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INHALT Vorwort 7 Einführung 9 Die Falle 9 Zeugen der Vergangenheit 11 I. Vorspiel 15 1. Erster Zusammenprall 15 2. Die Entdeckung einer Kultur 27 3. Caesar erobert Gallien 43 4. Die Republik stirbt 58 5. Der eiserne Vorhang 67 Exkurs: Westliche Kriegskultur gegen germanische Guerilla 73 II. Invasion 84 1. Das Tor zum Osten 84 2. Die Neue Welt 96 3. Kolonisation 105 4. Blitzkrieg 112 5. Königreich der Germanen 121 III. Arminius vs. Varus 130 1. Der Herr von Jerusalem (Varus, Teil I) 130 2. Ein Jurist unter Barbaren (Varus, Teil II) 141

Pantle Die Varusschlacht Leseprobe · 2009. 9. 4. · 8 brachte das unwahrscheinliche Kunststück, die zerstrittenen Germanenstämme gegen Rom zu einen. Mit der Varusschlacht, auch

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  • Propyläen ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH

    ISBN 978-3-549-07322-3

    © Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2009Alle Rechte vorbehalten

    Lektorat: Hans-Ulrich SeebohmKarten: Brian Sipple

    Klappe innen vorn (Szene Varusschlacht): Norbert MaierGesetzt aus der Janson

    Satz: LVD GmbH, BerlinDruck und Bindung: CPI – Clausen & Bosse, Leck

    Printed in Germany

    Für Dennis und Leon

    INHALT

    Vorwort 7

    Einführung 9Die Falle 9Zeugen der Vergangenheit 11

    I. Vorspiel 151. Erster Zusammenprall 152. Die Entdeckung einer Kultur 273. Caesar erobert Gallien 434. Die Republik stirbt 585. Der eiserne Vorhang 67

    Exkurs: Westliche Kriegskultur gegen germanische Guerilla 73

    II. Invasion 841. Das Tor zum Osten 842. Die Neue Welt 963. Kolonisation 1054. Blitzkrieg 1125. Königreich der Germanen 121

    III. Arminius vs. Varus 1301. Der Herr von Jerusalem (Varus, Teil I) 1302. Ein Jurist unter Barbaren (Varus, Teil II) 141

  • VORWORT

    »Die menschliche Natur ist allgemein von Freiheitsdrang erfüllt und hasst die Knechtschaft.«

    Gaius Iulius Caesar

    Vor zweitausend Jahren kannte das Römische Reich keinenernsthaften Konkurrenten mehr. Seine Legionen hatten den ge-samten Mittelmeerraum und den Großteil Westeuropas erobert.Nun machte sich die Armee daran, auch das Gebiet des heuti-gen Deutschland zwischen Rhein und Elbe dem Imperium ein-zuverleiben. Doch die hochgerüstete Supermacht scheiterte aus-gerechnet an diesem Flecken Land, der fast ausschließlich vonKleinbauern bewohnt war, die auch für damalige Verhältnissein ärmlichen und unterentwickelten Dörfern lebten.

    Der erfolgreiche Widerstandskampf der Germanen gegen ei-nen technisch und wirtschaftlich weit überlegenen Besatzer zähltzu den Sonderfällen der Geschichte. Wie der Vietnamkrieg im20. Jahrhundert bescherte er der führenden Zivilisation seinerZeit ein bleibendes Trauma. Die Expansion des »Roman way oflife« kam am Rhein zum Stillstand. Die Folgen sind heute nochspürbar: Deutschland gehört anders als Italien, Frankreich undSpanien nicht zum romanischen Kulturkreis.

    Antike Historiker berichten ausführlich über diesen histori-schen Wendepunkt und auch über den Mann, der den Freiheits-kampf organisierte: den germanischen Fürstensohn Armi nius,dessen Name im 16. Jahrhundert zu Hermann eingedeutschtwurde. Der Adlige vom Stamm der Cherusker diente in der rö-mischen Armee und zeichnete sich dort so aus, dass er von Romeingebürgert und in den Ritterstand erhoben wurde – eine steileKarriere. Arminius galt damit wohl als Musterbeispiel gelunge-ner Integration eines Barbaren in das Weltreich. Doch unbe-merkt wandelte er sich zum Staatsfeind Nummer eins und voll-

    INHALT

    3. Abkehr von Rom (Arminius) 1474. Die Varusschlacht: Der Angriff 1675. Die Varusschlacht: In der Falle 1856. Apokalypse 1997. Rückkehr ins Reich 212

    Exkurs: Krieger ohne Paradies 220

    IV. Vernichtungskrieg 2231. Schockwellen im Zentrum 2232. Das Imperium schlägt zurück 2333. Eine Liebe im Krieg 2454. Tausend Schiffe gegen Germanien 260

    V. Nachspiel 2761. Zwist und Tod 2762. Weichenstellungen 2873. Wechselhafter Ruhm 299

    Zeittafel 306Literatur 310Danksagung/ Bildnachweis 316Register 317

    6

  • 8

    brachte das unwahrscheinliche Kunststück, die zerstrittenenGermanenstämme gegen Rom zu einen. Mit der Varusschlacht,auch Schlacht im Teutoburger Wald genannt, erreichte er einentriumphalen Sieg – aber nicht das Ende des Kriegs. Das gede-mütigte Imperium hielt an seinen Eroberungsplänen fest undschlug mit voller Wucht zurück. Es folgten weit größere Schlach-ten, bei denen Arminius seine große Liebe verlor, Verrat durchVerwandte erfuhr und gegen den eigenen Bruder kämpfte. Seinbewegtes Leben ist aufs Engste verwoben mit der Geschichte desfast dreißigjährigen germanischen Freiheitskriegs und wird Siedurch dieses Buch begleiten.

    Das Wissen um die damaligen Ereignisse beruht nicht nur aufliterarischen Quellen. Hinzu kommen spektakuläre Funde, dieden Archäologen besonders in jüngster Zeit gelangen. Sie ver-raten nicht nur entscheidende Details der Varusschlacht, sonderngewähren auch Einblicke in die Lebensumstände einer Welt, dieuns gleichzeitig nah und fern ist. Unsere germanischen Vorfah-ren lebten am selben Ort wie wir, im nahezu gleichen Klima –und sie waren uns wohl auch ähnlicher als lange gedacht. Mitdem Klischeebild vom kampfeswütigen, zotteligen und muskel-bepackten Barbaren jedenfalls hatten sie nicht mehr gemein alsder moderne Zivilisationsmensch mit der Filmfigur Rambo.Trotzdem war ihre Gesellschaft so radikal verschieden von derheutigen, dass sie uns bisweilen so fremd erscheint, als sei sievon einem anderen Planeten. Und so ist die Geschichte von denGermanen um Arminius auch ein Lehrstück, wie sehr die Kul-tur eine menschliche Gemeinschaft prägen kann.

    VORWORT

    EINFÜHRUNG

    Die Falle

    Das Varusschlacht-Museum in Kalkriese bei Osnabrück besitzteinen Aussichtsturm, der vierzig Meter in die Höhe führt. Vondort lässt sich der angrenzende Museumspark überblicken: eineausgedehnte Wiese, die sich über einen halben Kilometer erstrecktund von Wald umgeben ist. Rechts von ihr zieht sich flaches Ge-lände bis zum Horizont hin. Links steigt sanft ein Hügel an, derden klingenden Namen »Kalkrieser Berg« trägt, obwohl er sichnur 110 Meter über der Ebene erhebt. Die Landschaft wirkt be-schaulich und unspektakulär – und es erschließt sich auf den ers-ten Blick nicht, weshalb gerade sie der geeignete Ort war für dengroßen Angriff der Germanen auf die römische Besatzungsarmee.

    Heute fehlt ein entscheidendes Element: das Wasser, das dieRegion zu einem schwer passierbaren Feuchtgebiet machte.Zahlreiche kleine Bäche schlängelten sich damals den Kalkrie-ser Berg herab. Sie querten auf dem Gebiet des jetzigen Muse-umsparks einen hundert Meter breiten Sandweg und verliefensich knapp einen Kilometer weiter in der Ebene, die ein riesigesSumpf- und Moorgebiet war.

    Auf dem Sandweg wälzte sich im September des Jahres 9 n. Chr. eine für damalige Verhältnisse gewaltige Armee ent-lang: Drei Legionen plus Hilfstruppen, etwa 15 000 bis 20 000Mann, marschierten auf dem Trampelpfad, um einen weit ent-fernten Aufstand niederzuschlagen. Mehrere Kilometer war derHeereswurm lang, der unter Führung des Feldherrn Varus demKalkrieser Berg entgegenkroch.

    Für die Soldaten muss es mühsam gewesen sein voranzukom -men: Beladen mit etwa dreißig Kilogramm Waffen und Rüstun-gen und zusätzlich dem persönlichen Gepäck stapften sie über

  • Zeugen der Vergangenheit

    Fast zwei Jahrtausende lang blieb der Körper an dieser Stelle lie-gen, bis Archäologen im Sommer 2000 seine Überreste freileg-ten. Das guterhaltene Skelett des Maultieres zählt zu den rund6000 Fundstücken, die seit 1989 vor dem Kalkrieser Berg ausder Erde geborgen wurden. Der Kampfplatz ist damit das erstegroße antike Schlachtfeld in Europa, das systematisch ausge-graben wird. Zwar tobt noch immer ein Streit unter Expertenund Laienforschern, ob es sich hier tatsächlich um den Ort derVarusschlacht handelt, aber nach Ansicht der meisten Wissen-schaftler sprechen die Indizien überzeugend dafür. Die voran-gegangene Schilderung stützt sich auf die Ergebnisse der ar-chäologischen Untersuchungen. Diese liefern zahlreiche Detailsüber das Gemetzel, wie einige Beispiele kurz verdeutlichen sol-len.

    Von der Brutalität der Auseinandersetzung zeugen Knochen-reste bis hin zu einem gespaltenen Schädel. Rüstungsteile, Lan-zenspitzen und Geschosse lassen auf die eingesetzten Waffenschließen. Andere Objekte wie ärztliche Skalpelle, Landvermes-sungsgeräte und silbernes Geschirr belegen, dass hier nicht nurein Kampftrupp unterwegs war, sondern eine komplette Armee.

    Der Großteil der Funde sind Münzen und kleine Metall-bruchstücke, die den Augen der Plünderer nach der Schlachtentgangen sind. Die Trümmer säumen den damaligen Sandwegdurch den Engpass hindurch und folgen zudem einer Abzwei-gung in Richtung Moor. Auffallend viele Gegenstände und Kno-chensplitter entdeckten die Archäologen vor dem Wall, nichtaber dahinter. Das deutet auf schwere, verlustreiche Kämpfe andieser Stelle hin. Über Verlauf, Größe und Aufbau des Bollwerksliegen durch die Grabungen detaillierte Kenntnisse vor. Auch dieUmgebung des Kampfplatzes können die Wissenschaftler re-konstruieren: Am Fuß des Kalkrieser Bergs wiesen sie Siedlun-gen aus der damaligen Zeit nach. Pollenanalysen ergaben zudem,dass in der Region Ackerbau betrieben wurde. Die Schlacht er-eignete sich also in einem bewohnten, landwirtschaftlich ge-

    11EINFÜHRUNG

    den morastigen Grund. Die von Maultieren gezogenen Karrendes Gepäcktrosses behinderten den Vormarsch zusätzlich.

    Diese Beschwernisse wären für die abgehärteten Legionärewohl kein Problem gewesen, hätte es nicht unerwartete Atta-cken gegeben. Die Gegend war besiedelt und galt als befriedet,doch immer wieder stürmten feindliche Kriegerhaufen aus denumliegenden Wäldern hervor. Die Angreifer überfielen guerilla -artig einzelne Truppenteile und zogen sich wieder zurück. Sowar die römische Armee bereits dezimiert, als sie den Kalkrie-ser Berg erreichte. Dort erwartete die Soldaten die schlimmsteÜberraschung.

    Die ermüdeten Männer erblickten nicht nur einzelne Germa-nenhorden, sondern eine komplette Befestigungsanlage. Zur lin-ken Hand am Fuß des Hügels, parallel zum Sandweg, stand ein400 Meter langer Wall. Dieser war an die zwei Meter hoch, ausRasenstücken gefertigt und stellenweise von einem Palisaden-zaun gekrönt. Solch ein Bauwerk konnte unmöglich über Nachterrichtet worden sein. Die kampferfahrenen Legionäre müssensofort erkannt haben, was das bedeutete: Der wahre Aufstandwar nicht entfernt. Ihre Feinde hatten von langer Hand einenHinterhalt geplant, und hier war der Ort, wo die Falle zuschnap-pen sollte.

    Die Römer suchten ihr Heil in der Attacke: Ein Teil griff direktden Wall an, doch die Germanen leisteten starken Widerstand.Vor dem Bollwerk häuften sich die Toten und Verletzten. Derweilversuchten die übrigen Legionäre, durch den Engpass zwischender Befestigungsanlage zur Linken und dem Moor zur Rechtenhindurch in freies Gelände zu gelangen. Dort könnten sie sich zurbewährten Schlachtordnung formieren, in der die römischen Sol-daten schon so oft gegen die Barbaren gesiegt hatten. Aber mehrund mehr Germanen stürmten hinter dem ausgedehnten Wall her-vor und griffen den Heereszug an der Breitseite an.

    Chaos und Panik breiteten sich unter den Römern aus, undsie erfassten auch den Wagentross. Eines der Maultiere riss sichim Getümmel los. Es rannte über den Kampfplatz, stürmte denWall hinauf und brach sich das Genick. Später stürzte dort einAbschnitt des Bollwerks ein und begrub das Tier unter sich.

    10

  • 4 Im hessischen Waldgirmes errichtete das Imperium eine zivile Stadt. Das Kolonisationsprojekt endete mit der Varusschlacht.

    5 Die Germanen jener Zeit lebten als Kleinbauern in Einzelgehöften und Weilern. Animation einer typischen Siedlung.

    2 Das Kastell Haltern an der Lippe (hier ein Modell) war ein Zentrum der römischen Militärherrschaft in Germanien.

    3 An der Straße nach Haltern entstanden aufwendige Grabbauten (Modell).Offenbar lebten und starben dort hochrangige Bürger Roms.

  • 12 Auf dem Höhepunkt seiner Macht in Germanien unterhielt das Imperiumeine Reihe von Stützpunkten entlang der Lippe und in der Mainregion.

    10 Zwei römische Soldatenbeim Angriff: Der vordere istbereit, mit dem Schwert zu -zustechen (Relief aus Mainz).

    11 Klischeedarstellungen wiedie »Germanische Ansied lung«von 1892 prägen bis heuteunser Bild von den Germanen.

  • II. INVASION110 KOLONISATION

    Leider wissen wir so gut wie nichts über diese erste große ger-manische Rebellion nach der Zeitenwende. Der römische His-toriker Velleius Paterculus spricht von einem »gewaltigen Krieg«(»immensum bellum«), der ab 1 n. Chr. tobte. In den drei fol-genden Jahren gelang es dem neuen Statthalter Marcus Viniciusnicht, die Situation in den Griff zu bekommen. Augustus sah dieAngelegenheit schließlich als so bedrohlich an, dass er sie zurChefsache erklärte und seinen besten Kriegsherrn reaktivierte:den nach Rhodos geflohenen Tiberius.

    Dieser war inzwischen von seiner Zwangsehefrau Iulia ge-schieden, auf Betreiben ihres Vaters Augustus, der seine Tochterwegen angeblich unsittlichen Lebenswandels verbannt hatte.Entscheidend für die Rückkehr des Tiberius waren allerdingsweder die heimlich ersehnte Scheidung noch die aufsässigen Ger-manen, sondern zwei unerwartete Todesfälle: 2 n. Chr. starb derzweitälteste männliche Augustusenkel Lucius mit gerade 18 Jah-ren an einer Krankheit. Und 4 n. Chr. verschied sein großer Bru-der Gaius als 23-Jähriger an den Spätfolgen einer Verwundung,die er sich auf einer Militärmission in Armenien zugezogen hatte.Für Augustus war es politisch und persönlich ein verheerenderSchlag, der seine Zukunftspläne zerstörte: Mit seinen beiden äl-testen männlichen Enkeln hatte er wieder einmal seine desig-nierten Nachfolger verloren, nachdem er zuvor schon seinenNeffen Marcellus und seinen Jugendfreund Agrippa zu Grabetragen musste.

    Tiberius hingegen konnte sich in modernen Worten wie nacheinem Sechser im Lotto fühlen. Bislang war er nur das stille, we-nig geliebte Mitbringsel der Herrschergattin gewesen, das trotzzwischenzeitlicher Ehrungen das hässliche Entlein der Familiegeblieben war. »Mit seiner nächsten Umgebung sprach er [Tibe-rius] entweder gar nicht oder nur sehr selten, und dann äußerstbedächtig, mit einer gewissen gezierten Bewegung der Finger –alles Eigenheiten, die schon Augustus als unangenehm getadelthatte«, schildert Sueton. Dem antiken Biographen zufolge kur-sierten Berichte, »dass Augustus ganz offen und rückhaltlos seinMissfallen über den menschenfeindlichen Charakter des Tibe-rius zu erkennen gab, und zwar sogar dadurch, dass er zuweilen

    111

    später. Um das Jahr 1 v. Chr. herum drang ein gewisser DomitiusAhenobarbus als erster römischer Feldherr über die Elbe nachOsten vor. Er stieß dabei auf keinerlei Widerstand, so CassiusDio, und schloss mit den Stämmen in der Gegend einen Freund-schaftsvertrag ab. Sprich: Die Einheimischen unterwarfen sich,ohne dass Rom Gewalt anwenden musste. Der lange Arm desImperiums reichte damit sogar über den großen Strom hinaus,der heute durch Dresden, Magdeburg und Hamburg fließt.

    Trotzdem war Germanien noch nicht wirklich unter Kon-trolle. Das belegt eine Notiz Cassius Dios, der zufolge es demElbüberquerer Ahenobarbus nicht gelang, einen internen Zwistbei den Cheruskern beizulegen – also bei dem Stamm, dem derinzwischen etwa 17-jährige Arminius angehörte. Ein Teil descheruskischen Adels war vertrieben worden und flehte das Im-perium um Hilfe an. Ahenobarbus versuchte zu vermittelten,stieß aber nicht auf Gehör. Offenbar glaubten die Stammes-häuptlinge, Roms Wünsche ignorieren zu können, »und das Re-sultat war«, so Cassius Dio, »dass die Autorität der Römer auchbei den anderen Barbaren in Frage gestellt war«.

    Trotz der Herausforderung verzichtete das Imperium aus-nahmsweise auf eine militärische Intervention, da im Osten desReichs Krieg drohte. Ahenobarbus wurde in den kleinasiatischenKrisenherd abkommandiert, und in Germanien entstand dadurchoffenbar ein auffallendes Machtvakuum. Denn nun wagten dieStammesverbände rechts des Rheins den offenen Aufstand.

    Das Jahr 0 …

    … existiert nicht. Auf das Jahr 1 vor Christus folgt direkt dasJahr 1 nach Christus. Das bedeutet zum Beispiel, dass vom1. 1. 10 v. Chr. bis zum 1. 1. 10 n. Chr. nur 19 Jahre vergangensind, nicht 20, wie man intuitiv annehmen möchte. Viele Autoren übersehen diesen Jahresausfall und verrechnen sichsystematisch um ein Jahr, wenn sie das Alter oder die Le-bensdaten der Personen angeben, die um die Zeitenwendeherum lebten.

  • II. INVASION

    ein heiteres und ungezwungenes Gespräch bei Tiberius’ Eintrittplötzlich abbrach.« Doch nun sah sich der zuletzt extrem ge-schnittene Stiefsohn plötzlich in der Rolle des designierten Herrnüber das Imperium. Nur ein Konkurrent war ihm verblieben:Agrippa Postumus, der dritte und jüngste männliche Augustus -enkel, der wegen seiner jähzornigen Ausfälle allerdings beim Po-tentaten in Ungnade gefallen war.

    Doch Augustus hatte nun keine Wahl mehr, wollte er dieHerrschaft über das Reich in der Sippschaft behalten. 4 n. Chr.adoptierte er nolens volens den 15-jährigen Agrippa Postumusund den mittlerweile 44-jährigen Tiberius und beförderte diebeiden so zu seinen potentiellen Nachfolgern. Der Favorit warzu dem Zeitpunkt Tiberius, der im selben Jahr das Kommandoüber Germanien erhielt.

    Damit war ein Mitglied der Herrscherfamilie in die Regionzwischen Rhein und Elbe zurückgekehrt. Das steigerte die Auf-merksamkeit der Chronisten genügend, dass sie nun wieder überdie entlegenen Gebiete im Norden berichteten, die sie zuletztweitgehend ignoriert hatten. Das dunkle Jahrzehnt war vorbei,die Geschichtsschreibung über Germanien setzte effektiv wiederein. Und wir verfügen sogar über den Bericht eines Augenzeu-gen: des Historikers Velleius Paterculus, der unter Tiberius alsBefehlshaber der Reiterei diente und seinem Feldherrn in dasheutige Deutschland folgte.

    4. Blitzkrieg

    4 n. Chr. Neuerlicher Germanienfeldzug des Tiberius4/5 n. Chr. Gründung des Römerkastells Anreppen im

    heutigen Kreis Paderborn5 n. Chr. Tiberius leitet amphibische Zangenoperation an

    der ElbeEnde der Unruhen in Germanien

    112 BLITZKRIEG

    »Caesar [Tiberius] rückte sogleich in Germanien ein und be-siegte die Canninefaten, Attuarier sowie Brukterer«, umreißtPaterculus den Beginn des Feldzugs 4 n. Chr. »Zudem nahm erdie Cherusker in die Obhut des römischen Volkes auf.« Wiesolch eine Aufnahmezeremonie ablief, schildert unser Augen-zeuge anschaulich am Beispiel eines anderen Germanenstam-mes, der Chauken: »Die gesamten jungen Krieger gaben ihreWaffen ab«, so Paterculus. »Sie alle fielen zusammen mit ihrenFührern vor dem Tribunal des Feldherrn auf die Knie, umgebenvon einem waffenblitzenden Ring unserer Soldaten.«

    Die Inobhutnahme war also nichts anderes als der römischeEuphemismus für eine unblutige Unterjochung, und man kannerahnen, was in einem bis dato freien Germanen vor sich ging,wenn er vor einem Spalier fremder Soldaten zu Kreuze kriechenmusste. Welchen Tiefschlag bedeutete die Unterwerfungsproze-dur wohl für das kollektive Selbstwertgefühl des Stammes? Ver-mutlich brannte ein großer Teil der Bevölkerung innerlich dar -auf, es den Invasoren heimzuzahlen, auch wenn es kaum jemandwagte, dies offen zu zeigen.

    Ob der mittlerweile 20-jährige Arminius unter den kniendenCheruskern war, erfahren wir leider nicht. Wir wissen nochnicht einmal, ob der Fürstensohn zu der Zeit noch bei seinemStamm wohnte, da über seine Jugend ähnlich wenig Informa-tionen existieren wie über die seines Zeitgenossen Jesus Chris-tus. Die antiken Biographen zeigten für diesen Lebensabschnittgeringes Interesse, und so ist die heute vielfach verbreitete Be-hauptung, Arminius sei zeitweise in Rom aufgewachsen, nichtsals pure Spekulation. Falls der Adelsspross 4 n. Chr. noch unterseinen Stammesgenossen lebte, ist es wahrscheinlich, dass erspätestens jetzt in die römische Armee eintrat. Das Imperiumzog oft die jungen Männer eines gerade unterworfenen Volkesmassenhaft zum Militär ein, also den potentiell aufsässigstenTeil der Bevölkerung, um Widerstand im Keim zu ersticken.

    Nach der Kapitulation der Cherusker »überschritt Tiberiusdie Weser und drang weiter ins Landesinnere vor«, fährt Pater-culus fort. »Der Sommerfeldzug wurde bis in den Dezemberausgedehnt und brachte uns den Vorteil weiterer Siege.« Die Rö-

    113

  • II. INVASION114 BLITZKRIEG

    mer fühlten sich nun so sicher, dass die Armee »mitten im Lan-desinneren an den Quellen der Lippe überwinterte« – höchst-wahrscheinlich im heutigen Anreppen nahe Paderborn im Os-ten Nordrhein-Westfalens. Dort entdeckten Archäologen dieReste eines großen Kastells, bei dem nicht nur die Örtlichkeitsehr gut zum Bericht des Paterculus passt, sondern auch das Al-ter: Das Gründungsjahr lässt sich anhand des Jahresringmustersim Bauholz auf spätestens 5 n. Chr. datieren.

    Der Wintersitz erstreckte sich über 23 Hektar und besaß ei-nen herausragenden Zentralbau: Das Kommandeursgebäudemaß 71 auf 47,5 Meter, was etwa einem halben modernen Fuß-ballfeld entspricht. Ein derart gigantischer Wohnsitz sprengteselbst für römische Verhältnisse die üblichen Dimensionen undwar für einen normalen Befehlshaber eindeutig zu protzig. Mankann daher annehmen, dass sich hier Tiberius als Statthalterüber Germanien und designierter Nachfolger des Augustus ei-nen prachtvollen Herrschaftssitz errichten ließ. Zur Ausstattunggehörten Laubengänge und Gartenanlagen in abgeschotteten In-nenhöfen, wie es auch von Luxusgebäuden anderer Militärlagerbekannt ist. Roms Führungsschicht war offenbar selbst im tiefs-ten Germanien nicht bereit, auf den gewohnten Komfort undmediterranen Lebensstil zu verzichten.

    Nördlich des Kommandeurspalastes befand sich eine große Ba-deanlage, die mindestens zwei Räume besaß, unter denen manheiße Luft hindurchleiten konnte. Von dieser Fußbodenheizungund den warmen Bädern machten die Römer im kalten germani-schen Winter offenbar regen Gebrauch: Sie überbeanspruchten dieOfenanlage derart, dass diese mehrfach ersetzt werden musste.

    Tiberius selbst blieb nicht in seinem neuen Herrschaftssitz. Erüberquerte zum Jahreswechsel die Alpen, machte Augustus seineAufwartung und kehrte im Frühjahr 5 n. Chr. zu seiner Truppezurück. Kaum angekommen, startete er einen weiteren Kriegs-zug, bei dem er die Germanen von Land und See her buchstäb-lich in die Zange nahm.

    »Ihr guten Götter, wie viele Bücher könnte man damit füllen,was wir im folgenden Sommer unter Führung des Tiberius allesvollbracht haben«, brüstet sich Reiteroffizier Paterculus. »Un-

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    Steckbrief Tiberius

    geb. 16. Nov. 42 v. Chr., gest. 16. März 37 n. Chr.

    Karriere:Tiberius ist der erfolgreichste Feld-herr seiner Zeit: Er führt 20 v. Chr.ein Heer nach Armenien, 15 v. Chr.mit Drusus den Alpenfeldzug, 12bis 9 v. Chr. den Eroberungsfeldzug

    in Pannonien und bis 7 v. Chr. Kriegszüge in Germanien. 4 n. Chr.wird er von Augustus adoptiert. Bis 5 n. Chr. unternimmt Tiberiusneuerliche Feldzüge in Germanien. 6 bis 9 n. Chr. wirft er den Pan-nonischen Aufstand nieder, dann leitet er bis 12 n. Chr. wieder Mi-litäraktionen gegen Germanien. 14 n. Chr. wird er Nachfolger desAugustus und herrscht damit als zweiter Princeps über das Impe-rium.

    Familie:Durch die Hochzeit seiner Mutter Livia Drusilla mit Octavian/Au-gustus wird Tiberius ein Stiefsohn des Herrschers, später dessenAdoptivsohn. Aus erster Ehe hat er einen Sohn namens Drusus, der23 n. Chr. stirbt. 12 v. Chr. lässt sich Tiberius auf Befehl des Augus-tus scheiden und heiratet dessen Tochter Iulia. Die Ehe verläuft un-glücklich, 2 v. Chr. folgt die Scheidung. Tiberius vermählt sich niewieder.

    Besondere Merkmale:Tiberius ist überdurchschnittlich groß, kräftig gebaut und vonschwerer Akne gezeichnet. Seine schweigsame, introvertierte undmelancholische Art bringt ihm den Beinamen »der Traurigste unterden Menschen« (»tristissimus hominum«) ein. In späten Jahrenwandelt er sich zu einem pädophilen Lustgreis und Tyrannen, derzahlreiche Hinrichtungen befiehlt.