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Fortbildung zum Thema Passionsvertonungen im Barock am Beispiel der Johannes-Passion (BWV 245) von Johann Sebastian Bach Aspekt: Verbindung der Tonsatz-Aufgabenstellungen aus der fachpraktischen Abiturprüfung mit der Werkbetrachtung von J.S. Bachs Johannes-Passion Droste-Hülshoff-Gymnasium Meersburg Dienstag, 07.11.2017 Kreisgymnasium Riedlingen Mittwoch, 08.11.2017 Gymnasium Balingen Donnerstag, 09.11.2017 Referent: Mathias Trost, Hohenzollern-Gymnasium Sigmaringen Mathias Trost, Schäferweg 5, 72488 Sigmaringen, Tel./Fax: 07571/63422, Mail: [email protected]

Passionsvertonungen im Barock am Beispiel der Johannes

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Page 1: Passionsvertonungen im Barock am Beispiel der Johannes

Fortbildung zum Thema

Passionsvertonungen im Barock am Beispiel der

Johannes-Passion (BWV 245) von Johann Sebastian Bach

Aspekt: Verbindung der Tonsatz-Aufgabenstellungen

aus der fachpraktischen Abiturprüfung mit der Werkbetrachtung von J.S. Bachs Johannes-Passion

Droste-Hülshoff-Gymnasium Meersburg

Dienstag, 07.11.2017

Kreisgymnasium Riedlingen Mittwoch, 08.11.2017

Gymnasium Balingen

Donnerstag, 09.11.2017

Referent: Mathias Trost, Hohenzollern-Gymnasium Sigmaringen

Mathias Trost, Schäferweg 5, 72488 Sigmaringen, Tel./Fax: 07571/63422, Mail: [email protected]

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Vorbemerkung Die unterrichtliche Behandlung der Johannes-Passion von Johann Sebastian Bach bietet in hervorragender Weise die Möglichkeit, die Vorbereitung der Schülerinnen und Schüler auf die Tonsatz-Aufgabenstellungen der fachpraktischen Abiturprüfung mit der Werkbetrachtung der Johannes-Passion zu verknüpfen. Das Schreiben eines vierstimmigen Satzes zu einer gegebenen Sopranvorlage kann in engem Zusammenhang mit der Behandlung der Choräle der Johannes-Passion erfolgen. Die Erstellung einer einstimmigen tonalen Melodie zu einer vierzeiligen Gedichtvorlage lässt sich aus der Betrachtung der Rezitative ableiten. Der Anteil des eigenen Musizierens der Schülerinnen und Schüler bzw. des schülerzentrierten, kreativen Arbeitens ist in diesem Unterrichtsmodul naturgemäß sehr hoch. Im vorliegenden Material werden wichtige Themenbereiche wie Choral, Rezitativ, Generalbass sowie Figurenlehre angesprochen. Die eingefügten Kurztexte sind als Basisinformation für die Lehrer- und Schülerhand gedacht.

I. Vorschlag für einen Unterrichtsgang: Verbindung „vierstimmiger Satz“ – Betrachtung der Choräle

I. Singen des Liedes „Herzliebster Jesu“ von Johann Crüger (Musik) und Johann Heermann (Text)

II. Erstellen eines vierstimmigen Satzes nach vorgegebenen Funktions-bezeichnungen (vgl. Arbeitsblatt)

III. Besprechung und Musizieren der Lösung(en) IV. Musizieren des Chorals Nr. 3 „O große Lieb“ aus der Johannes-Passion V. Analyse des Chorals (siehe I.2) VI. Transferaufgaben anhand der anderen Choräle aus der Johannes-Passion

(siehe Anhang) VII. Allgemeine Betrachtung der Rolle der Choräle in der Johannes-Passion

(Sekundärliteratur bzw. Arbeitsblatt)

Exemplarische Betrachtung der theologischen Auslegung des Choraltextes durch Bach anhand des Chorals Nr. 3 „O große Lieb“: Methodischer Gang:

1. Musizieren des Chorales. Dabei sind sowohl eine rein vokale Aufführung wie

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auch eine gemischt vokal-instrumentale Wiedergabe denkbar. Das Musizieren sollte aber immer aus der vierstimmigen Partitur erfolgen. Die Unterschiede zum selbst verfassten Choralsatz erschließen sich den Schülerinnen und Schülern großteils schon beim Musizieren. Bei Bedarf kann die jeweilige Lehrkraft durch geschickte Methodik in der Einstudierung den Blick auf zentrale Merkmale des Chorales aus der Johannes-Passion lenken.

2. Arbeitsauftrag:

a) Benennen Sie die Unterschiede zwischen dem von Ihnen angefertigten vierstimmigen Satz und dem Choral aus der Johannes-Passion. Betrachten Sie dabei sowohl den Verlauf der Sopranstimme wie auch den kompletten Choralsatz.

b) Betrachten Sie den Text des Chorals und erstellen Sie einen Zusammenhang zwischen diesem und der jeweiligen musikalischen Gestaltung durch Johann Sebastian Bach.

Lösungshinweise:

o Betonung des Wortes „Lieb“ (T. 1) durch die Hinzufügung einer Fermate und die Änderung der Choralmelodie in den Halbtonschritt g-fis und damit Harmonisierung in D-Dur Hervorhebung des Wortes „Lieb“ (Liebe Gottes als Ursache des Leidens Christi)

o Darstellung des Wortes „Marterstraße“ (T. 5/6) durch chromatische Abwärts- führung des Basses (passus duriusculus), in die Choralmelodie eingefügter Halbtonschritt d-des, Sextsprung aufwärts b-g (Exclamatio) im Tenor auf eigentlich unbetonte Zählzeit und Nachsilbe sowie durch die Tonwieder-holungen des Altes, die als Schläge gedeutet werden können. Darstellung des Leidens in seiner Komplexität

o Vertonung der Stelle „in Lust und Freuden“ (T. 8/9) mit tänzerisch-verspielter Figur im Alt und mit scharfen Dissonanzen von Sopran und Alt Darstellung der Lust und Freude und Interpretation dieser als falsch

o Darstellung des Leidens Jesu’ am Choralende (T. 9-11) mit zwei dissonierenden Abwärtssprüngen im Bass (jeweils saltus duriusculus) und den Lagenwechsel beim Übergang von der vorletzten zur letzten Choralzeile in den Mittelstimmen zusätzlich zur Choralmelodie (Antithesis) Darstellung des Gegensatzes von weltlicher Lust und des Leidens Christi

o Schlussakkord in Dur bei der Textstelle „leiden“ Die Wahl des Dur-Akkordes mit der sog. picardischen Terz kann theologisch gedeutet werden: In Jesu Leiden liegt die Erlösung für die Menschen. Die Verherrlichung Jesu findet auch hier statt, in der tiefsten Niedrigkeit.

3. Auswertung und erneutes Musizieren

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Die Rolle der Choräle in J.S. Bachs Johannes-Passion (Excerpt aus M. Geck: Johann Sebastian Bach. Johannes-Passion BWV 245, München 1991) Die Choräle in Bachs Johannes-Passion sind neben dem Bericht des Evangelisten und den Betrachtungen über diesen Bericht in den frei gedichteten Partien ein eigenständiges drittes Element. Sie basieren auf traditionell reformatorischen Gemeinde- und Glaubensliedern des 16. Jahrhunderts oder auf Andachtsliedern, die zu J.S. Bachs Lebzeiten Bestandteil des gottesdienstlichen Gemeindegesanges wurden. Sie verstehen sich somit als „Zeugen der Tradition“ und als „Sprecher der versammelten Gemeinde“. Die Gemeinde hatte in den erklingenden Chorälen die Möglichkeit, die Tätigkeit des bloßen Zuhörens mit der des kundigen Mit- und Nachvollziehens zu vertauschen. Auch quantitativ gesehen ist die Zahl von elf Choralstrophen, zu der als zwölfte die Einschaltung „Jesu, der du warest tot“ in der Arie „Mein teurer Heiland“ hinzukommt, im Vergleich zu dem Zeitüblichen hoch. In der musikalischen Behandlung der Choralvorlagen ist es Bachs Anliegen, die jeweilige Textaussage deutlich zu machen und theologisch auszulegen. Wichtigstes musikalisches Mittel ist hierbei die Harmonik. Bach setzt die Harmonik immer wieder als Mittel der Ausdruckssteigung ein. Er erreicht dies durch eine intensive Verwendung von Dissonanzen und weicht damit vom „harmonischen Normalmaß“ seiner Zeit (Satzweise, in der Grunddreiklänge und Sextakkorde vorherrschen, Dissonanzen hingegen nur sparsam und als Durchgänge verwendet werden) ab. Auch auf der Ebene der Melodik ist diese Abweichung durch einen Reichtum an chromatischen Schritten und übermäßigen Sprüngen in den Begleitstimmen zu verzeichnen. Ebenso seien hier Eingriffe in die ursprüngliche Choralmelodie genannt. (Vergleiche dazu auch den im Anhang beigefügten Choralsatz von Johann Crüger zu „Herzliebster Jesu“).

II. Vorschlag für einen Unterrichtsgang: Verbindung „einstimmige tonale Gedichtvertonung“ - Betrachtung der Rezitative

I. Betrachtung exemplarisch ausgewählter Rezitative (z.B. Nr. 2a und Nr. 33) II. Erarbeitung der unmittelbaren Verbindung von Text und Musik / Hinweis

auf Figurenlehre III. Kreativaufgabe (Einzel-, Partner- oder Gruppenarbeit): Vertonung eines

gegebenen Vierzeilers (vergleiche Arbeitsblatt) IV. Ergebnispräsentation V. Betrachtung weiterer Rezitative aus der Johannes-Passion VI. Allg. Betrachtung Rezitativ / Rolle der Rezitative in der Johannes-Passion

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Figurenlehre (in Anlehnung an H. Eggebrecht: Meyers Taschenlexikon Musik, Mannheim 1984)

Die Figurenlehre bezeichnet in der deutschen Musik des Barocks die Lehre von der Anwendung musikalischer Figuren (figurae musicae) als Ausschmückung (ornamenta) des musikalischen Satzes und Mittel der Textausdeutung sowie als Erfindungsquelle (fons inventionis). Die Figurenlehre gründet in der Auffassung von der Wechselbeziehung von Musik und Sprache und ist „wegen der Menge der Figuren...einer Rhetorica zu vergleichen“ (Ch. Bernhard). Die Figuren werden deshalb auch als musikalisch-rhetorische Figuren bezeichnet. In der Kompositionslehre des deutschen Barocks, der „musica poetica“, spielt die Kenntnis der Figuren eine wesentliche Rolle. Man unterscheidet zwischen den abbildenden Figuren (sog. Hypotyposis-Figuren), die nachahmenden Charakter haben (z.B. aufsteigen, absteigen) und den Emphasis-Figuren, die der Ausdruckssteigerung dienen (z.B. chromatischer Gang als Ausdruck von Leid und Schmerz). Die Figurenlehre ist in den musiktheoretischen Schriften der Zeit dargestellt, z.B. Joachim Burmeister: Hypomnematum musicae poeticae, 1599 Johannes Nucius: Musices poeticae, 1613 Athanasius Kircher: Musurgia universalis, 1650 Christoph Bernhard: Tractatus compositionis augmentatus, 1657 Wichtige musikalisch-rhetorische Figuren sind u.a.

Abruptio (lat. Bruch): unvermitteltes Abbrechen des musikalischen Kontextes anstelle des Eintretens einer Auflösung Anabasis (griech. Aufstieg): abbildende Figur zur Darstellung einer aufwärts gerichteten Bewegung oder Thematik Antithesis (griech. Gegensatz): musikalisch-rhetorische Figur mit zwei gegenläufigen Momenten, wobei sich der Gegensatz auf eine oder mehrere musikalische Eigenschaften beziehen kann Aposiopesis (griech. Verschweigen): Generalpause zur Darstellung von Sterben, Schlafen oder Schweigen Circulatio (lat. Kreis, Ring): kreisförmige Figur zur Darstellung einer kreisförmigen, umzingelnden Bewegung; steht auch für Vollkommenheit und Schönheit Exclamatio (lat. Ausruf): ein aufwärts gerichteter Sprung mit expressivem Intervall wie kleiner oder großer Sexte. Hyperbole (griech. Übersteigerung): Figur, bei der einzelne Töne den üblichen Tonumfang einer Singstimme übersteigen

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Katabasis (griech. Abstieg): abbildende Figur mit abwärts gerichteter Melodik Klimax (griech. Treppe, Leiter): mehrfach sich steigernde Wiederholung auf einer jeweils höheren Stufe Passus duriusculus (lat. ein etwas harter Gang): halbtonweise melodische Fortschreitung im Rahmenintervall von meistens einer Quarte Parrhesia (griech. Freiheit der Redegestaltung): Figur, die aus übermäßigen oder verminderten Intervallen (harmonisch oder melodisch) besteht; dient zur Darstellung des Schwankenden, Verderbten, Sündhaften Pathopoeia (lat. Leiden bildend): leiterfremde Töne (oft in chromatischen Tonfolgen) zur Darstellung von Leid und Schmerz Saltus duriusculus (lat. harter Sprung, Fall): ein melodisch dissonierender (oft verminderter oder übermäßiger) Sprung, in der Regel abwärts, der in der Barockmusik oft als musikalisches Abbild des Sündenfalls eingesetzt wird Suspiratio (lat. Seufzer): seufzende melodische Wendung, bei welcher der erste Ton betont und der zweite Ton unbetont ist, oft verbunden mit schmerzlichen Halbtonschritten Syncopatio (griech. zusammenschlagen): rhythmische Verschiebung der Betonungsverhältnisse, so dass eine eigentlich unbetonte Zählzeit betont wird; In der Barockmusik gilt die Synkope als Verstoß gegen die Ordnung des Taktes und wird deshalb oft dem Begriffsfeld Sünde, Reue, Schuld zugeordnet. Tirata (ital. Zug): abbildende Figur mit aufwärts schnellender Gestik

In engem Zusammenhang mit der Figurenlehre steht die sog. Augenmusik. Man versteht darunter Details in der musikalischen Notation, die nicht hörbar sind, sondern primär im Notentext sichtbar werden. Ein Beispiel dafür ist der Chiasmus (griech. Kreuzung, kreuzförmig). Dieser bezeichnet ein liegendes Kreuz. Er entsteht, wenn man in einer Gruppe von meist vier Noten die erste mit der dritten und die zweite mit der vierten durch jeweils eine Linie verbindet (auch Einfügung eines Kreuzzeichens). Ein weiteres Beispiel für Augenmusik wäre die Verwendung schwarzer Notenköpfe zur Darstellung von Nacht, Schlaf oder Tod.

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Page 7: Passionsvertonungen im Barock am Beispiel der Johannes

Kreativarbeit: Vertonung eines Vierzeilers Erstellen Sie zu einem der folgenden Vierzeiler eine einstimmige tonale Melodie. Achten Sie dabei auf folgende Kriterien:

1. Vertonen Sie den Text im metrisch-rhythmischen Sinn schlüssig (Wahl der Taktart, Auftakt-Volltakt, Dehnungen, Betonungen...).

2. Gestalten Sie Ihre Vertonung auch im melodischen Sinn so, dass sich eine möglichst enge Entsprechung von Text und Musik ergibt (Wahl der Tonart, Schritte – Sprünge – Tonwiederholungen, Melodierichtung, Setzen melodischer Höhepunkte, Schlussbildungen...).

3. Verwenden Sie mindestens zwei musikalisch-rhetorische Figuren. Studieren Sie Ihre Vertonung mit der Gesamtgruppe ein, führen Sie diese auf und erläutern Sie Ihr Vertonungskonzept. (Die Schülerinnen und Schüler erhalten Glockenspiele o.ä. als Hilfsmittel.)

O großes Leid, o großer Schmerz, unendlich Gram in meinem Herz.

Gestern war ich voller Glück, doch heute ist das Leid zurück.

Der Vogel flattert schnell empor, stolz zieht er seine Bahn;

doch mit jähem, schnellem Fall kommt er auf der Erde an.

Schlafend findest du zur Ruh, machst getrost die Augen zu.

Im Erwachen kommt die Kraft, die neues Leben in dir schafft.

Du bist wahrlich meine Sonne, schenkst mir täglich Lust und Wonne.

All mein Denken kreist um dich, ein Quell des Glücks bist du für mich.

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Page 8: Passionsvertonungen im Barock am Beispiel der Johannes

Alternative: Vertonung eines Evangelientextes aus der Johannes-Passion Erstellen Sie zu einem der vorliegenden Evangelientexte eine einstimmige tonale Melodie:

„Auf dass das Wort erfüllet würde, welches er sagte: Ich habe der keine verloren, die du mir gegeben hast.

Da hatte Simon Petrus ein Schwert und zog es aus und schlug nach des Hohenpriesters Knecht und hieb ihm sein recht Ohr ab.“

„Da überantwortete er ihn, dass er gekreuziget würde.

Sie nahmen aber Jesum und führeten ihn hin. Und er trug sein Kreuz und ging hinaus zur Stätte, die da heißet Schädelstätt.“

Gehen Sie dabei folgendermaßen vor:

1. Wählen Sie zunächst einen Rhythmus, der sich möglichst eng am Sprachfluss orientiert (Wahl der Taktart, Auftakt-Volltakt, Dehnungen, Betonungen...)

2. Erstellen Sie danach eine Melodie, die den Text möglichst genau abbildet (Wahl der Tonart, Schritte – Sprünge – Tonwiederholungen, Melodierichtung, Setzen melodischer Höhepunkte, Schlussbildungen...). Verwenden Sie mindestens zwei musikalisch-rhetorische Figuren.

Studieren Sie Ihre Vertonung mit der Gesamtgruppe ein, führen Sie diese auf und erläutern Sie Ihr Vertonungskonzept. (Die Schülerinnen und Schüler erhalten Glockenspiele o.ä. als Hilfsmittel.) Nach der Vorstellung der Schülerergebnisse erfolgt der Vergleich mit dem Original-Rezitativ aus der Johannes-Passion (Nr. 4 bzw. Nr. 23g)

Rezitativ (in Anlehnung an H. Eggebrecht: Meyers Taschenlexikon Musik, Mannheim 1984) Solistischer, instrumental begleiteter Sprechgesang in Oper, Oratorium, Passion und Kantate, der die gesprochene Rede möglichst genau in Musik übertragt. Das Rezitativ entstand um das Jahr 1600 aus der am affektbetonten Sprechen orientierten Monodie. Die frühe Oper bestand aus einfachem und vom Generalbass begleiteten Sprechgesang, der nur von Choreinschüben und Ariososätzen unterbrochen wurde. Seit etwa 1640 entwickelte sich in der venezianischen Opernschule eine klare Unterscheidung von der musikalisch reich ausgestalteten und den Text betrachtenden Arie und dem handlungstragenden Rezitativ. Neben diesem nur vom Generalbass begleiteten Secco-Rezitativ, bei dem besonderer Wert auf Wortverständlichkeit und Sprachnähe gelegt ist, entwickelte sich in der opera seria das sog. Accompagnato-Rezitativ. Bei ihm setzt das begleitende Orchester seine klanglichen Mittel zur Darstellung der Affekte und Stimmungen ein.

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Generalbass (in Anlehnung an M. Fruhstorfer: Schülerduden Musik. Mannheim 2000) (ital. Basso continuo, Abk.: b.c.): In der Musik des 17. und 18. Jahrhunderts die Bezeichnung für die fast allen damaligen Kompositionen zugrunde liegende durchlaufende Bassstimme, nach der auf einem Akkordinstrument (z.B. Cembalo, Orgel, Laute) zusätzlich Akkorde gespielt werden. Die Wahl der Akkorde erfolgt dabei nach festgelegten Regeln. Maßgeblich sind die direkt bei der Generalbassstimme stehenden Ziffern, die charakteristische Intervalle vom Basston aus gerechnet bezeichnen (4 für Quarte, 6 für Sexte...). Basstöne ohne Ziffern erhalten einen Dreiklang, in dem durch ♯,

♭oder ♮ die Terz erhöht oder erniedrigt sein kann.

Die dadurch festgelegten Akkorde können vom Generalbassspieler je nach dem musikalischen Zusammenhang phantasievoll und frei ausgestaltet werden. Die Basslinie wurde meist durch ein Streich- oder Blasinstrument (Viola da Gamba, Violoncello, Fagott, Posaune) verstärkt. Der Generalbass ist kennzeichnend für die Stilperiode des Barock, so dass diese auch Generalbass-Zeitalter genannt wird.

III. Anhang: Zu Choral Nr. 3 „O große Lieb“ Einstimmige Fassung des zugrunde liegenden Liedes „Herzliebster Jesu“ (1. Str.) Einstimmige Fassung des zugrunde liegenden Liedes „Herzliebster Jesu“ (1.+7. Str.) Tonsatz-Aufgabenblatt Beispiellösung eines vierstimmigen Satzes Vierstimmiger Satz von Johann Crüger Bach-Satz aus der Johannes-Passion auf zwei Systemen

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Page 10: Passionsvertonungen im Barock am Beispiel der Johannes

Zu Choral Nr. 11 „Wer hat dich so geschlagen“ Tonsatz-Arbeitsblatt mit dem zugrunde liegenden Lied „O Welt, sieh hier dein Leben“ Beispiellösung eines vierstimmigen Satzes Zu Choral Nr. 15 „Christus, der uns selig macht“ Tonsatz-Aufgabenblatt mit dem zugrunde liegenden Lied „Christus, der uns selig macht“ Beispiellösung eines vierstimmigen Satzes Zu Choral Nr. 22 „Durch dein Gefängnis“ Tonsatz-Aufgabenblatt mit dem zugrunde liegenden Lied „Mach’s mit mir Gott“ Beispiellösung eines vierstimmigen Satzes Zu Choral Nr. 26 „In meines Herzens Grunde“ Tonsatz-Aufgabenblatt mit dem zugrunde liegenden Lied „Valet will ich dir geben“ Beispiellösung eines vierstimmigen Satzes Arbeitsblatt: Vertonung Vierzeiler Arbeitsblatt: Erstellung Rezitativ Infoblatt: musikalisch-rhetorische Figuren

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Arbeitsblatt: Vertonung Vierzeiler Erstellen Sie zu einem der folgenden Vierzeiler eine einstimmige tonale Melodie. Achten Sie dabei auf folgende Kriterien:

1. Vertonen Sie den Text im metrisch-rhythmischen Sinn schlüssig (Wahl der Taktart, Auftakt-Volltakt, Dehnungen, Betonungen...).

2. Gestalten Sie Ihre Vertonung auch im melodischen Sinn so, dass sich eine möglichst enge Entsprechung von Text und Musik ergibt (Wahl der Tonart, Schritte – Sprünge – Tonwiederholungen, Melodierichtung, Setzen melodischer Höhepunkte, Schlussbildungen...).

3. Verwenden Sie mindestens zwei musikalisch-rhetorische Figuren. Studieren Sie Ihre Vertonung mit der Gesamtgruppe ein, führen Sie diese auf und erläutern Sie Ihr Vertonungskonzept.

O großes Leid, o großer Schmerz, unendlich Gram in meinem Herz.

Gestern war ich voller Glück, doch heute ist das Leid zurück.

Der Vogel flattert schnell empor, stolz zieht er seine Bahn;

doch mit jähem, schnellem Fall kommt er auf der Erde an.

Schlafend findest du zur Ruh, machst getrost die Augen zu.

Im Erwachen kommt die Kraft, die neues Leben in dir schafft.

Du bist wahrlich meine Sonne, schenkst mir täglich Lust und Wonne.

All mein Denken kreist um dich, ein Quell des Glücks bist du für mich.

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Page 26: Passionsvertonungen im Barock am Beispiel der Johannes

Arbeitsblatt: Erstellung Rezitativ Erstellen Sie zu einem der vorliegenden Evangelientexte eine einstimmige tonale Melodie:

„Auf dass das Wort erfüllet würde, welches er sagte: Ich habe der keine verloren, die du mir gegeben hast.

Da hatte Simon Petrus ein Schwert und zog es aus und schlug nach des Hohenpriesters Knecht und hieb ihm sein recht Ohr ab.“

„Da überantwortete er ihn, dass er gekreuziget würde. Sie nahmen aber Jesum und führeten ihn hin.

Und er trug sein Kreuz und ging hinaus zur Stätte, die da heißet Schädelstätt.“ Gehen Sie dabei folgendermaßen vor:

1. Wählen Sie zunächst einen Rhythmus, der sich möglichst eng am Sprachfluss orientiert (Wahl der Taktart, Auftakt-Volltakt, Dehnungen, Betonungen...).

2. Erstellen Sie danach eine Melodie, die den Text möglichst genau abbildet (Wahl der Tonart, Schritte – Sprünge – Tonwiederholungen, Melodierichtung, Setzen melodischer Höhepunkte, Schlussbildungen...). Verwenden Sie mindestens zwei musikalisch-rhetorische Figuren.

Studieren Sie Ihre Vertonung mit der Gesamtgruppe ein, führen Sie diese auf und erläutern Sie Ihr Vertonungskonzept.

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Page 27: Passionsvertonungen im Barock am Beispiel der Johannes

Wichtige musikalisch-rhetorische Figuren:

Abruptio (lat. Bruch): unvermitteltes Abbrechen des musikalischen Kontextes anstelle des Eintretens einer Auflösung

Anabasis (griech. Aufstieg): abbildende Figur zur Darstellung einer aufwärts gerichteten Bewegung oder Thematik

Antithesis (griech. Gegensatz): musikalisch-rhetorische Figur mit zwei gegenläufigen Momenten, wobei sich der Gegensatz auf eine oder mehrere musikalische Eigenschaften beziehen kann

Aposiopesis (griech. Verschweigen): Generalpause zur Darstellung von Sterben, Schlafen oder Schweigen

Circulatio (lat. Kreis, Ring): kreisförmige Figur zur Darstellung einer kreisförmigen, umzingelnden Bewegung; steht auch für Vollkommenheit und Schönheit

Exclamatio (lat. Ausruf): ein aufwärts gerichteter Sprung mit expressivem Intervall wie kleiner oder großer Sexte.

Hyperbole (griech. Übersteigerung): Figur, bei der einzelne Töne den üblichen Tonumfang einer Singstimme übersteigen

Katabasis (griech. Abstieg): abbildende Figur mit abwärts gerichteter Melodik

Klimax (griech. Treppe, Leiter): mehrfach sich steigernde Wiederholung auf einer jeweils höheren Stufe

Passus duriusculus (lat. ein etwas harter Gang): halbtonweise melodische Fortschreitung im Rahmenintervall von meistens einer Quarte

Parrhesia (griech. Freiheit der Redegestaltung): Figur, die aus übermäßigen oder verminderten Intervallen (harmonisch oder melodisch) besteht; dient zur Darstellung des Schwankenden, Verderbten, Sündhaften

Pathopoeia (lat. Leiden bildend): leiterfremde Töne (oft in chromatischen Tonfolgen) zur Darstellung von Leid und Schmerz

Saltus duriusculus (lat. harter Sprung, Fall): ein melodisch dissonierender (oft verminderter oder übermäßiger) Sprung, in der Regel abwärts, der in der Barockmusik oft als musikalisches Abbild des Sündenfalls eingesetzt wird

Suspiratio (lat. Seufzer): seufzende melodische Wendung, bei welcher der erste Ton betont und der zweite Ton unbetont ist, oft verbunden mit schmerzlichen Halbtonschritten

Syncopatio (griech. zusammenschlagen): rhythmische Verschiebung der Betonungsverhältnisse, so dass eine eigentlich unbetonte Zählzeit betont wird; In der Barockmusik gilt die Synkope als Verstoß gegen die Ordnung des Taktes und wird deshalb oft dem Begriffsfeld Sünde, Reue, Schuld zugeordnet.

Tirata (ital. Zug): abbildende Figur mit aufwärts schnellender Gestik

In engem Zusammenhang mit der Figurenlehre steht die sog. Augenmusik. Man versteht darunter Details in der musikalischen Notation, die nicht hörbar sind, sondern primär im Notentext sichtbar werden. Ein Beispiel dafür ist der Chiasmus (griech. Kreuzung, kreuzförmig). Dieser bezeichnet ein liegendes Kreuz. Er entsteht, wenn man in einer Gruppe von meist vier Noten die erste mit der dritten und die zweite mit der vierten durch jeweils eine Linie verbindet (auch Einfügung eines Kreuzzeichens). Ein weiteres Beispiel für Augenmusik wäre die Verwendung schwarzer Notenköpfe zur Darstellung von Nacht, Schlaf oder Tod.

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