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Paradiso-Varianten

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Unveröffentlichte Varianten aus Thomas Klupps Roman "Paradiso".

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Page 1: Paradiso-Varianten

Verschwundene und veränderte Passagen und Figuren

Kapitel 2

Rastplatzszene

Der Rastplatz, den ich vielleicht eine halbe Stunde später erreiche ist trostlos

ohne Ende und ich bin mir sicher, daß ich nie wieder wegkommen werde. Das

Allertrostloseste ist aber, daß er auch noch neu ist. Die Fahrbahn ist frisch

geteert und der Rasen frisch gesät, und genau in der Mitte steht eines dieser

viereckigen Toilettenhäuschen mit spitzem Blechdach und massiven silbernen

Schiebetüren, die kein Kind der Welt jemals von selbst aufbekommt. Obwohl

Kinder natürlich gar nicht alleine hierher kommen, weil sie ja noch keinen

Führerschein haben, denke ich und frage mich, ob die Leute vom

Straßenbauamt sich genau deshalb für diese Schiebetüren entschieden haben.

Wegen der Kinder, weil Kinder ja immer irgendwo entführt werden, in

Schwimmbädern und auf dem Nach-Hause-Weg und so weiter, von verrückten

Frauen, die selbst keine Kinder bekommen können oder Erpressern und

Perversen, und ein belebter Autobahnparkplatz ist natürlich der perfekte Ort

für so eine Entführung: Ruckzuck das Kind am Arm gepackt und rein ins Auto

und weiter geht’s. Und deswegen hat das Straßenamt diese massiven Türen in

die Klohäuschen gebaut, damit die Eltern immer mit ihren Kindern aufs Klo

gehen müssen, und niemand mehr sie entführen kann.

Das kommt mir ganz plausibel vor, aber vermutlich komme ich auf diese

Gedanken überhaupt nur, weil man beim Trampen immer auch an Perverse

denkt. Es gibt keinen Tramper auf der ganzen Welt, der nicht ab und an daran

denkt, in die Hände von einem Perversen zu geraten, das ist todsicher. Alle

denken daran, nicht nur die Frauen, die natürlich besonders, weil alle schon

mal einen mehr oder weniger Perversen erlebt haben. Mir ist zum Beispiel mal

in Frankreich einer begegnet. Ich war, glaube ich, sechzehn damals und wollte

nach Bordeaux und so ein Lastwagenfahrer, ein Hühne von einem Mann, hat

mich kurz nach Paris mitgenommen und vielleicht zehn Kilometer nachdem

wir losgefahren sind, hat er mir sein Fotoalbum gezeigt. Madrid hat er immer

gesagt, weil die Fotos wahrscheinlich in Madrid aufgenommen waren, und

Page 2: Paradiso-Varianten

darauf waren er und seine Freunde in so einer Art Club beim Gruppensex

abgebildet. Es waren mindestens hundert Fotos, wirklich widerwärtige Sachen,

und in gebrochenem Englisch hat er jedes einzelne dieser Fotos kommentiert

und versucht, mich zu überreden, nach Madrid mitzukommen, aber ich habe

immer Girl-Friend und Bordeaux gesagt, weil ich da mit ein paar Freunden

verabredet war. Das war aber noch gar nicht das Schlimme, es war ja hell, und

ich habe gesehen, daß er mit dem Tank unmöglich bis nach Madrid kommen

konnte, und außerdem gibt es ja überall diese Mautstellen, wo er anhalten

mußte, und ich notfalls hätte rausspringen können. Das Problem war nur, daß

mein Rucksack nicht in der Führerkabine sondern hinten in der Ladefläche lag.

Als ich ihn anfangs dort rein stellen wollte hat er gesagt: Too little room,

obwohl eigentlich genug Platz gewesen wäre, wie ich dann später gedacht habe.

Statt an einer Tankstelle hat er dann an einem ganz kleinem Rastplatz kurz vor

Bordeaux gehalten. Er hat die Heckklappe geöffnet, und ich mußte in die

Ladefläche klettern, um den Rucksack raus zu holen, der von der Fahrt so ein

bißchen ins Innere gerutscht war, und ich war mir sicher, daß er, wenn ich

erstmal drinnen war, die Klappe von außen verriegeln und sie erst in

irgendeinem Madrider Hinterhof wieder aufmachen würde. Mit

Empfangskommitte und allem. Und tatsächlich, als ich drinnen war, schlägt er

die Klappe zu, es wird stockdunkel, und durch die Tür höre ich, wie er Madrid

sagt und laut lacht. Ich habe wirklich gedacht, daß ich sehr bald sehr brutal

vergewaltigt und danach sicher umgebracht werden würde, da macht er die

Klappe wieder auf und sagt, only joke, only joke, und als er mein Gesicht sieht,

lacht er noch mehr und sagt immer wieder sorry, sorry, very sorry.

So war das mit dem Perversen in Südfrankreich, Jean-Marie hat der geheißen,

und eigentlich war er gar nicht richtig pervers, sondern nur so ein bißchen. Der

hatte einfach einen derben Humor, mit dem man erstmal lernen mußte,

umzugehen. Und wie wir uns dann endgültig verabschiedet haben, hat er mich

noch kräftig umarmt und mir eine Menge Vistenkarten in die Hand gedrückt,

die ich anderen Trampern geben sollte, weil er Tramper gerne mitnimmt und

manchmal sogar kleine Umwege fährt. Auf der Vistenkarte stand sein Name

und seine Telefonnummer und darunter der Spruch „Je te veux, ton corps, ta

bouche, ta pite.“

Page 3: Paradiso-Varianten

Kapitel 4

Patrizia Variante

Patrizia erzählt mir, dass sie gerade eben aus Afrika zurückgekommen ist. Sie

hat dort nämlich an einem Hilfsprojekt mitgearbeitet hat, Tilappia for Africa

heißt das, und dabei geht es um einen Fisch, so eine bestimmte Karpfenart, die

sich überall anpassen kann und ganz viel Eiweiß im Fleisch hat, das die

Menschen in Afrika zum Überleben brauchen. Bis vor kurzem war sie selbst

noch dort, in Uganda, und hat geholfen, Teiche und Bewässerungssysteme zu

graben, damit die Fische genug Sauerstoff bekommen und sich gut vermehren

können. Sechs Stunden lang stand sie tagtäglich unter dieser glühenden

Äquatorsonne und hat nur mit Schaufel und Spaten diesen knochentrockenen

Boden umgegraben, und als die Teiche endlich ausgehoben waren, sind aus

bayerischen Zuchtstationen Tonnen von diesen Tilappiakarpfen nach Uganda

geflogen worden, um dort eingesetzt zu werden. Irgendwo in zehntausend

Meter Höhe waren eine Unzahl von Flugzeugen unterwegs, mit riesigen

Wassertanks in ihren Bäuchen, in denen diese Fische herum geschwommen

sind, ohne zu wissen, was ihnen eigentlich geschieht. Während Patrizia mir

davon erzählt, stelle ich mir vor, dass eines dieser Flugzeuge abstürzen oder

besser noch von einer amerikanischen Militärmaschine abgeschossen würde.

Über Lybien zum Beispiel. Mitten in der Wüste würde es Tonnen von Fischen

regnen und irgendwelche Beduinenstämme würden abends am Feuer sitzen,

eine Million Sterne über sich, und Karpfen grillen. Wahrscheinlich würden sie

das ganze für ein Geschenk Allahs halten, obwohl die Amerikaner die

Maschine abgeschossen haben. Natürlich ist das nicht passiert, so etwas

passiert ja höchstens in Russland, dafür aber etwas anderes. Nämlich gab es am

Flughafen in Uganda irgendwelche Verzögerungen, und die Lastwagen mit den

Fischkanistern hinten drauf haben auch viel länger gebraucht als geplant, und

als man dann die Fische in die Teiche gesetzt hat, waren mehr als die Hälfte

tot. Und von den restlichen Fischen ist dann gleich noch mal die Hälfte

verreckt, weil der Schweizer Projektleiter irgendeine ansässige Vogelart nicht

auf der Rechnung hatte und diese Vögel sich Tag und Nacht die Karpfen aus

den Teichen gefischt haben. Die ganze Situation ist schließlich so schlimm

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geworden, dass die Patrizia sich jeden Tag ein paar Stunden lang mit einem

Schrotgewehr in die Büsche setzen sollte, um diese Vögel vom Himmel zu

schießen. Sie hat das auch getan, hat sich tatsächlich mit einem Flinte ins

afrikanische Gestrüpp gesetzt, um die Vögel zu vertreiben, und dabei wurde sie

von einem Insekt gestochen. Zuerst war der Stich nur ein stecknadelgroßer

roter Punkt auf ihrem Unterarm, aber dann wurde er größer und größer, und

als man sie endlich ins Krankenhaus gebracht hat, hatte sie Vierzig Fieber und

die Ärzte hätten ihr um ein Haar den Arm amputiert. Zwei Wochen lag sie auf

der Intensivstation in Ogouadogu, und als man sie schließlich entlassen hat, hat

sich die Hilfsorganisation geweigert, die Krankenhauskosten zu bezahlen, weil

sie nicht vorschriftsmäßig bekleidet in das Gestrüpp gekrochen ist.

Genau so erzählt mir die Patrizia das, und ich bin ganz erleichtert, dass sie

selbst sehr kritisch über ihre Afrikareise spricht, weil ich sie jetzt ein bisschen

ernster nehmen kann als vorhin. Ich selbst bin nämlich grundsätzlich gegen

jede Art von Entwicklungshilfe, wo irgendein Europäer oder Erstweltmensch

auch nur einen Fuß auf afrikanischen Boden setzt. Die einzige Art von

Entwicklungshilfe, die ich mir vorstellen kann, geht so, dass hundert seriöse

Afrikaner hierher kommen und jeder von ihnen einen Koffer mit ein paar

Millionen Euro in die Hand gedrückt bekommt, und damit können sie dann

machen, was sie wollen, in ihrem Land.

Page 5: Paradiso-Varianten

Kapitel 4

Weiden Ankunft - CSU

Zuerst fahren wir an der Thermenwelt vorbei und dann am hell erleuchteten

Verlagsgebäude der ansässigen Tageszeitung. Oberpfalzbote heißt die und ist ein

ganz hartes CSU-Blatt. Die Zeitung macht so konsequent Werbung für die

Partei, dass die CSU sich in Weiden sogar die Wahlplakate sparen kann. Bei der

letzten Bürgermeisterwahl hat es in der ganzen Stadt kein einziges CSU-Plakat

gegeben, obwohl die CSU mit Abstand die reichste Partei ist und sich das

spielend hätte leisten können. Aber der Bürgermeister hat zwei Wochen vorher

auf dem Marktplatz eine Rede gehalten und gesagt, dass er Umweltschutz

praktisch angeht und nicht immer nur darüber spricht wie die anderen

Parteien. Kein Plakatmüll, hat er gesagt und mit dem eingesparten Geld gleich

eine neue Schule bauen lassen. Der Oberpfalzbote hat dann zwei Wochen

ununterbrochen darüber berichtet, und Ludwig Maierhofer, so heißt der

Bürgermeister, hat bei den Wahlen über siebzig Prozent gekriegt. Interessant

ist daran noch, dass der Mann ein echter Krimineller ist. Vor allem in der

Baubranche hat er überall seine Freunde sitzen, die er schon von Jugend an

kennt, und denen schustert er alle Aufträge zu. Wettbewerbsgesetze und solche

Sachen sind ihm wirklich völlig gleichgültig. Aber trotzdem funktioniert alles,

wahrscheinlich funktioniert es sogar besser als anderswo. Der Maierhofer ist

zwar ein Krimineller, aber ein guter Krimineller, und weil die Leute

irgendwann auch begriffen haben, wen sie da schon seit Ewigkeiten wählen,

nennen sie ihn alle den Sonnenkönig. Ganz begriffen haben sie ihn aber

trotzdem nicht, der Sonnenkönig war nämlich überhaupt nicht bürgernah, der

Maierhofer ist es aber schon. Bei allen möglichen Festen und Umzügen sitzt er

auf irgendeiner Bierbank oder winkt von einem Wagen herunter und säuft wie

ein Loch dabei. Und wenn er völlig betrunken ist, legt er den Leuten den Arm

um die Schultern und lässt eine Stunde lang Freibier ausschenken, das er aus

der eigenen Tasche bezahlt. Obwohl ich früher immer gesagt habe, daß er ein

Faschist ist und überall meine Graffitis hingesprüht habe, die ihn beleidigen

sollten, habe ich ziemlich oft davon profitiert, von seinem Freibier, meine ich.

Und noch später, als wir im Geschichtsunterricht Spanien durchgenommen

haben, ist mir auch klar geworden, dass der Maierhofer gar kein Monarch,

Page 6: Paradiso-Varianten

sondern ganz einfach ein Anarchist ist. Ein konservativer zwar, aber trotzdem

ein Anarchist. Lebt in seinem Kleinstaat mitten in der Provinz und macht dort

einfach, was er will. So wie die spanischen Großgrundbesitzer, die ja auch ihre

eigenen Gesetze aufgestellt haben, wenn ihnen gerade danach war. Irgendwo

bewundere ich ihn sogar, glaube ich. Ich mag diese Haltung, sich ganz

selbstverständlich über alle Regeln hinwegzusetzen und trotzdem richtig viel zu

sagen haben dabei. Das gefällt mir wirklich.

Kapitel 6

Auf dem Weg zum Großparkplatz nehme ich die Abkürzung über den

Realschulsportplatz und gehe durch die kleine Grünanlage, die daran

anschließt, und dabei muß ich an den Michi Häusler denken. Wir waren früher

eine Zeit lang befreundet, und fast die ganze zwölfte Klasse hindurch haben

wir uns Freitag nach der Schule in genau dieser Grünanlage getroffen, uns auf

eine Holzbank gesetzt und zwei Flaschen französischen Rotwein getrunken.

Immer genau zwei Flaschen, egal bei welchem Wetter, egal was sonst gerade

war. Niemand hat uns dazu gezwungen, wir haben es sozusagen freiwillig

getan, einfach weil es Spaß gemacht hat. Im Winter war es ein paar mal

teuflisch kalt, und weil wir beide immer nur Turnschuhe getragen haben, haben

wir uns dabei fast die Zehen abgefroren, aber wir sind solange sitzen geblieben,

bis die Flaschen leer waren. Zwei, dreimal hatte ich danach auch

Fahrunterricht und bin völlig betrunken zu meinen Stunden erschienen, aber

mein Fahrlehrer hat es nie bemerkt. Nach den Pfingstferien haben wir dann

einfach damit aufgehört, keine Ahnung wieso, es wurde ja Sommer und an sich

hatte sich nichts geändert, aber trotzdem. Wir sind einfach nicht mehr

hingegangen und wenig später war dann auch unsere Freundschaft vorbei.

Aber es war trotzdem eine gute Zeit. Ich weiß gar nicht, was der Michi jetzt

macht und wo er ist und vermutlich hätten wir uns auch nichts mehr zu sagen,

aber im Moment bin ich mir sehr sicher, daß er diese Nachmittage auch noch

so gut im Gedächtnis hat wie ich und das freut mich sehr.

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Kapitel 7

Georg

Ich hoffe sehr, dass mein Bruder nicht irgendwann wie der Georg wird, das

ist ein alter Freund von mir, der inzwischen Physiotherapeut geworden ist.

Für die Ausbildung ist er damals nach Dortmund gegangen und das war

wahrscheinlich die schlechteste Entscheidung seines Lebens. Dortmund ist

ja ohnehin eine bodenlos hässliche Stadt, und weil er so träge ist und sein

Bild von Süddeutschland und der Kleinstadt und wie die Beziehungen da so

funktionieren, nicht aus dem Kopf bekommen hat, hat er dort auch keinen

einzigen Menschen kennen gelernt. Ich habe versucht, ihm das ab und zu

sagen, dass er aktiver werden muss und alles, aber das hatte gar keinen Sinn.

Die Trägheit hat sich dort erst bemerkbar gemacht, und in Dormund

jedenfalls, wo er vollkommen allein war, hat er dann bei seiner Ausbildung

ein Mädchen kennen gelernt, Melanie, und die war wahrscheinlich auch

allein, und irgendwie sind die beiden dann zusammen gekommen. Und von

dem Zeitpunkt war es eigentlich vorbei mit ihm. Weil er der Melanie so

dankbar war, daß sie ihn aus seiner Isolation geholt hat und er ja sowieso

dauernd mit einem schlechten Gewissen durch die Gegend gelaufen ist, hat

er sich nur noch auf sie eingestellt. Das Schlimme dabei ist aber, daß er sich

immer um hundertachtzig Grad dreht, wenn die Melanie plötzlich nicht

mehr da ist. Er schaut dann allen Mädchen hinterher und sagt so Sachen

wie: daß er ihre Votze riechen kann und daß es die so richtig von hinten

brauchen und er es ihnen schon besorgen würde mit seine Rakete, und dabei

schaut er mich an und setzt so ein als Verbrüderung gedachtes und dabei

völlig krankes Lachen in sein Gesicht, daß ich wirklich wegschauen muß.

Ich ertrage es einfach nicht, wie er sich so gänzlich entblößt und in den

Dreck zieht auch noch denkt, daß alles prima läuft und ich ganz auf seiner

Seite stehe. Wenn ich jetzt so dran denke, möchte ich eigentlich alles kurz

und klein schlagen deswegen, oder einfach nur schreien, so traurig ist das,

weil da einfach ein Mensch vor die Hunde gegangen ist. Der hatte alle

Chancen, aber irgendwas ist da völlig schiefgelaufen und wenn mich

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inzwischen jemand auf den Georg anspricht, was nicht mehr allzuoft

passiert, muß ich immer nur an dieses Lied von den Sternen denken. Was

hat dich bloß so ruiniert heißt es, und erstaunlich dabei ist nur, daß er

rebelliert hat und seine Eltern zugehört haben und was sonst noch in dem

Text vorkommt.

Kapitel 9

Der Wenzer

Nicht einmal der Wenzer, der vor Ewigkeiten mal das Idol meiner Jugend war

und sich jetzt am Feuer neben mich gesetzt hat, nervt mich besonders.

Eigentlich finde ich die Unterhaltung mit ihm sogar ganz amüsant. Er erzählt

mir lang und breit von seiner neuen Geschäftsidee, die daran besteht,

Kiffertouren durch die Oberpfalz zu organisieren. Mit seinem Jeep will er die

ganzen Touristen an die schönsten Plätze in der Oberpfalz fahren und dort

dann einen Joint nach dem anderen mit ihnen rauchen. Und aufgrund von

irgendwelchen Radialachsen und Neigungswinkel, die sein Jeep nehmen kann

und die Polizeiautos nicht, kommt die Polizei auch an die schönsten Plätze

nicht hin, wenn er dort mit seinen Kunden was kifft. So sieht das zumindest in

seiner Vorstellung aus, und als ich ihn frage, was passiert, wenn die Polizei mit

Hubschraubern kommt, sagt er, dass die das nicht machen, weil wir hier ja

nicht in Amerika sind. Er muß das bloß noch mit dem Luis absprechen, sagt

er, damit der ihm das Gras zum Vorzugspreis gibt, und als Höhepunkt will er

den Leuten dann die Scheune zeigen, in dem das Oberweed angebaut wird,

und hinter der Scheune das längste Erdloch Europas rauchen. Ich sage zu ihm,

dass die Idee auf jeden Fall funktionieren kann, und irgendwie kann sie das ja

auch. Wahrscheinlich kommt er zwar bald ins Gefängnis, aber andererseits:

warum nicht? Es ist bestimmt besser für ihn, sich solche Sachen zu überlegen

und auf Oberpfälzer Wanderkarten Wege herauszusuchen, wo er überall mit

Page 9: Paradiso-Varianten

seinem Jeep hinfahren kann und die Polizei nicht, als in einer

Souterrainwohnung in Berlin zu sitzen und nicht zu wissen, was er da soll. Da

war er nämlich auch mal, in einer Souterrainwohnung in Berlin, und weil ich

einmal Gras für eine Party gebraucht habe, bin ich von Potsdam aus zu ihm

gefahren, um ihm was abzukaufen. Er war grade dabei, irgendwelche Sachen

von hier nach dort zu tragen, vertrocknete Teebeutel, angebissene Apfelbutzen

und alte Kaffeefilter und so weiter, und als ich ihn gefragt habe, was er denn

vorhat, hat er gesagt, daß er einen Biomüll eröffnet, damit es nicht zu

schimmeln anfängt, wenn er unterwegs ist. Ich habe ihn ziemlich fassungslos

angesehen, weil die Wohnung im Ganzen eine totale Müllkippe war, aber das

hat er gar nicht bemerkt, sondern völlig ohne System noch andere Dinge,

Wäschestücke, Plastikflaschen, Joghurtbecher und Zigarettenkippen vom

Boden aufgehoben und in verschiedene Ecken des Zimmers gestellt. Von der

Idee her war es ja nicht falsch, nur hat er sich den falschen Zeitpunkt

ausgesucht oder den richtigen lange verpaßt gehabt, und als er dann nach ein

paar Minuten keine Energie mehr hatte, hat er damit aufgehört und es hat

genauso ausgesehen wie vorher. Genau diese Situation charakterisiert den

Wenzer auch im Ganzen, und wenn ich noch irgendwas mit ihm zu tun haben

wollte, würde ich ihm wirklich raten, mal eine Auszeit zu nehmen. Die hat er

nämlich dringend nötig.