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Siegfried F. Weber (Großheide)
Biographische Daten
Remmer Janßen (oder Janssen) wurde in dem Dorf Werdumer Altendeich am 6.
Nov. 1850 geboren. Werdumer Altendeich liegt südlich von Neuharlingersiel (im
Harlingerland in Ostfriesland) und gehört zu Werdum (sieben Kilometer westlich
von Esens). Sein Vater hieß Johann Remmer Janßen, der mehrere Bauernstellen
besaß, die Mutter Tina Janßen, geb. Janßen. Im Elternhaus gab es eine Familienbibel, die aber
nach und nach verstaubte. Sein Vater wandte sich während der Erweckungszeit von ihm ab,
seine Mutter durfte noch zum Glauben kommen.
Remmer besuchte das Gymnasium in Aurich. Die Ausbildung finanzierte der Vater.
Nach dem Abitur studierte er Theologie in Leipzig und Göttingen. Auch dieses Studium
musste ihm sein Vater finanziert haben. Der Sohn musste sich wohl in der Wahl des
Studienfaches beim Vater durchsetzen.
Mit 26 Jahren legt er 1876 das erste theologische Examen ab.
Im gleichen Jahr wird er Hilfsprediger in Nesse (südlich von Neßmersiel
im Norderland).1
1877 wählt ihn die Gemeinde in Strackholt zum Hirten und Seelsorger.
Vorher muss Remmer Janßen das zweite theologische Examen ablegen,
welches wegen der Wahl vorverlegt wurde. Er bestand die Prüfung mit
„genügend“.
Janßen blieb unverheiratet.
Von 1877 bis 1921 dient Remmer Janßen als Pastor in Strackholt (südlich von Aurich in
Ostfriesland). Hier fand die Erweckung statt (1877 – 1890).
Mit 71 Jahren übernimmt er die kleine Kirchengemeinde Ochtelbur (1921-1923, wohl bei
Riepe in Ostfriesland, d. Verf.).
Danach findet er für kurze Zeit Aufnahme bei Gronewold in Großefehn (liegt zwischen Hesel
und Aurich).
1923 kann er nach Egels in der Nähe von Aurich ziehen, wo ihm sein Neffe Fooke Janßen ein
kleines Haus gekauft hat.
Am 18. Mai 1931 wird Janßen in die Ewigkeit gerufen.
1 Abb. Remmer Janßen in jungen Jahren: Maske/Mindermann, 1953, S. 14.
Pastor Remmer Janßen
Friesisch herb und herzlich lieb
Der Erweckungsprediger in Ostfriesland
2
Schulzeit und Bekehrung (1868)
Auf dem Gymnasium in Aurich fiel Remmer Janßen schon als ein cholerischer Draufgänger
auf. Mit dem Alkohol hatte er sich befreundet. Eines Tages erklomm er bei seinen nächtlichen
Umtrieben ein Bierfass und hielt den Geistern des Rausches eine zündende wildbeklatschte
Rede.
Remmer war auch ein geschickter Werfer im Klootschießen, ein beliebter Volkssport in
Ostfriesland.
Doch als der Sekundaner Janßen 18 Jahre alt wurde, trat Rektor Reuter in sein Leben. Dieser
Reuter war Vorfahr des späteren Berliner Bürgermeisters Reuter2. Der Rektor zeigte ihm sein
finsteres Herz und machte ihn auf die Erneuerung durch JESUS Christus aufmerksam.
Remmer Janßen erlebte daraufhin eine radikale Umkehr.
Schon bald setzte er sich in cholerischer Weise mit einem Lehrer über das Evangelium
auseinander. Seine apologetische Rede verglichen seine Mitschüler mit der Unaufhaltsamkeit
eines Wildwassers, die nur durch die Stundenglocke unterbrochen werden konnte.
Neuschoo
An den Sonntagen ging Remmer jetzt in den Gottesdienst des
Methodistenpredigers Klüsener in Neuschoo (nördlich von Aurich, ab 1866).
Die Gottesdienste wurden in einer billigen Bretterscheune abgehalten.
Klüsener nahm in seinen Predigten kein Blatt vor dem Mund. Messerscharf
waren die Worte. Da hat Remmer Janßen sich wahrscheinlich einiges
abgeschaut.3
Ich oder ER
In seinen jungen Jahren hatte Remmer besonders mit der Sünde zu
kämpfen. In seinem Arbeitszimmer in Aurich stand ein alter
Schrank. An der Seitenwand schrieb er ein fußgroßes „Ich“ und
daneben ein gleichgroßes „ER“. Immer wenn er eine Niederlage
erlitten hatte, schlug er einen Nagel in das „Ich“. Schon bald war
von dem „Ich“ nichts mehr zu sehen. Nun wusste er, dass seine
Sünden bereits am Kreuz auf Golgatha vor 2000 Jahren angenagelt worden waren. Die
Vergebung und die Gnade liegen allein in Christus. Was übriggeblieben ist, ist ER: „JESUS
allein!“
2 Rektor Reuter war ein Bruder des Göttinger Professors der Kirchengeschichte Hermann Reuter, Großvater des späteren Berliner Oberbürgermeisters während der sowjetischen Luftblockade. 3 Die Methodisten gab es schon ab 1809 in Ostfriesland. Durch Franz Klüsener kam eine rege Missionstätigkeit hinzu. Die erste Methodistenkirche in Neuschoo gab es 1878.
Abbildung 1 Franz Klüsener (1837-1916)
3
Studium (ab 1870)
Nach dem Abitur studierte Remmer Janßen Theologie in Leipzig und in Göttingen. Für ihn
stand es fest, in dem Reich Gottes dienen zu wollen. In Göttingen belegte er eine Vorlesung
bei Albrecht Ritschl.
Albrecht Ritschl4 (1822 – 1889) veröffentlicht von 1870-1874
sein dreibändiges Hauptwerk „Die christliche Lehre von der
Rechtfertigung und der Versöhnung.“ Seine Theologie lässt
sich in einer Ellipse darstellen, die von zwei Brennpunkten
beherrscht wird: Reich Gottes und Erlösung. Allerdings
ähneln seine Ausführungen mehr einer christlichen
Philosophie. Er lehnt die Offenbarung Gottes ab.
Offenbarung wird in der Ethik anthropologisiert (Kant).
Sünde ist nicht Schuld vor Gott, sondern nur eine
Abweichung vom Guten. Jesu Opfertod wird als
Stellvertretung und als Sühnung abgelehnt. Ritschl ist Gegner
des Pietismus, der Mystik und der Metaphysik. Jesus ist ein Vorbild des Humanen.5
Das hatte gereicht. Remmer Janßen ging ganz forsch in die Wohnung
Ritschls und bat um die Rückgabe des Kolleggeldes. Ritschl war über das
unverschämte Verhalten des jungen Studenten empört und aufgebracht,
aber schließlich gab er dem Bittsteller das Geld zurück.6
Nach einigen Jahren stand das erste theologische Examen an. Aber
Remmer meinte, dass das größte Examen noch bevorstehe, nämlich das
Examen in der Ausführung des Dienstes am Wort.
Ein Unglück erinnert an die Ewigkeit
Ein trauriges Erlebnis sollte ihm die Ewigkeit stets vor Augen mahlen. Ein Student der
Theologie aus Aurich war von einer Zechtour zurückgekehrt. Er legte sich in sein Bett, ohne
das Talglicht auszumachen. Das Licht stürzte um und fiel auf das Bett. Dasselbe verbrannte
und der unglückliche Student erstickte in dem Rauch.
4 Abb. A. Ritschl: Karl Barth: Protestantische Theologie im 19. Jh., TVZ, Zürich, 51985, S. 602a, Tafel XXIV. 5 Siegfried F. Weber: Der Weg zur wortlosen Kirche. Evangelische Theologie im 20. Jh. in Deutschland, Großheide, 2006, S. 5f. Vgl. auch Karl Barth: Protestantische Theologie im 19. Jahrhundert, TVZ, Zürich, 51985, 598-605. 6 Abb. Remmer Janßen in jungen Jahren: W. Feldkirch: Ein Leben mit Christus, S. 5 (Foto: Arnold Heyen).
4
Nesse (1876)
Nach dem bestandenen ersten theologischen Examen kam Remmer Janßen als 26-jähriger
Hilfsprediger (1876) nach Nesse7 (zwischen Norden und
Esens). Er wollte wieder gerne nach Ostfriesland und stand
dem Superintendenten Schatteburg zur Seite. Die Kanzel war
Janßens Element. Zielsicher schoss er die Pfeile, er predigte
direkt und verschonte niemanden. Wenn er erst einmal im
Redefluss war, dann brachen die Dämme und ein Wildwasser
breitete sich über das Land aus. Der Superintendent nahm oft
genug daran Anstoß. Aber die Kirche füllte sich. Manche
Leute antworteten auf die Frage, warum sie denn nun wieder in die Kirchen gingen: „Um sük
mal wär utschellen to laten“ („…um sich wieder mal ausschimpfen zu lassen“).
Zur Person des Predigers
Remmer Janßen war willensstark und kompromisslos (Begegnung mit Ritschl; die
Hammerschläge auf sein Ich), er war cholerisch und leidenschaftlich. Auf der Kanzel war er
wie ein Löwe, aber in seinem Haus oder bei den Hausbesuchen wie ein Lamm, liebevoll und
mitleidig. In seinen jungen Jahren der Sturm- und Drangzeit brachte er jede Sünde im Dorf
auf die Kanzel und in seiner direkten Art schonte er niemanden, aber im Alter wurde er auch
auf der Kanzel milder. Er konnte zwei Stunden lang ohne Unterbrechung predigen, aber in der
Erweckungszeit war das keinem Zuhörer zu lang.
Namen konnte er sich sehr gut merken, obwohl er ständig mit hunderten von Menschen zu tun
hatte. Dagegen verlor er stets jede Ortsorientierung. Selbst in den Häusern fand er alleine den
Weg nicht nach draußen.
Er lebte asketisch und selbstlos. Er war freigebig, so dass er sein letztes Hemd verschenken
konnte.
In der Unterhaltung war er voll Geist und Feuer. In seiner Studierstube nahm er sich viel Zeit
zum Gebet, aber auch zum Studium neuerer theologischer Werke.
7 Abb. St. Marienkirche Nesse: Frisisa Orintalis. 31.05.2009. www.wikimedia.org.
5
Adolf Harnack
Unter anderem las Remmer Janßen das Buch des berühmten Professors der systematischen
Theologie und Kirchenhistorikers (Patristikers) Adolf Harnack8 (1851-
1930) „Das Wesen des Christentums“ (16 Vorlesungen, 1899-1900).9 Darin
stellte Harnack die These auf: „Der Sohn Gottes gehört nicht in das
Evangelium wie Jesus es verkündigt hat.“
Das bedeutet: JESUS hätte sich nur als Mensch präsentiert. Die Auffassung,
dass JESUS auch der Sohn Gottes sei, wäre erst später durch die
Gemeindetradition entstanden und diese Tradition sei später den Evangelien
hinzugefügt worden.
Auf einer Schlussfeier eines Missionsfestes in Strackholt, wo auch viele
Pastoren und Missionare versammelt waren, übte Remmer Janßen heftige Kritik und
widersprach mit den plastischen Worten: „Nehmt einen Hund, hackt ihm den Schwanz ab, er
bleibt ein Hund. Schneidet ihm die Ohren ab, er bleibt ein Hund. Nehmt ihm aber das Herz
aus dem Leibe, so bleibt er nur ein Aas. Das ist ein Evangelium ohne Christus, dem Sohn
Gottes!“10
Strackholt (1877)
Strackholt ist ein Loog (ein geschlossenes Dorf). Anders liegen die langgestreckten Dörfer an
den Fehnen (Wahrsingsfehn, West-, Mittel-, und Ostgroßefehn).
Hier in Strackholt hatten bereits mehrere Prediger
gewirkt, die den geistlichen Boden für die Erweckung
vorbereitet hatten. Zu nennen sind Willrath (1805-1852),
Karl Heinrich Schaaf (1852-1857) oder Ludwig Valentin
Köppen, der Vorgänger von Janßen. Bereits 1853 musste
die Kirche wegen zunehmendem Gottesdienstbesuch
durch einen Anbau erweitert werden.11
Im Sommer 1877 war die Gemeinde vakant geworden.
Zwar waren bereits die „Wahlpredigten“ gehalten worden, aber dennoch versuchte man an
Remmer Janßen heranzukommen, obwohl dieser noch gar nicht das zweite theologische
Examen abgeschlossen hatte. Das Konsistorium in Hannover gestattete den Vorzug der
8 Abb. Adolf Harnack: Stanmar: www.wikimedia.org (15.01.2006). Quelle: http://www.gutenberg.net/dirs/1/3/6/3/13635/13635-h/13635-h.htm 9 Adolf von Harnack (der Adelstitel wurde ihm 1914 verliehen). Werke: Lehrbuch der Dogmengeschichte, 3 Bde.
(1886-1890); Geschichte der altchristlichen Literatur, 3 Bde. (1893-1904); Das Wesen des Christentums (16 Vorlesungen, 1899-1900); Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten (1902). Da Harnack das Neue Testament dem Alten vorzog, bzw. dem Alten Testament einen geringeren Stellenwert gab, veröffentlichte daraufhin Leo Baeck (1873-1956) sein Werk „das Wesen des Judentums“ (1905), in dem er sich kritisch mit Harnack auseinandersetzte. 10 Maske/Mindermann, 1953, S. 64. 11 Abb. Kirche Strackholt nach 1853. Foto: www.kulturverein-strackholt.de vom 06.11.2012.
6
Prüfung. Janßen hatte wohl nicht die nötige Muße für die Vorbereitung, so dass er nur mit
„genügend“ abschloss.
Als Janßen mit seinem Dienst 1877 in Strackholt begann, zählte die Gemeinde 2000
evangelische Mitglieder.12 Einstimmig war er zum Seelsorger gewählt worden. Über der
weißen Kanzel stand das Wort: „Erhebe deine Stimme wie eine Posaune. Rufe laut und
schone nicht!“ Diese Worte passten ganz genau zu dem Predigtstil Janßens. Seine
Antrittspredigt hielt Remmer Janßen über Apg. 2,42: „Bleibe beständig in der Apostellehre.
Bleibe beständig in der Gemeinschaft. Bleibe beständig im Brotbrechen (Remmer Janßen
teilte jeden Sonntag das Abendmahl aus). Bleibe beständig im Gebet.“ Der junge Pastor
sprach darüber, dass die Kirche in Strackholt ein Haus Gottes und eine Pforte des Himmels
werden könne. Das hatte er wohl prophetisch durch den Geist Gottes gesagt.
Erweckung in Strackholt
Die Erweckung in Strackholt13 brach sogleich los. Schon bald stieg
die Besucherzahl des sonntäglichen Gottesdienstes auf 1000 an, an
Festtagen sogar auf 1500, die Bibelstunden auf 700.
Am Sonntagabend wurden an ca. sieben verschiedenen Stellen
Gebetsversammlungen abgehalten. Daraus entstanden später die
Hauskreise, in denen „Laien“ das Wort Gottes verkündigten.
In den Häusern wurde Hausandacht und Tischgebet eingeführt.
An jedem Sonntag wurde nun das Abendmahl gefeiert.
Zwar hielt Remmer Janßen an der Säuglingstaufe fest, aber eine
Taufwiedergeburt gab es für ihn eindeutig nicht. Ein Mensch wird
nicht durch die Taufe Christ, sondern nur durch Buße, Glauben und
bewusster Umkehr zu JESUS Christus. Das wird anhand seiner
klaren Bekehrungsbotschaften sichtbar.
Die Erweckungszeit brachte es mit sich, dass die Sonntagsarbeit
unterlassen wurde.
Vom Jannever zum Wasser des Lebens
Der Branntwein hatte schon um 1800 Einzug in Strackholt gehalten. Die Chronik der
Volksschule Strackholt berichtet:
„Das bisherige Getränk Bier erhielt einen gefährlichen Nebenbuhler, Schnaps oder
plattdeutsch „Jannever“. Dieses Gewerbe breitete sich bald so sehr aus, daß zuletzt in und
bei dem Dorfe außer 3 Bierbrauereien 36 Branntweinbrennereien, sog. „Stokereien“,
namentlich im Winter in Betrieb waren. ... Der Schnaps wurde in der Umgebung, in ganz
Ostfriesland abgesetzt. Wenn nun auch zugegeben werden muss, dass durch das Gewerbe
12 Zur Kirchengemeinde Strackholt gehörten die Ortschaften Voßbarg, Fiebing, Zwischenbergen und die Fehngemeinden Auricher-Wiesmoor II, Spetzerfehn, Wilhelmsfehn II. 13 Kanzel mit Schalldeckel und Posaunenengel in der Kirche zu Strackholt: Foto: www.kulturverein-grossefehn.de vom 06.11.2012.
7
selbst und die dadurch bedingte bessere und vermehrte Viehstallung ein wachsender
Wohlstand und besserer Zustand der Felder sich erkennen ließ, so wirkte andererseits auf die
Dauer dieser zu häufig gebotene Genuss des scharfen Getränks auf Leben, Sitten und
Verhältnisse sehr verderblich ein. Ein Zeitgenosse urteilte: Die Stokereien sind wahre
Sudelküchen14, in welchen ein Getränk gemacht wird, das ungeachtet seiner Geistlosigkeit
den Trinkern nach und nach alle Vernunft rauben muss.“15
Zwar hatte es schon durch die erwecklichen Predigten von Pastor Carl Heinrich Schaaf (1852-
1857) einen Rückgang des Branntweingenusses in Strackholt gegeben, aber später nahm der
Verbrauch wieder zu.
Der Chronik der Kirchengemeinde ist zu entnehmen, dass bei Beerdigungen, aber auch bei
der täglichen Arbeit viel Branntwein gereicht wurde. In anderen Berichten ist von
Trunksucht besonders unter den Armen der Gemeinde die Rede. Als Pastor Remmer Janßen
im Jahre 1877 sein Amt antrat, muss ihm der Zustand der Gemeinde in dieser Hinsicht sehr
bedenklich erschienen sein.
Nachdem die Erweckung in Strackholt ab 1877 erneut ausgebrochen war, gingen die
Branntweinschenke nacheinander ein. Remmer Janßen sorgte dafür, dass die Leute nun das
Wasser des Lebens (Joh. 4,14; Offb. 22,17) umsonst schöpfen konnten.
Chöre im Gottesdienst
Die Erweckung veränderte auch die Gestaltung der Gottesdienste. Es wurde mehr und mehr
gesungen. Auch die Jugend sollte sich am Gottesdienst beteiligen. Dazu wurden Jugendchöre
gegründet. Die Chöre sollten das Lob Gottes in den Gottesdiensten verkündigen. Wenn die
Chöre sich zu den Übungsstunden trafen, wurde gleichzeitig Gemeinschaft gepflegt.
1878 gründeten ungefähr 50 Jugendliche einen Posaunenchor16 und einen Sängerchor. In den
folgenden Jahren kam noch ein Jungmännerverein von 20-30 Mitgliedern hinzu. Die
Mädchen und Frauen gründeten einen Nähverein.
Schon bald musste die Kirche nochmals erweitert werden. So wurde aus dem Bau eine
Kreuzkirche.
Der Ruf Janßens auf der Kanzel in die Nachfolge Christi schlug auch in den umliegenden
Gemeinden, ja in ganz Ostfriesland, durch wie ein Glockenschlag. In Schortens machte sich
eine Frau um vier Uhr morgens mit dem Fahrrad auf den Weg, um am Gottesdienst in
Strackholt teilnehmen zu können. Auch aus dem 25 km entfernten Berumerfehn machten sich
die Leute am Sonntagmorgen zu Fuß auf den Weg nach Strackholt, und sogar aus der Gegend
um Norden.
14 Hervorhebungen durch den Verfasser. 15 Wiechert Fokken: 100 Jahre Posaunenchor Strackholt (1878-1978), 1979. 16 Vgl. die Homepage des Strackholter Posaunenchors: http://www.posaunenchor-strackholt.de/
8
Erweckung ist ein Gnadenzug
Charles Finney (1792 – 1875) hatte einmal über die Erweckung gesagt: „Eine geistliche
Erweckung ist die natürliche Folge eines geheiligten Lebens.“
Das hat Remmer Janßen zunächst auch so erlebt. Sein Leben war authentisch. Sein Leben
spiegelte in der Woche die Predigt wieder. Wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass die
Erweckung in Strackholt schon durch seine Vorgänger vorbereitet worden war. Sie hatten
gesät, Janßen durfte nun ernten. Nachdem die Erweckung 1890 in Strackholt während der
aktivsten Zeit Janßens zum Stillstand gekommen war, sprach Remmer Janßen davon, dass der
Wind dort weht, wo er will (Joh. 3,8). Eine Erweckung ist ganz Gottes Werk und Fügung,
sagte er. Kein Prediger kann sie machen aus seiner Macht, wenn sie nicht Gottes Wille ist.
Die Erweckung war wie ein Gnadenzug, der in Strackholt für eine bestimmte Zeit haltmacht
und wer einsteigt, tut wohl. Dann aber fährt er nach Gottes Willen weiter und niemand kann
ihn aufhalten zu bleiben.17
Das Pfarrhaus
Remmer Janßen blieb unverheiratet. Das tat er aus freien
Stücken, um seine ganze Zeit dem HERRN und seiner
Gemeinde zur Verfügung zu stellen. „Ich habe so viel zu tun
mit meinem alten Adam! Wenn ich jetzt noch eine Eva
bekäme, wo sollte ich da wohl bleiben?“18 Die Gemeinde war
seine Familie.
Im Pfarrhaus19 dienten zwei Haushälterinnen: Gretje
Ottersberg, die er Gretjemöh nannte, führte über fünfzig
Jahre lang den Haushalt. Ihr zur Seite stand Anna Schmidt,
die er Annamöh nannte. Sie war für den Garten und für den Stall zuständig.
Diese doppelte Hilfe war auch nötig, denn Janßen nahm über die Jahre hinweg 31
Waisenkinder bei sich auf. Im Pfarrhaus ging es fröhlich zu. Die Kinder spürten seine Liebe
zu Christus. Zum Gebet und zur Predigtvorbereitung zog er sich jedoch zurück, im Sommer
sogar in einer Gartenlaube, die mit Schreibtisch und Bücherbord eingerichtet war.
Und die Haushaltshilfen waren auch notwendig, wenn besondere Feste durchgeführt wurden
(Missionsfeste; und man denke an die Dozenten und Gastdozenten der späteren
Missionsschule).
Janßens Freigebigkeit
Die Armut war im 19. Jahrhundert groß. Es gab noch keine Sozialversicherung. Arme, Bettler
und Vagabunden durchkreuzten immer wieder Strackholt. Keiner wurde vom Strackholter
Pastor abgewiesen. Einmal hatte er alle seine Hosen verschenkt, so dass er für den Sonntag
nur noch eine alte Hose hatte. Auch verschenkte Janßen die Lebensmittel aus den
17 Maske / Mindermann, 1953, S. 41 u. 62. 18 Maske / Mindermann, 1953, S. 26. 19 Abb. Pfarrhaus in Strackholt: W. Feldkirch: Ein Leben mit Christus, S. 12 (Foto: Arnold Heyen).
9
Vorratskammern des Pfarrhauses, so dass Gretje manchmal nicht wusste, wovon sie die
Mahlzeiten bereiten sollte.20
Wiederum hatte der Pastor den ganzen Speck und alle Würste,
die in der Küche an der Decke hingen, verschenkt. Diesmal aber
beschwerte sich die Haushälterin beim Kirchenvorsteher Jann
Harbers. Dieser machte daraufhin einen Rundgang und holte von
verschiedenen Höfen Speck und Würste zusammen. Schon
hingen diese Schätze wieder in Gretjes Küche an der Decke. Da
kam Pastor Janßen herein, sah die Kostbarkeiten, so dass seine
Augen funkelten, als wolle er sagen: „Jetzt habe ich wiederum
etwas zum Verschenken.“ Doch der Kirchenvorsteher deklarierte
energisch: „Herr Pastor, dat is Ihrs nicht, dat gehört Gretje!
Wenn Se dorbi gahn, sünd Se en Deew!“ („Herr Pastor, das
gehört Ihnen nicht, das gehört Gretje! Wenn Sie davon nehmen, dann sind Sie ein Dieb!“).
Das hatte gezündet. Dieser Sprache bedurfte es, um den Pastor zu überzeugen.
Asketisches Leben
Janßen hat seinem Körper immer viel zugemutet. Er hat lange Fastenzeiten durchgeführt. Das
Rauchen hat er auch von einem Tag auf den anderen aufgegeben. Von den vielen
Hausbesuchen bei den Kirchengliedern, den Besuchern im Pfarrhaus und den intensiven
Predigtvorbereitungen war er manchmal so sehr in Aufregung versetzt, dass er abends nicht
zur Ruhe kam. Er konnte im Bett nicht schlafen. Manche Nächte schlief er einfach am
Schreibtisch.
Der Arzt Dr. Jilden in Remels verordnete ihm daraufhin eine Kur. Der Pastor lehnte natürlich
ab, denn dazu hätte er gar keine Zeit. Darauf sein Arzt: „Wenn Sie nicht das Nötigste für Ihre
Gesundheit tun, liegen Sie mit Ihren 30 Jahren bald in der Erde und faulenzen. Können Sie
das verantworten?“ Das schlug durch. Vier Monate lang enthielt er sich jeglichen Dienstes.
Als Janßen 43 Jahre alt war, machte er eine Kur auf der Insel Langeoog.
Ein Lichtglanz umhüllt Janßen
Seine Direktheit auf der Kanzel hob auch Widerspruch hervor. Drei Männer lauerten den
Pastor in der Dunkelheit auf, weil sie sich durch ihn bloßgestellt fühlten. Schon hoben sie ihre
Knüppel im Gebüsch empor, als der Pastor sich ihnen näherte. Aber als der Prediger ganz nah
herbeikam, umhüllte ihn ein heller Lichtglanz. Erschrocken ließen sie die Arme runter und
ließen den Feind unbeirrt passieren. Von diesem wundervollen Geschehen waren sie so sehr
ergriffen, dass sie sich am nächsten Tag bei Janßen meldeten und um Verzeihung für ihr
mutwilliges Vorgehen baten. Außerdem fragten sie nach dem Licht, welches den Pastor in der
Nacht umhüllt hatte. Janßen aber wusste nichts von einem Licht. Die drei Männer gaben ihr
Leben JESUS und fortan durfte der Pastor diese zu seinen Freunden zählen. „Der Engel des
HERRN lagert sich um die her, die ihn fürchten“ (Psalm 3,4).
20 Allerdings lag immer die neueste theologische Literatur auf Janßens Schreibtisch. Wie konnte er sich diese leisten, wo er doch so freigebig war? Wahrscheinlich hatte er Sponsoren, die ihm die Bücher schenkten.
10
Das Gebet um einen Ochsen
Eines Tages kam ein Landwirt aus Fiebing und klagte Janßen, dass er einen Ochsen eingebüßt
habe. Damals wurde meist mit Ochsen gepflügt, Pferde gab es noch wenige. Janßen machte
dem Mann Mut. Dieser fragte: „Meinen Sie, dass ich um einen neuen Ochsen beten darf?“
„Warum denn nicht?“, erwiderte Janßen, „wenn wir nur gläubig beten.“ Der Besucher drang
Janßen, mit ihm zusammen zu beten. Gern willigte Janßen ein.
Der Erfolg blieb jedoch aus. Ein halbes Jahr war inzwischen vergangen und nichts geschah.
Inzwischen war der Landwirt unruhig geworden. Er hatte noch
nicht das neue Leben in Christus gefunden. Daraufhin ging er in
den Gottesdienst nach Strackholt.21 An diesem Sonntag gab er sein
Leben Christus. Er besuchte den Pastor und sprach von seiner
Bekehrung. Dann fragte der Pastor: „Wie ist es mit dem Ochsen
geworden?“ Traurig gab der Fiebinger zur Antwort: „Ach, darüber
bin ich weg, es wird schon werden.“ Darauf Janßen: „Ich merke,
wir haben die Sache versäumt.“
Dann knieten sie nieder und legten die Angelegenheit noch einmal
in Gottes Hände. Während sie noch beteten, stand der Briefträger
vor der Tür und überbrachte einen Brief. Darin waren 500 Mark
mit der Bitte, Janßen möge es dort einsetzen, wo es am nötigsten
wäre. Schon hatte der Landwirt aus Fiebing die 500 Mark in der Hand. Davon solle er sich
nun einen Ochsen kaufen.
Nach kurzer Zeit brachte der Mann 200 Mark zurück. Die 200 Mark waren vom Kauf
übriggeblieben. Dieses Geld sollte der Pastor an anderer Stelle verwenden. Beide waren
glücklich und beim Abschied sagte Remmer Janßen: „Hier sehen wir, dass wir einen
wunderbaren Gott haben, der sich auch um Ochsen kümmert und der einen Ochsen dazu
gebrauchen kann, dass ein Mensch das Heil in Christus findet.“
Die Predigten
Auf der Kanzel war Remmer Janßen wie ein Löwe. Da war er nicht zu bändigen. Auf einem
Missionsfest war er einmal als zweiter Redner dran. Die Leute waren vom ersten Teil in guter
Laune versetzt. Dann rannte Janßen zur Kanzel, sprach beim Besteigen der Kanzel den
Kanzelsegen und als er oben war, legte er schon los. Zwei Stunden konnte er die Menschen
fesseln und wenn er zum Ende gekommen war, hatten oft die Leute Tränen in den Augen,
weil sie von ihren Sünden überführt worden waren. Janßen hatte stets die Ewigkeit vor Augen
und in diesem Blickfeld predigte er auch. Viele Predigten waren evangelistisch, selbst auf den
Missionsfesten.
Seine Predigten waren komplett schriftlich verfasst, die Verkündigung hielt er jedoch frei. Die
Botschaften waren lebendig, direkt, bibelfest, textbezogen, plastisch, metaphorisch,
authentisch, aufrüttelnd, einladend, volkstümlich und in Vollmacht.
21 Abb. Remmer Janßen. Quelle: Vom Geheimnis Christi, 1973, S. 110.
11
Janßen wusste, in welcher Art und Weise die Ostfriesen das Wort Gottes verstehen. Er
verwendete Parabeln aus dem ostfriesischen Raum.
Drei Ebenen können wir festhalten: Remmer Janßen war 1) der Bußprediger, 2) der
Bekehrungsprediger und 3) der Heiligungs- und Missionsprediger.
1) Der Bußprediger
Das erste Anliegen Remmer Janßens war die Erweckung der Gemeindemitglieder. Dazu
dienten Gesetz und Evangelium. Gesetz und Evangelium waren ihm Nadel und Faden.
Erst muss die Nadel vorangehen, muss stechen, ehe der Faden folgen, verbinden kann.
Wo keine Nadel vorangegangen ist, kann auch der Faden nichts ausrichten. Das Gesetz
allein kann wohl Wunden verursachen, heilen kann nur das Evangelium. Im ersten Teil
sprach der Verkündiger über das Jüngste Gericht, über die Heiligkeit und Gerechtigkeit
Gottes, deckte Sünden schonungslos auf. Berühmt in dieser Hinsicht waren auch seine
Nekrologe (Ansprachen bei Bestattungen). In seiner Sturm- und Drangzeit konnte er
schon mal auf den Sarg klopfen und ausrufen: „Er brennt schon!“ In den späteren Jahren
hat Janßen das nicht mehr gesagt. Den „Jannever“ (Schnaps) titulierte er als
„Teufelstrank“ und „Höllenwasser“.
Einst trat er in die Stube, in der drei Frauen ihren „kalten Tee“ (Tee mit Schnaps)
tranken. Er begrüßte sie mit den Worten: „Guten Abend ihr vier!“ Darauf die Frauen:
„Aber Herr Pastor, wir sitzen hier doch nur zu dritt!“ Janßen antwortete: „Der Teufel
sitzt mitten unter euch!“
Janßen konstatiert in seinem Alter: „Früher habe ich mehr das Gesetz gepredigt, jetzt
predige ich mehr das Evangelium!“22
Satire in der Zeitung
In einer Zeitung war Janßen als ein Mann abgebildet, der mit einer großen Schaufel in der
Hand vor dem Feuer der Hölle steht und mit der Schaufel die Seelen aus dem Feuer holt
und in den Himmel wirft.
2) Der Bekehrungsprediger
Wenn Menschen sich bekehrten und Kinder Gottes geworden waren, dann sprach Janßen
davon, dass diese Bekehrten sein geistlicher Lohn waren. Dieser geistliche Lohn war ihm
mehr wert als das Gehalt.
Zur Bekehrung hat er immer wieder aufgerufen: „Heute ist Gottes Zeit (Ps. 95,7-11;
Hebr. 3, 7-8) – morgen ist des Teufels Zeit. Wollt ihr euren Hochzeitstag (Offb. 19, 7.9)
hinausschieben? Das Auge des Vaters sieht euch von ferne und er eilt euch entgegen. Ist
das teure Blut Christi so wertlos für dich? Mensch, bist du ein Narr? Wenn du durchaus
den Narren spielen willst, so gehe hin und treibe Mutwillen mit deinem Gold und Silber,
aber nicht mit deiner Seele.“23
22 Maske/Mindermann, 1953, S. 55 23 Maske/Mindermann, 1953, S. 57f.
12
Über die Geduld
„Geduld ist euch Not. Geduld ist ein Heilkraut für alles und jeden. Man kann es in der
Apotheke nicht kaufen, es wächst nur an einer Stelle, unter dem Kreuz JESU! Man entdeckt
es schlecht im Stehen, besser, wenn man sich bückt, am besten auf den Knien.“24
Kobus und der Strick in der Tasche
Kobus Buhr aus Fiebing erzählt aus seiner Jugendzeit: „Ich wollte nicht in die Kirche gehen,
aber ich musste hin. Es zog mich dorthin wie ein Magnet. Ich hatte Selbstmordgedanken und
hatte den Strick oftmals in der Tasche“. In der Predigt rief Janßen: „Und wenn Satan vor dir
steht und zeigt auf den Strick – hier ist JESUS der Sieger!“ Kobus Buhr war beim
Hinausgehen aus der Kirche erschüttert und fragte den Pastor: „Woher wussten Sie, Herr
Pastor, was ich vorhatte?“ Janßen entgegnete: „Ich habe nichts davon gewusst, aber der
Heilige Geist.“ Zusammen knieten sie nieder und beteten und der Verzweifelte durfte Frieden
und Ruhe in Gott finden.25
3) Der Heiligungs- und Missionsprediger
Wir sprachen bereits davon, dass sich durch die Erweckung auch das Leben der
Menschen änderte. Statt des Alkohols tranken die Leute das Wasser des Lebens aus
JESUS. Vor allem aber ging Remmer Janßen mit seiner Freigebigkeit selber als Vorbild
voraus. Diese Freigebigkeit erwartete er auch von seiner Gemeinde. Sie sollten ihren
Schmuck verkaufen und für die Mission einsetzen. In der ganzen Gemeinde Strackholt
wurde so gut wie kein Schmuck mehr getragen.
Auf den Missionsfesten hielt Janßen zündende Kollektenansprachen. „Wenn es ums Geld
geht, dann gehe ich auf den Geldbeutel los wie ein Ziegenbock auf den gefüllten
Haversack.“
In Strackholt, dem dünnbesiedelten Ostfriesland mit seinen armen Moorkolonien (und
nicht Heidelberg mit seinen wohlhabenden Bürgern, Professoren, Wissenschaftlern und
Beamten), wurden in 31 Jahren genau 382 642 Mark und 25 Pfennig für die Mission
gespendet.
Predigtaufbau und Gestaltung des Gottesdiensts nach Remmer Janßen:
1) Textbezogenheit
2) Logischer Zusammenhang
3) Psychologischer Fortgang
4) Heiliger Liebesdrang
5) Fröhlicher Gemeindegesang
6) Guter Predigtklang
7) Das Ganze nicht zu lang.
24 Maske/Mindermann, 1953, S. 58. 25 Maske/Mindermann, 1953, S. 56
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Das Ich und Wir brauch nicht zu gern,
besonders nicht, um dich zu ehrn.
Das Du und Ihr wend öfters an,
mit Nathan sprich: „Du bist der Mann!“
Das Er und Sie brauch nicht zuviel,
denn sie führen nicht zum Ziel.
Das Fürwort Man ist gar zu unbestimmt,
und rühret niemand, der’s vernimmt.
Das Strackholter Missionsfest
Die Kirchengemeinde Strackholt hielt sich an das Vorbild der Hermannsburger Mission. In
Hermannsburg in der Lüneburger Heide (nördlich von Celle) wirkte ab 1843 der
Erweckungsprediger Ludwig Harms (1808-1865). Seit 1851 wurde in Hermannsburg jährlich
ein Missionsfest durchgeführt. Nach diesem Vorbild wurden nun auch in Strackholt jedes Jahr
ab 1882 Missionsfeste durchgeführt. Diese bestehen heute noch.26 Das Missionsfest in
Strackholt wurde zu einem richtigen Volksfest. Ein paar tausend Menschen kamen von
weither angereist. Die Wagen waren geschmückt und selbst die Pferde trugen Kränze. Die
Jugend schmückte die Straßen in Strackholt und auch die Kirche wurde dekoriert. Jedes Haus
in Strackholt nahm ungefähr 10-15 Gäste auf, um sie zu verpflegen. Wer keinen Platz hatte,
konnte in den Scheunen einen Platz finden. Remmer Janßen selbst nahm 100 – 200 Gäste auf.
Es waren meist Pastoren mit ihren Familien. Janßen ließ jedes Jahr eine Kuh aus seinem Stall
schlachten, das sogenannte Missionsbeest.27
Auf diesen Festen sprachen die Missionare der Hermannsburger Mission. Remmer Janßen
seinerseits nutzte die Gelegenheit, um das Evangelium zu verkündigen, damit Mitreisende
Christus finden konnten.
1884 gründete Janssen eine eigene Missionsgesellschaft, den „Lutherischen Missionsverein
für Ostfriesland”, der eng mit der lutherischen Hermannsburger Mission zusammenarbeitete
und zwei Missionsstationen von Hermannsburg in eigener Regie übernahm. Damit trat neben
die bereits seit 1834 arbeitende reformiert/lutherische „Ostfriesische Evangelische
Missionsgesellschaft” (ELM) ein zweiter, konfessionell lutherisch strukturierter Verband
(BLO IV, Aurich, 2007, 234-236).
Noch heute arbeitet der „Lutherische Missionsverein“ in Indien und Afrika.28
Viel gelesen wurde der in bis zu 4 000 Exemplaren verbreitete „Missionsfreund”, dem
Janssen als Programm im Titel mitgab: „Gottes Wort und Luthers Lehr, die vergehen nun und
nimmermehr. Gottes Wort ist Luthers Lehr, darum vergeht sie nimmermehr.” Seit 1886
erschien dieses Blatt und versuchte den Kontakt zu Missionsinteressenten zu halten (BLO IV,
Aurich 2007, 234-236).
26 Siehe die Homepage der Kirchengemeinde Strackholt: http://kirche-strackholt.de vom 12.10.2012. 27 Plattdeutsch „beest“, englisch „beast“ (Tier). 28 Siehe: Ökumenische Partnerschaften im Sprengel Ostfriesland, hrsg. v. Ev.-Luth. Landeskirche Hannover und von dem Landessuperintendenten Dr. Detlef Klahr, pdf-Datei, S. 40 (Download vom 12.10.2012). Auch die ELM ist heute noch tätig.
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Die Missionsschule in Strackholt (1889-1914)
Remmer Janßen sah auch die Not der vielen Menschen in den fernen Ländern. Um sie zu
erreichen, wollte er eine Missionsschule29 gründen. Davon wurde ihm abgeraten, da es seit
1849 bereits in Hermannsburg ein
Missionsseminar zur Ausbildung von
Predigern und Missionaren gab. Dorthin sollte
Janßen die Bewerber schicken. Aber der
eigensinnige Pastor aus Strackholt ließ nicht
nach. Er wollte vor allem junge Ostfriesen
gewinnen, für die der Weg nach
Hermannsburg zu weit schien. Außerdem
wollte er sie vor allem als Prediger für die
ostfriesischen Gemeinden in den USA
gewinnen. Denn von dorther kam der Ruf:
„Schickt uns Prediger und Seelsorger für unsere Gemeinden.
Janßen hatte die Vorstellung, dass die Anwärter drei Jahre lang die Missionsschule in
Ostfriesland besuchen sollten, um anschließend für weitere zwei Jahre entweder das
Missionsseminar in Hermannsburg zu besuchen oder das Predigereminar in Dubuque in Iowa
(USA).
Remmer Janßen setzte alle Hebel in Bewegung und baute 1886 die Missionsschule in
Strackholt. 1888 war der Bau fertig. Nun konnten die ersten Schüler kommen. Aber keiner
kam.
Er warb immer wieder in der Missionszeitschrift „Missionsfreund“, aber es half nichts. Die
Missionsschule war und blieb sein Sorgenkind.
Erst nach über einem Jahr meldeten sich die ersten fünf Schüler. 1889 konnte mit dem
Unterricht begonnen werden. Gerhard Otten (der spätere Superintendent in Aurich-Oldendorf)
wurde Missionslehrer. 25 Jahre lang blieb die Missionsschule bestehen. 96 Schüler wurden
insgesamt aufgenommen. 28 gingen in die Hermannsburger Mission, 39 zur weiteren
Ausbildung nach Amerika und 29 in die Innere Mission.
Zu Beginn des Ersten Weltkrieges wurde die Missionsschule in Strackholt 1914 geschlossen.
Nach dem Krieg wurde keine neue Tätigkeit aufgenommen. Das Missionshaus wurde
verpachtet, 1951 verkauft und 1965 abgerissen.
Der Schiffer und die Sünde wider den Hl. Geist
Ein Schiffer war einmal von JESUS ergriffen gewesen. Dann aber umsegelte er die Welt und
die Verbindung mit dem HERRN war aufgelöst. Nach einigen Jahren quälte ihn das Wort aus
Hebräer 6, 4-6: „Es ist unmöglich, dass diejenigen, die geglaubt und einmal die Kräfte der
zukünftigen Welt geschmeckt haben und abgefallen sind, wiederum zur Buße gelangen.“ Nun
wurde der Schiffer unruhig, denn er dachte, dass er die Sünde wider den Hl. Geist begangen
habe (Mt. 12, 31-32). Er eilte von einem Pastor zum anderen und niemand konnte ihm helfen. 29 Abb. Missionsschule in Strackholt: W. Feldkirch: Ein Leben mit Christus, S. 18 (Foto A. Heyen).
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Dann kam er eines Tages zu Remmer Janßen. Janßen fragt ihn: „Was treibt dich hierher? Der
Teufel?“ Der Schiffer antwortete: „Wohl kaum! Daran hat der Teufel kein Interesse!“ Darauf
Janßen: „Dann ist es der Hl. Geist, der dich hierher treibt und du siehst, dass der Hl. Geist
noch nicht von dir gewichen ist.“ Da hatte der Schiffer wieder seinen Frieden gefunden.
Ruhestand Im Jahre 1921 trat der 71-jährige Remmer Janßen30 in den Ruhestand.
Die Gemeinde in Strackholt war inzwischen auf 4000 Mitglieder
angewachsen. Seine Abschiedspredigt hielt Janßen über 2. Kor. 7, 2-4.
Remmer Janßen übernahm eine kleine Pfarrstelle in Ochtelbur (1921-
1923).
Anschließend lebte er für eine kurze Zeit bei Gronewold in Großefehn.
Die Inflationszeit machte ihn völlig arm. Da dachten die ehemaligen
Missionsschüler in Amerika an ihren alten Lehrer und sammelten einige Dollars. Das Geld
sandten sie dem Kaufmann Fooke Janßen, dem Neffen Janßens. Dieser kaufte für seinen
Onkel ein Haus in Egels bei Aurich.31
Zum 50-jährigen Jubiläum des Posaunenchores in
Strackholt predigte der 78-jährige Janßen noch
einmal 1928 auf seiner Kanzel. Es war seine letzte
Predigt.
Abschied
Was Janßen einmal gepredigt hatte, nämlich, dass „der Meister Christus mit seinen
Werkzeugen ein Meisterstück bilden will und dann nach der der Vollendung sein Werkzeug
beiseitelegt“, das traf nun auch auf ihn selbst zu.
Auf seinem Sterbebett besuchten ihn zwei Frauen, die den Prediger zwar schier vergöttert
hatten, aber wohl noch nicht selber an ihr eigenes Heil gedacht hatten. Ihnen rief Janßen zu:
„Gute Nacht ihr Toten, ich gehe zu den Lebendigen!“
Am Sonntag Kantate 1931 war der Schiffszimmermann Johann Piepersgerdes aus
Ostgroßefehn auf dem Weg nach Hannover. Bei der Mühle in Großefehn wurde er unruhig
und begab sich daraufhin mit dem Fahrrad nach Egels. Dort lag Pastor Remmer Janßen in
seinen letzten Zügen.
30 Abb. Remmer Janßen im Alter: Maske/Mindermann, 1953, S. 88. 31 Abb. Feierabendhaus in Egels bei Aurich: Vom Geheimnis Christi, 1973, S. 117
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Nachdem sie über einige Freunde gesprochen hatten, die inzwischen daheim in der Ewigkeit
waren wie Rolf Trauernicht oder die Eltern von Piepersgerdes, waren seine letzten Worte das
bekannte Lied:
„Dort in der Ferne, dem himmlischen Land,
Treff ich die Freunde, die hier ich gekannt.
Dennoch wird JESUS, nur JESUS allein,
Grund meiner Freude und Anbetung sein.
Das wird allein Herrlichkeit sein,
Wenn frei von Weh ich sein Angesicht seh.“
Als der Leichnam von Egels nach Strackholt gebracht wurde, läuteten die Glocken in den
einzelnen Kirchengemeinden. In Strackholt fand die Beisetzung statt. Die Trauerrede hielt
Pastor Johannes Remmers aus Strackholt. Über dreißig Pastoren folgten dem Sarg. Die
Gemeinde Strackholt sammelte Geld für einen Grabstein, worauf die folgenden Worte zu
lesen sind:
„Hier ruht in geweihter Erde,
Inmitten seiner teuren Herde,
Nachdem er suchte das Verirrte,
Der Pastor oder Seelenhirte:
Remmer Janßen (6.11.1850 – 18.05.1931).
Die Grabstätte von Remmer Janßen in Strackholt32
Epilog
Wo einmal ein Vorfahr einen Brunnen gegraben hat,
da können die Nachfahren noch lange Wasser schöpfen.
32 Abb. Grabstätte: W. Feldkirch: Ein Leben mit Christus, S. 24 (Foto: A. Heyen).
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Hinweise
Wenn nicht anders erwähnt, wurde die Martin Luther Übersetzung von 1984, Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart, verwendet.
Die übrigen verwendeten Bibelausgaben, Übersetzungen sowie die Schriftfonds der zitierten Verse entstammen „Bible Works 4.0“ (1999) bis 9.0 (2009), distributet by Hermeneutika Bible Research Sotfware, Big Fork, Montana, USA.
Der Text wurde mit Microsoft Word 2007 -2010 (Microsoft Corporation) erstellt und formatiert.
Biblische ClipArts entstammen Masters Art Collection Nr. 7, ClipArts zur Bibel, A gathos Verlag, Ecclesia Equipment, H. T. Mislisch, Sonthofen.
Quellen:
1) Schriftliche Dokumente sowie Augenzeugenberichte werden in der unten genannten Literatur
berücksichtigt:
Dokumente wie Kirchenvisitationsakten, Personalakten des Landeskirchenamtes, der ostfriesische
Sonntagsbote, Ephoralakten des 9. Ostfr. Kirchenkreises.
Augenzeugen: Cassen Ackermann (Kirchenvorsteher); G. Baumfalk in Fiebing (Lehrer); Kobus
Buhr in Fiebing (Landwirt); Frau Martha Köppen-Bode; Theodor Elster (Landessuperintendent);
Georg von Eucken (Landschaftspräsident), Heinrich Lambertus, Pastor Johann Lambertus (USA);
Otten (Superintendent); Johann Piepersgerdes (Altschiffszimmermann); Reuter (Pastor); W.
Schomerus (Generalsuperintendent); Paula Janßen (Pflegekind); u.v.a.
2) Walter Feldkirch: Ein Leben mit Christus. Pastor Remmer Janßen, hrsg. v. Wegweiserdienst,
Uplengen-Remels, o.J. (Fotos: Arnold Heyen, Großefehn-Strackholt).
3) Günther Maske: Pastor Remmer Janssen – ein Brief Christi, 1953, 2. Erweiterte Auflage,
überarbeitet von Johannes Mindermann (Pastor i. R. Spetzerfehn), Herausgeber und Verleger
Johannes Mindermann, Ostgroßefehn. (Abk. Maske/Mindermann).
4) Vom Geheimnis Christi: Ein Betrachtungs- und Andachtsbuch von und nach Pastor Remmer
Janßen. 1. Teil: Pastor Remmer Janßens Lebensbild, erste Bearbeitung von Günther Maske 1948,
letzte Bearbeitung und Erweiterung 1971 (Neudruck 1973), hrsg. v. Johannes Mindermann
(Druck Wagener, Lemgo). (Abk. Mindemann: Vom Geheimnis Christis). Das Buch ist im HTML-
Format unter folgender Adresse anzuschauen und herunterzuladen:
http://www.lutherische-bekenntnisgemeinde.de/Remmer%20Janssen.htm
5) Biographisches Lexikon von Ostfriesland: Ostfriesische Landschaft, Aurich: Digitale Bibliothek:
http://www.ostfriesischelandschaft.de/776.html
6) Jürgen Hoogstraat: Art. Remmer Janssen, BLO (Biographisches Lexikon von Ostfriesland, Ostfr.
Landschaft), Bd. IV, Aurich, 2007, S. 234-236.
7) Remmer Janßen – Pastor in Strackholt. Homepage der politischen Gemeinde Strackholt vom
11.10.2012. http://www.strackholt.de/
8) Wiechert Fokken: 100 Jahre Posaunenchor Strackholt (1878-1978), pdf-Datei vom 16.01.1979
(Download von der Internetseite des Posaunenchores aus Strackholt: http://www.posaunenchor-
strackholt.de/ vom 11.10.2012).