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10 | 6-2008 mTJ Illustration: Georg Wagenhuber Basteln am Web 2.0 – insbesondere junge Zielgruppen bringen sich im Web 2.0 aktiv ein und konsumieren deshalb weniger Print und TV. Und der Trend hält weiter an.

Partizipieren ist Zeitgeist

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Erschienen im Media Trend Journal im Juli 2008

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Basteln am Web 2.0 – insbesondere junge Zielgruppen bringen sich im Web 2.0 aktiv ein und konsumieren deshalb weniger Print

und TV. Und der Trend hält weiter an.

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WEB 2.0 Wie Web 2.0 genutzt wird, wie es den Medienkonsum verändert – odereben nicht – und was daraus für (die klassischen Medien) für Lehren zu ziehensind. Autoren: Simon Künzler* und Andrea Iltgen*

Partizipieren istZeitgeist

Die aufkommende Popularitätdes Web 2.0 stiess in den klas-sischen Medien zu Beginn aufwenig Gegenliebe. Anfänglich

abschätzig als «Mitmachweb» bezeich-net, fürchteten Journalisten um ihre Po-sition als Gatekeeper,Verlage hatten Angstvor der Ablösung derPrintmedien als Lead-Medium, und vielfachwurde der Nieder-gang des Fernsehens beschworen. Kurz:Am Anfang war die Skepsis.

Mittlerweile hat sich die Aufregungunter den Medienschaffenden gelegt,denn langsam, aber sicher wird klar:Zwar verändert das Web 2.0 den Me-dienkonsum, dies stellt aber nicht per seeine Bedrohung der klassischen Mediendar, sondern sorgt vielmehr dafür, dassausgetretene Pfade verlassen und neue,innovative Wege begangen werden.

MEDIENKONSUM 2.0 GEHT ZULASTEN VON TVLaut Schätzungen von Microsoft betrugder durchschnittliche Medienkonsumzur Jahrhundertwende noch rund 10Stunden. Heute konsumiert der Durch-

schnittsnutzer monat-lich rund 60 bis 70Stunden, währendgleichzeitig die Medien-und Kommunikations-kanäle «explodieren».

Natürlich werden die Nutzungsanteilelaufend neu allokiert, so verliert zumBeispiel Print gegenüber den digitalenMedien, und auch der klassische Fern-sehkonsum in der Schweiz nimmt ab, zuGunsten von Online-Video und SocialNetworking.

Laut Zahlen der Net-Metrix-Auditvom Mai 2008 beträgt die Nutzungs-dauer auf dem sozialen Netzwerk Net-log.com mehr als 24 Minuten pro Be-

DANK WEB 2.0

AUSGETRETENE

PFADE VERLASSEN.

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such – auf 20 Minuten online zum Bei-spiel sind es dagegen «nur» 7.40 Minu-ten. Wer soziale Netzwerke intensivnutzt, verändert seinen Medienkonsum –häufig zu Lasten des klassischen Fernse-hens. Dies belegt eine Studie der AOLDigital Marketing Group (DMG) in Zu-sammenarbeit mit der Hamburg MediaSchool. Die Studiezeigt: Zwei Drittel derAOL-Aktivnutzer be-schäftigen sich täglichmit ihrer Netzgemein-schaft. Von den Be-fragten gaben 43 Prozent an, dass sie da-für weniger fernsehen. Nur 23 Prozentvon ihnen verbringen stattdessen weni-ger Zeit mit anderen Hobbies, und jederfünfte AOL-Aktivnutzer schläft einfachweniger.

AUS VIELZAHL AN REIZEN DEN

SPANNENDSTEN HERAUSFILTERN

Neben der Verschiebung der Kanäle lässtsich aber, insbesondere in den jüngerenZielgruppen, auch eine allgemeine Ver-änderung im Nutzungsverhalten feststel-len: So konstatiert die von Microsoft undMTV Networks gemeinsam durchge-führte Studie «Circuits of Cool» vomHerbst 2007 über das Medienverhaltenvon Kindern und Jugendlichen, dass die18 000 befragten jungen Menschen in 16Ländern parallel zum TV folgenden Ak-tivitäten nachgehen: 62 Prozent essen(nicht Snacks), 46 Prozent surfen im In-ternet, 35 Prozent reden mit Freunden(die mit einem fernsehen), 32 Prozent ru-fen Freunde an und 32 Prozent verschi-cken SMS. Diese parallele Mediennut-

zung ist aber kein Multitasking im Sinneeiner simultanen Mediennutzung, son-dern vielmehr eine konkurrierende.Denn die Jugendlichen verstehen es aus-gezeichnet, aus einer Vielzahl an Reizenblitzschnell den momentan spannends-ten herauszufiltern. So erstaunt es wenig,dass laut einer deutschen Studie von Re-

sult das klassische Fern-sehen bei einer wach-senden Gruppe von In-ternetnutzern die Rolleeines Begleitmediumseinnimmt, ähnlich dem

klassischen Radio. Die deutsche Lang-zeitstudie «TimeBudget» von SevenOne-Media hält ebenfalls fest, dass Internetund TV von einer steigenden Zahl Kon-sumenten parallel genutzt werden.

Web 2.0 hat das Mediennutzungsver-halten nachhaltig verändert. User wollenheutzutage mitmachen, mitreden, beitra-gen und abstimmen – so jedenfalls dieweitläufige Meinung. Tatsache ist aber,dass nur ein geringer Teil der User aktivzum Web 2.0 beiträgt. In unserer Studiezum Thema «Web 2.0 in der Schweiz»,welche wir im September 2007 durchge-führt haben, konnten wir vier Nutzer-Typen identifizieren: die Freaks (21 Pro-zent), die das Web 2.0 aktiv und häufignutzen und auch neuen Ideen gegenüberaufgeschlossen sind; die Interaktiven (16Prozent) die aktiv zum Web 2.0 beitra-gen, in Blogs schreiben, Fotos und Filmehochladen, aber selber gar nicht so über-mässig konsumieren; die Konsumenten(28 Prozent), die sich durch passivenKonsum auszeichnen und das Internetprimär als Informationsquelle nutzen;

und die wenig Affinen (35 Prozent), dievor allem einfache Anwendungen nut-zen.

DIE «100/10/1-REGEL»

Unsere Erkenntnisse widerspiegeln in et-wa das Konstrukt der «Social Ladder»von Forrester. Nach diesem betreibt «zu-oberst» eine (führende) Minderheit, die«Creators», Blogs und lädt selbst erstell-te Videos hoch. Die «Critics» reagierenauf die Inhalte anderer, kommentierenBlog-Beiträge oder editieren Wikipedia-Artikel. RSS-Feeds, Tags und Social-News-Dienste wie etwa Yigg.de sind diebeliebtesten Anwendungen der «Col-lectors». Die sozialen Netzwerke wieMySpace und Facebook sind die Tum-melfelder der «Joiners». Und die«Spectators» werden schliesslich auf deruntersten Sprosse der Leiter positioniert;sie konsumieren Social-Media-Angebotewie Blogs, Podcasts, Reviews oder Be-nutzer-generierte Inhalte. Vielleichtmüsste man eher von der «Social Pyra-mid» sprechen, damit die Mengenver-hältnisse ebenfalls berücksichtigt wer-den.

In diesem Zusammenhang sprichtman auch von der 100/10/1-Regel, wo-nach in einer Community die Mehrheit(eben 100) passiv ist (auf Wikipedia zumBeispiel «nur» Artikel liest), einige weni-ge (also etwa 10) Dinge beitragen/verän-dern (bei Wikipedia Artikel erweitern/verbessern/ändern etc.) und nur ein klei-ne Minderheit (also 1) etwas initiiert/kreiert (auf Wikpedia einen neuen Arti-kel verfasst).

Einige User-Gruppen nutzen das Web2.0 also sehr intensiv: Dies bestätigt auchdie Studie «Der Schweizer Online-Han-del – Internetnutzung Schweiz 2007».Laut dieser sind etwa 70 Prozent derWeb-2.0-Pioniere unter 25 Jahre alt. Da-mit ist die Gruppe der häufigen Web-2.0-Nutzer klar jünger als durchschnittlicheNicht-Web-2.0-User. Über die gesamteBevölkerung betrachtet, stuft diese Stu-die die Nutzung von Web-2.0-Anwen-dungen in der Schweiz allerdings als re-lativ gering ein.

BLUEWIN.CH EINZIGE SCHWEIZER

PLATTFORM IN DEN TOP TEN

Befragungen liefern interessante Daten –allerdings können sie immer nur einenTeil der Wirklichkeit abbilden. Eine Fra-ge bleibt offen: Wie stark werden Web-2.0-Plattformen tatsächlich genutzt? EinBlick auf die Top Sites Switzerland beiAlexa – dieser Server-Dienst sammelt

Quelle: Künzler/Iltgen / Weber: Studie Web 2.0 in der Schweiz, S. 49

Nutzerverhalten der

vier User-Typen.

PARALLELNUTZUNG

VON INTERNET UND

TV STEIGT AN.

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und illustriert Daten über die effektivenWebseitenzugriffe durch Internetnutzer– spricht klare Worte: Auf dem drittenPlatz rangiert bereits das beliebte Video-Sharing-Portal YouTube, direkt nachden beiden Suchmaschinen GoogleSchweiz und Windows Live. Sehr grosserBeliebtheit erfreuen sich bei den Nutzernebenfalls die interna-tionalen sozialenNetzwerke wie sky-rock.com (Platz 4),facebook. com (8),netlog.com (11) undmyspace.com (15).Wikipedia.org belegt den 10. Rang.Bluewin.ch schafft es auf Rang 9 und da-mit als einzige Schweizer Plattform unterdie Top Ten. In der Net-Metrix-Auditthront bei den Unique Clients blue-win.ch immerhin auf Platz eins. Das istweiter nicht erstaunlich, ist doch, mitAusnahme von netlog.com, keine deroben genannten Dienste in der Net-Me-trix erfasst. Letzteres rangiert in der Net-Metrix-Audit vom April 2008 bei denPage Impressions denn auch auf Platzeins.

KLASSISCHE MEDIEN BIETEN

INHALTE IM WEB 2.0 AN

Der sich verändernde Medienkonsumzeigt ganz offensichtlich: Web 2.0 ist Teilunseres Lebens geworden. Es erstauntdaher nicht wenig, dass klassische Me-dien mittlerweile auf Blogs referenzieren(z. B. Perez Hilton) oder YouTube-Vi-deos in ihren Beiträgen kommentieren.Eine Vielzahl der klassischen Mediengeht mittlerweile sogar einen Schritt wei-ter und wird selbst Teil der neuen Ent-wicklungen, indem eigener Web-2.0-Content angeboten wird.

Der grossen Beliebtheit von Online-Videos – 91 Prozent der Befragten gabenin unserer Studie an, zumindest gelegent-lich Videos im Internet zu schauen –kommt man entgegen, indem Beiträgehäufig mit Videos ergänzt werden (vgl.MTJ 12-2006). Oder, im Sinne von «ex-tending the reach or recycling» bestehen-de Inhalte und bereits existierendes Ma-terial über zusätzliche sowie neue Kanä-le distribuiert werden. So reagierte dasSchweizer Fernsehen jüngst auf den im-mer stärkeren Konsum von Online-Vi-deos und ist seither mit einem eigenenKanal auf dem deutschen YouTube prä-sent. Auf www.youtube.de/schweizer-fernsehen werden ausgewählte Beiträgepubliziert. SF hat sich entschieden, dieUser dort abzuholen und anzusprechen,

wo sie sich immer stärker aufhalten.Schliesslich ist YouTube wie beschriebendie drittbeliebteste Plattform bei denSchweizern – und der Fernsehkonsum inder Schweiz rückläufig. Mit der für denSommer 2008 angekündigten Einfüh-rung von Live-Streaming für Enduservia YouTube – Plattformen wie bambu-

ser.com, qik.com oderKyte.tv bieten diesenService bereits an –dürfte die Beliebtheitvon bewegten Bildernim Internet weiter stei-gen. Das britische

Marktforschungsinstitut ABI Researchkommt daher zum nahe liegendenSchluss, dass bis 2013 mindestens eineMilliarde Menschen Online-Videos nut-zen werden. Die Zahl der Online-Video-Konsumenten wird sich somit beinahevervierfachen. Dazu kommt, dass mitt-lerweile über Zattoo oder Nello die klas-sischen Fernsehinhalte (auch diejenigendes Schweizer Fernsehens) ins Internetübertragen werden, wo sie zusätzlicheReichweite erzielen – Zattoo zählt in derSchweiz mittlerweile mehr als 600 000,weltweit mehr als zwei Millionen Nut-zer. Das ist für Werbetreibende in zwei-erlei Hinsicht interessant: Einerseits wer-den die Werbespots auf Zattoo nichtausgefiltert und erreichen so eine zusätz-liche Nutzerschaft, andererseits erlaubtdas Fernsehen über Internet eine gewis-se Interaktivität (Stichwort klickbareWerbung).

PODCASTING HAT SPRUNG ÜBER

10-PROZENT-GRENZE GESCHAFFT

Umgekehrt produzieren klassische Re-daktionen wie zum Beispiel diejenige derSchweizer Illustrierten mittlerweile wö-chentliche Video-Podcasts. Mit demPrintprodukt erreicht die Publikation je-de vierte Schweizerin und jeden viertenSchweizer – mit dem neuen Format wirdein zusätzliches Segment angesprochen.Die Gratiszeitung Cash daily ergänzt be-kanntermassen seine Beiträge ebenfallsmit Videobeiträgen, der Tages-Anzeigererweitert sein publizistisches Angebotmit dem Special-Interest-Audio-Podcast«DigiTalk». Zudem werden sowohl Vi-deo- als auch Audio-Podcasts als «pri-mary medium» eingesetzt. Bestes Bei-spiel ist die deutsche Internet-Fernseh-sendung «Ehrensenf», welche laut Wiki-pedia während rund viereinhalbMinuten täglich rund 30 000 Zuschauererreicht und seit Mai 2006 auch auf denSeiten von Spiegel Online zu sehen ist.

Podcasts geniessen einen relativ hohenBekanntheitsgrad: Nur gerade 9 Prozentder Befragten in unserer Umfrage wuss-ten nicht, was ein Podcast ist. Knapp dieHälfte derer, die Podcasts kennen, nut-zen sie auch – rund ein Drittel davon täg-lich, die übrigen wöchentlich. Diese Er-gebnisse decken sich in etwa mit den Re-sultaten der jüngsten KommTech-Studie.Diese stellt fest: Podcasting hat bezüglichVerbreitung bei den jungen Schweizerin-nen und Schweizern den Sprung über die10-Prozent-Grenze geschafft (vgl.KommTech-Studie, 2007).

RSS-Feeds spielen bei der Nutzungvon Podcasts eine wichtige Rolle: Zweivon fünf Umfrageteilnehmern unsererStudie konsumieren Audio- und Video-Dateien im RSS-Abonnement. Auch bie-ten nzz.ch, tagesanzeiger.ch und viele an-dere Plattformen aktuelle Artikel alsNews-Feed im RSS-Format an. Mit die-sen RSS-Feeds individualisieren und se-lektieren Internet-User ihren Medien-konsum zusehends (Stichwort pull stattpush). Mit 44 Prozent nutzt nahezu dieHälfte der Befragten in unserer StudieRSS-Reader. Diese Zahl variiert nur mar-ginal gegenüber den Werten der interna-tionalen Studie Wave 3 von UniversalMcCann: 39 Prozent dieser Studienteil-nehmer haben einen RSS-Feed abon-niert.

SELBST «ALT EHRWÜRDIGE»

MEDIEN MACHEN MIT

Auch Social Bookmarking, bis vor kur-zem in der breiten Bevölkerung noch we-nig genutzt – nur 23 Prozent der in unse-rer Studie befragten tauschen Surftipps –wird mittlerweile von vielen Medienangeboten, zum Beispiel auf tages-anzeiger.ch, faz.net, blick.ch und vielenmehr. Viele Medien gehen aber bereitsüber das reine Einbinden von Lesezei-chen-Diensten hinaus: Die Tag Cloudvon Spiegel Online zeigt die wichtigstenThemen der vergangenen 24 Stunden,und auf tamedia.ch werden die beliebtes-ten Links als Wortwolke dargestellt.

Manche Medien wie zum Beispiel derTages-Anzeiger, der Blick oder die Anna-belle setzen mittlerweile eigene Weblogsein. Sie haben erkannt, dass mit diesemInstrument der direkte Austausch mit ei-ner hoch involvierten Nutzerschaft auf-gebaut und gepflegt werden kann. Es istanzunehmen, dass die Bedeutung vonWeblogs steigen wird, wenn die oben ge-nannte Wave-3-Studie bereits feststellt,dass 73 Prozent der Internetnutzer welt-weit Blogs verfolgen, davon knapp 50

ZATTOO ZÄHLT

IN DER SCHWEIZ

600 000 NUTZER.

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Prozent wöchentlich. Blogs werden lautunserer Umfrage auch in der Schweiz in-tensiv gelesen: Zwei Drittel lesen min-destens einmal pro Monat in einem Blog,rund 25 Prozent sogar täglich/mehrmalstäglich. Aber auch hier gilt: Studiener-gebnisse sind gut und recht, nur wie in-tensiv werden Blogs von Schweizern ef-fektiv gelesen? Wie beliebt Blogs bei denSchweizer Internetnutzern sind, illus-triert der Live-Ticker von slug.ch ein-drücklich. Diese Plattform aggregiertund trackt die Posts von Schweizer Web-logs und zeigt realtime, welche Beiträgegerade angeklickt respektive gelesenwerden – die Anzeige wechselt im Sekun-dentakt… Und: Selbst so «alt ehrwürdi-ge» Medien wie die NZZ verschliessensich neusten Trends nicht und bieten ih-ren News Feed via der Micro-Blogging-Dienst Twitter www.twitter.com an. Undauch der Tages-Anzeiger zählt auf Twit-ter im Juni 2008 bereits über 130 Follo-wers.

INTEGRATION VON USER

GENERATED CONTENT

Zwar hat sich in den oben genannten Stu-dien gezeigt, dass längst nicht alle Useraktiv zum Web 2.0 beitragen, aber denje-nigen, die sich einbringen wollen, stellendie Medien mittlerweile zahlreiche Kanä-le zur Verfügung. Leser können heuteselbst in «konservativen» Medien wieSpiegel, FAZ, NZZ,Tages-Anzeiger etc.Artikel kommentieren.Die Qualität der Arti-kel bleibt gewährleis-tet, die Lesermeinun-gen sind klar abge-grenzt. Partizipieren ist Zeitgeist. Einen indiese Richtung gehenden, unseres Erach-tens sehr spannenden Ansatz hat die Ko-lumnistin Michèle Roten gewählt, in demsie die Leser am Entstehen ihrer Buchrei-he partizipieren lässt. Die Leser haben da-bei die Möglichkeit, in von der Autorinmoderierten Chats durch ihre Inputs dieHandlung des in Echtzeit entstehendenRomans zu beeinflussen.

Der deutsche Stern sammelt mit demSocial-News-Dienst «Tausendreporter»(tausendreporter.stern.de) seine erstenErfahrungen, lässt User in der Warte-schlange News einreichen und gleich sel-ber abstimmen, welche Beiträge es aufdie Startseite schaffen. In der Schweiz ex-perimentiert unter dem Dach der Tame-dia Facts 2.0, www.facts.ch mit einerNews-orientierten Schweizer Online-Community.

AUCH WERBUNG WIRD VONUSERN GEMACHTFast die Hälfte (45 Prozent) der in unse-rer Web-2.0-Studie befragten User hatschon aktiv Fotosharing im Internet be-trieben – ausgerüstet dafür sind die meis-ten, denn 90 Prozent haben eine Digital-kamera, 87 Prozent ein Foto-Handy.Diesen Umstand machen sich Boulevard-Blätter (Blick, Bild, 20 Minuten) zunut-ze, indem sie die Leser nicht nur beste-hende Artikel kommentieren lassen, son-dern sie zu selbstständigen Reporternmachen. Leser können per MMS Bilderan die Zeitung schicken, bei Veröffentli-chung winkt ihnen ein Honorar. Der neulancierte Blick am Abend lässt die Lesergar für sich schreiben – eine Kolumnewird von einem Leser geschrieben, solange die anderen Leser dies wollen undüber SMS für die Weiterführung votieren– andernfalls erhält ein anderer Leser dieChance.

Selbst vor der Werbung macht dieMitbestimmung und -gestaltung derUser nicht Halt: Im Februar 2008 hatPublisuisse ihr experimentelles Projekt«Pitch it» lanciert, eine User-Generated-Advertising-Plattform. Im Rahmen desvom Werbeauftraggeber vorgegebenenBriefings können die User eigene Werbe-spots drehen und diese auf der Plattformeinstellen. Die Spots werden von denUsern bewertet, und der Gewinner-Spot

wird dann während ei-ner Woche mehrmals inden Werbeblöcken vonSF und TSR ausge-strahlt. Diese Initiativemacht umso mehr Sinn,wenn man weiss, dass

gemäss unserer Studie unter den Video-Inhalten «Videos von anderen Benut-zern» (54%) am beliebtesten sind.

KLASSISCHE MEDIEN SIND TOT –

ES LEBEN KLASSISCHE MEDIEN

Wer dachte, dass Blogs und andere On-line-Informationen die klassischen Print-medien ablösen würden, hat sich ge-täuscht – möglicherweise ist sogar dasGegenteil der Fall – und Erinnerungen andie Vision des «papierlosen Büros» wer-den wach. Ende 2005 lancierte RainerKuhn, der ehemalige Macher der Zeit-schrift Kult, das Notebook Magazine –ein «interaktives Printmagazin», an demdie Leser aktiv partizipieren können – sieschreiben Blog-Einträge, und die bestenwerden monatlich in einer Zeitschriftabgedruckt, «weil», so Kuhn «das Inter-net nie die Sinnlichkeit von bedrucktem

Papier hat». Das Schwesterprodukt erin-nert an eine Printversion einer Photo-Community: Das Stylebook erscheintzweimal jährlich, erstmals Ende 2006,ist ein vom «Zielpublikum erzeugtes Sty-le- und Fashion-Magazin», das Fotos be-inhaltet, gemacht von «zeitgeistbewuss-ten Menschen». Ebenfalls ein interessan-tes Beispiel aus dem englischsprachigenMarkt ist das Travel-PrintmagazinEverywhere, bei dem die Artikel vonUsern online verfasst und von Redakto-ren für die Druckversion ausgewähltwerden. Ein weiteres gutes Beispiel ausder Tourismusbranche bietet der perso-nalisierte Reiseführer von Offbeat Gui-des, der auf Basis der Kundenwünscheaus verschiedenen, zum Teil Nutzer-ge-nerierten Internetquellen zusammenge-stellt wird (siehe Box).

Und nicht nur das Printformat, son-dern auch das seit langem rückläufigeKino erfährt durch die neue Mediennut-zung neuen Aufschwung: Im Rahmender Euro 2008 gibt es gleich zwei Projek-te, die im Sinne von User GeneratedContent auf der Basis von durch Userneingesandten Filmen einen Kinofilm pro-duzieren wollen. Das eine Projektstammt von Söhnke Wortmann, der denFilm als eine Art Weiterführung des imRahmen der WM 2006 entstandenen

Personalisierter Reiseführer

Um einen personalisierten Reiseführerzu erhalten, beantwortet der Kunde eini-ge Fragen bezüglich seiner Reisevorstel-lungen. Daraufhin werden aus unter-schiedlichen Quellen, z. B. Wikipedia, Wi-kitravel, Google, Yahoo-Diensten, Wetter-seiten, Veranstaltungsseiten etc., Datenüber die Destination zusammengetra-gen. Ergänzt werden diese Daten durchzugekaufte Informationen und einer eige-nen Datenbank. Bei Projektstart warenrund 30 000 Destinationen verzeichnet.Die Zusammenstellung des Reiseführers«just in time» hat nicht nur den Vorteil,dass die Informationen individuell aufden Kunden abgestimmt sind, sonderndas System erlaubt zudem, aktuellste In-formationen, z. B. zu Veranstaltungenund aktuelle Wetterangaben, in das Do-kument zu integrieren.Der fertige Reiseführer kann dann entwe-der für rund 10 USD als PDF herunterge-laden und zu Hause ausgedruckt oderauf einem mobilen Endgerät mitgenom-men werden. Oder aber er kann für 25USD als gedruckte Ausgabe nach Hauseoder ins Hotel bestellt werden. Quelle: http://www.tourismus-zukunft.de/index.php/2008/06/04/personalisierte-reisefuehrer/

LÄNGST NICHT

ALLE USER TRAGEN

ZUM WEB 2.0 BEI.

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«Sommermärchens» plant. Das andereberuht auf einer Kooperation von Goo-gle und YouTube und wird von DetlefBuck produziert.

ABER: WEB-2.0-NUTZER LESEN

AUCH INTENSIV TAGESZEITUNGEN

Während also wenige aktiv zum Web 2.0beitragen, nutzt offensichtlich einewachsende Zahl an Usern die Web-2.0-Angebote mehr oder weniger intensiv.Jugendliche nutzen die Web-2.0-Ange-bote zum Teil intensiver als auch aktiverund avancieren zu Meistern des Parallel-konsums. Die deutsche Result-Studiestellt dagegen fest, dass 54 Prozent derals Web-2.0-Nutzer klassierten Internet-User mehr als fünfmalpro Woche Tageszei-tungen lesen. 21 Pro-zent lesen gar mehr alsfünfmal pro WocheZeitungen und Zeit-schriften, sehr gerneauch am Wochenende für vertiefendeHintergrundinformationen. Umso ge-wagter erscheint die kürzlich vom Mi-crosoft-CEO Steve Ballmer formulierteThese, dass den Printmedien in zehn Jah-re der Tod bevorstehe. Vielmehr scheintder Trend in Richtung einer parallelenund ergänzenden Nutzung unterschiedli-cher digitaler und analoger Medien zugehen – und damit neuen und klassi-schen Medien eine Daseinsberechtigungzu geben.

Zeitungen und Zeitschriften dürftenkaum verschwinden, vielmehr erweiterndiese ihr Angebotsspektrum crossmedialentlang der Nutzungskurve des täglichenMedienkonsums. Ein typisches Beispieldafür ist 20 Minuten: Die Gratiszeitungwird auf dem Weg zur Arbeit gelesen, in-teressante Beiträge können dann bei derArbeit oder zu Hause im Netz vertieftwerden oder die Leser betreiben abendsSocial Networking in der Online-Com-munity auf 20min.ch. Die Verbindungder Kanäle wird dabei über Links zum

Online-Content hergestellt. Zudem set-zen diese Medien immer stärker aufLive-Streaming-Videoangebote. 20 Mi-nuten überträgt die TV-Pressekonferenzder Schweizer Nationalmannschaft imInternet, die Berner Zeitung berichtetauf dem Online-Portal www.espace.chunter anderem mit Videobeiträgen viaKyte.tv über das Greenfield Festival.

NEUE MÖGLICHKEITEN WERDEN

IMMER BESSER AUSGESCHÖPFT

Einen ähnlichen, vertiefenden Ansatzwie die Printmedien verfolgt RTL, indemsie populäre Formate wie DSDS im Netzweiterleben lassen und damit sehr ge-konnt auf das Nutzerverhalten der jun-

gen Zielgruppe einge-hen. Dieser crossme-diale Ansatz wird al-lerdings noch nichtvon allen goutiert – sowill die EU-Kommissi-on die Internetpräsenz

der öffentlich-rechtlichen Sender ARDund ZDF einschränken, weil sie der Mei-nung ist, dass diese Kanäle nicht von öf-fentlichen Geldern subventioniert wer-den dürften.

Mit solchen Beschränkungen müssensich die privaten Medien glücklicherwei-se nicht auseinandersetzen – stattdessenkönnen sie neue Wege beschreiten undmit neuen Kommunikationsformen ex-perimentieren. Als Antwort auf die zu-nehmende Beliebtheit von Social Net-working (lesen Sie auch den Artikel abSeite 16) betreibt Blick am Abend bei-spielsweise auf seinem neuen Online-Portal eine eigene Social Community,und das Mutterhaus Ringier unterstütztdas Schweizer Netzwerk youme.net fi-nanziell, um daraus Erkenntnisse überdas User-Verhalten zu generieren. AuchTamedia ist nicht untätig und hat vorkurzem seine Beteiligung an tilllate.comauf 35 Prozent aufgestockt.

Es stellt sich an dieser Stelle die Frage,ob nicht dereinst klassische Sender wiedas Schweizer Fernsehen einstweilen ei-gens produzierte Inhalte über Live-Strea-ming-Angebote wie YouTube oder Ky-te.tv zusätzlich distribuieren oder sogareigene Sendeformate entwickelt werden,bei denen diese Live-Streaming-Plattfor-men zum Einsatz gelangen. Die Vorteileliegen auf der Hand, wenn bestehendetechnische Lösungen genutzt und die in-teressierte, bereits existente Nutzerbasisdieser Plattformen über diese neuen Ka-näle angesprochen werden können. Faktist, die klassischen Medien schöpfen die

neuen Möglichkeiten immer besser aus,nur werden täglich neue Innovationenim Web-2.0-Umfeld lanciert werden. Dahilft nur eines: Die neuen Anwendungenmüssen im Rahmen stimmiger Konzepteund Pilotprojekte ausprobiert werden.Dabei gilt es, wertvolle Erfahrungen zusammeln, die Erkenntnisse zu gewichtenund auf dieser Basis die zukünftigenStrategien zu definieren. <

*ANDREA ILTGEN, LIC.OEC. HSG, ist Inhaberinder 2003 gegründeten Firma für Marketingund Kommunikationsberatung «konsum-freu(.)de» Zürich/Köln

*SIMON KÜNZLER, LIC. OEC. HSG, ist ge-schäftsführender Inhaber der Online-Agentur«styropor.digital GmbH», Partner bei derAgentur für virtuelle Welten «Pedro MeyaMarty LLC» und Dozent für Online-Kommuni-kation an der Hochschule Luzern – Wirt-schaft.

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In KürzeIm Zusammenhang mit dem StichwortWeb 2.0 hatten Verlage lange Zeit Angstvor der Ablösung der Printmedien alsLead-Medium – vielfach wurde auch derNiedergang des Fernsehens beschwo-ren. Nun aber wird klar: Zwar verändertdas Web 2.0 den Medienkonsum, diesstellt aber nicht per se eine Bedrohungder klassischen Medien dar, sondernsorgt vielmehr dafür, dass ausgetretenePfade verlassen und neue, innovativeWege begangen werden.Unsere Autoren zeigen die Veränderun-gen im Medienkonsum auf und was diesfür die klassischen Medien bedeutet.Und sie geben ein wenig Entwarnung:Zeitungen und Zeitschriften dürftenkaum verschwinden, vielmehr erweiterndiese ihr Angebotsspektrum crossmedialentlang der Nutzungskurve des täglichenMedienkonsums. Die klassischen Me-dien schöpfen die neuen Möglichkeitenimmer besser aus, nur wird das vorheri-ge Lob gleich ein wenig eingeschränkt:Es werden täglich neue Innovationen imWeb-2.0-Umfeld lanciert. Da sei es nö-tig, dass die neuen Anwendungen imRahmen stimmiger Konzepte und Pilot-projekte ausprobiert werden. Und dabeigelte es, wertvolle Erfahrungen zu sam-meln, die Erkenntnisse zu gewichten undauf dieser Basis die zukünftigen Strate-gien zu definieren.

Quellen und Links:

www.nzz.chwww.aol-dmg.dewww.viacombrandsolutions.dewww.edufuture.dewww.result.dewww.sevenonemedia.dewww.internettag.chwww.abiresearch.comwww.digitalfernsehen.dewww.werbewoche.ch

PARALLELKONSUM:

JUGENDLICHE SIND

MEISTER DARIN.