1323 ABGB Rz 11 mwN.

7) ZVR 1995/7.

8) OGH ZVR 1995/7; OLG Wien ZVR 1993/8; LG Eisen-

stadt 37 R 2/07d (RIS).

9) RIS-Justiz RS0030312, RS0022844; ZVR 1995/7.

10) Zur Begriffsdefinition vgl. Bürger/Pfeffer/Rauchecker/

Sacher/Wielke, in Fucik ua (Hrsg) Handbuch des

Verkehrsunfalls, 2. Teil2 (2008), Rz 268.

11) Danzl in KBB2, § 1323 ABGB Rz 7 mwN.

12) Vgl Pfeffer, Die Ermittlung des objektiven Minderwertes

von beschädigten Kraftfahrzeugen, SV 2008, 67 (68 ff).

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diese Überlegungen hingegen nicht einbe-zogen werden.Die Quantifizierung der reduzierten Repa-raturkosten obliegt dem Sachverständigen.In Abbildung der realen Marktverhältnissehat er dafür angemessene Abschläge vonden gewerblichen Reparaturkosten (Rabatt-faktoren), sowohl bei den Arbeits- als auchbei den Materialkosten, zu berücksichtigen.Bei Fahrzeugen im oberen und mittlerenPreissegment erfolgt idR durch den Scha-den eine Marktwertreduktion in vollemUmfang der reduzierten Reparaturkosten.Bei alten bzw stark abgenutzten Fahrzeu-gen schlagen die berechneten Entschädi-gungskosten nicht mehr in voller Höhewertvermindernd durch, weshalb in diesenFällen eine Verringerung vorzunehmen ist(Alters- und Verschleißreduktion). DerSachverständige hat unter Bedachtnahmeauf das Verhältnis des Wiederbeschaf-fungswerts zum Neupreis zu beurteilen, inwelchem Umfang sich die Entschädigungs-Reparaturkosten tatsächlich wertvermin-dernd auswirken, wobei verkehrssicher-heitsrelevante Reparaturen gem § 57a KFGbesonders zu berücksichtigen sind.Bei neueren Fahrzeugen ist bei der Ermitt-lung des objektiven Minderwerts durchMarktwertvergleich aus technischer Sichtauch eine allfällige merkantile Wertminde-rung zu berücksichtigen. Der Marktwert-verlust wird zusätzlich zu den Entschädi-gungs-Reparaturkosten durch eine allfälli-ge merkantile Wertminderung vergrößert.In einer hypothetischen Verkaufssituationwürde der Geschädigte beim Privatverkaufum die merkantile Wertminderung, zu-sätzlich zu den reduzierten Reparaturkos-ten, weniger erlösen. Eine allfällige, auf derMarktwertebene angemessen ermitteltemerkantile Wertminderung muss daher zuden Entschädigungs-Reparaturkosten hin-zugerechnet werden und wird dadurchbeim Marktwertvergleich im Regelfall zumimpliziten Bestandteil des objektiven Min-derwerts, die Obergrenze stellen die ge-werblichen Reparaturkosten dar. Die im-plizite Berücksichtigung der merkantilenWertminderung im Marktwertvergleichhat bei sehr jungen Fahrzeugen zur Folge,dass der objektive Minderwert häufigannähernd den vollen gewerblichen Re-paraturkosten entspricht.In der Praxis kommt es vor, dass der Ge-

schädigte das beschädigte, aber reparatur-würdige Fahrzeug bei einem Fachhändlereintauscht oder sonst unrepariert ver-äußert. In diesem Fall gilt ebenfalls grund-sätzlich, dass der Geschädigte Anspruch aufErsatz der fiktiven Reparaturkosten, jedochbegrenzt mit der objektiven Wertminde-rung, hat. Auch dann, wenn die fiktiven Re-paraturkosten die objektive Wertminde-rung unterschreiten, wird ein „Wahlrecht”des Geschädigten, anstelle der fiktiven Re-paraturkosten die (höhere) objektive Wert-minderung zu begehren, von der Judikaturabgelehnt. Eine Ausnahme macht die Rspnur dann, wenn dem Geschädigten dieWeiterbenützung seines Fahrzeugs infolgedessen erheblicher Beschädigung nichtmehr zumutbar ist und er sein begründetesMisstrauen in die Wiederherstellbarkeitder Sicherheit des Fahrzeugs durch dessenVeräußerung in unrepariertem Zustandzum Ausdruck bringt. Bei Vorliegen einersolchen „schweren Havarie” (eines „unech-ten Totalschadens”) hat der Geschädigtedann, wenn die fiktiven Reparaturkostendie objektive Wertminderung unterschrei-ten, nicht bloß Anspruch auf Ersatz derfiktiven Reparaturkosten, sondern aufSchadenersatz auf Basis der objektivenWertminderung. Dies gilt nicht nur fürNeuwagen,13) sondern auch dann, wenndas beschädigte Fahrzeug die Kriterieneines Neuwagens nicht mehr erfüllt.14)

Aus der Entscheidung 2 Ob 158/07k ist da-her abzuleiten, dass der Geschädigte ohneTotalschaden und ohne Reparaturabsichtgrundsätzlich nur den objektiven Minder-wert durch Marktwertvergleich begehrenkann. Nur bei sehr schweren Havarieschä-den („unechte Totalschäden”) verstößt ernicht gegen die Schadenminderungs-pflicht, wenn er sich gegen die Reparaturund für den (allenfalls teureren) Eintauschbei einem Fachhändler entscheidet. Nur indiesen Ausnahmefällen kommt daher beider Schadensbemessung auch ohne wirt-schaftlichen Totalschaden der nachstehendbeschriebene objektive Minderwert aufErsatzbeschaffungsbasis zum Tragen.

4.2. Objektiver Minderwertauf ErsatzbeschaffungsbasisIm Totalschadenfall bzw auch beim oben-stehend beschriebenen „unechten Total-schaden” kann der Geschädigte eine Ersatz-

beschaffung unter Einschaltung des Han-dels vornehmen, sein Vermögensverlustliegt daher in der Differenz zwischen demHändlerverkaufswert (Wiederbeschaffungs-wert) des unbeschädigten Fahrzeuges vordem Unfall und dem Händlereinkaufswert(Wrackwert) des beschädigten Fahrzeugesdanach.Die Schätzung des Wiederbeschaffungs-werts erfolgt in der Praxis durch Listen oderneuerdings noch wesentlich präziser durcheine automatisierte Marktanalyse mit demAutopreisspiegel15). Schwierigkeiten erge-ben sich häufig bei der Quantifizierung desRestwerts. Beim objektiven Wert einerSache handelt es sich immer um einenDurchschnittswert, in den Wirtschaftswis-senschaften wird der Wert als „theoretischzu erwartender Preis” bzw als „Gleichge-wichtspreis” definiert. Der konkrete Preiseiner Sache ist hingegen ein Betrag, derunter Berücksichtigung individueller Ein-flüsse zufällig für ein einzelnes Wirtschafts-gut erzielt wird; der gebotene Kaufpreisfür ein Gut kann vom Verkaufswert oft sehrstark abweichen. Daran zeigt sich, dass beider Schätzung eines objektiven Restwertsdurch den Sachverständigen im Zuge einesPrognose-Schätzvorgangs nicht das Höchst-gebot der Wrackbörse und auch nicht derMittelwert der fünf höchsten Gebote zu-grunde gelegt werden darf, wie das ver-einzelt beobachtet werden kann, dieseVorgehensweise würde der WertdefinitioniSd objektiven Wertbegriffs gem § 305ABGB widersprechen.Die Schätzung des objektiven Rest- bzwWrackwerts beim Totalschaden ist Aufgabedes Sachverständigen, wobei es sich dabeientweder um Prognoseschätzungen imZuge einer objektiv-abstrakten Bemessungbei noch nicht erfolgten Verkäufen oderum Angemessenheitsprüfungen im Fallevon bereits erzielten bzw. behauptetenVerkaufspreisen bei subjektiv-konkreterBerechnung handeln kann.Entsprechend den realen Marktverhält-nissen sind bei der Restwertschätzung zweiFälle zu unterscheiden:

- Fall 1:Wenn die gewerblichen Reparaturkostenden Wiederbeschaffungswert um nichtmehr als ca 25 % übersteigen, wird von denpotenziellen Käufern der Fahrzeuge im Re-

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gelfall trotz des eingetretenen Totalscha-dens eine (kostengünstige) Instandsetzungdes beschädigten Fahrzeuges beabsichtigt.Um unseriöse Machenschaften bei derQuantifizierung des Restwerts von vorn-herein auszuschließen, muss der Restwert-kalkulation bei noch instandsetzbaren To-talschäden ein durchschnittlicher seriöserInteressent, als Käufer vom Wrackhändler,zugrunde gelegt werden, der über Mög-lichkeiten verfügt, das Fahrzeug kosten-günstig zu reparieren. Dieser Interessentwird – ebenso wie beim Privatkauf – bereitsein, für das Wrack als Richtwert die Dif-ferenz zwischen dem Wiederbeschaffungs-wert und den für ihn entstehenden Instand-setzungskosten (reduzierte Reparaturkos-ten) zu bezahlen. Für den Wrackhändlermuss zusätzlich eine handelsübliche Span-ne berücksichtigt werden. Aus diesem„rückwärts-kalkulatorischen Ansatz” er-gibt sich der objektive Minderwert aus denEntschädigungs-Reparaturkosten zuzüg-lich einer marktüblichen Mindest-Wrack-händlerspanne.Dieser Ansatz steht auch im Einklang mitder Bemessungsmethode der merkantilenWertminderung, wo seit Jahrzehnten vomSachverständigen ebenfalls ein „durch-schnittlicher Käufer” in einer fiktiven Ver-kaufssituation, zur Schätzung des Nachlas-ses aufgrund des verbleibenden Misstrau-ens, zugrunde gelegt wird. Auch hier würdeniemand auf die Idee kommen, zur Schät-zung der merkantilen WertminderungUmfragen oder gar Testverkäufe im regio-nalen oder überregionalen Bereich durch-zuführen; Berechnungsformeln zur rech-nerischen Abbildung des Marktes habensich auch hier europaweit durchgesetzt.

- Fall 2:Übersteigen die Reparaturkosten in einerFachwerkstätte den Wiederbeschaffungs-wert um mehr als ca 25 %, so besteht im Re-gelfall seitens seriöser Kaufinteressentennur noch eine Verwertungsabsicht. Eine In-standsetzung ist außer in Ausnahmefällenmit seriösen Mitteln im Inland selbst miteiner kostensparenden Reparatur nichtmehr wirtschaftlich. In diesen Fällen hat derSachverständige unter Zugrundelegungseiner Marktkenntnisse zu beurteilen, obsich am beschädigten Fahrzeug unbeschä-digte Teile befinden, die am Markt in ab-

sehbarer Zeit einen Verkaufserlös erbrin-gen können. Falls solche Teile vorhandensind, stellt der Verwertungserlös dieserTeile, abzüglich der Händlerspanne und all-fälliger Zerlegungskosten, den Wrackwertdar. Falls keine oder kaum wirtschaftlichverwertbare Teile vorhanden sind, ist derWrackwert Null, es ist dann zu prüfen, in-wieweit Entsorgungskosten anfallen.In diesem Zusammenhang stellt sich dieFrage, ob bei der Schadensbemessung imTotalschadenfall der nach objektiven Krite-rien ermittelte Restwert iS eines durch-schnittlich zu erwartenden Schätzwertsoder aber ein konkretes Preisanbot einesbestimmten Kaufinteressenten zugrundezu legen ist. Es kann nämlich vorkommen,dass der beklagte Haftpflichtversicherer imProzess nachweist, dass ein bestimmter In-teressent bereit gewesen wäre, das Wrackum einen erheblich über dem durchschnitt-lich zu erwartenden Schätzwert liegendenBetrag zu erwerben.Das LGZ Wien hat hiezu in einer jüngerenEntscheidung ausgesprochen, dass ein sol-ches – über eine Internetplattform („Wrack-börse”) abgegebenes – Angebot jedenfallsdann, wenn es an den Haftpflichtversiche-rer und damit nicht direkt an den Geschä-digten gerichtet war, keinen verbindlichenCharakter habe; schon deshalb könne demGeschädigten die Nichtannahme diesesAnbots nicht als Verstoß gegen die ihntreffende Schadensminderungspflicht an-gelastet werden.16)

Das OLG Innsbruck hat in einem Verfahrenzur Frage der Restwertermittlung ausge-führt, dass der Wrackwert nicht aufgrundeines Höchstanbotes ermittelt werdenkönne, vielmehr habe der Sachverständigeaus mehreren Angeboten den durch-schnittlichen örtlichen Veräußerungswertzu ermitteln.17)

Diesen Ausführungen ist hinsichtlich desersten Teils, wonach ein einzelnes Kaufan-bot noch keinen Wert darstelle, durchauszuzustimmen. Die im zweiten Teil vorge-schlagene Einschränkung des Verkaufs-marktes auf den „regionalen Bereich” be-inhaltet allerdings das Problem, dass auchhier wiederum nur zufällige, einzelne (we-nige) Preisanbote herangezogen würden,die keine statistische Relevanz iS eines re-präsentativen Mittelwerts haben könnenund daher dem Begriff des gesuchten Rest-

werts von vornherein ebenfalls nicht ent-sprechen können. Mit dem regionalen Se-lektionskriterium, das im Wesentlichen derdeutschen Judikatur entnommen wurde,lässt sich daher dieses Problem nicht in denGriff bekommen.18) Zudem könnte ein sol-ches Wert-Schätzsystem – wie sich in Deutsch-landzeigt – Verzerrungen, Preisabsprachenund Forderungen der für die Phantom-schätzungen missbrauchten Händler zurFolge haben und letztlich zu marktfremdenRestwerten führen, was durch folgendenFall veranschaulicht werden soll:In einem Restwertstreit an einem TirolerBezirksgericht legte der beklagte Haft-pflichtversicherer des Schädigers einenAusdruck von 29 Anboten aus der Wrack-börse vor und brachte dazu vor, dass dasHöchstgebot von € 6.500,– der Schadens-ermittlung zugrunde zu legen sei. DerKläger (Geschädigter) wiederum brachtevor, dass lediglich der Mittelwert der TirolerAnbote zu berücksichtigen sei. Von den 29 Anboten stammten 25 aus den Bundes-ländern Wien, Niederösterreich, Burgen-land, Oberösterreich und Steiermark, dierestlichen vier waren von Tiroler Händlernabgegeben worden; sie befanden sich aufden Positionen 18, 22, 25 und 28. Der Mit-telwert der Tiroler Anbote belief sich auf € 1.250,–. Der im Verfahren beigezogeneSachverständige holte drei weitere Anbotevon Tiroler Händlern ein, wodurch sich derTiroler Mittelwert auf € 1.320,– erhöhte.Die vom Sachverständigen vorgenommenekalkulatorische Schätzung nach durch-schnittlichen Kriterien mithilfe von reduzier-

13) 2 Ob 162/06x = EvBl 2007/108 = ZVR 2008/45

(dazu Ch. Huber ZVR 2008/29).

14) 2 Ob 158/07k = ZVR 2008/227 = JBl 2009, 39.

15) Vgl www.autopreisspiegel.at

16) LGZ Wien 35 R 313/07z = ZVR 2008/243.

17) OLG Innsbruck 2 R 199/07t = ZVR 2008/126 [Ch. Huber].

18) Davon abgesehen erscheint das ursprüngliche

Abstellen auf den „Ort des Geschädigten” iS seines

regionalen Wohngebietes, also die Beschränkung

auf den regionalen Markt des Geschädigten iS einer

Stadt, Talschaft oder eines Bundeslandes, in Zeiten

des Internets, des einheitlichen europäischen Wirt-

schaftsraumes und gleichartiger Typisierungs- und

Normungsvorschriften auch aus dogmatischen

Überlegungen als überholt.

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ten Reparaturkosten ergab demgegenübereinen objektiven Restwert von € 3.800,–.Der nach regionalen Gesichtspunkten ermit-telte „Tiroler Restwert” wich von diesemobjektiven Schätzwert des Sachverständi-gen also um 204 % ab, woran sich das mög-liche Ausmaß der Verzerrungen durch dieregionale Selektionsmethode gut zeigt.In diesem Zusammenhang ist darauf hinzu-weisen, dass das Schadenersatzrecht wederder Haftpflichtversicherung des Schädigersnoch dem Sachverständigen auferlegt, einenKäufer für das Wrack zu suchen bzw denVerkauf samt den damit verbundenen Ris-ken zu vermitteln oder sogar noch (teilwei-se) abzuwickeln, wie das in der Praxis immerwieder zu beobachten ist. Vielmehr ist beider Schadensbemessung nur der vom Sach-verständigen nachvollziehbar ermittelteobjektive Restwert im Sinne eines durch-schnittlich zu erwartenden Verkaufserlösesder Schadensabrechnung zugrunde zu legen,damit ist der schadenersatzrechtlichen Ver-pflichtung des Schädigers Genüge getan.Aufgrund der aufgezeigten Probleme istsowohl aus technischer als auch aus recht-licher Sicht die Ermittlung des objektivenRestwerts mithilfe des vorgeschlagenenKalkulationsschemas zu favorisieren, wiedas bei der Ermittlung der merkantilenWertminderung methodisch bereits seitJahrzehnten der Fall ist. Einzelne wenigePreisangebote in Wrackbörsen stellen un-geachtet ihrer Regionalität statistisch ge-sehen lediglich Ausreißer dar, die nicht demWertbegriff entsprechen, sie sollten daherin Zukunft der Schadensabrechnung wederin ihren Extremwertausprägungen noch inder Form von Mittelwertbildungen zu-grunde gelegt werden.Selbst wenn sich die dargestellte Restwert-Judikatur des OLG Innsbruck durchsetzensollte, muss – ebenso wie in Deutschland –der Sachverständige in Hinkunft die Mög-lichkeit haben, die konkreten regionalenAngebote nachvollziehbar auf ihre objek-tive Angemessenheit hin überprüfen undgegebenenfalls korrigieren zu können.Auch für diese Fälle stellt das vorgestellteKalkulationsschema ein exzellentes objek-tives Evaluierungsinstrument dar.Die nachfolgende Tabelle gibt zusammen-fassend eine Übersicht über die Grundfälleder Schadensbemessung und die Rechen-ansätze im Berechnungsschema:

Siehe Tabelle auf der Folgeseite

5. Programm Kfz-BewertungAuf der Grundlage des dargestellten Be-rechnungsschemas wurde das Computer-programm Kfz-Bewertung entwickelt, mitdem Fahrzeugschäden sowie Minder- undRestwerte auf der Grundlage des gelten-den Schadenersatzrechts in verschiedens-ten Varianten objektiv nachvollziehbarquantifiziert werden können. Darüber hin-aus bietet das Programm die Möglichkeit,weitere, vor allem in der täglichen Arbeitdes gerichtlich beeideten Kfz-Sachverstän-digen auftretende Schätzwerte wie bei-spielsweise die Stehzeit, die Preisminderungoder das Nutzungsentgelt bei Gewährleis-tungen, rasch und transparent zu ermitteln.Bereits vorhandene Kalkulationen undWertschätzungen können kurzfristig über-prüft und variiert werden. Der Grundan-satz des Programms beruht darauf, reale,durchschnittliche Marktverhältnisse rech-nerisch abzubilden, um damit objektiveSchätzwerte (unabhängig von konkreten,zufälligen Preisanboten) zu gewinnen.

6. Entscheidung 36 R 372/08 kdes LGZ WienIn einem Zivilprozess an einem Wiener Be-zirksgericht forderte die Klägerin, die ihrbeschädigtes Fahrzeug unrepariert ver-äußert hatte, vom Haftpflichtversichererdes Schädigers den Ersatz der fiktiven Re-paraturkosten. Diese betrugen € 5.156,12;ausgehend von einem Wiederbeschaf-fungswert des Fahrzeugs zum Unfallszeit-punkt von € 7.050,– lag kein Totalschadenvor. Der im Verfahren bestellte Kfz-Sach-verständige ermittelte den objektiven Min-derwert durch Marktwertvergleich mithilfedes Programms Kfz-Bewertung, indem erausgehend von den Reparaturkostenmarktgerechte Rabattfaktoren bei den Ar-beits- und Materialkosten berücksichtigte.Daraus ergab sich ein objektiver Minder-wert von € 3.170,–. Nur diesen Betrag(abzüglich einer geleisteten Teilzahlung)sprach das Erstgericht der Klägerin zu. DasLGZ Wien bestätigte als Berufungsgerichtzu 36 R 372/08k dieses Urteil und führteaus, dass in einem solchen Fall Ausgangs-punkt für die Schadensberechnung nichtder Wiederbeschaffungswert (= Händler-verkaufswert), sondern der vom Sachver-

ständigen errechnete (geringere) Markt-wert des unbeschädigten Fahrzeugs sei,der mit dem Marktwert des beschädigtenFahrzeugs zu vergleichen sei.

7. ZusammenfassungIm vorliegenden Artikel wird die Ermittlungdes objektiven Minderwerts von beschä-digten Kraftfahrzeugen auf der Grundlageeines neuen Berechnungsschemas darge-stellt. Den zentralen Kernpunkt stellt dienotwendige Trennung in zwei Grundfälledar. Wenn kein Totalschaden eingetretenist, muss der objektive Minderwert übereinen Marktwertvergleich anders ermitteltwerden, als im Fall eines wirtschaftlichenTotalschadens, bei dem der Geschädigte zueiner Ersatzbeschaffung veranlasst wird.Nach mehreren Urteilen auf erstinstanzlicherEbene wurde dieser Ansatz zu 36 R 372/08knunmehr auch durch ein Berufungsurteildes LGZ Wien bestätigt.

8. LiteraturhinweiseApathy, Fragen des Ersatzes von Repa-

raturkosten nach der Beschädigung vonKraftfahrzeugen, ZVR 1981, 256.

Bürger/Pfeffer/Rauchecker/Sacher/Wielke,in Fucik ua (Hrsg) Handbuch des Verkehrs-unfalls, 2. Teil2 (2008).

Ch. Huber, Der Restwert – Ein komplexesProblem im Spannungsverhältnis zwischenGeschädigtem, Kfz-Haftpflichtversichererund Kfz-Sachverständigem, DAR 2002, 337(Teil 1) und 385 (Teil 2).

Ch. Huber, Totalschadensabrechnung –die Ermittlung des Restwerts aus rechtlicherSicht, SV 2008, 61.

Kriegner, Wrackwertproblematik beiKFZ-Totalschäden in der Haftpflichtversiche-rung aus österreichischer und deutscherSicht, wbl 2007, 365.

März/Plöchinger, Sind die Ergebnisse ausRestwertbörsen beeinflussbar?, Verkehrs-unfall und Fahrzeugtechnik, 1/2007.

Nedwed, Schadensablöse – Probleme derSchadensberechnung abseits der Wirklich-keit, SV 1999, 10.

Pfeffer, Die Ermittlung des objektivenMinderwertes von beschädigten Kraftfahr-zeugen, SV 2008, 67.

Sacher, Der objektive und der subjektiveMinderwert, SV 2008, 25.

Schlosser/Fucik/Hartl/Ofner, Handbuchdes Verkehrsunfalls, 6. Teil (2005).

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Grundfälle Berechnung desErsatzanspruchs Rechenansatz Bemerkungen

Reparaturkosten <Wiederbeschaffungswert

Kein Totalschaden

a) Reparatur in einerFachwerkstätte

GewerblicheReparaturkosten

Summe der einzelnenInstandsetzungspositionen

in einer Fachwerkstätte

b) nachgewiesene Absicht,in einer Fachwerkstätte

reparieren zu lassen

GewerblicheReparaturkosten

Summe der einzelnenInstandsetzungspositionen

in einer Fachwerkstätte

c) private(Pfusch)Reparatur

TatsächlicherAufwand

Reparaturkosten unterBerücksichtigung marktüblicher

Rabattfaktoren bei Ersatz-teilen und Arbeitskosten

d) Eigenreparatur TatsächlicherAufwand

Reparaturkosten unterBerücksichtigung eines allfälligen

marktüblichen Rabattfaktorsbei Ersatzteilen und eines

angemessenen Stundensatzesfür den Geschädigten

e) Keine Reparaturabsicht,Fahrzeug wird unrepariert

weitergenutzt (bzw unklareDispositionsabsichten

des Geschädigten)

Fiktive Reparaturkosten,maximal aber objektiver

Minderwert durch Marktwert-vergleich = Marktwert

vor dem Unfall abzüglichMarktwert nach dem Unfall

Entschädigungs-Reparatur-kosten zuzüglich allfälliger

merkantiler Wertminderung

bei sehr alten bzw starkabgenutzten Fahrzeugen

Anpassung des Wertverlustesim Verhältnis zum

Fahrzeugwert

f) Geschädigter hat dasFahrzeug unrepariert

verkauft bzw bei einemFachhändler eingetauscht

Grundsätzlich wie oben;Ausnahme: „schwere Havarie”:

objektiver Minderwert aufErsatzbeschaffungsbasis

Entschädigungs-Reparaturkostenzuzüglich allfälliger merkantilerWertminderung, bei „schwerer

Havarie” siehe unten

Reparaturkosten >Wiederbeschaffungswert, aberÜberschreitung unter ca 125 %

Totalschaden – Havarie aberkostengünstig instandsetzbar

Objektiver Minderwert aufErsatzbeschaffungsbasis =Wiederbeschaffungswert

abzüglich Restwert

Entschädigungs-Reparatur-kosten zuzüglich

Mindesthändlerspanne

Berechnung über dieInstandsetzungsschiene

(retrograder Ansatz)

Reparaturkosten >Wiederbeschaffungswert, aberÜberschreitung über ca 125%Totalschaden – keine Wrackin-

standsetzung mehr zu erwarten

Objektiver Minderwert aufErsatzbeschaffungsbasis =Wiederbeschaffungswert

abzüglich Wrackwert

Wrackwertberechnung ausder Summe der zu erwartendenRestersatzteilerlöse abzüglich

Ausbau- und Verwertungskosten

Berechnung über dieVerwertungsschiene

(top-down-Verfahren)

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